Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 31.10.2022 – Verg 13/22
Titel:

Vergabenachprüfung: Gestattung des vorzeitigen Zuschlags wegen besonderer Dringlichkeit

Normenketten:
GWB § 169 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, S. 7
EG-Überwachungsrichtlinie Art. 2 Abs. 3
VgV § 14 Abs. 4 Nr. 3
Leitsätze:
1. § 169 Abs. 2 Satz 7 GWB , der bereits vor dem Abschluss des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer die Gestattung des Zuschlags ermöglicht, ist mit dem Europarecht, insbesondere mit der Rechtsmittelrichtlinie vereinbar. (Rn. 33 – 36)
2. Hat der Nachprüfungsantrag nach summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg und sind bei der Verzögerung der Erteilung eines Interimsauftrags schwerwiegende nachteilige Folgen für hochwertige Rechtsgüter (hier: Gefahren für Gesundheit und körperlicher Integrität von Schutzbedürftigen) zu erwarten, kann ausnahmsweise ein vorzeitiger Zuschlag nach § 169 Abs. 2 Satz 7 GWB gestattet werden. (Rn. 39)
3. Bei einem Interimsauftrag, der wegen Dringlichkeit in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben wird, ist - soweit möglich - für einen angemessenen Bieterwettbewerb zu sorgen, wobei die Begrenzung der Teilnahme auf drei Bieter ordnungsgemäß sein kann und eine nachvollziehbare, willkürfreie Auswahl der Unternehmen zu erfolgen hat, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Es kann sachlich gerechtfertigt sein, den Bestandsdienstleister nicht zu beteiligen. (Rn. 51 – 57)
4. Ein solcher Interimsauftrag ist auf den Zeitraum zu beschränken, der für die Erhaltung der Kontinuität der Leistungserbringung bis zur Auftragsvergabe aufgrund eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens erforderlich ist. Der wegen eines laufenden Nachprüfungsverfahrens bestehenden Ungewissheit über den Zeitpunkt der Vergabe des Hauptauftrags kann durch eine kurze Mindestlaufzeit, verbunden mit monatlichen Verlängerungsoptionen Rechnung getragen werden. (Rn. 60 – 67)
Schlagworte:
Interimsauftrag, vorzeitiger Zuschlag, Verhandlungsverfahren, Bewachungsdienste, Verlängerungsoption, Bestandsdienstleister, Richtlinie, besondere Dringlichkeit, Suspensiveffekt, Zuschlagsverbot, RL 89/665/EWG
Vorinstanz:
Vergabekammer München, Beschluss vom 26.09.2022 – 3194.Z3-3_01-22-48
Fundstellen:
NZBau 2023, 417
LSK 2022, 35589
BeckRS 2022, 35589

Tenor

I. Der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 26. September 2022 (Gz.: 3194.Z3-3_01-22-48) wird aufgehoben.
II. Dem Antragsgegner wird der sofortige Zuschlag auf den Auftrag „Bewachungsdienstleistungen … (Interimsvergabe)“ gestattet.
III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners trägt die Antragstellerin.
IV. Der Streitwert wird auf bis zu 110.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Verfahrensbeteiligten streiten im Beschwerdeverfahren um eine vorzeitige Zuschlagsgestattung auf einen Interimsauftrag.
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Mit Auftragsbekanntmachung vom 10. Juni 2022 schrieb der Antragsgegner einen Dienstleistungsauftrag über Bewachungsdienste in … im Wege eines offenen Verfahrens europaweit aus. Der Auftrag hat eine Laufzeit vom 1. Oktober 2022 bis zum 30. September 2023 mit Verlängerungsmöglichkeit bis längstens 30. September 2026. Alleiniges Zuschlagskriterium ist der Preis.
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Der bisherige Bewachungsauftrag endete am 30. September 2022.
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Unter anderem die Antragstellerin als Bestandsdienstleisterin sowie die Beigeladene beteiligten sich an dem Vergabeverfahren mit einem Angebot.
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Mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 26. Juli 2022 und ergänzendem Schreiben vom 4. August 2022 setzte der Antragsgegner die Antragstellerin davon in Kenntnis, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne und beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das - günstigere - Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Die Antragstellerin habe in der Bieterrangfolge ohne die Berücksichtigung von Angebotsausschlüssen anderer Bieter nur den 15. Platz und nach Berücksichtigung von Angebotsausschlüssen den 12. Platz belegt.
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Diese stellte daraufhin mit Schreiben vom 5. August 2022 einen Nachprüfungsantrag, mit dem sie sich gegen die Wertungsentscheidung des Antragsgegners wandte. Sie machte geltend, das Wertungsergebnis könne nur darauf beruhen, dass der Antragsgegner die in der Rangfolge vorgehenden Angebote nicht ordnungsgemäß auf die Einhaltung seiner Vorgabe in Ziffer 6.2 der Leistungsbeschreibung - Sonstige Ausführungsbedingungen -, mithin auf die Einhaltung der tariflichen und gesetzlichen Vorgaben bei der Kalkulation der Stundenverrechnungssätze, überprüft habe. Gerade hinsichtlich der Beigeladenen mit Sitz im Bundesland Hessen dränge sich auf, dass diese nicht mit dem vorgegebenen, sondern mit dem für das Bundesland Hessen maßgeblichen und somit einem deutlich niedrigeren Lohntarifvertrag kalkuliert habe. Wegen unzulässiger Änderungen der Vergabeunterlagen seien alle in der Rangfolge vor ihr liegenden Angebote zwingend auszuschließen mit der Folge, dass sie, die Antragstellerin, an erster Stelle rangiere.
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Mit Verfügung vom 24. August 2022 verlängerte die Vergabekammer in diesem unter dem Aktenzeichen 3194.Z3-3_01-22-40 geführten Verfahren die Frist bis zur Entscheidung bis zum 15. Dezember 2022. Sie wies mit rechtlichem Hinweis vom 8. September 2022 darauf hin, dass sie den Nachprüfungsantrag mangels Antragsbefugnis der Antragstellerin für unzulässig halte. Mit Beschluss vom 10. Oktober 2022, gegen den die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt hat, die bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht unter dem Aktenzeichen Verg 14/22 geführt wird, hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.
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Der Antragsgegner entschied sich im Hinblick auf die Verlängerung der Entscheidungsfrist, einen Interimsauftrag zu vergeben. Er antwortete auf die Anfrage der Antragstellerin vom 25. August 2022, wie die fortlaufend sicherzustellenden Bewachungsleistungen ab dem 1. Oktober 2022 erbracht werden sollen, und auf die damit verbundene Bekundung der Antragstellerin, erheblich an einer interimsmäßigen Leistungserbringung interessiert zu sein, mit E-Mails vom 30. August 2022, „dass derzeit ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit hierfür - vergaberechtskonform - ausgewählten Bietern durchgeführt“ werde und es sich hierbei um eine Interimsbeauftragung handle. Die Auswahlentscheidung sei auf objektiver Grundlage erfolgt.
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Der Interimsauftrag hat eine Laufzeit vom 1. Oktober 2022 bis zum 31. Januar 2023 und verlängert sich um jeweils einen Monat, jedoch längstens bis zum 30. September 2023, wenn er nicht mit einer Frist von einem Monat vor Ablauf des Verlängerungszeitraums in Textform gekündigt wird.
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Mit Schreiben vom 31. August 2022 reichte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag gegen die beabsichtigte Interimsvergabe ein, mit dem sie unter anderem begehrt, dem Antragsgegner die Erteilung eines Zuschlags zu untersagen, sowie ihn zu verpflichten, die Leistungen im Rahmen eines europaweit bekanntgemachten Vergabeverfahrens zu vergeben. Sie trug zur Begründung vor, sie sei in ihren Rechten als Bieterin aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt, weil sie als geeignetes und die Leistungen langjährig erbringendes Unternehmen zur Teilnahme am Verhandlungsverfahren ohne sachlichen Grund und daher unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus § 97 Abs. 2 GWB nicht zugelassen worden sei. Es dränge sich der Eindruck auf, dass sie aufgrund des von ihr hinsichtlich des Hauptauftrags eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens am Verhandlungsverfahren nicht beteiligt worden und die Auswahlentscheidung daher willkürlich sei. Auch lägen die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV nicht vor. Der Antragsgegner habe die Dringlichkeit selbst verschuldet, da er den Hauptauftrag zu kurzfristig ausgeschrieben habe.
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Der Antragsgegner meinte demgegenüber, die Voraussetzungen für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb lägen im Interimsverfahren vor. Er habe sich für eine Interimsvergabe entschieden, da diese gegenüber einer vorzeitigen Zuschlagserteilung das mildere Mittel darstelle. Die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb mit den vier aussichtsreichsten Bewerbern gewährleiste den größtmöglichen Wettbewerb angesichts des zeitlichen Rahmens. Eine Beteiligung der aussichtslos platzierten Antragstellerin sei weder zielführend noch geboten gewesen.
12
Er hat beantragt,
es ihm gemäß § 169 Abs. 2 GWB zu gestatten, im Interimsverfahren „Überwachungsdienstleistungen …“ den Zuschlag [auf das Angebot der Beigeladenen] zu erteilen.
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Die Zuschlagsgestattung wenigstens im Rahmen der Interimsvergabe sei gerechtfertigt, weil die Interessen der Allgemeinheit und des Antragsgegners jene der Antragstellerin überwögen. Neben den fehlenden Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags sei im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner gesetzlich verpflichtet sei, Asylsuchende unterzubringen sowie für die Sicherheit der in der ANKER-Dependance wohnhaften und schutzbedürftigen Flüchtlinge zu sorgen. Ein Fortbetrieb der ANKER-Dependance … über den 30. September 2022 hinaus sei unabdingbar, aber ohne einen Sicherheitsdienst nicht möglich.
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Mit Beschluss vom 26. September 2022, der dem Antragsgegner am 30. September zugestellt worden ist, hat die Vergabekammer den Antrag des Antragsgegners nach § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB auf Gestattung des Zuschlags zurückgewiesen und dem Antragsgegner die Kosten des Zuschlagsgestattungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin auferlegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Abwägung der Interessen der Beteiligten rechtfertige keine Gestattung der Zuschlagserteilung vor Abschluss des Nachprüfungsverfahrens, da die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss des Nachprüfungsverfahrens die damit verbundenen Vorteile nicht überwögen. Entscheidend gegen die Zuschlagsgestattung spreche, dass die Ausgestaltung des Interimsauftrags mit einer potentiellen Laufzeit von bis zu einem Jahr dem Ausnahmecharakter einer vorzeitigen Zuschlagsgestattung nur schwer gerecht werde und anders als im Nachprüfungsverfahren mit dem Aktenzeichen 3194.Z3-3_01-22-40 der Nachprüfungsantrag im streitgegenständlichen Verfahren keineswegs aussichtslos sei.
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Es bestünden bereits grundsätzlich erhebliche Bedenken, ob die Zuschlagsgestattung nach § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB mit Artikel 2 Abs. 3 und 5 der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG in der Fassung der RL 2007/66/EG vereinbar sei. Nach der Rechtsmittelrichtlinie könnten vor einer Entscheidung in der Hauptsache durch die Nachprüfungsinstanz nur vorläufige Maßnahmen getroffen werden. Die vorzeitige Zuschlagsgestattung ermögliche aber den Vertragsschluss vor Entscheidung der Hauptsache und sei keine vorläufige Maßnahme, da sie den Primärrechtsschutz des Antragstellers irreversibel beseitige.
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Anträgen nach § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB könne allenfalls in ganz außergewöhnlichen Situationen stattgegeben werden. Könne der Antragsgegner gravierende Nachteile des verzögerten Zuschlags auf andere Weise vermeiden, müsse er dies vorrangig tun. Insoweit sei zwar anzuerkennen, dass mögliche Interimsmaßnahmen regelmäßig Vorrang vor der vorzeitigen Zuschlagsgestattung genössen. Allerdings sei es insoweit erforderlich, dass die lnterimsmaßnahmen auch auf das erforderliche Maß begrenzt seien, um dem Ausnahmecharakter einer vorzeitigen Zuschlagsgestattung gerecht zu werden. Interimsmaßnahmen, die nach Art und Umfang einer Ersatzbeschaffung gleichkämen oder einen nicht unerheblichen Teil der planmäßig zu vergebenden Leistung vorwegnähmen, könnten kaum mehr als vorläufige Maßnahme im Sinne der Rechtsmittelrichtlinie verstanden werden. Vorliegend entspreche jedoch bei im Wesentlichen identischem Leistungsinhalt die Maximallaufzeit des Interimsauftrags der Mindestlaufzeit des planmäßigen Auftrags.
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Der Nachprüfungsantrag sei nicht aussichtslos. Durch die Entscheidung des Antragsgegners, die Antragstellerin nicht zur Angebotsabgabe aufzufordern, werde ihr die Chance genommen, sich mit einem möglicherweise aussichtsreichen Angebot am Vergabeverfahren zu beteiligen. Im Hinblick auf den Wettbewerbsgrundsatz müssten auch im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb regelmäßig mehrere Bieter beteiligt werden. Grundsätzlich seien auch diejenigen Unternehmen an dem Verfahren zur Vergabe von Interimsaufträgen zu beteiligen, die sich an einem vorangegangenen Vergabe- und Nachprüfungsverfahren beteiligt hätten. Auch erscheine die Annahme des Antragsgegners, dass eine Beteiligung der Antragstellerin wegen ihres preislich abgeschlagenen Angebots in Bezug auf die regulär zu vergebende Leistung nicht geboten gewesen sei, als wenig tragfähig, da es sich bei der Antragstellerin um die Bestandsauftragnehmerin handele, die insbesondere im Hinblick auf einen kurzfristigen Interimsauftrag möglicherweise nicht geringe Wettbewerbsvorteile für sich beanspruchen könne.
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Eine Abwägung des besonderen Beschleunigungsinteresses des Auftraggebers und der Allgemeinheit mit dem Interesse der Antragstellerin an einer Aufrechterhaltung des Zuschlagsverbots führe im Ergebnis nicht dazu, dass die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss der Nachprüfung die damit verbundenen Vorteile überwögen. Denn dies setze eine Gefährdung gewichtiger öffentlicher Interessen voraus, die nicht durch mögliche Interimsmaßnahmen abzuwenden seien. Der Antragsgegner habe zwar dargelegt, dass eine temporäre Übernahme der Aufgaben des Bewachungsdienstleisters durch eigenes Personal nicht zu stemmen sei. Gleichwohl bleibe eine Wiederholung der Interimsvergabe unter Beteiligung der Antragstellerin möglich.
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Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. Oktober 2022 an das Bayerische Oberste Landesgericht verfolgt der Antragsgegner sein Begehren weiter. Zur Begründung der Eilbedürftigkeit der Zuschlagserteilung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen vor der Vergabekammer. Aktuell werde die Bewachungsdienstleistung auf der Grundlage eines - bis zum 30. November 2022 befristeten - Vertrags durchgeführt, den er als soziale bzw. andere besondere Dienstleistung im Sinne von § 130 GWB nach Maßgabe des Anhangs XIV der RL 2014/24/EU auf der Basis einer vorab durchgeführten Kostenschätzung für eine zweimonatige Bewachungsdienstleistung im Wege einer nationalen Ausschreibung vergeben habe. Die Antragstellerin habe auch gegen diese (weitere) Interimsvergabe einen Nachprüfungsantrag gestellt (Aktenzeichen der Vergabekammer: 3194.Z3-3_01-22-52), mit dem sie geltend mache, der Vertrag sei nach § 134 BGB nichtig. Ohne eine lückenlose Sicherstellung der Bewachungsleistungen sei ein Fortbetrieb der ANKER-Dependance nicht möglich. Der Dienst sei nicht nur zur Gewährleistung der Sicherheit vor Gefahren von außen, sondern auch zur Aufrechterhaltung der in der Dependance bestehenden Sicherheit und Ordnung erforderlich. Zugleich diene der Dienst dazu sicherzustellen, dass bei gesundheitlichen Problemen oder aus feuerpolizeilichen Gründen Alarmierungen rechtzeitig vorgenommen werden können, um Gefahren für Leib und Leben der untergebrachten Personen abzuwenden. Zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen nach § 44 Abs. 1 und Abs. 2a AsylG sei er auf die Einrichtung eines Sicherheitsdienstes angewiesen. Die Aufnahme der dort untergebrachten und unterzubringenden Personen könne im üblichen anderweitigen Unterbringungssystem von … nicht aufgefangen werden, zumal mit dem Beginn der kalten Jahreszeit die Funktion der ANKER-Dependance als Quarantäne- bzw. Isolationsunterkunft verstärkt erforderlich werde. Für die dringend benötigte Dienstleistung drohe ein nicht zumutbarer, vertragsloser Zustand.
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Die Interimsvergabe solle einen solchen vertragslosen Zustand in dem Zeitraum vermeiden, der aufgrund der von der Vergabekammer im Hauptsachevergabeverfahren verlängerten Entscheidungsfrist bis 15. Dezember 2022 unmittelbar drohe. Die über den 31. Januar 2023 hinausgehenden Optionen sollten lediglich sicherstellen, dass bei weiteren Verzögerungen nicht erneut ein vertragsloser Zustand eintrete, sodass eine weitere Interimsvergabe erforderlich werde. Trotz der grundsätzlich überragenden Bedeutung des Primärrechtsschutzes von Unternehmen, die von bevorstehenden Vergabeentscheidungen nachteilig betroffen seien, überwögen die Interessen der Allgemeinheit am raschen Abschluss des Vergabeverfahrens. Besonders zu berücksichtigen sei, dass der verfahrensgegenständliche Beschaffungsbedarf nicht die vollständige, ursprünglich vorgesehene Vertragslaufzeit umfasse.
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Die von der Vergabekammer gesehenen europarechtlichen Bedenken seien nicht berechtigt.
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Der vorliegende Nachprüfungsantrag der Antragstellerin sei in gleicher Weise ohne Erfolgsaussicht wie der Nachprüfungsantrag im Hauptsachevergabeverfahren. Der Antragsgegner habe im Verfahren der Interimsvergabe ausreichenden Wettbewerb gewahrt, indem er die vier aussichtsreichsten Bieter des Hauptsachevergabeverfahrens zur Abgabe eines Angebots aufgefordert habe. Seine Entscheidung, die Antragstellerin nicht in den Kreis der für die Interimsvergabe aufzufordernden Unternehmen aufzunehmen, sei vergaberechtskonform. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV gebe den Kreis der in die Interimsvergabe aufzunehmenden Bieter nicht vor. Insbesondere schreibe diese Bestimmung nicht vor, dass der Bestandsunternehmer in diesen Kreis aufzunehmen sei. Im Übrigen weise er auch auf die zuletzt unzulänglichen Leistungen der Antragstellerin hin.
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Zu Unrecht habe die Vergabekammer auch die Voraussetzungen der Dringlichkeitsvergabe als zweifelhaft angesehen und das Vorliegen zwingender und dringender Gründe abgelehnt. Das Ausmaß der von der Vergabekammer vorgenommenen Verlängerung der Entscheidungsfrist habe auch von einem umsichtigen Auftraggeber nicht vorhergesehen werden können und die Bewachungsleistungen seien zur Abwehr der Gefahr für Leib und Leben erforderlich.
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Der Antragsgegner beantragt,
Der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 26. September 2022 (Az. 3194.Z3-3_01-22-48) wird aufgehoben und dem Antragsgegner gestattet, den Zuschlag [auf den Interimsauftrag] sofort zu erteilen.
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Die Antragstellerin beantragt,
den Antrag des Antragsgegners nach § 169 Abs. 2 Satz 7 GWB vom 12. Oktober 2022 zurückzuweisen.
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Sie macht sich die Ausführungen und die Bewertung der Vergabekammer im Beschluss vom 26. September 2022 ausdrücklich zu eigen. Insbesondere rügt sie, der Antragsgegner habe für die Interimsvergabe aufgrund der Verlängerungsoptionen eine zu lange Laufzeit gewählt, die der festen Laufzeit des Hauptvertrags entspreche und den Vertrag insoweit vollständig ersetze. Des Weiteren macht sie geltend, der Antragsgegner sei verpflichtet gewesen, sie als Bestandsdienstleisterin am Verfahren über die Interimsvergabe zu beteiligen. Er habe außerdem das Hauptsachevergabeverfahren angesichts des nicht verschiebbaren, benötigten Leistungsbeginns am 1. Oktober 2022 zu spät eingeleitet und dadurch die aufgrund des einzukalkulierenden Bieterrechtschutzes hervorgerufene Eilbedürftigkeit und Erforderlichkeit der Interimsvergabe durch eigenes Zuwarten selbst verursacht. Schließlich macht sie geltend, dass sie mit Blick auf die im Nachprüfungsverfahren über den Hauptvertrag erhobene Rüge der fehlerhaften Angebotswertung durchaus Chancen auf den Zuschlag habe, zumal die Behauptung des Antragsgegners nicht zutreffe, dass sie personell „ausgezehrt“ sei oder „unzulängliche Leistungen“ erbracht habe und ihr deshalb die Eignung abzusprechen sei. Bereits die vom Antragsgegner zur Glaubhaftmachung vorgelegte Anlage AG 1 belege das Gegenteil. Die Interessenabwägung falle somit zu ihren Gunsten aus. Dem Antrag fehle zudem das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Antragsgegner seinen Beschaffungsbedarf im Wege einer weiteren Interimsvergabe bereits anderweitig gedeckt habe. Auch die Voraussetzungen einer Dringlichkeitsvergabe lägen infolge dieser Ersatzbeschaffung nicht vor.
II.
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Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Ablehnung der vorzeitigen Gestattung des Zuschlags auf den Interimsauftrag ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ergibt die Abwägung der Interessen der Beteiligten, dass ausnahmsweise die Gestattung des Zuschlags auf den Interimsauftrag vor Abschluss des hierauf bezogenen Nachprüfungsverfahrens gerechtfertigt ist. Der Senat kann hierüber ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 169 Abs. 2 Satz 8 i. V. m. § 176 Abs. 3 Satz 2 GWB.
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1. Der Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung ist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 7 GWB statthaft. Der Anwendungsbereich der Norm ist eröffnet. Es handelt sich um ein eigenständiges Rechtsbehelfsverfahren, denn die sofortige Beschwerde nach § 171 GWB ist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 8 GWB gegen Entscheidungen der Vergabekammer über Anträge auf Gestattung des vorzeitigen Zuschlags nicht eröffnet (vgl. Antweiler in Burgi/Dreher/Opitz, Beck`scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 4. Aufl. 2022, § 169 Rn. 14).
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Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und insofern fristgerecht gestellt worden, als er vor Abschluss des Nachprüfungsverfahrens betreffend die Interimsvergabe angebracht worden ist, § 169 Abs. 2 Satz 8 i. V. m. § 176 Abs. 2 Satz 1 GWB (vgl. Antweiler in Beck`scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 169 Rn. 49). Einer Glaubhaftmachung der zur Begründung des Antrags vorgetragenen Tatsachen sowie des vorgebrachten Grunds für die Eilbedürftigkeit gemäß § 169 Abs. 2 Satz 8 i. V. m. § 176 Abs. 2 Satz 2 GWB, § 294 Abs. 1 ZPO bedarf es im vorliegenden Fall nicht, weil die maßgeblichen Umstände unstreitig sind (vgl. Antweiler in Burgi/Dreher/Opitz, Beck`scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 169 Rn. 49; Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2021, GWB § 169 R. 77). Die Antragstellerin zieht nicht in Zweifel, dass der Betrieb der ANKER-Dependance die Erbringung von Bewachungsdienstleistungen zwingend erfordert und ohne Sicherheitsdienst nicht möglich wäre. Die Aufgaben des Antragsgegners, zu deren Erfüllung diese Bewachungsdienstleistung erforderlich ist, ergeben sich aus dem Gesetz, § 44 Abs. 1, Abs. 2a AsylG i. V. m. §§ 1, 3 Abs. 1, Abs. 2 AsylbLG i. V. m. Art. 1, 3, 4 Abs. 2 BayAufnG und § 4 DVAsyl.
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Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, da die vom Auftraggeber aufgrund der Nachprüfung der Interimsvergabe herangezogene weitere Interimslösung ihrerseits gleichermaßen angefochten ist, ohnehin nur einen Teil (Oktober und November 2022) des zu überbrückenden Zeitraums ohne vertragliche Verlängerungsmöglichkeit abdeckt und es absehbar ist, dass das Nachprüfungsverfahren über den Hauptauftrag einerseits und über die interimsweise vorgenommene Vergabe eines Kurzzeitvertrags andererseits nicht rechtzeitig abgeschlossen sind, um den Bedarf an einer Überbrückung im Wege der streitgegenständlichen Interimsvergabe in Frage zu stellen. Dass im Nachprüfungsverfahren 3194.Z3-3_01-22-40 am 10. Oktober 2022 eine Entscheidung der Vergabekammer ergangen ist, ändert mit Blick auf das dagegen eingelegte Rechtsmittel nichts.
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2. Der Antrag auf vorgezogene Gestattung des Zuschlags hat auch in der Sache Erfolg.
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a) § 169 Abs. 2 Satz 7 GWB, der die gerichtliche Gestattung des Zuschlags vor Abschluss des Nachprüfungsverfahrens ermöglicht, stellt keine unionsrechtlich unzulässige Beschränkung des Bieterrechtsschutzes dar.
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Art. 2 Abs. 3 der RL 89/665/EWG (im Folgenden: Rechtsmittelrichtlinie) in der Fassung der RL 2007/66/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten, für die in Art. 1 der Richtlinie genannten Vergabenachprüfungsverfahren sicherzustellen, dass der öffentliche Auftraggeber den Vertragsschluss nicht vornehmen kann, bevor die Nachprüfungsstelle eine Entscheidung über einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen oder eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat. Die unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten zur Implementierung eines automatischen Zuschlagsverbots bedeutet nicht, dass der mit dem Nachprüfungsantrag eintretende Suspensiveffekt zwingend bis zum Abschluss des Verfahrens andauern muss. Der nationale Gesetzgeber hat die Vorgabe in § 169 Abs. 1 GWB dahingehend umgesetzt, dass mit der Übermittlung des Nachprüfungsantrags ein Zuschlagsverbot eintritt, das regelmäßig bis zur Hauptsacheentscheidung der Vergabekammer und dem Ablauf der sich anschließenden, zweiwöchigen Beschwerdefrist nach § 172 Abs. 1 GWB besteht. Die Regelung dient der Durchsetzung des Anspruchs der Bieter auf effektive Wahrung ihres subjektiven Rechts nach § 97 Abs. 6 GWB auf Einhaltung der Vorschriften über das Vergabeverfahren (vgl. EuGH, Urt. v. 14. Juli 2022, C-274/21, juris Rn. 88 f.; Erwägungsgrund 36 der Rechtsmittelrichtlinie; Burgi, Vergaberecht, 3. Aufl. 2021, § 20 Rn. 4, 8). Die Ausgestaltung des Rechtsschutzes im Einzelnen erfolgt durch die Mitgliedstaaten, denn gemäß Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV schaffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechtsbehelfe, „damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“.
35
Ein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz verlangt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im hier vorliegenden Kontext, dass die Beteiligten über eine tatsächliche Möglichkeit verfügen, einen Rechtsbehelf, insbesondere einen Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen bis zum Vertragsschluss, einzulegen, um eine Überprüfung der Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber im Fall von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Umsetzungsnormen durch ein unparteiisches Gericht zu erwirken, wobei die Modalitäten des gerichtlichen Verfahrens am Grundsatz der Effektivität der Richtlinienvorgaben auszurichten sind (vgl. EuGH, Beschluss vom 14. Februar 2019, C-54/18, juris Rn. 30 ff.; Urt. v. 11. September 2014, C-19/13, VergabeR 2015, 164 [juris Rn. 60]; Beschluss vom 9. April 2003, C-424/01, VergabeR 2003, 649 [juris Rn. 30 f.]). Zwar enthält das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes in Verfahren, in denen Primärrechtsschutz zur Abwendung möglicher Nachteile begehrt wird, auch das Gebot, so weit wie möglich der Schaffung vollendeter Tatsachen durch den gerichtlichen Rechtsschutz zuvorzukommen (BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564 [juris Rn. 22, 24] zu Art. 19 Abs. 4 GG). Das Recht auf wirksame und rasche Nachprüfung bedeutet aber weder nach dem Grundkonzept der Rechtsmittelrichtlinie noch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu ihrer Auslegung (vgl. auch EuGH, Urt. v. 14. Juli 2022, C-274/21, juris Rn. 79 ff.; VergabeR 2003, 649 [juris Rn. 33] - jeweils zum österreichischen Recht), dass bis zum Abschluss des auf Primärrechtsschutz gerichteten Nachprüfungsverfahrens gerichtliche Eilentscheidungen, mit denen vollendete Tatsachen geschaffen werden, gänzlich ausgeschlossen wären. Bereits nach der Konzeption der Rechtsmittelrichtlinie dauert der mit einem Nachprüfungsantrag nach Art. 1 Abs. 5 UAbs. 1 eintretende Suspensiveffekt nicht bis zum Verfahrensabschluss an, Art. 1 Abs. 5 UAbs. 3. Die Richtlinie selbst sieht in Art. 2 Abs. 3 und 5 die Möglichkeit vor, dass die unabhängige Nachprüfungsinstanz auf der Basis einer Interessenabwägung von bieterschützenden Maßnahmen absieht, also beispielsweise das automatische Zuschlagsverbot nicht über die Stillhaltefrist hinaus verlängert (vgl. auch Seidel/Probst in Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Werkstand: 56. EL April 2022, Abschnitt H IV. Öffentliches Auftragswesen Rn. 220).
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Danach bestehen keine Zweifel daran, dass die gesetzliche Regelung in § 169 Abs. 2 Satz 7 GWB, die bereits vor dem Abschluss des Nachprüfungsverfahrens eine Gestattung des Zuschlags im Eilrechtsschutz durch eine unabhängige Überprüfungsinstanz wie das Gericht auf der Grundlage einer Abwägung sämtlicher Interessen ermöglicht, mit dem Unionsrecht im Einklang steht. Über die Dauer eines Verfahrens des gerichtlichen Eilrechtsschutzes hinaus erzwingt die unionsrechtliche Vorgabe kein absolutes Zuschlagsverbot (vgl. auch Welker in BeckOK Vergaberecht, 25. Ed. 30. April 2022, GWB § 169 Rn. 8.a; Holtmann in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, GWB § 169 Rn. 5; Vavra/Willner in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 176 Rn. 3 zur entsprechenden Regelung in § 176 Abs. 3 GWB; Byok/Jaeger in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, GWB § 169 Rn. 32 f.; a. A. Antweiler in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 169 Rn. 10, 29). Allerdings führt eine am Gebot der richtlinienkonformen Auslegung orientierte Handhabung der Norm unter Beachtung des Effektivitätsgrundsatzes dazu, dass eine vorgezogene Zuschlagsgestattung vor einer Entscheidung der Vergabekammer in der Hauptsache gemäß bereits bisher einhelliger Rechtsprechung nur ausnahmsweise in Betracht kommen kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 9. September 2010, Verg 16/10, juris Rn. 32 - noch zu § 121 GWB a. F.).
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Im Streitfall ist zudem Art. 14 AEUV in den Blick zu nehmen, der den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, durch geeignete Gestaltung der Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass die Träger von Diensten im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse ihren Aufgaben angemessen nachkommen können (sog. Funktionsgewährleistungspflicht; vgl. Jung in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 14 Rn. 22; auch VK Karlsruhe, Beschluss vom 17. Juli 2014, 1 VK 30/14, juris Rn. 42). Der Begriff „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ entspricht dem der „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ in Art. 106 Abs. 2 Satz 1 AEUV und Art. 36 GRCh, wobei den Mitgliedstaaten ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt. Er umfasst jedenfalls diejenigen wirtschaftlichen Dienste, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht werden und deren Tätigkeitsprofil sich mit dem Begriff der „Daseinsvorsorge“ umschreiben lässt (vgl. Jung in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, AEUV Art. 14 Rn. 12 f.; Hatje in Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019, AEUV Art. 14 Rn. 10 f.; auch Mitteilung der Kommission über Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl EG 2001 Nr. C 17/4). Zu ihnen zählt die im Streitfall inmitten stehende Tätigkeit zweifelsfrei.
38
Danach ist der Senat als letztinstanzliches Gericht nicht verpflichtet, dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 4 AEUV eine Frage über die Auslegung der Verträge (Art. 267 Abs. 1 Buchst. a] AEUV) vorzulegen (dazu: BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2022, 1 BvR 2342/17, NJW 2022, 2828 Rn. 13). Auf die Frage, ob grundsätzlich eine Vorlagepflicht in einem gerichtlichen Eilverfahren, dem die Vorabentscheidung über den Zuschlag seinem Wesen nach vergleichbar ist (Hänisch in Röwekamp/Kus/Porz/Pries, GWB, 5. Aufl. 2020, § 176 Rn. 2), dann bestehen kann, wenn unumkehrbare Fakten geschaffen werden (offengelassen: BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2017, 2 BvR 2013/16, juris Rn. 15 f.), kommt es nach dem oben Ausgeführten nicht an. Wirksamer Rechtsschutz besteht bereits deshalb, weil die Entscheidung über die vorgezogene Gestattung des Zuschlags durch ein unabhängiges Gericht im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens nach Anhörung der Antragstellerin und unter Beachtung des Effektivitätsgrundsatzes bei der Handhabung der nationalen Norm ergeht. Der Primärrechtsschutz hinsichtlich des eigentlichen Hauptvertrags bleibt ohnehin in vollem Umfang erhalten, da Gegenstand des Antrags nur die Interimsvergabe ist.
39
b) Prüfungsmaßstab für die Gestattung des Zuschlags durch den Senat ist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 7 GWB der gleiche wie derjenige für die Gestattung durch die Vergabekammer nach § 169 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 GWB. Danach kann das Beschwerdegericht ausnahmsweise den Zuschlag gestatten, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss der Nachprüfung die damit verbundenen Vorteile überwiegen. In die Gesamtabwägung fließt in aller Regel das Ergebnis einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussicht des Nachprüfungsantrags ein. Dabei beeinflusst die Wechselwirkung zwischen der Erfolgsaussicht einerseits und dem Maß der Eilbedürftigkeit andererseits das Abwägungsergebnis (vgl. BayObLG, Beschluss vom 17. Juni 2021, Verg 6/21 - medizinische Gase, VergabeR 2021, 714 [juris Rn. 33 ff.] zu § 176 Abs. 1 Satz 1 GWB; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. Oktober 2017, 11 Verg 13/17, juris Rn. 26; Beschluss vom 26. Januar 2017, 11 Verg 1/17, NZBau 2017, 309 Rn. 35). Die eine Vorabgestattung des Zuschlags begründenden Umstände sind vom Auftraggeber darzulegen sowie - soweit erforderlich - glaubhaft zu machen.
40
In dem vorliegenden besonderen Ausnahmefall hat der Antrag Erfolg, weil der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nach dem Ergebnis einer summarischen Prüfung nicht erfolgversprechend erscheint und die Interessenabwägung eindeutig zu Gunsten des Antragsgegners ausfällt.
41
aa) Nach summarischer Prüfung, die im Verfahren des Eilrechtsschutzes genügt, teilt der Senat die von der Vergabekammer geäußerten Zweifel an der Rechtskonformität des Verfahrens über die Vergabe des Interimsauftrags nicht.
42
Zwar ist die Antragstellerin antragsbefugt, weil sie eine Verletzung eigener Rechte rügt, § 160 Abs. 2 GWB. Durch den behaupteten Verstoß gegen Bestimmungen über das Vergabeverfahren im Sinne des § 97 Abs. 6 GWB wurde sie schon an der Teilnahme am Vergabeverfahren gehindert, wodurch ihr der Interimsauftrag entgangen und ein Nachteil entstanden sein kann. Dies genügt (BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564 [juris Rn. 26 f.]; BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06 - Polizeianzüge, BGHZ 169, 131 Rn. 20, 30; BayObLG, Beschluss vom 29. Juli 2022, Verg 13/21, juris Rn. 37 m. w. N.).
43
In der Sache jedoch verspricht ihr Nachprüfungsantrag nach summarischer Prüfung keinen Erfolg.
44
(1) Die Voraussetzungen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb, § 113 Satz 2 Nr. 2 GWB i. V. m. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV, haben nach dem Ergebnis dieser Prüfung vorgelegen.
45
Das Vorliegen äußerst dringlicher, zwingender Gründe im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV ist zu bejahen, weil die zu vergebende Leistung ihrer Art und ihrem Zweck nach derart eilbedürftig, also auf einen bestimmten Termin hin ausgerichtet ist, dass sie keinen Aufschub duldet, und diese Leistung dem Schutz bedeutender Rechtsgüter dient, die bei ihrem Ausbleiben unmittelbar gefährdet wären (vgl. auch OLG Naumburg, Beschluss vom 14. März 2014, 2 Verg 1/14, juris Rn. 52, 56; Voppel in Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV, 4. Aufl. 2018, § 14 Rn. 33).
46
Im vorliegenden Fall ist mit Blick auf den erforderlichen Leistungsbeginn am 1. Oktober 2022 durch die Verfügung vom 24. August 2022 im Nachprüfungsverfahren über die Vergabe des Hauptauftrags, mit der die Entscheidungsfrist bis zum 15. Dezember 2022 verlängert worden ist, äußerster Zeitdruck entstanden. In dem verbliebenen Zeitraum von lediglich 37 Kalendertagen hätte ein reguläres Vergabeverfahren im Wege der EUweiten offenen Ausschreibung für den Interimsbedarf nicht zum Abschluss gebracht werden können, was ohne Interimsvergabe die vorübergehende Schließung der Gemeinschaftsunterkunft und damit eine gravierende Beeinträchtigung der staatlichen Aufgabenerfüllung zur Folge gehabt hätte. Denn eine lückenlose Erbringung der Bewachungsdienstleistungen ist zur Aufrechterhaltung des Betriebs zwingend erforderlich, was auch die Antragstellerin nicht in Abrede stellt. Zwingende, dringliche Gründe, die eine Beschaffung in einem regulären Vergabeverfahren nicht zulassen, kommen nicht nur bei akuten Gefahren für Leib und Leben in Betracht, sondern auch bei der Gefährdung der Erfüllung anderer dem Staat obliegenden Aufgaben (BayObLG, Beschluss vom 20. Januar 2022, Verg 7/21 - Schnelltests, VergabeR 2022, 411 [juris Rn. 71]; Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 14. Dezember 2021, 2 Verg 1/21, NZBau 2022, 548 Rn. 89, 110; Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV/UVgO, 3. Aufl. 2022, § 14 VgV Rn. 71; Voppel in Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV, § 14 Rn. 33, 35, 39).
47
Auch wenn ein öffentlicher Auftraggeber im Regelfall mit Verzögerungen der Auftragsvergabe durch ein Nachprüfungs- oder Beschwerdeverfahren rechnen und diese bei seiner zeitlichen Planung einkalkulieren muss (BayObLG VergabeR 2021, 714 - medizinische Gase [juris Rn. 59]; von Werder in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, GWB § 176 Rn. 37), fällt die vorliegend eingetretene, durch eine starke Arbeitsbelastung der Vergabekammer bedingte erhebliche Verzögerung nicht mehr in die Risikosphäre des Antragsgegners (vgl. auch VK Karlsruhe, Beschluss vom 17. Juli 2014, 1 VK 30/14, juris Rn. 37; Voppel in Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV, § 14 Rn. 30).
48
Letztlich kann ohnehin dahinstehen, ob der Antragsgegner die Dringlichkeit mitverursacht hat. Im Bereich der Daseinsvorsorge kann Dringlichkeit der (Interims-) Vergabe für eine gewisse Zeit auch dann gegeben sein, wenn sie auf vom Auftraggeber zu vertretenden Umständen beruht, denn auch dieser Aspekt kann eine Unterbrechung der Dienstleistung der Daseinsvorsorge zu Lasten der Nutzer nicht ohne Weiteres rechtfertigen. Der Aspekt der Zurechenbarkeit und Vorhersehbarkeit tritt in diesen Fällen - so auch im Streitfall - hinter die Notwendigkeit der Kontinuität der Versorgungsleistung zurück (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. Januar 2014, 11 Verg 15/13, VergabeR 2014, 547 [juris Rn. 50]; Dörn in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 2, 3. Aufl. 2019, VgV § 14 Rn. 51; Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV/UVgO, § 14 VgV Rn. 74; Voppel in Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV, § 14 Rn. 39 jeweils m. w. N.).
49
(2) Selbst wenn die Möglichkeit eines Verhandlungsverfahrens mit Wettbewerbsbekanntmachung nach § 17 Abs. 3 VgV unter Inanspruchnahme abgekürzter Fristen bestanden haben sollte, erscheint es eher fernliegend, dass diese Möglichkeit als wettbewerbsschonendere Alternative zu ergreifen gewesen wäre (dazu Voppel in Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV, § 14 Rn. 29), denn die möglichen Interessenten an einem Interimsauftrag dürften bereits durch die europaweite Ausschreibung des Hauptauftrags bekannt gewesen sein.
50
(3) Entgegen der von der Vergabekammer geäußerten Ansicht begegnet die Entscheidung des Antragsgegners, die Antragstellerin nicht an den Verhandlungen über die Vergabe des Interimsauftrags zu beteiligen, keinen durchgreifenden Bedenken.
51
Die Vergabestelle hat auch im Rahmen der Dringlichkeitsvergabe im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb für einen angemessenen Bieterwettbewerb zu sorgen. In der Regel ist es nicht gerechtfertigt, bei der interimsweisen Vergabe nur einen einzigen von mehreren interessierten Bietern in die Verhandlungen einzubeziehen, jedenfalls wenn die Beteiligung weiterer Unternehmen ohne großen Zeitverlust möglich ist. Allerdings kann eine Begrenzung auf lediglich drei Bieter vergaberechtlich ordnungsgemäß sein (BayObLG VergabeR 2022, 411 - Schnelltests [juris Rn. 82 ff.]; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. Dezember 2020, 15 Verg 8/20, NZBau 2021, 200 Rn. 38; OLG Frankfurt VergabeR 2014, 547 [juris Rn. 51]; Dörn in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 2, VgV § 14 Rn. 51). Für die Beurteilung, in welchem Umfang interessierte Bieter zur Angebotsabgabe einzuladen sind, sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgeblich. Eine pauschale Antwort des Inhalts, dass in das Verhandlungsverfahren über einen Interimsvertrag stets alle Bieter einzubeziehen seien, die ihr Interesse an einem Hauptvertrag durch Angebotsabgabe bekundet haben, verbietet sich.
52
Auch in den Entscheidungen des Oberlandesgerichts Dresden vom 24. Januar 2008 (WVerg 10/07, VergabeR 2008, 567) und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 8. Juli 2008 (1 Verg 1/08, VergabeR 2009, 97) wird ein solcher genereller Grundsatz für alle denkbaren Fälle ausweislich der Entscheidungsgründe nicht aufgestellt. Der Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der öffentliche Auftraggeber nach Aufhebung eines Verfahrens zur Vergabe eines Betreibervertrags, an dem sich sechs Bieter beteiligt hatten, nur mit dem Bestandsdienstleister in Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung für einen einjährigen Überbrückungszeitraum eingetreten war. Das Oberlandesgericht hat dies als vergaberechtswidrig angesehen, weil namentlich in Fällen einer nicht erfolgreich abgeschlossenen Ausschreibung ein anschließendes Verhandlungsverfahren jedenfalls mit den Bietern eben dieser Ausschreibung zu betreiben sei. Im Anschluss an diese Entscheidung hat es das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg in einem ähnlich gelagerten Fall als vergaberechtswidrig gewertet, dass im Wege der Freihändigen Vergabe Verträge über Schuldner- und Insolvenzberatungsdienstleistung für einen Interimszeitraum nur mit den dem öffentlichen Auftraggeber bereits durch die bisherige Zusammenarbeit bekannten sieben Beigeladenen geschlossen worden sind, obwohl das Interesse einer weiteren Bewerberin bekannt war und die Prüfung ihrer Eignung in der zur Verfügung stehenden Zeit möglich gewesen wäre. Maßgeblich stellen diese Entscheidungen darauf ab, dass das beanstandete Vorgehen des öffentlichen Auftraggebers eine unzulässige Bevorzugung der der Vergabestelle bekannten Bestandsdienstleister darstellte und mit dem Gebot der Gleichbehandlung nicht vereinbar war.
53
Die von der Antragstellerin herangezogene Kommentierung (Antweiler in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl 2020, GWB § 115 Rn. 25) stellt ab auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 30. Januar 2014 (11 Verg 15/13, VergabeR 2014, 547). Darin heißt es, dass der öffentliche Auftraggeber auch in Fällen besonderer Dringlichkeit der (Interims-)Vergabe gehalten sei, zumindest die im Wettbewerb über den Auftrag hervorgetretenen Bieter zu beteiligen; etwas anderes könne sich je nach Lage des Falles aus den Umständen der Dringlichkeit ergeben (juris Rn. 51).
54
Dies zugrunde gelegt, kann die Antragstellerin mit ihrer Ansicht, sie hätte aufgrund ihrer Stellung als (auch am Nachfolgevertrag interessierte) Bestandsdienstleisterin in das Verhandlungsverfahren über den Interimsvertrag einbezogen werden müssen, nicht durchdringen. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Auftraggeber auch in Eilfällen einen angemessenen Bieterwettbewerb zu eröffnen hat, um dem Wettbewerbsprinzip Rechnung zu tragen. Ist ein Vergabeverfahren bereits eingeleitet, der Zuschlag aber - wie im vorliegenden Fall - durch ein Nachprüfungsverfahren blockiert, sind in die Interimsverhandlungen grundsätzlich diejenigen Bieter einzubeziehen, die ein Angebot abgegeben haben. Dabei kann der öffentliche Auftraggeber aber den Kreis der im Rahmen der Dringlichkeitsvergabe aufzufordernden Unternehmen auf eine angemessene Zahl begrenzen, sofern dabei der Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt bleibt (BayObLG VergabeR 2022, 411 - Schnelltests [juris Rn. 89 f.]). Dabei verlangt das Transparenzgebot eine nachvollziehbare Auswahl der Unternehmen, die zu Vertragsverhandlungen aufgefordert werden (BayObLG VergabeR 2022, 411 - Schnelltests [juris Rn. 112 ff.]; Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV/UVgO, § 14 VgV Rn. 75; Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 14 Rn. 66).
55
Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner die aus seiner Sicht vier aussichtsreichsten Bewerber des vorangegangenen offenen Verfahrens zur Abgabe eines Angebots auf den Interimsauftrag eingeladen. Damit hat er grundsätzlich hinreichenden Wettbewerb ermöglicht. Die vom Antragsgegner zugrunde gelegten Auswahlkriterien, die zur Nichtberücksichtigung der Antragstellerin geführt haben, sind nachvollziehbar und von Sachgründen getragen. Eine solche auf Sachkriterien beruhende und das Gleichbehandlungsgebot beachtende Beschränkung ist zulässig und im Zuge der sogenannten Dringlichkeitsvergabe auch sinnvoll.
56
Bei einer Beteiligung der Antragstellerin an den Verhandlungen über eine Interimsvergabe hätte es einer besonderen Rechtfertigung bedurft, nicht auch die anderen elf vor ihr platzierten Bieter zur Teilnahme einzuladen.
57
Aus Sachgründen war eine Beteiligung der Antragstellerin als Bestandsdienstleisterin am Verhandlungsverfahren nicht, insbesondere nicht aus Gründen der Gleichbehandlung, geboten. Ein Unternehmen hat nicht schon allein aufgrund des Umstands, dass es den Dienstleistungsauftrag innehat und zu seiner Fortführung in der Lage und willens ist, einen genuinen Anspruch auf Beteiligung an einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb hinsichtlich der Interimsvergabe. Andernfalls hätte jeder Bestandsdienstleister ein voraussetzungsloses Privileg im Sinne einer gesicherten Chance auf einen Interimsauftrag durch Beteiligung am entsprechenden Verhandlungsverfahren. Das Interesse des Bestandsdienstleisters, den Zeitraum seiner Leistungserbringung über das Vertragsende hinaus zu verlängern, ist aber vergaberechtlich nicht geschützt (vgl. auch VK Südbayern, Beschluss vom 29. Dezember 2016, Z3-3-3194-1-47-11/16, juris Rn. 133, 137).
58
Dass sachliche Gründe in bestimmten Sachverhaltskonstellationen eine andere Beurteilung rechtfertigen können, kann dahinstehen, weil solche im vorliegenden Fall nicht ersichtlich sind.
59
(4) Die Bedenken der Vergabekammer hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Vertragskonditionen teilt der Senat gleichfalls nicht.
60
Dauerschuldverhältnisse, die wegen Dringlichkeit aufgrund eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb eingegangen werden, müssen zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf den Zeitraum beschränkt werden, der für die Erhaltung der Kontinuität der Leistungserbringung bis zur Auftragsvergabe aufgrund eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens erforderlich ist (vgl. OLG Karlsruhe NZBau 2021, 200 Rn. 33 m. w. N.).
61
Diesen Anforderungen hat der Antragsgegner in nicht zu beanstandender Weise Rechnung getragen.
62
Die Mindestlaufzeit des Interimsauftrags ist auf wenige Monate beschränkt und geht nicht über denjenigen Zeitraum hinaus, den der Antragsgegner aufgrund der Verlängerung der Entscheidungsfrist im Nachprüfungsverfahren 3194.Z3-3_01-22-40 der Vergabekammer Südbayern für absolut erforderlich halten durfte, um einen vertragslosen Zustand ab dem Auslaufen des Bestandsvertrags bis zum ehestmöglichen Zeitpunkt einer Zuschlagserteilung auf den Hauptvertrag zu vermeiden.
63
Die vertraglichen Verlängerungsoptionen ändern daran nichts. Die aufgrund dieser Optionen mögliche einjährige Höchstdauer des Interimsauftrags ist nicht gleichzusetzen mit einer entsprechenden Mindestlaufzeit, wie sie im Hauptvertrag vorgesehen ist. Eine Vorwegnahme eines Großteils dieses Teils des Hauptauftrags tritt deshalb allenfalls dann ein, wenn sich die Vergabe des Hauptvertrags entsprechend lange verzögert und der unabweisbare Bedarf an einer Interimsvergabe dementsprechend fortbesteht. In einer solchen Situation aber ist der Fortbestand des Interimsauftrags nicht zu beanstanden.
64
Die vereinbarte Verlängerungsautomatik ist geeignet und erforderlich, um bei nicht zuverlässig zu prognostizierender Dauer des bis zur Vergabe des Hauptauftrags zu überbrückenden Zeitintervalls den Bedarf des Antragsgegners für den erforderlichen Zeitraum sicherzustellen. Der Antragsgegner hatte gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass es im Überbrückungszeitraum bis zur langfristigen Vergabe des Dienstleistungsauftrags zu erheblichen Schwierigkeiten kommen werde, weshalb ohne Sicherstellung einer Verlängerungsmöglichkeit der Eintritt eines vertragslosen Zustands auch noch nach dem Ablauf der Mindestlaufzeit drohte.
65
Ein Misstrauen gegen den öffentlichen Auftraggeber, er werde den Interimsauftrag länger als nötig (weil durch das Zuschlagsverbot hinsichtlich des Hauptvertrags veranlasst) durchführen, ist ohne besonderen Anlass, für den im vorliegenden Fall nichts ersichtlich ist, nicht berechtigt. Deshalb begegnet es vorliegend keinen durchgreifenden Bedenken, dass die Laufzeit des Interimsvertrags nicht mit dem Verlauf des auf den Hauptvertrag bezogenen Nachprüfungsverfahrens verknüpft worden ist. Es liegt zudem schon mit Blick auf den sonst zu befürchtenden Ablauf von Bindefristen im eigenen Interesse des Auftraggebers, den Zuschlag auf den Hauptvertrag unter entsprechender Beendigung des Interimsvertrags zu erteilen, sobald die rechtlichen Hindernisse weggefallen sind.
66
(5) Kurzfristige Interimslösungen im Sinne aufeinanderfolgender defacto-Vergaben für jeweils kürzeste Zeiträume können entgegen der Meinung der Antragstellerin nicht als geeignete, wettbewerbsschonendere Alternative angesehen werden.
67
Das Oberlandesgericht Frankfurt hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2017, 11 Verg 13/17, auf den sich die Antragstellerin beruft, entschieden, dass Interimslösungen grundsätzlich einer vorzeitigen Zuschlagsgestattung vorzuziehen sind (juris Rn. 10, 50). Daraus kann nichts für die Antragstellerin Günstiges gewonnen werden. Andere Interimslösungen als die Beauftragung eines Bewachungsdienstleisters stehen vorliegend nicht zur Verfügung. Ist der Gesamtzeitraum des Interimsbedarfs abschätzbar, kann die Aneinanderreihung von zu kurz bemessenen Kleinstaufträgen zudem als rechtsmissbräuchlich angesehen werden (Kus in Röwekamp/Kus/Porz/Pries, GWB, § 169 Rn. 118 m. w. N.). Solche „Ketten Direktvergaben“ einer Dienstleistung sind zudem nicht geeignet, dem Wettbewerbsgrundsatz besser Rechnung zu tragen als die hier gewählte Vergabe eines Interims-Dienstleistungsauftrags im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb bei gleichzeitiger Beschränkung des Interimsauftrags auf den mindestens erforderlichen Überbrückungszeitraum von wenigen Monaten und Verlängerungsoptionen für den Bedarfsfall. Dem steht nicht entgegen, dass selbst eine interimsweise Direktvergabe bis zum Abschluss eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens vergaberechtsgemäß sein kann, wenn andernfalls dringende Allgemeinwohlinteressen in der Zwischenzeit nicht befriedigt würden (vgl. KG, Beschluss vom 29. Februar 2012, Verg 8/11, juris Rn. 31).
68
bb) Die Interessenabwägung fällt im vorliegenden Fall eindeutig zu Gunsten des öffentlichen Auftraggebers aus.
69
(1) Das Interesse des Antragsgegners an der Erteilung des Zuschlags hinsichtlich des Interimsauftrags bereits vor Abschluss des hierauf bezogenen Nachprüfungsverfahrens beruht auf Umständen, die diesem Interesse die Qualität eines besonderen Beschleunigungsinteresses verleihen.
70
Insbesondere der Gegenstand der Beauftragung fällt insoweit ins Gewicht. Die zu beauftragende Tätigkeit betrifft den sensiblen Bereich des Betriebs von Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende bzw. Flüchtlinge. Deren Unterbringung in der ANKER-Dependance ist - wie auch die Antragstellerin zugesteht - ohne die ordnungsgemäße Bereitstellung einer Bewachungsdienstleistung für die Schutzsuchenden und -bedürftigen ausgeschlossen. Eine Verzögerung der Beauftragung und damit eine Unterbrechung der Bewachungsleistungen im Zeitraum zwischen dem Ende des bisherigen Dienstleistungsvertrags und einer (interimsweisen) Neuvergabe hätte daher schwerwiegende nachteilige Folgen. Der öffentlichrechtliche Träger der Einrichtung wäre außerstande, seiner Verpflichtung, räumliche Unterbringungsmöglichkeiten bereitzustellen, nachzukommen. Dass ein Ausweichen auf andere Einrichtungen möglich wäre, kann aufgrund der Größe der voll belegten ANKER-Dependance und ihrer speziellen Ausstattung für Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen ausgeschlossen werden. Besonderes Gewicht erlangt das Interesse des Antragsgegners an der Erfüllung seiner öffentlichrechtlichen Verpflichtung angesichts der Jahreszeit und der damit verbundenen vorhersehbaren Zunahme an Infektionen mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 sowie angesichts des Kriegs in der Ukraine und dessen Auswirkungen auf die Zahlen schutzsuchender und mit Unterkünften zu versorgender Personen.
71
Des Weiteren wiegen die Rechtsgüter der Gesundheit und körperlichen Integrität, zu deren Schutz der öffentliche Auftraggeber als Betreiber der Gemeinschaftsunterkunft verpflichtet ist und deren Sicherstellung der zu vergebende Dienstleistungsvertrag dient, schwer. Sie wären durch eine auch nur kurzzeitige Unterbrechung der Bewachungsdienstleistung unmittelbar gefährdet.
72
Hinzu tritt der Umstand, dass der reguläre Bewachungsauftrag (mit der Antragstellerin) bereits zum 30. September 2022 abgelaufen ist, sodass aufgrund der dargestellten Umstände ein unmittelbarer Beschleunigungsdruck besteht. Dieser ist nicht dadurch entschärft worden, dass der Antragsgegner mittlerweile einen auf zwei Monate fest befristeten Bewachungsauftrag vergeben hat, der seinerseits Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens ist. Vielmehr besteht in dieser Situation das dringende Interesse des Antragsgegners an einer rechtssicheren Grundlage für die während der Übergangszeit bis zur Neuvergabe des Hauptvertrags zu gewährleistenden Bewachungsdienstleistungen unverändert fort.
73
Dem Antragsgegner kann es nicht zugemutet werden, die dargelegten schwerwiegenden Nachteile hinzunehmen. Sie gehen weit über Misshelligkeiten hinaus, die für den Auftraggeber regelmäßig mit einer zeitlichen Verzögerung seines Projekts in der Folge von Vergabenachprüfungsverfahren verbunden sind. Vorliegend geht es nicht lediglich um Verzögerungen, vielmehr wird die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung für einen bereits angelaufenen Zeitraum irreversibel erschwert bzw. - wenn sie nicht mithilfe von Interimsaufträgen gewährleistet wird - mit den dargestellten schwerwiegenden Auswirkungen unmöglich.
74
(2) Die gleichermaßen in die Abwägung einzustellenden Interessen der Allgemeinheit entsprechen denjenigen des öffentlichen Auftraggebers.
75
Die Allgemeinheit hat ein erhebliches Interesse an der kontinuierlichen, ordnungsgemäßen Unterbringung von Schutzsuchenden und somit an einer unterbrechungsfreien, auf rechtssicherer Grundlage bewirkten  Bewachungsdienstleistung. Dies gilt insbesondere in der durch die Jahreszeit und politischen Lage geprägten aktuellen Situation. Auch das Interesse der Allgemeinheit daran, speziell Interimsaufträge betreffende Vergabeverfahren rasch zu beenden, fällt ins Gewicht. Das Interesse daran, den unabweisbaren Bedarf am Erhalt der Unterbringungsmöglichkeit durch Sicherstellung der Dienstleistung für einen Interimszeitraum zu befriedigen, ist nicht lediglich als ein allgemein bestehendes öffentliches Interesse, sondern als besonderes Beschleunigungsinteresse zu qualifizieren, das dem Interesse an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes vorgehen kann.
76
(3) Gegenüberzustellen sind die Interessen der Bieterin, die den Nachprüfungsantrag gestellt und damit das Zuschlagsverbot gemäß § 169 Abs. 1 GWB bewirkt hat.
77
Der Bieter hat zweifellos ein gewichtiges Interesse daran, dass ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, seinen Anspruch auf die Einhaltung eines rechtmäßigen Vergabeverfahrens, § 97 Abs. 6 GWB, im Wege des Primärrechtsschutzes zu verfolgen und nicht auf den Sekundärrechtsschutz (Schadensersatz) verwiesen zu werden (vgl. OLG München, Beschluss vom 9. September 2010, Verg 16/10, juris Rn. 29). Nur im Wege des Primärrechtsschutzes kann der Bieter seine Zuschlagschancen wahren. Dabei fällt im vorliegenden Fall auch die nicht unerhebliche Höhe des Auftragswerts ins Gewicht, wobei sich allerdings mit dem Abschmelzen des für einen Interimsvertrag verbleibenden Zeitraums auch die Aussichten der Antragstellerin auf Teilhabe an diesem Wert kontinuierlich durch Zeitablauf verringern.
78
Weiter sind gemäß § 169 Abs. 2 Sätze 4 und 7 GWB die allgemeinen Aussichten der Antragstellerin im Vergabeverfahren, den (noch verbleibenden Rest-)Interimsauftrag zu erhalten, in die Abwägung einzustellen. Positive Aussichten auf den Zuschlag in diesem Sinne können auch dann bestehen, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Antragsteller kein Angebot abgegeben hat (Antweiler in Burgi/Dreher/Opitz, Beck`scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 169 Rn. 43). Zu berücksichtigen ist im Streitfall allerdings, dass ein Erfolg der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren über die interimsmäßige Vergabe nur in der Form einer Aufhebung des Verfahrens oder einer Rückversetzung des Vergabeverfahrens in einen früheren Stand möglich wäre, verbunden mit der Untersagung, den Zuschlag an die Beigeladene zu erteilen. Für das Intervall bis zu einer vergaberechtskonformen Zuschlagserteilung käme ein Zuschlag auf den Interimsauftrag zugunsten der Antragstellerin auch bei diesen Szenarien nicht in Betracht. Die Antragstellerin erhielte vielmehr lediglich eine „zweite Chance“ auf Abgabe eines zuschlagsfähigen Angebots. Allerdings verengt sich mit fortschreitender Zeit kontinuierlich das Zeitfenster für einen möglichen Interimsauftrag und für eine Zuschlagserteilung nach - unterstellter - Verfahrensaufhebung oder -rückversetzung, zumal parallel das Nachprüfungsverfahren über den Hauptvertrag läuft, mit dessen Zuschlagsreife die weitere Durchführung des Interimsvertrags obsolet würde. Danach erscheinen die Chancen der Antragstellerin, den Zuschlag auf den (restlichen) Interimsauftrag zu erhalten und insbesondere darauf, wesentliche Zeiträume der Interimsbeauftragung bis zur Vergabe des Hautvertrags abarbeiten und dadurch eine Vergütung verdienen zu können, als gering.
79
Das Zuschlagsverbot soll den Primärrechtsschutz des erfolglosen Bieters gewährleisten und damit seine Chance, selbst den Zuschlag zu erhalten, wahren. Sind diese Chancen aber gering, ist auch das Interesse am Erhalt des Primärrechtsschutzes weniger stark zu gewichten.
80
(4) In dem hier zu beurteilenden Ausnahmefall fällt die Abwägung der widerstreitenden Interessen eindeutig zu Gunsten des Antragsgegners aus, zumal - wie ausgeführt - der Vergabenachprüfungsantrag nach summarischer Prüfung keinen Erfolg verspricht. Das Interesse des Antragsgegners an einer besonderen Beschleunigung des Interimsverfahrens und das gleichlaufende Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss der Interimsvergabe sowie an der Erfüllung der öffentlichrechtlichen Verpflichtungen überwiegen das Interesse der Antragstellerin weit.
81
Die Auftragsvergabe ist aufgrund der zeitlichen Fixierung der benötigten Dienstleistung derart dringlich, dass jedes Hinauszögern des Zuschlags die Durchführung des zu vergebenden Auftrags für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum unmöglich oder hinfällig macht. Rückwirkend kann die ab dem 1. Oktober 2022 dringend benötigte Dienstleistung nicht erbracht werden. Eine Verzögerung der Auftragsvergabe ist somit geeignet, die Funktionsfähigkeit und Aufgabenerfüllung des Antragsgegners spürbar zu beeinträchtigen, denn die aufgezeigten Umstände des vorliegenden Falls begründen einen dringenden Bedarf an einer unterbrechungsfreien Erbringung der Dienstleistung. Dass der Antragsgegner eine weitere Interimslösung für zwei Monate umgesetzt hat, ändert an dieser Beurteilung schon deshalb nichts, weil auch der interimsweise bereits vergebene Vertrag Gegenstand einer Nachprüfung ist, in dem die Antragstellerin dessen Nichtigkeit festgestellt wissen will. Damit bedarf es zur verlässlichen Vermeidung eines vertragslosen Zustands und zur Vermeidung der damit einhergehenden Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung weiterhin eines den Übergangszeitraum bis zur Neuvergabe des Hauptvertrags abdeckenden Interimsvertrags. Macht ein Hinauszögern des Zuschlags die Durchführung des zu vergebenden Auftrags unmöglich oder hinfällig und duldet die Durchführung der zu vergebenden Leistung objektiv keinen Aufschub, weil andernfalls die Aufgabenerfüllung des öffentlichen Auftraggebers spürbar beeinträchtigt würde, so liegt eine anerkannte typische Fallgruppe vor, in der die vorgezogene Zuschlagsgestattung ausnahmsweise als gerechtfertigt angesehen werden kann (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 16. September 2021, 17 Verg 7/21, VergabeR 2022, 276 [juris Rn. 16]; Antweiler, Burgi/Dreher/Opitz, Beck`scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 169 Rn. 38; Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, GWB § 169 Rn. 56; Kus in Röwekamp/Kus/Porz/Pries, GWB, § 169 Rn. 85).
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Demgegenüber wiegt das Interesse der Antragstellerin schon deshalb weit weniger schwer, weil ihr selbst im Fall eines Zuschlagsverbots bis zum Abschluss des Nachprüfungsverfahrens der gesamte bis dahin verstrichene und der sich daran anschließende Zeitraum während eines Verfahrens bis zur Neuvergabe nicht mehr für eine etwaige Durchführung des Interimsauftrags zur Verfügung stünde, da die Dienstleistung nicht rückwirkend ab dem 1. Oktober 2022 erbracht oder angeboten werden kann. Lediglich hinsichtlich des dann noch in die Zukunft gerichteten Auftrags entgeht der Antragstellerin die Chance auf Teilhabe am Interimsvertrag. Auch ohne eine Prognose über die Dauer und den Ausgang des den Hauptvertrag betreffenden Nachprüfungsverfahrens anzustellen, ist insoweit zu berücksichtigen, dass mit Zuschlagsreife hinsichtlich des Hauptvertrags die Interimsvergabe überflüssig wird. Denn der Interimsauftrag tritt hier - ausnahmsweise - teilweise an die Stelle des noch zu vergebenden Hauptauftrags und verringert dessen Volumen.
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In dieser besonderen Situation trifft die Aussage daher weniger zu, der Sekundärrechtsschutz vermöge auch im Erfolgsfall nur einen Teil der Nachteile wettzumachen, die mit dem Verlust eines Auftrags verbunden sind.
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Auf die strittige Behauptung des Antragsgegners, die Antragstellerin hätte im Vorfeld zum Laufzeitende am 30. September 2022 mehrfach signalisiert, dass sie „personell ausgezehrt“ sei, kommt es nicht an, ebenso wenig auf die strittige Frage, ob die Antragstellerin zuletzt unzulängliche, ihre Eignung in Frage stellende Leistungen erbracht hat.
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c) Entgegen der Meinung der Antragstellerin wahrt die vorgezogene Gestattung des Zuschlags auf den Interimsvertrag den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB.
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Da ein öffentlicher Auftraggeber bis zur abschließenden Entscheidung über Rügen, die von Bietern in Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden, seinen Beschaffungsbedarf im Weg einer befristeten Interimsvergabe vorübergehend befriedigen kann, ist wegen des Vorrangs milderer Mittel dieser Weg einer vorgezogenen Gestattung des Zuschlags auf den Hauptvertrag vorzuziehen (OLG Düsseldorf VergabeR 2015, 797 [juris Rn. 11]; Kus in Röwekamp/Kus/Porz/Pries, GWB, § 169 Rn. 58). Eben diesen wettbewerbsschonenderen Weg gegenüber einem Antrag auf Gestattung des vorzeitigen Zuschlags im Vergabenachprüfungsverfahren über den Hauptvertrag hat der Antragsgegner aber vorliegend gewählt. Er hat dabei - wie bereits ausgeführt - das Gebot der Verhältnismäßigkeit gewahrt.
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Entgegen der Meinung der Antragstellerin hat das Oberlandesgericht Frankfurt in der genannten Entscheidung vom 12. Oktober 2017, 11 Verg 13/17, nicht entschieden, dass aneinandergereihte Direktvergaben einer Gestattung des vorzeitigen Zuschlags auf den im wettbewerblichen Verfahren bestplatzierten Anbieter eines Interimsauftrags vorzuziehen seien.
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Dahinstehen kann, ob die vorgezogene Zuschlagsgestattung mit einer zeitlichen Befristung oder sonstigen Modifikation des Vertragsinhalts verknüpft werden könnte (verneinend: KG, Beschluss vom 26. Januar 2022, Verg 8/21, juris Rn. 4; VK Kiel, Beschluss vom 10. Februar 2005, VK-SH 02/05, juris Rn. 39, 41; a. A. wohl OLG Düsseldorf VergabeR 2015, 797 [juris Rn. 12]; Antweiler in Burgi/Dreher/Opitz, Beck`scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 169 Rn. 39; offenlassend: OLG Naumburg, Beschluss vom 16. Oktober 2007, 1 Verg 6/07, juris Rn. 23) oder - gegebenenfalls auf entsprechenden Antrag - unter Auflagen hinsichtlich der Vertragsdurchführung gestellt werden dürfte (verneinend: Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, GWB § 169 Rn. 64; Byok/Jaeger in Byok/Jaeger, Vergaberecht, GWB § 169 Rn. 40; zu vorläufigen Maßnahmen in Bezug auf die Vertragsdurchführung vgl. auch VK Südbayern, Beschluss vom 3. Mai 2021, 3194.Z3-3_01-21-26, juris Rn. 21 f.; Beschluss vom 29. Dezember 2016, Z3-3-3194-1-47-11/16, juris Rn. 135; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 6. Aufl. 2022 Stand: 13. Oktober 2022, § 169 GWB Rn. 103 f.). Im vorliegenden Fall besteht dafür keine Veranlassung, weil die Mindestlaufzeit ohnehin sachgerecht beschränkt worden ist und keine Veranlassung für die Annahme besteht, der Auftraggeber werde die Verlängerungsoptionen nicht sachgerecht handhaben.
III.
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Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 169 Abs. 2 Sätze 7 und 8 i. V. m. § 176 Abs. 3 Satz 4, § 175 Abs. 2, § 71 Satz 1 GWB. Da sich die Beigeladene am Verfahren vor dem Beschwerdegericht nicht beteiligt hat, besteht kein Anlass, ihr einen Anspruch auf Erstattung etwaiger Aufwendungen zuzuerkennen.
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Die Kosten des Gestattungsverfahrens vor der Vergabekammer stellen Kosten des Nachprüfungsverfahrens dar. Über sie ist im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu entscheiden, denn das Gestattungsverfahren ist kein selbstständiges Verfahren, sondern Teil des Hauptsacheverfahrens (OLG München, Beschluss vom 28. Februar 2011, Verg 23/10, VergabeR 2011, 642 [juris Rn. 33] m. w. N.; Brauser-Jung in Röwekamp/Kus/Porz/Pries, GWB, § 182 Rn. 28).
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Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 50 Abs. 2 GKG (vgl. Toussaint in BeckOK Kostenrecht, 39. Ed. 1. Oktober 2022, GKG § 50 Rn. 18, 20.1), der im gerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 169 Abs. 2 Satz 7 GWB entsprechend anzuwenden ist. Maßgeblich ist mangels näherer Angaben der Antragstellerin zu einem etwaigen eigenen Angebot der - vorliegend nach den Angebotspreisen geschätzte - objektive Wert der Leistungen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 5. August 2022, Verg 9/22, juris Rn. 6). In die Berechnung fließt die Bruttoauftragssumme für die Dauer der Mindestlaufzeit des Interimsvertrags in voller Höhe, für den Verlängerungszeitraum mit einem Abschlag von 50% ein (vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 2014, X ZB 12/13 - Bioabfallvergärungsanlage, NZBau 2014, 452 Rn. 10 ff.; BayObLG, Beschluss vom 5. August 2022, Verg 7/22, juris Rn. 11; OLG München, Beschluss vom 21. Oktober 2019, Verg 13/19, NZBau 2020, 263 Rn. 69 ff.; Zinger NZBau 2020, 695 [696]).