Inhalt

LG München I, Beschluss v. 19.09.2022 – 36 T 6052/22
Titel:

Streitwert für die Anfechtung von Beschlüssen einer Eigentümerversammlung

Normenketten:
GKG § 49, § 66 Abs. 3, S. 2, § 68 Abs. 1
RVG § 32
Leitsätze:
1. Das Beschwerdegericht kann im Beschwerdeverfahren (des Rechtsanwalts) den Streitwert auch von Amts wegen abändern und einen geringeren Wert festsetzen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein eigener Streitwert ist für die Anfechtung eines Geschäftsordnungsbeschlusses nicht festzusetzen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Streitwert für die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses des Verwalters ist mit 1.000 € anzusetzen, eine Bezugnahme auf den Wert der Jahresabrechnung ist nicht mehr möglich. (Rn. 11 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwert, Anfechtung, Jahresabrechnung, Entlastung, Geschäftsordnungsbeschluss, Beschwerde
Vorinstanz:
AG Landshut, Endurteil vom 25.03.2022 – 14 C 1593/21
Fundstellen:
LSK 2022, 35538
ZWE 2023, 98
BeckRS 2022, 35538
ZMR 2022, 997

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Klägervertreterin wird der Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 18.03.2022 in der Form des Abhilfebeschlusses vom 19.05.2022 wie folgt abgeändert und insgesamt neu
gefasst:
Der Streitwert wird festgesetzt auf insgesamt € 16.146,96.
2. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.
1
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft. Sie wendet sich mit der vorliegenden Anfechtungsklage gegen die in der Eigentümerversammlung vom 18.11.2021 zu TOPen 1 (Feststellung der ordnungsgemäßen Einberufung und der Beschlussfähigkeit), 1.1 (Die Beschlussfassung soll per Stimmzettel erfolgen), 5 (Instandhaltungsrücklage), 6 (Entlastung der Hausverwaltung für das Wirtschaftsjahr 2020), 7 (Bestellung der Hausverwaltung bis 31.12.2022), 8 (Bestellung neue Hausverwaltung ab 01.01.2023), 9 (Abstimmung über die Wahl eines Verwaltungsbeirats) und 11 (Einbau Klimaanlage in Technikraum) gefassten Beschlüsse. In der Klageschrift vom 15.12.2021 gab die Klägerin als vorläufigen Streitwert € 10.000 an. Das AG Landshut erklärte mit Urteil vom 25.03.2022 (Bl. 59/73 d.A.) sämtliche Beschlüsse mit Ausnahme des zu TOP 1.1 gefassten Beschlusses für ungültig und setzte den Streitwert auf € 12.438 fest.
2
Hiergegen hat die Klägervertreterin am 12.04.2022 aus eigenem Recht eine Streitwertbeschwerde eingelegt (Bl. 74/79 d.A.) und beantragt, den Streitwert auf € 37.340,97 festzusetzen. Das Berechnungsprozedere des Amtsgerichts sei falsch. Dennoch seien die Streitwertschätzungen zu den Klageanträgen Ziffern 1,2,3, 4,6,7 und 8 im Ergebnis angemessen, nicht aber die Streitwertfestsetzung bzgl. des Antrags Ziffer 4 (TOP 6). Unter Geltung des neuen Rechts sei es Standard, bei der Anfechtung von Abrechnungsbeschlüssen der Streitwertberechnung den Kostenanteil der jeweiligen Kläger ohne Abzug der Vorschüsse zugrundezulegen und mit 7,5 zu multiplizieren. Dies ergebe vorliegend einen Teilstreitwert für die Anfechtung von TOP 6 von € 2,712,13 x 7,5 = € 20.340,97 und einen Gesamtstreitwert von € 37.340,97.
3
Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 19.05.2022 (Bl. 81/83 d.A.) teilweise abgeholfen und den Streitwert auf € 30.705,98 festgesetzt. Dabei hat das Amtsgericht den Teilstreitwert bzgl. der Anfechtung von TOP 6 in Übereinstimmung mit der Klägervertreterin auf € 20.340,98 und bzgl. der Anfechtung der übrigen TOPe insgesamt auf € 10.365,00 festgesetzt. Als Interesse der Klägerin wurden insoweit 69,1000/1000 (MEA der Klägerin) von € 20.000 (Gesamtinteresse aller Wohnungseigentümer bzgl. der Anfechtung der TOPe 1, 1.1, 5, 7, 8, 9 und 11) x 7,5 angenommen.
4
Für die weiteren Einzelheiten wird in vollem Umfang auf den Akteninhalt, namentlich die Schriftsätze der Parteien nebst aller dort beigegebenen Anlagen, Bezug genommen
II.
5
Das Rechtsmittel der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist als Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung nach den §§ 68 Abs. 1, 66 Abs. 3, S. 2 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 RVG zulässig, hat in der Sache aber - aus Sicht der Beschwerdeführerin - keinen Erfolg. Der vom Amtsgericht festgesetzte Streitwert ist nicht herauf-, sondern (deutlich) herabzusetzen.
6
Das Beschwerdegericht kann anlässlich des Beschwerdeverfahrens eine Abänderung des Streitwerts nach § 63 Abs. 3 S. 1 GKG von Amts wegen vornehmen; ein Verböserungsverbot (Verbot der reformatio in peius) gilt wegen der Besonderheiten der Regelung des § 63 Abs. 3 S. 1 GKG, solange das Gericht den Streitwert von Amts wegen abändern kann, nicht (allgM, vgl. nur Hartmann/Toussaint/Toussaint Rn. 19 mwN; Greiner, Wohnungseigentumsrecht, § 13 Rz. 85; OLG Stuttgart BeckRS 2019, 24599; OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2016, 05479; NdsOVG BeckRS 2015, 43710; 2008, 33691; OVG NRW BeckRS 2014, 53353; 2011, 53090; OLG Düsseldorf BeckRS 2011,22355; 2009, 23458; OLG Rostock BeckRS 2008, 24032; BayVGH BeckRS 2008, 28035; LG Hamburg BeckRS 2012, 24857; BayLSG BeckRS 2016, 72222; 2015, 68588; LAG Nürnberg JurBüro 2009, 196; LAG Düsseldorf BeckRS 2016, 67323; aA ohne Begründung OLG München BeckRS 2016, 04754; vgl. ausf. zur Problematik Schneider NJW 2017, 3764). Das beruht darauf, dass das Streitwertfestsetzungsverfahren im überwiegenden öffentlichen Interesse an einer jederzeit objektiv richtigen Bewertung der Verfahrensgegenstände gemäß §§ 63 ff. GKG als amtliches Verfahren ausgestaltet ist (BGH NJW 2004, 3488, 3489). Die (Rechtsmittel-)Gerichte sind gemäß § 61 GKG nicht an die Schätzangaben der Parteien zum Wert gebunden und gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG befugt, in den zeitlichen Grenzen des Satzes 2 dieser Bestimmung den Streitwert jederzeit von Amts wegen festzusetzen und abzuändern. Die divergierenden und ohnehin je nach Parteirolle wechselnden privaten Interessen der Prozessbeteiligten sind nicht schutzwürdig und treten hier vollständig zurück (OLG Düsseldorf Beschluss vom 19.5.2009 - 24 W 13/09, BeckRS 2009, 23458, beckonline).
7
Maßgeblich für die Bestimmung des Streitwerts ist vorliegend die Vorschrift des § 49 GKG, der eine besondere Wertvorschrift für wohnungseigentumsrechtliche Beschlussklagen enthält. Danach ist grundsätzlich das (objektive, Gesamt-) Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung maßgeblich. Das „Angreiferinteresse“ (nur) des Klägers ist Maßstab für eine anschließend nach § 49 S. 2 WEG vorzunehmende Korrektur des nach der Grundregel ermittelten Betrages. Danach bildet das Klägerinteresse stets eine Obergrenze; der Streitwert darf weder das 7,5-fache seines (Individual-) Interesses an der Entscheidung noch den Verkehrswert seines Wohnungseigentums übersteigen (vgl. BeckOK KostR/Toussaint, 36. Ed. 1.1.2022, GKG § 49). Maßgeblich für die Streitwertbestimmung ist das Interesse der Wohnungseigentümer „an der Entscheidung“. Diese auslegungsbedürftige, aber auch auslegungsfähige Regelung (vgl. BVerfGE 85, 337 (350 f.) = BVerfG NJW 1992, 1673 (1674)) soll es dem Gericht ermöglichen, den Streitwert nach dem Interesse der Wohnungseigentümer festzusetzen. Abzustellen ist dabei nicht auf den Umfang der Urteilswirkungen nach § 44 Abs. 3 WEG, sondern darauf, was im konkreten Fall wirklich im Streit ist (BVerfGE 85, 337 (351) = BVerfG NJW 1992, 1673 (1674)). Es ist daher keine Addition der durch die Urteilswirkungen der Entscheidung betroffenen Einzelinteressen vorzunehmen, sondern es sind die konkret betroffenen Interessen festzustellen (dabei ist nicht vom Wortlaut der Anträge, sondern vom wirklichen Willen der Beteiligten auszugehen, vgl. LG Saarbrücken ZWE 2009, 416). Hierfür sind im Grundsatz die Auswirkungen des Beschlusses auf den Anfechtenden und die Gemeinschaft zu bestimmen (BeckOK KostR/Toussaint, 36. Ed. 1.1.2022, GKG § 49 Rn. 11).
top 1:
8
Insoweit ist das Interesse an der Durchführung einer beschlussfähigen Versammlung als solches heranzuziehen, welches das Gericht in Übereinstimmung mit der Wertsetzung seitens des Amtsgerichts und der Klägervertreterin mit € 3.000 bewertet. Das Gericht geht dabei mit der Klägervertreterin davon aus, dass insoweit keine Unterscheidung zwischen dem Interesse der Wohnungseigentümer und dem „Angreiferinteresse“ der Klägerin zu machen ist.
TOP 1.1:
9
Es handelt sich hierbei um einen Geschäftsordnungsbeschluss, der Verfahrensfragen im Zusammenhang mit dem Ablauf einer Wohnungseigentümerversammlung regelt. Geschäftsordnungsbeschlüsse erledigen sich grundsätzlich mit dem Ende der Versammlung und sind zu einem späteren Zeitpunkt mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht anfechtbar (vgl. BeckOGK/G. Hermann, 1.9.2022, WEG § 23 Rn. 92 ff). Ein Interesse an einer Entscheidung besteht insoweit nicht, ein (eigenständiger) Streitwert ist nicht anzusetzen.
TOP 5
10
Es erscheint vertretbar, insoweit vorliegend mit dem erstinstanzlichen Gericht und der Klägervertreterin einen Einzelstreitwert i.H.v. € 3.000 im Wege der Schätzung anzunehmen.
TOP 6
11
Zu TOP 6 (Klageantrag Ziffer 4) wurde bei objektivnormativer Auslegung kein Beschluss über die Hausgeldabrechnung gefasst, sondern (allenfalls) ein Beschluss über die Entlastung der Hausverwaltung für das Wirtschaftsjahr 2020. Die Argumentation der Klägervertreterin, die sich auf die Streitwertbemessung für die Anfechtung einer Jahresabrechnung bezieht, geht hier am Beschlussinhalt vorbei.
12
Die Entlastung des Verwalters durch Beschluss der Wohnungseigentümer ist eine Vertrauenskundgabe. Steht die Entlastung wegen Forderungen gegen den Verwalter im Streit, bemisst sich das Interesse nach dem Wert dieser Forderungen (BGH NJW-RR 2011, 1026 Rn. 10; LG Saarbrücken ZMR 2013, 51 = BeckRS 2013, 212). Daneben - oder ggf. auch allein - ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit zu berücksichtigen und zu bewerten. Ihr Wert hängt nicht vom Volumen der Jahresabrechnung ab (a.A. zur Rechtslage vor der WEG-Reform 2007 OLG Köln NZM 2003, 125), sondern ist nach billigem Ermessen zu bestimmen; fehlen besondere Anhaltspunkte für einen höheren Wert, ist eine Bewertung mit 1.000 EUR sachgerecht (BGH NJW-RR 2011, 1026 Rn. 12; LG München I, Urteil vom 13. Juli 2022 - 1 S 2338/22 WEG -, Rn. 56, juris; Greiner, Wohnungseigentumsrecht, § 13 Rz. 72).
13
Nachdem konkrete Anhaltspunkte für potentielle Schadensersatzansprüche gegen den Verwalter vorliegend nicht ersichtlich sind, ist als Streitwert insoweit ein Betrag von € 1.000 festzusetzen.
TOP 7
14
Der Streitwert entspricht insoweit im Ausgangspunkt der Vergütung, die dem Verwalter für die verlängerte Vertragslaufzeit (August - Dezember 2022) zusteht (€ 800,37 x 5= € 4001,85). Da das 7,5 fache Klägerinteresse geringer ist (€ 2.073,96), ist dieses maßgeblich.
TOP 8; 9:
15
Es erscheint vertretbar, insoweit vorliegend mit dem erstinstanzlichen Gericht und der Klägervertreterin Einzelstreitwerte i.H.v. 3.000 und € 2.000 im Wege der Schätzung anzunehmen. Das Gericht geht dabei mit der Klägervertreterin davon aus, dass insoweit keine Unterscheidung zwischen dem Interesse der Wohnungseigentümer und dem „Angreiferinteresse“ der Klägerin zu machen ist.
TOP 11:
16
Das Gesamtinteresse an einer Anfechtungsklage gegen einen Beschluss über die Durchführung von Baumaßnahmen am Gemeinschaftseigentum richtet sich nach den hiermit verbundenen Kosten. Für die Streitwertbegrenzung (siebeneinhalbfaches Interesse des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen) sind die Kostenanteile an der (streitigen) Maßnahme maßgebend (vgl. zB OLG Köln BeckRS 2010, 13530 = ZWE 2010, 275; OLG Celle BeckRS 2010, 04944 = ZWE 2010, 190 und ZWE 2011, 147; OLG Koblenz BeckRS 2010, 00183 = ZWE 2010, 96; BDZ/Dörndorfer, 5. Aufl. 2021, GKG § 49 Rn. 3). Dies ergibt vorliegend einen Streitwert i.H.v. € 2.073.
17
Insgesamt ist die Streitwertfestsetzung durch das Amtsgericht mithin zu korrigieren und ein Gesamtstreitwert i.H.v. € 16.146,96 festzusetzen.
III.
18
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da es sich um kein kontradiktorisches Verfahren handelt.
19
Eine Streitwertfestsetzung ist nicht veranlasst, da das Verfahren gebührenfrei ist, § 68 Abs. 3 GKG.
20
Die weitere Beschwerde war nicht zuzulassen, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 4 S. 1 GKG, da die hier entschiedenen Fragen keinerlei grundsätzliche Bedeutung haben und rein den Einzelfall betreffen.
21
Zur Entscheidung berufen ist der Einzelrichter, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 6 GKG.