Inhalt

LArbG Nürnberg, Urteil v. 08.03.2022 – 7 Sa 176/20
Titel:

Betriebsrat, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Berufung, Arbeitsvertrag, Arzt, Abfindung, Revision, Erinnerung, Meinungsfreiheit, Abmahnung, Kind, Wirksamkeit, Erfindung, Kosten des Rechtsstreits, Sinn und Zweck, Vorbringen der Parteien

Normenketten:
GG Art. 5
BGB § 241 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 2, § 9, § 10
BetrVG § 102
Leitsätze:
1. Die grobe Beleidigung des Arbeitgebers oder anderer Mitarbeiter oder die Bedrohung des Arbeitgebers mit einem empfindlichen Übel kann - nach den Umständen des Einzelfalles auch die außerordentliche - Kündigung rechtfertigen.
2. Die ordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt regelmäßig eine Abmahnung voraus. Diese ist nur entbehrlich, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist.
Schlagworte:
Betriebsrat, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Berufung, Arbeitsvertrag, Arzt, Abfindung, Revision, Erinnerung, Meinungsfreiheit, Abmahnung, Kind, Wirksamkeit, Erfindung, Kosten des Rechtsstreits, Sinn und Zweck, Vorbringen der Parteien
Vorinstanzen:
BAG Erfurt, Urteil vom 05.12.2019 – 2 AZR 240/19
LArbG Nürnberg, Urteil vom 11.01.2019 – 4 Sa 131/16
BAG Erfurt, Beschluss vom 16.03.2016 – 2 AZR 128/16 (F)
BAG Erfurt, Beschluss vom 29.01.2016 – 2 AZR 732/15 (F)
BAG Erfurt, Urteil vom 19.11.2015 – 2 AZR 217/15
LArbG Nürnberg, Urteil vom 13.11.2014 – 4 Sa 574/13
ArbG Nürnberg, Endurteil vom 06.11.2013 – 2 Ca 5556/13
Rechtsmittelinstanz:
BAG Erfurt, Beschluss vom 09.09.2022 – 2 AZN 401/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 35427

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 06.11.2013 – 2 Ca 5556/13 – in Ziffer 2 des Tenors abgeändert.
Die Klage auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt, wird abgewiesen.
II. Auf Antrag der Beklagten wird das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30.06.2009 aufgelöst. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Abfindung von 54.900,00 € brutto zu zahlen.
III. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
IV. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
V. Die Kosten des Rechtsstreits – alle Rechtszüge – werden gegeneinander aufgehoben.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, einen Auflösungsantrag der Beklagten, die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin und die Erteilung eines Zwischenzeugnisses.
2
Die 1965 geborene und verheiratete Klägerin war bei der Beklagten mit Arbeitsvertrag vom 14. September 2001 (Bl. 242 f der Akte) seit 20.09.2001 als kaufmännische Angestellte im Einkauf beschäftigt mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt 4.593,80 € ausweislich Entgeltnachweis für Juni 2009 (Bl. 1177 der Akte). Im Verlauf des Arbeitsverhältnisses sah sie sich durch ihre Vorgesetzten wegen ihres Geschlechts und ihrer afghanischen Herkunft diskriminiert.
3
Die Klägerin wandte sich mit E-Mail vom 12. September 2008 (Bl. 299 ff der Akte) an einen Mitarbeiter der Beklagten in der Funktion eines strategischen Personalreferenten und führte dort aus:
„Sehr geehrter Herr Dr. Seg…, ist das nicht ein Skandal? Ein Skandal, der lebhaft nach Gerechtigkeit schreit, und den man offensichtlich über „Emma“, oder die internationale Presse der Öffentlichkeit zugänglich machen muss. Da darf Herr Dr.L… sich dann doch um die verlassenen, verratenen, verkauften und verhöhnten Frauen in seinem Unternehmen kümmern. Und dann wird er erfahren, wie sehr die Damen und Herren - nicht nur Herren - der Amerikanischen Börsenaufsicht, den spezifisch deutschen Humor der S… AG abzuwägen und zu würdigen wissen werden. …“
4
In einer weiteren E-Mail vom 21. September 2008 (Bl. 302 ff der Akte) an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten gab die Klägerin an, seit einigen Jahren würden „Guerilla-Aktionen“ gegen sie geführt, sie habe eine „himmelschreiende Ausländer- und Frauenfeindlichkeit“ vorgefunden. Sie würde es als unfair erachten, wenn der Vorstandsvorsitzende davon aus der amerikanischen Presse oder der „Oprah-Winfrey-Show“ erführe. Bei ihrem „Chef“ handele es sich um einen „unterbelichteten Frauen- und Ausländerhasser“. Die Klägerin wies in der E-Mail darauf hin, dass sie drei „unterhaltspflichtig(e)“ Kinder habe.
5
Mit ebenfalls an den damaligen Vorstandsvorsitzenden gerichteten E-Mail vom 5. Februar 2009 (Bl. 307 ff der Akte) teilte die Klägerin erneut mit, dass sie unter Männerherrschaft, Männerwirtschaft und Männersolidarität zu leiden habe. Sie verlangte, nicht mehr mit ihrem bisherigen Vorgesetzten zusammenarbeiten zu müssen. In der E-Mail hieß es auszugsweise:
„… Bei dieser Gelegenheit muss ich leider feststellen, dass Sie als CEO von S… noch einsamer sind als ich es bin. Ich darf Ihnen hiermit schriftlich bestätigen, dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste, wie ich; und das ist mein Erleben und Empfinden, und kein Gesetz der Welt kann mir verbieten, darüber zu berichten. In keinem Land der Welt, in keinem Unternehmen der Welt habe ich so viele Intrigen erlebt, sei es mit Personal, sei es mit Lieferanten. Das Ganze hält die Erinnerung wach an meinen Lieblingsfilm: Der Pate. Alles in Allem: Was mir bis heute geboten wird - das kann ich doch nicht annehmen: Es beleidigt meine Intelligenz. …“
6
Mit E-Mail vom 30. März 2009 (Bl. 310 ff der Akte) wandte sich die Klägerin unter dem Betreff „Lebenswerk der unfähigen Führungskräfte“ an ihren unmittelbaren Vorgesetzten. Sie hielt ihm Mobbing, Bossing, unberechtigte Kritik sowie unsachliche und leere Bemerkungen vor. Sie hielt ihm ferner vor, dass er seine Position nur innehabe, um einer intellektuellen Frau das Leben zur Hölle zu machen. Seine Fähigkeiten reichten offensichtlich nicht dazu, als Führungskraft zu fungieren. Er verstehe nicht einmal „den Unterschied zwischen Kosten und Preis“. Die Klägerin versandte die E-Mail an weitere zwölf Mitarbeiter der Beklagten.
7
Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 3. April 2009 (Bl. 313 ff der Akte) darauf hin, dass ihre Äußerungen durch ihr Beschwerderecht und das Recht zur freien Meinungsäußerung nicht mehr gedeckt seien. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die in der E-Mail vom 5. Februar 2009 enthaltenen Anspielungen auf die Zeit des Nationalsozialismus. Das Schreiben lautete auszugsweise:
„…, Sie haben mit diesen Vergleichen und Behauptungen arbeitsrechtliche Kündigungsgründe geliefert. Wir fordern Sie daher auf, alle von Ihnen gemachten Vergleiche und aufgestellten Behauptungen gegenüber den von Ihnen informierten Personen und der S… AG schriftlich bis zum 17. April 2009 zurückzunehmen. Des Weiteren fordern wir Sie auf, sich bei den betroffenen Personen schriftlich unter qualifizierter Zurücknahme der Behauptungen ebenfalls bis zum 17. April 2009 zu entschuldigen. Wir erwarten, dass Sie derartige Äußerungen künftig unterlassen.
Sollten derartige oder sinngemäß gleiche Äußerungen wiederholt werden oder sollte keine Rücknahme erfolgen, werden wir arbeitsrechtliche Maßnahmen einleiten, die bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehen können.
Bis zur endgültigen Klärung des Vorganges stellen wir Sie widerruflich unter Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit frei. …“
8
Die Klägerin nahm zu dem Schreiben mit E-Mail vom 16. April 2009 (Bl. 65 ff der Akte) Stellung. Die Bezeichnung ihres Vorgesetzten als „unterbelichtete(n) Frauen- und Ausländerhasser“ sei „auch für (ihren) Geschmack … ein wenig zu scharf geraten“, dessen frauenfeindliches Verhalten habe aber zur Verschärfung des Konflikts beigetragen. Sie habe den Ausdruck nicht zum Zwecke der Beleidigung oder Rufschädigung verwandt. Gegen den Vorwurf, den Abteilungsleiter als „Rassisten“ bezeichnet zu haben, verwahre sie sich.
9
Mit Schreiben vom 21. April 2009 (Bl. 23 der Akte) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der Absicht an, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 30. Juni 2009 zu kündigen. Das Anhörungsschreiben bestand aus einem Deckblatt mit Angaben zur Person der Klägerin und einer Darstellung der Kündigungsgründe in einem weiteren Schreiben mit der Überschrift „Anlage zur Kündigungsanhörung vom 21.04.09.“ (Bl. 24 der Akte). Die Beklagte hatte dieser Anhörung weitere Anlagen beigefügt. Dies waren unstreitig das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 03. April 2009, die E-Mail der Klägerin vom 30. März 2009 und ihre E-Mail vom 16. April 2009. Zwischen den Parteien ist streitig, ob noch weitere Anlagen beigefügt waren.
10
Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten Kündigung unter dem 24. April 2009 zu.
11
Mit Schreiben ebenfalls vom 24. April 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. Juni 2009.
12
Hiergegen hat sich die Klägerin rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat außerdem die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses und ihre vorläufige Weiterbeschäftigung verlangt. Die Klägerin ist der Ansicht gewesen, die von ihr getätigten Äußerungen seien nicht geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Die Beklagte habe mit ihrem Schreiben vom 3. April 2009 selbst zum Ausdruck gebracht, dass keine negative Zukunftsprognose bestehe, wenn sie, die Klägerin, bestimmte Verhaltensweisen richtigstelle. Eine Abmahnung sei daher nicht entbehrlich gewesen. Im Übrigen lasse die Beklagte die jahrelangen Mobbingvorgänge außer Acht, die erst zur Störung des Betriebsfriedens geführt hätten. Bei Auslegung und Bewertung der Äußerungen der Klägerin müsse Art. 5 Abs. 1 GG beachtet werden. Überdies sei der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Auf dem Anhörungsbogen sei dem Betriebsrat mitgeteilt worden, dass sie eine Unterhaltsverpflichtung nur gegenüber einem Kind habe, obwohl die Beklagte positive Kenntnis davon gehabt habe, dass sie drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet sei. Das Zitat zum „Judenvergleich“ sei nicht vollständig und damit entstellt wiedergegeben worden. Die Anlagen „2a“ bis „2c“ zur Kündigung seien dem Betriebsrat nicht zugeleitet worden. Der hierzu als Zeuge vernommene Betriebsratsvorsitzende habe sich widersprüchlich geäußert.
13
Das Arbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 06. November 2013 - 2 Ca 5556/13 - hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben, die Beklagte zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses verurteilt und die Weiterbeschäftigungsklage abgewiesen.
14
Im Berufungsverfahren stellte die Beklagte hilfsweise einen Auflösungsantrag. Das LAG Nürnberg, Urteil vom 13. November 2014 - 4 Sa 574/13 - hielt die Kündigungsschutzklage ebenfalls für begründet und löste das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung von 37.600,00 Euro brutto zum 30. Juni 2009 auf. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hatte ebenfalls die Kündigung mangels sozialer Rechtfertigung für unbegründet erachtet. Das Landesarbeitsgericht hatte eine Beweisaufnahme zur Betriebsratsanhörung durch Einvernahme des Betriebsratsvorsitzenden als Zeugen in den Verhandlungsterminen vom 09. Juli 2014 und vom 07. August 2014 durchgeführt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 09. Juli 2014 (Bl. 1431 ff der Akte) und vom 07. August 2014 (Bl. 1517 ff der Akte) zu verweisen.
15
Auf die zugelassene Revision der Beklagten hin hat das BAG, Urteil vom 19. November 2015 - 2 AZR 217/15 - das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 13. November 2014 - 4 Sa 574/13 - aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg habe unter anderem mit der gegebenen Begründung die Kündigung nicht als sozial ungerechtfertigt iSd § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ansehen dürfen.
16
Das LAG Nürnberg, Urteil vom 11. Januar 2019 - 4 Sa 131/16 - hat bei der neuerlichen Entscheidung die Kündigung als sozial gerechtfertigt angesehen und die Klage insgesamt abgewiesen.
17
Auf die zugelassene Revision der Klägerin hin hat das BAG, Urteil vom 05. Dezember 2019 - 2 AZR 240/19 - das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Nürnberg vom 11. Januar 2019 - 4 Sa 574/13 - aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht habe unter anderem mit der gegebenen Begründung die Kündigung nicht als sozial gerechtfertigt iSd § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ansehen dürfen.
18
Nach neuerlicher Zurückverweisung des Rechtsstreites an das LAG Nürnberg mit dem genannten Urteil des BAG trägt die Klägerin noch vor:
19
Eine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates sei weiterhin zu bestreiten. Der Zeuge habe vor Gericht nicht wahrheitsgemäß ausgesagt. Er habe auf die Frage, ob alle Unterlagen, die der Zeuge dem Gericht präsentiert habe, dem Arbeitgeberschreiben beigefügt gewesen seien, bekundet: „Dazu muss ich nein sagen.“ Er habe ferner erklärt, er habe in der nach dem gefertigten Protokoll etwa einstündigen Sitzung des Betriebsrates nach seiner Erinnerung alle Unterlagen verlesen. Das sei nicht möglich gewesen. Das Verlesen der insgesamt aus 47 Seiten bestehenden Anhörung des Betriebsrates sei in einer Stunde gar nicht möglich. Ein entsprechender Versuch sei durchgeführt worden. Mit Verlesen von Header und Signaturen aller angeblich vorgelegten E-Mails dauere dies 3 Stunden und 10 Minuten, ohne Header und Signaturen immer noch 2 Stunden und 34 Minuten. Der Zeuge müsse die Unwahrheit gesagt haben mit der Aussage, er habe alle Unterlagen in der Betriebsratssitzung verlesen.
20
Die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt. In den beiden E-Mails vom 21. September 2008 und 05. Februar 2009 habe die Klägerin nicht widerrechtlich gedroht. Die Hinweise auf die USamerikanische Medienöffentlichkeit sei nicht ernst gemeint gewesen. Die Klägerin habe nur „dicke Ärm“ gemacht, aber genau gewusst, dass sich Oprah Winfrey nicht für ihren Fall interessieren würde. Die Beklagte habe auch nicht ernsthaft mit schwerwiegenden Reputationsverlusten rechnen müssen. In den verschiedenen E-Mails habe die Klägerin nur von ihrer Meinungsäußerungsfreiheit Gebrauch gemacht. Die E-Mails an den Vorstandsvorsitzenden seien vertraulicher Natur gewesen. Die Beklagte selbst habe deren Vertraulichkeit aufgehoben.
21
Die E-Mails vom April 2008 bis zum 16. April 2009 seien alle unter massiver gesundheitlicher Beeinträchtigung und Einfluss von Medikamenten, Beruhigungs- und Sedierungsmitteln geschrieben worden. Ab Januar 2009 habe sie täglich 10 mg eines Opium-Derivats zu sich genommen. Sie sei in dieser Zeit unter Opiateinfluss gestanden mit der Folge der Schuldunfähigkeit. Die Kündigung sei im Ergebnis unverhältnismäßig.
22
Der Auflösungsantrag sei unbegründet. Sie habe die Beklagte nicht ernsthaft bedroht. Ihr Vorbringen im gerichtlichen Verfahren und in der weiteren Schadensersatzklage könne ihr nicht zum Nachteil gereichen. Die Strafanzeigen gegen Mitarbeiter der Beklagten, die letztlich von der Beklagten ausgehenden Presseveröffentlichungen und der „Offene Brief an die Bundeskanzlerin“ lägen viele Jahre zurück und könnten heute keine Auflösung des Arbeitsverhältnisses mehr rechtfertigen. Gleiches gelte für die „Litigation Homepage“. Auch gegenüber dem Betriebsrat habe die Klägerin nur von ihrer Meinungsäußerungsfreiheit Gebrauch gemacht. Ein Reputationsschaden der Beklagten sei zu bestreiten.
23
Auch der als Hauptantrag gestellte Weiterbeschäftigungsantrag sei deshalb begründet.
24
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt zuletzt,
1.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
2.
Der Auflösungsantrag der Beklagten wird abgewiesen.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu den im Arbeitsvertrag vom 14.09.2001 geregelten Bedingungen in der derzeit geltenden Fassung als Stratege im Global Procurement in N… bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.
4.
Hilfsweise hierzu:
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu den im Arbeitsvertrag vom 14.09.2001 genannten Bedingungen in der derzeit geltenden Fassung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den in Ziff. 1 des angefochtenen Urteils enthaltenen Feststellungsanspruch weiter zu beschäftigen.
5. Hilfsweise: die Revision wird zugelassen.
6. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
25
Die Beklagte und Berufungsklägerin stellt zuletzt folgende Anträge:
1. Das Urteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 06.11.2013, Az.: 2 Ca 5556/13 wird auf die Berufung der Beklagten insoweit abgeändert, als es der Klage stattgegeben hat.
2. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
3. Hilfsweise wird das Arbeitsverhältnis der Parteien auf Antrag des Arbeitgebers gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufgelöst.
4. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 06.11.2013, Az.: 2 Ca 5556/13 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
5. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
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Die Beklagte hat vorgetragen, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Sie hat gemeint, die Klägerin habe ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme schwerwiegend verletzt. Sie habe ihre Führungskräfte beleidigt, in ehrverletzender Weise die Fähigkeiten ihres Vorgesetzten in Frage gestellt und die Umstände im Unternehmen mit dem Leid der Juden während der NS-Zeit verglichen. Einer Abmahnung habe es nach dem Schreiben vom 3. April 2009 nicht mehr bedurft. Mit ihrer Stellungnahme vom 16. April 2009 habe die Klägerin ihre Pflichtverletzungen noch manifestiert und verstärkt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Beklagte hat behauptet, diesem sei die Anzahl der unterhaltsberechtigten Kinder der Klägerin zum einen aus deren E-Mail vom 21. September 2008 bekannt gewesen, die dem Anhörungsschreiben als Anlage „2c“ beigefügt gewesen sei, zum anderen habe er von den persönlichen Verhältnissen der Klägerin ohnehin Kenntnis gehabt. Aus der Anlage „2c“ sei ihm auch der vollständige Inhalt des von der Klägerin angestellten „Judenvergleichs“ bekannt gewesen.
27
Zur Begründung des Auflösungsantrags hat die Beklagte vorgetragen:
28
Die Klägerin habe die Beklagte ernsthaft bedroht mit den beiden E-Mail-Schreiben vom 21. September 2008 und vom 05. Februar 2009. Wie ernst dies der Klägerin gewesen sei, ergebe sich auch daraus, dass sie eine Internetseite eingerichtet habe, von ihr selbst als „Litigation-Homepage“ bezeichnet. Dort habe sie Beiträge und Pressemitteilungen in deutscher und englischer Sprache veröffentlicht, beispielsweise am 08. Juni 2010 die Absicht, Teile des Verfahrens in die USA zu verlegen. Am 01. September 2010 seien Mitarbeiter der Beklagten zum Anschluss an eine „Class Action“, eine Art Sammelklage gegen die Beklagte in den USA aufgefordert worden. Die Klägerin habe die Beklagte in zahlreichen Äußerungen gegenüber der Presse als ein diskriminierendes, frauen- und ausländerfeindliches Unternehmen dargestellt, in dem systematisch Mobbing betrieben und keine Rücksicht auf die Gesundheit der Mitarbeiter genommen werde. Von ihrem „Judenvergleich“ habe sie sich in der Öffentlichkeit nicht distanziert, sondern sie, die Beklagte, bezichtigt, ihr zu Unrecht eine strafbare Verharmlosung des Holocaust vorgeworfen zu haben. Am 24. Februar 2010 habe die Klägerin eine Strafanzeige gegen sie gestellt. Zusätzlich habe sie Strafanzeigen wegen angeblichen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz gegen zwei ihrer Mitarbeiter erstattet. Die Klägerin habe die Namen der Mitarbeiter auch öffentlich erwähnt sowie der Presse mitgeteilt und dadurch deren Ansehen in der Öffentlichkeit beeinträchtigt. Sie habe zudem in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin, den sie auf ihrer Homepage veröffentlicht habe, das Ansehen der Firma beschädigt. Dem Betriebsrat habe sie vorgeworfen, seit Jahren Machtmissbrauch begünstigt und offensichtliche Gesetzesverstöße ignoriert und damit gebilligt zu haben.
29
Nach neuerlicher Zurückverweisung des Rechtsstreites an das LAG Nürnberg trägt die Beklagte zu ihrem Auflösungsbegehren noch vor:
30
Die Drohungen in den E-Mails vom 21. September 2008 und 05. Februar 2009 seien im Gesamtzusammenhang als ernsthaft zu bewerten und stellten einen erheblichen Verstoß der Klägerin gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten dar. Dies gelte insbesondere auch für die zweite Drohung mit der Klarstellung, kein Gesetz der Welt könne ihr verbieten, darüber zu berichten. Gleiches gelte für die ehrverletzenden Äußerungen der Klägerin in ihren E-Mails vom 21. September 2008 und 30. März 2009. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Grundrechtes der Klägerin auf freie Meinungsäußerung. Das Verschulden der Klägerin werde nicht dadurch gemindert, dass sie nicht als Kind in Deutschland aufgewachsen ist. Zum Kündigungszeitpunkt sei sie bereits 20 Jahre in Deutschland gewesen, sei akademisch vorgebildet und habe um die Sensibilität des Themas der Judenverfolgung in Deutschland gewusst.
31
Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis durch Urteil aufzulösen. Eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei nicht mehr zu erwarten. Diese zeige die Zahl und Inhalt der von der Klägerin gegen die Beklagte angestrengten Verfahren, die gegen Mitarbeiter der Beklagten erstatteten Strafanzeigen, der offene Brief an die Bundeskanzlerin sowie die Beleidigung des Betriebsrates und die Äußerungen der Klägerin gegenüber den Medien. Die Beklagte habe jedenfalls auf nationaler Ebene dadurch einen Reputationsschaden erlitten.
32
In der mündlichen Verhandlung vom 28. September 2021 erläutert die Klägerin, dass sie seit der streitgegenständlichen Kündigung keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen sei. Sie habe nur noch hin und wieder ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt. Anrechnungsfähiger Zwischenerwerb liege nicht vor.
33
In der mündlichen Verhandlung vom 08. März 2022 erläutert die Klägerin auf Fragen des Gerichtes zur längeren Einnahme von Opium-Derivaten in einer Dosierung von 10 mg pro Tag, dass ihr das verschriebene Medikament namentlich nicht in Erinnerung sei. Es genüge ein Anruf beim Arzt, um den Namen in Erfahrung zu bringen. Sie habe insbesondere ab dem zweiten Halbjahr 2008 Schlafstörungen gehabt. Sie sei deshalb im Januar 2009 zu ihrem Hausarzt Dr. E gegangen. Sie habe sich mit diesem über Psychopharmaka unterhalten, die sie aber nicht habe einnehmen wollen. Der Arzt habe dann ein Schlafmittel verschrieben in einer Dosierung von 10 mg pro Tag. Daraufhin habe sie wieder schlafen können, wenn auch nicht gut. Im März/April sei es beim Joggen an einem Bahnübergang zu einer beängstigenden Situation mit einem Zug gekommen. Daraufhin habe sie keine Medikamente mehr genommen.
34
Ferner zitiert die Klägerin beim Rechtsgespräch über Art und Qualität der streitgegenständlichen Drohungen den Satz aus ihrer E-Mail vom 05. Februar 2009, dass ihr kein Gesetz der Welt verbieten könne, darüber zu berichten, und hält daran fest, dass es sich dabei um keine Drohung gehandelt habe. Sie macht weiter geltend, „sie sei bei der Beklagten an die Wand gestellt, getreten und geschlagen worden“. Die Prozessbevollmächtigen der Parteien erörtern daraufhin streitig, ob diese Äußerung wörtlich oder sinnbildlich zu verstehen ist.
35
Im Übrigen wird Bezug genommen auf das wechselseitige Vorbringen der Parteien und Tatbestand und Entscheidungsgründe der bereits vorliegenden Urteile des Arbeitsgerichtes, des Landesarbeitsgerichtes und des Bundesarbeitsgerichtes. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien nach der Zurückverweisung wird auf die Akten Bezug genommen, insbesondere die Schriftsätze der Beklagten vom 05. März 2021 (Bl. 2512 ff der Akte), vom 09. August 2021 (Bl. 2682 ff der Akte), vom 15. Dezember 2021 (Bl. 2717 ff der Akte) und vom 25. Februar 2022 (Bl. 2805 ff der Akte) zu den Ausführungen des BAG in seinen Urteilen und die Schriftsätze der Klägerin vom 02. Juli 2021 (Bl. 2653 ff der Akte), 15. Februar 2022 (Bl. 2750 ff der Akte) und vom 06. März 2022 (Bl. 2812 ff der Akte), ebenfalls zu den Ausführungen des BAG in seinen Urteilen und zum Verfahren insgesamt.

Entscheidungsgründe

A.
36
Die Berufungen sind zulässig.
37
1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig.
38
Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2b, und c ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG 519, 520 ZPO.
39
2. Die Berufung der Klägerin ist ebenfalls zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2b, und c ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG 519, 520 ZPO.
B.
40
Die Berufung der Beklagten gegen die Feststellung des Erstgerichtes, dass die Kündigung vom 24. April 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 30. Juni 2009 aufgelöst hat, ist unbegründet. Dem Antrag der Beklagten, das Arbeitsverhältnis durch Urteil aufzulösen und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung zu verurteilen, war stattzugeben.
41
Die Berufung der Beklagten gegen die Verurteilung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses ist deshalb ebenfalls begründet.
42
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Mit Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch gerichtliches Urteil zum 30. Juni 2009 besteht kein Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Es besteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2009 auch kein Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses.
43
I. Die Kündigung ist nicht rechtsunwirksam wegen einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG.
44
1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gemäß Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Nach Satz 3 ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Dies gilt nach der Rechtsprechung auch für eine fehlerhafte Anhörung.
45
a) Der Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können. Der Arbeitgeber muss daher dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber jedenfalls dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt schildert, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann.
46
b) Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren. In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung - ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers - auch objektiv, d. h. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert. Bei der verhaltensbedingten Kündigung kann deshalb auf die Mitteilung der „Sozialdaten“ des Arbeitnehmers nicht verzichtet werden, weil sie für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers ohne Bedeutung waren. Der Wirksamkeit einer auf Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers gestützten Kündigung steht das Unterlassen der Angabe von dessen genauen „Sozialdaten“ bei der Betriebsratsanhörung deshalb nur dann nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber auf diese ersichtlich nicht ankommt und der Betriebsrat jedenfalls die ungefähren Daten ohnehin kennt; er kann dann die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers auch so ausreichend beurteilen, BAG, Urteil vom 05.12.2019 - 2 AZR 240/19 -, Rn. 42 ff, zitiert nach juris.
47
c) Der Arbeitgeber trägt bei unstreitigem Bestehen eines zuständigen Betriebsrates die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine ordnungsgemäße Anhörung erfolgt ist. Dies gilt im Hinblick auf die obigen Ausführungen unter I. 1. a) auch dafür, dass eine unvollständige und irreführende Darstellung des Kündigungssachverhaltes nicht bewusst erfolgt ist, vergleiche KR, Gemeinschaftskommentar, 13. Auflage, 2022, § 102 BetrVG, Rn. 252.
48
2. Ausgehend von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen hat die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 21. April 2009 ordnungsgemäß über die Gründe für die beabsichtigte Kündigung unterrichtet.
49
a) Die Beklagte wandte sich mit Formularschreiben vom 21. April 2009 an den Betriebsrat, dort eingegangen am gleichen Tag ausweislich eines entsprechenden Vermerkes. Diesem Formularschreiben waren unstreitig beigefügt die „Anlage zur Kündigungsanhörung vom 21.04.09“ mit einer Zusammenfassung der Kündigungsgründe. Beigefügt war ferner unstreitig das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 03. April 2009 als Anlage 1 und die E-Mail der Klägerin vom 16. April 2009 als Anlage 3. Dem Formularschreiben vom 21. April 2009 war in der Anlage ferner unstreitig beigefügt die E-Mail der Klägerin vom 30. April 2009, bezeichnet als Anlage 2a.
50
b) Ferner waren der Anhörung mehrere E-Mails der Klägerin als Anlage 2b (Bl. 30 - 58 der Akte) und die beiden E-Mails der Klägerin an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten vom 21. September 2008 und vom 05. Februar 2009 als Anlage 2c (Bl. 59 - 64 der Akte) beigefügt. Dies steht zur Überzeugung des Gerichtes fest auf Grund der insoweit vorgelegten Unterlagen, der E-Mail der Klägerin an den zuständigen Personalreferenten vom 23. April 2009 (Bl. 1206 der Akte) und den Protokollen der mündlichen Verhandlungen vom 09. Juli 2014 (Bl. 1431 ff der Akte) und vom 07. August 2014 (Bl. 1517 ff der Akte).
51
i. In der „Anlage zur Kündigungsanhörung vom 21.04.09“ wird ausgeführt, dass die Klägerin „in verschiedenen E-Mails an einen breiten Adressatenkreis Äußerungen getan und Vergleiche angestellt“ hat. Ferner wird auf das Aufforderungsschreiben der Beklagten vom 03. April 2009 als Anlage 1 Bezug genommen und auf das Antwortschreiben der Klägerin darauf vom 16. April 2009 als Anlage 3.
52
Die Anlagen wurden oben rechts handschriftlich gekennzeichnet als „Anlage 1“, „Anlage 2a“, „Anlage 2b“, „Anlage 2c“ und „Anlage 3“. Das Schriftbild ist in allen fünf Fällen einheitlich mit einem kantigen und ohne Absatz durchgeschriebenen großen „A“, das in Schreibschrift in das „n“ übergeht. Im Übrigen werden die einzelnen Buchstaben voneinander getrennt gedruckt geschrieben in auch hier einheitlichem Schriftbild, bei dem ein bauchiges „g“ bis unter das „a“ reicht. Dies spricht für die Kennzeichnung der Kopien durch eine Person. Die aus drei Seiten bestehende Anlage 2a trägt oben rechts einen beim Ausdruck hinzugefügten Hinweis zur Seitenzahl, beginnend mit „Seite 1 von 3“ und endend mit „Seite 3 von 3“.
53
Dasselbe gilt für die Anlage 2b, die die Klägerin nach ihrer Auskunft als Chronologie der Ereignisse unter dem Datum des 24. September 2008 verfasste mit gesammelten und angehängten E-Mails seit 2003. Die Anlage 2b ist drucktechnisch durchnummeriert und beginnt mit „Seite 1 von 29“ und endet mit „Seite 29 von 29“.
54
Dies gilt ebenfalls für die Anlage 2c, hier beginnend mit „Seite 2 von 7“ und endend mit „Seite 7 von 7“.
55
Dies spricht für die Herstellung der jeweiligen Anlagen zur Betriebsratsanhörung in einem Stück.
56
Die Klägerin leitete ausweislich der Anlage 2a am 30. März 2009 um 22:38 Uhr unter dem „Betreff: WG: Lebenswerk der unfähigen Führungskräfte“ eine E-Mail von ihr vom gleichen Tag, 22:23 Uhr an etliche Mitarbeiter der Beklagten weiter an eine Personalreferentin.
57
Bei der Anlage 2b handelt es sich um eine E-Mail der Klägerin vom 24. September 2008 an zwei Vorstandsmitglieder. Der E-Mail der Klägerin als Chronologie der Ereignisse mit dem Betreff „WG: Männerherrschaft, Männerwirtschaft, Männersolidarität“ ist eine Vielzahl von E-Mails der Klägerin an Mitarbeiter der Beklagten vom Oktober 2003 bis September 2008 beigefügt.
58
Bei der Anlage 2c handelt es sich insbesondere um die E-Mails der Klägerin an den damaligen Vorstandsvorsitzenden vom 21. September 2008 und vom 05. Februar 2009.
59
In dem Schreiben der Beklagten vom 03. April 2009 als Anlage 1 zur Anhörung des Betriebsrates wird inhaltlich aus E-Mails aus den Anlagen 2a, 2b und 2c zitiert.
60
Auch dies spricht dafür, dass diese Anlagen nicht nur in geringen Teilen der Anhörung beigefügt waren. Es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, warum gerade die beiden E-Mails der Klägerin an den damaligen Vorstandsvorsitzenden als Kern des Kündigungsvorwurfes dem Betriebsrat nicht zugeleitet worden sein sollen.
61
Ferner tragen die Anlagen unten links eingedruckt das Datum des Tages des erfolgten Ausdruckes. Dieser ist teilweise in den vorgelegten Kopien nicht in Gänze zu lesen. Wo er zu lesen ist, trägt er einheitlich bei den Anlagen 2a bis 2c das Datum „21.04.2009“. Dies spricht dafür, dass alle Anlagen einheitlich am 21. April 2009 hergestellt wurden.
62
Die Einheitlichkeit der Anlagen zur Betriebsratsanhörung im Druck, die durchlaufende Nummerierung der einzelnen Anlagen im Druck und die einheitliche handschriftliche Nummerierung der Anlagen spricht insgesamt für eine Herstellung derselben im selben Zeitpunkt durch dieselbe Person. Aus der Bezugnahme im Begründungsschreiben ergibt sich ebenfalls, dass mehrere Anlagen dem Formularschreiben an den Betriebsrat beilagen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es sich bei den dem Gericht vorgelegten Unterlagen zur Betriebsratsanhörung um ein erst nach Erhebung der Kündigungsschutzklage zusammengestelltes Konvolut zur Vorlage beim Gericht handeln würde und nicht um die Unterlagen in Kopie, die dem Betriebsrat am 21. April 2009 zur Anhörung vorgelegt wurden.
63
Dieser Befund wird bestätigt durch das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09. Juli 2014, dort Seite 3. Danach hatte der als Zeuge vernommene Betriebsratsvorsitzende die Unterlagen des Betriebsrates zur Betriebsratsbeteiligung im Original mitgebracht. Zur Einsichtnahme des Gerichtes in diese Unterlagen ist protokolliert:
„Die vom Zeugen mitgebrachten Unterlagen werden unter gleichzeitiger Einsichtnahme durch die Parteivertreter verglichen mit den in der Anlage des Beklagtenschriftsatzes vom 15.06.2009 überlassenen Unterlagen.
Aus dem Vergleich der vom Zeugen vorgelegten Unterlagen und der Gerichtsakte ergibt sich eine Übereinstimmung bezüglich des Anhörungsschreibens vom 21.04.2009 mit Begleitschreiben und den Anlagen 1, 2a, 2b, 2c und 3.“
64
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 05. August 2014 zu der Beweisaufnahme vom 09. Juli 2014 umfangreich Stellung genommen und darüber hinaus Protokollberichtigungsanträge gestellt. Zu der gerichtlichen Feststellung, dass die dem Zeugen vorliegenden Unterlagen zur Betriebsratsanhörung und die dem Gericht dazu vorgelegten Unterlagen übereinstimmen, hat sich die Klägerin nicht geäußert. Die im Protokoll vom 09. Juli 2014 getroffene Tatsachenfeststellung des Gerichtes ist mithin unstreitig.
65
ii. Die Klägerin führte mit dem Betriebsratsvorsitzenden E… auf dessen Initiative nach Eingang der Anhörung vom 21. April 2009 ein Telefonat.
66
Mit E-Mail der Klägerin vom 23. April 2009 teilte diese im Nachgang zu diesem Telefonat einem Mitarbeiter der Beklagten mit, sie sei heute vom Betriebsratsvorsitzenden informiert worden, es läge ein Kündigungsschreiben vor und sie verzichte auf Beratung und Mitspracherecht des Betriebsrates. Sodann führte sie aus:
„Welches Schreiben auch immer Sie mir nun senden werden, so senden Sie dieses bitte nur an meine Privatadresse, und nicht auch an den Betriebsrat, dem laut Herrn E… der gesamte Briefwechsel vorliegt.“
67
Die Klägerin bestätigt in dieser zeitnah nach telefonischer Rücksprache mit dem Betriebsratsvorsitzenden geschriebenen E-Mail, dass ihr der Betriebsratsvorsitzende mitgeteilt habe, ihm läge der gesamte Briefwechsel vor. Dies stellt sie in der genannten E-Mail auch nicht in Frage.
68
Mit diesen Feststellungen zum Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass dem Betriebsrat die Anhörung vom 21. April 2009 und die Anlagen in der Zahl und Nummerierung übergeben wurden wie sie auch mit der Klageerwiderung der Beklagten vom 15. Juni 2009 in Kopie zur Gerichtsakte übergeben wurden, also mit den Anlagen 2a, 2b und 2c.
69
iii. Die Klägerin dringt mit ihren dagegen gerichteten Einwendungen nicht durch. Sie macht geltend, die Anlagen 2b und 2c zur Anhörung des Betriebsrates wären diesem nicht mit der Anhörung vorgelegt worden. Sie führte dazu im Schriftsatz vom 06. Juli 2014 aus, der Betriebsrat habe zur Zeit des Kündigungsantrages nur drei Anlagen erhalten. Dabei handele es sich um die Anlagen 1, 2 und 3. Hierbei habe es sich um das dem Schriftsatz vom 06. Juli 2014 beigefügte Anlagenkonvolut, bestehend aus 12 Seiten, gehandelt. Dazu wurde als Nachweis das genannte Anlagenkonvolut in Kopie (Bl. 1450 - 1461 der Akte) vorgelegt. Dieses unterscheidet sich erheblich im Bild von den Unterlagen, die die Beklagte zur Anhörung des Betriebsrates vorgelegt hat, insbesondere einer handschriftlichen Durchnummerierung mit 1 bis 12 in jeweils einem Kreis rechts oben. Eine Nummerierung der Anlagen fehlt. Es handelt sich offensichtlich nicht um einen Kopiensatz der dem Betriebsrat zur Verfügung gestellten Anlagen, sondern nur um den Versuch einer Darstellung, wie diese aus Sicht der Klägerin wohl ausgesehen haben müssten.
70
Die Klägerin hat dazu behauptet, die Unterlagen 2b und 2c seien auf Weisung des Vorstandsbüros der Beklagten dem Betriebsrat einstweilen nicht zugeleitet worden. Dies ergebe sich daraus, dass Führungskräfte der Beklagten sie gebeten hätten, den E-Mail-Verkehr als sensible Unterlage, die die persönliche Sicht der Klägerin enthielt, nicht dem Betriebsrat vorzulegen. Es ist aus Sicht des Gerichtes schon schwer nachvollziehbar, warum - insoweit zugunsten der Klägerin als zutreffend unterstellt - aus einer Bitte an den betroffenen Mitarbeiter, sensible Unterlagen nicht an den Betriebsrat weiterzuleiten, zwingend abzuleiten wäre, dass der Arbeitgeber dann später im Rahmen einer Anhörung nach § 102 BetrVG zur Kündigung dieses Mitarbeiters davon Abstand nehmen sollte, bei der Information des Betriebsrates über den Kündigungsgrund diese kündigungsrelevanten Unterlagen weiter dem Betriebsrat vorzuenthalten. Dabei befinden sich in den Anlagen 2b und 2c insbesondere die beiden E-Mails der Klägerin an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten vom 21. September 2008 und vom 05. Februar 2009, aus denen im Anschreiben an die Klägerin vom 03. April 2009 als Anlage 1 zur Betriebsratsanhörung zitiert wird. Ferner befindet sich in der Anlage 2b auch die E-Mail der Klägerin vom 24. September 2008, aus der im Anschreiben an die Klägerin vom 03. April 2009 als Anlage 1 zur Betriebsratsanhörung ebenfalls zitiert wird. Gerade diese E-Mails und ihr Inhalt haben die Beklagte zur Kündigung bewegt. Aus Sicht des Gerichtes spricht diese inhaltliche Betrachtung dafür, dass die Anlagen wie von der Beklagten vorgetragen der Anhörung beigefügt waren.
71
Zu dem behaupteten Sachverhalt, von Führungskräften sei gegenüber der Klägerin die Bitte geäußert worden, den E-Mail-Verkehr nicht dem Betriebsrat vorzulegen, wurden die von der Klägerin dazu benannten Zeugen in der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme vor dem LAG vom 07. August 2014 befragt. Der eine Zeuge, damaliger Büroleiter des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, hat dazu ausdrücklich ausgeführt, eine Empfehlung oder Aufforderung, den Betriebsrat nicht einzuschalten, nicht getätigt zu haben. Auch der andere Zeuge, ehemaliger Betriebsrat und später Personalleiter, hat keine Aussage dazu getroffen, dass es eine entsprechende Bitte gegeben hätte.
72
Die Klägerin wurde selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem LAG vom 07. August 2014 als Partei vernommen. Die Klägerin hat dort ausgesagt, dass sie die Anlage 2b als Chronologie der Ereignisse am 24. September 2008 verfasst und an den Vorstand verschickt hatte, und danach noch im Oktober 2008 der letztgenannte Zeuge auf sie zukam und im Rahmen eines dreistündigen Gespräches im Hinblick auf in der Chronologie angesprochenen Compliance-Themen geraten hatte, den Betriebsrat und einen anderen Mitarbeiter als besondere Vertrauensperson der Klägerin nicht zu informieren.
73
Für das Gericht ergibt sich aus dieser Anhörung der Klägerin als Partei: Die Klägerin schildert nur die an sie selbst herangetragene Bitte, den Betriebsrat nicht zu informieren. Für die Annahme, eine solche Bitte sei auch an die Stelle im Betrieb herangetragen worden, die für die Anhörung des Betriebsrates zuständig war, gibt diese Aussage nichts her. Die Klägerin datiert das Gespräch mit der Bitte auf den 08. Oktober 2008 (im Protokoll versehentlich 08.10.2009). Mit dieser zeitlichen Konkretisierung der an sie herangetragenen Bitte, den Betriebsrat nicht zu informieren, auf Oktober 2008 ergibt sich ein erheblicher zeitlicher Abstand zur Anhörung des Betriebsrates mit Schreiben vom 21. April 2009 von über einem halben Jahr. Es ist unerfindlich, wie die Bitte an die betroffene Mitarbeiterin, den Betriebsrat nicht zu informieren, Rückschlüsse auf ein Motiv, den Betriebsrat auch später bei der Anhörung nach § 102 BetrVG nicht vollständig zu informieren, zulassen soll.
74
Die Klägerin hat zum Verlauf des Telefonates mit dem Betriebsratsvorsitzenden geltend gemacht, dieser habe ausdrücklich nach dem Schriftverkehr zwischen September 2008 und April 2009 gefragt, eben den Anlagen 2b und 2c. Auch die unstreitig übergebenen Anlagen 2a und 3 zählen zu dem Schriftverkehr in diesem Zeitraum. Anlage 2a ist die E-Mail der Klägerin vom 30. März 2009. Anlage 3 ist die E-Mail der Klägerin vom 16. April 2009. Aus der behaupteten Frage des Betriebsratsvorsitzenden ergibt sich für das Gericht vor diesem Hintergrund allenfalls, dass die Klägerin und der Betriebsratsvorsitzende in ihrem Telefonat gar nicht die Anlagen zur Kündigungsanhörung im Einzelnen nach Inhalt und Datum besprochen haben. Dies erlaubt dann auch keine verlässlichen Rückschlüsse auf die dem Betriebsrat vorgelegten Unterlagen, sondern nur Mutmaßungen.
75
Auch der Ehemann der Klägerin wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem LAG vom 07. August 2014 als Zeuge vernommen. Dieser sagte aus, in dem Telefonat „nach dem 21. April.“, möglich „am 23. April“. gegen 14:00 Uhr seien die Anlagen 1 bis 3 genannt worden ohne jede Untergliederung. Diese seien auch nicht vorgelesen worden. Die Klägerin sei aufgefordert worden, den von ihr angesprochenen umfangreichen Briefwechsel vorzulegen.
76
Auch daraus ergibt sich nicht, dass dem Betriebsrat die Anlagen 2b und 2c nicht vorgelegt worden wären. Die Aussage zeigt für das Gericht wiederum, dass der Betriebsratsvorsitzende und die Klägerin anlässlich ihres Telefonates die Unterlagen nicht im Einzelnen nach Datum und Adressat der jeweiligen E-Mails durchgegangen sind. Dem entspricht auch der Eindruck des Telefonates insgesamt beim Zeugen. Danach war das Telefonat nur sehr eingeschränkt sachlich geführt worden und endete nach dessen Aussage „relativ abrupt, ohne Gruß- und Verabschiedungsformel“.
77
Dem entspricht auch die Aussage des Betriebsratsvorsitzenden als Zeuge. Dieser führte dazu aus, dass er der Klägerin in dem mit ihr geführten „langen Telefonat auch die Kündigungsbegründung“ vorlas. Diese Kündigungsbegründung als „Anlage zur Kündigungsanhörung vom 21.04.2009“ ist nur wenig länger als eine halbe Seite und kann in nur wenigen Minuten vorgelesen werden. Sie nimmt Bezug auf verschiedene Anlagen dazu, ohne diese nach Anlage 2a, 2b oder 2c zu unterscheiden.
78
Für das Gericht ergeben sich daraus keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass dem Arbeitsgericht im Verfahren mit der Klageerwiderungsschrift vom 15. Juni 2009 andere Unterlagen zur Anhörung des Betriebsrates durch die Beklagte vorgelegt worden wären als diesem anlässlich der Anhörung zur Kündigung mit Schreiben vom 21. April 2009.
79
Schließlich hat auch der Betriebsratsvorsitzende als Zeuge dazu erklärt, dass dem Betriebsrat in dieser Angelegenheit keine weiteren Unterlagen zugeleitet wurden. Er hat weiter ausgesagt:
„Außer, wenn es so gewesen wäre, dann gäbe es zwei Duplikate mit einer Empfangsbestätigung eines Betriebsratsmitgliedes.“
80
An anderer Stelle hat der Betriebsratsvorsitzende als Zeuge auch ausgesagt:
„Aus den handschriftlichen Notizen kann ich entnehmen, dass der Klägerin mitgeteilt worden ist, dass diverse Emails, u.a. auch an Herrn L… gerichtet, dem Betriebsrat vorliegen.“
81
Auf die Frage der Glaubwürdigkeit des Betriebsratsvorsitzenden als Zeugen kam es im Hinblick auf die vorgelegten Unterlagen, die protokollierte Feststellung der Übereinstimmung der in der Akte des Betriebsrates befindlichen Anhörung und der dem Gericht vorgelegten Anhörung sowie die eigene zeitnahe Einlassung der Klägerin im unmittelbaren Anschluss an das Telefonat mit dem Betriebsratsvorsitzenden nicht mehr an. Die Aussage des Betriebsratsvorsitzenden ist im Übrigen im Zusammenhang mit den weiteren Tatsachenfeststellungen jedoch glaubhaft.
82
iv. Die Klägerin macht im Ergebnis geltend, dass nach Einleitung des Anhörungsverfahrens mit Schreiben vom 21. April 2009 für das gerichtliche Verfahren die ursprüngliche Anlage 2 nur mit der E-Mail der Klägerin vom 30. März 2009 an einen größeren Kreis von Mitarbeitern der Beklagten ausgetauscht wurde gegen das Anlagenkonvolut 2a bis 2c.
83
Das Gericht folgt dem nicht. Die Kündigungsschutzklage wurde den Prozessvertretern der Beklagten ausweislich des Empfangsbekenntnisses zugestellt am 06. Mai 2009. Mit der Klageerwiderung vom 15. Juni 2009 wurde zur Anhörung des Betriebsrates vorgetragen. Die dem Betriebsrat zugeleiteten Anlagen wurden dabei vollständig vorgelegt mit den Anlagen 2a bis 2c. Anders ist für das Gericht nicht erklärbar, dass die Unterlagen des Betriebsrates, die anlässlich der Beweisaufnahme in Augenschein genommen wurden, und die dem Gericht vorgelegten Unterlagen völlig übereinstimmten nach den protokollierten Feststellungen des Berufungsgerichtes im Termin vom 09. Juli 2014. Nach der Vorstellung der Klägerin wäre es in diesem kurzen Zeitraum erforderlich gewesen, dass die Beklagte die Sinnhaftigkeit einer nachträglichen Veränderung und Komplettierung der Anlagen zur Anhörung des Betriebsrates erkennt, diese mit dem Betriebsrat abspricht und im Einvernehmen mit diesem durchführt, indem sie die dem Betriebsrat vorliegenden Unterlagen ändert. Für einen solchen Geschehensablauf fehlen jegliche Anhaltspunkte. Schon die Anlagen selbst sprechen in Aufbau, Gestaltung und Inhalt gegen einen solchen Geschehensablauf. Solche Anhaltspunkte ergeben sich nicht aus der Einvernahme des Ehemannes der Klägerin als Zeuge. Gegen diese These spricht ferner, dass die Beklagte in der Erläuterung der Kündigungsgründe unter Verweis auf die Anlagen von „verschiedenen E-Mails an einen breiten Adressatenkreis“ spricht, also mehreren Schreiben. Die Anlagen 2a und 3 sind aber nur jeweils eine E-Mail der Klägerin. Schließlich spricht gegen diese These die glaubhafte Aussage des Betriebsratsvorsitzenden als Zeuge. Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass der Betriebsratsvorsitzende als Zeuge auf die Frage, ob sämtliche Anlagen, die der Zeuge heute dem Gericht präsentiert hat, dem Arbeitgeberanhörungsschreiben beigefügt waren, erklärte: „Dazu muss ich nein sagen.“ Richtig ist aber auch, das der Betriebsratsvorsitzende als Zeuge auf die anschließende Frage, ob dem Betriebsrat weitere Anlagen nach Anhörung zugeleitet worden sind, erklärte: „Dazu muss ich ebenfalls nein sagen.“ Die Widersprüchlichkeit klärte er im Folgenden auf und legte sich damit fest: „Der Betriebsrat hat nichts Zusätzliches entgegengenommen. Außer, wenn es so gewesen wäre, dann gäbe es zwei Duplikate mit einer Empfangsbestätigung eines Betriebsratsmitgliedes.“ Dies ist aus Sicht des Gerichtes glaubhaft. Es entspricht den weiteren Tatsachenfeststellungen des Gerichtes zur Einheitlichkeit der Anlagen, wie bereits weiter ober dargestellt.
84
v. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die ausführlichen Überlegungen des Berufungsgerichtes im Urteil vom 11. Januar 2019 im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung zu dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme. Das Berufungsgericht hat dort in sich schlüssig und widerspruchsfrei begründet, weshalb es für erwiesen hält, dass dem Anhörungsschreiben sämtliche Anlagen beigefügt waren. Nach eigener Prüfung der Glaubhaftigkeit des Inhaltes der protokollierten Aussagen der Zeugen macht sich das Berufungsgericht diese Überlegungen zu eigen und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen Ausführungen, LAG Nürnberg, Urteil vom 11.01.2019 - 4 Sa 131/16 -, Rn. 180 bis 195.
85
vi. Die Klägerin hält den Betriebsratsvorsitzenden als Zeugen für unglaubwürdig. Sie macht dazu geltend, der Betriebsratsvorsitzende habe vor Gericht die Unwahrheit gesagt mit der Aussage:
„Die Betriebsratssitzung dauerte laut Protokoll ca. 1 Stunde zu diesem Punkt. Nach meiner Erinnerung wurden von mir alle Unterlagen verlesen.“
86
Dies ergebe sich nach Auffassung der Klägerin daraus, dass die Textdateien zur Anhörung des Betriebsrates von ihrem Prozessbevollmächtigten in eine Audiodatei umgewandelt worden seien. Deren Verlesen habe dann mit E-Mail-Header und Signaturen über drei Stunden gedauert, ohne diese noch fast zweieinhalb Stunden.
87
Der zeitliche Umfang des vollständigen Verlesens aller Unterlagen kann dahingestellt bleiben. Für die Frage, ob die Beteiligung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG ordnungsgemäß war, kommt es nicht darauf an, in welchem Umfang der Betriebsvorsitzende die vom Arbeitgeber erhaltenen Informationen komprimiert und dem Gremium im Rahmen der Besprechung und Beschlussfassung dieses Beschlussgegenstandes weitergibt. Etwaige Fehler im Verfahren in der Sphäre des Betriebsrates sind in diesem Zusammenhang irrelevant. Es ist der Sphäre des Betriebsrates zuzuordnen, in welcher Detailgenauigkeit der Betriebsratsvorsitzende die Informationen, die er nach § 102 BetrVG bekommen hat, bündelt und an das Betriebsratsgremium weitergibt.
88
Der Betriebsratsvorsitzende hat ferner seine Aussage unter den Vorbehalt seiner Erinnerung gestellt, also ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies nach fünf Jahren zwischen der Anhörung durch die Beklagte und der Aussage vor dem Landesarbeitsgericht seine Erinnerung ist, diese aber nicht zwingend zutreffend sein muss. Der Aussage des Betriebsratsvorsitzenden lässt sich nicht entnehmen, ob er die Unterlagen im Volltext mit E-Mail-Header und Signatur verlesen hat oder nur die E-Mails oder diese nur in Auszügen mit den aus seiner Sicht kündigungsrelevanten Inhalten. Dem Berufungsgericht erschließt sich in diesem Zusammenhang auch nicht die Annahme der Klägerin, der Betriebsratsvorsitzende habe mit seiner Aussage, er habe alles verlesen, auch zum Ausdruck gebracht, er habe im Wortsinne den gesamten E-Mail-Schriftverkehr mit dem jeweiligen E-Mail-Header verlesen. Es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, dass ein Betriebsratsvorsitzender nach 20jähriger Tätigkeit in diesem Amt in einer Sitzung des Gremiums mit 17 Teilnehmern umfangreiche Texte im vollen Wortlaut verliest und nicht nur in den Auszügen mit der Konzentration auf die wesentlichen Inhalte. Für die Annahme, der Zeuge habe hier die Unwahrheit gesagt, gibt diese Aussage daher wenig her. Sie gibt noch weniger dafür her, dass der Zeuge bei seiner Aussage insgesamt die Unwahrheit gesagt haben und deshalb unglaubwürdig sein soll.
89
c) Im Formularschreiben vom 21. April 2009 an den Betriebsrat wird zum Familienstand der Klägerin „verh., 1 unterhaltspflichtiges Kind“ mitgeteilt. Dies war hinsichtlich der Zahl der unterhaltsberechtigten Kinder unzutreffend. Die Beklagte nahm dabei Bezug auf die bei ihr vorliegenden Abrechnungsunterlagen. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt nicht gegenüber einem Kind unterhaltsberechtigt, sondern drei Kindern unterhaltsverpflichtet.
90
i. Die Klägerin sieht hier schon eine bewusste Fehlinformation des Betriebsrates in der Verwechslung von „unterhaltsberechtigt“ und „unterhaltsverpflichtet“. Das Gericht kann hier keine bewusste Irreführung des Betriebsrates erkennen.
91
Was die Verwechslung von Unterhaltspflicht und Unterhaltsberechtigung betrifft, so ist dies im Arbeitsleben durchaus nicht selten, wie die E-Mails der Klägerin an den damals verantwortlichen Personalleiter vom 12. September 2008 und den damaligen Vorstand der Beklagten vom 21. September 2008 zeigen. Dort spricht sie selbst davon, dass sie „Mutter von 4 Kindern (drei davon unterhaltspflichtig, zwei Studenten und ein vierjähriges Kind)“ ist bzw. „4 Kinder, davon 3 unterhaltspflichtig“ hat. Die Information zum unterhaltspflichtigen Kind wird vom Betriebsratsvorsitzenden auch durchaus zutreffend interpretiert, wenn er in seiner Aussage vor Gericht ausführt, er könne „heute keine Angabe zur Anzahl der unterhaltsberechtigten Kinder machen.“
92
Eine willentliche fehlerhafte Information des Betriebsrates liegt nicht vor. Im Übrigen wird verwiesen auf die Ausführungen des BAG, Urteil vom 05.12.2019 - 2 AZR 240/19 -, Rn. 71 zu diesem Komplex, denen sich das Gericht nach eigener Prüfung anschließt.
93
ii. Was die Angabe nur eines Kindes betrifft, so hatte der Betriebsrat nach Ablage 2c, dort E-Mail der Klägerin an den damaligen Vorstand vom 21. September 2008, Kenntnis davon, dass „4 Kinder, davon 3 unterhaltspflichtig, davon wiederum 2 im Studium, 1 Kind 4 Jahre alt“ hatte. Im Übrigen wird zu diesem Komplex verwiesen auf die Ausführungen des BAG, Urteil vom 05.12.2019 - 2 AZR 240/19 -, Rn. 68 f, denen sich das Gericht nach eigener Prüfung anschließt.
94
iii. Der Betriebsratsvorsitzende hatte in seiner Einvernahme als Zeuge vor dem LAG am 09. Juli 2014 auch ausgesagt, dass beim Gremium bezüglich der Arbeitnehmerdaten eine konkrete Aktenlage vorlag. Er konkretisierte das auch im Hinblick auf die Zahl der unterhaltsberechtigten Kinder der Klägerin mit der Erwähnung eines unterhaltsberechtigten Kindes im Zuleitungsschreiben und im weiteren Inhalt der zugeleiteten Unterlagen mit mehreren unterhaltsberechtigten Kindern.
95
iv. Es lag keine bewusste Fehlinformation des Betriebsrates vor mit dem Hinweis auf nur ein Kind im Formularschreiben der Beklagten. Die Beklagte hob dabei auf die Zahl der Kinder ab, die in der Lohnsteuerkarte eingetragen waren. Die Klägerin hat selbst bestätigt, dass in ihrer Lohnsteuerkarte nur ein Kind eingetragen war.
96
d) In dem Begründungsschreiben in der Anlage zur Anhörung vom 21. April 2009 und den dazu mitübergebenen Anlagen 2a bis 2c wird der Kündigungssachverhalt ausreichend dargestellt.
97
i. Der Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können. Der Arbeitgeber muss daher dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt schildert, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann. Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren. In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung - ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers - auch objektiv, d. h. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert. Bei der verhaltensbedingten Kündigung kann deshalb auf die Mitteilung der „Sozialdaten“ des Arbeitnehmers nicht deshalb verzichtet werden, weil sie für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers ohne Bedeutung waren. Der Wirksamkeit einer auf Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers gestützten Kündigung steht das Unterlassen der Angabe von dessen genauen „Sozialdaten“ bei der Betriebsratsanhörung deshalb nur dann nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber auf diese ersichtlich nicht ankommt und der Betriebsrat jedenfalls die ungefähren Daten ohnehin kennt; er kann dann die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers auch so ausreichend beurteilen.
98
ii. Diesen Anforderungen genügt das Zuleitungsschreiben vom 21. April 2009 mit den beigefügten Anlagen. In der Begründung zur Kündigung wird der Verlauf des Arbeitsverhältnisses geschildert und auf die vielen Gespräche im Vorfeld verwiesen mit der Personalabteilung, den Führungskräften und dem Betriebsrat. Auf die Beteiligung der Sozialberatung wird hingewiesen. Auf die verschiedenen E-Mails der Klägerin, den breiten Adressatenkreis und die dort getätigten Äußerungen und Vergleiche wird hingewiesen. Ebenso wird darauf hingewiesen, dass es nicht zu einer Rücknahme der erhobenen Vorwürfe oder einer Entschuldigung kam und aus Sicht der Beklagten eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich sei. Beigefügt war der E-Mail-Verkehr in Kopie, wie oben dargestellt. Dort lassen sich die kündigungsgegenständlichen schriftlichen Äußerungen der Klägerin im Einzelnen nachlesen.
99
II. Auf die fristgerecht nach §§ 4, 7 KSchG erhobene Kündigungsschutzklage hin ist festzustellen, dass die Kündigung vom 24. April 2009 nicht sozial gerechtfertigt ist und das Arbeitsverhältnis deshalb nicht aufgelöst hat zum 30. Juni 2009.
100
1. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers nach § 241 Abs. 2 BGB kann die Kündigung rechtfertigen. Sie scheidet dagegen aus, wenn dem Arbeitgeber geeignete mildere und ihm zumutbare Mittel zur Verfügung stehen, um den Arbeitnehmer zur Vertragstreue zu veranlassen. Dazu zählt insbesondere die Abmahnung. Der Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist, BAG, Urteil vom 05.12.2019 - 2 AZR 240/19 -, Rn. 75.
101
a) Die grobe Beleidigung des Arbeitgebers, von Führungskräften oder auch von Kollegen kann ebenfalls als Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme nach den Umständen des Einzelfalles die ordentliche oder sogar die außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Dabei ist die strafrechtliche Bewertung nicht maßgeblich. Arbeitnehmer dürfen Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen, BAG, Urteil vom 19.11.2015 - 2 AZR 217/15 -, Rn. 37, zitiert nach juris.
102
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang das grundrechtlich geschützte Recht des Arbeitnehmers auf freie Meinungsäußerung auch in einem bestehenden Arbeitsverhältnis. Das Recht des Arbeitnehmers auf freie Meinungsäußerung ist im Arbeitsverhältnis nicht schrankenlos. Es wird durch grundrechtliche Positionen Dritter wie der Menschenwürde, in die mit der Äußerung eingegriffen wird, beschränkt. Nach Art. 5 Abs. 2 GG wird die Meinungsäußerungsfreiheit auch durch die allgemeinen Gesetze beschränkt. Dazu zählen auch arbeitsrechtliche Vorschriften, BVerfG, Beschluss vom 02.11.2020 - 1 BvR 2727/19 -, Rn. 12, zitiert nach juris. Bewegt sich der Arbeitnehmer mit seinen Äußerungen im Rahmen der Meinungsäußerungsfreiheit und ist sein Verhalten nicht als davon nicht mehr geschützte Schmähkritik oder Formalbeleidigung zu bewerten, so gilt: Der Arbeitnehmer kann mit diesen Äußerungen trotz des Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit gegen den Arbeitsvertrag verstoßen haben. Es ist nunmehr eine Abwägung der grundrechtlich geschützten Position des Arbeitnehmers auf Meinungsäußerungsfreiheit gegen die arbeitsrechtlich geschützten Rechtsgüter auf Seiten des Arbeitgebers erforderlich, BVerfG, Beschluss vom 30.05.2018 - 1 BvR 1149/17 -, Rn. 10, zitiert nach juris. Zu diesen geschützten Rechtsgütern auf Seiten des Arbeitgebers zählt insbesondere die ebenfalls grundrechtlich in Art. 5 Abs. 2 GG geschützte Position des Ehrenschutzes, die mit dem Recht der freien Meinungsäußerung in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden muss, BAG, Urteil vom 17.02.2000 - 2 AZR 927/98 -, Rn. 13, zitiert nach juris unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 10.11.1998 - 1 BvR 1531/96 -, Rn. 48, zitiert nach juris. Ferner wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers durch Art. 12 GG geschützt. Beides - Ehrenschutz des Arbeitgebers und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers - ist bei der Frage der Reichweite der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers nach § 241 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts für den Arbeitnehmer bestimmt werden. Der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt, BAG, Urteil vom 05.12.2019 - 2 AZR 240/19 -, Rn. 95, zitiert nach juris. Diese Rechtsprechung befindet sich auch im Einklang mit europäischem Recht. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 EMRK hat jede Person das Recht auf freie Meinungsäußerung. Eine schrankenlose Betätigung der Freiheit der Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK ist im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis aber nicht vorgesehen, wie sich schon aus dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 EMRK ergibt, EGMR, Urteil vom 16.02.2021 - 23922/19 -, Rn. 50 ff, zitiert nach juris. Art oder Form der freien Meinungsäußerung, die in anderem Zusammenhang berechtigt sein mögen, sind es nicht unbedingt im Rahmen von Arbeitsbeziehungen, EGMR, Urteil vom 15.06.2021 - 35786/19 -, Rn. 43, zitiert nach juris. Einschränkungen sind nach dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 EMRK unter anderem möglich zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, hier des Arbeitgebers. Im Ergebnis kann deshalb auch die erheblich ehrenrührige Äußerung, die noch keine Schmähkritik ist, sondern noch von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist, eine ordentliche Kündigung rechtfertigen, BVerfG, Beschluss vom 30.05.2018 - 1 BvR 1149/17 -, Rn. 10, zitiert nach juris.
103
b) Hier handelt es sich bei den Aussagen der Klägerin in den E-Mails vom 21. September 2008, 05. Februar 2009 und 30. März 2009 nach Auffassung des BAG wegen eines Restes an Sachbezug im Wesentlichen um Äußerungen, die sich noch im Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG bewegen. Dies bedingt nach BAG eine nähere Prüfung, ob die einzelnen Äußerungen der Klägerin unter Berücksichtigung des Schutzes des Art. 5 GG im Einzelfall oder die Äußerungen in ihrer Gesamtheit eine Verletzung ihrer Loyalitätspflichten gegenüber dem Arbeitgeber aus § 241 Abs. 2 BGB darstellen.
104
Die Beklagte hat die Kündigung darauf gestützt, dass die Klägerin in den E-Mails vom 21. September 2008, 05. Februar 2009 und vom 30. März 2009 ihre arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten nach § 241 Abs. 2 BGB mit den dort geäußerten Drohungen und Beleidigungen in einer Art verletzt habe, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar mache. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft, da der Klägerin bei ihren Äußerungen habe klar sein müssen, dass sie damit ihr Arbeitsverhältnis ernsthaft gefährdet.
105
i. Die Beklagte hat zur Rechtfertigung der Kündigung geltend gemacht, dass die Klägerin in der E-Mail an den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten vom 21. September 2008 unter anderem mitgeteilt hatte, seit einigen Jahren würden „Guerilla-Aktionen“ gegen sie geführt, sie habe eine „himmelschreiende Ausländer- und Frauenfeindlichkeit“ vorgefunden. Sie würde es als unfair erachten, wenn der Vorstandsvorsitzende davon „aus der amerikanischen Presse“ oder der „Oprah-Winfrey-Show“ erführe. Bei ihrem „Chef“ handele es sich um einen „unterbelichteten Frauen- und Ausländerhasser“.
106
Das BAG, Urteil vom 05.12.2019, hat dazu festgestellt, dass es sich dabei nicht um Schmähkritik handelt. Dem schließt sich das Berufungsgericht nach eigener Prüfung an. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des BAG, Urteil vom 05.12.2019, Rn. 89 bis 90, Bezug genommen.
107
ii. Die Beklagte hat zur Rechtfertigung der Kündigung geltend gemacht, dass die Klägerin in der E-Mail an den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten vom 05. Februar 2009 mitgeteilt hatte, sie leide unter der Männerherrschaft, Männerwirtschaft und Männersolidarität und weiter ausführte:
„Bei dieser Gelegenheit muss ich leider feststellen, dass Sie als CEO von S… noch einsamer sind als ich es bin. Ich darf Ihnen hiermit schriftlich bestätigen, dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste, wie ich; und das ist mein Erleben und Empfinden, und kein Gesetz der Welt kann mir verbieten, darüber zu berichten. In keinem Land der Welt, in keinem Unternehmen der Welt habe ich so viele Intrigen erlebt, sei es mit Personal, sei es mit Lieferanten. Das Ganze hält die Erinnerung wach an meinen Lieblingsfilm: Der Pate.“
108
Das BAG, Urteil vom 05.12.2019 hat dazu festgestellt, dass es sich dabei um Äußerungen der Klägerin handelte, die vom Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 GG geschützt sind. Dem schließt sich das Berufungsgericht nach eigener Prüfung an. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des BAG, Urteil vom 05.12.2019, Rn. 100 bis 106, Bezug genommen.
109
iii. Die Beklagte hat zur Rechtfertigung der Kündigung weiter geltend gemacht, dass die Klägerin in der E-Mail an ihren unmittelbaren Vorgesetzten und an zwölf weitere Mitarbeiter vom 30. März 2009 ihrem unmittelbaren Vorgesetzten Mobbing, Bossing, unberechtigte Kritik sowie unsachliche und leere Bemerkungen vorhielt und weiter ausführte, dass er seine Position nur innehabe, um einer intellektuellen Frau das Leben zur Hölle zu machen. Seine Fähigkeiten reichten offensichtlich nicht dazu, als Führungskraft zu fungieren. Er verstehe nicht einmal „den Unterschied zwischen Kosten und Preis“.
110
Das BAG, Urteil vom 05.12.2019 hat dazu festgestellt, dass es sich dabei um Äußerungen der Klägerin handelte, die sich nicht als Schmähkritik darstellen und die vom Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 GG geschützt sind. Dem schließt sich das Berufungsgericht nach eigener Prüfung an. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des BAG, Urteil vom 05.12.2019, Rn. 97 bis 98, Bezug genommen.
111
iv. Die Klägerin hat mit diesen Äußerungen gegen ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verstoßen. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist der Arbeitnehmer verpflichtet, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen.
112
(1) Zu diesen Rücksichtnahmepflichten zählt es, Führungskräfte und Kollegen nicht zu beleidigen. Hier hat die Klägerin dies wiederholt getan.
113
In der E-Mail vom 21. September 2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden bezeichnet sie ihren „Chef“ als „unterbelichteten Frauen- und Ausländerhasser“. Damit wird ihm eine gesellschaftlich nicht akzeptierte und ehrenrührige allgemeine Haltung gegenüber Frauen und Ausländern unterstellt. Die Bezeichnung der Führungskraft als „Frauen- und Ausländerhasser“ behält sie auch in ihrer E-Mail an den damaligen Vorstandsvorsitzenden vom 05. Februar 2009 bei.
114
In der E-Mail vom 30. März 2009 an acht Führungskräfte und im „cc“ an weitere fünf Führungskräfte unter dem Betreff „Lebenswerk der unfähigen Führungskräfte“ wendet sie sich an ihre unmittelbare Führungskraft und wirft dieser in verschiedener Hinsicht Unfähigkeit vor. Damit wird die Führungskraft wieder in ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit herabgesetzt. Diese Herabsetzung wiederholt die Klägerin an anderer Stelle, wenn sie dort ausführt, ihre Führungskraft habe das Glück, ein Mann zu sein und seine Fähigkeiten reichten aus, Führungskraft zu sein. Die Ausführungen der Klägerin sind dabei ohne jede Ironie und genauso gemeint, wie sie niedergeschrieben wurden.
115
Im Übrigen finden sich in den E-Mails der Klägerin keine konkreten ehrenrührigen Behauptungen über andere Führungskräfte und Kollegen. Es bleibt bei allgemeinen Zustandsbeschreibungen der Verhältnisse, die nicht differenziert werden nach dem unmittelbaren Arbeitsumfeld und nach dem Unternehmen der Beklagten an sich. Die Klägerin bedient sich dabei des Stilmittels der Übertreibung. Die Beschreibungen sind wegen ihres maßlos übertreibenden Charakters zu beanstanden. Sie zeigen, dass der Klägerin schlicht das Maß verloren gegangen ist. Dies wird besonders deutlich bei dem in seiner Undifferenziertheit nicht nachvollziehbaren Vergleich, „dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste, wie ich“, den sie in der E-Mail vom 05. Februar 2009 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden zog. Die Klägerin erhebt in der E-Mail vom 30.03.2009 den Anspruch, von ihrer Mutter „eine hinlängliche Menge Anstand beigebracht“ bekommen zu haben. Ihre unsägliche Äußerung ist insoweit als Beleg wenig geeignet und ist in den Worten des BAG „eine ungehörige, geschmacklose und maßlos übertreibende Beschreibung“.
116
Ihre Äußerungen sind aber im Gesamtzusammenhang zu betrachten und abzuwägen. Dazu zählt auch ihre Motivationslage. Hier gilt es, auch die Vorgeschichte in den Blick zu nehmen. Die Klägerin begann ihre Tätigkeit bei der Beklagten als Einkäuferin mit einer Eingruppierung in die EG V nach den tariflichen Vorschriften der bayerischen Metall- und Elektroindustrie. In den folgenden Jahren entband sie von ihrem vierten Kind und versuchte nebenher noch ein MBA-Studium. Mit der ERA-Einführung wurde sie dann nach anfänglichen Schwierigkeiten in die EG 11 ERA-TV eingruppiert. Mit ihrem weiteren beruflichen Fortkommen war die Klägerin nicht zufrieden. Als Einkäuferin war sie nicht in Führungsverantwortung. Sie wähnte sich auf der Ebene des mittleren Managements bei der Beklagten ausweislich ihrer E-Mail an den strategischen Personalreferenten vom 12. September 2008. Sie sah keinen Zusammenhang zwischen ihrer Person und ihrem Verhalten und dem ungenügenden beruflichen Fortkommen, blieb aber in ihren Schreiben und E-Mails vom 28. Oktober 2002 bis zum 27. Februar 2007, soweit sie zur Akte gereicht wurden, im Ton sachlich und verbindlich. Dies änderte sich auch noch nicht mit der neuen Gruppenleitung und direkten Führungskraft ab Juli 2007. In den Schreiben vom 06. November 2007 an Abteilungsleitung und Sozialberatung wird der tiefgreifende Konflikt zwischen ihr und der neuen Führungskraft sehr deutlich, die Klägerin bleibt aber im Ton weiter sachlich und verbindlich. Sie kontrastiert angebliche Formulierungen der unmittelbaren Führungskraft wie „Schwanz, Arsch, Fick, Fuck, pissen, pinkeln“ etc. mit einer ausgewählt feinen Ausdrucksweise ihrerseits und spricht von fäkalen und abdominalen Ausdrücken seitens der Führungskraft. Nach der E-Mail der Führungskraft vom 15. Mai 2008 an siebenunddreißig Mitarbeiter der Abteilung mit einem Stöckelschuh als Ergebnis weiblicher Gedanken und dem von der Klägerin abgelehnten Angebot, im Rahmen einer sozialplanpflichtigen Maßnahme in eine beE zu wechseln und das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu beenden, ändert sich dies. Mit der E-Mail vom 12. September 2008 werden erstmals Parallelen der aktuellen Zustände mit der NS-Zeit gezogen mit dem „Witz aus der Zeit des Nationalsozialismus“. Die Klägerin beginnt hier mit Verallgemeinerungen und bezeichnet den Humor der Führungskraft als den „spezifisch deutschen Humor der S…AG“. Schließlich wird hier erstmals unverblümt die amerikanische Börsenaufsicht als Drohmittel eingesetzt.
117
Dies zeigt insgesamt in seinem Ablauf, dass sich die Klägerin in zunehmendem Maße in einer Situation wähnte, in der ihr nicht die aus ihrer Sicht gebotene Unterstützung seitens der höheren Führungsebenen der Beklagten zuteil wurde, egal wohin sie sich innerbetrieblich auch wandte. Diese Eskalation im Ton und auch in der innerbetrieblich angerufenen Hierarchieebene setzte sich fort. Mit E-Mail vom 21. September 2008 wandte sie sich erstmals an den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten mit ihrem Anliegen. Hier charakterisiert sie sich als „geschundene, verfolgte, verspottete und verhöhnte Mitarbeiterin“. Sie übersieht hier auch schon den Unterschied zwischen Indikativ und Konjunktiv, wenn sie Kenntnis erlangt haben will von „schimpflichen, strafwürdigen (Morddrohungen!) von S…“, einer „verbrecherischen Vorgeschichte“ zu einvernehmlichen Vertragsaufhebungen und ihr diese Aussage zu einer Behauptung feststehender Tatsachen gerät. Die Äußerungen der Klägerin sind in diesem Gesamtzusammenhang einer jahrelang als feindlich wahrgenommenen Arbeitsumwelt, in der ihr keine substantielle Unterstützung zuteil wurde, zu sehen.
118
Vor diesem Hintergrund stellt der Angriff der Klägerin auf die Ehre ihrer Führungskraft mit der Abqualifizierung als „unterbelichtet“ zwar einen Verstoß gegen das ihr obliegende Rücksichtnahmegebot des § 241 Abs. 2 BGB dar. Unter Berücksichtigung der breitflächig in der Abteilung seitens der Führungskraft verbreiteten E-Mail mit dem Stöckelschuh kann dieser Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot in Abwägung mit dem Recht der Klägerin auf freie Meinungsäußerung eine Kündigung nicht rechtfertigen. Vor dem dargestellten Hintergrund stellt auch die Qualifizierung der Führungskraft als „Frauen- und Ausländerhasser“ zwar einen Verstoß gegen das ihr obliegende Rücksichtnahmegebot des § 241 Abs. 2 BGB dar, kann aber ebenfalls eine Kündigung nicht rechtfertigen. Die nicht gerechtfertigte Übertreibung erkennt auch die Klägerin in ihrer E-Mail vom 16. April 2009, wenn sie dort selbstkritisch anmerkt, die Äußerung „unterbelichteter Frauen- und Ausländerhasser“ entspreche nicht ihrem Anspruch, was Stil und sprachliche Mittel angeht.
119
Zu ihren Gunsten ist aber zu berücksichtigen, dass der Ton der Führungskraft im Vorfeld untunlich bis beleidigend war. Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei am 16. Oktober 2007 gegen 09:00 Uhr im Großraumbüro der Abteilung Global Procurement als „Walross“ bezeichnet worden. Die Beklagte hat diese Äußerung bestritten, ist aber in diesem Zusammenhang der ihr nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG obliegenden Beweislast nicht nachgekommen. Der Beklagten war es unproblematisch möglich, im Hinblick auf das konkrete Vorbringen der Klägerin zu Zeit und Ort der Bemerkung den Gegenbeweis anzutreten. Dies hat sie nicht getan. Die Beweisfälligkeit geht zu Lasten der Beklagten.
120
Die Klägerin hat weiter vorgetragen, in dem als Konfliktlösungsgespräch angelegten Dreiergespräch zwischen dem Sozialberater, ihrer Führungskraft und ihr am 26. Oktober 2007 habe die Führungskraft geäußert, „Aus der Ecke wo Du herkommst, möchte ich nicht kommen und nichts damit zu tun haben. Ihr Araber seid alle gleich.“ Diese Bemerkung war inhaltlich schlicht falsch und für die Klägerin als Tochter einer Perserin und geboren in Afghanistan beleidigend und ehrenrührig. Es besteht seitens des Gerichtes kein Zweifel daran, dass die Bemerkung herabsetzend und verletzend gemeint war. Die Beklagte hat auch diese Äußerung bestritten, ist aber in diesem Zusammenhang der ihr nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG obliegenden Beweislast wieder nicht nachgekommen. Der Beklagten war es unproblematisch möglich, im Hinblick auf das konkrete Vorbringen der Klägerin zu Zeit und Ort des Vorfalles den Gegenbeweis anzutreten. Dies hat sie nicht getan. Die Beweisfälligkeit geht zu Lasten der Beklagten.
121
Die Klägerin hat schließlich vorgetragen, dass die Führungskraft in einem persönlichen Gespräch mit ihr am 29. Oktober 2007 gegen 10:00 Uhr sich wiederholt im Ton vergriff mit Äußerungen wie „Schwanz, Arsch, Fick, Fuck, pissen, pinkeln“. Die Beklagte hat auch diese Äußerung bestritten, ist aber in diesem Zusammenhang der ihr nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG obliegenden Beweislast wieder nicht nachgekommen. Der Beklagten war es auch hier unproblematisch möglich, im Hinblick auf das konkrete Vorbringen der Klägerin zu Zeit und Ort des Vorfalles den Gegenbeweis anzutreten. Dies hat sie nicht getan. Die Beweisfälligkeit geht zu Lasten der Beklagten.
122
Unter Berücksichtigung der seitens der Beklagten damit als zugestanden zu wertenden Äußerungen der Führungskraft und der Relativierung ihrer eigenen Beschreibung der Führungskraft durch sie selbst in der E-Mail vom 16. April 2009 stellt dies in Abwägung mit ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung jedenfalls keinen Kündigungsgrund dar, der die Kündigung ohne vorgängige Abmahnung und Wiederholung des abgemahnten Fehlverhaltens rechtfertigen könnte. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
123
Nichts anderes ergibt sich aus der Zusammenschau der Äußerungen der Klägerin. Mit dem Schreiben der Beklagten vom 03. April 2009 hat diese die Äußerungen der Klägerin beanstandet und eine Entschuldigung dafür bei den Betroffenen und die Rücknahme dieser Äußerungen verlangt. Des weiteren wurden arbeitsrechtliche Maßnahmen angekündigt für den Fall, dass derartige oder sinngemäß gleiche Äußerungen wiederholt werden oder nicht zurückgenommen werden. Mit der Antwort mit E-Mail vom 16. April 2009 hat die Klägerin daraufhin selbst zum Ausdruck gebracht, dass ihr der „unterbelichtete Frauen- und Ausländerhasser“ zu scharf geraten war. Sie hat ferner die geforderte Entschuldigung verweigert, aber auch nicht die unsäglichen Vergleiche mit den Verhältnissen im dritten Reich wiederholt.
124
(2) Zu den Rücksichtnahmepflichten der Klägerin zählt auch die Berücksichtigung des Ehrenschutzes ihres Arbeitgebers bei ihren Äußerungen. Auch juristische Personen des Zivilrechtes genießen in ihrer Rechtspersönlichkeit Ehrenschutz gegenüber Angriffen, durch die ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG beeinträchtigt wird, BGH, Urteil vom 03.02.2009 - VI ZR 36/07 -, Rn. 10, zitiert nach juris.
125
Die Klägerin hat wiederholt gegen diese Pflicht verstoßen.
126
Dies beginnt mit der E-Mail an den strategischen Personalreferenten vom 12. September 2008, mit dem die E-Mail der Führungskraft mit dem Stöckelschuh der Personalabteilung zur Kenntnis gebracht wird. Hier steht wiederholt nicht mehr die Auseinandersetzung mit Person und Verhalten der Führungskraft im Zentrum, sondern die Beklagte wird insgesamt undifferenziert und in unqualifizierter Form angegriffen. Hier wird anlasslos die Parallele der aktuellen Zustände bei der Beklagten mit der NS-Zeit gezogen mit dem „Witz aus der Zeit des Nationalsozialismus“. Dabei bezieht sie sich auf die Beklagte als Verantwortliche. Das kommt vier Absätze weiter klar zum Ausdruck, wenn sie meint, für das „jahrelange Leid“ und die „erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigungen“ von der „S… AG“ als bescheidener Mensch zur ausreichenden Kompensation „eine Kammer mit ein paar Gasflaschen“ zu bekommen, damit sie warm bleibe. Weiter unterstellt sie der Beklagten pauschal Frauen- und Ausländerfeindlichkeit und als Strategie zur Beseitigung, der „einzigen Frau mit Migrationshintergrund im mittleren Management den Stuhl vor die Tür“ zu setzen. Schließlich fasst sie dies zusammen unter dem „spezifisch deutschen Humor der S… AG“. In der zweiten E-Mail an den damaligen Vorstandsvorsitzenden setzen sich diese Äußerungen der Klägerin fort mit Opfern von „unmenschlichen Taten“, die „keine Rechte in der gerechten Welt der S… AG“ haben und mit dem bereits zitierten Judenvergleich. Diese Ausführungen mit ihren Assoziationen zum Umgang mit Bürgern jüdischen Glaubens im Dritten Reich sind ungeachtet ihrer Peinlichkeit für die Klägerin grundsätzlich geeignet, das öffentliche Ansehen der Beklagten nachhaltig zu beeinträchtigen. Sie sind möglicherweise auch geeignet, der Beklagten die geschäftliche Tätigkeit zu erschweren.
127
Die Klägerin kann in diesem Zusammenhang nicht die von ihr beanspruchte Vertraulichkeit des Wortes in Anspruch nehmen. Bei der E-Mail vom 12. September 2008 an den Personalreferenten hatte sie selbst noch weitere Personen ins „cc“ gesetzt und mit der Drohung einer Einschaltung der Frauenzeitschrift „Emma“ und der amerikanischen Börsenaufsicht versucht, Klärung und Abhilfe in Gang zu bringen, was ohne die Beteiligung weiterer Personen, insbesondere der angegriffenen Führungskräfte, schlecht denkbar ist. Gleiches gilt für die E-Mail an den damaligen Vorstandsvorsitzenden. Diese E-Mail war nur an diesen gerichtet. Auch hier schildert die Klägerin unter Nennung der Namen von Beteiligten Vorgänge, die notwendig der weiteren Aufklärung bedurften. Die Klägerin konnte dabei nicht ernsthaft davon ausgehen, dass der damalige Vorstandsvorsitzende diese Aufklärung selbst und inkognito durchführt.
128
Die ehrenrührigen Äußerungen der Klägerin über die Beklagte sind jedoch in dem bereits dargestellten Gesamtzusammenhang zu sehen. Die Klägerin empfand, dass ihr Arbeitsumfeld über die Jahre ihr gegenüber zunehmend feindlich eingestellt war. Sie empfand auch eine zunehmende Aussichtslosigkeit ihrer Situation, nachdem sie aus ihrer Sicht keine substantielle Unterstützung in der von ihr erwarteten Geschwindigkeit erfuhr. Sie befand sich in einer aus ihrer Sicht seit Jahren ausweglosen Situation. Das gebotene Maß an Selbstreflektion ging ihr verloren, als sie die E-Mail mit dem Stöckelschuh auf sich bezog. In deren Folge begann sie, am späten Abend die kündigungsgegenständlichen E-Mails (12.09.2008: 20:51 Uhr; 21.09.2008: 20:17 Uhr; 05.02.2009: 22:28 Uhr; 30.03.2009: 22:23 Uhr) loszuschicken. Ferner ist zu sehen, dass die Beklagte ein großes und internationales Unternehmen ist, dem besonderes öffentliches Interesse zuteil wird und das schon wiederholt mit zweifelhaften Geschäftspraktiken im internationalen Geschäftsverkehr aufgefallen ist. Vor diesem Hintergrund können die ehrenrührigen Äußerungen der Klägerin in Abwägung mit ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung die Kündigung nicht rechtfertigen ohne vorgängige Abmahnung und Wiederholung ihres Fehlverhaltens.
129
c) Die widerrechtliche und vorsätzliche Drohung mit einem empfindlichen Übel, um eigene streitige Forderungen durchzusetzen, kann im Einzelfall ein Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB sein, der die ordentliche Kündigung oder sogar die außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Unerheblich ist dabei, ob das Verhalten des Arbeitnehmers sich im strafrechtlichen Sinne als Nötigung nach § 240 StGB erweist, BAG, Urteil vom 08.05.2014 - 2 AZR 249/13 -, Rn. 20, zitiert nach juris und für den vorliegenden Fall BAG, Urteil vom 19.11.2015 - 2 AZR 217/15 -, Rn. 36. Entscheidend ist nur, ob dem Arbeitgeber die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer noch zumutbar ist.
130
d) Hier liegt eine derartige widerrechtliche Drohung mit einem empfindlichen Übel vor.
131
i. Die Klägerin wandte sich mit E-Mail vom 12. September 2008 an den strategischen Personalreferenten und teilte dort unter Bezugnahme auf ihre vorherigen Aussagen zu Frauen- und Ausländerfeindlichkeit bei der Beklagten mit:
„Sehr geehrter Herr Dr. Seg…, ist das nicht ein Skandal? Ein Skandal, der lebhaft nach Gerechtigkeit schreit, und den man offensichtlich über „Emma“, oder die internationale Presse der Öffentlichkeit zugänglich machen muss. Da darf Herr Dr.L… sich dann doch um die verlassenen, verratenen, verkauften und verhöhnten Frauen in seinem Unternehmen kümmern. Und dann wird er erfahren, wie sehr die Damen und Herren - nicht nur Herren - der Amerikanischen Börsenaufsicht, den spezifisch deutschen Humor der S… AG abzuwägen und zu würdigen wissen werden. …“
132
ii. Wenige Tage später wandte sie sich mit E-Mail vom 21. September 2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten und teilte diesem eingangs mit:
„Ich weiß sehr wohl, dass üblicherweise der Instanzenweg eingehalten werden muss; ein segnungsvolles Instrument, auf welches wir in Deutschland - hier als Subsidiaritätsprinzip bekannt - nicht wenig stolz sind.“
133
Nach Hinweis auf gegen ihre Person geführte „Guerilla-Aktionen“ fährt sie dann fort:
„Gerade deshalb wende ich mich also an Sie, verehrter Herr Dr.L…, weil ich es als unfair erachten müsste, wenn Sie über die gegebenen Probleme direkt aus den amerikanische Presse, oder etwa aus der Oprah-Winfrey-Show informiert werden würden, obwohl doch die Entfernung zwischen N… und M… erheblich kürzer ist, als diejenige zwischen N… und welchem Ort auch immer in den USA.“
134
Gegen Ende des Schreibens führt die Klägerin noch aus:
„Angesichts des siebenjährigen Martyriums, das ich erlitten habe, bin ich keinen einzigen Tag länger bereit, zuzusehen und Stillschweigen zu wahren. Zu Loyalität und Geheimhaltung gegenüber S(…) AG bin ich nämlich nur so lange verpflichtet, als dieselbe S(…) AG ihre Schutzpflicht gegenüber mir wahrnimmt.“
135
iii. In der E-Mail vom 05. Februar 2009 schließlich findet sich die Bemerkung,
„dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste, wie ich; und das ist mein Erleben und Empfinden, und kein Gesetz der Welt kann mir verbieten, darüber zu berichten.“
136
iv. In diesen Äußerungen liegt in Teilen eine Drohung.
137
Mit der E-Mail vom 12. September 2008 bringt die Klägerin die E-Mail ihrer Führungskraft mit dem Stöckelschuh zur Kenntnis des damaligen strategischen Personalreferenten. Im Ton passt sich die Klägerin in ihren Ausführungen an das Niveau dieser E-Mail in deren zutreffend erkannter Geschmacklosigkeit an. Unmittelbar nach diesem Qualitätsurteil leitet die Klägerin zu dem Witz aus der Zeit des Nationalsozialismus über und stellt damit ein vergleichbares Peinlichkeitsniveau her. Zynismus und das Thema des Scherzes begleiten den weiteren Text der Klägerin. So werde ein Missbrauch des Direktionsrechtes seitens der Führungskraft durch dessen Führungskraft und Abteilungsleiter humorig heruntergespielt. Der Scherz auf ihre Kosten sei eine einseitige Angelegenheit. Daran schließt sich die zynische Bemerkung an, als Entschädigung für jahrelanges Leid würde ihr eine Kammer mit ein paar Gasflaschen genügen. Hier spielt die Klägerin wieder verbal mit Assoziationen zum Massenmord an jüdischen Bürgern, wenn sie dann auch noch fortfährt, dass sie damit für den Rest ihres Lebens warm bleibe. In diesem Ton fährt die Klägerin fort bis zur Bezugnahme auf die Zeitschrift „Emma“ und die amerikanische Börsenaufsicht. Dies spricht im Gesamtzusammenhang dafür, dass es der Klägerin hier vorrangig nur um einen verletzenden und zynischen Brief ging, der auch provozieren sollte. Sie spricht auch ganz allgemein von der Öffentlichkeit und der internationalen Presse. Allerdings stehen hinter dem Hinweis auf „Emma“ und die amerikanische Börsenaufsicht schon ernsthafte Überlegungen der Klägerin, wo sie die Beklagte empfindlich treffen könnte. Die Zeitschrift „Emma“ ist von ihrem programmatischen Charakter her als feministische Zeitschrift bekannt und damit geeignetes Forum, Frauenfeindlichkeit aufzugreifen und anzuprangern. Auch die Bezugnahme auf die amerikanische Börsenaufsicht spricht für eine gewisse Ernsthaftigkeit ihrer Drohung, nachdem die Beklagte in dieser Zeit nicht unerhebliche Probleme mit genau dieser amerikanischen Behörde hatte wegen verschiedener Geschäftspraktiken und dies allgemein bekannt war. Die Beklagte stand hier bereits unter erhöhter Beobachtung der Medien und der Öffentlichkeit und wollte Weiterungen bei der Börsenaufsicht wie auch in der Öffentlichkeit sicher vermeiden. Dies zeigt, dass sich die Klägerin zu diesem Zeitpunkt bereits Gedanken gemacht hatte zu der Frage, wo sie die Beklagte an einer aktuell empfindlichen Stelle treffen könnte und probiert dies mit der Adressierung an einen strategischen Personalreferenten aus.
138
Die weitere E-Mail vom 21. September 2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden stellt sich als Eskalation dar. Die Klägerin ist ernsthaft in der Darstellung ihrer Person als „Frau mit Migrationshintergrund, intellektuelle Frau mit internationalem Profil, Hochschulabschluss, internationaler Arbeitserfahrung, interkultureller Erfahrung“. Ihre Intellektualität unterstreicht sie mit Wortwahl und gedanklicher Verknüpfung und führt aus, dass ihr der üblicherweise einzuhaltende Instanzenweg bekannt sei, „ein segnungsvolles Instrument, auf welches wir in Deutschland - hier als Subsidiaritätsprinzip bekannt - nicht wenig stolz sind.“ Sie sieht sich in den weiteren Ausführungen in der Situation der „geschundenen, verfolgten, verspotteten und verhöhnten Mitarbeiterin“, die keine Hilfe oder Unterstützung erfährt. An die Stelle des Tatsachenvortrages tritt hier die wertende und maßlose Übertreibung. Konkrete Sachverhaltsdarstellung vermeidet sie konsequent und ausdrücklich unter Hinweis auf die Position des Adressaten und dessen Möglichkeiten, sich die entsprechenden Informationen vorlegen zu lassen. Daran schließt sich die aus dem Schreiben an den strategischen Personalreferenten schon bekannte verdeckte Drohung an. Die zwischenzeitlichen Überlegungen der Klägerin, wo sie die Beklagte treffen kann, haben zu anderen Anlaufstellen geführt. Nunmehr ist es nicht mehr „Emma“, die internationale Presse oder die amerikanische Börsenaufsicht, sondern die amerikanische Presse und die Oprah-Winfrey-Show. Damit will sie im Ergebnis eine Beschäftigung des Vorstandsvorsitzenden mit ihrem Anliegen erzwingen. Der nächste Absatz ihres Schreibens zeigt, dass sie die Angelegenheit durchdacht hat und es ihr mit ihrer Drohung auch ernst ist. Dort gibt sie zu erkennen, dass ihr der üblicherweise einzuschlagende Weg, der „noch nicht ganz ausgeschöpfte Instanzenweg“ bekannt ist, sie aber nicht mehr warten kann. Nach weiteren Ausführungen zum Umgang mit ihr kommt ihre Sorge vor dem Verlust des Arbeitsplatzes zum Ausdruck und sie verlangt ultimativ die Bearbeitung ihres Falles. Diese Aufforderung verbindet sie wieder mit einer verklausulierten Ankündigung des Weges in die Öffentlichkeit mit der Formulierung, nur solange zu Loyalität und Geheimhaltung verpflichtet zu sein, als auch die Schutzpflichten eines Arbeitgebers ihr gegenüber wahrgenommen werden.
139
Die Klägerin trägt vor, der Charakter einer ernsthaften Drohung liege mit diesen Äußerungen schon deshalb nicht vor, weil sie in diesem Zusammenhang keinen Konditionalsatz gebildet habe. Dem folgt das Gericht nicht. Die Klägerin zeichnet eine hohe Sprachfertigkeit und ein Hang zur Ausführlichkeit aus. Ihr Stil ist nicht die kurz gehaltene und plumpe Direktheit. Dies kommt auch in ihrer Drohung zum Ausdruck. Die Klägerin kündigt gerade nicht an, dass sie sich an die Öffentlichkeit wendet, sondern versteckt dies in dem örtlichen Bezug auf N… mit dem Vergleich, dass die Entfernung zwischen N… und M… kürzer sei als zwischen N… und welchem Ort auch immer in Amerika. Zur Bezugnahme auf die amerikanische Börsenaufsicht und zu dem sich daraus ergebenden Indizcharakter für die Ernsthaftigkeit der Drohung wurde schon ausgeführt. Gleiches gilt für die Bezugnahme auf die Oprah-Winfrey-Show. Dabei handelt es sich nach dem Eintrag bei Wikipedia um die bei weitem erfolgreichste Talkshow in der Geschichte des amerikanischen Fernsehens mit der enormen Reichweite von täglich bis zu 20 Millionen Zuschauern, die vom 08. September 1986 bis zum 25. Mai 2011 ausgestrahlt wurde. Die Klägerin sprach damit gezielt ein Format an, das maximale Reichweite in der Öffentlichkeit in Amerika versprach. Schließlich hat die Klägerin ihre Drohungen auch nicht nur an irgendeiner einer Stelle im Unternehmen platziert, sondern neben dem Vorstandsvorsitzenden über den Verteiler noch zwei weitere Führungskräfte in Kenntnis gesetzt. Die Klägerin strebte damit an, eine Lösung der Situation in ihrem Sinne zu befördern und zu beschleunigen. Zu diesem Zweck drohte sie der Beklagten eine Öffentlichkeitskampagne in einem für die wirtschaftliche Betätigung der Beklagten wichtigen Land an, in dem die Beklagte bereits Ermittlungen durch die dortige Börsenaufsicht unterlag mit erheblichen finanziellen Risiken für die Beklagte.
140
Dabei war das erklärte Ziel der angedrohten Öffentlichkeitskampagne, einen aus Sicht der Klägerin problematischen Umgang einzelner Führungskräfte bei der Beklagten mit Frauen und Ausländern in der amerikanischen Öffentlichkeit darzustellen. Dieses Ansinnen war bei Erfolg grundsätzlich geeignet, Ansehen und Ruf der Beklagten international zu beschädigen. Die Drohung der Klägerin war auch ernst zu nehmen vor dem Hintergrund einer Medienlandschaft, die seit vielen Jahren zunehmend von der Skandalisierung lebt. Dies unterscheidet auch diese Drohung von der im weiteren Verlauf des Schreibens getätigten Aussage, solange werde sie nicht warten. Diese Bemerkung steht im Zusammenhang mit der vorher geäußerten Sorge der Klägerin, sie solle aus dem Unternehmen gedrängt werden. Eine - wie die Beklagte meint - Wiederholung der Drohung, die Klägerin werde sich an die amerikanische Öffentlichkeit wenden, kann das Gericht hier nicht erkennen. Auch der nächste Absatz zeigt, dass es hier nicht um eine konkrete Drohung geht. Dort unterläuft der Klägerin ein für ihre Verhältnisse seltener grammatikalischer Fehler, wenn sie schreibt, sie könne „die Menschen“ „keine Sekunde länger zusehen“. Das lässt an einer ernsthaften Reflektion und Intention des Geschriebenen wie auch des vorherigen Satzes zweifeln. Bestätigt wird dies durch die fehlende Logik der Äußerung. Wenn die Klägerin nach ihrer Auffassung keine Sekunde länger zusehen kann, dann müsste sie, wollte sie sich an die amerikanische Öffentlichkeit wenden, sofort handeln.
141
Die Klägerin macht geltend, dass es abwegig sei, die Ernsthaftigkeit ihrer Drohung anzunehmen, sie habe nur „dicke Ärm“ gemacht, aber doch genau gewusst, dass sich Größen wie Oprah Winfrey für diese - aus US-Sicht betrachtet - Nichtigkeiten nicht interessieren würden“. Dieses Vorbringen entlastet die Klägerin aus Sicht des Gerichtes nicht. Eine erhebliche Pflichtverletzung in Gestalt einer ernstlichen Drohung liegt vor, wenn die Äußerung nach ihrem sorgfältig zu ermittelnden Erklärungsgehalt objektiv geeignet ist, bei einem „normal“ empfindenden Menschen den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken, und der Wille des Drohenden darauf gerichtet ist, dass der Adressat die Drohung ernst nimmt. Nicht entscheidend ist, ob der Drohende seine Ankündigung verwirklichen kann oder will. Ebenso wenig kommt es grundsätzlich darauf an, ob der Adressat sie tatsächlich ernst nimmt, und ob eine Störung des Rechtsfriedens eintritt, BAG, Urteil vom 29.06.2017 - 2 AZR 47/16 -, Rn. 27, zitiert nach juris. Der Hinweis auf die amerikanische Börsenaufsicht und die Oprah-Winfrey-Show war im gesamten Kontext geeignet, als Drohung ernst genommen zu werden.
142
In der E-Mail vom 05. Februar 2009 verliert die Klägerin streckenweise den Realitätsbezug. Sie schmeichelt sich, mit ihrer E-Mail vom 21. September 2008 „ein klein bisschen Anstoß“ zur Ernennung einer Frau zum Mitglied des Vorstandes bei der Beklagten gegeben zu haben. Sie wähnt sich in der Situation eines Opfers, das mit seinem Täter „in eine Zelle“ gesetzt wird, bis „die beiden sich zu Tode zerreißen“. Dies gipfelt in dem Vergleich ihrer seelischen Qualen mit denen jüdischer Mitbürger. Daran schließt sich die Bemerkung an, dies sei ihr „Erleben und Empfinden, und kein Gesetz der Welt“ könne ihr verbieten, darüber zu berichten. Dies ist keine Drohung, sondern eine Übertreibung und Überspitzung, wie sie es möglicherweise als Kind in dem Kulturkreis, in dem sie aufgewachsen ist, schon erlernt hat oder als Stilmittel im Rahmen ihrer akademischen Ausbildung in Literaturwissenschaften an der Universität Kabul oder praktischen Erfahrung als Fernsehjournalistin in Kabul. Erkennbar wird das an dem unmittelbar nachfolgenden Satz. Dort behauptet sie in ebenfalls maßloser Übertreibung, in keinem Land der Welt und in keinem Unternehmen der Welt so viele Intrigen erlebt zu haben wie bei der Beklagten. Entsprechend weitläufige und weltumspannende Erfahrungen ergeben sich jedoch weder aus ihrem Lebenslauf noch aus dem übrigen Akteninhalt.
143
v. Die Drohungen in den E-Mails vom 12. September 2008 und vom 21. September 2008 waren widerrechtlich auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch Presseveröffentlichungen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen. Der Klägerin war zuzumuten, dass sie mit solchen Schritten über die Unternehmensgrenze hinaus noch zuwartet, bis die bereits erwähnten Klärungsprozesse über Sozialberatung, Compliance-Abteilung und Personalabteilung abgeschlossen sind oder sich als ineffektiv erweisen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies im Zeitpunkt ihrer ersten Drohung mit der E-Mail vom 12. September 2008 schon der Fall gewesen wäre. Dies war ihr auch durchaus bewusst, wenn sie in der E-Mail vom 21.09.2008 anmerkt, dass ihr der Instanzenweg bewusst und dieser noch nicht ausgeschöpft ist. Der innerbetrieblichen Konfliktlösung gebührte zu diesem Zeitpunkt noch der Vorrang, vergleiche BAG, Urteil vom 03.07.2003 - 2 AZR 235/02 -, Rn. 41 f, zitiert nach juris. Im Übrigen nimmt das Berufungsgericht zur Wertung des klägerischen Verhaltens als widerrechtlich Bezug auf die Ausführungen des BAG, Urteil vom 05.12.2019 - 2 AZR 240/19 -, Rn. 83 f, zitiert nach juris, und schließt sich diesen nach eigener Prüfung an.
144
vi. Die widerrechtlichen Drohungen erfolgten auch schuldhaft. Die Klägerin hat diese Drohungen bewusst formuliert. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sie sich in einem Zustand der Schuldunfähigkeit oder der eingeschränkten Schuldfähigkeit befunden hätte.
145
Die Klägerin trägt in diesem Zusammenhang mit Schriftsatz vom 07. September 2009 vor, ihr gesundheitlicher Zustand habe sich jeden Tag verschlechtert. Sie hätte wegen Magengeschwüren Medikamente einnehmen müssen und habe lange unter Medikamenteneinfluss gestanden. Mit Schriftsatz vom 07. Januar 2010 trägt sie vor, sie habe unter massiven gesundheitlichen Schäden gelitten und sei in ständiger ärztlicher Behandlung wegen psychischer und physischer Leiden. Dabei handele es sich um schwere Angstzustände und schwere Depression. Schließlich läge auch eine posttraumatische Verbitterungsstörung vor.
146
Das BAG, Urteil vom 05. Dezember 2019, hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass dieser Vortrag bei der Urteilsfindung gegebenenfalls noch zu berücksichtigen sei und seitens des Gerichtes klarzustellen sei, ob der Sachvortrag hinreichend substantiiert sei.
147
Mit Schriftsatz vom 02. Juli 2021 macht sie in erheblichem zeitlichen Abstand eine aus Opiateinfluss folgende Schuldunfähigkeit geltend, verweist auf das ärztliche Attest ihrer behandelnden Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 21. September 2009 und beantragt entsprechenden Sachverständigenbeweis. In dem genannten Arztbrief ist von einer Medikation für die Klägerin nicht die Rede.
148
Mit Beschluss des Gerichtes vom 08. Oktober 2021 wird die Klägerin auf die Problematik fehlenden substantiierten Vortrages dazu hingewiesen.
149
Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2022 trägt sie noch vor, sie habe unter massiven gesundheitlichen Einschränkungen gelitten, ihr Gesundheitszustand habe sich in Schüben immer weiter verschlechtert und sie habe letztlich Opium-Derivate zur Schmerzstillung und zur Sedierung eingenommen. An anderer Stelle führt sie im genannten Schriftsatz aus, sie habe die von der Beklagten beanstandeten E-Mails in der Zeit von April 2008 bis zum 16.04.2009 unter massiver gesundheitlicher Beeinträchtigung und sogar Einfluss von Medikamenten, wie Beruhigungs- und Sedierungsmittel, Schlafmittel geschrieben. Sie trägt an anderer Stelle auch vor, sie habe die Opium-Derivate auf Anraten des Arztes eingenommen, „damit sie wenig Widerstand leistet und ihr Arbeitsumfeld hinnimmt“.
150
Das Gericht kann diesem Vorbringen nicht entnehmen, welche konkrete Diagnose durch welchen Arzt gestellt wurde und für welchen genauen Zeitraum welche Medikamente verschrieben wurden. Das Gericht hat die Klägerin dazu in der mündlichen Verhandlung vom 08. März 2022 persönlich befragt. Danach habe ihr gesundheitliches Problem in Schlafstörungen ab dem 2. Halbjahr 2008 gelegen. Den Vorschlag ihres Hausarztes im Januar 2009, Psychopharmaka zu nehmen, habe sie abgelehnt. Sie habe nur ein Schlafmittel akzeptiert, mit dem sie wieder habe schlafen können. Nachdem es ihr mit diesem Schlafmittel nicht gut gegangen sei, habe sie es im März/April des Jahres wieder abgesetzt.
151
Das Vorbringen der Klägerin ist in sich widersprüchlich. Sie hat in zeitlicher Hinsicht widersprüchlich Medikamente genommen einmal von April 2008 an und einmal erst ab Januar 2009. Die schuldausschließenden Medikamente hat sie wiederum widersprüchlich genommen einmal zur Ruhigstellung, einmal gegen Schlaflosigkeit und einmal gegen Schmerzen. Im schriftlichen Vortrag wird ein Zusammenhang zwischen der Behandlung durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und der Medikamenteneinnahme hergestellt. In den Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung wird auf den Hausarzt abgestellt.
152
Das Vorbringen enthält auch keine ausreichenden konkreten Anknüpfungstatsachen, von denen auf die behauptete eingeschränkte oder ausgeschlossene Schuldfähigkeit geschlossen werden könnte. Ein Medikament wirkt nicht deshalb schuldausschließend und schuldmindernd, weil es Opioide und damit morphinartig wirkende Substanzen enthält. Dies ist eine Frage des jeweiligen Opioids und der jeweiligen Dosierung. Zum eingesetzten Medikament und damit auch Opiod äußert sich die Klägerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht. Es ist für das Gericht auch nicht ersichtlich, warum eine medikamentöse Ruhigstellung, die die Arbeitsfähigkeit der Klägerin nicht aufhob, geeignet gewesen sein könnte, ihre Schuldfähigkeit aufzuheben oder einzuschränken.
153
Das Gericht kann dem Vorbringen der Klägerin auch nichts dafür entnehmen, dass sie das verschriebene Schlafmittel vor dem Verfassen und Absenden der streitgegenständlichen E-Mails eingenommen und ihre Verantwortlichkeit nur zu bestimmten Tageszeiten eingeschränkt gewesen wäre.
154
Die Darlegungslast der Beklagten dazu und die Beweislast der Beklagten zu einem Verschulden der Klägerin nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG ist mit diesem widersprüchlichen und unkonkreten Vorbringen nicht ausgelöst.
155
Soweit nur auf das Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 08. März 2022 abgestellt wird und man darin eine hinreichende Konkretisierung zu ihrem Vorbringen zur schuldausschließenden Medikamenteneinnahme sehen wollte, wäre dieses Vorbringen verspätet. Mit Beschluss des Gerichtes vom 08. Oktober 2021 wurde die Klägerin auf die Problematik fehlenden substantiierten Vortrages dazu hingewiesen unter Gewährung einer Frist zur Äußerung bis 28. Oktober 2021. Die Frist wurde auf Antrag der Klägerin wiederholt verlängert bis 17. Februar 2022. Eine weitergehende und konkretisierende Darstellung erfolgte weder mit Schriftsatz vom 15. Februar 2022 noch mit Schriftsatz vom 06. März 2022. Erst mit den Erläuterungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gelangte eine konsistente Darstellung zur Kenntnis des Gerichtes. Diese war verspätet und nicht mehr zuzulassen nach § 67 Abs. 3 Satz 2 ArbGG. Der Vortrag erfolgte außerhalb gesetzter Fristen und hätte bei Berücksichtigung zu einer weiteren Verzögerung des Verfahrens geführt mit notwendiger Fristsetzung für die Beklagte zur Stellungnahme und gegebenenfalls neuem Termin zur Beweisaufnahme. Ein sachgerechter Vortrag zur Medikation mit welchem Medikament durch den Hausarzt wegen der Diagnose Schlaflosigkeit für den Zeitraum von Januar bis März 2009 war fristgerecht möglich.
156
Davon abgesehen ist die Einnahme von Medikamenten als Einschlafhilfe ab Januar 2009 von vorneherein ungeeignet, eine eingeschränkte Verantwortlichkeit der Klägerin für ihre E-Mails vom September 2008 zu begründen.
157
e) Die Drohungen waren auch Gegenstand der Anhörung des Betriebsrates. Die E-Mails der Klägerin vom 12. und 21. September 2008 befanden sich als von der Klägerin zusammengestellte Chronologie der Ereignisse in der Anlage 2b zur Betriebsratsanhörung, dort Seite 19 f und Seite 22 f. Die E-Mail der Klägerin vom 05. Februar 2009 wurde als Anlage 2c der Anhörung beigefügt.
158
f) Die Kündigung wahrt aber nicht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Drohungen der Klägerin stellen einen an sich geeigneten Grund für eine Kündigung dar. Liegt ein an sich zur Kündigung berechtigender Grund vor, hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.
159
i. Die Kündigung kommt dabei nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber geeignete und für den Arbeitnehmer mildere Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Die Kündigung scheidet deshalb aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer Kündigung verfolgten Zweck zu erreichen. Dieser Zweck ist nicht Sanktion für vergangenes Fehlverhalten, sondern Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer. Der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere hinsichtlich einer möglichen Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Je höher er ist, desto größer ist diese. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die ordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist, BAG, Urteil vom 20.05.2021 - 2 AZR 596/20 -, Rn. 27, zitiert nach juris.
160
ii. Hier war eine Abmahnung nach diesen Grundsätzen nicht entbehrlich.
161
Die Pflichtverletzung der Klägerin war nicht nur von unerheblichem Gewicht. Ihre Auswirkungen waren aber beschränkt. Die Drohungen der Klägerin hatten den innerbetrieblichen Bereich nicht verlassen, als die Beklagte sie mit Schreiben vom 03. April 2009 darauf aufmerksam machte, dass sie aus deren Sicht mit ihren Äußerungen den Bereich der freien Meinungsäußerung und des Beschwerderechtes verlassen hatte.
162
Hinsichtlich des Verschuldens ist davon auszugehen, dass der Klägerin ihre provokante Ausdrucksweise durchaus bewusst war, sie aber davon ausging, auf den verfehlten Sprachgebrauch ihrer Führungskraft mit ebenso verfehltem Sprachgebrauch antworten zu dürfen. Dabei fehlte ihr das Unterscheidungsvermögen zwischen ihrer unmittelbaren Führungskraft und den übrigen Mitarbeitern der Beklagten. Die verbalen Entgleisungen der unmittelbaren Führungskraft lassen die Äußerungen der Klägerin in milderem Licht erscheinen. Darüber hinaus war die Klägerin nach dem Attest der behandelnden Fachärztin vom 21. September 2009 zu dieser Zeit auch gesundheitlich stark angeschlagen.
163
Es war auch nicht ex ante erkennbar, dass die Klägerin nicht zu einer Deeskalation in der Ausdrucksweise bereit gewesen wäre nach einer Abmahnung. Zu dem Schreiben der Beklagten vom 03. April 2009 mit der Forderung nach einer Entschuldigung hatte sie Stellung genommen mit der E-Mail vom 09. April 2009 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten. Im Anschluss an die Erklärung, warum sie sich wieder an den Vorstandsvorsitzenden wendet, setzt sie sich mit der Aufforderung zur Entschuldigung auseinander und verwahrt sich dagegen. Soweit in diesem Zusammenhang entschuldigend geltend gemacht wird, dass Zitate nicht justitiabel seien, weil ja klar sei, „dass nicht der Zitierende, sondern der Zitierte spricht“, wird hier gedanklich zu kurz gesprungen. Ob der Zitierende sich das Zitat zu eigen macht oder nicht und welchen Zweck der Zitierende damit verfolgt, erschließt sich erst aus dem Kontext, in den der Zitierende das Zitat stellt. Diesen Kontext stellt die Klägerin in ihren E-Mails hinreichend klar. Insgesamt zeigt das Schreiben jedoch, dass die Klägerin bereit ist, sich mit den Beanstandungen der Beklagten auseinanderzusetzen und die eigene Position dazu zu überdenken. In der genannten E-Mail gesteht sie auch zu, dass sie mit der Begrifflichkeit des „unterbelichteten Frauen- und Ausländerhassers“ über das Ziel hinausgeschossen ist, wenn sie formuliert, auch für ihren Geschmack sei „der Ausdruck ein wenig scharf geraten“. Sie erläutert auch die Anlässe seitens der Führungskraft, die sie zu dieser Ausdrucksweise veranlasst haben. Sie bedauert dies auch, wenn sie fortfährt, dass sie sich aufgrund ihrer „klassischen Erziehung“ dafür schämt, „dass ich Gleiches mit Gleichem vergolten habe“. Sie schränkt ferner den Adressatenkreis dieser Bemerkung ein auf ihre unmittelbare Führungskraft und verwahrt sich ausführlich dagegen, den Abteilungsleiter als Rassisten bezeichnet zu haben und erklärt zu dessen Person, sie könne behaupten, „er sei bestimmt kein Rassist“. Dann bringt sie zum Ausdruck, dass das Schreiben der Beklagten vom 03. April 2009 nur zeige, „wie man lediglich verzweifelt nach irgendwelchen entlegenen Angriffspunkten sucht, die man zum Zwecke der Einschüchterung verwenden will“. Darin zeigt sich, dass der Klägerin gar nicht klar war, dass sie mit den beanstandeten Äußerungen bereits einen Tatbestand verwirklicht haben könnte, der geeignet wäre, eine Kündigung an sich zu rechtfertigen.
164
Zu dem genannten Schreiben vom 03. April 2009 hatte sie dann auch fristgerecht Stellung genommen mit E-Mail vom 16. April 2009 an den Personalreferenten. Hier wiederholt sie im Wege des „copy and pace“ einen großen Teil der Ausführungen gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden in der E-Mail vom 09. April 2009.
165
In beiden Schreiben droht sie auch nicht wieder mit dem Gang an die Weltöffentlichkeit.
166
iii. Geht man zugunsten der Beklagten davon aus, die Beharrlichkeit der Klägerin in ihrer verbalen Gewalt in den E-Mails vom 12. September 2008 bis 16. April 2009 und den dort platzierten Drohungen belege hinreichend, dass von der Klägerin eine Verhaltensänderung nicht zu erwarten und eine Abmahnung vor dem Ausspruch einer Kündigung deshalb entbehrlich sei, so gilt:
167
Die Kündigung der Klägerin ist auch nach Abwägung der Interessen der Klägerin am Fortbestand gegenüber den Interessen der Beklagten an dessen Beendigung nicht gerechtfertigt. Unter Berücksichtigung der relevanten Umstände des Falles ergibt sich als Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung, dass der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus zumutbar war.
168
Der Beklagten ist kein Schaden entstanden. Die Gefährdung ihrer Reputation im internationalen Geschäftsverkehr hat sie im Verfahren wiederholt behauptet, aber nicht näher konkretisiert. Das BAG, Urteil vom 05.12.2019 - 2 AZR 240/19 -, Rn. 114, zitiert nach juris, hat zu den erforderlichen Gesichtspunkten einer Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen der Interessenabwägung hingewiesen. Es hat insbesondere darauf hingewiesen, dass keine Feststellungen des Berufungsgerichtes vorliegen, ob die Beklagte aufgrund ihrer internationalen Tätigkeit schwerwiegende Reputationsverluste befürchten musste, für wie ernsthaft sie die Drohungen der Klägerin halten musste, welche erwartbaren Auswirkungen eine etwaige Information der USamerikanischen Medienöffentlichkeit durch die Klägerin gehabt hätte bzw. welche gangbaren Möglichkeiten der Beklagten zur Verfügung gestanden hätten, ihre Interessen in diesem Zusammenhang zu wahren. Die Beklagte hat im Nachgang zu diesem Urteil nur mit Schriftsatz vom 05. März 2021 darauf hingewiesen, dass die Klägerin mit den Hinweisen auf Emma, internationale Presse und amerikanische Börsenaufsicht bezweckte, bei der Beklagten eine besondere Sorge und Handlungsbereitschaft hervorzurufen. Richtig ist, dass eine negative Berichterstattung über Rassismus und Frauenfeindlichkeit in einem weltweit tätigen Unternehmen dessen Ruf gefährden kann. Das Vorbringen der Beklagten entbehrt jedoch hinreichender Konkretisierung zu drohenden Gefährdungen des Rufes der Beklagten auf den Weltmärkten, insbesondere dem Heimatmarkt in Deutschland und dem Markt in Amerika. Es ist weder ein konkreter Schaden an Rechtsgütern bei der Beklagten ersichtlich geworden noch eine konkrete Gefährdung von Rechtsgütern der Beklagten durch die Drohungen der Klägerin.
169
Zugunsten der Beklagten konnte dagegen berücksichtigt werden, dass die Klägerin bei ihren Drohungen wie auch bei ihren grenzwertigen Meinungsäußerungen bewusst, also vorsätzlich, handelte. Der Grad des Verschuldens der Klägerin an den wiederholten verbalen Entgleisungen relativiert sich jedoch angesichts der verbalen Entgleisungen ihrer unmittelbaren Führungskraft und deren E-Mail zu den Gedanken einer Frau. Vor diesem Hintergrund überwiegt das Bestandsinteresse der Klägerin. Das Gericht wertet hierbei zu Gunsten der Klägerin auch ihre Unterhaltspflichten gegenüber den drei Kindern und dem Ehemann. Hier berücksichtigt das Gericht auch, dass die Klägerin unbestritten bis zur streitgegenständlichen Kündigung die Hauptverdienerin der Familie war. Ihre Betriebszugehörigkeit von siebeneinhalb Jahren und ihr Lebensalter von Mitte 40 waren nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Die Betriebszugehörigkeit ist nicht als lang zu werten. Mit Mitte 40 hatte die Klägerin auch gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt bei ihrer Qualifikation. Dies ergibt sich auch aus ihrem Lebenslauf, der bis zur Anstellung bei der Beklagten keine größeren Lücken in ihrer Erwerbsbiographie zeigt.
170
Zu ihren Gunsten war auch zu berücksichtigen, dass sie Anlass zu der Annahme hatte, als Frau und gebürtige Afghanin eine weniger günstige Behandlung durch ihre Führungskraft zu erfahren als andere Mitarbeiter in der Abteilung. Nach Aktenlage ist hier insbesondere die E-Mail der Führungskraft der Klägerin mit den Gedanken einer Frau an alle Mitarbeiter beiderlei Geschlechts in der Abteilung zu erwähnen.
171
III. Das Arbeitsverhältnis der Parteien war auf Antrag der Beklagten durch gerichtliches Urteil aufzulösen und die Beklagte zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen.
172
1. Gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG hat das Arbeitsgericht das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber iSv § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers, liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist. Das Gericht hat eine Vorausschau anzustellen. Im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ist zu fragen, ob auf Grund des Verhaltens des Arbeitnehmers in der Vergangenheit in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienenden weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist. Wegen dieses zeitlichen Beurteilungsansatzes ist es denkbar, dass mögliche Auflösungsgründe ihr Gewicht wieder verlieren, weil die tatsächlichen oder rechtlichen Umstände sich im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung geändert haben. Indes darf der Arbeitgeber Spannungen zwischen dem Arbeitnehmer und Kollegen oder Vorgesetzten nicht ohne Beachtung der Verursachungsanteile zu Lasten eines Arbeitnehmers lösen. Überwiegen die dem Arbeitgeber zuzurechnenden Anteile an der Verursachung der Spannungen gegenüber den Anteilen des Arbeitnehmers und hat der Arbeitgeber das von ihm jetzt beanstandete Verhalten des Arbeitnehmers geradezu provoziert, so verstößt es regelmäßig gegen Treu und Glauben, wenn der Arbeitgeber nunmehr geltend macht, eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien sei nicht mehr möglich.
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2. Die entsprechenden Tatsachen hat der Arbeitgeber vorzutragen. Durch eine bloße Bezugnahme auf nicht ausreichende Kündigungsgründe genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast nicht. Er muss vielmehr im Einzelnen vortragen, weshalb die nicht ausreichenden Kündigungsgründe einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen sollen. Das Vorbringen muss letztlich so beschaffen sein, dass sich das Gericht, wenn es sich auf dieses Vorbringen für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses stützen will, nicht in Widerspruch zu seiner Beurteilung des Kündigungsgrundes als nicht ausreichend setzt, BAG, Urteil vom 24.05.2018 - 2 AZR 73/18 -, Rn. 19, zitiert nach juris. Dabei ist der Arbeitgeber mit Gründen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht vorlagen, nicht deshalb ausgeschlossen, weil er den Auflösungsantrag erst in der Berufung stellt, BAG, Urteil vom 19.11.2015 - 2 AZR 217/15 -, Rn. 60 f, zitiert nach juris.
174
3. Gründe für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses liegen nach diesen Maßstäben vor.
175
a) Eine erhebliche Belastung des Arbeitsverhältnisses durch die Beleidigungen und Drohungen der Klägerin lag vor, auch wenn diese die Kündigung letztlich nicht sozial rechtfertigen konnten.
176
b) Nach Ausspruch der Kündigung haben sich Gründe dafür, dass eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht mehr möglich ist, ergeben. Sie ergeben sich zum einen daraus, dass die Klägerin die zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung auf Grund der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Tatsachen zu treffende Prognose, sie werde bei einer Abmahnung ihrer Fehlverhalten nicht fortsetzen, mit ihren anschließenden Handlungen selbst als unzutreffend widerlegt hat. Sie ergeben sich zum anderen daraus, dass es der Klägerin an Einsichtsfähigkeit und dadurch bedingt fehlender Integrationsfähigkeit in den Betrieb der Beklagten fehlt. Dies wird in unterschiedlichen Zusammenhängen deutlich.
177
i. Die Klägerin wurde nach dem Einstellungsschreiben vom 14. September 2001 als Einkäuferin eingestellt. Zum Zeitpunkt der Kündigung war sie immer noch Einkäuferin mit tariflichen Bezügen nach Entgeltgruppe EG 11B ERA-TV im Bereich des weltweiten Beschaffungswesens der Beklagten ohne Führungs- und Managementfunktionen. Dies wusste auch die Klägerin. In einer E-Mail an ihren Abteilungsleiter vom 27. Februar 2007 ordnete sie sich auch zutreffend als Einkäuferin ein. In einer weiteren E-Mail an ihren Abteilungsleiter vom 12. September 2008 beschrieb sie ihre Position als Mitarbeiterin im Team mit einem Teamleiter als Führungskraft und dem Abteilungsleiter als dessen Führungskraft. Mit dem Bild, das die Klägerin von sich nach der Kündigung nach außen transportierte und transportiert, deckt sich das nicht. Gegenüber dem Arbeitsgericht trug sie ausweislich der Klageschrift vor, schon seit 2001 bei der Beklagten als „Stratege im Global Procurement“ tätig zu sein. Dies entsprach auch ihrer eigenen Bewertung ihrer Position im vorgerichtlichen Bereich. Hier ordnete sich die Klägerin selbst auf der Ebene des mittleren Managements ein ausweislich der E-Mail vom 21. September 2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden. Vom Strategen im Global Procurement war es für die Klägerin in ihrer Eigenwahrnehmung nur ein kleiner Schritt zum Manager. So findet sich im Wiedereingliederungsplan der behandelnden Psychiaterin die Beschreibung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit der Klägerin mit „Internationaler Procurement Manager“. Auch in den verschiedenen Presseveröffentlichungen wird sie als „Managerin“ dargestellt, wobei dies auf ihren eigenen Auskünften beruht, da die Beklagte diese Bezeichnung durchgängig vermieden hat.
178
Es besteht die Möglichkeit, dass die Klägerin ihre berufliche Situation nach außen hin bewusst abweichend von den Tatsachen schildert. Es besteht auch die Möglichkeit, dass ihre Eigenwahrnehmung verzerrt ist und schlicht nicht mehr den Tatsachen entsprach. Für das Gericht ist dies unerheblich. Beides - bewusste Falschdarstellung wie auch realitätsferne Selbstwahrnehmung - stehen einer gedeihlichen Zusammenarbeit in der Zukunft entgegen. Nach Aktenlage hat sich daran bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtes nichts geändert. Die Klägerin sieht sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im mittleren Management.
179
ii. In der Klageschrift behauptet die Klägerin einen Jahresentgeltbezug von 70.000,00 € brutto bei einem monatlichen Bruttoarbeitsverdienst von 4.593,80 € im Austrittsmonat ausweislich des Entgeltnachweises für diesen Monat und einem Jahreszielgehalt von 60.867,85 € brutto. Die Klägerin nimmt hier ein Einkommen für sich an, das 15% über ihren tatsächlichen Bezügen liegt. Daran hält sie im gerichtlichen Verfahren fest beispielsweise mit Schriftsatz ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten vom 07. September 2009. Die entsprechenden Richtigstellungen der Beklagten im gerichtlichen Verfahren lässt sie unkommentiert. Sie gelten daher im gerichtlichen Verfahren als zugestanden. An der fehlerhaften Wahrnehmung ihrer Bezüge oder an der wahrheitswidrigen Darstellung ihrer Bezüge hält sie fest. Sie erteilt der Illustrierten „Stern“ ausweislich der Ausgabe vom 25. Februar 2010 wiederum die Information eines Jahresgehaltes von 70.000,00 €. Auch die Berechnungen der Klägerin zum gebotenen Schadensersatz in dem weiteren gegen Ende 2009 eingeleiteten gerichtlichen Verfahren gehen von diesem überhöhten Einkommen aus. Mit dieser Darstellung ihres Einkommens leitet die Klägerin auch Anfang 2014 ein einstweiliges Verfügungsverfahren gegen die Beklagte ein. Die fehlerhaften Darstellungen in den verschiedenen Verfahren wurden im Nachgang zu den Richtigstellungen der Beklagten von der Klägerin nicht korrigiert.
180
Die Frage, ob die Klägerin ihre Einkommenssituation bewusst abweichend von den Tatsachen schildert oder ihre Eigenwahrnehmung nicht mehr den Tatsachen entspricht, ist für das Gericht im Sinne der ersten Alternative zu beantworten. Dafür spricht, dass hier die tatsächlichen Einkommensverhältnisse eindeutig sind, sich unproblematisch aus den der Klägerin vorliegenden Unterlagen zur Gehaltsabrechnung bestimmen lassen und auch von der Klägerin nicht ausgeblendet werden können.
181
Bewusst falscher Sachvortrag in verschiedenen gerichtlichen Verfahren auch neben dem Kündigungsschutzprozess, um einen Zahlungsprozess zu gewinnen, kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil in einem parallel geführten Kündigungsrechtsstreit rechtfertigen. Dies gilt, wenn es darum geht, ein Kündigungsschutzverfahren zu gewinnen. Dies gilt auch, wenn es wie hier nur darum geht, in einem Zahlungsprozess mit einer bewusst überhöhten Berechnungsgrundlage einen höheren Schadensersatzanspruch zu realisieren. Dies hat die Klägerin getan mit der Schadensersatzklage vom 23. September 2009 vor dem Arbeitsgericht Nürnberg - 2 Ca 5555/13 -. Dort trägt sie wieder ein Jahresgehalt von 70.000,00 € brutto vor. Den eingeklagten immateriellen Schaden berechnet sie sodann mit einem halben Jahresgehalt von 70.000,00 €, multipliziert mit der Zahl von Persönlichkeitsrechtsverletzungen, mit insgesamt 1.155.000,00 €. Ein solches Prozessverhalten steht einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien in der Zukunft entgegen.
182
iii. Die Klägerin machte vor dem Arbeitsgericht Nürnberg - 6 Ga 2/14 - in einem einstweiligen Verfügungsverfahren Gehaltsansprüche geltend und trug dort vor, sie verfüge bei der Beklagten über „ein Guthaben von ca. 37.000,00 € für ihre Altersversorgung“. Damit wollte sie dem Einwand der Beklagten entgegentreten, bei einem Obsiegen der Beklagten im vorliegenden Kündigungsrechtsstreit drohe die Uneinbringlichkeit der Rückforderung. Die Klägerin versicherte die Richtigkeit dieser Angaben an Eides statt.
183
Ein solches Guthaben hatte sie nicht. Das wusste die Klägerin auch selbst. Der Antragsschrift im genannten Verfahren war ein Kontoauszug der beitragsorientierten Altersversorgung der Beklagten beigefügt mit einem Versorgungskontostand von 2.192,87 € und einem mit Alter 60 erreichbaren Besitzstandskapital von 37.102,50 €. Die Klägerin ist des Lesens kundig. Den Kontoauszug konnte sie nicht falsch verstehen. Sie hatte im Zeitpunkt der Einleitung des Verfügungsverfahrens mit einem Lebensalter von unter 50 Jahren allenfalls nach der von der Beklagten gebotenen betrieblichen Altersvorsorge eine unverfallbare Anwartschaft, nicht aber das behauptete Guthaben.
184
Bewusst falscher Sachvortrag im gerichtlichen Verfahren, um einen Zahlungsprozess zu gewinnen, kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil in einem parallel geführten Kündigungsrechtsstreit rechtfertigen. Dies gilt erst recht, wenn die Richtigkeit der falschen Angaben im Verfahren auch noch eidesstattlich versichert wird. Dieses Prozessverhalten der Klägerin im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens steht einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien in der Zukunft entgegen.
185
iv. Ferner ist der offene Brief der Klägerin an die Bundeskanzlerin nach Ausspruch der Kündigung zu sehen und zu bewerten. Dieser Brief wurde am 07. Juli 2010 an das Büro der damaligen Kanzlerin geschickt. Ferner veröffentlichte die Klägerin diesen Brief im September 2010 auf ihrer Homepage und entfernte ihn erst wieder im Dezember 2010. Dort behauptet sie, dass Menschen „in hellen und freundlichen Räumen der S… AG subtiler Gewalt unterworfen sind“. Im Zusammenhang mit dieser Behauptung findet sich auch die konkrete Behauptung, sie sei „Augenzeuge eines Selbstmordes im Betrieb S… V…str.“ Sie behauptet damit nicht, dass die Beklagte Mitarbeiter in den Suizid treibt. Sie rückt mit diesen Behauptungen im Kontext ihrer weiteren Ausführungen die Beklagte in das Licht eines Unternehmens, das Mitarbeiter in unverantwortlicher Weise in die Enge treibt, indem sie unterschwellig einen Zusammenhang zwischen Selbstmord einer Mitarbeiterin und Arbeitsbedingungen bei der Beklagten herstellt. Die Verantwortung für dieses Verhalten wird auch nicht durch ihre Erkrankung vor Ausspruch der Kündigung relativiert. Im Zeitpunkt der Veröffentlichung im Internet war die Klägerin seit über einem Jahr nicht mehr der betrieblichen Situation ausgesetzt, die ihr gesundheitlich so sehr zugesetzt haben soll. Sie hat auch nach ihrem eigenen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung bereits ab März 2009 keine Medikamente mehr genommen, die sie in ihrer Steuerungsfähigkeit hätten beeinträchtigen können.
186
Die Veröffentlichung ist ihr auch noch heute zuzurechnen. Der Brief war noch im März 2021 nach unbestrittenem Vorbringen der Beklagten im Internet aufrufbar. Die Klägerin macht geltend, dies sei ihr nicht zuzurechnen. Die Klägerin weiß als intelligente und nach eigener Ansicht intellektuelle Frau, dass das Internet „nichts vergisst“. Sie trägt deshalb Verantwortung dafür, dass sie Behauptungen über die Beklagte mit der Veröffentlichung im Internet einem unbegrenzten Kreis von potentiellen Lesern zugänglich gemacht hat. Sie trägt auch Verantwortung dafür, dass diese Leser diese Behauptungen auf einem einfachen technischen Weg endlos weiterverbreiten können. Die Klägerin behauptet nicht einmal, dass sie den offenen Brief im Internet mit einem Kopierschutz ausgestattet hat. Die Haltung der Klägerin, mit der weiteren Auffindbarkeit dieses Briefes schlicht nichts zu tun zu haben, greift deshalb zu kurz. Die Veröffentlichung des Briefes mit dieser negativen Beschreibung im Netz mit der damit gegebenen Verbreitung und Perpetuierung stellt die Möglichkeit einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien in der Zukunft in Frage.
187
v. Im zeitlichen Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Briefes an die Bundeskanzlerin im Internet steht auch die Einrichtung einer „litigation homepage“ durch die Klägerin und verschiedene „Pressemitteilungen“, die sie dort unter den Daten 08. Juni 2010, 11. Juni 2010, 10. Juli 2010 und 01. September 2010 veröffentlichte. In der letzten Pressemitteilung vom 01. September 2010 weist die Klägerin ausdrücklich darauf hin, dass sie die Vorstellung verfolgt, die Voraussetzungen für eine Sammelklage mit gleichgesinnten Mitarbeitern der Beklagten zu schaffen. Ferner kündigt sie an, in diesem Rahmen den Rechtsstreit mit der Beklagten in die USA zu verlagern. Dieses Ansinnen der weiteren Rechtsverfolgung in den USA wurde von ihr auch ernsthaft und eine gewisse Zeit beharrlich verfolgt. Zu diesem Zweck bemühte sie sich auch um einen Stillstand bei den arbeitsgerichtlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht Nürnberg. Mit Schreiben ohne Datum, beim Arbeitsgericht am 07. Juni 2010 eingegangen, beantragte sie in einem anhängigen Verfahren das vorläufige Ruhen, in einem anhängigen Verfahren dessen „Widerruf“ und führte zur Begründung aus: „Der Hauptgrund dafür sind meine diversen Anfragen an verschiedene Bundesstaaten in USA wegen Eröffnung eines Verfahrens „Human Right Case“ gegen S… AG als börsennotiertes Unternehmen in USA wegen massiver Menschenrechtsverletzung, Persönlichkeitsrechtsverletzung und Datenschutzverletzung in meinem Fall.“
188
Dieses Verhalten löste bei der Beklagten die begründete Besorgnis aus, dass die Klägerin bereit war, den Konflikt mit der Beklagten in jeder - auch rechtlich abwegigen - Hinsicht zu eskalieren. Einer gedeihlichen Zusammenarbeit stand dies schon im Jahr 2010 entgegen.
189
Die Klägerin macht in diesem und anderem Zusammenhang nur geltend, die Sachverhalte lägen schon 11 Jahre zurück. Dies mildert die Bedeutung dieses Vorganges für die Frage einer künftig gedeihlichen Zusammenarbeit nur in geringem Umfang. Die Klägerin bringt in den 11 Jahren, die zwischen diesen Veröffentlichungen und den beiden mündlichen Verhandlungen vor dem Gericht liegen, zu keinem Zeitpunkt zum Ausdruck, dass sie ihr Verhalten in irgendeiner Weise im Rückblick einer kritischen Betrachtung unterzogen hätte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie eine Wiederholung in einem weiteren Konfliktfall nicht in Erwägung zieht. Der Beklagten wird damit nicht die damals ausgelöste Sorge genommen, die Klägerin würde bei der nächsten Konfliktsituation mit der Beklagten nicht wieder in ähnlicher Weise agieren. Das Gericht kann nicht erkennen, dass die Sorge der Beklagten alleine durch Zeitablauf an Gewicht verloren hätte. Dem steht die Beharrlichkeit, mit der die Klägerin an ihren Standpunkten festhält, entgegen. Ferner erscheint die Sorge der Beklagten nicht unbegründet. Die Klägerin hatte vor Ausspruch der Kündigung mit dem Gang in die Vereinigten Staaten zu Behörden und in die Medienöffentlichkeit nur gedroht. Nach Ausspruch der Kündigung hat sie versucht, ihre Drohungen umzusetzen. Mit der „litigation homepage“ hat sie versucht, ihre Drohung umzusetzen und dafür Verbündete zu suchen. Zu diesem Zweck hat sie auch nach eigenem Vorbringen Bemühungen entfaltet, einen amerikanischen Bundesstaat zu finden, in dem sie die Beklagte juristisch verfolgen könnte mit Aussicht auf wesentlich höhere Entschädigungszahlungen als nach deutschem Recht. Gleichzeitig hat sie im gerichtlichen Verfahren den Standpunkt vertreten, ihre Drohungen vor Ausspruch der Kündigung seien nicht ernst zu nehmen gewesen. Alleine aus dem Zeitablauf lässt sich für das Gericht kaum etwas dafür herleiten, dass ein anderer Konflikt am Arbeitsplatz nicht wieder in ähnlicher Weise eskaliert. Einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien steht dies auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht entgegen.
190
vi. Im zeitlichen Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Briefes an die Bundeskanzlerin im Internet stehen ferner verschiedene Interviews, die die Klägerin im Rahmen der medialen Aufmerksamkeit für das vorliegende Verfahren verschiedenen Zeitungen gegeben hat. In diesem Zusammenhang hat sie im Vorfeld der medialen Aufmerksamkeit in einem Telefonat mit dem örtlichen Leiter der Personalberatung am Tag der Kündigung, dem 24. April 2009, um ein persönliches Gespräch mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden in der Folgewoche gebeten, „bevor die Schlammschlacht in der Presse losgeht“ nach einer Aktennotiz des Gesprächspartners zu diesem Telefonat. Die Ankündigung, ihr Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen, wenn es nicht zu dem geforderten persönlichen Gespräch mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden kommt, hat sie in der Folge auch umgesetzt und zahlreiche Presseinterviews auch gegeben. Die Klägerin macht auch in diesem Zusammenhang geltend, diese Angelegenheiten lägen schon elf Jahre zurück. Weiter weist sie darauf hin, dass sie nach entstandener Aufmerksamkeit der Medien auf ihren Fall nicht selbst die Medienöffentlichkeit gesucht habe, sondern nur Interviewanfragen beantwortet habe. Dies kann vor dem Hintergrund ihrer Drohung dahingestellt bleiben. Die Klägerin hat die selbstgeschaffene oder sich auch nur günstig ergebende Gelegenheit ergriffen, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Sie hat dabei den Rahmen einer lediglich kräftigen Ausdrucksweise überschritten. Sie hat die Sachverhalte wiederholt übertrieben und damit im Ergebnis wahrheitswidrig dargestellt. So ist in dem Artikel im Stern vom 25.03.2010 wieder die Rede davon, sie sei eine „Managerin“ mit einem Jahresgehalt von 70.000,00 € und damit 30.000,00 € unter dem Gehalt der männlichen Kollegen. Auch in der TAZ vom 20. Januar 2010 bekommt sie nach ihrer Darstellung als „Einkaufsmanagerin“ 2001 bei der Beklagten einen „Job im mittleren Management“. Die „Managerin“ ist sie auch in den übrigen Zeitungsartikeln, die im Verfahren vorgelegt wurden. Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass es sich dabei um die von ihr kommunizierte Eigenwahrnehmung handelt und nicht um eine Erfindung des jeweiligen Journalisten. Dafür ist diese Einordnung in der betrieblichen Hierarchie zu konsistent in den verschiedenen Veröffentlichungen. Dies zeigt sich auch daran, dass in der einzigen Veröffentlichung, bei der unstreitig mit beiden Seiten vorab gesprochen wurde, der Veröffentlichung im „Stern“, differenziert wird. Dort wird ausgeführt, dass sie sich auf eine Stelle als „Sachbearbeiterin im kaufmännischen Bereich“ beworben hat und dort auch „eine Stelle im Einkauf“ bekommen hat. In dieser Veröffentlichung wird ihr mit der Formulierung „Als „Managerin“, sagt sie, …“ diese Einordnung ausdrücklich als Selbstauskunft zugeschrieben. An dieser Eigenwahrnehmung als „Managerin“ hat sich im Verlaufe des Verfahrens nichts geändert. Auch hier ist sie in der Eigenwahrnehmung die Managerin, die sie in der betrieblichen Wirklichkeit nicht war. Sie war Mitarbeiterin in einem Einkaufsteam, angesiedelt unter einem Teamleiter, wiederum angesiedelt unter einem Abteilungsleiter. Letzterer lässt sich im Bereich des mittleren Managements verorten. Eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien ist künftig nicht zu erwarten, wenn sich die Klägerin seit nunmehr über zehn Jahren gedanklich in der betrieblichen Hierarchie auf der Ebene des mittleren Managements sieht mit den entsprechenden Konsequenzen bei der Ausübung des Direktionsrechtes durch den Teamleiter gegenüber den Sachbearbeitern des Teams, darunter der Klägerin. Die Funktion des Leiters der Abteilung „Global Procurement“ und damit der Führungskraft des Teamleiters hatte nicht sie inne. Die Konflikte sind hier vorprogrammiert. Dabei spielt es keine Rolle, ob bei der Beklagten die Führungskräfte gewechselt haben. Es spielt auch keine Rolle, ob sie sich schon 2010 als Managerin sah. Jedenfalls sieht sie sich nach ihrem Vortrag vor Gericht bis zuletzt in der Rolle der Managerin.
191
vii. Die Klägerin wandte sich noch vor der Kündigung mit E-Mail vom 23. September 2008 an den Leiter der Personalberatung und in Kopie u. a. an den Betriebsratsvorsitzenden und bezeichnete es dort als bedauerlich, dass sich „die Arbeitnehmervertretung (…) derart dämlich verhält“. Sie wandte sich ferner nach der Kündigung mit E-Mail vom 31. August 2009 an den Leiter der Personalberatung, den CEO Corporate Communications and Government Affairs, den Betriebsratsvorsitzenden und ein weiteres Betriebsratsmitglied. Sie erhob dort den Vorwurf einer Vielzahl von Verstößen gegen Datenschutzrecht anlässlich eines Zugriff der Beklagten auf ihr E-Mail-Konto und auf die ihr zugewiesenen Büroschränke. Dabei erhob sie den Vorwurf, der örtliche Betriebsrat ziehe mit der Direktionsseite „gegen jedes Gesetz an einem Strang“. Der Betriebsrat habe „Machtmißbrauch begünstigt“ und „offensichtliche Gesetzesverstöße ignoriert“. Ihr Schreiben schließt „mit dem Anlass entsprechenden Grüssen diesmal von Goethe mit einem Götz-Zitat.“
192
Die Beklagte sieht in diesen Äußerungen und der auch in den letzten Schriftsätzen an das Gericht aufrechterhaltenen Meinung der Klägerin, der Betriebsrat habe nichts für sie getan und der Betriebsratsvorsitzende habe vor Gericht als Zeuge gelogen, Ausdruck einer bis heute bestehenden ablehnenden Haltung gegenüber dem Betriebsrat. Diese stehe auch heute noch einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien im Betrieb entgegen.
193
Das Gericht teilt diese Auffassung im Ergebnis. Die Klägerin ist der Auffassung, dass der örtliche Betriebsrat nicht in ihrem Sinne handelte, sondern mit der Beklagten zu ihrem Nachteil zusammenwirkte. Im Grundsatz steht ein beschädigtes Verhältnis zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmer einer gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber nicht entgegen. Hier kommt aber noch die Komponente der Uneinsichtigkeit der Klägerin, verbunden mit der Bereitschaft, eigenes Fehlverhalten völlig auszublenden, hinzu.
194
Dies wird beispielhaft deutlich bei den „Grüßen, diesmal von Goethe“. Bei den „Grüßen, diesmal von Goethe mit einem Götz-Zitat“ macht sie geltend, hier missverstanden worden zu sein. Sie trägt im gerichtlichen Verfahren vor, sie habe damit den Satz aus dem Schauspiel von Goethe zitieren wollen: “Wo viel Licht ist, ist starker Schatten - doch war mir`s willkommen.“
195
Die Klägerin versucht vergeblich, die darin liegende Beleidigung zu leugnen. Im Sprachgebrauch steht das „Götz-Zitat“ für die bekannte Beleidigung. Dies ergibt sich schon aus einer einfachen „Google Suche“ mit den Begriffen „Goethe“, „Götz“ und „Zitat“. Auch der Kontext des Zitates macht dies deutlich. Das von der Klägerin zur Entschuldigung in das Verfahren eingebrachte Zitat steht in keinem Kontext mit Grüßen.
196
Im ersten Akt des Schauspiels in der dritten Szene hebt auf der Burg des Götz von Berlichingen der Weislingen den Sohn des Götz in die Höhe, küsst ihn und sagt: „Glückliches Kind! Das kein Übel kennt, als wenn die Suppe lang ausbleibt. Gott lass` Euch viel Freud am Knaben erleben, Berlichingen!“ Darauf antwortet Götz: „Wo viel Licht ist, ist starker Schatten - doch wär mir`s willkommen. Wollen sehn was es gibt.“
197
Die Klägerin hat mit den Grüßen von Goethe ganz offensichtlich nicht dieses Zitat in Bezug genommen, sondern einen anderen Ausspruch des Götz von Berlichingen in dem Schauspiel, in dem es genau darum geht, Grüße auszurichten.
198
In der 17. Szene des 3. Aktes des Schauspiels wird Götz bei Beginn der Belagerung seiner Burg zur Kapitulation aufgefordert und reagiert darauf mit dem Spruch: „Mich ergeben! Auf Gnad und Ungnad! Mit wem redet Ihr! Bin ich ein Räuber! Sag Deinem Hauptmann: Vor Ihro kaiserliche Majestät, hab ich, wie immer schuldigen Respekt. Er aber, sags ihm, er kann mich am Arsche lecken.“
199
Das Gericht unterstellt zugunsten der Klägerin, dass sie das Schauspiel auch gelesen und nicht nur aus einer Zitatesammlung zitiert hat. Es ist das letztgenannte Zitat aus dem Schauspiel, das die Klägerin in Bezug genommen hat. Damit hat die Klägerin im gerichtlichen Verfahren versucht, darüber hinwegzutäuschen, dass sie sich in ihrem eigenen Sprachstil nur eingeschränkt von dem von ihr kritisierten „fäkalen und abdominalen Sprachstil“ ihrer Führungskraft abhebt. Die Klägerin setzt sich im Verlauf der beiden E-Mails kritisch mit dem Verhalten des Betriebsrates auseinander. Sie findet dazu die sehr abwertenden Bewertungen als dämlich und rechtswidrig und missbräuchlich. Sie bewegt sich damit noch im Rahmen der Meinungsäußerungsfreiheit. Mit dem Götz-Zitat im beschriebenen Verständnis nähert sie sich den Grenzen dieses Bereiches und agiert beleidigend. Dies im Laufe der Jahre zu erkennen ist ihr nicht gegeben. Sie bemüht im Gegenteil weit hergeholte und unzutreffende Rechtfertigungen. Einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien steht diese Unfähigkeit zur kritischen Betrachtung eigenen Verhaltens entgegen.
200
viii. Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 03. April 2009 darauf hin, dass verschiedene Äußerungen ihrerseits nicht mehr durch das Beschwerderecht und das Recht der freien Meinungsäußerung abgedeckt sind. Die Beklagte listete die zu beanstandenden Äußerungen auf. Zu dem Vorwurf, die Führungskraft als „unterbelichteten Frauen- und Ausländerhasser“ bezeichnet zu haben, stellte die Klägerin in ihrem Antwortschreiben vom 16. April 2009 fest, dass für ihren Geschmack der Ausdruck „ein wenig scharf geraten“ sei. Im Übrigen trägt sie umfangreich zur Rechtfertigung der beanstandeten Bemerkungen vor. Die mit der Angelegenheit befassten Gerichte haben im Verlauf des Verfahrens in ihren Urteilen wiederholt darauf hingewiesen, dass ein Teil dieser Bemerkungen im beruflichen Umfeld nicht gerechtfertigt ist. Auch das BAG, Urteil vom 05.12.2019, hat umfangreich dazu ausgeführt. In den daran anschließenden Schriftsätzen verdeutlicht die Klägerin, dass sie den Erwägungen des BAG zu Meinungsäußerungen als mögliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten nicht folgen kann oder nicht folgen will. Dabei führt das BAG aus, dass eine Abwägung zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit der Klägerin und der diese begrenzenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten nach § 241 Abs. 2 BGB vom LAG im Rahmen der Neuentscheidung nachzuholen ist. Mit Schriftsatz der Klägerin vom 02. Juli 2021 wird unmittelbar von der Bewertung ihrer Äußerungen als Meinungsäußerung auch im Lichte des Urteiles des BAG darauf geschlossen, dass Pflichtverletzungen nach alledem grundsätzlich nicht vorliegen. Mit dem weiteren Schriftsatz vom 15. Februar 2022 hält die Klägerin an dieser Rechtsauffassung fest. Ferner stellt die Klägerin ihre Äußerungen unter den Schutz des Beschwerderechtes nach dem AGG und der S… Conduct Guideline sowie der Vertraulichkeit des Wortes, gerichtet in vier Schreiben an die Leitung bzw. den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten.
201
Diese Standpunkte können im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreites getroffen werden. Sie können ferner im Rahmen eines Auflösungsantrages des Arbeitgebers gewürdigt werden. Die Klägerin bewegt sich dabei im Rahmen ihrer Rechte, vor Gericht - gegebenenfalls auch mit starken und eindringlichen Worten - ihre Position im Kündigungsrechtsstreit zu vertreten. Die Äußerungen machen aber auch deutlich, dass die Klägerin nicht willens oder nicht fähig ist, die ausdifferenzierten Überlegungen des BAG zum Verhältnis des Grundrechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit einerseits und des im Loyalitätsgebot des § 241 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtes des Arbeitgebers auf Ehrenschutz andererseits aufzunehmen und nachzuvollziehen. Der vom BAG geäußerte Gedanke einer notwendigen Abwägung dieser widerstreitenden Rechtspositionen wird von der Klägerin nicht in Erwägung gezogen. Eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien erscheint vor diesem Hintergrund nicht möglich.
202
ix. Die Klägerin hat in der E-Mail vom 21. September 2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten ausgeführt:
„Gerade deshalb wende Ich mich also an Sie, verehrter Herr Dr.L…, weil ich es als unfair erachten müsste, wenn Sie über die gegebenen Probleme direkt aus den amerikanische Presse, oder etwa aus der Oprah-Winfrey-Show informiert werden würden, obwohl doch die Entfernung zwischen N… und M… erheblich kürzer ist, als diejenige zwischen N… und welchem Ort auch immer in den USA.“
203
Das BAG, Urteil vom 19.11.2015, dort Rn. 36, hatte bereits darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine kündigungsrelevante Drohung handeln könnte. Das LAG hatte mit Urteil vom 11.01.2019, dort Rn. 161 ff, ausführlich dargelegt, dass es sich bei dieser Äußerung um eine widerrechtliche Drohung handelte. Das BAG, Urteil vom 05.12.2019, dort Rn. 80 ff, hatte zu dieser Würdigung des E-Mail-Schreibens ausgeführt, dass diese Einschätzung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Die Klägerin stellt dazu unter anderem mit Schriftsatz vom 02. Juli 2021 in Abrede, dass es sich um eine widerrechtliche Drohung gehandelt habe und verweist darauf, dass eine „verzweifelte Frau (…) in dieser Situation“, an anderer Stelle als „Martyrium“ bezeichnet, allenfalls „dicke Ärm“ gemacht“ habe und verweist darauf, dass auch eine Drohung mit einer Information der Presse in den Schutzbereich des Grundrechtes der Meinungsäußerung fiele. Mit weiterem Schriftsatz vom 15. Februar 2022 macht sie noch geltend, das BAG habe irrigerweise die Annahmen des LAG zur Drohung und deren Widerrechtlichkeit unbeanstandet gelassen. Dabei habe das BAG die von der Beklagten aus dem Zusammenhang gerissenen Textpassagen „einfach übernommen“, ohne sie tatsächlich mit dem Brief der Klägerin vom 21. September 2008 zu vergleichen bzw. einen Blick in den Brief zu werfen. Der Brief enthalte schon „keinerlei Konditionalsatz „wenn und dann““. Ihre Ausführungen münden in die Feststellung, „was im Bereich Artikel 5 GG einzustufen ist, kann nicht zugleich als Formalbeleidigung, Schmähkritik und oder Diffamierung und Drohung einzustufen sein.“.
204
Diese Ausführungen zeigen für das Gericht, dass die Klägerin im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung auch entgegen höchstrichterlicher Rechtsprechung daran festhält, dass Äußerungen ihrerseits, die in den Rahmen der Meinungsäußerungsfreiheit fallen, nicht als Kündigungsgrund tauglich sein können. Gerade die letzte Äußerung der Klägerin zeigt in ihrer Undifferenziertheit, dass es für sie bis heute nicht vorstellbar ist, dass ihre Äußerungen zwar den Schutz des Grundrechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit genießen können, sich aber in einem Privatrechtsverhältnis wie hier einem Arbeitsverhältnis in der Abwägung mit dem Schutz der Rechte von Mitarbeitern, Führungskräften und dem Arbeitgeber selbst als widerrechtlich in arbeitsvertraglicher Hinsicht erweisen können. Die Widerrechtlichkeit ergibt sich dabei aus dem Verstoß gegen die der Klägerin obliegenden Loyalitätspflicht nach § 241 Abs. 2 BGB. Eine künftig konfliktfreie Zusammenarbeit mit der Beklagten ist vor diesem Hintergrund für das Gericht nicht vorstellbar.
205
x. Die Klägerin hat in dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Nürnberg - 6 Ga 2/14 - in der mündlichen Verhandlung vom 07. Februar 2014 ihren Standpunkt verdeutlicht mit dem Satz: „Mein Arbeitgeber hat getreten, getreten, getreten bis zur Kündigung.“. Die Beklagte führte diese Bemerkung im Zusammenhang mit dem Auflösungsantrag in das vorliegende Verfahren ein mit Schriftsatz vom 20. Februar 2014. Die Klägerin hat die getätigte Äußerung nicht bestritten. Das ihr zugeschriebene Verhalten in der mündlichen Verhandlung gilt deshalb als zugestanden. Sie führte nur dazu mit Schriftsatz vom 19. März 2014 aus, „dass der Begriff „getreten“ in diesem Zusammenhang nicht wörtlich zu nehmen war und ist. Die Beklagte möge von solchen durchschaubaren Versuchen der Stimmungsmache Abstand nehmen.“ Die Wortwahl behält sie konsequent bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung bei. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht vom 08. März 2022 formuliert sie in ähnlicher Weise, dass sie „an die Wand gestellt, getreten, geschlagen wurde“. Die anschließende Diskussion der Prozessbevollmächtigten um die Frage, ob und wie wörtlich das zu nehmen ist, kann dahingestellt bleiben. Inhaltlich bleibt es eine denunziatorische Aussage und zeigt die über viele Jahre verfestigte Haltung der Klägerin. Sie tritt auf im Gewand des passiven Objekts fremder Gewalt, enthält aber inhaltlich ein vernichtendes Urteil über die, deren Verhalten so wörtlich oder bildlich beschrieben wird.
206
Mit dieser Art von versteckter Gewalt in der Sprache gegenüber der Beklagten und ihren Mitarbeitern über einen Zeitraum von vielen Jahren hinweg auch nach der Kündigung bis zur letzten mündlichen Verhandlung ist eine Basis für ein gedeihliches Miteinander in der Zukunft nicht gegeben.
207
xi. Die Klägerin hat Anzeige gegen „die Verantwortlichen“ bei der Beklagten mit Strafanzeige vom 24. Februar 2010 erstattet. Sie hat dort ausgeführt, die Beklagte habe „in öffentlicher Sitzung am 20.01.2010 im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens“ verlauten lassen, „dass die Kündigung erfolgt sei, weil unsere Mandantin eine strafbare Handlung nach der Vorschrift des § 130 StGB begangen habe“.
208
Das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2010 gibt zu dem Vorwurf in der Strafanzeige keine Auskunft. Nach dem Protokoll war zwar die Klägerin mit zwei Rechtsanwälten erschienen, aber kein Mitarbeiter der Beklagten in der Sitzung anwesend, sondern nur der Prozessbevollmächtigte der Beklagten. Die Behauptung in der Strafanzeige entspricht mithin nicht den Tatsachen.
209
Im Schriftsatz der Beklagten vom 22. Oktober 2009 wird auf die verschiedenen Zitate aus den E-Mails der Klägerin im Zusammenhang mit Nationalsozialismus und Geschichte der Juden in Deutschland hingewiesen und ausgeführt, es sei „auf den strafrechtlichen Aspekt hinzuweisen“. Dann wird § 130 Abs. 3 StGB im Wortlaut zitiert. Die Beklagte stellt damit die verschiedenen Äußerungen der Klägerin in einen konkreten strafrechtlichen Zusammenhang.
210
Im weiteren Verlauf des Verfahrens korrigiert die Klägerin die falsche Behauptung zum Verlauf der mündlichen Verhandlung vom 20. Januar 2010 nicht. Diese Nachlässigkeit der Klägerin im Umgang mit den Tatsachen ist als Auflösungsgrund ungeeignet, nachdem die Beklagte über ihre Prozessbevollmächtigten im schriftlichen Vortrag einen Zusammenhang zwischen den Inhalten der klägerischen E-Mails und § 130 Abs. 3 STGB hergestellt hat.
211
xii. Die Klägerin hat am 25. Juni 2010 bei der zuständigen Kriminalpolizei Anzeige gegen Unbekannt wegen Verstößen gegen das Datenschutzgesetz erstattet. Bei der Befragung der Klägerin als Zeugin zu den möglicherweise dafür verantwortlichen Personen bei der Beklagten nannte sie den Namen einer Personalreferentin und den Namen des Pressereferenten. Anlass war die Veröffentlichung des Artikels vom 25. März 2010 im STERN mit Informationen, die nach Auffassung der Klägerin nur aus ihrer Personalakte stammen konnten.
212
Die Beklagte hat dazu im Verfahren geltend gemacht, die sensiblen Daten in dem Artikel seien von der Klägerin selbst zur Verfügung gestellt worden. Die Klägerin ist dem im Verfahren entgegengetreten und hat geltend gemacht, in dem Artikel habe das Magazin Unterlagen und Informationen zugrunde gelegt, die es nicht von der Klägerin erhalten habe und die in der Personalakte enthalten gewesen seien. Es seien sensible Informationen über ihr Privatleben und Intimsphäre ohne ihre Einwilligung veröffentlicht worden. Die Beklagte hat dazu vorgetragen, dass die zuständige Redakteurin ebenfalls von der Polizei im Rahmen des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens am 16. August 2010 informativ befragt worden sei. Diese habe klargestellt, dass sie sämtliche Informationen, die Gegenstand des Artikels gewesen seien, persönlich von der Klägerin bekommen habe. Dies habe die Redakteurin in ihrer Einvernahme ausdrücklich auch auf die im Artikel geschilderten gesundheitlichen Probleme bezogen. Dazu hat die Klägerin im weiteren Verlauf des Verfahrens ausdrücklich bestritten, dass die zuständige Redakteurin die Informationen, die Gegenstand des Artikels waren, von ihr bekommen habe. Die Beklagte hat dazu im weiteren Verlauf zu den einzelnen der im Artikel verwerteten Informationen nicht differenziert nach deren Herkunft vorgetragen. Sie hat auch nicht entsprechenden Beweis angetreten. Dies erfolgte auch nicht im Nachgang zum Auflagenbeschluss des Gerichtes vom 03. Dezember 2020, zu den Auflösungsgründen und ihrer Fortwirkung unter Beachtung der Ausführungen des BAG, Urteil vom 19.11.2015 ergänzend vorzutragen.
213
Das Vorbringen der Beklagten rechtfertigt es nicht, für die Entscheidungsfindung davon auszugehen, dass die Klägerin wider besseres Wissen über die beiden Mitarbeiter der Beklagten im Rahmen der Anzeigeerstattung falsche Behauptungen aufgestellt hat. Keine der Parteien hat sich der Mühe unterzogen, die Vielzahl der im Artikel verarbeiteten Informationen nach der Herkunft zu unterscheiden. Dabei ergeben sich aus dem Artikel selbst konkrete Hinweise darauf, dass die zuständige Redakteurin mit beiden Parteien vor der Veröffentlichung Kontakt hatte und von beiden Seiten Informationen zur Verfügung gestellt wurden. Von daher war es Sache der Beklagten, die hinsichtlich der Auflösungsgründe die Darlegungs- und Beweislast trägt, entsprechend konkret vorzutragen, welche Informationen von der Klägerin selbst stammten und Gegenstand der behaupteten falschen Aussage der Klägerin vor der Polizei waren. Für die Beurteilung, ob der Beklagten eine weitere Zusammenarbeit der Parteien nicht zumutbar ist, ergeben sich aus der Tatsache der Erstattung der Strafanzeige keine Gründe, die für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses sprechen.
214
xiii. Die Klägerin hat nach Erhebung der Kündigungsschutzklage mehrere gerichtliche Verfahren gegen die Beklagte angestrengt. Noch im gleichen Jahr machte sie eine Schadensersatzklage anhängig mit einem bezifferten Klageanspruch von über 1,2 Millionen € und der Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden. In den laufenden Text nahm die Klägerin eine Vielzahl ihrer E-Mails im Wortlaut auf. Die Höhe der Forderung wird mit der besonderen Schwere der Diskriminierung begründet und ausgeführt, die Beklagte habe bei der Klägerin lebens- und existenzbedrohende Schädigungen verursacht. In zwei weiteren Verfahren wurden im Jahre 2014 Entgeltansprüche in einer Zahlungsklage und in einem einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemacht. Die Zahlungsklage wurde bis 2020 erweitert. Diese Verfahren sind - soweit nicht erledigt - alle noch vor dem Erstgericht anhängig.
215
Die Beklagte hat dazu im Verfahren geltend gemacht, die Klägerin verfolge mit diesen Verfahren nicht nur ihre berechtigten Interessen. In diesen Verfahren wiederhole und bekräftige sie die aufgestellten Ehrverletzungen und Schmähungen. Eine positive Prognose ergebe sich daraus nicht für eine sachlich und professionell geführte Auseinandersetzung bei bestehenden und künftigen Meinungsverschiedenheiten bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.
216
Dieses Vorbringen vermag eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil nicht zu begründen. Die Klägerin ist grundsätzlich berechtigt, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen zur Durchsetzung angenommener Ansprüche und deren Prüfung durch ein Gericht zu veranlassen. Nichts anderes hat die Klägerin getan mit der einstweiligen Verfügung auf Erfüllung von Entgeltansprüchen und der gleichgerichteten Zahlungsklage. Auch für die Schadensersatzklage gilt nichts anderes. Weder die Höhe des geltend gemachten Schadensersatzes noch die in diesem Zusammenhang aufgestellten Behauptungen erlauben eine andere Bewertung. Unbegründete Forderungen werden vom Gericht abgewiesen mit der entsprechenden Kostenbelastung für den Anspruchsführer. Kräftige Ausdrücke können benutzt werden, um die eigene Rechtsposition darzustellen, auch wenn es möglich gewesen wäre, sich verbindlicher auszudrücken.
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xiv. Ein gedeihliches Miteinander im Arbeitsleben mit Führungskräften wie mit Kollegen setzt die Einsichtsfähigkeit des Mitarbeiters voraus, auch selber Fehler zu machen. Im gerichtlichen Verfahren ist es nicht notwendig, eigene Fehler einzugestehen. Eine Würdigung des Umganges damit durch das Gericht im Rahmen eines Auflösungsantrages ist deshalb aber nicht ausgeschlossen. Eine Einsichtsfähigkeit in eigenes Fehlverhalten kann das Gericht bei der Klägerin nicht erkennen. Gespür für eigenes Fehlverhalten ist bis in die beiden mündlichen Verhandlungen vor dem Gericht hinein nicht ersichtlich geworden. Die Beleidigung des Betriebsrates wird wegargumentiert wie beim „Götz-Zitat“. Gleiches gilt für wahrheitswidriges Vorbringen in einem einstweiligen Verfügungsverfahren und eidesstattlicher Versicherung dazu. Das wahrheitswidrige Vorbringen wird weggeschwiegen wie beispielsweise der Vortrag zu dem „mittleren Management“, dem „Jahreseinkommen von ca. 70.000,00 €“ und dem Guthaben von „ca. 37.000,00 €“. Verantwortung wird abgestritten wie beispielsweise bei dem offenen Brief an die Bundeskanzlerin und den diversen Presseveröffentlichungen. Bagatellisierung des eigenen Verhaltens findet statt bei Aktionen wie der litigation homepage oder bildmächtigen Formulierungen wie „getreten, geschlagen, an die Wand gestellt“. Dagegen werden unrichtige und vermeintlich unrichtige Verhaltensweisen der Beklagten genau registriert und im Verfahren umfangreich kommentiert und beanstandet. Das Verhalten der Klägerin vermittelt den Eindruck, dass sie konsequent mit zweierlei Maß misst.
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Eine Basis für eine Zusammenarbeit der Parteien, geschweige denn eine gedeihliche Zusammenarbeit in der Zukunft, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Das Arbeitsverhältnis war aufzulösen.
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Die Klägerin macht geltend, alle an den Konflikten beteiligten Personen seien mittlerweile ausgeschieden oder in anderer Funktion bei der Beklagten tätig. Eine Beeinträchtigung der innerbetrieblichen Zusammenarbeit mit neuen Kollegen sei daher nicht zu befürchten. Daran ist zutreffend, dass bei der Beurteilung des Auflösungsgrundes bezogen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht auch zu berücksichtigen ist, wie sich die betrieblichen Verhältnisse seit dem Ausspruch der Kündigung verändert haben durch eine Veränderung der Struktur der Beschäftigten im Umfeld des gekündigten Arbeitnehmers. Ausschlaggebende Bedeutung hat dies dort nicht, wo die entscheidende Ursache für die Sorge einer wenig gedeihlichen Zusammenarbeit im Verhalten und in der Person des gekündigten Arbeitnehmers liegt. Hier ist das Verhalten der Klägerin gekennzeichnet von einer fehlenden Einsichtsfähigkeit der Klägerin in ihren Anteil an den aufgetretenen und eskalierten Konflikten. Auch ihre Versuche, nach der Kündigung mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln außerhalb des Gerichtes über die Öffentlichkeit und über eine Klage in den USA maximalen Druck auf die Beklagte auszuüben, haben nicht in Folge von Einsicht geendet. Sie haben nur geendet, weil die Presse das Interesse an ihrem Fall verloren hat und der Weg zu einem amerikanischen Gericht sich aus welchen Gründen auch immer als Sackgasse erwiesen hat.
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xv. Das Gericht hält eine Abfindung in Höhe von 54.900,00 € für angemessen. Nach § 10 Abs. 1 KSchG ist bei der gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses als Abfindung ein Betrag von bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit der Klägerin lag unter acht Jahren, so dass allein aus diesem Grund kein Anlass besteht, den Abfindungsrahmen voll auszuschöpfen. Die Klägerin war im Zeitpunkt der Kündigung Hauptverdienerin der Familie und neben dem Ehemann auch noch drei Kindern unterhaltsverpflichtet. Sie hat seit der Kündigung nach ihren Angaben beruflich nicht mehr Fuß gefasst und war nach ihren Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung vom 28. September 2021 vor dem erkennenden Gericht nur noch hin und wieder in unspezifiziertem Umfang ehrenamtlich tätig. Das Gericht geht von der sogenannten „Regelabfindung“ in Höhe eines halben Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr aus, vergleiche dazu BAG, Urteil vom 21.06.2012 - 2 AZR 694/11 -, Rn. 40, zitiert nach juris. Unter Berücksichtigung des Lebensalters der Klägerin von noch unter 50 Lebensjahren, vier Unterhaltspflichten und dem Grad der Sozialwidrigkeit der Kündigung vor dem Hintergrund des Verhaltens ihrer letzten direkten Führungskraft in den letzten eineinhalb Jahren vor der Kündigung ist diese Regelabfindung nicht angemessen. Das Gericht schöpft daher den gesetzlichen Rahmen von 12 Monatsverdiensten aus und kommt damit auf 12 x 4.575,00 € = 54.900,00 €. Dieser Betrag erscheint dem Gericht einerseits ausreichend, andererseits aber auch erforderlich, um die Klägerin angemessen für den Verlust des Arbeitsplatzes zu entschädigen.
C.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Absatz 1 ZPO.
D.
222
Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Absatz 2 ArbGG. Das Gericht weicht nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.