Titel:
Rundfunkbeitrag für eine Wohnung, Verfassungsmäßigkeit des RBStV, Gewissensfreiheit, Programmkritik
Normenketten:
RBStV § 2 Abs. 1
GG Art. 4
Schlagworte:
Rundfunkbeitrag für eine Wohnung, Verfassungsmäßigkeit des RBStV, Gewissensfreiheit, Programmkritik
Fundstelle:
BeckRS 2022, 35343
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Heranziehung des Klägers zur Zahlung von Rundfunkbeiträgen im privaten Bereich.
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Der Kläger begehrt die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht. Mit Schreiben vom … Februar 2021 beantragte der Kläger die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht aufgrund eines besonderen Härtefalls. Hierbei trug er vor, es gehe ihm darum eine innere Gewissensnot abzuwehren, die entstünde, wenn er zur Finanzierung des Rundfunks beitrüge. Der Befreiungsantrag wurde vom Beklagten mit Bescheid vom 16. März 2021 abgelehnt.
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Der hiergegen erhobene Widerspruch vom … April 2021 wurde mit Bescheid vom 15. April 2021 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Erhebung des Rundfunkbeitrags nicht die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Klägers verletze.
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Mit Schriftsatz vom … Mai 2021, eingegangen am … Mai 2021, erhob der Kläger zum Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage und beantragte zuletzt zu erkennen,
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den Bescheid des Beklagten vom 16. März 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 2021 aufzugeben und den Beklagten zu verpflichten, den Kläger vom Rundfunkbeitrag zu befreien.
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Zur Begründung trug der Kläger in seiner 45-seitigen Klageschrift umfangreich zur - aus seiner Sicht fehlerhaften - Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor. Insbesondere die Berichterstattung zu Coronamaßnahmen und dem Syrienkonflikt seien nicht objektiv.
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Der Beklagte legte die Verwaltungsakte vor und beantragte mit Schriftsatz vom 9. Juni 2021,
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Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2021 wurde darüber hinaus ausgeführt, dass der Kläger als Inhaber einer Wohnung rundfunkbeitragspflichtig sei und mit der Zahlung des Rundfunkbeitrags keine Äußerung eines weltanschaulichen und religiösen Bekenntnisses verbunden sei. Der Gesetzgeber habe mit der Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 Satz 1 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag - RBStV - nicht die Möglichkeit einer Beitragsbefreiung aus den vom Kläger genannten Gründen beabsichtigt. Diese könnten keine besondere Härte im Sinne des Gesetzes darstellen. Im Kern äußere der Kläger Programmkritik; es gäbe jedoch kein subjektiv-öffentliches, einklagbares Recht auf eine bestimmte Berichterstattung.
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Mit Beschluss vom 15. Juni 2022 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Am 23. September 2022 fand die mündliche Verhandlung statt.
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Mit Schriftsatz vom … September 2022 vertiefte der Kläger sein Vorbringen und ergänzte, dass auch die Kontrolle im Sendebereich nicht funktioniere.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 23. September 2022 verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Bescheid über die Ablehnung der Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht vom 16. März 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zur Begründung nimmt das Gericht zunächst Bezug auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheids, denen es folgt, § 117 Abs. 5 VwGO. Ergänzend wird hinsichtlich des klägerischen Vorbringens folgendes ausgeführt:
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Der Kläger hat keinen Rechtsanspruch auf Befreiung von der bestehenden Beitragspflicht (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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1. Der Kläger unterliegt der Beitragspflicht.
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Rechtsgrundlage für die Erhebung des Rundfunkbeitrags ist seit 1. Januar 2013 der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag.
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Als Inhaber einer Wohnung hat der Kläger für den hier maßgeblichen Zeitraum Rundfunkbeiträge zu zahlen. Im privaten Bereich ist nach § 2 Abs. 1 RBStV grundsätzlich für jede Wohnung von deren Inhaber ein Rundfunkbeitrag in Höhe von 18,36 EUR (bis Juli 2021: 17,50) pro Monat zu entrichten. Inhaber einer Wohnung ist jede volljährige Person, die die Wohnung selbst bewohnt, § 2 Abs. 2 Satz 1 RBStV. Als Inhaber wird jede Person vermutet, die dort nach dem Melderecht gemeldet ist oder im Mietvertrag für die Wohnung als Mieter genannt ist, § 2 Abs. 2 Satz 2 RBStV. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
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2. Die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlagen für die Rundfunkbeitragspflicht für den privaten Bereich und gerade auch die Ausgestaltung als Beitrag steht - mit Ausnahme der hier nicht in Rede stehenden Beitragspflicht für eine Zweitwohnung - unbeschadet bestehender Kritik an dem System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der religiösen oder gewissensbegründeten Befindlichkeiten Einzelner in Ansehung der bindenden Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts (U.v. 18.7.2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. -, juris) außer Streit und ist bereits rechtsgrundsätzlich geklärt. Entsprechendes gilt für die Tatsache, dass die Zahlung einer Abgabe, wie des hier streitigen Rundfunkbeitrags, als solche nicht mit der Äußerung eines weltanschaulichen oder religiösen Bekenntnisses oder einer Gewissensentscheidung verbunden ist und die Beitragserhebung als solche in Folge dessen den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG nicht tangiert (vgl. nur OVG NRW, B.v. 7.2.2022 - 2 A 2949/21 -, juris Rn. 4).
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3. Eine Gewissensentscheidung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG ist nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts eine ernste, sittliche, d.h. an den Kriterien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.1960 - 1 BvL 21/60 - juris; U.v. 13.4.1978 - 2 BvF 1/77, 2/77, 4/77, 5/77 - juris; VG des Saarlandes, U.v. 23.12.2015 - 6 K 43/15 - juris Rn. 62). Die Gewissensfreiheit reicht jedoch nur soweit wie der eigene Verantwortungsbereich (BVerfG, B.v. 18.04.1984 - 1 BvL 43/81 - BVerfGE 67, 26, VG des Saarlandes, U.v. 23.12.2015 - 6 K 43/15 - juris Rn. 63 m. w. N.).
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4. Die Programmentscheidung liegt jedoch nicht im Verantwortungsbereich des Klägers. Die grundrechtlich geschützte Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet die Programmfreiheit (Programmautonomie). Die Entscheidung über die zur Erfüllung des Funktionsauftrags als nötig angesehenen Inhalte und Formen des Programms steht den Rundfunkanstalten zu (vgl. BayVGH, U.v. 7.7.2015 - 7 B 15.846 - juris Rn. 17). Eingeschlossen ist grundsätzlich auch die Entscheidung über die benötigte Zeit und damit auch über Anzahl und Umfang der erforderlichen Programme. Der Rundfunk darf dabei weder den Interessen des Staates noch einer gesellschaftlichen Gruppe oder gar dem Einfluss einer einzelnen Person untergeordnet oder ausgeliefert werden. Der Rundfunk muss vielmehr die Vielfalt der Themen und Meinungen aufnehmen und wiedergeben, die in der Gesellschaft eine Rolle spielen (vgl. z.B. BVerfG, U. v. 22.2.1994, 1BvL 30/88 - BVerfGE 90, 60).
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In der Art und Weise, wie die Rundfunkanstalten ihren gesetzlichen Funktionsauftrag erfüllen, sind sie frei (BVerfG B.v. 20.7.2021 -1 BvR 2775/20, 1 BvR 2777/20 - juris Rn 88). Der Grundsatz der Trennung zwischen der allgemeinen Rundfunkgesetzgebung und der Festsetzung des Rundfunkbeitrags soll Risiken einer mittelbaren Einflussnahme auf die Wahrnehmung des Programmauftrags ausschließen und damit die Programmfreiheit der Rundfunkanstalten sichern. Da Programmentscheidungen finanzielle Voraussetzungen und Finanzentscheidungen programmliche Konsequenzen haben, kann über Entscheidungen zur Finanzausstattung auf indirekte Weise Einfluss auf die Erfüllung des Rundfunkauftrags genommen werden (vgl. BVerfGE 119, 181 [220 f.] = NVwZ 2007, 1287 = NJW 2008, 838 Ls.).
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Das bedeutet aber weder, dass gesetzliche Programmbegrenzungen von vornherein unzulässig wären, noch, dass jede Programmentscheidung einer Rundfunkanstalt finanziell zu honorieren wäre. In der Bestimmung des Programmumfangs sowie in der damit mittelbar verbundenen Festlegung ihres Geldbedarfs können die Rundfunkanstalten nicht vollständig und grenzenlos frei sein. Denn es ist ihnen verwehrt, ihren Programmumfang und den damit mittelbar verbundenen Geldbedarf über den Rahmen des Funktionsnotwendigen hinaus auszuweiten (BVerfGE 119, 181 [218 f.] = NVwZ 2007, 1287 = NJW 2008, 838 Ls.; stRspr). Es bleibt Sache des Gesetzgebers, den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zur Vielfaltsicherung auszugestalten und die entsprechenden medienpolitischen und programmleitenden Entscheidungen zu treffen; ihm kommt dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu (stRspr vgl. BVerfG B.v.20.7.2021 -1 BvR 2775/20, 1 BvR 2777/20 - juris Rn. 76; BVerfGE 119, 181 [214, 221] = NVwZ 2007, 1287 mwN = NJW 2008, 838 Ls.).
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Die Überprüfung der Verwendung der Rundfunkbeiträge innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens erfolgt durch eigens hierfür bestimmte Gremien, insbesondere die Programmkommission und die Rundfunkräte. Sollten sie ihren Kontrollpflichten nicht oder nur ungenügend nachkommen, stehen entsprechende rechtliche Möglichkeiten wie die Programmbeschwerde zur Verfügung sowie der Weg zu den Aufsichtsbehörden und Verfassungsgerichten offen (s. z.B. BVerfG, U.v. 25.03.2014 - 1 BvF 1/11, 1 BvF 4/11 - DVBl 2014, 649-655; BVerfG, U.v.11.09.2007 - 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06 - DVBl 2007, 1292-1294). Insbesondere hier wären die vom Kläger vorgebrachten Argumente anzubringen.
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5. Die Zahlung einer hier im Streit stehenden Abgabe wie des Rundfunkbeitrags als solche ist folglich nicht mit der Äußerung eines Bekenntnisses verbunden. Der Rundfunkbeitrag dient allgemein der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wohingegen dieser dann aufgrund der dargestellten Programmfreiheit über die Programmgestaltung und damit über die Beitragsverwendung eigenverantwortlich entscheidet.
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Der Beitragsschuldner, der sich auf seine Gewissensfreiheit beruft, muss und kann nicht davon ausgehen, dass sein konkreter Beitrag für Sendungen verwendet wird, deren Inhalt er für rechtswidrig hält oder aus Gewissensgründen ablehnt (OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 16.11.2015 - 7 A 10455/15- juris). Der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG sowie des Art. 9 EMRK wird durch die Beitragserhebung als solche daher nicht tangiert (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.2.2017 - OVG 11 N 91.15 - juris Rn. 127; VG des Saarlandes, U.v. 23.12.2015 - 6 K 43/15 - juris Rn. 70 m. w. N.).
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Die Trennung der Beitragserhebung einerseits und der rundfunkrechtlichen Möglichkeiten auf die Programmgestaltung Einfluss zu nehmen andererseits verwehrt es dem Einzelnen, seine Pflicht zur Zahlung des Rundfunkbeitrags davon abhängig zu machen, ob ihm das Programmangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefällt und er den Funktionssauftrag als erfüllt ansieht oder nicht.
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6. Selbst wenn man von einem Eingriff ausgehen wollte, wäre Art. 4 Abs. 1 GG durch die Verpflichtung zur Zahlung des Rundfunkbeitrags nicht verletzt. Das Grundrecht unterliegt zwar keinem Gesetzesvorbehalt, doch nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung können den Freiheiten des Art. 4 GG aber durch andere Bestimmungen des Grundgesetzes Grenzen gezogen werden. Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses findet insbesondere dort ihre Grenzen, wo die Ausübung dieses Grundrechts durch einen Grundrechtsträger auf die kollidierenden Grundrechte anderer trifft. In diesem Sinn stellt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, der die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk gewährleistet, kollidierendes Verfassungsrecht dar. Dieser verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz der Rundfunkfreiheit erstreckt sich auf das Recht der Rundfunkanstalten, der ihrem Auftrag entsprechenden Vielfalt der zu vermittelnden Programminhalte Rechnung zu tragen. Folglich ist eine Finanzierung notwendig, die es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ermöglicht, diese ihm zukommende Funktion zu erfüllen. In dieser Sicherstellung der Grundversorgung der Bevölkerung mit Rundfunkprogrammen findet sich die Rechtfertigung für die Finanzierung über Rundfunkbeiträge. Das Grundrecht des Klägers aus Art. 4 Abs. 1 GG müsste also im Hinblick auf die große Bedeutung, die der Rundfunkfreiheit in einem demokratischen Staat zukommt, auch dann zurücktreten, wenn - wie hier nicht - von einem Eingriff auszugehen wäre (vgl. zu alledem OVG Berlin-Bbg, B.v. 5.2.2019 - OVG 11 N 88.15 - juris Rn. 22 sowie OVG RhPf, B.v. 21.12.2018 - 7 A 10740/18 - juris Rn. 10).
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7. Analog gilt dies auch für die vom Kläger vorgebrachte Glaubensfreiheit. Der Rundfunkstaatsvertrag verstößt auch nicht gegen Art. 1 Abs. 1 GG. Durch die Beitragserhebung wird niemand gezwungen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu nutzen (vgl. auch VG Schwerin, U.v. 21.4.2021 - 6 A 1841/19 SN -, juris Rn. 33). Anders als bei einer Gebühr ist die tatsächliche Inanspruchnahme und Nutzung nicht Voraussetzung für die Heranziehung zu einem Beitrag. Die Ausgestaltung als Beitrag wiederum ist verfassungsgemäß (vgl. nur BVerfG, U.v. 18.7.2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. -, juris).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.