Inhalt

AG Wolfratshausen, Beschluss v. 20.10.2022 – IK 130/21
Titel:

Pfändbarkeit der sog. Energiepreispauschale

Normenketten:
ZPO § 851
BGB § 399
Leitsatz:
Die sog. Energiepreispauschale ist pfändbar (Abgrenzung von BGH BeckRS 2021, 6247; Anschluss an AG Norderstedt BeckRS 2022, 23995). (Rn. 5 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Energiepreispauschale, Pfändbarkeit, Abtretbarkeit, Corona-Beihilfen
Fundstellen:
ZInsO 2022, 2598
ZVI 2023, 78
LSK 2022, 35314
NZI 2023, 137
BeckRS 2022, 35314

Tenor

Der Antrag des Schuldners vom 07.10.2022 auf Freigabe der Energiepreispauschale wird zurückgewiesen.

Gründe

1
Mit Beschluss vom 06.07.2021 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet.
2
Mit Lohn- und Gehaltsabrechnung für September 2022 wurde dem Schuldner vom Arbeitgeber die Energiepreispauschale ausgezahlt.
3
Der Insolvenzverwalter forderte den Schuldner daraufhin auf, den Nettobetrag aus der Energiepreispauschale auf das Insolvenzanderkonto auszuzahlen, da es sich seiner Auffassung nach um eine pfändbare Einnahme handelt, die somit dem Insolvenzbeschlag unterliegt.
4
Der Schuldner beantragte hierauf die Freigabe des gegenständlichen Betrags und beruft sich hierzu hauptsächlich auf eine Unpfändbarkeit der Energiepreispauschale gem. § 851 ZPO und zieht den Vergleich zu den Auszahlungen von Corona-Beihilfen.
5
Hierzu führt das Amtsgericht Norderstedt mit Beschluss vom 15.09.2022, Az. 66 IN 90/19, (BeckRS 2022, 23995) zutreffend folgendes aus: Nach § 851 Abs. 1 ZPO ist eine Forderung nur pfändbar, wenn sie übertragbar ist. Damit verweist die Norm unter anderem auf § 399 BGB. Danach kann eine Forderung nicht abgetreten werden, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. Hierzu gehören zweckgebundene Forderungen, soweit der Zweckbindung ein schutzwürdiges Interesse zugrunde liegt (BGH, 10.03.2021, VII ZB 24/20).
6
Für den Fall der staatlichen Corona-Hilfe hat der BGH (BGH, 10.03.2021, VII ZB 24/20) das Vorliegen dieser Voraussetzungen angenommen. Diese diene nach den Ausführungen des BGH zur Abmilderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Sie sollte jedoch nicht laufenden Lebensunterhalt abdecken, sondern insb. Liquiditätsengpässe, die seit dem 01.03.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind, überbrücken. Ausdrücklich nicht erfasst waren wirtschaftliche Schwierigkeiten oder Liquiditätsengpässe, die vor dem 01.03.2020 entstanden waren. Die Mittel waren nach BGH zur Finanzierung von Verbindlichkeiten für fortlaufende erwerbsmäßige Sach- und Finanzausgaben vorgesehen. Der Zahlungsempfänger hatte dabei auch die zweckentsprechende Verwendung zu verantworten und wäre sogar zur Rückzahlung verpflichtet, wenn die Voraussetzungen der Bewilligung nicht vorgelegen haben.
7
Genau solche oder ähnliche Regelungen wurden jedoch für die Energiepreispauschale nicht getroffen. Sie soll die allgemein gestiegenen Energie- und Lebenshaltungskosten abmildern. Eine konkrete Zweckbindung oder eine Regelung über die Möglichkeit der Abtretung oder (Ver)Pfändung wurde hingegen vom Gesetzgeber an keiner Stelle geregelt. Es bleibt dem Schuldner also - anders als bei den Corona-Beihilfen - selbst überlassen, wofür er den Betrag verwendet. Hier findet keinerlei Kontrolle statt, ob der Schuldner den Betrag tatsächlich für die gestiegenen Energiekosten oder anderweitig verwendet, allgemein zur Pfändbarkeit der Energiepreispauschale auch Wipperfürth, ZInsO 2022, 1665 ff; Ahrens, NJW-Spezial, 2022, 341 ff.
8
Eine Unpfändbarkeit gem. § 851 ZPO ist somit mangels Zweckbindung ausgeschlossen.
9
Auch andere denkbare Wege, welche u.U. zu dem Ergebnis kommen könnten, dass hinsichtlich der Energiepreispauschale keine Massezugehörigkeit vorliegen könnte, sind vorliegend nicht einschlägig.
10
Nachdem es sich nicht um Arbeitseinkommen handelt (s.a. FAQ des Bundesfinanzministeriums, dort Ziff. VI 27 „Die EPP ist von einer Lohnpfändung nicht umfasst, da es sich arbeits- und sozialversicherungsrechtlich nicht um „Arbeitslohn“ oder „Arbeitsentgelt“ handelt. Die steuerrechtliche Einordnung der EPP als Arbeitslohn ist insoweit unbeachtlich.“), kommt ein etwaiger Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen gem. der §§ 850 ff ZPO nicht in Betracht.
11
Eine etwaig anzunehmende Unpfändbarkeit nach Vorschriften der AO ist jedoch ebenfalls zu verneinen, Wipperfürth, a.a.O..
12
Vorliegend käme noch eine Auslegung des Antrags des Schuldners nach § 765 a ZPO in Betracht. Die Vorschrift des § 765a ZPO ist als absolute Ausnahmeregelung zu verstehen, welche zur Voraussetzung hat, dass die Vollstreckung für den Schuldner eine unbillige Härte darstellt. Hiervon ist jedoch auf Grund der vom Insolvenzverwalter in seiner Stellungnahme vom 17.10.2022 zutreffend geschilderten Einkommenssituation des Schuldners nicht auszugehen und wurde von diesem auch nicht dargelegt.