Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 21.11.2022 – W 8 K 22.30572
Titel:

Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Konversion zum Christentum (Iran)

Normenketten:
VwGO § 86 Abs. 1, § 94
AsylG § 3, § 25, § 28 Abs. 1a
AufenthG § 60
Anerkennungs-RL Art. 9, Art. 10 Abs. 1
Leitsätze:
1. Besteht ein Überstellungsverbot in den schutzzuerkennenden Staat, ist ein volles Asylverfahren durchzuführen, um den Vorgaben des gemeinsamen europäischen Asylsystems und insbesondere von Art. 18 GRCh zu entsprechen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, unterliegen bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben außenwirksam ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich ist eine religiöse Betätigung nicht mehr gefahrlos möglich. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Würdigung der Angaben zur Konversion sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seiner religiösen und kulturellen Prägung und seiner intellektuellen Disposition abhängen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Einem Gläubigen kann es nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung die religiöse Identität des Schutzsuchenden kennzeichnet. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, keine Aussetzung des Gerichtsverfahrens, ergebnisoffene Prüfung und Entscheidungsbefugnis sowohl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge als auch des Gerichts trotz Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für die Kläger in Griechenland, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für die Kläger in Deutschland, Ehepaar, Konversion vom Islam zum Christentum, Taufvorbereitung und Taufe in Griechenland, Voice of Truth, Evangelisch-Lutherische, Gemeinde Gemünden, persönliches Bekenntnis zum Christentum, Unterschiede zwischen Islam und Christentum, christliche Aktivitäten, Gottesdienste, Bibelkurse, Veranstaltungen, Missionierung, Glaubenskenntnisse, ernsthafter und nachhaltiger Glaubenswandel, identitätsprägende Glaubensbetätigung, andauernde religiöse Prägung, Bekräftigung durch christliche Gemeinde
Fundstelle:
BeckRS 2022, 35202

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Juli 2022 werden aufgehoben, soweit er sich auf die Kläger bezieht.  Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. 
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. 
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten. 

Tatbestand

1
Die Kläger, iranische Angehörige, sind ein Ehepaar mit zwei kleinen Kindern. Sie reisten am 7. März 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 30. März 2020 Asylanträge. Zur Klagebegründung gaben die Kläger zu 1) und 2) im Wesentlichen an, sie seien vom Islam zum Christentum konvertiert. Die Kläger zu 1) und 2) seien zwischen Oktober und Dezember 2019 in Griechenland getauft worden.
2
Mit Bescheid vom 14. Juli 2022 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte die Anträge auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung, im Falle der Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder einen anderen Staat wurde angedroht. Die Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Den Klägern sei schon in Griechenland Flüchtlingsschutz zuerkannt worden. Eine Ablehnung des Antrags als unzulässig sei jedoch nicht möglich, wenn angesichts der zu erwartenden Lebensverhältnisse in Griechenland der Eintritt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich sei. Der Antrag der Kläger sei als zulässiger Asylantrag zu entscheiden. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Anerkennung als Asylberechtigte lägen nicht vor. Das behauptete christliche Betätigungsprofil der Kläger bereits im Iran sei von so untergeordneter Bedeutung gewesen, dass die angebliche Reaktion der dortigen Behörden kaum nachvollziehbar erscheine. Auch die Hinwendung zum Christentum im Iran und die Taufe in Griechenland führten ebenfalls nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft. Der Kläger zu 1) habe selbst angegeben, im Iran noch nicht den Glauben gewechselt zu haben. Was die vorgetragene Glaubensausübung anbelange, bleibe das Engagement der Kläger überschaubar. Spezifische Fragen zum christlichen Glauben hätten nur vage beantwortet werden können. Allein die formelhafte Wiedergabe vermeintlich christlicher Glaubensinhalte vermöge allein einen Rückschluss auf eine ihnen gleichsam innewohnende entsprechende religiöse Prägung nicht zu rechtfertigen. Insgesamt hätten die Kläger nicht den Eindruck zu vermitteln vermocht, es handele sich bei ihnen um besonders religiös oder insbesondere christlich geprägte Persönlichkeiten, deren Verhalten so untrennbar von einer religiösen Überzeugung getragen erscheine, dass ein Verzicht auf ein entsprechendes gefahrträchtiges Verhalten im Herkunftsland nicht mehr zumutbar wäre. Vielmehr dränge sich - auch unter Einbeziehung des unglaubhaften behaupteten Vorfluchtgeschehens - der Eindruck auf, dass das christliche Engagement seit der Ankunft in der Europäischen Union zielgerichtet und asylverfahrensgeleitet motiviert gewesen sei und auch weiterhin sei.
3
Am 2. August 2022 ließen die Kläger - noch unter Einbeziehung der später abgetrennten Klagen ihrer Kinder - Klage erheben.
4
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 8. August 2022,
die Klage abzuweisen.
5
Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 3. August 2022 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
6
Mit Beschluss vom 3. August 2022 trennte das Gericht das Verfahren betreffend den vormaligen Kläger zu 4) ab, führte ihn unter dem neuen Az. W 8 K 22.30573 fort und setzte dieses Verfahren aus.
7
Mit weiterem Beschluss vom 4. August 2022 trennte das Gericht die Klage des vormaligen Klägers zu 3) ab, führte dies unter dem neuen Az. W 8 K 22.30576 fort und setzte dieses Verfahren aus.
8
Der Klägerbevollmächtigte beantragte in der mündlichen Verhandlung am 21. November 2022,
die Beklagte unter Aufhebung der Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Juli 2022 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise den Klägern den subsidiären Schutz zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
9
Das Gericht hörte die Kläger informatorisch an.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten (einschließlich der Verfahren W 8 K 22.30573 und W 8 K 22.30576) sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11
Über die Klage konnte entschieden werden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).
12
Das Gericht musste das vorliegende Verfahren des Weiteren nicht im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens (BVerwG, B.v. 7.9.2022 - 1 C 26.21 - PM Nr. 56/2022; https://www.bverwg.de/pm/2022/56) gemäß § 94 VwGO wegen Vorgreiflichkeit aussetzen. Denn im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung war im vorliegenden Fall, sowohl im Interesse an zügiger effektiver Rechtsgewähr als auch im Interesse der Prozessökonomie und nicht zuletzt auch im Interesse der Kläger von einer Aussetzung abzusehen (VG Karlsruhe, U.v. 18.10.2022 - A 8 K 2210/22 - juris Rn. 22; VG Düsseldorf, U.v. 11.10.2022 - 17 K 4350/20.A - juris Rn. 2 ff.).
13
Vielmehr konnte das Gericht ebenso wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge trotz der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für die Kläger schon in Griechenland aufgrund der dortigen Verhältnisse (vgl. nur SaarlOVG, U.v. 15.11.2022 - 2 A 81/22 - juris Rn. 18 ff.), die wegen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unmöglich machten, ergebnisoffen über die in Deutschland gestellten Asylanträge entscheiden, ohne an die Entscheidung in Griechenland gebunden zu sein (VG Karlsruhe, U.v. 18.10.2022 - A 8 K 2210/22 - juris Rn. 22). Ist wie hier eine Ablehnung der Asylanträge der Kläger nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verwehrt, ist eine materielle Prüfung geboten. Denn nach der Logik und Systematik des gemeinsamen europäischen Asylsystems kann ein Asylantrag nur dann unzulässig sein, wenn der Schutz tatsächlich noch besteht und die Person - anders als hier - Zugang zu diesem Schutz hat. Besteht ein Überstellungsverbot in den schutzzuerkennenden Staat, ist gerade ein volles Asylverfahren durchzuführen, um den Vorgaben des gemeinsamen europäischen Asylsystems und insbesondere von Art. 18 GrCh zu entsprechen (Hruschka/Mantel in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021, § 60 AufenthG Rn. 8 mit Verweis auf EUGH, U.v. 19.3.2019 - C-297/17, C-318/17, C-319/17, C-438/17 - NVwZ 2019, 785 - Ibrahim u.a. sowie B.v. 13.11.2019 - C-540/17, C-541/17 - NVwZ 2020, 137 - Hamed und Omar).
14
Weder das Völkerrecht, noch das Europarecht, noch das nationale Recht stehen der vorliegenden Ansicht entgegen. Weder in der Genfer Flüchtlingskonvention noch im Recht der Europäischen Union findet sich die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der Entscheidung. Insbesondere ist eine solche auch nicht europarechtlich unmittelbar angeordnet oder vorgeschrieben (siehe im Einzelnen VG Karlsruhe, U.v. 18.10.2022 - A 8 K 2210/22 - juris Rn. 22 ff., 26 ff.). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist ebenso wie das Gericht nicht auf die Feststellung des Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG beschränkt, sondern ist gehalten ergebnisoffen eine Vollprüfung vorzunehmen (VG Düsseldorf, U.v. 11.10.2022 - 17 K 4350/20.A - juris Rn. 19 ff.) Insoweit ist § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ebenso wie Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 2 AufenthG einschränkend auszulegen (vgl. VG Aachen, U.v. 3.6.2022 - 10 K 2844/20.A - juris Rn. 99 ff.; VG Stuttgart, U.v. 18.2.2022 - A 7 K 3174/21 - juris Rn. 46 und 55, teleologische Reduktion; jeweils m.w.N.). Das nationale Recht kennt ebenfalls keine weitergehende Bindung an die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch einen anderen Mitgliedsstaat, da die von entsprechenden Entscheidungen anderer Staaten ausgehenden Rechtswirkungen in § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG abschließend geregelt sind (VG Minden, U.v. 2.3.2022 - 1 K 194/21.A - juris Rn. 29; vgl. zum Ganzen auch noch zusätzlich zu den in den vorstehenden Absätzen zitierten Gerichtsentscheidungen VG Göttingen, U.v. 2.11.2022 - 3 A 115/20 - juris; VG Trier, U.v. 10.8.2022 - 2 K 1824/22.TR, 7937593 - juris; VG Osnabrück, U.v. 14.2.2022 - 5 A 512/20 - juris; alle m.w.N.).
15
Nach alledem ist das Gericht weder an einer eigenen Vollprüfung noch an einer eigenständigen Sachentscheidung gehindert.
16
Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.
17
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Juli 2022 ist in seinen Nrn. 1 und 3 bis 6 - soweit er sich auf die Kläger bezieht - rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie zuletzt beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) sowie zum Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 AufenthG war nicht zu entscheiden.
18
Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran haben die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
19
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 - so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 - NVwZ 2012, 1612).
20
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für die Kläger aufgrund ihrer Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
21
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 5.9.2022 - W 8 K 22.30383 - juris; U.v. 27.5.2022 - W 8 K 21.31219 - juris; U.v. 12.4.2021 - W 8 K 20.31281 - juris; U.v. 25.1.2021 - W 8 K 20.30746 - juris; U.v. 11.7.2012 - W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Bundes- bzw. Obergerichte (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - BeckRS 2020, 34047; B.v. 26.2.2020 - 14 ZB 19.31771 - juris; B.v. 16.1.2020 - 14 ZB 19.30341 - juris; B.v. 9.5.2019 - 14 ZB 18.32707 - juris; B.v. 6.5.2019 - 14 ZB 18.32231 - juris; U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462 - juris; B.v. 19.7.2018 - 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 - 14 ZB 17.30670 - juris; B.v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris sowie OVG LSA, U.v. 14.7.2022 - 3 L 9/20 - juris; SächsOVG, U.v. 24.5.2022 - 2 A 577/19.A - juris; U.v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A - juris; U.v. 3.4.2008 - A 2 B 36/06 - juris; OVG MV, U.v. 2.3.2022 - 4 LB 785/20 OVG - juris; HambOVG, U.v. 8.11.2021 - 2 Bf 539/19.A - juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 - 6 A 139/19.A - juris; B.v. 6.7.2021 - 6 A 31/20.A - juris; U.v. 21.6.2021 - 6 A 2114/19.A - juris; B.v. 6.1.2021 - 6 A 3413/20.A - juris; B.v. 19.2.2020 - 6 A 1502/19.A - juris; B.v. 2.1.2020 - 6 A 3975/19.A - juris; B.v. 21.10.2019 - 6 A 3923/19.A - juris; B.v. 15.2.2019 - 6 A 1558/18.A - juris; B.v. 28.6.2018 - 13 A 3261/17.A - juris; U.v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 - 5 A 982/07.A - EzAR-NF 62 Nr. 19; OVG SH, B.v. 11.11.2020 - 2 LA 35/20 - juris, U.v. 24.3.2020 - 2 LB 20/19 - juris; Thür OVG, U.v. 28.5.2020 - 3 KO 590/13 - juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - NVwZ 2020, 950; HessVGH, U.v. 18.11.2009 - 6 A 2105/08.A - ESVGH 60, 248; OVG Saarl., U.v. 26.6.2007 - 1 A 222/07 - InfAuslR 2008, 183; siehe auch Froese, NVwZ 2021, 43; jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben außenwirksam ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Erforderlich und ausreichend dafür ist, dass eine konvertierte Person im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen, in Ausübung ihres Glaubens an öffentliche Riten, wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - entsprechend ihrer christlichen Prägung sonst aktiv nach außen zeigen will bzw. nur gezwungenermaßen, unter dem Druck drohender Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichten würde. Der Glaubenswechsel muss dabei weiter auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhen und nunmehr die religiöse Identität prägen. Die betreffende Person muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und sie muss auf der Basis auch gewillt sein, ihre christliche Religion auch in ihrem Heimatstaat auszuüben. Das Gericht muss daher überzeugt sein, dass die Person die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, U.v. 27.5.2022 - W 8 K 21.31219 - juris; U.v. 3.1.2022 - W 8 K 21.31074; U.v. 22.11.2021 - W 8 K 21.30912; U.v. 4.10.2021 - W 8 K 21.30835 - juris; U.v. 12.4.2021 - W 8 K 20.31281 - juris; U.v. 25.1.2021 - W 8 K 20.30746 - juris sowie BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - juris; jeweils m.w.N.). Insgesamt betrachtet ist - unter den vorstehenden Voraussetzungen - eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 - 6 A 2105/08.A - ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 - 6 A 2067/08.A - Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 - 6 A 2279/12.Z.A - Entscheiderbrief 3/2013, 5).
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Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Kläger eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da die Kläger aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen haben. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Kläger aufgrund ihrer persönlichen religiösen Prägung entsprechend ihrer neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis haben, ihren Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass sie ihn auch tatsächlich ausüben. Das Gericht erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung der Kläger vorliegt und dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben leben wollen. Das Gericht hat nach der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich die Kläger bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt haben. Die Würdigung der Angaben der Kläger zu ihrer Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 und BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - NVwZ 2020, 950; sowie etwa SächsOVG, U.v. 24.5.2022 - 2 A 577/19.A - juris; U.v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A - juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 - 6 A 139/19.A - juris; B.v. 10.2.2020 - 6 A 885/19.A - juris; B.v. 19.6.2019 - 6 A 2216/19.A - juris; B.v. 23.5.2019 - 6 A 1272/19.A - juris; B.v. 20.5.2019 - 6 A 4125/18.A - juris; B.v. 2.7.2018 - 13 A 122/18.A - juris; OVG SH, B.v. 11.11.2020 - 2 LA 35/20 - juris; B.v. 29.9.2017 - 2 LA 67/16 - juris; B.v. 28.6.2018 - 13 A 3261/17.A - juris; B.v. 10.2.2017 - 13 A 2648/16.A - juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - juris; B.v. 6.5.2019 - 14 ZB 18.32231 - juris; U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462 - juris; B.v. 9.7.2018 - 14 ZB 17.30670 - juris; B.v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris; B.v. 9.4.2015 - 14 ZB 14.30444 - NVwZ-RR 2015, 677; ThürOVG, U.v. 28.5.2020 - 3 KO 590/13 - juris; VGH BW, B.v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 - NVwZ-RR 2014, 576; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 - 13 LA 93/14 - KuR 2014, 263), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
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Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass diese ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert sind. So legten die Kläger ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Die Kläger schilderten weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und ihre christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen der Kläger sind plausibel und in sich schlüssig. Die Kläger legten verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe der Kläger, ihre Konversion zum Christentum sowie ihre christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte die christliche Gemeinde ihre Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
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Die Kläger haben ihren Weg vom Islam zum Christentum glaubhaft dargetan. Die Kläger erklärten wechselseitig bzw. übereinstimmend, dass sie im Iran als Moslem geboren seien. Der Kläger erklärte, er sei im Iran als Moslem geboren, aber selbst nicht sehr religiös gewesen. Er habe immer Fragen gehabt und keine Antworten darauf erhalten. Die Klägerin gab hingegen an, sie sei eine überzeugte Muslimin gewesen, um nicht zu sagen, sogar militant. Die Kläger beschrieben dann, wie ausgehend vom Kläger, der mit einem Freund in Kanada in Verbindung gewesen sei, der Kontakt zur christlichen Religion erfolgt sei. Der Freund in Kanada sei konvertiert gewesen. Er habe zu den vom Kläger gestellten Fragen auf die Bibel verwiesen Obwohl sowohl der Kläger als auch die Klägerin zunächst Hemmungen gehabt hätten, weil die Bibel ja das Buch der Ungläubigen sei und man als ungläubig gelte, wenn man die Bibel lese, hätten sie gleichwohl angefangen die Bibel zu lesen. Sie hätten angefangen sich mit der christlichen Religion zu befassen. Der Kläger habe immer Gespräche mit seinem Freund in Kanada geführt und diese Informationen an seine Frau sowie seinen Cousin weitergegeben. Das Ganze habe so fünf bis sechs Monate gedauert. Die Klägerin gab noch zu ihren Beweggründen an, dass ihre Fragen, die sie gehabt habe, ob man überhaupt an Gott glauben solle und welcher Gott gemeint sei, vom Islam nicht beantwortet worden seien. Beeinflusst durch ihren Mann habe sie sich mit dem Christentum befasst. Der Entschluss vom Islam wegzugehen und zum Christentum hinzugehen, sei schon im Iran gefallen. Die Kläger beschrieben wieder übereinstimmend, dass sie in Griechenland Kontakt zur christlichen Gemeinde gesucht hätten, sich dort auch aufgehalten hatten und schließlich getauft worden seien. Der Taufe sei eine längere Vorbereitung in 15 Stunden/Lektionen, wie der Taufurkunde zu entnehmen sei, vorausgegangen. In Griechenland habe es Unterricht auf Farsi gegeben. Der dortige Bruder habe ihnen vor der Taufe Fragen gestellt, die sie hätten beantworten müssen. Die Kläger schilderten weiter, dass sie auch in Deutschland Kontakt zum Christentum gesucht und gefunden hätten. Aktuell seien sie in ihrer Kirchengemeinde aktiv. Sie gingen in die Gottesdienste, die allerdings auf Deutsch seien. Zudem seien sie online in zwei Glaubensgruppen. Die eine heiße „M …“. Einer dieser zwei Gruppen hätten sie schon in Griechenland beigewohnt, bei der seien sie geblieben. Die Kläger gaben ehrlich an, mit Rücksicht auf die Kinder teilweise nicht immer gleichzeitig teilnehmen und zuhören zu können, sondern teilweise nur abwechselnd. Bei der einen Gruppe spreche jemand über Jesus Christus und auch Fragen würden beantwortet werden. In Deutschland bekämen sie ab und zu Erklärungen vom Pfarrer ihrer christlichen Gemeinde, wobei dieser ehrlich einräumte, dass aufgrund der Sprachbarriere der Unterrichtung der Kläger Grenzen gesetzt seien. Die Kläger erklärten weiter, dass das jüngste Kind in Deutschland getauft worden sei. Das in Griechenland geborene Kind sei dort mit Öl bestrichen, also gesegnet worden, weil - wie als wahrscheinlich anzunehmen ist - die christliche Gemeinde in Griechenland keine Kindertaufe durchführt. Die Kinder würden christlich erzogen. Sie würden auch zusammen mit den Kindern beten.
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Des Weiteren ist ergänzend weiter anzumerken, dass es den Klägern nicht angelastet werden kann, wenn sie aufgrund der coronabedingten Infektionsschutzmaßnahmen - genauso wie andere Christen in Deutschland - nur eingeschränkt aktiv sein und zusammen mit anderen in der Öffentlichkeit ihren Glauben ausleben konnten.
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Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass die Kläger ihren Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin leben, sondern dass sie sich auch für ihren Glauben engagieren. Die Kläger erklärten nicht nur, dass ihre Kinder christlich erzogen würden, sondern auch, dass sie ihren Verwandten im Iran von ihrer Konversion berichtet hätten. Der Kläger gab weiter an, er habe keinen Kontakt mehr zu seiner eigenen Familie aufgrund der Tatsache, dass diese wüssten, dass er konvertiert sei. Sie telefonierten aber mit der Mutter der Klägerin, deren Verwandten ebenfalls Bescheid wüssten. Die Mutter sei zunächst nicht begeistert gewesen, aber nach einigen Gesprächen habe sie es akzeptiert und gesagt, Jesus Christus möge ihnen helfen. Beide Kläger erklärten, dass sie missionarisch tätig seien. Der Kläger habe schon Freunde in seinem Umfeld, die noch Moslems gewesen seien, zum Christentum bewegt. Sie würden beide, gegenüber der Mutter der Klägerin, Werbung für das Christentum machen, weil sie es selbst als ihre eigene Pflicht ansähen. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass die Kläger bei ihrer Glaubensbetätigung auch nicht vor ihrer Heimat Halt machen, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbestätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
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Die Kläger verdeutlichten in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft ihre Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legten sie - in ihren Worten und im Rahmen ihrer Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40/15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) - auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit ihren Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machten die Kläger zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigten, dass sie dies verinnerlicht haben. Die Kläger erklärten abwechselnd bzw. übereinstimmend: Der Islam habe die Fragen nicht beantwortet, warum man überhaupt an Gott glauben müsse und welcher Gott gemeint sei. Im Islam müsse man immer Angst haben. Alles müsse im Namen Gottes passieren und, wenn man das und das tue bzw. nicht tue, werde man bestraft bzw. belohnt. Im Islam müsse man erst an Gott glauben, um ihn dann kennen zu lernen. Im Christentum sei es anders. Im Christentum heiße es, wer an Gott glaube, habe das Ewige Leben und die Rettung. Im Islam habe es nur Drohungen gegeben. Vor jedem Gebet hätte man eine rituelle Waschung vornehmen müssen. Im Christentum könne man direkt und frei mit Jesus Christus sprechen. Der Koran sei nicht das Wort Gottes, sondern das, was Mohammed zu seinem Vorteil so niedergelegt habe. Die Bibel sei das Wort Gottes. Sie beginne mit der Schöpfung und gehe weiter bis zu Jesus Christus. Jesus sei kein Prophet wie Mohammed, sondern er sei Gott. Gott Vater sei der Gott der Liebe. Jesus Christus habe uns die Rettung geschenkt und der Heilige Geist sei in uns. Alle drei seien in einem. Jesus habe sich für unsere Sünden geopfert und uns davon reingewaschen. Wir seien alle sündig, auch ein neugeborenes Kind sei sündig. Jesus Christus sei gekreuzigt worden. Dadurch sei eine Brücke entstanden, nachdem zuvor die Verbindung zu Gott durch die Sünden abgebrochen gewesen sei. Die Sünden kämen aus dem Garten Eden wegen der Ungehorsamkeit von Adam und Eva gegenüber Gott.
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Die Kläger offenbarten weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die ihre Glaubensentscheidung und ihren Gewissensschritt zusätzlich belegen. Die Kläger benannten in dem Zusammenhang einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannten die Kläger auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Die Kläger bezogen sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
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Die Kläger erklärten glaubhaft weiter, sie könnten sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder zum Islam zurückzukehren. Das Christentum sei die vollständigste Religion und habe ihre Fragen beantwortet. Das Christentum sei die Religion des Gottes der Liebe und Vergebung. Die Sünden seien vergeben worden. Es sei ihre Rettung. Die Kläger gaben weiter glaubhaft an, sie wollten auch ihre Religion bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran nicht verheimlichen. Die Regierung wisse ohnehin schon von ihrer Konversion Bescheid. Sie würden festgenommen und würden gefoltert oder hingerichtet werden, aber sie würden ihre Religion gleichwohl nicht aufgeben wollen.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten der Kläger vor und nach ihrer Einreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihnen vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion - auch in Abgrenzung zum Islam - eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass die Kläger bei einer angenommenen Rückkehr in ihre Heimat ihrer neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Die Kläger haben lebensgeschichtlich nachvollziehbar ihre Motive für die Abkehr vom Islam und ihre Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Sie haben ihre Konversion anhand der von ihnen gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch ihre Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass die Kläger missionarische Aktivitäten entwickeln, indem sie bei anderen für den christlichen Glauben werben. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Kläger bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion ohne Not verheimlichen würden, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität des Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40/15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67; Berlit, juris PR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einem Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von seiner religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 - NVwZ 2012, 1612).
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Die Kläger haben insgesamt durch ihr Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung ihrer Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten sind, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen haben. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
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Dazu tragen auch die Ausführungen ihres Beistandes aus der christlichen Gemeinde in der mündlichen Verhandlung bei. Der Pfarrer erklärte: Sie würden in der Gemeinde die Taufen der Kläger anerkennen. Nach den Taufurkunden sei eine Taufvorbereitung in 15 Stunden/Lektionen erfolgt. Aus seiner Sicht seien die Kläger voll überzeugte Christen. Sie seien 100%-ig glaubwürdig. Er sei dieser Meinung unabhängig davon, dass ein Asylverfahren laufe. Er habe sich mit dem Asylfall überhaupt nicht beschäftigt gehabt.
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Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 28 AsylG Rn. 17).
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Nach alledem ist den Klägern unter Aufhebung der betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
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Des Weiteren sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren - wenn auch noch nicht rechtskräftig - festgestellt.
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Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidungen entfallen (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.