Inhalt

LG Augsburg, Endurteil v. 03.06.2022 – 072 S 2276/21
Titel:

Erfolglose Verspätungsrüge in zweiter Instanz

Normenkette:
ZPO § 343, § 539
Leitsätze:
1. Wurden die relevanten Tatsachen bereist in erster Instanz vorgetragen und waren unstreitig, kann auch in einer in zweiter Instanz erhobenen Verspätungsrüge nicht ohne weiteres ein Bestreiten gesehen werden. Selbst neue Tatsachen wären in zweiter Instanz immer dann berücksichtigungsfähig, wenn sie unstreitig sind. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wurde das Versäumnisurteil auf den Einspruch hin modifiziert („mit der Maßgabe, dass“) aufrechterhalten, kann diese Modifizierung des Versäumnisurteils in zweiter Instanz abgeändert werden.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verspätungsrüge, Berufungsverfahren, unstreitiges Vorbringen, Versäumnisurteil, Tenorierung
Vorinstanz:
AG Landsberg, Endurteil vom 06.05.2021 – 2 C 515/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 35193

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Landsberg am Lech vom 06.05.2021, Az. 2 C 515/20, abgeändert und neu gefasst wie folgt:
1. Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Landsberg a.L. vom 05.02.2021 wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 1.199,52 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 402,22 € seit dem 22.08.2019 und aus weiteren 797,30 € seit dem 19.10.2021 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten ihrer Säumnis erster Instanz. Im Übrigen tragen von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz die Klägerin 44 % und die Beklagte 56 %.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 53 % und die Beklagte 47 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

(abgekürzt nach §§ 540 II, 313a I 1 ZPO)
I.
1
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche aus einem Inkassovertrag.
2
Im Berufungsverfahren beantragt die Klägerin,
in Abänderung des Endurteils des Amtsgerichts Landsberg vom 6.5.2021 die Beklagte zu verurteilen, insgesamt 1.360,41 € nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.8.2019 zu zahlen.
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Hilfsweise wird beantragt,
das Endurteil des Amtsgerichts Landsberg vom 6.5.2021 dahingehend abzuändern, dass das Versäumnisurteil aufrechterhalten wird und die weiteren Kosten der Beklagten auferlegt werden.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zu verwerfen.
II.
5
Die gemäß §§ 511, 517, 519, 520 ZPO zulässige Berufung hat teilweise Erfolg und führt zur Abänderung des Ersturteils.
6
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen vertraglichen Vergütungsanspruch in Höhe von insgesamt 1.199,52 €, d.h. über den vom Amtsgericht zugesprochenen Betrag hinaus in Höhe von weiteren 861,56 €.
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In erster Instanz wurde der Klägerin von den in der Hauptsache eingeklagten 1.360,41 € ein Betrag von 337,96 € zugesprochen. In diesem Umfang wurde das Versäumnisurteil vom 05.02.2021 aufrechterhalten.
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Der mit der Berufung weiterverfolgte Vergütungsanspruch in Höhe von weiteren 1.022,45 € setzt sich aus zwei Positionen zusammen, nämlich 958,19 € brutto für einen außergerichtlichen Beitreibungsversuch gegen den Drittschuldner und 64,26 € brutto für die Abnahme der Vermögensauskunft vom 24.10.2018.
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Soweit das Amtsgericht einen Anspruch auf die 64,26 € brutto mit der Begründung abgelehnt hat, dass der Klägervortrag zum Streitwert unzureichend gewesen sei, folgt das Berufungsgericht dem nicht.
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Der maßgebliche Gegenstandswert entspricht hier gemäß § 25 I Nr. 4 RVG der zu vollstreckenden Geldforderung einschließlich Nebenforderungen, höchstens jedoch 2.000,00 €. Unter Berücksichtigung des Forderungskontos in der Anlage K7 und der ergänzenden Ausführung zur Höhe der Forderungen der Beklagten gegen den Schuldner … im Schriftsatz vom 19.01.2021 bedurfte der Ansatz des Gegenstandswerts von 2.000,00 € keiner weitergehenden Erläuterungen durch die Klagepartei.
11
Hinsichtlich der Forderung in Höhe von 958,19 € brutto gilt folgendes:
12
Soweit das Amtsgericht nicht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Klägerin von der Beklagten mit einem außergerichtlichen Beitreibungsversuch gegenüber den Drittschuldnern beauftragt worden war, erweisen sich die Berufungsangriffe als nicht zielführend. Zwar ist das Berufungsgericht entgegen der Ansicht des Berufungsbeklagtenvertreters im Schriftsatz vom 17.02.2022 nicht an die Rechtsauffassung des Erstgerichts gebunden. Es gelangt jedoch vorliegend zu derselben rechtlichen Bewertung.
13
Gegenstand der als Anlage K1 vorgelegten Vereinbarung zwischen den Parteien war die Einziehung und Beitreibung von titulierten Forderungen der Beklagten gegen dessen Schuldner …. Das Leistungsspektrum der Klägerin umfasst gemäß Ziffer 1 insbesondere (d.h. nicht abschließend) die dort aufgeführten Maßnahmen, u.a. auch Zwangsvollstreckungsverfahren, wobei als ein Beispiel auch die „Prüfung von Drittschuldnerhaftung“ aufgeführt ist. Die vom Amtsgericht vorgenommene Auslegung erscheint ohne weiteres nachvollziehbar. Es kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, in welchem Umfang und gegenüber wem der schriftliche Vertrag ggf. auch außergerichtliche Beitreibungsversuche umfasst; denn vorliegend sind - jedenfalls in erster Instanz - beide Parteien übereinstimmend davon ausgegangen, dass für die außergerichtliche Geltendmachung gegenüber dem Drittschuldner ein gesonderter Auftrag erforderlich war bzw. erforderlich gewesen wäre. Die Klagepartei stützte sich nämlich zur Anspruchsbegründung nicht auf die Vereinbarung Anlage K1, sondern auf einen behaupteten, telefonisch Mitte August 2018 durch den Geschäftsführer der Beklagten erteilten Auftrag. D.h. sie ist selbst davon ausgegangen, dass vor der außergerichtlichen Geltendmachung gegenüber dem Drittschuldner eine vorherige Rücksprache und Abstimmung mit der Beklagten als Auftraggeberin erforderlich ist, was im Hinblick auf die zwischen den Parteien schriftsätzlich ausführlich diskutierten Kostenrisiken und Alternativen zu dieser Vorgehensweise auch nachvollziehbar ist.
14
Soweit das Amtsgericht schließlich den von der Klägerin behaupteten mündlichen Auftrag nicht als bewiesen angesehen hat, ist das Berufungsgericht hieran gebunden, da konkrete Anhaltspunkte, welche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine neue Feststellung erfordern würden, nicht bestehen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
15
Die Klägerin hat insoweit jedoch mit ihrer Hilfsbegründung im Berufungsverfahren in Höhe von 797,30 € Erfolg.
16
Die Klägerin hat den Zahlungsanspruch im Berufungsverfahren hilfsweise damit begründet, dass die Beklagte jedenfalls die Vergütung für das Tätigwerden der Klägerin im Mahnverfahren gegen den Drittschuldner schuldet. Da der Anspruch auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird, handelt es sich um eine (hilfsweise) Klageänderung gemäß § 263 ZPO. Die Zulässigkeit einer Klageänderung in der zweiten Instanz regelt § 533 ZPO. Demzufolge ist eine Klageänderung nur zulässig, wenn sie (ohne Einwilligung des Gegners) sachdienlich ist und darüber hinaus auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.
17
Sachdienlichkeit ist zu bejahen, da die Zulassung geeignet ist, den Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits auszuräumen und weiteren Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen.
18
Der entsprechende Tatsachenvortrag der Klägerin konnte auch gemäß § 529 ZPO berücksichtigt werden. Insoweit ist zunächst zu beachten, dass bereits in erster Instanz von der Klägerin vorgetragen worden war, dass sie nach der erfolglosen außergerichtlichen Geltendmachung vom Geschäftsführer der Beklagten mit der Einleitung des gerichtlichen Mahnverfahrens beauftragt worden und von der Beklagten der angeforderte Gerichtskostenvorschuss auch einbezahlt worden ist (Schriftsatz vom 19.01.2021). Dem ist die Beklagte in erster Instanz nicht entgegengetreten. Auch die Höhe der insoweit für den Gegenstandswert maßgeblichen Forderung stand in erster Instanz nicht in Streit. Damit wurden letztlich alle für den Vergütungsanspruch der Klägerin für das Tätigwerden im Mahnverfahren maßgeblichen Tatsachen bereits hinreichend vorgetragen. In der Berufungsbegründung ist lediglich die sich aus den o.g. Tatsachen ergebende Vergütung nach dem RVG beziffert (1,0 Gebühr nach dem RVG aus einem Gegenstandswert von 13.341,71 € zuzüglich Pauschale und Umsatzsteuer) und der Mahnbescheidsantrag vorgelegt worden. Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren darauf beschränkt, den Vortrag der Klägerin als verspätet zurückzuweisen. Abgesehen davon, dass die relevanten Tatsachen bereist in erster Instanz vorgetragen wurden und unstreitig waren, kann auch in einer Verspätungsrüge nicht ohne weiteres ein Bestreiten gesehen werden. Selbst neue Tatsachen wären in zweiter Instanz immer dann berücksichtigungsfähig, wenn sie unstreitig sind (BGH, Beschluss vom 13.01.2015, Az. VI ZR 551/13).
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2. Dass der Vergütungsanspruch in Höhe von 797,30 € erstmals in der Berufungsbegründung auf das Tätigwerden im Mahnverfahren gestützt wurde, war bei den als Nebenforderung geltend gemachten Zinsen hinsichtlich des Verzinsungsbeginns (§ 291 BGB) zu berücksichtigen.
20
3. Haupt- und Hilfsantrag im Berufungsverfahren sind auf dasselbe Interesse gerichtet, nämlich die Zahlung der vollen, ursprünglich eingeklagten Vergütung. Inwieweit ein Versäumnisurteil, das einmal aufgehoben wurde (§ 343 ZPO), im Berufungsverfahren wiederhergestellt werden kann, ist in der Rechtsprechung umstritten (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.1989, Az. 3 F 114/89; OLG München, Urteil vom 24.06.2020, Az. 10 U 5582/19; OLG Köln, Urteil vom 04.07.2019, Az. 15 U 190/18). Das OLG München hat sich in der Entscheidung vom 24.06.2020 nur insoweit positioniert, als es die Rechtsauffassung vertreten hat, dass dann, wenn ein Versäumnisurteil nach Einspruch in erster Instanz (fälschlicherweise) vollständig aufgehoben wurde, eine (teilweise) Aufrechterhaltung nicht mehr möglich ist. Im vorliegenden Fall wurde § 343 ZPO vom Erstgericht jedoch korrekt angewandt und das Versäumnisurteil auf den Einspruch hin modifiziert („mit der Maßgabe, dass“) aufrechterhalten. Jedenfalls in dieser Konstellation sieht das Berufungsgericht keinen Grund, warum diese Modifizierung des Versäumnisurteils in zweiter Instanz nicht abgeändert werden könnte.
III.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 I, 92 I, 344 ZPO. Bei der Kostenquotelung war zu berücksichtigen, dass die Klage in Höhe von 797,30 € nur im Wege der Hilfsbegründung Erfolg hatte.
22
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
Verkündet am 03.06.2022