Titel:
Ausgleichsanspruch des Fluggastes eines annullierten Fluges bei Bevorzugung eines zuvor wetterbedingt ausgefallenen Fluges
Normenkette:
FluggastrechteVO Art. 5 Abs. 3, Art. 7
Leitsatz:
Ist ein vorangegangener Flug aufgrund eines Sturmtiefs am Vortage annulliert worden und entscheidet sich das Luftfahrtunternehmen im Interesse der seit dem Vortage wartenden Passagiere diese zuerst zu befördern und daher den am Vortag annullierten Flug anstatt des verfahrensgegenständlichen Fluges durchzuführen, beruht die Annullierung des verfahrensgegenständlichen Fluges auf einer freien Entscheidung des Luftfahrtunternehmens, nicht aber auf außergewöhnlichen Umständen. (Rn. 12 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fluggastrechte, Ausgleichszahlung, Annullierung, außergewöhnliche Umstände, Wetterbedingungen, Ausfall eines vorangegangenen Fluges, Bevorzugung
Fundstellen:
RRa 2023, 22
ReiseRFD 2023, 368
BeckRS 2022, 35101
LSK 2022, 35101
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 600,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.05.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 600,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
1. Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
2
Die Klägerin kann eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600,00 € aus Art. 5 Abs. 1 lit. c), 7 Abs. 1 lit. c) der VO (EG) 261/2004 aus abgetretenem Recht verlangen. Die Abtretung des Ausgleichsanspruches betreffend die Flüge vom 11.02.2020 von München über Abu Dhabi nach Phuket erfolgte durch den Fluggast N.N. an die Klägerin.
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aa) Der Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordung ist gem. Art. 3 Abs. 1 lit. a), Abs. 2 lit. a) VO (EG) 261/2004 eröffnet. Der Zedent sollte den Flug im Gemeinschaftsgebiet in München antreten und verfügt über eine Buchungsbestätigung.
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bb) Der 1. Teilflug (Nr. XX4 von München nach Abu Dhabi) wurde annulliert mit der Folge, dass der Zedent den 2. Teilflug verpasste. Mit der angebotenen Ersatzbeförderung erreichte die Zedent sein Endziel mit einer Verspätung von 24 Stunden.
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cc) Die gem. Art. 7 Abs. 1 S. 2 VO (EG) 261/2004 zu Grunde zu legende Entfernung zwischen dem Abflughafen München und dem Zielflughafen Phuket beträgt nach der gem. Art. 7 Abs. 4 VO (EG) 261/2004 maßgeblichen Großkreisberechnungsmethode mehr als 3.500 Kilometer, sodass sich die Anspruchshöhe aus Art. 7 Abs. 1 S.1 lit. c) VO (EG) 261/2004 ergibt und 600,00 € beträgt.
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dd) Die Beklagte kann sich nicht erfolgreich auf außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 berufen. Denn ein dem Flug entgegenstehender außergewöhnlicher Umstand wird nicht vorgetragen. Vielmehr war die Beklagte rechtlich und tatsächlich in der Lage, den streitgegenständlichen Flug durchzuführen.
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Außergewöhnliche Umstände sind Vorkommnisse, die aufgrund ihrer Natur und Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind, wie beispielsweise Naturkatastrophen, versteckte Fabrikationsfehler oder terroristische Sabotageakte (EuGH, Urteil vom 22.12.2008 - C-549/07 - NJW 2009, 347; BGH, Urteil vom 12.11.2009 - Xa ZR 76/07 - NJW 2010, 107). In den Erwägungsgründen (14) und (15) der Verordnung sind außergewöhnliche Umstände beispielsweise politische Instabilität, schlechte Wetterbedingungen, unerwartete Sicherheitsrisiken und Flugsicherheitsmängel, beeinträchtigender Streik und Entscheidungen des Flugverkehrsmanagements genannt, wobei diese Aufzählung nicht abschließend ist.
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Die Beklagte, die für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände darlegungs- und beweisbelastet ist, beruft sich im vorliegenden Fall darauf, dass der Vorflug des streitgegenständlichen Fluges mit der Flugnummer XX003 - aufgrund von widrigen Wetterbedingungen am Flughafen in München - nach Mailand ausweichen musste. Er konnte erst am Morgen des 11.02.2020 weiter nach München fliegen und landete dort um 09:55 Uhr.
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Damit war die für den verfahrensgegenständlichen Flug eingeplante Maschine zum geplanten Abflugzeitpunkt des verfahrensgegenständlichen Fluges Nr. XX4 am 11.02.2020 um 21.40 Uhr in München.
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Den Anforderungen der Rechtsprechung für eine Exkulpation genügende widrige Wetterbedingungen, mögen am 10.02.2020 vorgelegen haben, wirkten sich aber - nachdem die eingeplante Maschine unstreitig rechtzeitig vor Ort war - nicht direkt auf den verfahrensgegenständlichen Flug aus. Dem Flug entgegenstehende Wetterbedingungen am 11.02.2022 wurden nicht dargetan.
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Andere Umstände, welche als außergewöhnlich i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 eingeordnet werden könnten, sind nicht ersichtlich.
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Zwar trägt die Beklagte weiter vor, aufgrund des Sturmtiefs „Sabine“ sei der Flug, welcher am Vortag auf der Route fliegen sollte, annulliert worden. Die Beklagte habe dann - im Interesse der anderen wartenden Fluggäste - entschieden, die bereits am Vortag in München gestrandeten Passagiere zuerst zu befördern und daher den am Vortag annullierten Flug anstatt des verfahrensgegenständlichen Fluges durchzuführen.
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Dieser Vortag konnte ebenfalls als wahr unterstellt werden, da insoweit kein Vorkommnis geschildert wird, welches seiner Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und von der Beklagten tatsächlich nicht zu beherrschen ist.
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Es handelt sich hier um eine freie Entscheidung der Beklagten, welche als Teil ihrer normalen Tätigkeit zum Luftverkehr gehörend in ihrer Sphäre liegt und nicht von außen kommend und für sie unbeherrschbar die ordnungs- und plangemäße Durchführung beeinträchtigt oder gar unmöglich gemacht hat.
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Die Annullierungsentscheidung geht nach alledem für das Gericht nicht kausal auf wetterbedingte Unregelmäßigkeiten zurück und die Beklagte kann sich daher für den streitgegenständlichen Flug nicht nach Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 entlasten.
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Die Verurteilung zur Zahlung der Zinsen als Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.