Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 01.12.2022 – RN 5 S 22.2413
Titel:

Pflicht zur Teilnahme am Zensus 2022

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
ZensG 2022 § 1, § 8, § 9, § 10, § 23, § 24
BStatG § 1, § 15
AO § 39 Abs. 2 Nr. 1
EUV Art. 4 Abs. 3
DSGVO Art. 1, 2, 5
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 13, Art. 19 Abs. 4, Art. 100 Abs. 1
Leitsätze:
1. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist von Bedeutung, ob es sich um einen Fall handelt, in dem der Sofortvollzug von der zuständigen Behörde angeordnet wurde (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO) oder um einen Fall des Sofortvollzuges kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3a VwGO). Im letzteren Fall hat der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollzugsinteresses angeordnet, sodass es regelmäßig besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Macht ein nach dem Zensusgesetz 2022 zur Auskunft Herangezogener geltend, dass die betreffende Liegenschaft derzeit Gegenstand einer privaten Sicherungsvereinbarung sei, in deren Rahmen  er Sicherungsgeber sei, liegt ein Fall von § 24 Abs. 1 S. 2 ZensG 2022 iVm § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 AO vor, womit die gegenständliche Liegenschaft wirtschaftlich und damit auch im Sinne der Auskunftspflicht dem Betroffenen zuzurechnen ist. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die deutschen Vorschriften zur Regelung des Zensus 2022 verstoßen nach summarischer Prüfung nicht gegen Recht der Europäischen Union. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die deutschen Vorschriften zur Regelung des Zensus 2022 verletzen nach summarischer Prüfung auch nicht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die ehemalige Einbindung der Firma Cloudflare in das Hosting der Website "www.zensus2022.de" führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Durchführung des Zensus 2022. (Rn. 68) (redaktioneller Leitsatz)
6. § 8 ZensG 2022 ist rechtmäßig. (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sofortvollzug kraft gesetzlicher Anordnung, Zensus 2022, Gebäude- und Wohnungszählung, Unions- und Verfassungsmäßigkeit des Zensus 2022, Auskunftspflicht, Verhältnismäßigkeit, effet utile, Vereinbarkeit des Zensus mit der Datenschutzgrundverordnung, Einbindung der Firma, Cloudflare in den Zensus 2022, Zwangsgeldandrohung, Verwaltungsakt, aufschiebende Wirkung, Sofortvollzug, Cloudflare, Sicherungsvereinbarung, Definitionsverzeichnis, Vorlagepflicht, effektiver Rechtsschutz, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO
Fundstellen:
RDV 2023, 66
BeckRS 2022, 35011
LSK 2022, 35011

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Rahmen des Zensus 2022 im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage vom 4.10.2022, Az. RO 5 K 22.2492 gegen einen Bescheid des Antragsgegners vom 28.9.2022, Az.: BY- … Mit Schreiben vom 20.5.2022 wurde der Antragsteller von dem Antragsgegner darauf hingewiesen, dass er als Eigentümer, Verwalter oder sonstige verfügungsberechtigte oder nutzungsberechtigte Person der Liegenschaft …, … ermittelt worden und daher zur Teilnahme am Zensus verpflichtet sei. Nachdem hierauf keine Rückmeldung erfolgte, erging am 23.6.2022 ein weiteres Schreiben. Mit diesem Schreiben wurde dem Antragsteller auch ein Fragebogen in Papierform übersandt.
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Mit einem an den Präsidenten des Bayerischen Landesamtes für Statistik gerichteten Einschreiben vom 11.7.2022 erklärte der Antragsteller, die abgefragten Begrifflichkeiten - wie Eigentümer - würden nur unzureichend definiert, sodass eine rechtssichere Beantwortung der Fragen für ihn nicht möglich sei, insbesondere, weil die Liegenschaft Gegenstand einer privaten Sicherungsvereinbarung sei. Überdies vermute er eine Haftung für die Richtigkeit der Angaben. Zur Beantwortung sei daher die Klärung von Rückfragen und die Übersendung eines Definitionsverzeichnisses notwendig.
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Daraufhin erging am 28.9.2022 der streitgegenständliche Bescheid. Der Antragsteller sei verpflichtet, die in den beiliegenden Erhebungsunterlagen zur Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2022 erfragten Angaben für alle dort aufgeführten Objekte vollständig und wahrheitsgemäß in der in Ziffer 2 des Bescheides bezeichneten Form an das Bayerische Landesamt für Statistik zu übermitteln (Ziffer 1). Diese Verpflichtung sei durch Ausfüllen und Rücksenden des beiliegenden Papierfragebogens oder durch Online-Meldung zu erfüllen (Ziffer 2). Für den Fall des nicht vollständigen und ordnungsgemäßen Erfüllens der in Ziffern 1 und 2 festgelegten Auskunftsverpflichtung binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides werde ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR zur Zahlung fällig (Ziffer 3). Bezüglich der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
4
Mit Schreiben vom 4.10.2022 hat der Antragsteller hiergegen Klage erhoben und einen Antrag im einstweiligen Rechtschutz gestellt. Neben den bereits im Verwaltungsverfahren geäußerten Punkten lässt er nunmehr auch vortragen, dass die Erhebung im Rahmen des Zensus 2022 als solche rechtswidrig sei. Hierfür spräche u.a. die Zusammenarbeit des Statistischen Bundesamtes mit der amerikanischen Firma Cloudflare im Zusammenhang mit der Bereitstellung der Zensus-Website (www.zensus2022.de) und der Online-Datenerhebung. Diesbezüglich trägt der Antragsteller zahlreiche Bedenken vor. All die genannten Risiken beträfen auch die Auskunft in Form des Papier-Fragebogens, da auch die hier erhobeneren Daten in Beleglesezentren maschinell eingelesen und im Anschluss mit den Online-Fragebögen zusammengeführt würden, wobei wiederum zu befürchten sei, dass auf die Dienste von Cloudflare zurückgegriffen werde.
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Daneben verstießen die Zensusvorschriften gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Dieses erfordere im Umgang mit sensiblen Daten ein hohes Maß an organisatorischen und verfahrensrechtlichen Maßnahmen sowie Transparenz, aufsichtliche Kontrolle und effektiven Rechtsschutz. All dies sei nicht gewährleistet, insbesondere im Zusammenhang mit Cloudflare. Auch dem gebotenen Schutz vor Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote sowie Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschpflichten werde nicht genüge getan. Der Betroffene habe auch jeweils keine Kenntnis über Zweck- und Verwendungszusammenhang. In Bezug auf das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts würde gegen den Grundsatz verstoßen, dass nur anonymisierte und statistisch aufbereitete Daten übermittelt werden dürften. Überdies sei auch kein überwiegendes Allgemeininteresse ersichtlich, aufgrund dessen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch den Zensus eingeschränkt werden dürfte. Im Rahmen der Schranken seien insbesondere der Grundsatz der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage, das Gebot der Normenklarheit und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet worden. Es werde zudem gegen die Grundsätze aus dem Mikrozensusbeschluss des Bundesverfassungsgerichts verstoßen, insbesondere hinsichtlich Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 13 GG. Daneben fehle es auch an einer korrekten Belehrung der Betroffenen im Hinblick auf den Datenschutz sowie die Antwortmöglichkeiten im Zensus (Online oder postalisch). Hierdurch werde versucht, die Betroffenen zur Nutzung des Online-Portals zu drängen. Außerdem wird die Rechtswidrigkeit der §§ 8 ZensG, 32 Abs. 1 ZensG 2022 geltend gemacht. Auch der Melderegisterabgleich sei verfassungswidrig.
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In europarechtlicher Hinsicht rügt der Antragstellervertreter insbesondere Verstöße gegen die EU-Verordnungen 763/2008 und 712/2017 durch die Verschiebung des Zensus in das Jahr 2022. Daneben verstieße Art. 3 BayStatG gegen die DSGVO. Das gelte auch für das sonstige Zensusrecht. Auch Art. 8 der EU-Grundrechtecharta werde verletzt.
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Grundsätzlich läge die Vermutung nahe, dass das wahre Ziel des Zensus die Enteignung weiter Teile der Bevölkerung sei. Durch den Zensus würden die tatsächlichen Werte zahlreicher Immobilien ermittelt, dies diene letztlich der Vorbereitung einer Vermögensabgabe nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 GG. § 32 ZensG 2022 schließe zwar die Verwendung der gewonnenen Daten für Administrativenteignungen, nicht jedoch für Legalenteignungen aus. All dies diene dem Zweck, das wirtschaftliche und gesundheitliche Debakel, welches die Regierung in den vergangenen Jahren angerichtet habe, auszugleichen. Zu beachten sei auch die sog. „Smart-City-Charta“, welche u.a. auf dem Internetauftritt des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit abrufbar sei. Diese enthalte u.a. die Begriffe „Postownership society“ und „Postvoting Society“. Eine solche „Postvoting society“ widerspreche Art. 20 Abs. 2 GG eklatant und könne nicht gewollt sein. Dies zu bekämpfen sei auch Aufgabe der Judikative.
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Nach alledem überwiege jedenfalls das Aussetzungsinteresse des Klägers das Vollzugsinteresse des Antragsgegners. Hierfür sprächen die voraussichtliche Rechtswidrigkeit des Bescheides, die irreversiblen Folgen der Weitergabe der Daten sowie die Tatsachen, dass durch ein Zuwarten keine gravierenden Nachteile für den Antragsgegner entstehen würden. Dies ergebe sich u.a. daraus, dass auch aus Gründen der Pandemie offenkundig eine Verschiebung des Zensus und mithin ein Zuwarten auf die Daten möglich war.
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Der Antragsteller lässt beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 4.10.2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28.9.2022, Az.: BY- … anzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid seien §§ 9 f., 23 Abs. 1, 24 Abs. 1, 3 ZensG 2022 i.V.m. § 12 ZensVorbG i.V.m. § 15 BStatG. Der Antragsteller sei auf Basis der dem Antragsgegner übermittelten Registerdaten als auskunftspflichtige Person für die gegenständliche Liegenschaft ermittelt und zur Auskunftserteilung aufgefordert worden. Die dem Antragsgegner übermittelten Datenbestände begründeten aufgrund der sich hieraus ergebenden Eigentumsverhältnisse die Auskunftspflicht des Antragstellers. Für den Antragsgegner sei es nicht nachvollziehbar, ob die zur Ermittlung der Auskunftspflichtigen herangezogenen Verwaltungsregister Fehler aufwiesen, ob es sich um veraltete Datensätze handele oder ob es zu Übertragungsfehlern gekommen sei. Der Zensus diene letztlich genau dem Aufdecken solcher Fehler, damit nur korrekte Daten in die Statistik eingehen. Für den Antragsgegner seien die geschilderten Eigentumsverhältnisse auf Grundlage der Mitteilung des Antragstellers vom 11.7.2022 nicht nachvollziehbar oder bewertbar. Diese Bewertung obliege alleine dem Antragsteller, was sich insbesondere daraus ergebe, dass es sich beim Eigentum um ein von der Auskunftspflicht umfasstes Erhebungsmerkmal nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZensG 2022 handele. Das Zensusgesetz definiere den Begriff des Eigentums nicht neu, sondern setze voraus, dass eine auskunftspflichtigen Person die Eigentumsverhältnisse kenne. Daher gäbe es weder ein Definitionsverzeichnis, noch einzelfallbezogene Ausfüllhilfen. Ohnehin habe der Antragsteller es versäumt, die mitgeteilten Kontaktdaten für zensusspezifische Anfragen zu verwenden. Soweit der Antragsteller geltend mache, er sei ggf. nicht mehr auskunftspflichtig gem. § 24 Abs. 1 ZensG 2022, so folge seine Auskunftspflicht dann jedenfalls aus § 24 Abs. 3 ZensG 2022.
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Im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Verschiebung des Zensus in das Jahr 2022 mit EU-Recht trägt der Antragsgegner vor, die Verschiebung sei aufgrund der Corona-Pandemie und des damit verbundenen Einsatzes erheblicher Verwaltungsressourcen im Gesundheitswesen notwendig gewesen. Die Gesetzgebungskompetenz hierfür folge aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG. Um den Anforderungen der Verordnung (EG) 763/2008 gerecht zu werden, werde eine Rückrechnung der Daten auf den 31.12.2021 stattfinden. Dies sei aus zensus- und bevölkerungsstatistischer Sicht machbar.
13
Im Hinblick auf die Fa. Cl.trägt der Antragsgegner vor, dass deren Datenverarbeitung sich zu keinem Zeitpunkt auf andere Daten als sog. Metadaten (wie IP-Adressen der Nutzer, Zugriffszeitpunkte) bezogen habe. Inzwischen sei das Content Delivery Network der Fa. Cl.ohnehin von der Zensus-Website entfernt worden. In diesem Zusammenhang verweist der Antragsgegner auf eine Mitteilung des Bundesbeauftragten für Datenschutz vom 18.5.2022. Zudem habe die Verarbeitung der Papierfragebögen beim Antragsgegner sowie die Weiterleitung an und Verarbeitung durch das Statistische Bundesamt in keinerlei Zusammenhang zur Fa. Cl.gestanden.
14
Im Ergebnis überwiege das Aussetzungsinteresse nicht das Vollzugsinteresse. Rechtsbehelfe gegen die Aufforderung zur Erteilung von Auskünften zur amtlichen Statistik hätten nach § 15 Abs. 7 BStatG keine aufschiebende Wirkung. Dem liege die gesetzgeberische Wertung zugrunde, dass das Vollzugsinteresse grundsätzlich das Aussetzungsintersse überwiege. Der Zensus sei auf möglichst vollständige Angaben angewiesen. Die Ergebnisse seien als Entscheidungshilfe für die Politik von großer Bedeutung. Dies rechtfertige es, den Rechtsschutzanspruch einstweilen zurückzustellen. Es seien zudem nur zeitnahe Dateneingänge bis Ende Dezember 2022 verwertbar. Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung könne daher nur erfolgen, wenn das schutzwürdige Interesse des Antragstellers so wichtig wäre, dass dahinter selbst das als vorrangig anerkannte öffentliche Interesse an der vorläufigen Vollstreckbarkeit zurückzutreten hätte. Dies könne nur dann der Fall sein, wenn ein besonders gestalteter Ausnahmefall vorläge oder die Klage überwiegende Aussicht auf Erfolg hätte. Nachdem beides nicht der Fall sei, sei dem Antrag nicht stattzugeben.
15
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten im Hauptsache- und im Eilverfahren sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
16
Der zulässige Antrag im einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO hat keinen Erfolg. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind als gering anzusehen, nachdem sich die Aufforderung zur Auskunftserteilung nach summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig erweist. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertungsentscheidung in § 15 Abs. 7 BStatG überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch unter anderem in durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO. Ein solcher Fall liegt hier vor, nachdem gem. §§ 15 Abs. 7 BStatG i.V.m. §§ 1, 23 ff. ZensG 2022 Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Aufforderung zur Auskunftserteilung im Rahmen des Zensus 2022 keine aufschiebende Wirkung haben. In solchen Fällen kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen.
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2. Der Antrag ist unbegründet.
19
Das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs des streitgegenständlichen Bescheids überwiegt das Interesse des Antragstellers, den Bescheid bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht befolgen zu müssen.
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Bei der Prüfung der Begründetheit eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigenständige Interessenabwägung vorzunehmen, im Rahmen derer u.a. das Aussetzungsinteresse des Antragstellers dem öffentlichen Vollzugsinteresse gegenüberzustellen ist. Hierbei spielen die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs eine maßgebliche Rolle; denn grundsätzlich besteht kein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, während umgekehrt im Regelfall ein starkes öffentliches Interesse an der baldigen Realisierung des Verwaltungsaktes besteht, wenn dieser erkennbar rechtmäßig ist. Lassen sich dagegen nach summarischer Prüfung keine Aussagen über die Erfolgsaussichten der Klage machen, muss eine allgemeine, eigenständige und von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unabhängige Interessenabwägung stattfinden (vgl. zur Interessenabwägung: BVerwG, B.v. 11.11.2020 - 7 VR 5.20 - juris Rn. 8; BVerwG, B.v. 23.1.2015 - 7 VR 6.14 - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 4.12.2019 - 15 CS 19.2048 - juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 21.3.2011 - 10 AS 10.2499 - juris Rn. 20; Eyermann/Hoppe, 16. Aufl. 2022, VwGO § 80 Rn. 85 ff.; Schoch/Schneider/Schoch, 42. EL Februar 2022, VwGO § 80 Rn. 372 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 80 Rn. 152 ff.).
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Im Rahmen der Interessenabwägung ist es auch von Bedeutung, ob es sich um einen Fall handelt, in dem der Sofortvollzug von der zuständigen Behörde angeordnet wurde (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) oder um einen Fall des Sofortvollzuges kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3a VwGO). Im hier vorliegenden letzteren Fall hat der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollzugsinteresses angeordnet, sodass es regelmäßig besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen (BVerfG, B.v. 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03 - NVwZ 2004, 93/94; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 24).
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist im Hinblick auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache der Zeitpunkt des Bescheidserlasses, nachdem es sich in der Hauptsache um eine Anfechtungsklage handelt und das materielle Recht keine anderweitige Regelung trifft. Im Hinblick auf die Dringlichkeit der sofortigen Vollziehung ist der Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung maßgeblich (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 105 f.; Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Auflage 2021, § 80 VwGO Rn. 164).
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Zur Überzeugung der Kammer sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nach summarischer Prüfung als gering einzuschätzen. Der Antragsteller ist im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung auskunftspflichtig, es bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken dahingehend, dass die streitgegenständlichen Rechtsnormen gegen höherrangiges Recht verstoßen oder aus anderen Gründen rechtswidrig sind. Die Aufforderung zur Auskunftserteilung unter Androhung eines Zwangsgeldes ist daher zurecht ergangen. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die die Anordnung der aufschiebenden Wirkung aus anderen Gründen erfordern würden.
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a) Rechtsgrundlage für die Aufforderung zur Auskunftserteilung sind die §§ 9, 10, 23, 24 des Gesetzes zur Durchführung des Zensus im Jahr 2022 (ZensG 2022) i.V.m. §§ 1, 15 Abs. 1 des Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke (BStatG). Der Antragsteller ist nach Aktenlage entweder nach § 24 Abs. 1 Satz 2 ZensG 2022 i.V.m. § 39 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) oder nach § 24 Abs. 3 ZensG 2022 auskunftspflichtig.
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Aus § 15 Abs. 1, 2 BStatG ergibt sich, dass die mit der Durchführung einer Bundesstatistik amtlich betraute Stelle u. a. eine natürliche Person zu einer Auskunftserteilung auffordern darf, wenn die eine Bundesstatistik anordnende Rechtsvorschrift eine Auskunftspflicht festlegt. Ein solcher Fall liegt hier vor. Nach § 9 Abs. 1 ZensG 2022 führen die statistischen Ämter der Länder (in Bayern das Bayerische Landesamt für Statistik nach Art. 25a BayStatG) zum Zensusstichtag eine Gebäude- und Wohnungszählung durch. Die Befragung erfolgt gem. § 1 Abs. 1 ZensG 2022 als Bundesstatistik. Nach
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§ 23 Abs. 1 Satz 1 ZensG 2022 besteht hierbei grundsätzlich eine Auskunftspflicht. Für die Erhebung nach § 9 Abs. 1 ZensG 2022 (Gebäude- und Wohnungszählung) sind die Eigentümerinnen und Eigentümer, die Verwalterinnen und Verwalter sowie die sonstigen Verfügungs- und Nutzungsberechtigten der Gebäude oder Wohnungen auskunftspflichtig (§ 24 Abs. 1 Satz 1 ZensG 2022). Als Eigentümerinnen und Eigentümer gelten hierbei auch die Personen, denen die Gebäude und Wohnungen nach § 39 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) wirtschaftlich zuzurechnen sind (§ 24 Abs. 1 Satz 2 ZensG 2022); in solchen Fällen sind diese ebenfalls auskunftspflichtig. Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO ist ein Wirtschaftsgut nicht dem Eigentümer, sondern einem Dritten zuzurechnen, wenn dieser Dritte die tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut in einer Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das jeweilige Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann (Satz 1). Insbesondere ist bei Treuhandverhältnissen das Wirtschaftsgut dem Treugeber, beim Sicherungseigentum das Wirtschaftsgut dem Sicherungsgeber und beim Eigenbesitz das Wirtschaftsgut dem Eigenbesitzer zuzurechnen (Satz 2). Gehört eine als auskunftspflichtig ermittelte Person schließlich auf Grund eines zum Zensusstichtag noch nicht nachvollzogenen Eigentümerwechsels nicht mehr zum Kreis der Auskunftspflichtigen nach § 24 Abs. 1 ZensG 2022, so ist diese Person dennoch auskunftspflichtig im Hinblick auf den Namen und die Anschrift des Erwerbers. Verfügt die Person nicht über die für diese Auskunft notwendigen Informationen, hat sie eine Person i.S.v. § 24 Abs. 1 ZensG 2022 zu benennen, die die Auskünfte erteilen kann (§ 24 Abs. 3 Sätze 1, 2 ZensG 2022).
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(1) Die Auskunftspflicht des Antragstellers ergibt sich unmittelbar aus diesen Vorschriften, auch wenn entsprechend seines Vortrages davon ausgegangen wird, dass er nicht bereits nach § 24 Abs. 1 Satz 1 ZensG 2022 als Eigentümer auskunftspflichtig ist. Der Antragsteller hat vorgetragen, dass die Liegenschaft derzeit Gegenstand einer privaten Sicherungsvereinbarung sei, in deren Rahmen der Antragsteller Sicherungsgeber sei. Somit liegt ein Fall von § 24 Abs. 1 Satz 2 ZensG 2022 i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO vor, womit die gegenständliche Liegenschaft wirtschaftlich und damit auch im Sinne der Auskunftspflicht dem Antragsteller zuzurechnen ist. Die Regelung in § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO hat den Hintergrund, dass ein Sicherungsnehmer im Rahmen einer schuldrechtlichen Sicherungsabrede typischerweise in seiner Verfügungsgewalt derart eingeschränkt ist, dass er nur stark eingeschränkt über das Wirtschaftsgut verfügen kann. Er erlangt zwar formell Eigentum, eigentümerähnliche Befugnisse erwachsen ihm aber für gewöhnlich erst im Sicherungsfall (vgl. bspw. Klinck in BeckOGK, Stand 1.9.2022, § 930 BGB Rn. 60 ff.; Brühl in BeckOK AO, 21. Edition, Stand 1.7.2022, § 39 AO, Rn. 409). Im Gegensatz dazu verliert der Sicherungsgeber zwar in der Regel das zivilrechtliche Eigentum, behält aber weitestgehend die Befugnisse des Eigentümers und ist insbesondere in der Regel weiterhin berechtigt, den Sicherungsgegenstand zu nutzen und die tatsächliche Herrschaft darüber auszuüben (Brühl in BeckOK AO, 21. Edition, Stand 1.7.2022, § 39 AO, Rn. 407).
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In solchen Fällen sieht es das Steuerrecht in § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO vor, Güter wirtschaftlich dem Sicherungsgeber zuzuordnen. Nachdem mit dem Zensus das Ziel verfolgt wird, möglichst effektiv und schnell Informationen über Wohnungen und Gebäude zu erlangen, wird über § 24 Abs. 1 Satz 2 ZensG 2022 ebenfalls auf die wirtschaftliche Zuordnung abgestellt und dem Sicherungsgeber die Auskunftspflicht auferlegt. Dieser wird aufgrund der oben beschriebenen üblichen Ausgestaltung einer Sicherungsabrede im Regelfall einfacher und effizienter die abgefragten Informationen bereitstellen können, als dies der Sicherungsnehmer könnte.
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Zu beachten ist hierbei, dass es sich bei § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht um eine zwingende Regelung handelt, sodass weiterhin die Ausgestaltung der Sicherungsabrede im Einzelfall entscheidend ist. In atypischen Fällen einer Sicherungsabrede kann das Wirtschaftsgut bereits mit Abschluss des Sicherungsvertrages dem Sicherungsnehmer zuzurechnen sein (Brühl in BeckOK AO, 21. Edition, Stand 1.7.2022, § 39 AO, Rn. 409). Für einen atypischen Fall spricht im konkreten Fall indes nichts. Der Antragsteller hat insoweit nichts vorgetragen, auch aus der Akte ergeben sich diesbezüglich keine Anhaltspunkte. Stattdessen führt der Antragsteller aus der gegenständlichen Anschrift heraus den Rechtsstreit, wohingegen der Sicherungsnehmer nach Angaben des Antragstellers eine „nichtansässige Drittpartei“ ist.
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Selbst, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalles kein Fall von § 24 Abs. 1 Satz 2 ZensG 2022 i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO vorliegen sollte, wäre der Antragssteller dennoch auskunftspflichtig. Seine Auskunftspflicht ergäbe sich dann aus § 24 Abs. 3 ZensG 2022. Diese Vorschrift setzt nur voraus, dass eine als auskunftspflichtig ermittelte Person auf Grund eines zum Zensusstichtag bei den zuständigen Stellen noch nicht nachvollzogenen Eigentümerwechsels nicht mehr zum Kreis der Auskunftspflichtigen nach § 24 Abs. 1 ZensG 2022 gehört. In diesem Fall hat die Person dem zuständigen statistischen Amt die Namen und Anschriften der Erwerber mitzuteilen (Satz 1). Verfügt die zur Auskunft herangezogene Person nicht über die nötigen Informationen, hat sie eine Person nach § 24 Abs. 1 ZensG 2022 zu benennen, die die Auskünfte erteilen kann (Satz 2). Ein solcher Fall läge aufgrund der Sicherungsübereignung dann vor.
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Im Ergebnis ist der Antragsteller somit Fall auskunftspflichtig. Seine Auskunftspflicht ergibt sich - dem Vortrag des Antragstellers folgend - aus § 24 Abs. 1 Satz 2 ZensG 2022 i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO oder aus § 24 Abs. 3 ZensG 2022.
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(2) Daneben macht der Antragsteller geltend, dass er aufgrund der Sicherungsvereinbarung die Eigentumsverhältnisse i.S.v. § 10 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZensG 2022 nicht beurteilen könne und, dass er zum Ausfüllen des Fragebogens eines Definitionsverzeichnisses bedürfe. Hierbei bezieht er sich neben der Frage, wer auskunftspflichtig ist wohl insbesondere auf die Frage „G5“ in dem gegenständlichen Fragebogen („Wer ist Eigentümer/-in des Gebäudes?“). Jedoch obliegt diese Einschätzung nach Ansicht des Gerichts dem Antragsteller. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass es sich bei der Frage nach den Eigentumsverhältnissen um eine Frage nach einem Erhebungsmerkmal i.S.v. § 10 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZensG 2022 handelt, welches durch die Befragung in Erfahrung gebracht werden soll. Würde man die Ermittlung dieses Merkmales der Behörde auferlegen, dann würde dies dem Sinn und Zweck der Befragung entgegenstehen. In Anbetracht dessen, dass die Liegenschaft nach Angaben des Antragstellers Gegenstand einer privaten Sicherungsvereinbarung ist, erscheint es im Übrigen zweifelhaft, wieso der Antragsteller nicht wissen sollte, mit wem diese private Sicherungsvereinbarung geschlossen wurde. Es dürfte zudem mangels irgendwelcher anderweitiger Anhaltspunkte offenkundig sein, dass hier nach dem zivilrechtlichen Eigentum gefragt wird. Bei Unklarheiten bestünde in diesem Zusammenhang überdies die Möglichkeit der Kontaktaufnahme über die von Seiten des Antragsgegners mitgeteilten Kontaktdaten, welche vom Antragsteller - jedenfalls zum Stand der Antragserwiderung vom 26.10.2022 - nach Angaben des Antragsgegners nicht genutzt worden ist.
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Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang schließlich haftungsrechtliche Bedenken aufwirft, aufgrund derer ihm die Auskunft unzumutbar sei, so überzeugt auch dies nicht. Als Anknüpfungspunkt für eine Haftung des Antragstellers kommt insbesondere § 23 Abs. 1 BStatG in Betracht, Art. 28 Abs. 1 BayStatG wird insoweit wohl verdrängt, vgl. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 BayStatG. Demnach setzt die Verwirklichung einer Ordnungswidrigkeit aber das vorsätzliche oder fahrlässige nicht, nicht richtige, nicht vollständige oder nicht rechtzeitige Erteilen einer Auskunft voraus. Nachdem schon das fahrlässige Verwirklichen des Tatbestandes das außer Acht lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erfordert, welches nicht erfüllt sein wird, wenn der Antragsteller im Rahmen seiner Möglichkeiten den Bogen nach bestem Wissen und Gewissen ausfüllt, sind diese Bedenken nach Ansicht des Gerichts unbegründet. Schlichte Fehler sind, entgegen den Ausführungen des Antragstellers, nicht sanktionsbewehrt. Ginge man daneben von einer Anwendbarkeit des Art. 28 BayStatG aus, so würde auch dies zu keinem anderen Ergebnis führen, nachdem auch Art. 28 Abs. 1 Satz 1 BayStatG schuldhaftes (fahrlässiges oder vorsätzliches) Handeln voraussetzt.
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b) Es bestehen auch im Übrigen keine Bedenken gegen die Heranziehung des Antragstellers im Rahmen des Zensus 2022.
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Seitens des Antragstellers wird insbesondere vorgetragen, die Vorschriften zum Zensus 2022 würden gegen Europarecht sowie gegen deutsches Verfassungsrecht verstoßen. Im Rahmen der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung sind daher auch diese Gesichtspunkte zu überprüfen.
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Bezüglich möglicher Verstöße gegen das Europarecht bestehen keine verfahrensrechtlichen Europarechtsregeln, die festlegen, unter welchen Voraussetzungen vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden kann. Hält ein Gericht daher die geltenden nationalen Regelungen, aufgrund derer ein Verwaltungsakt erlassen worden ist, für europarechtswidrig, so beurteilt sich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ausschließlich nach nationalem Verfahrensrecht. Insbesondere besteht keine Verpflichtung, die Sache gemäß Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen (vgl. dazu: EuGH, U.v. 13.5.2007 - C-432/05 - Slg. 2007, I-2271 Rn. 79 ff.; Puttler in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018 Rn. 16 ff; SchochKoVwGO/Schoch, 41. EL Juli 2021, VwGO § 80 Rn. 396, Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 80 Rn. 164), was sich nach Ansicht der Kammer ohnehin bereits aus dem Wortlaut des Art. 267 Abs. 3 AEUV ergibt.
37
Ist das Gericht von der Verfassungswidrigkeit der einem Verwaltungsakt zugrundeliegenden Rechtsnorm überzeugt, so besteht überdies ein Konflikt zwischen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und dem Normverwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts (Art. 100 Abs. 1 GG). Ist ein Fachgericht nämlich in einem Hauptsacheverfahren von der Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm überzeugt, so darf es die Rechtsnorm nicht selbst verwerfen, sondern muss die Frage der Verfassungswidrigkeit dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen. Da diese Vorlageverpflichtung der Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Eilrechtschutzverfahren zuwiderläuft, geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass ein Fachgericht durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert ist, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsache dadurch nicht vorweggenommen wird. Durch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird in diesem Fall der Eintritt von Nachteilen während der Durchführung des Hauptsacheverfahrens, in dem dann die Vorlageverpflichtung zum Tragen kommt, verhindert (BVerfG, B.v. 24.6.1992 -1 BvR 1028/91 - juris Rn. 29 = BVerfGE 86, 382). Art. 19 Abs. 4 GG genießt deshalb im Eilrechtschutzverfahren einen relativen Vorrang gegenüber Art. 100 Abs. 1 GG (ausführlich zum Ganzen: SchochKoVwGO/Schoch, 41. EL Juli 2021, VwGO § 80 Rn. 389 ff.; Puttler in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018 Rn. 134; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 80 Rn. 161 ff.).
38
(1) Die deutschen Vorschriften zur Regelung des Zensus 2022 verstoßen nach summarischer Prüfung nicht gegen Recht der Europäischen Union. Der Antragsteller macht in diesem Zusammenhang insbesondere Verstöße gegen die Verordnung (EG) Nr. 763/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.7.2008 über Volks- und Wohnungszählungen (nachfolgend: VO (EG) 763/2008) sowie gegen die Verordnung (EU) 2017/712 der Kommission vom 20.4.2017 zur Festlegung des Bezugsjahrs und des Programms der statistischen Daten und Metadaten für Volks- und Wohnungszählungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 763/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (nachfolgend: VO (EU) 712/2017) geltend. Daneben rügt er auch Verstöße gegen die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der RL 95/46/EG) (Datenschutz-Grundverordnung; nachfolgend: DSGVO).
39
(a) Die Verschiebung der Durchführung des Zensus in das Jahr 2022 begegnet nach Einschätzung der Kammer und nach summarischer Prüfung keinen durchgreifenden Bedenken.
40
Der grundlegende Europäische Rechtsrahmen für den Zensus 2022 ergibt sich aus der VO (EG) 763/2008. In Art. 1 VO (EG) 763/2008 heißt es, Gegenstand der Verordnung sei die Aufstellung gemeinsamer Regeln für die Bereitstellung umfassender Daten über die Bevölkerung und die Wohnungssituation im Abstand von zehn Jahren. In Art. 2 VO (EG) 763/2008 sind verschiedene Begriffe definiert, u.a. der Begriff des Stichtages. Der Stichtag ist definiert als „der Zeitpunkt, auf den die Daten des jeweiligen Mitgliedsstaates gemäß Artikel 5 Absatz 1 bezogen sind“. Der Stichtag bezieht sich mithin nicht auf den Zeitpunkt der Erhebung der Daten, sondern den Zeitpunkt, auf den sich die Daten konkret beziehen. In Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 763/2008 („Datenübermittlung“) ist sodann geregelt, dass jeder Mitgliedsstaat einen solchen Stichtag festlegt, welcher in ein auf der Grundlage dieser Verordnung festgelegtes Jahr fallen muss. In den Gründen der Verordnung heißt es schließlich unter (4), zur Gewährleistung der Vergleichbarkeit der übermittelten Daten sollen sich diese auf das identische Bezugsjahr beziehen. Das konkrete Bezugsjahr hat die Kommission in Art. 1 VO (EU) 712/2017 auf 2021 festgelegt. Hierfür habe nach Art. 3 VO (EU) 712/2017 jeder Mitgliedsstaat einen Stichtag festzulegen, der in das Bezugsjahr fällt. Bei Auslegung dieser Vorschriften unter Berücksichtigung des „effet utile“ Grundsatzes nach Art. 4 Abs. 3 des Vertrages über die Europäische Union (nachfolgend: EUV), wonach bei der Auslegung des Europarechts die größtmögliche praktische Wirksamkeit erreicht werden soll (vgl. bspw. Mayer in Das Recht der Europäischen Union, Werkstand: 76. EL 2022, Art. 19 EUV, Rn. 57, m.w.N.), ist das ersichtliche und offenkundige Ziel der Regelungen, dass die Kommission Daten erlangen will, die sich aus Gründen der Vergleichbarkeit auf dasselbe Bezugsjahr beziehen sollen. Der Begriff des Stichtages meint hierbei erkennbar das Datum, auf das sich die endgültig an die EU übermittelten, aggregierten Daten beziehen. Eine ausdrückliche Regelung zu den Erhebungsmodalitäten dahingehend, dass die zugrundeliegenden Erhebungen zwingend im Bezugsjahr stattfinden sollen, oder, dass der Bezugspunkt der Befragung demjenigen der übermittelten Daten entsprechen muss, findet sich dagegen nicht. Nach alledem geht die Kammer davon aus, dass sich aus den gegenständlichen europarechtlichen Regelungen keine Verpflichtung ergibt, die Erhebung im Rahmen des Zensus im Bezugsjahr 2021 durchzuführen oder die Erhebung bereits bei ihrer Durchführung auf das Jahr 2021 zu beziehen. Die Verpflichtung in der Verordnung bezieht sich vielmehr nur auf die Daten, die schlussendlich übermittelt werden.
41
Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass durch § 1 Abs. 1 ZensG 2022 nicht gegen das Europarecht verstoßen wird. Dort ist geregelt, dass die statistischen Ämter des Bundes und der Länder eine Bevölkerungs-, Gebäude- und Wohnungszählung (Zensus) mit Stand vom 15. Mai 2022 (Zensusstichtag) als Bundesstatistik durchführen. Zur Übermittlung der gewonnenen Daten an die europäische Union wird hingegen keine Regelung getroffen.
42
Daran anknüpfend hat der Antragsgegner in seinem Schreiben vom 23.11.2022 ausgeführt, dass die Erhebung zwar gem. § 1 Abs. 1 ZensG 2022 mit Zensusstichtag 15.5.2022 durchgeführt, zur Einhaltung der europarechtlichen Zeitvorgaben jedoch eine Rückrechnung auf den 31.12.2021 stattfinden werde, welche aus zensus- und bevölkerungsstatistischer Sicht machbar sei. Derartige Ankündigungen enthalten auch eine Pressemitteilung des statistischen Bundesamtes vom 10.12.2020 (vgl. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/12/PD20_Z01_122.html - :~:text=WIESBADEN%20%E2%80%93%20Der%20n%C3%A4chste%20Zensus%20wird,Mai%202022%20fest.; abgerufen am 25.11.2022, 12:35 Uhr) wo es heißt, um „die Verpflichtungen für das von der EU geforderte Jahr 2021 zu erfüllen, werden die Ergebnisse des Zensus für die Lieferungen an die EU auf den 31. Dezember 2021 zurückgerechnet“ sowie der Zensus-Newsletter Nr. 01/2021 (https://www.zensus2022.de/DE/Newsletter/newsletter-07.pdf? blob=publicationFile& v=4; abgerufen am 28.11.2022, 11:04 Uhr), wo es heißt, „Konformität mit dem Europarecht wurde in Absprache mit der EU-Kommission hergestellt, indem für wesentliche Zensusergebnisse zu Bevölkerungszahlen und zu Personen eine Rückrechnung auf den 31. Dezember 2021 erfolgt.“ Hierdurch werden nach Ansicht der Kammer die europarechtlichen Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 1 VO (EU) 763/2008 im Sinne des „effet utile“ bestmöglich eingehalten. Denn als „Übermittlungsstichtag“ i.S.v. Art. 5 Abs. 1 VO (EU) 763/2008 wurde demnach der 31.12.2021 festgelegt, der noch im Bezugsjahr liegt. Dieses Vorgehen entspricht nach Ansicht der Kammer gerade dem Art. 4 Abs. 3 EUV, wo es heißt, die „Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben“.
43
Ginge man dennoch von einem Verstoß der nationalen Regelung in § 1 Abs. 1 ZensG 2022 gegen die VO (EG) 763/2008 aus, so hätte dies zur Folge, dass der Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Europarechts zum Tragen käme. Dieser besagt, dass die Europarechtswidrigkeit einer nationalen Rechtsnorm nicht deren Ungültigkeit zur Folge hat, sondern dass insoweit das Europarecht vorrangig anzuwenden ist. Dies hätte nach Einschätzung der Kammer zur Folge, dass sich aus der Auslegung der beiden gegenständlichen Verordnungen unmittelbar ergäbe, dass eine Datenübermittlung bezogen auf das Bezugsjahr 2021 vorzunehmen wäre. Insoweit entspräche das vorgesehene Vorgehen in Form der Rückrechnung wohl auch gerade dem im Rahmen des Anwendungsvorganges gebotenen Vorgehen. Es wäre hingegen gerade nicht im Sinne des europäischen Gesetzgebers, wenn ein möglicherweise fehlerhafter oder verpasster Stichtag das gänzliche Ausfallen der Erhebung zur Folge hätte. Vielmehr entspräche es dem Gebot der praktischen Wirksamkeit, einen solchen Fehler in Form einer Rückrechnung so gut wie möglich zu heilen und im Übrigen die Verpflichtungen aus den gegenständlichen Verordnungen zu erfüllen.
44
Völlig unabhängig vom Europäischen Recht besitzt im Übrigen der nationale Gesetzgeber die eigenständige ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis für die sogenannte Statistik für Bundeszwecke, Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG (vgl. hierzu Uhle in Dürig/Herzog/Scholz, Werkstand: 98. EL März 2022, Art. 73 GG, Rn. 256 ff., insb. Rn. 266 f.). Das Bundesverfassungsgericht weist dem Gesetzgeber gar die verfassungsmäßige Pflicht zur Ermittlung von Einwohnerzahlen zu (BVerfG, U. v. 19.9.2018 - 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 - NVwZ 2018, 1703, Rn. 150 ff), bspw. im Hinblick auf die Stimmrechte im Bundesrat aus Art. 51 Abs. 2 GG oder den Finanzausgleich nach Art. 107 GG. Diese Kompetenz besteht unabhängig vom Europarecht im Sinne eines „prinzipiellen Nebeneinander“ (Uhle in Dürig/Herzog/Scholz, Werkstand: 98. EL März 2022, Art. 73 GG, Rn. 266; vgl. auch BVerfG, U. v. 19.9.2018 - 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 - NVwZ 2018, 1703, Rn. 143 ff.). Dies war erkennbar auch dem Gesetzgeber bewusst, der bei der Beschreibung des Zweckes des Zensus in § 1 Abs. 3 ZensG 2022 einerseits auf seine europarechtlichen Verpflichtungen abstellt (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 ZensG 2022), andererseits aber in § 1 Abs. 3 Nr. 2, 3 ZensG 2022 auch Zwecke nennt, die alleine dem nationalen Interesse und Recht unterliegen und der zudem in § 1 Abs. 1 ZensG 2022 ausdrücklich regelt, dass der Zensus als „Bundesstatistik“ durchzuführen ist. Aufgrund dieser Kompetenz ist der nationale Gesetzgeber völlig unabhängig vom europäischen Gesetzgeber dazu ermächtigt, statistische Erhebungen in Form einer Bundesstatistik, wie dem Zensus 2022, durchzuführen. An der grundsätzlichen Legitimität des Zensus würde eine Europarechtswidrigkeit im Hinblick auf die Datenlieferungspflichten an die Kommission wohl auch vor diesem Hintergrund nichts ändern.
45
(b) Daneben bestehen auch keine Bedenken im Hinblick auf die DSGVO.
46
(a) Insoweit wird auf die überzeugenden und zutreffenden Ausführungen des VG Neustadt a.d. W1.straße verwiesen (VG Neustadt a.d. W1.straße, B.v. 27.10.2022 - 3 L 763/22.NW - BeckRS 2022, 30971, Rn. 53 f.), denen sich die erkennende Kammer vollumfänglich anschließt:
„Der Umstand, dass mit dem Zensus 2022 personenbezogene Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO erhoben und verarbeitet (Art. 4 Nr. 2 DSGVO) werden, was nur nach Maßgabe der Art. 5 ff. DSGVO zulässig ist (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt), steht der Rechtmäßigkeit der streitigen Anordnung nicht entgegen. Denn die DSGVO lässt die Erhebung und Verarbeitung (auch besonderer Kategorien) personenbezogener Daten zu statistischen Zwecken ausdrücklich zu, ohne dass es einer Einwilligung des Betroffenen bedarf (zur Bedeutung statistischer Erhebungen: BVerfG, Urteil vom 19.9.2018 […]). So bestimmt Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst e) DSGVO, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten u.a. dann zulässig ist, wenn diese für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Dies ist vorliegend der Fall, denn die Erhebung von Daten im Rahmen des Zensus 2022 dient der Wahrnehmung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe […]. Ergänzend hierzu ergibt sich aus § 1 Abs. 1 BStatG - diese Vorschrift ist vorliegend anwendbar, da es sich bei dem Zensus um eine Bundesstatistik handelt (§ 1 Abs. 1 ZensG 2022) -, dass die Statistik für Bundeszwecke im föderativ gegliederten Gesamtsystem der amtlichen Statistik die Aufgabe hat, als Voraussetzung für politische Entscheidungen laufend Daten über Massenerscheinungen zu erheben, zu sammeln, aufzubereiten, darzustellen und zu analysieren und durch ihre Ergebnisse gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Zusammenhänge für Bund, Länder einschließlich Gemeinden und Gemeindeverbände, Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung aufzuschlüsseln (§ 1 Sätze 1, 4 und 5 BStatG). Sie hat damit erhebliche Bedeutung für eine staatliche Politik, die den Prinzipien und Richtlinien des Grundgesetzes verpflichtet ist. In diesem Kontext bedarf es einer umfassenden, kontinuierlichen sowie laufend aktualisierten Information über die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Zusammenhänge. Erst die Kenntnis der relevanten Daten und die Möglichkeit, die durch sie vermittelten Informationen mit Hilfe der Chancen, die eine automatische Datenverarbeitung bietet, für die Statistik zu nutzen, schafft die für die Politik unentbehrliche Handlungsgrundlage (vgl. BVerfG, Urteil vom 15.3.1983, a.a.O.). Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 9 Abs. 2 Buchst j) DSGVO, dass das in Art. 9 Abs. 1 DSGVO normierte Verbot der Verarbeitung der dort benannten besonders sensitiven Daten nicht gilt, wenn die Verarbeitung bestimmten rechtlichen und inhaltlichen Anforderungen genügt und für u.a. statistische Zwecke gemäß Art. 89 Abs. 1 DSGVO erforderlich ist. Diese Voraussetzungen liegen vor. Wie oben dargelegt dient die Erhebung und Verarbeitung der in den §§ 10 ZensG 2022 genannten Merkmale öffentlichen Interessen. Sie ist auch für die Erfüllung der gesetzlich angeordneten amtlichen Statistik zwingend erforderlich, denn ohne die Erhebung und Verarbeitung dieser Daten lässt sich der in § 1 BStatG normierte Zweck der Statistik nicht erreichen. Hinzu kommt, dass mit § 31 ZensG 2022 sowie den §§ 12, 16, 21 und 22 BStatG auch auf einer hinreichenden Rechtsgrundlage basierende ausreichende Schutzvorkehrungen bestehen, die namentlich eine Anonymisierung der erhobenen Daten (Art. 89 Abs. 1 Satz 4 DSGVO, § 27 Abs. 3 Bundesdatenschutzgesetz - BDSG -) ermöglichen und eine Rückverfolgung bzw. Reidentifizierung verhindern. Liegen die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Buchst. j DSGVO vor, ist die Verarbeitung der Daten ohne Einwilligung des Betroffenen zulässig (§ 27 Abs. 1 BDSG). Vor diesem Hintergrund ist mit dem Antragsgegner davon auszugehen, dass im Rahmen einer der DSGVO anzustellenden Interessenabwägung das Interesse des Antragsgegners an der Erhebung und Verarbeitung dieser Daten das Interesse der Antragsteller an einem Ausschluss der Verarbeitung erheblich überwiegt.“
47
Nachdem die Regelungen der DSGVO eingehalten werden, geht die Kammer davon aus, dass aus denselben Erwägungen auch kein Verstoß gegen Art. 8 der EU-Grundrechtecharte vorliegt (vgl. Art. 8 Abs. 2 Satz 1 EU-Grundrechtecharta).
48
(b) Auch ein Verstoß gegen Art. 3 BayStatG liegt nicht vor. Nach Art. 89 Abs. 2 DSGVO können, wenn personenbezogene Daten zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken verarbeitet werden, vorbehaltlich der Bedingungen und Garantien gemäß Art. 89 Abs. 1 DSGVO im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten insoweit Ausnahmen von den Rechten gemäß der Artikel 15, 16, 18 und 21 DSGVO vorgesehen werden, als diese Rechte voraussichtlich die Verwirklichung der spezifischen Zwecke unmöglich machen oder ernsthaft beeinträchtigen und solche Ausnahmen für die Erfüllung dieser Zwecke notwendig sind. Hieraus ergibt sich die Ermächtigung für den Erlass des Art. 3 BayStatG (ersichtlich die Anwendbarkeit bejahend: Schaller/Ahrens, Kleiner Zensus 2022 - im Lichte des Datenschutzes, ZD-Aktuell 2022, 01238).
49
(c) Nach alledem besteht nach Ansicht des Gerichts auch kein Anlass für die vom Antragsteller angeregte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV - weder im Hinblick auf die Einschränkung der DSGVO durch den Landesgesetzgeber, noch im Hinblick auf das Verhältnis von DSGVO und VO (EG) 763/2008 - und mithin auch nicht für die angeregte Aussetzung des Verfahrens.
50
(2) Durch die Heranziehung im Rahmen des Zensus 2022 wird der Antragsteller nach summarischer Prüfung auch nicht in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art .1 Abs. 1 GG).
51
Die Ausgestaltung des Zensus 2022 - insbesondere hinsichtlich der angegriffenen Gebäude- und Wohnungszählung - entspricht nach Ansicht der Kammer im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung den Vorgaben, die vom Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen zur Volkszählung 1983 (BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419) sowie zum Zensus 2011 (BVerfG, U. v. 19.9.2018 - 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 - NVwZ 2018, 1703) aufgestellt wurden. Die rechtlichen Schutzmechanismen des ZensG 2022 bleiben - bei vergleichbarer Eingriffsintensität im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung (vgl. § 6 ZensG 2011 und § 9 ZensG 2022) - nicht hinter denen des ZensG 2011 zurück (vgl. auch VG Neustadt a.d. W1.straße, B.v. 27.10.2022 - 3 L 763/22.NW - BeckRS 2022, 30971, Rn. 41 ff.). Im Rahmen dieser Prüfung war zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber bei der Regelung des Erhebungsverfahrens einen Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum hat, der sich auch auf die prognostisch zu treffende Entscheidung für ein bestimmtes Erhebungsverfahren bezieht und der nur in begrenztem Umfang gerichtlich überprüfbar ist (BVerfG, U. v. 19.9.2018 - 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 - NVwZ 2018, 1703, Rn. 170 ff.).
52
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gem. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG vermittelt nach dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich dem Einzelnen das Recht, selbst darüber zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung setzt dies auch den Schutz des Einzelnen vor unbegrenzter Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von Daten voraus. Es muss gewährleistet werden, dass der Einzelne selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten bestimmen kann. Der Schutz dieses Rechts erstreckt sich auf sämtliche Informationen, die etwas über die betroffene Person aussagen können, und damit auch auf Basisdaten wie Namen und Anschrift. Dieses Recht ist jedoch nicht schrankenlos gewährleistet, sondern es kann - jenseits des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung - auf der Grundlage eines Gesetzes beschränkt werden, sofern dies im überwiegenden Allgemeininteresse liegt, sich die Voraussetzungen und der Umfang der Einschränkungen klar und deutlich für den Bürger aus dem Gesetz ergeben und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bewahrt wird. Hierbei hat der Gesetzgeber - insbesondere mit Blick auf die besonderen Gefährdungen, die sich aus der automatisierten Datenverarbeitung ergeben - organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, die einer Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung entgegenwirken. Wie weit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dabei den Gesetzgeber zu derartigen Regeln zwingt, hängt vom Gewicht des Eingriffs ab, d.h. u.a. von Art, Umfang und Verwendung der Daten, dem Anlass und den Umständen der Erhebung, dem betroffenen Personenkreis und der Gefahr des Missbrauchs. Dabei ist zwischen personenbezogenen Daten, die in individualisierter, nicht anonymisierter Form erhoben und verarbeitet werden und solchen, die für statistische Zwecke bestimmt sind und anonym ausgewertet werden, zu unterscheiden. Erforderlich ist es zudem, dass Transparenz, aufsichtliche Kontrolle und effektiver Rechtschutz sichergestellt werden, außerdem bedarf es Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote sowie Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschpflichten. Für statistische Datenerhebungen gelten hierbei besondere Maßstäbe, u.a. im Hinblick auf das grundsätzliche Erfordernis einer konkreten Zweckumschreibung, das grundsätzliche Verbot des Datensammelns auf Vorrat sowie die Anforderungen für Weitergabe und Verwertung. In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel dafür zu sorgen, dass zur Identifizierung dienende Daten frühestmöglich gelöscht werden und dass Namen und Anschriften von den weiteren Daten frühestmöglich getrennt werden. Daneben bedarf es u.a. einer wirksamen Abschottung der Daten nach außen und einer möglichst frühzeitigen Anonymisierung in Verbindung mit Vorkehrungen zur Verhinderung einer Deanonymisierung. Die Erhebung und Verarbeitung zu statistischen Zwecken darf zudem nur als Hilfe zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben erfolgen. Es ist auch zu prüfen, ob einzelne Angaben auch durch anonyme Erhebungen erlangt werden können. Daneben gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch, laufend zu prüfen, ob aufgrund der Fortentwicklung der statistischen Wissenschaft die Möglichkeit grundrechtsschonenderer Datenerhebung bestehet (zu alledem im Detail, vgl. BVerfG, U. v. 19.9.2018 - 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 - NVwZ 2018, 1703, Rn. 218-227).
53
(a) Die Gebäude- und Wohnungszählung liegt im überwiegenden Allgemeininteresse. Neben der Erfüllung von europarechtlichen Verpflichtungen (vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 1 ZensG 2022) dient der Zensus 2022 der Feststellung der Einwohnerzahlen von Bund, Ländern und Gemeinden und der Bereitstellung der Grundlage für die Fortschreibung der Einwohnerzahlen für die Zeit zwischen zwei Volkszählungen (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 ZensG 2022), außerdem der Gewinnung von Grunddaten für das Gesamtsystem der amtlichen Statistik sowie von Strukturdaten über die Bevölkerung als Datengrundlage insbesondere für politische Entscheidungen von Bund, Ländern und Gemeinden auf den Gebieten Bevölkerung, Wirtschaft, Soziales, Wohnungswesen, Raumordnung, Verkehr, Umwelt und Arbeitsmarkt (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 ZensG 2022). Der Gebäude- und Wohnungszählung liegt zudem im Besonderen zugrunde, dass es kein einheitliches Verwaltungsregister gibt, das den Bestand an Wohnungen und Gebäuden flächendeckend erfasst. Ziel des Zensus ist daher u.a. die vollständige Erfassung aller am Erhebungsstichtag bestehenden Gebäude mit Wohnraum, bewohnten Unterkünften sowie der darin befindlichen Wohnungen. Diese Erhebung liefert Daten über die aktuelle Wohnungsstruktur nach Anzahl, Größe, Ausstattung und Nutzung der Wohnungen und dient der Politik, den Kommunen, der Wissenschaft und der Wirtschaft u.a. als Grundlage für wohnungspolitische Maßnahmen, wie bspw. der Wohnungsbauförderung (vgl. https://www.zensus2022.de/DE/Service/FAQ/FAQ-wozu-gwz.html, abgerufen am 24.11.2022, 15:06 Uhr). Ganz konkret soll zu diesem Zwecke auch der Wohnraum erfasst werden, der dem allgemeinen Wohnungsmarkt tatsächlich zur Verfügung steht (BT-Drs. 19/8693, S. 44). Dies dient erkennbar ebenfalls u.a. als Grundlage für wohnungspolitische Maßnahmen. Dieses Anliegen, politische Maßnahmen allgemein und wohnungspolitische Maßnahmen im Speziellen auf eine möglichst nahe an der Realität liegende Tatsachengrundlage zu stellen, liegt nach Ansicht der Kammer im überwiegenden Allgemeininteresse.
54
(b) Die Voraussetzungen des und der Umfang der Beschränkungen durch den Zensus 2022 ergeben sich klar und für den Bürger erkennbar aus dem Gesetz, insbesondere dem ZensG 2022 und dem BStatG. Hinreichend bestimmt ist ein Gesetz nach dem Bundesverfassungsgericht dann, wenn sein Zweck aus dem Gesetzestext in Verbindung mit den Materialien deutlich wird (BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419/424). Diesen Anforderungen genügen die gegenständlichen Vorschriften. Im Hinblick auf die Gebäude- und Wohnungszählung wird insb. auf §§ 1, 2, 9, 10, 23, 24 ZensG 2022 hingewiesen.
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(c) Der im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung ohne Frage vorliegende Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist verhältnismäßig im engeren Sinne, d.h. zur Erfüllung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und auch angemessen. Mit dem Zensus 2022 sollen dem Staat die für sein künftiges Planen und Handeln notwendigen Informationen verschafft werden. Als Vorbedingung für die Planmäßigkeit des staatlichen Handelns dient der Zensus 2022 daher einem einleuchtenden und zur Erfüllung legitimer staatlicher Aufgaben angestrebten Zweck (vgl. BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419/424). Die Erhebung im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung ist dabei offensichtlich geeignet, Daten über den tatsächlich vorhandenen Wohnraum, etc. zu gewinnen. Daneben ist sie auch erforderlich. Die abgefragten Daten liegen in den vorhandenen Verwaltungsregistern derzeit nicht bzw. nicht vollständig vor. Eine mildere, gleich geeignete Maßnahme zur Gewinnung der Daten wurde nach Ansicht der Kammer weder geltend gemacht, noch ist eine solche ersichtlich. Eine beispielsweise denkbare stichprobenartige Befragung ist - soweit für die Kammer ersichtlich - zur Feststellung des konkreten Bestandes an Wohnraum nicht in gleichem Maße geeignet, wie eine umfassende Befragung. Gleiches gilt nach Ansicht der Kammer auch für die Möglichkeit einer - vom Antragstellervertreter explizit angeführten - ausschließlich anonymen Befragung. Ein solche Befragung, die insbesondere ohne die Erhebung von sog. Hilfsmerkmalen (vgl. § 10 Abs. 2 ZensG 2022) auskommen müsste, wäre nicht im gleichen Maße geeignet, wie die Befragung mit Erhebung der Hilfsmerkmale. Die Hilfsmerkmale dienen insbesondere der Vollzähligkeits- und Schlüssigkeitsprüfung, somit der Qualitätssicherung der Statistik, sowie der Bildung von Haushalten i.S.v. §§ 29, 30 ZensG 2022. Diese Haushaltsgenerierung dient wiederum dem Gewinnen von Informationen über Zahl, Größe und Struktur der Wohnhaushalte. Dies wird beispielsweise bei der Beschreibung und Analyse der sozialen Verhältnisse der Gesellschaft und der Wohnsituation der Bevölkerung genutzt (zu alledem: BT-Drs. 19/8693, S. 62 f.; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand WD 3 - 3000 - 093/22 zum Zensus 2022, https://www.bundestag.de/resource/blo b/905750/74fc7eb90bdb94f85f5df95c4797d322/WD-3-093-22-pdf-data.pdf, abgerufen am 25.11.2022, 09:19 Uhr; Sachstand WD 3 - 3000 - 090/22; WD 1 - 3000 - 020/22, S. 7 ff., abgerufen am 29.11.2022, 11:18 Uhr). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass eine Befragung unter Erhebung von Hilfsmerkmalen besser geeignet ist, als eine rein anonyme Befragung, die beschriebenen Zwecke zu erreichen. Festzustellen ist in diesem Zusammenhang zudem, dass auch das BVerfG in seinen Entscheidungen aus den Jahren 1984 und 2018 die grundsätzliche Erhebung von Hilfsmerkmalen gebilligt hat (vgl. u.a. BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419/423). Nach alledem sind auch grundrechtschonendere alternative Erhebungsmethoden nach Ansicht der Kammer nicht ersichtlich.
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Die Erhebung im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung ist auch angemessen. Im Rahmen der Angemessenheit bzw. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist im Rahmen einer Abwägung festzustellen, ob der Zweck die Mittel heiligt, d.h., ob die mit dem Eingriff verbundenen Vorteile die Nachteile überwiegen. Der Zweck der Erhebung wurde hinlänglich beschrieben. Abzuwägen ist hiergegen der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Wie bereits oben ausführt, dienen die gewonnenen Daten insbesondere der politischen Entscheidungsfindung. Vor diesem Hintergrund müssen die Interessen des Einzelnen an der grundsätzlich vollständigen Geheimhaltung von Daten nach Ansicht der Kammer zurücktreten. Für die Angemessenheit der gegenständlichen Regelungen sprechen neben dem hohen Nutzen, den die Daten für die Politik haben (vgl. hierzu nochmals BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419/423), insbesondere die umfangreichen im Gesetz vorgesehenen Schutzmechanismen in Bezug auf den Datenschutz, aufgrund derer die Belastungen des einzelnen möglichst gering gehalten werden. § 31 ZensG 2022 i.V.m. § 12 Abs. 1 BStatG sehen bspw. vor, dass Hilfsmerkmale und Erhebungsmerkmale zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu trennen, gesondert aufzubewahren oder gesondert zu speichern sind (vgl. hierzu auch BVerfG, U. v. 19.9.2018 - 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 - NVwZ 2018, 1703, Rn. 224), weiterhin nach bestimmten Kriterien, spätestens jedoch nach vier Jahren, zu löschen sind. Daneben sind die Erhebungsunterlagen ebenfalls nach Aufbereitung, spätestens nach vier Jahren, zu löschen. Umfangreiche Geheimhaltungsvorschriften ergeben sich ferner aus § 16 BStatG. Es besteht auch ein strafbewehrtes Verbot der Zusammenführung von Einzelangaben aus Bundesstatistiken oder solcher Einzelangaben mit anderen Angaben zum Zwecke der Herstellung eines Personen-, Unternehmens-, Betriebs- oder Arbeitsstättenbezugs außerhalb der Aufgabenstellung dieses Gesetzes oder der eine Bundesstatistik anordnenden Rechtsvorschrift (§§ 21, 22 BStatG). Schließlich ist auch die maximale Löschfrist von 4 Jahren nach Ansicht der Kammer nicht überlang bemessen. Es handelt sich hierbei ausdrücklich um die maximal vorgesehene Frist. Grundsätzlich muss die Löschung aber erfolgen, sobald die Verarbeitung der jeweiligen Daten abgeschlossen ist. All dies dient den vom BVerfG verlangten Löschregeln bei der Erhebung von Hilfsmerkmalen. (vgl. BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419/423). Nach alledem geht die erkennende Kammer davon aus, dass die Erhebung im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung - auch in Bezug auf die Hilfsmerkmale - angemessen ist (so im Ergebnis auch VG Neustadt a.d. W1.straße, B.v. 27.10.2022 - 3 L 763/22.NW - BeckRS 2022, 30971, Rn. 49, m.w.N.).
57
(d) Der Gesetzgeber hat nach Ansicht der Kammer auch ausreichende Maßnahmen organisatorischer und verfahrensrechtlicher Art getroffen, um die Belastungen für den einzelnen möglichst gering zu halten. Diesbezüglich sind insbesondere die zahlreichen soeben dargestellten Rechtsvorschriften zum Datenschutz zu nennen, aber auch bspw. die Möglichkeit, am Zensus sowohl Online als auch in Papierform teilzunehmen. Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang aufwirft, die Auskunftspflichtigen würden zur Teilnahme an der Online-Befragung gedrängt bzw. diese werde forciert und, dass in diesem Zusammenhang Auskunftspflichten verletzt würden, verfängt auch dies nicht, nachdem es bereits in dem ersten Anschreiben ausdrücklich heißt:
„Erfolgt keine Beantwortung des Online-Fragebogens bis zur genannten Frist, wird Ihnen nach Fristablauf automatisch ein Erinnerungsschreiben mit einem Papier-Fragebogen zugesandt. Falls es Ihnen nicht möglich ist, online zu melden, warten Sie bitte den Erhalt dieses Erinnerungsschreibens ab. Eine telefonische oder schriftliche Bestellung des Papier-Fragebogens ist nicht erforderlich“ (vgl. Bl. 1, 2 d. Behördenakte).
58
Hierin kann kein Drängen zur oder Forcieren der Teilnahme an der Online-Befragung gesehen werden, stattdessen werden die Auskunftspflichtigen ausreichend auf die verschiedenen Möglichkeiten der Beantwortung hingewiesen (vgl. BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419/425).
59
(e) Überdies besteht aufgrund der dargestellten Maßnahmen nach Ansicht der Kammer auch kein (Re-)Identifizierungsrisiko in einer Form, welche eine Unverhältnismäßigkeit zur Folge haben könnte. In diesem Rahmen wird vollumfänglich auf die nachfolgenden Ausführungen des VG Neustadt a. d. W2. straße (VG Neustadt a.d. W1.straße, B.v. 27.10.2022 - 3 L 763/22.NW - BeckRS 2022, 30971, Rn. 50 ff.) verwiesen, denen sich die Kammer anschließt:
„Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine Reidentifikation gesetzlich verboten und unter Strafe gestellt ist (§§ 21 und 22 BStatG). Zwar ist nicht gänzlich auszuschließen, dass dennoch aus den für die Statistik verwendeten Erhebungsmerkmalen (z.B. Gemeinde und Gemeindeteil, Geburtsmonat und Geburtsjahr und Geschlecht) der erforderliche Personenbezug hergestellt werden kann. Indes ist zu berücksichtigen, dass die Erhebung der in § 10 ZensG 2022 genannten Merkmale an der Lebenswirklichkeit zu orientieren ist, der rechtswidrige bzw. sogar strafbare Handlungen - zu denen eine Reidentifizierung außerhalb der Aufgabenstellung des Zensus gehört - nicht entsprechen (vgl. OVG HH, Beschluss vom 22.1.1997 - Bs III 154/96). Ungeachtet dessen ist ein Reindentifizierungsrestrisiko als verfassungsrechtlich unbedenklich anzusehen.“
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Weiter wird auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in einem Beschluss vom 28.9.1987 verwiesen (BVerfG, B.v. 28.9.1987 - 1 BvR 1063/87 - NJW 1988, 962). Die Kammer schließt sich auch diesen Ausführungen vollumfänglich an:
„Die Beachtung des verfassungsrechtlichen Gebotes einer möglichst frühzeitigen (faktischen) Anonymisierung, verbunden mit Vorkehrungen gegen eine Reanonymisierung, wird weiter nicht durch die selbst nach Entfernung von Identifikatoren verbleibenden Möglichkeiten in Frage gestellt, anhand der Erhebungsmerkmale eine Reidentifizierung vorzunehmen. Von Verfassungs wegen gefordert ist lediglich eine faktische Anonymität der Daten. Diese kann - in Anlehnung an § 16 Abs. 6 BStatG - allenfalls dann als gegeben angesehen werden, wenn Datenempfänger oder Dritte eine Angabe nur mit einem - im Verhältnis zum Wert der zu erlangenden Information nicht zu erwartenden - unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten, Arbeitskraft und sonstigen Ressourcen (etwa Risiko einer Bestrafung) einer Person zuordnen können. Die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Reidentifizierungsmöglichkeiten vernachlässigen dabei durchgängig die tatsächlichen Bedingungen und Möglichkeiten einer solchen Reidentifizierung, insbesondere die Maßnahmen zur Datensicherung und das Erfordernis, daß Zusatzwissen verfügbar zu sein hat. Für die statistischen Landesämter bleiben die Daten allerdings durchgängig personenbezogen, weil personenbeziehbar. Dies ist bei einer auf Individualdaten aufbauenden, kleinräumig zu gliedernden Statistik allein durch gesetzliche Ge- und Verbote nicht vermeidbar. Das hiernach verbleibende Reidentifizierungsrisiko hat der Einzelne grundsätzlich als notwendige Folge einer im überwiegenden Allgemeininteresse angeordneten Statistik hinzunehmen, wenn und soweit auch innerhalb der statistischen Ämter interne organisatorische Vorkehrungen neben den Trennungs- und Löschungsgeboten die Beachtung des Zweckbindungsgebotes und des Reidentifizierungsverbotes sicherstellen.“
61
(f) Daneben macht der Antragsteller Verstöße gegen den „Mikrozensus-Beschluss“ des BVerfG geltend. Auch diese Bedenken teilt die Kammer nicht. In dem Beschluss (BVerfG, B.v. 16.7.1969 - 1 BvL 19/63 - NJW 1969, 1707) beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht mit der Menschenwürde im Zusammenhang mit dem Mikrozensus (vgl. hierzu auch BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419/424). Mit der Menschenwürde sei es nach dem Bundesverfassungsgericht nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehme, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist. Das Bundesverfassungsgericht stellte jedoch auch klar, dass nicht jede statistische Erhebung über Persönlichkeitsdaten oder Lebensdaten die Menschenwürde verletze. Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger müsse vielmehr jedermann die Notwendigkeit statistischer Erhebungen über seine Person in gewissem Umfang als Vorbedingung für die Planmäßigkeit staatlichen Handelns hinnehmen. Eine statistische Befragung könne deshalb nur dort als entwürdigend und als Bedrohung des Selbstbestimmungsrechts empfunden werden, wo sie den Bereich des menschlichen Eigenlebens erfasse, der von Natur aus geheimen Charakter habe. Wohingegen statistische Erhebungen nur an das Verhalten des Menschen in der Außenwelt anknüpften, werde die menschliche Persönlichkeit von ihr in aller Regel noch nicht in ihrem unantastbaren Kern erfasst. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Angaben durch die Anonymität ihrer Auswertung den Persönlichkeitsbezug verlören und die Anonymität hinreichend gesichert werde. In der zugrundeliegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ging es konkret um eine Frage zu unternommenen Urlaubs- und Erholungsreisen. Hier stellte das BVerfG fest, dass dies zwar einen privaten Bereich beträfe, jedoch nicht um den innersten Intimbereich, in welchen eine statistische Erhebung die Menschenwürde verletze. Dies folgerte das Bundesverfassungsgericht insbesondere daraus, dass es sich um Informationen handele, die der Außenwelt zugänglich seien. Sämtliche Informationen wie Ziel und Dauer der Reise, Unterkunftsart und benutze Verkehrsmittel ließen sich - wenn auch unter Schwierigkeiten - auch ohne Befragung ermitteln. Somit gehörten Sie jedenfalls nicht dem Intimbereich an. Unter diesen Gesichtspunkten erschließt sich dem Gericht nicht, inwieweit die gegenständliche Befragung den Intimbereich berühren und hierdurch den Antragsteller i.S.v. Art. 1 Abs. 1 GG „objektivieren“ könnte. Es handelt sich um wohnstatistische Fragen, die nach Ansicht des Gerichts jedenfalls offensichtlich nicht den vom Bundesverfassungsgericht umzeichneten „Intimbereich“ betreffen (vgl. auch BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419/424). Der Antragsteller trägt hierzu weiter vor, durch die Fragen werde jedenfalls sein Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG verletzt. Hierdurch verkennt er jedoch den Schutzbereich des Art. 13 GG. Dieser umfasst insbesondere ein Verbot des Betretens, Verweilens oder Durchsuchens der Wohnung, ein Verbot des Überwachens der Wohnung und ähnliche, vergleichbare Eingriffe (vgl. BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419/421; Kluckert in BeckOK, GG, 52. Edition Stand 15.8.2022, Art. 13 Rn. 5a ff.). Nicht zum Schutzbereich gehört dagegen die Erhebung oder Einholung von Auskünften über wohnungsstatistische Fragen, die (wie hier) ohne Eindringen in die oder Verweilen in der Wohnung eingeholt werden können. Derartiges ist von Art. 13 GG nicht umfasst (vgl. BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419/421; VG Neustadt a.d. W1.straße, U.v. 21.11.2011 - 4 K 817/11.NW - ZD 2012, 240/242).
62
(g) Der Antragsteller trägt auch vor, die Art der Erhebung sei im Hinblick auf den Melderegisterabgleich verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Volkszählungsurteil von 1983 die Verfassungswidrigkeit von § 9 Abs. 1 - 3 Volkszählungsgesetz 1983 (VZG 1983) (BGBl. I 1982, Nr. 13) festgestellt. Diese Regelungen sahen unter anderem den Vergleich von Angaben aus der Volkszählung und den Melderegisterdaten einschließlich der Berichtigung der Melderegisterdaten vor, außerdem eine Übermittlung von Daten aus der Volkszählung an verschiedene Behörden zur Erfüllung der in deren Zuständigkeit liegenden hoheitlichen Aufgaben. Die Daten aus der Volkszählung sollten somit unmittelbar - und in nicht anonymisierter Form - dem Verwaltungsvollzug dienen. Dies war laut dem BVerfG nicht mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419/427). Eine derartige Vorgehensweise ist im Zensus 2022 jedoch nicht vorgesehen. Wenn der Antragsgegner vorträgt, die Befragung diene dem Aufdecken von Fehlern in Verwaltungsregistern, dann ist damit ersichtlich gemeint, dass keine fehlerhaften Daten aus den Verwaltungsregistern in die amtliche Statistik einfließen sollen. Nicht gemeint ist dagegen nach Einschätzung der Kammer, dass ausgehend vom Zensus „Rückwärts“ Verwaltungsregister korrigiert werden sollen. Erst Recht ist nirgendwo vorgesehen, dass die erhobenen Daten dem Verwaltungsvollzug dienen sollen. Eine mit § 9 Abs. 1 - 3 VZG 1983 vergleichbare Regelung enthält das ZensG 2022 somit nicht. Nach alledem erweisen sich auch die diesbezüglich vorgetragenen Bedenken als unbegründet.
63
(h) Auch aus der angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 9a ZensVorbG im vorläufigen Rechtsschutz (BVerfG, B.v. 6.2.2019 - 1 BvQ 4/19 - NJW 2019, 1366) ergibt sich nichts Anderes. Die hier geltend gemachten Bedenken beziehen sich auf den im Rahmen der Vorbereitung des Zensus durchgeführten nicht-anonymisierten Testdurchlauf, der eine reibungslosen Ablauf des eigentlichen Zensus gewährleisten sollte, nicht auf den konkreten Zensus 2022. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht hier zwar Bedenken angemeldet, jedoch gleichwohl den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
64
(i) Was über die aufgeworfenen Punkte hinausgehend schließlich die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit des Zensus 2022 als bundesweite statistische Erhebung anbelangt, so bedarf es diesbezüglich nach Ansicht der Kammer keiner tiefgehenden Erörterungen mehr, stattdessen kann auf die beiden mehrfach zitierten Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts verwiesen werden (BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419; U. v. 19.9.2018 - 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 - NVwZ 2018, 1703).
65
(j) Schließlich lässt der Antragsteller vortragen, der Zensus 2022 solle der Enteignung weiter Teile der Bevölkerung in Form einer Vermögensabgabe nach Art. 105 Abs. 1 Nr. 6 GG dienen, um hierdurch finanzielle Folgen insbesondere der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges abzufedern. Auch aus diesen Gründen sei der Zensus verfassungswidrig. Für diese Behauptung gibt es nach Ansicht des Gerichts jedoch keinerlei Anhaltspunkte. In diesem Zusammenhang wurden von Antragstellerseite unter anderem zwei Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages sowie des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium für Finanzen vorgelegt. Letzteres Gutachten mit der Fragestellung „Sollte wegen der Corona-Krise eine einmalige Vermögensabgabe erhoben werden?“ kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass eine solche Maßnahme aus verschiedensten Gründen nicht durchgeführt werden sollte. Dabei weist das Gutachten nicht - wie es der Antragsteller formuliert - als „Hauptproblematik die umfassende Vermögenserfassung der Bürger aus“, sondern weist vielmehr auf diverse negative Seiten und Folgen einer solchen Vermögensabgabe hin. Der Antragsteller trägt dann vor, der Zensus 2022 diene nun der Schaffung einer solchen umfassenden Vermögenserfassung der Bürger zur Vorbereitung einer solchen Maßnahme. Dies ist jedoch auch aus weiteren Gründe nicht schlüssig. Der Antragsteller verkennt, dass bereits in der VO (EG) 763/200 (erlassen am 9.8.2008) festgelegt wurde, dass Anfang der 2020er Jahre ein europaweiter Zensus stattfinden werde. Daneben wurde bereits in der VO (EU) 712/2017 (erlassen am 20.4.2017) als Bezugsjahr konkret das Jahr 2021 vorgesehen. Zu beiden Zeitpunkten waren weder die Corona-Pandemie, noch der Krieg in der Ukraine mit all seinen ökonomischen Folgen abzusehen, sodass es fernliegend erscheint, dass der Zensus 2022 in Deutschland gleichwohl der Vorbereitung der finanziellen Abfederung der Folgen dieser beiden Ereignisse dienen solle. Soweit der Antragsteller dies an der 2011 noch nicht gestellten Frage nach der „Nettokaltmiete“ festmachen will, so ist auch dies nicht nachvollziehbar. Zum einen wurde die Aufnahme der Frage nach der Nettokaltmiete bereits in der Vorbereitung des Zensus 2011 diskutiert (vgl. BR-Drucks. 3/09 v. 2.1.2009, S. 48, abgerufen unter: https://www.zensus2011.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetze/Zensusgesetz_2011.pdf? blob=publicationFile& v=2, 28.11.2022, 17:57 Uhr), d.h. über 10 Jahre vor der Corona-Pandemie. Zum anderen wurde die Aufnahme dieses Merkmals bereits im Rahmen des ZensG 2021 am 26.11.2019 beschlossen (vgl. BGBl. 2019 I Nr. 43 S. 4) und somit ebenfalls vor den beiden genannten Ereignissen. Die erste offizielle Meldung eines Corona-Falles der VR China an die WHO erfolgte erst am 31.12.2019 (https://zdfheute-stories-scroll.zdf.de/corona/coronavirus/chronik/ausbruch/, abgerufen am 28.11.2022, 18:03 Uhr).
66
Als weiteres Indiz führt der Antragsteller die Tatsache an, dass die §§ 16 - 227 Lastenausgleichsgesetz in der online abrufbaren Fassung des LAG nicht mehr abgedruckt seien. Auch hierin kann die erkennende Kammer aber keine Intransparenz erkennen, nachdem die angesprochenen Vorschriften mit wenigen Klicks im Bundesgesetzblatt abrufbar sind (BGBl. I 1969 Nr. 112, S. 10 ff., vgl. https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav# bgbl %2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl169s1909.pdf%27%5D 1669729745155, abgerufen am 29.11.2022, 14:53 Uhr).
67
Hinsichtlich der angeführten „Smart City Charta“ bzw. dem zitierten Beitrag des finnischen „Think-Tank-Gründers“ Roope Mokka auf S. 42 dieser Charta wird schließlich darauf hingewiesen, dass es sich hierbei offenkundig um ein Gedankenspiel im Rahmen der Dialog- und Diskussionsplattform „Smart Cities“ handelt, nicht um die politische Agenda der Bundesrepublik Deutschland. Den insoweit aufgeworfene Zusammenhang vermag das Gericht nicht zu erkennen.
68
(3) Auch die ehemalige Einbindung der Firma Cloudflare in das Hosting der Website „www.zensus2022.de“ führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Durchführung des Zensus 2022.
69
Dies ergibt sich daraus, dass die Firma Cloudflare nach den Ausführungen des Antragsgegners und des Bundesbeauftragten für Datenschutz in die tatsächliche Durchführung der Befragungen im Zensus 2022 zu keiner Zeit eingebunden war und mittlerweile auch in das Hosting der o.g. Website nicht mehr eingebunden ist, sondern dass allenfalls zu einem früheren Zeitpunkt Metadaten (wie bspw. Datum und Uhrzeit des Abrufs der Website) an die Firma Cloudflare übermittelt worden sein könnten.
70
Bereits in einer Pressemitteilung des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 18.5.2022 (abrufbar unter https://www.bfdi.bund.de/ SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2022/05_Zensus-2022-Cloudflare.html, zuletzt abgerufen am 24.11.2022 um 13:41 Uhr) wurde jedoch klargestellt, dass zu keinem Zeitpunkt die Gefahr bestanden habe, dass personenbezogene Daten aus der Online-Befragung im Rahmen des Zensus an unbefugte Dritte (wie Cloudflare) weitergegeben werden. Überdies ergibt sich aus der Pressemitteilung, dass bereits im Mai 2022 eine Änderung an der Website vorgenommen wurde, sodass auch eine Übermittlung von Metadaten an Cloudflare jedenfalls seit diesem Zeitpunkt nicht mehr stattfindet.
71
Schließlich hat der Antragsgegner in seiner Stellungnahme vom 23.11.2022 klargestellt, dass bei der Verarbeitung der beim Antragsgegner eingehenden Fragebögen in Papierform, auch nach deren Digitalisierung und Weiterleitung an das statistische Bundesamt, keinerlei Zusammenhang mit der Firma Cloudflare besteht. Daher sind auch die dahingehend geäußerten Bedenken unbegründet.
72
(4) Auch § 8 ZensG 2022 ist nach Ansicht der Kammer nicht rechtswidrig. Es ist schon fraglich, ob der Antragsteller sich auf eine Rechtswidrigkeit dieser Norm mangels geltend gemachter konkreter Betroffenheit überhaupt berufen kann. Unabhängig davon ist die Norm nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Nach dieser Norm übermittelt die Bundesagentur für Arbeit verschiedene statistische Auswertungen an das Statistische Bundesamt und zwar „getrennt für jede Wohnsitz-Gemeinde und untergliedert nach Geschlecht und Altersklassen“, auch, „sofern Einzelangaben, welche Betroffenen zugeordnet werden können, enthalten sind“. Dies betrifft wohl Einzelfälle, in denen aus den gemeldeten Daten Rückschlüsse auf die jeweilige konkrete Person gezogen werden könnten, weil beispielsweise in einer Gemeinde nur eine bzw. wenige Personen eines bestimmten Geschlechts und einer bestimmten Altersklasse wohnen. Auch in solchen Fällen untersagen jedoch §§ 21 f. BStatG weiterhin unter Strafandrohung eine bewusste Reidentifizierung der betroffenen Personen, sodass hierdurch diesem Risiko ausreichend Rechnung getragen wird. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen zur Reidentifizierung verwiesen.
73
Auch im Hinblick auf § 32 ZensG 2022 bestehen keine Bedenken, nachdem die Norm die Verwendung der Daten zur „Regelung von Einzelfällen“ gerade ausschließt. Zudem erlaubt die Norm nur die Weitergabe statistischer Ergebnisse, sodass sich dem Gericht nicht erschließt, worin ein konkretes Reidentifizierungsrisiko liegt. Ohnehin würde einem solchen durch §§ 21 f. BStatG ausreichend Rechnung getragen, selbst bei theoretischer Möglichkeit einer Reidentifizierung, vgl. hierzu auch die obigen Ausführungen.
74
Auch im Hinblick auf § 5 Abs. 4 ZensG 2022 bestehen keine Bedenken. Die Norm verfügt aus Gründen des Datenschutzes über eine sehr kurze Löschfrist von vier Wochen. Der angesprochene Abgleich bzw. die Rückfragen betreffen zudem nach Ansicht der Kammer das Verhältnis zwischen den statistischen Ämtern und den Meldebehörden. Von Rückfragen bei einzelnen Bürgern ist nicht die Rede. Ein etwaiges Fehlverhalten eines Sachbearbeiters kann im Übrigen nie ausgeschlossen werden, kann aber kein Grund für die Rechtswidrigkeit einer Norm sein.
75
c) Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 19 Abs. 1 Nr. 2, 29 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 31, 36 Abs. 1 und Abs. 5 VwZVG. Die Höhe der Zwangsgeldandrohung, die sich nach dem wirtschaftlichen Interesse für den Antragsteller richtet, ist nach summarischer Prüfung mit Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG vereinbar. Für das Gericht bestehen jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht der Fall sein könnte.
76
d) Nach alledem geht auch die gebotene Abwägung zugunsten des Antragsgegners aus. Hierfür sprechen in erster Linie die nach Ansicht der Kammer geringen Erfolgsaussichten in der Hauptsache, daneben auch die oben erläuterte Tatsache, dass es sich um einen Fall des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges handelt, in dem ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse grundsätzlich anzunehmen ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO). Insoweit hat der Antragsgegner auch zutreffend den Hintergrund des gesetzlichen Sofortvollzuges erläutert, insbesondere die Bedeutung möglichst vollständiger Daten für die Politik und die Wirtschaft sowie die Eilbedürftigkeit des Eingangs der Daten bis Ende Dezember 2022 (vgl. S. 8 f. d. Antragserwiderung vom 26.10.2022). Schon das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen 1983 im Rahmen des Volkszählungsurteils festgestellt, dass die „besonderen Umstände der Volkszählung, die auf vollständige Angaben zu einem Stichtag angewiesen ist“ es rechtfertigen, „den Rechtschutzanspruch des einzelnen Bürgers zurückzustellen“ und dass es insoweit mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist, die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen die Aufforderung zur Auskunftserteilung auszuschließen (BVerfG, U.v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - NJW 1984, 419/428).
77
Im Hinblick auf ein etwaiges gleichwohl vorliegendes besonderes Aussetzungsinteresse des Antragstellers kommen die angeführten haftungsrechtlichen Bedenken in Betracht. Diese teilt das Gericht allerdings nicht, insoweit kann auf die obigen Ausführungen zur Haftung verwiesen werden. Daneben wird die Gefahr eines irreversiblen Kontrollverlustes über die erhobenen Daten angeführt. Nachdem das Gericht aber ohnehin von der Rechtmäßigkeit der Anordnung ausgeht, bleibt auch dieser Einwand letztlich ohne Erfolg. Schließlich führt der Antragsteller an, es sei kein unzumutbarer Nachteil für den Staat anzunehmen, wenn dieser auf Teile der Daten noch bis zur Klärung in der Hauptsache zuwarten müsste. Hierzu hat der Antragsteller jedoch in seiner Stellungnahme vom 26.10.2022 vorgetragen, dass im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung keine Daten verwertet werden können, die nach Dezember 2022 eingehen. Daher greift der Antragsteller auch mit diesem Einwand letztlich nicht durch.
III.
78
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt den §§ 52 Abs. 2 und 3; 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Hinsichtlich der Aufforderung zur Auskunftserteilung ist dabei von einem Hauptsachestreitwert von 5.000,00 € auszugehen, der vorliegend gemäß Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs auf die Hälfte (2.500,00 €) zu reduzieren ist.