Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 21.11.2022 – AN 14 K 22.50037
Titel:

Asylantrag nicht wegen der Zuerkennung eines rein nationalrechtlichen Schutzsstatus unzulässig (Dänemark)

Normenketten:
RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 lit. a
AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
Leitsatz:
Der allein nach dänischem Recht vermittelte "subsidiäre Schutzsstatus" ist kein internationaler Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und führt deshalb nicht zur Unzulässigkeit eines weiteren Asylantrags in Deutschland nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. (Rn. 30 – 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzulässigkeitsentscheidung, „Internationaler, Schutz“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, Subsidiärer Schutz, Schutzgewährung in Dänemark, Bindung an RL 2011/95/EU und RL 2013/32/EU, Asylantrag, internationaler Schutz, subsidiärer Schutz, nationalrechtlicher Schutzsstatus
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 09.01.2024 – 24 B 23.30482
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34805

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge vom 31. Januar 2022 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), mit dem ihr in der Bundesrepublik Deutschland gestellter Asylantrag wegen einer zuvor erfolgten Schutzgewährung in Dänemark als unzulässig abgelehnt wurde.
2
Die Klägerin ist syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Eigenen Angaben zufolge verließ sie ihr Herkunftsland erstmals im Frühjahr des Jahres 2015 und reiste über die Türkei, Griechenland, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland schließlich in Dänemark ein. In Dänemark stellte die Klägerin am 22. September 2015 einen Asylantrag. Nach eigenen Angaben reiste die Klägerin zwei Jahre später in den Urlaub nach Griechenland, wo sie für ein Jahr und drei Monate blieb. Anschließend sei sie für ein Jahr nach Dänemark zurück gereist, bevor sie für zwei Jahre in ihr Herkunftsland zurückkehrte. Über die Türkei und Griechenland sei die Klägerin schließlich am 27. Juni 2021 in die Bundesrepublik Deutschland gelangt, dort stellte sie am 2. September 2021 einen Asylantrag.
3
Im Rahmen der Anhörung zur Zulässigkeit ihres Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1-4 AsylG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG am 15. September 2021 gab die Klägerin unter anderem an, sie habe in Dänemark für zwei Jahre Schutz erhalten. In Dänemark habe sie keine Wohnung bekommen und habe auf der Straße leben müssen. Hilfe habe sie keine erhalten, vielmehr sei ihr geraten worden, nach Syrien zurückzukehren. Im Jahr 2015 sei sie in einem Asylheim untergebracht gewesen, kurz nach der Gewährung des Schutzstatus habe sie eine Wohnung bekommen. Im Jahr 2017 sei sie nach Griechenland gereist, zu dieser Zeit sei ihr dänischer Aufenthaltstitel abgelaufen, zudem seien ihre Dokumente gestohlen worden. Es habe 15 Monate gedauert, bis sie wieder nach Dänemark habe reisen können. Dort habe sie keine Wohnung mehr gehabt. Ihr Sohn habe sie aus seiner Wohnung geworfen. Beim Jobcenter sei ihr mitgeteilt worden, dass man ihr nicht helfen könne. Die Klägerin habe einen Sprachkurs in Dänemark besucht und in einer Obdachlosenunterkunft geschlafen. Längere Zeit habe sie auf der Straße gelebt und im Bahnhof übernachtet. Als sie den Sprachkurs besucht habe, habe sie 5.000 Kronen als Sozialleistungen bekommen. Ihre Papiere seien im Jahr 2018 abgelaufen. Weder ihr Sohn, noch ihre ebenfalls in Dänemark lebende Nichte würden ihr helfen. Hilfsorganisationen würden Asylbewerber lediglich bei dem Ausfüllen von Papieren unterstützen. Im Jahr 2019 sei sie dann nach Syrien ausgereist.
4
Gesundheitliche Beschwerden habe sie keine, nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland habe sie religiös geheiratet. Zudem würden sich ihre Schwester und deren Tochter in Deutschland befinden.
5
Bei der ebenfalls am 15. September 2021 stattfindenden Anhörung gemäß § 25 AsylG führte die Klägerin weiter aus, ihren Mann am … religiös geheiratet zu haben. In Syrien sei sie Hausfrau gewesen. Zudem sei sie Analphabetin. Sollte sie Deutschland wieder verlassen müssen, würde sie sich mit Gift das Leben nehmen. In Dänemark habe sie viel leiden müssen.
6
Ein Wiederaufnahmeersuchen nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO vom 22. Oktober 2022 lehnten die dänischen Behörden mit Schreiben vom 2. November 2021 ab. Der Klägerin sei in Dänemark am 19. Februar 2016 subsidiärer Schutz gewährt worden.
7
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 31. Januar 2022, der Klägerin ausweislich der Postzustellungsurkunde am 11. Februar 2022 zugestellt, wurde der Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1 des Bescheids). Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen würden (Ziffer 2). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, ansonsten wurde ihr die Abschiebung - zuvorderst nach Dänemark - angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung werde bei fristgerechter Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Ziffer 3). Schließlich wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
8
Der Asylantrag sei unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, da der Klägerin in Dänemark internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden sei.
9
Der Entscheidung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG stehe im Falle der Klägerin nicht entgegen, dass der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 19. März 2019 (C-297/17) entschieden habe, dass eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nur dann möglich sei, wenn die Antragstellerin keiner ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die sie in dem Mitgliedstaat erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK (Art. 4 GRC) zu erfahren. Auf die weitere Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
10
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigtem vom 17. Februar 2022, bei Gericht an demselben Tag eingegangen, hat die Klägerin Klage gegen den Bescheid vom 31. Januar 2022 erhoben und einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gestellt (AN 14 S 22.50036).
11
Zur Begründung der Klage wurde unter anderem ausgeführt, eine Rücküberstellung der Klägerin nach Dänemark sei mit Art. 6 GG nicht vereinbar. Die durch das Bundesamt erlassene Abschiebungsandrohung würde zu einem faktischen Eheverbot der Klägerin und ihrem nach islamischem Brauch geheirateten Ehemann, der ein anerkannter Flüchtling sei, führen.
12
Die Klägerin beantragt,
Der Bescheid des Bundesamtes vom 31.01.2022 - Az.: 8 A 48/20 - wird aufgehoben - mit Ausnahme der Anordnung „Die Antragstellerin darf nicht nach Syrien abgeschoben werden“.
13
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
14
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die Ausführungen aus dem streitgegenständlichen Bescheid.
15
Mit gerichtlichem Schreiben vom 23. März 2022 wurde das Bundesamt unter Verweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Magdeburg (U.v. 19.2.2020 - … - juris) um Stellungnahme gebeten, inwiefern es sich bei dem der Klägerin in Dänemark gewährten Schutzstatus um internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG handele.
16
Das Bundesamt führte diesbezüglich mit Schriftsatz vom 4. April 2022 aus, die Annahme des Verwaltungsgerichts Magdeburg, dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der RL 2013/32/EU keine dänische Regelung erfasse, da sich der subsidiäre Schutzstatus im Sinne des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a i.V.m. Art. 2 Buchst. k der RL 2013/32/EU auf die Anerkennung durch einen Mitgliedstaat beziehe, Dänemark an dieser Richtlinie aber nicht teilnehme und somit kein Mitgliedstaat im Sinne der RL 2013/32/EU sei, gehe fehl. Voraussetzung sei allein, dass es sich um einen Mitgliedstaat der Europäischen Union handele, denn die Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG beziehe sich, ihrem Wortlaut entsprechend, allein auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Dies folge daraus, dass § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gerade keinen Bezug zu den sekundärrechtlichen Rechtsakten der Europäischen Union herstelle. Nur in deren Rahmen lasse sich diskutieren, ob auch die sonstigen Staaten, die an das entsprechende Sekundärrecht gebunden seien, von der Norm betroffen wären (unter Verweis auf BeckOK AuslR/Günther, AsylG, § 29, Rn. 75). Im Übrigen sei die Frage in der Rechtsprechung umstritten (unter Verweis auf VG Saarlouis, U.v. 14. Januar 2019 - 3 K 1084/18 - juris).
17
Zudem werde in Dänemark Asylantragstellern ein dem subsidiären Schutz vergleichbarer humanitärer Schutz im Asylverfahren gewährt (vgl. VG Hannover, 15.2.2018 - 13 A 5143/17). Eine völlige Deckungsgleichheit mit den Regelungen des EU-Rechts könne nicht verlangt werden, maßgeblich sei vielmehr, ob ein im Wesentlichen inhaltlich vergleichbarer Schutz gewährt werde.
18
Zudem habe der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 20. Mai 2021 (C-8/20) festgestellt, dass die unionsrechtlich eröffnete Möglichkeit zur Asylantragsablehnung als unzulässig in der Verfahrensrichtlinie abschließend vorgegeben sein. Eine Ablehnung nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der RL 2013/32/EU könne allein bei in einem Mitgliedstaat, wie Dänemark, zuvor erfolglos gebliebenen Asylantrags eingreifen, nicht aber in Bezug auf Nichtmitgliedstaaten.
19
Auf die weiteren Ausführungen des Schreibens wird Bezug genommen.
20
Das Gericht regte mit Schreiben vom 24. Juni 2022 gegenüber der Beklagten unter Verweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Magdeburg (U.v. 19.2.2020 - 8 A 48/20 - juris) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Aussetzung des Sofortvollzugs bis zu einer rechtsgrundsätzlichen Klärung im Klageverfahren an.
21
Mit Schreiben vom 28. Juni 2022 erklärte das Bundesamt die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 31. Januar 2022. Das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz wurde daraufhin mit Beschluss vom 8. Juli 2022 nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt (AN 14 S 22.50036).
22
In der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2022 wies der Bevollmächtigte der Klägerin ergänzend darauf hin, dass die Klägerin nach der Schutzgewährung in Dänemark in ihr Herkunftsland zurückgekehrt und daher fraglich sei, ob der in Dänemark gewährte Schutz fortbestehe.
23
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die vorgelegte Bundesamtsakte verwiesen. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2022 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24
Die Klage ist zulässig (hierzu 1.) und begründet (hierzu 2.).
25
Streitgegenständlich ist vorliegend die Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 31. Januar 2022 mit Ausnahme von dessen Ziffer 3 Satz 4, wonach die Klägerin nicht nach Syrien abgeschoben werden darf. Denn diese Feststellung ist für die Klägerin ausschließlich begünstigend (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2019 - 1 C 15.18 - juris Rn. 7; VG München, U.v. 18.10.2022 - M 22 K 19.32762 - juris Rn. 14).
26
1. Die gegen die nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG getroffene Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes und deren Folgeentscheidungen gerichtete Klage ist als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 - 1 C 34/19 - juris Rn. 10; U.v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - juris Rn. 16 ff.).
27
Im Übrigen ist die Klage in zulässiger Weise, insbesondere fristgerecht, erhoben worden.
28
2. Die Klage ist begründet, denn der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 31. Januar 2022 erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbs. AsylG) als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
29
Die Unzulässigkeitsentscheidung bezüglich des Asylantrags der Klägerin aus Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids kann weder auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG noch auf eine andere Ziffer des § 29 Abs. 1 AsylG gestützt werden.
30
a. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat.
31
aa. Dabei setzt § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG den Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des Internationalen Schutzes (Asylverfahrensrichtlinie - RL 2013/32/EU) in nationales Recht um (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 - Hamed u.a., C-540/17 u.a. - juris Rn. 30).
32
Von dem Begriff des internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wird der internationale Schutz nach der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Anerkennungsrichtlinie - RL 2011/95/EU) umfasst. Der internationale Schutz im Sinne der RL 2011/95/EU umfasst dabei den Schutz vor Verfolgung nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und den subsidiären Schutz im Sinne der Richtlinie RL 2011/95/EU. Der nach Maßgabe der RL 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatenangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlingen oder als Personen, die anderweitigen internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikations-RL 2004) gewährte Schutz steht dem internationalen Schutz im Sinne der RL 2011/95/EU gleich.
33
Darüber hinaus ergibt sich aus der unionsrechtlichen Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dem Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) RL 2013/32/EU, dass die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten können, wenn ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat. Nach den Begriffsbestimmungen des Art. 2 Buchst. i) der RL 2013/32/EU ist als „internationaler Schutz“ sowohl die Flüchtlingseigenschaft als auch der subsidiäre Schutzstatus zu verstehen, wobei sich der Begriff des subsidiären Schutzstatus aus Art. 2 Buchst. k) der RL 2013/32/EU ergibt, wonach „subsidiärer Schutzstatus“ die Anerkennung als Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz bedeutet.
34
Eine „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ ist schließlich nach Art. 2 Buchst. h) der RL 2013/32/EU als ein Drittstaatenangehöriger oder Staatenloser anzusehen, der die Voraussetzungen des Art. 2 Buchst. f) der RL 2011/95/EU erfüllt. Art. 2 Buchst. f) der RL 2011/95/EU verweist auf den dem Drittstaatenangehörigen oder Staatenlosen drohenden ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der RL 2011/95/EU.
35
bb. Mithin muss sowohl nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Umsetzung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) RL 2013/32/EU, als auch nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne der RL 2011/95/EU durch den Mitgliedstaat, in den die Klägerin als Asylantragstellerin rücküberstellt werden soll, vorliegen.
36
Der jeweilige Wortlaut von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und insbesondere von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist dabei abschließend. Dass internationaler Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch aufgrund anderer unionsrechtlicher oder nationaler Vorschriften als den in § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zitierten RL 2011/95/EU, der Genfer Flüchtlingskonvention oder der RL 2004/83/EG vermittelt werden kann, ergibt sich aus den Normen gerade nicht.
37
Zudem könnten die nationalen Vorschriften aus systematischen Gründen inhaltlich ohnehin nicht über das Unionsrecht (hier Art. 33 Abs. 2 a RL 2013/32/EU) hinausgehen (vgl. VG München, U.v. 18.10.2022 - M 22 K 19.32762 - juris Rn. 19).
38
Ausweislich des Schreibens der dänischen Behörden vom 2. November 2021 wurde der Klägerin am 19. Februar 2016 ein „subsidiärer Schutz“ zuerkannt, die Wiederaufnahme der Klägerin nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO ist dagegen abgelehnt worden.
39
Dieser der Klägerin zugesprochene „subsidiäre Schutz“ stellt keinen Schutzstatus dar, aufgrund dessen der Asylantrag der Klägerin durch das Bundesamt als unzulässig im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG aufgrund der Schutzgewährung in einem anderen Mitgliedstaat hätte abgelehnt werden können.
40
Denn das Königreich Dänemark ist zwar Mitgliedstaat der Europäischen Union. Jedoch ist und war Dänemark weder an die die Grundlagen des internationalen Schutzes normierende Asylverfahrensrichtlinie RL 2013/32/EU gebunden (vgl. Erwägungsgrund 51 zu RL 2011/95/EU), noch an die Anerkennungsrichtlinie RL 2011/95/EU (vgl. Erwägungsgrund 59 zu RL 2013/32/EU). Ebenso besteht und bestand keine Bindung Dänemarks an die Qualifikationsrichtlinie RL 2004/83/EG (vgl. Erwägungsgrund 40 zu RL 2004/83/EG).
41
Die Vorschrift des § 7(1) des dänischen Ausländergesetzes, aufgrund derer in Dänemark Flüchtlingsschutz vermittelt wird, nimmt Bezug auf die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention, so dass davon ausgegangen werden kann, dass hierdurch internationaler Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vermittelt wird. An einer vergleichbaren Bezugnahme auf die europäischen Richtlinien fehlt es in § 7 (2) und (3) des dänischen Ausländergesetzes und der hierin normierten Gewährung eines subsidiären Schutzstatus.
42
In Ermangelung einer Umsetzung der RL 2011/95/EU und der RL 2013/32/EU bzw. der RL 2004/83/EG in Dänemark ist der allein nach dänischem Recht vermittelte subsidiäre Schutzstatus kein internationaler Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. hierzu auch BeckOK MigR/Wittmann, 11. Ed. 15.4.2022, AsylG § 1, Rn. 10a; OVG NW, U.v. 12.9.2022 - 11 A 369/22.A - juris; VG München, U.v. 18.10.2022 - M 22 K 19.32762 - juris Rn. 20 ff.; VG Magdeburg, U.v. 19.2.2020 - 8 A 48/20 - juris Rn. 17 ff.; a.A. VG Würzburg, B.v. 26.3.2021 - W 4 S 21.30209 - juris Rn. 31; VG Dresden, U.v. 21.3.2019 - 12 K 5344/17.A - BeckRS 2019, 46456).
43
Vielmehr ist in Dänemark eine bewusste Entscheidung gegen die Anwendung der oben genannten Richtlinien getroffen worden (vgl. VG Magdeburg, U.v. 19.2.2020 - 8 A 48/20 - juris Rn. 26). In Dänemark existiert ein eigenständiges Schutzkonzept, das jedoch nicht als die Gewährung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verstanden werden kann.
44
cc. Aufgrund der fehlenden Bindung unterfällt der in Dänemark zuerkannte subsidiäre Schutzstatus nicht dem Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Richtlinien (vgl. VG Magdeburg, U.v. 19.2.2020 - 8 A 48/20 - juris Rn. 23; VG München, U.v. 18.10.2022 - M 22 K 19.32762 - juris Rn. 21, unter Verweis auf EuGH, U.v. 22.9.2022 - C-497/21 - juris Rn. 53, zu Zweitanträgen nach erfolglosem Asylantrag in Dänemark).
45
Somit stellt der der Klägerin in Dänemark gewährte Schutzstatus keinen internationalen Schutz im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dar.
46
dd. Es kann somit dahinstehen, ob der der Klägerin in Dänemark zugesprochene Schutzstatus nach der vorgetragenen, jedoch nicht glaubhaft gemachten, geschweige denn nachgewiesenen Ausreise der Klägerin nach Syrien noch besteht oder der Schutzstatus aufgrund dessen erloschen ist, da dieser jedenfalls keinen internationalen Schutzstatus darstellt, aufgrund dessen eine Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hätte erfolgen können.
47
b. Eine entsprechende Anwendung der Voraussetzungen der Unzulässigkeitsentscheidung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auf die Vorschriften des dänischen Ausländergesetzes kommt nicht in Betracht. Denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind in Art. 33 Abs. 2 RL 2013/32/EU diejenigen Situationen, in denen die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten können, abschließend aufgezählt (vgl. EuGH, U.v. 20.5.2021 - C-8/20 - juris Rn. 31; VG Magdeburg, U.v. 19.2.2020 - 8 A 48/20 - juris Rn. 24).
48
c. Eine Umdeutung oder Aufrechterhaltung der Unzulässigkeitsentscheidung aus Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AsylG ist ebenfalls nicht möglich.
49
Aus § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG i.V.m. der Verordnung 604/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, (Dublin III-VO) ergibt sich keine Unzulässigkeit des Asylantrags der Klägerin.
50
Vorliegend findet die Dublin III-VO keine Anwendung (vgl. VG Magdeburg, U.v. 19.2.2020 - 8 A 48/20 - juris Rn. 33). Dänemark hat das Wiederaufnahmeersuchen nach den Vorschriften der Dublin III-VO mit dem Hinweis auf den bereits gewährten subsidiären Schutz mit Schreiben vom 2. November 2021 abgelehnt. Die Vorschriften und Grundsätze der Dublin III-VO sind daher vorliegend nicht anwendbar (vgl. EuGH, B.v. 5.4.2017 - C-36/17 - BeckRS 2017, 107126, Rn. 42; BeckOK MigR/Vollrath, 13. Ed. 15.10.2022, Dublin III-VO Art. 18 Rn. 3).
51
Denn es hinaus ergibt sich keine Pflicht zur Wiederaufnahme eines Asylantragstellers nach den Vorschriften der Dublin III-VO, wenn in einem Mitgliedstaat eine endgültige stattgebende Entscheidung über den Asylantrag getroffen wurde. Denn die Pflichten zur Wiederaufnahme nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) bis d) Dublin III-VO treffen nur den nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz entweder noch nicht, auch nicht teilweise, entschieden, zurückgezogen oder abgelehnt worden ist (vgl. VG Magdeburg, U.v. 19.2.2020 - 8 A 48/20 - juris Rn. 33 f.; VG München, U.v. 18.10.2022 - M 22 K 19.32762 - juris Rn. 24).
52
Eine solche Verpflichtung ergibt sich für Dänemark vorliegend nicht und wurde dementsprechend auch durch Dänemark nicht angenommen. Denn Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO setzt voraus, dass der Antrag auf internationalen Schutz in dem Mitgliedstaat noch geprüft wird. Die entsprechende Prüfung in Dänemark ist im Falle der Klägerin bereits durchgeführt worden. Dass die Klägerin ihren Asylantrag in Dänemark im Sinne des Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO zurückgezogen hätte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Schließlich wurde der Asylantrag der Klägerin nicht im Sinne des Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO abgelehnt.
53
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wiederaufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a AsylG betrachtet wird. Jedoch handelt es sich bei Dänemark als Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits nicht um einen Drittstaat im Sinne des § 26a AsylG (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2017 - 1 C 9.17 - juris Rn. 17; VG Magdeburg, U.v. 19.2.2020 - 8 A 48/20 - juris Rn. 35).
54
Ebenso scheidet eine Umdeutung oder Aufrechterhaltung der Unzulässigkeitsentscheidung unter Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG aus, da es sich bei Dänemark nicht um einen sonstigen Drittstaat im Sinne des § 27 AsylG, sondern um einen Mitgliedstaat der Europäischen Union handelt.
55
Schließlich kann die Unzulässigkeitsentscheidung nicht unter Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG aufrechterhalten oder umgedeutet werden, denn bei dem Asylantrag der Klägerin handelt es sich nicht um einen Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylG. Ebenso ist § 71a AsylG vorliegend nicht einschlägig.
56
d. Mithin ist die Unzulässigkeitsentscheidung aus Ziffer 1 des Bescheids vom 31. Januar 2022 nach der Gewährung eines subsidiären Schutzstatus in Dänemark allein auf der Grundlage des dänischen Rechts in Ermangelung einer einschlägigen Rechtsgrundlage rechtswidrig.
57
e. Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung aus Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids sind die Folgeentscheidungen aus den Ziffern 2 bis 4, d.h. die zu den Abschiebungsverboten getroffenen Feststellungen, die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, aufzuheben, da sie verfrüht ergangen sind (vgl. BVerwG, U.v. 27.5.2021 - 1 C 36/20 - juris Rn. 12; U.v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - juris Rn. 21).
58
Mithin kommt es auf den Vortrag der Klägerin zu den einer Überstellung nach Dänemark möglicherweise entgegenstehenden Gründen in dem hier streitgegenständlichen Verfahren nicht an.
59
3. Die Sprungrevision wird gemäß § 78 Abs. 6 AsylG, § 134 VwGO zugelassen.
60
Die Rechtssache hat gemäß § 134 Abs. 2 Satz 1, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO insofern grundsätzliche Bedeutung, als in den Fällen einer Zuerkennung subsidiären Schutzes in Dänemark bisher nicht höchstrichterlich durch das Bundesverwaltungsgericht geklärt ist, ob der nach dänischem Recht gewährte subsidiäre Schutz im Sinne von § 7 (2) oder (3) des dänischen Ausländergesetzes als internationaler Schutz im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verstanden wird und mithin ein Asylantrag nach der Gewährung eines subsidiären Schutzstatus in Dänemark als unzulässig abgelehnt werden kann.