Titel:
Drittanfechtung einer Baufenehmigung
Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 6
BayBauO Art. 6, Art. 63
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag eines Baunachbarn nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO entfällt bei einem Eilrechtsbehelf gegen die Baugenehmigung regelmäßig mit der Fertigstellung des Rohbaus des angegriffenen Bauvorhabens. Es kann aber ausnahmsweise trotz Fertigstellung des Rohbaus des angegriffenen Vorhabens fortbestehen, sofern daneben eine Verletzung in eigenen Rechten (auch) durch die Nutzung der genehmigten Anlage geltend gemacht wird. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
2. Fällt in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Erfolgsprognose des Gerichts zugunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung nach summarischer Prüfung also als rechtswidrig im Hinblick auf nachbarschützende Vorschriften, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen. Hat dagegen die Anfechtungsklage des Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist dies im Rahmen der Interessenabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
3. Unabhängig von der Frage, ob ein „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ aus § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO überhaupt existiert, kann dieser überhaupt nur einschlägig sein, wenn das den Vorgaben gem. §§ 2 bis 14 BauNVO (hier iVm § 34 Abs. 2 BauGB) an sich entsprechende Bauvorhaben bei typisierender Betrachtung gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten ist, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspricht, wobei für ein (nachbar-)rechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität in diesem Sinne das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren müsste, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste. (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)
4. Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. (Rn. 75) (redaktioneller Leitsatz)
5. Das Bauplanungsrecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken; die Möglichkeit der Einsichtnahme ist grundsätzlich nicht städtebaulich relevant. (Rn. 92) (redaktioneller Leitsatz)
6. Eine Abweichung von Abstandsflächenvorschriften kann nur zugelassen werden, wenn sie „unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange“ mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. (Rn. 109) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsschutzbedürfnis für Eilrechtsschutz, Baugenehmigung, Drittanfechtung, Gebot der Rücksichtnahme, Lärmimmissionen, Einblicknahmemöglichkeit, auf einer Wasserfläche liegende Abstandsflächen, Abweichung von den Abstandsflächen, Rechtsschutzbedürfnis, Gebietserhaltungsanspruch, Gebietsprägungserhaltungsanspruch, Rücksichtnahmegebot, Abstandsflächen, Abweichung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34803
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine zugunsten der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für das Vorhaben „Änderung, An- und Ausbau einer denkmalgeschützten Scheune für einen Mehrzweckraum und Ausbau Haupthaus zu Räumen für Vereine und Gemeinschaft“.
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Die Antragstellerin ist Eigentümerin der nördlich der … bzw. auf und in dieser situierten Grundstücke FlNrn., ... sowie … der Gemarkung … (nachfolgend wird auf die Angabe der Gemarkung verzichtet; alle erwähnten Flurnummern beziehen sich auf die Gemarkung …). Südlich hiervon befinden sich die im Eigentum der Beigeladenen stehenden Grundstücke FlNrn. …, …, …, …, …, …, … sowie … südlich der …, welche teilweise mit dem inmitten stehenden Gebäudekomplex, welcher um-/ausgebaut sowie erweitert werden soll, bebaut sind.
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Alle genannten Grundstücke befinden sich nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes.
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Die Beigeladene beantragte, zuletzt mit Bauantrag vom 8. Oktober 2021, die Erteilung einer Baugenehmigung für das Sonderbauvorhaben „An- und Ausbau einer denkmalgeschützten Scheune für einen Mehrzweckraum und Ausbau Haupthaus zu Räumen für Vereine und Gemeinschaft“ auf den FlNrn. … sowie … Mit Antrag vom 11. Juni 2021 wurde ein Antrag auf Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächen gestellt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ausweislich des Abstandsflächenplanes die Abstandsflächen in zwei Fällen teilweise auf dem Nachbargrundstück FlNr. … zu liegen kämen. Die zur Genehmigung beantragten Gebäudeteile seien im Bestand bereits vorhanden. Bei dem betroffenen Nachbargrundstück handele es sich um eine nicht überbaubare Wasserfläche.
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Die Gesamtumbaumaßnahme betreffe eine Grundfläche von 793,32 qm. Ausweislich der zuletzt zur Genehmigung gestellten Bauvorlagen ist auf den Ufergrundstücken der Beigeladenen südlich der … ein zusammenhängender Gebäudekomplex bestehend aus der sogenannten Musikhalle im Osten, hieran westlich anschließend - verbunden durch einen Eingangstrakt (Keller- und Erdgeschoss) - dem sogenannten Haupthaus sowie hieran westlich anschließend - verbunden durch einen Treppenhaustrakt (Erdsowie Obergeschoss mit Flachdach) - dem sogenannten Scheunentrakt nebst Anbau/Eingangsfoyer (Erdgeschoss mit Flachdach) vorgesehen.
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In dem sogenannten Musikhallen-Trakt sind ein Kellergeschoss mit Lagerraum, ein Vereinsraum, ein Tankraum und WCs sowie ein Erdgeschoss mit einem großflächigen Multifunktionsraum (in vorherigen, ungültig gestempelten Plänen als Musikhalle benannt) geplant.
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Das Haupthaus besteht aus einem Kellergeschoss mit Lagerräumen, einem Hausanschlusssowie Heizraum und einem Triebwerksraum der Mühle (außer Betrieb) sowie einem Erdgeschoss mit Küchen, Lager, einem Musikraum, einem Gemeinschaftsraum, einem Foyer sowie WCs. Im Obergeschoss sind Projekträume, ein Vorraum/Teeküche, ein Sanitärraum, ein Vereinszimmer sowie ein Lager/Archiv geplant. Darüber befindet sich in dem Satteldachgebäude ein weiterer Dachraum zu Wartungszwecken.
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In dem sogenannten Scheunentrakt sind im nördlichen Außenbereich eine Richtung … ausgerichteten Plattform, im Erdgeschoss ein großflächiger „Saal“ (von der Beigeladenen im Folgenden auch immer wieder als multifunktioneller Raum bezeichnet) sowie in dem Anbau hierzu ein Eingangsbereich mit Garderobe/Stuhllager vorgesehen. Im Obergeschoss des Satteldachbaus ist eine Galerieebene mit Luftraum geplant. Darüber findet sich weiterer Luftsowie Dachraum.
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Zur … Straße hin sind drei Haupteingänge (zum Saal, zum Treppenhaustrakt sowie zwischen Multifunktionsraum und Haupthaus) vorgesehen.
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Gemäß Stellplatznachweis-Plan sind auf dem weiter südlich zwischen der … im Westen sowie der … Straße im Osten gelegenen Grundstück FlNr. … insgesamt 31 Stellplätze vorgesehen.
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Ausweislich der am 22. Oktober 2021 vorgelegten, undatierten Betriebsbeschreibung sollen das Hauptgebäude … Straße … sowie die danebenliegende Scheune nebst Kellerräumen zur Fortführung der städtebaulichen Entwicklung, zum Erhalt von denkmalgeschützten Gebäuden, zur Leerstandsbeseitigung sowie insbesondere zur Unterstützung des Kultur- und Vereinslebens in … saniert, revitalisiert und modernisiert werden. Der neu geschaffene multifunktionale Raum in der Scheune solle für weniger als 100 Personen vielfältig genutzt werden. Er solle unter anderem Gesangsvereinen als Proberaum sowie allen anderen Vereinen, etwa für Jahreshauptversammlungen, zur Verfügung stehen. Es gebe in … zudem viele ehrenamtlich Tätige, die für ihre Aktivitäten (z.B. Büchertausch, Basare) immer wieder Räumlichkeiten benötigten. Weiterhin seien kulturelle Veranstaltungen, wie Ausstellungen für Kunst oder Handwerk, geplant. Die Volkshochschule … habe ebenfalls Interesse bekundet. Weitere Aktivitäten im Ort würden sich nach dem erfolgten Umbau ergeben. Im Erdgeschoss des Haupthauses solle ein bisher brachliegender Raumbereich in einen Gemeinschaftsraum für Bürgertreffen und geselliges Beisammensein verwandelt werden. Im Obergeschoss des Haupthauses seien ein kleines Vereinszimmer, ein offener Raum mit Teeküche, ein Projektraum für Musik, ein Projektraum für die Jugend/Jugendarbeit sowie ein Abstellraum geplant. Ferner seien bei der Beigeladenen mehrere Anfragen für Räumlichkeiten zur Aufbewahrung von Vereinsmaterialien vorhanden. Das Vereinszimmer solle allen ehrenamtlichen Gruppierungen, etwa für Besprechungen und Vorstandssitzungen, zur Verfügung gestellt werden.
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Im Untergeschoss der Musikhalle seien eine öffentliche Toilette für bis zu 300 Personen und ein multifunktionaler Vereinsraum geplant.
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Der Multifunktionsraum in der Scheune solle an sieben Tage in der Woche täglich maximal acht Stunden etwa für Vorträge der Volkshochschule, Vereinsversammlungen oder Büchertausch genutzt werden.
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Das Erdgeschoss im Haupthaus solle an fünf Tagen in der Woche zwischen 17.00 und 21.45 Uhr genutzt werden. Im Obergeschoss des Haupthauses sollen das Vereinszimmer an fünf Tagen in der Woche zwischen 18.00 und 21.45 Uhr, der offene Raum mit Teeküche an drei bis fünf Tagen in der Woche, der Projektraum Musik an drei bis fünf Tagen in der Woche zwischen 10.00 und 12.00 Uhr sowie zwischen 14.00 und 17.00 Uhr und der Projektraum Jungend/Jugendarbeit an fünf Tagen in der Woche zwischen 14.00 und 20.00 Uhr genutzt werden.
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Im Kellergeschoss werde die Spülküche sowie die Essensausgabe bei Kirchweihveranstaltung genutzt. Das Lager werde für Veranstaltungsmaterial vorgehalten.
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Das direkte Gebäudeumfeld werde für den Zugang zur barrierefreien Erschließung sowie den Aufenthalt im Freien genutzt.
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Die Musikhalle werde weiterhin, wie bereits in einem Schallschutzgutachten von 17. September 1997 beschrieben, genutzt.
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Die Antragstellerin erteilte ihre Unterschrift zu dem Vorhaben nicht.
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Ausweislich der gemeindlichen Stellungnahme vom 10. Oktober 2021 befinde sich das Vorhaben im unbeplanten Innenbereich in einem Mischgebiet. Das Vorhaben wurde als Angelegenheit der laufenden Verwaltung behandelt und das gemeindliche Einvernehmen hierzu erteilt.
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Ausweislich der Stellungnahme der Fachkundigen Stelle Wasserwirtschaft im Landratsamt vom 12. Juli 2021 befindet sich das Vorhaben innerhalb des vorläufig gesicherten Überschwimmungsgebietes der …, einem Gewässer II. Ordnung, sowie innerhalb dessen 60 m-Bereich. Dem Vorhaben könne derzeit aus wasserwirtschaftlicher Sicht noch nicht zugestimmt werden, da noch kein Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 78 WHG gestellt worden sei.
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Die Untere Denkmalschutzbehörde verwies unter dem 15. Juli 2021 auf mehrere dem Baugenehmigungsbescheid hinzuzufügende Nebenbestimmungen.
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Gemäß Aktennotiz vom 28. September 2021 beurteilt der Antragsgegner den Gebäudekomplex als Sonderbau.
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Mit Schreiben vom 1. Oktober 2021 forderte der Antragsgegner von der Beigeladenen fehlende Unterlagen, unter anderem ein Schallschutzgutachten sowie eine ordentliche Betriebs- und Nutzungsbeschreibung, an.
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Gemäß interner Stellungnahme des Sachgebietes Immissionsschutz im Landratsamt vom 19. Oktober 2021 gebe es für die sogenannte Musikhalle bereits ein Lärmgutachten vom 17. September 1997 sowie einen Baugenehmigungsbescheid mit entsprechenden Immissionsschutzfestlegungen vom 20. Oktober 1997. Letztere seien etwas unglücklich, da die Beurteilung nach der alten VDI 2058 erfolgt sei und die vollen Immissionsrichtwerteanteile damals der Musikhalle alleine zugeordnet worden seien. Ferner könnten die Flurdaten der genannten Immissionspunkte nicht stimmen. Weite Teile der damaligen Genehmigung seien zudem nicht umgesetzt worden. Der Neuantrag beinhalte indes zusätzliche Vereins- und Gemeinschaftsräume in den ursprünglich genehmigten Bereichen sowie in dem nun miteingeschlossenen Scheunengebäude (Saalnutzung). Der nunmehr vorliegende Bauantrag umfasse damit das gesamte Gebäudeensemble. Die Lärmschutzbeurteilung habe sich auf das Gesamtbauvorhaben einschließlich Musikhalle zu beziehen, wobei die Nutzung auf die Tagzeit begrenzt sei.
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Mit Bescheid vom 6. Dezember 2021 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen die sodann beantragte wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung für das Vorhaben.
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Ausweislich des seitens der Beigeladenen beauftragten sowie an den Antragsgegner übermittelten gutachterlichen Berichtes Nr. … der …Ingenieur-Gesellschaft mbH vom 13. Dezember 2021 seien nach Vorgabe des Landratsamtes für alle Immissionsorte die Einstufung Kerngebiet/Mischgebiet anzunehmen sowie die Immissionsrichtwerte um 6 dB zu reduzieren, mithin von 54 dB(A) tags auszugehen. Herangezogen worden sei die TA-Lärm. Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürften die Immissionsrichtwerte für ein Mischgebiet am Tage um nicht mehr als 30 dB(A) nicht überschreiten. Zur Ermittlung der Schallimmissionen sei ein digitales, dreidimensionales Emissionsmodell erstellt worden. Die angesetzten Schallleistungen und Einwirkzeiten seien zum ungünstigsten Zeitpunkt abgeschätzt worden.
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Für die sogenannte Musikhalle seien die einzelnen Schalldämmmaße dem vorhandenen Gutachten entnommen worden.
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Hinsichtlich des Außenbereichs nördlich der Scheune sei davon auszugehen, dass sich dort Personen während der Pausen aufhalten. Die Schallleistung sei in Anlehnung an die VDI 3770 für eine Freischankfläche berechnet worden. Angesetzt worden seien 100 Personen, gehobenes Sprechen (65 dB(A), als Schallleistungspegel im Raum 84 dB(A) für 50% der Personen inklusive Impulszuschlag sowie als Einwirkzeit tags 180 Minuten.
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Aufgrund der Nutzung der Gebäude sei von einem gewissen Abholverkehr vor dem Gebäude auszugehen. Dieser sei gemäß Parkplatzlärmstudie angesetzt worden. In Ansatz gebracht worden sei ein P+R-Stellplatz mit 2,5 Bewegungen pro Stunde und einer Einwirkzeit zwischen 8.00 und 22.00 Uhr von 840 Minuten sowie insgesamt 35 Bewegungen pro Tag. Auch die südlich des Gebäudes befindlichen Parkplätze seien gemäß Parkplatzlärmstudie angesetzt worden. Für jeden Parkplatz seien zwei Bewegungen herangezogen worden. Es seien eine Einwirkzeit zwischen 8.00 und 22.00 Uhr von 840 Minuten sowie insgesamt 86,8 Bewegungen pro Tag angenommen worden. Für den Laufweg zwischen Parkplatz und dem Gebäude seien pro Fahrzeug zwei Personen, wovon eine durchgehend mit normaler Sprache (65 dB(A) + 3 dB(A) Informationshaltigkeitszuschlag) spricht, berechnet worden. Es sei eine Gehgeschwindigkeit von 3 km/h angenommen worden, woraus sich auf eine Stunde bezogen pro sprechende Person ein längenbezogener Schalleistungspegel von 33,2 dB(A) ergebe. Des Weiteren sei ein Zuschlag von 18,7 dB(A) erfolgt. Die jeweilige Anzahl ergebe sich aus den Bewegungen auf dem Parkplatz.
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Als Beurteilungspegel seien an den herangezogenen acht Immissionsorten zwischen 33,8 und 51,5 dB(A) berechnet worden, darunter die die Antragstellerin betreffenden Immissionsorte IO1 (38,9 dB(A)), IO₂ (47,4 dB(A)) sowie IO3 (51,5, dB(A)) auf den FlNrn. ... und ...
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Auch das Spitzenpegelkriterium am Tag sei rechnerisch eingehalten. Schließlich wurden zahlreiche Schutzmaßnahmen und ergänzende Hinweise, etwa zu den Einwirkzeiten der verschiedenen Räumlichkeiten, den Innenpegel und der Belüftung sowie den Schalldämmmaßen, aufgeführt.
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Gemäß interner Stellungnahme des Sachgebietes Immissionsschutz im Landratsamt bestünden unter Beachtung der genannten Nebenbestimmungen aus immissionsrechtlicher Sicht keine Einwände gegen das Vorhaben.
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Mit Bescheid vom 15. Dezember 2021 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen nach Maßgabe der geprüften Bauvorlagen die Baugenehmigung für das Vorhaben „Änderung, An- und Ausbau einer denkmalgeschützten Scheune für einen Mehrzweckraum und Ausbau Haupthaus zu Räumen für Vereine und Gemeinschaft“ unter Zulassung von Abweichungen bezüglich der Einhaltung der Abstandsflächen vor der nördlichen Außenwand sowie zwischen den seitlichen Abstandsflächen der Bauteile des Bauvorhabens voneinander.
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Zur Begründung der Abweichungen wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Hinblick auf die beantragten Nutzungsänderungen und baulichen Änderungen eine Neubeurteilung hinsichtlich der Abstandsflächen erforderlich sei. Gemäß Abstandsflächenplan würden die erforderlichen Abstandsflächen zu dem Nachbargrundstück FlNr. …, eine Wasserfläche der …, teilweise vor der nördlichen Außenwand nicht eingehalten werden; dies sei bereits im Bestand der Fall. Dies betreffe die Abstandsflächen der Giebelseite der Scheune, vor der Außenwand des Treppenraumes, vor einem Teil der Außenwand des Haupthauses sowie der Giebelseite des Haupthauses. Im Rahmen der Ermessensausübung seien neben dem Zweck des öffentlichen Abstandsflächenrechtes und der öffentlichen Belange auch die Belange der betroffenen Nachbarn berücksichtigt worden. Bei Teilen des an der … gelegenen Bauvorhabens handele es sich um Einzelbaudenkmäler, welche einer neuen Nutzung zugeführt werden sollen. Aufgrund der besonderen Lage und des Interesses der Beigeladenen, die bereits seit vielen Jahrzehnten vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen, sei eine Verkürzung der Abstandsflächen durch die Zulassung einer Abweichung gerechtfertigt. Die Belange der Nachbarn seien nur geringfügig beeinträchtigt. Zu berücksichtigen sei insoweit insbesondere, dass sich die nicht eingehaltenen Abstandsflächen auf einer Wasserfläche befänden, welche selbst nicht bebaubar sei, so dass keine wesentliche Beeinträchtigung für die betroffenen Nachbarn bestehe. Die geringfügigen Beeinträchtigungen seien durch die vorliegend überwiegenden Interessen der Beigeladenen sowie die überwiegenden öffentlichen Belange im Hinblick auf eine möglichst sparsame Bodenversiegelung gerechtfertigt. Durch das Vorhaben werde die Situation an den Grundstücksgrenzen hinsichtlich Belichtung, Belüftung, Besonnung und den Wohnfrieden nur unwesentlich verschlechtert. Eine unzumutbare Beeinträchtigung gehe von dem Bauvorhaben nicht aus. Die Abwägung habe ergeben, dass die betroffene Nachbarin durch Zulassung der Abweichung nicht tatsächlich und spürbar beeinträchtigt sei.
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Im Hinblick auf die Überschneidung der seitlichen Abstandsflächen der Bauteile untereinander auf dem Baugrundstück seien indes keine Nachbarn betroffen.
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Neben zahlreichen denkmalschutzrechtlichen Nebenbestimmungen wurde die Baugenehmigung des Weiteren unter anderem mit folgenden Nebenbestimmungen versehen:
„Nr. 13: Eine ausreichende Anzahl von Stellplätzen ist nachzuweisen.
Nr. 19: Die Beurteilungspegel der vom gesamten Betrieb der Veranstaltungsscheune, Mehrzweckräume im Haupthaus, der Musikhalle mit Untergeschoss und den Besucherverkehr ausgehenden Geräusche dürfen an den nächstgelegenen am stärksten betroffenen Immissionsorten im umgebenden Mischgebiet nachfolgende Teilimmissionsrichtwerte nach TA-Lärm von tagsüber 54 dB(A) (06.00 Uhr bis 22.00 Uhr) nicht überschreiten. Einzelne Geräuschspitzen dürfen zudem nach TA Lärm die Immissionsrichtwerte für ein Mischgebiet am Tage um nicht mehr als 30 dB(A) überschreiten.
Nr. 20: Ein Betrieb der Räume zur Nachtzeit (22.00 Uhr bis 06.00 Uhr) ist antragsgemäß nicht zulässig (da nicht beantragt und geprüft).
Nr. 21: Die Immissionsorte sind entsprechend den eingereichten Lärmgutachten des Büros … Nr. … vom 13.12.2021 anzunehmen. Das eingereichte Lärmgutachten und die darin enthaltenen Angaben und Annahmen zu Schallpegeln, Betriebszeiten und Schalldämmmaßen und Fahrverkehr sind soweit nicht anderweitig festgelegt wurde Bestandteil der Genehmigung.
Nr. 22: In der Musikhalle ist der Innenpegel auf 95 dB(A) zu begrenzen.
Es sind folgende Schalldämmmaße der Bauteile zu beachten: Fenster Rw > 28 dB, Türen Rw > 32 dB, Fassade Rw > 44 dB, Dach Rw > 42 dB.
Nr. 23: Zur Belüftung der Musikhalle dürfen nur die Fenster der Nordfassade herangezogen werden. Diese dürfen während der einer Vorstellungen nur maximal zur Hälfte der Einwirkzeit (= 4 Stunden) und in Spaltluftstellung genutzt werden. Die anderen Fenster sind geschlossen zu halten. Die maximale Einwirkzeit ist auf 8 Stunden pro Tag zu begrenzen. Kurze Stoßlüftungen in den Musikpausen sind zulässig.
Für den Betrieb im Haupthaus sind folgende maximale Innenpegel und folgende Einwirkzeiten zu beachten: Musikräume 95 dB(A) max. 5 Stunden/Tag, Gemeinschaftsraum EG 72 dB(A) max. 4,75 Stunden/Tag, Projektraum 1 75 dB(A) max. 1,6 Stunden/Tag, Vereinszimmer 75 dB(A) max. 3,5 Stunden/Tag
Nr. 24: Für die Fenster ist jeweils ein Mindest-Schalldämmmaß von Rw > 35 dB vorzusehen.
Nr. 25: Zum Belüften des Gemeinschaftsraums, Projektraum 1, Vereinszimmer dürfen die Fenster herangezogen werden. Diese dürfen dabei nur zur Hälfte der Einwirkzeit (= 0,8 Stunden) geöffnet sein. Die Fenster in den Musikräumen des Haupthauses sind geschlossen zu halten. Die Fenster können nur während der Musikpausen jeweils zur Lüftung herangezogen werden.
Nr. 26: Der Innenpegel der Scheune/Multifunktionsräume ist auf 95 dB(A) zu begrenzen. Die maximale Nutzungszeit ist auf 8 Stunden pro Tag zu begrenzen.
Folgende Schalldämmmaße sind hier zu beachten:
Fenster Rw > 35 dB, Türen Rw > 30 dB, Dach Rw > 42 dB.
Nr. 27: Die Fenster und Türen zum Multifunktionsraum sind beim Veranstaltungsbetrieb geschlossen zu halten. Die Fenster können ggfs. nur während den Musikpausen zur zusätzlichen Stoßlüftung herangezogen werden. Im Übrigen ist eine Zwangslüftung über den Dachraum vorzusehen. Der Schallleistungspegel des Lüfters ist auf 70 dB(A) zu begrenzen. Die Lüfteröffnung muss hierzu mit einem zusätzlichen Schalldämpfer/Schalldämmung mit einem Schalldämmwert von mindestens 10 dB(A) ausgebildet werden.
Nr. 28: Der Außenbereich im Norden darf tagsüber maximal mit bis zu 100 Personen und maximal für 3 Stunden täglich (z.B. in den Pausenzeiten) mit genutzt werden. Musikdarbietungen oder eine Musikbeschallung sind hier aber nicht statthaft.
Das Landratsamt behält sich die Festsetzung weiterer Auflagen zum Immissionsschutz vor, sofern vom Betrieb der Multifunktionshalle, der Musikhalle bzw. dem Betrieb im Haupthaus einschließlich dem Fahrverkehr usw. unzulässige Immissionen ausgehen sollten (Auflagenvorbehalt gemäß Art. 36 Abs. 2 Ziffer 5 BayVwVfG)).
Nr. 29: Das Landratsamt behält sich vor, im Beschwerdefall eine Lärmmessung und ein erneutes Schallschutzgutachten einer anerkannten Messstelle nach § 29 b BImSchG zu fordern, dass die Einhaltung der festgesetzten Teilimmissionsrichtwerte und der geforderten Schalldämmmaße im Betrieb nach der TA-Lärm nachweist. Die Kosten hierfür trägt der Betreiber (Auflagenvorbehalt gemäß Art. 36 Abs. 2 Ziffer 4 BayVwVfG).
Nr. 30: Zu den öffentlich zugänglichen Bereichen (WC, Vereinsheim) im KG des Multifunktionsraumes ist eine gesicherte Zuwegung herzustellen.
Nr. 31: Bis zur Bezugsfertigkeit der Baumaßnahme muss/müssen 16 (insgesamt 31) zusätzliche/r Stellplatz/Stellplätze nachgewiesen werden (Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO i.V.m. § 20 GaStellV).“
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Am 17. Januar 2022 ließ die Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung Klage erheben (AN 3 K 22.00094). Am 17. Juni 2022 wurde die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage beantragt. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass es sich bei dem in der Auflage Nr. 28 des streitgegenständlichen Bescheides in Bezug genommenen „Außenbereich“ um eine großflächige Plattform handele. Zwischen dieser sowie den Anwesen der Antragstellerin (… und ...) bestehe über die … hinweg eine Entfernung von etwa 30 m. Das Bauvorhaben befinde sich auf einer gegenüber den Anwesen der Antragstellerin weit erhöhten Position. Von der Plattform aus seien mehrere Aufenthaltsräume der Antragstellerin in den Anwesen … und ... sowie der dazugehörige Garten auf der … westlich des Anwesens … und der Garten des Anwesens … westlich des Wohnhauses direkt einsehbar. Insbesondere im … in einer Entfernung zu der Plattform von circa 17 m bestehe aufgrund des Zuschnittes keine Möglichkeit für Sichtschutzmaßnahmen. Hinter dem Garten der Antragstellerin seien die felsigen Steilwände des … Gegenüber der Anwesen … und ... sowie unterhalb des Bauvorhabens fänden sich immer wieder Camper auf dem an der … gelegenen Stellplatz ein.
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Die genehmigten Bauvorlagen würden insbesondere eine nicht datierte Betriebsbeschreibung sowie einen gutachterlichen Bericht vom 13. Dezember 2021 betreffend die „Prognose der Schallimmissionsauswirkung durch das geplante Bauvorhaben auf die Nachbarschaft“ beinhalten. Sowohl die Betriebsbeschreibung als auch das Schallgutachten enthielten keine Angaben zu dem zu erwartenden An- und Abfahrtsverkehr oder den damit einhergehenden Lärmimmissionen. Auch eine Berücksichtigung der von den Steilwänden des … zu erwartenden Reflexionen sei nicht erfolgt.
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Die Antragstellerin habe vergeblich versucht, eine Einigung mit dem Antragsgegner herbeizuführen. Verhandelt worden sei im Wesentlichen über eine zeitlich begrenzte Absperrung des Balkons für die Öffentlichkeit außerhalb von Veranstaltungen (öffenbarer Zaun), um die Einsichtsmöglichkeit in Aufenthaltsräume sowie den Garten der Antragstellerin zumindest teilweise zu reduzieren. Nachdem der Antragsgegner hierzu nicht bereit gewesen sei, sei das verwaltungsgerichtliche Verfahren weiter voranzutreiben.
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Die inmitten stehende Baugenehmigung verletze das in dem Tatbestandsmerkmal des „Einfügens“ gemäß § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme, da sie hinsichtlich nachbarschützender Belange unbestimmt sei, unzumutbare Lärmimmissionen durch das Vorhaben zu erwarten seien und von diesem aus die Möglichkeit der Einsichtnahme in Aufenthaltsräume sowie den Garten der Antragstellerin bestehe.
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Die Bauvorlagen seien unbestimmt, da sich die durch das Bauvorhaben resultierenden Auswirkungen durch Lärmimmissionen auf die Nachbarschaft nicht abschließend ermitteln ließen. Der Bauherr müsse im Zweifel zu seinen Lasten die für ihn ungünstigste Auslegung der Bauvorlagen gegen sich gelten lassen. Weder die Betriebsbeschreibung noch die sonstigen Bauvorlagen würden eine Aussage zu dem zu erwartenden An- und Abfahrtsverkehr oder den Fahrtwegen sowie den damit einhergehenden Lärmimmissionen enthalten. Dies wäre jedoch notwendiger Inhalt der Bauvorlagen gewesen. Aus den Bauvorlagen sei nicht ersichtlich, mit welchen Schallquellen und mit welchen Immissionen zu rechnen sei. Dies ergebe sich auch nicht in Zusammenschau mit dem gutachterlichen Bericht vom 13. Dezember 2021, der sich auf die Betrachtung der von dem für den Stellplatznachweis vorgesehenen Parkplatz in circa 160 m Entfernung von dem Bauvorhaben ausgehenden Lärmimmissionen beschränke. Nicht nur betreffend die Reflexionswirkung der felsigen Steilwände, sondern auch hinsichtlich der zu erwartenden Lärmimmissionen unter Berücksichtigung des Abfahrverkehrs nach 22.00 Uhr habe eine Beurteilung nicht stattgefunden. Eine entsprechende Unsicherheit bestehe ferner hinsichtlich der Auflage Nr. 28 betreffend die Begrenzung der Plattformnutzung. Einerseits sei eine zeitliche Begrenzung der Nutzung auf drei Stunden sowie 100 Personen vorgesehen, andererseits sei die Plattform ohne Absperrung ganztägig für die Öffentlichkeit zugänglich. Unklar sei damit, mit welcher Beeinträchtigung aufgrund der Nutzung durch eine unbestimmte Personenzahl während eines unbegrenzten Zeitraumes zu rechnen sei.
42
Zwar sei bei der Erteilung einer Baugenehmigung davon auszugehen, dass der Bauherr etwaige Auflagen erfülle und Schwierigkeiten im Vollzug würden die Baugenehmigung nicht wegen Rücksichtslosigkeit unzulässig machen. Die auferlegten Maßnahmen müssten jedoch machbar und zum Schutz der Umgebung hinreichend sicher erscheinen. Eine bei typisierender Betrachtung potenziell störende bauliche Anlage lasse sich nicht auf dem Papier durch Auflagen in eine nicht störende Anlage verwandeln, wenn die in der Baugenehmigung enthaltenen Nebenbestimmungen zum Schutz des Nachbarn weitgehend vom Wohlverhalten des Bauherrn abhängen (unter Verweis auf BayVGH, B.v. 23.8.2007 - 26 ZB 07.1190). Dies gelte vorliegend insbesondere hinsichtlich des in der Auflage Nr. 28 enthaltenen Zeitkontingents in Gestalt der Begrenzung der Nutzung auf drei Stunden. Dies führe zu einem ständigen Überwachungsproblem und damit zu einem nicht mehr vertretbaren Verwaltungsaufwand (unter Verweis auf BayVGH, U.v. 14.8.2008 - 14 B 06.1181 sowie U.v. 26.3.1984 - 14 B 81 A.815). Eine Kontrolle der zusätzlichen Nutzung durch die Öffentlichkeit könne indes überhaupt nicht erfolgen. Mithin sein der Schutz der Antragstellerin nicht sichergestellt und ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot gegeben. Angesichts der dargelegten Unbestimmtheit der Baugenehmigung sei nicht einschätzbar, mit welchen Lärmimmissionen tatsächlich zu rechnen sei. Es sei zu vermuten, dass die nach dem Inhalt der Baugenehmigung mögliche Nutzung der Plattform durch mehr als 100 Personen während des gesamten Zeitraumes von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr bzw. hinsichtlich der Öffentlichkeit auch darüber hinaus unzumutbare Lärmimmissionen verursache. Dieser Effekt werde zudem durch die bislang nicht berücksichtigten Reflexionswirkungen verstärkt.
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Das Gebot der Rücksichtnahme werde weiter dadurch verletzt, dass von der vorgesehenen Plattform durch eine außergewöhnlich hohe Zahl von bis zu 100 Personen eine Einsichtmöglichkeit in die Aufenthaltsräume der Antragstellerin entstehe. Diese werde ebenfalls durch die zusätzliche, permanente Nutzung der Öffentlichkeit verstärkt. Es bestehe die realistische Möglichkeit, dass an schönen Sommerabenden parallel zu Veranstaltungen im Bauvorhaben eine Vielzahl von Nutzern der Plattform Einblick auf das Anwesen der Antragstellerin nimmt. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund der besonderen Attraktivität des Urlaubsortes … der Fall. Bereits jetzt würden sich immer wieder Camper auf dem Platz unterhalb des Bauvorhabens an der … aufhalten. Es sei zu erwarten, dass diese auch die neu geschaffene Plattform nutzen werden, um dort unter Alkoholkonsum sowie mit erhöhten Lautstärkepegel feiernd Sommerabende zu verbringen. Die Nutzung der Räumlichkeiten der Antragstellerin und insbesondere ihres Gartens werde praktisch vollständig entwertet. Zwar vermittle das Bauplanungsrecht grundsätzlich keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken und ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot scheide bei Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften regelmäßig aus. Dies gelte jedoch nicht ausnahmslos. Ein Ausnahmefall könne etwa vorliegen, wenn ein unmittelbarer Einblick aus kürzester Entfernung auf eine geschützte Räumlichkeit wie ein Schlafzimmer bestehen würde (unter Verweis auf BayVGH, B.v. 12.2.2020 - 15 CS 20.45). Ein Extremfall sei gegeben, wenn Einsichtmöglichkeiten wie von einer Aussichtsplattform in Schlafzimmer und Terrassenbereich des Nachbarhauses geschaffen werden (unter Verweis auf OVG Münster, U.v. 22.8.2005 - 10 A 3611/03). Vorliegend bestehe zwar zwischen dem Bauvorhaben und den betroffenen Anwesen der Antragstellerin eine Entfernung von 30 m über die … hinweg. Jedoch handele es sich vorliegend auch nicht um die Einsicht von einem privaten Balkon, sondern um die permanente Einsichtnahme von einer Vielzahl von Personen.
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Die Antragstellerin beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den der Beigeladenen erteilten Baugenehmigungsbescheid vom 15. Dezember 2021 wird angeordnet.
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Der Antragsgegner beantragt,
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Fahrverkehr und die Parkplatzsituation in dem Gutachten berücksichtigt worden seien. Auch ein möglicher Abholverkehr vor dem Gebäude sowie ein Laufweg zu einem entfernter liegenden Parkplatz seien hierbei mit einbezogen worden, wie den Seiten 13f. des Gutachtens zu entnehmen sei. Auch der Einwand, dass Reflexionen durch die benachbarten Steilwände des Flusstales in Verbindung mit der zugelassenen Außenbereichsnutzung nicht berücksichtigt worden seien, sei nicht stichhaltig. Der freie Ausbreitungsweg des Schalls zur Steilwand betrage gemäß interner Stellungnahme der Fachbehörde vom 6. Mai 2022 mehr als 50 m. Der Reflexionsschall sei damit um 2,5 bis 3 mal so lange zu dem Anwesen der Antragstellerin unterwegs wie der Direktschall. Rein rechnerisch ergebe sich hierdurch für den Reflexionsschall ein um den Faktor 8-9 dB(A) geringerer Schalldruck. Der lärmtechnische Anteil des Reflexionsschalls beim Anwesen der Antragstellerin könne demnach vernachlässigt werden. Ein „gehobenes Sprechen“ sei bei der Berechnung der Außenbereichsnutzung durch den Gutachter bereits berücksichtigt worden. Hinsichtlich der Bestimmtheit der Auflage Nr. 28 (Nutzung des Außenbereichs im Norden) stehe diese in unmittelbarem Zusammenhang mit eventuellen Veranstaltungen in der Scheune. Gemäß Betriebsbeschreibung sei die Anzahl der Personen in der Scheune auf 100 beschränkt und somit auch in den Pausenzeiten im Freibereich nicht mit einer höheren Anzahl an Besuchern zu rechnen. Der kurzzeitige Aufenthalt von Besuchern außerhalb der Nutzung im Rahmen von Veranstaltungen sei immissionsrechtlich irrelevant. Eine weitere Festlegung erscheine daher immissionsschutzrechtlich derzeit nicht angezeigt. Diesbezüglich sei auf den Auflagenvorbehalt zu verweisen. Soweit eine zusätzliche Belastung durch private Besucher gerügt worden sei, sei anzumerken, dass einer eventuellen Vorbelastung des Grundstückes durch die Festlegung eines nach Nr. 3.2.1 der TA-Lärm um 6 dB(A) reduzierten Immissionsschutzwertes Rechnung getragen worden sei.
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Im Hinblick auf die Einsichtnahme in das Nachbargrundstück wird vorgetragen, dass es in bebauten innerörtlichen Bereichen - wie hier - zur Normalität gehöre, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in andere Grundstücke und Gebäude genommen werden kann. Auch über das Gebot der Rücksichtnahme werde in bebauten Ortslagen kein genereller Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt. Allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles geprägten Ausnahmefällen könne sich etwas anderes ergeben. Ein derartiger Ausnahmefall sei vorliegend nicht gegeben. Die geplante Plattform befinde sich circa 30 m entfernt von dem Wohngebäude der Antragstellerin in einer Höhe von etwa 4 bis 5 m oberhalb des Flusses. Eine Einsichtnahme in die Aufenthaltsräume der Antragstellerin über das als sozialadäquat hinnehmbare Maß sei bereits aufgrund der Entfernung nicht gegeben. Der Antragstellerin sei es darüber hinaus grundsätzlich zumutbar, ihre Räumlichkeiten, in welche potenziell von den Nutzern der Plattform aus eingesehen werden könnte, durch in Innerortslagen typische Sichtschutzeinrichtungen, wie etwa Vorhänge oder Jalousien o.ä., vor ungewollter Einsichtnahme zu schützen (unter Verweis auf BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221). Auch der Einblick auf den circa 17 m entfernten Gartenbereich der Antragstellerin führe nicht zu einem Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot. Aufgrund der Entfernung, der Größe und Lage des Gartengrundstückes sowie des vorhandenen Bewuchses sei die Annahme eines unzumutbaren Ausnahmefalles hinsichtlich der Einsichtnahme nicht gegeben. Allein der Umstand, dass durch die baulichen Änderungen am Bestandsgebäude der Einblick in die Gärten der umliegenden Grundstücke ermöglich oder verschärft werde, stelle keinen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot dar (unter Verweis auf VG Ansbach, B.v. 14.1.2022 - AN 3 S 21.02157).
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Die Beigeladene stellt keinen Antrag und führt ergänzend zur Antragserwiderung des Antragsgegners aus, dass der Antrag bereits unzulässig sei, da prozessuale Verwirkung eingetreten sei. Die Beigeladene habe bereits am 17. Januar 2022 mit dem Bau begonnen. Der inmitten stehende Antrag sei erst knapp ein halbes Jahr nach öffentlich sichtbarem Baubeginn eingereicht worden. Die Antragstellerin habe sich zudem bisher nicht zum Baufortschritt geäußert, obwohl regelmäßige Korrespondenz mit der Beigeladenen bestanden habe.
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Des Weiteren seien die geltend gemachten Mängel im Lärmgutachten vom 13. Dezember 2021 unzutreffend, da Ansowie Abfahrtsverkehr und Reflexionen ausführlich berücksichtigt worden seien. Eine Unbestimmtheit der Bauvorlage liege insoweit nicht vor. Zum An- und Abfahrtsverkehr enthalte das Gutachten ausführliche Aussagen einschließlich detaillierter Zahlen zu Fahrzeugbewegungen (35 pro Tag vor dem streitgegenständlichen Anwesen sowie 86,8 pro Tag vom Parkplatz aus) auf den Seiten 13 und 14. Ein Betrieb nach 22.00 Uhr sei nicht beantragt worden, was aus der Betriebsbeschreibung als Teil der Bauvorlagen sowie der Auflage Nr. 20 des inmitten stehenden Bescheides ergebe. Bezüglich der Reflexionen liege der Berechnung ein 3D-Geländemodell zugrunde (unter Verweis auf die Anlagen 13 und 14 zum Lärmgutachten), in dem die Geländestruktur berücksichtigt sei. In der Berechnung seien Mehrfachreflexionen bis zum dritten Grad berücksichtigt. Die maßgeblichen - aufgrund möglicher Vorbelastung um 6 dB(A) reduzierten - Lärmgrenzwerte würden durch das Vorhaben ganz erheblich unterschritten. So würden die Beurteilungspegel an den für die Antragstellerin maßgeblichen Immissionssorten 38,9 dB(A), 47,4 dB(A) und 51,5 dB(A) betragen, obwohl 54 dB(A) bzw. ohne Vorbelastung 60 dB(A) möglich wären. Der pauschale Hinweis auf die Unbeherrschbarkeit der Personen auf der Terrasse reiche nicht, um einen problematischen Auflagenvollzug zu begründen. Es sei bereits nicht substantiiert dargelegt worden, dass die festgesetzten Nebenbestimmungen nicht geeignet seien, unzumutbare Lärmimmissionen für die Antragstellerin durch die genehmigte Nutzung auszuschließen. Der Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung stehe nicht entgegen, dass ihr Vollzug möglicherweise behördliche Aufsichtsmaßnahmen erfordere (unter Verweis auf BayVGH, B.v. 18.7.2016 - 9 CS 16.858). Der Beigeladenen als Hoheitsträgerin stünden vielfältige Instrumente zur Verfügung, um die Einhaltung der Nebenbestimmungen zu garantieren; sie sei an Recht und Gesetz gebunden. Zudem habe der Antragsgegner einen immissionsschutzrechtlichen Auflagenvorbehalt verfügt.
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Die Antragstellerin habe indes keinen Anspruch darauf, dass ihr Grundstück nicht eingesehen wird. Mit Balkonen sei eine gewisse Einsehbarkeit stets verbunden; diese sei nicht zu vermeiden und zumutbar. Zudem sei vorliegend aufgrund des erheblichen Bewuchses des … mit Bäumen und Sträuchern, welcher sich innerhalb des FFH-Gebietes „…“ befinde und daher voraussichtlich dauerhaft bestehe, eine Einsicht rein tatsächlich nicht bzw. kaum möglich; es bestehe kaum eine Sichtverbindung zwischen den beiden Anwesen. Hierzu wird auf verschiedene Lichtbildaufnahmen verwiesen. Dass sich das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben auf einer „weit erhöhten Position“ gegenüber dem Anwesen der Antragstellerin befinde, werde bestritten. Vielmehr befänden sich die Anwesen auf ähnlicher Höhe, wie einem Lichtbild aus Google-Maps zu entnehmen sei. Mit Nichtwissen bestritten werde, dass sich in der der … zugewandten Fassade der Anwesen der Antragstellerin genehmigte Aufenthaltsräume befänden und dass die … in wasser- und baurechtlich zugelassener Weise nutzbar sei. Die Antragstellerin habe keine Unterlagen vorgelegt oder sonst glaubhaft gemacht, dass die geltend gemachten Aufenthaltsräume sowie der Garten wie behauptet bestehen und legal und damit rechtlich schutzwürdig seien. Betreffend die baurechtlich zulässige Nutzbarkeit der … sei zu erwähnen, dass diese gemäß Auszug aus dem BayernAtlas innerhalb einer Hochwassergefahrenfläche HQ-Häufig liege. Im Übrigen seien der Antragstellerin zumutbare Maßnahmen der gärtnerischen Selbsthilfe unbenommen. Die Abstandsflächenvorschriften sowie das Gebot der Rücksichtnahme seien ebenfalls gewahrt. Es handele sich um eine rein tatsächlich nicht überbaubare private Wasserfläche und damit um einen Fall des Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO. Im Übrigen sei mit dem streitgegenständlichen Bescheid eine stichhaltig begründete Abweichung vom abstandsflächenrechtlichen Lagegebot im Hinblick auf das Antragstellergrundstück FlNr. … erteilt worden. In Ergänzung hierzu sei zu erwähnen, dass im Hinblick auf den nicht lotgerecht zur Erschließungsstraße verlaufenden Baugrundstückzuschnitt, die Lage an der … sowie dem teilweisen Denkmalschutz des Vorhabens eine atypische Fallgestaltung vorliege. Im Übrigen könne der Nachbar aus einer sogenannten „überflüssigen Abweichung“ keine Abwehrrechte ableiten (unter Verweis auf VG Ansbach, U.v. 6.8.2020 - AN 3 K 19.01669). Bei Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften sei die Einhaltung des Rücksichtnahmegebotes indiziert. Im Hinblick auf die gerichtlich durchzuführende Interessensabwägung sei außerdem zu erwähnen, dass die primär angegriffene Nutzung des Vorhabens ohne Weiteres zügig und jederzeit angepasst werden könne, soweit dies erforderlich sein sollte. Insofern seien keine vollendeten Tatsachen zu befürchten. Gegen die Kubatur des Vorhabens wehre sich die Antragstellerin offenbar nicht (mehr).
51
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin erwiderte mit Schriftsatz vom 3. August 2022, dass die von den Bevollmächtigten der Beigeladenen angenommene prozessuale Verwirkung richtigerweise die Frage, ob das Rechtsschutzbedürfnis entfallen sei, betreffe. Allerdings reiche hierfür der Ablauf von wenigen Monaten nicht aus. Regelmäßig sei bis zur Fertigstellung des Rohbaus keine Verwirkung eingetreten bzw. das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Vorliegend fehlten jedoch große Teile der neu zu errichtenden Teile des Bauvorhabens. Im Übrigen sei in der Rechtsprechung geklärt, dass, wenn ein Nachbar auch durch die beabsichtigte Nutzung in seinen Rechten beeinträchtigt sein könne, das Rechtsschutzbedürfnis so lange bestehen bleibe, solange die Nutzung nicht aufgenommen worden sei bzw. nicht mehr in zumutbarer Weise unterbunden werden könne. Die Beigeladene habe in den Gesprächen zu einer außergerichtlichen Einigung auf Zeit gespielt Es sei davon auszugehen, dass wegen der Auskragung der Balkonkonstruktion die letzten verbleibenden Bäume gerodet werden und damit keinen Sichtschutz mehr bieten könnten. Auch entfalle ein Sichtschutz durch Bäume im Herbst.
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Eine erhebliche Anzahl schutzwürdiger Räumlichkeiten im Sinne der DIN 4109, d.h. Schlafzimmer und Wohnküche, seien dem Vorhaben zugewandt, so dass eine unmittelbare Einsichtnahme möglich sei. Diese erfolge nicht auf etwa gleicher Höhe, sondern von einer Plattform herab.
53
Im Übrigen wende sich die Antragstellerin auch gegen die baulichen Änderungen, die die streitgegenständliche Baugenehmigung mitumfasse und die Nutzung erst ermöglichen.
54
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
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1. Der Antrag nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
56
Insbesondere ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. Dezember 2021 nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da der Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt.
57
Auch fehlt dem Eilantrag der Antragstellerin nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag eines Baunachbarn nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entfällt bei einem Eilrechtsbehelf gegen die Baugenehmigung regelmäßig mit der Fertigstellung des Rohbaus des angegriffenen Bauvorhabens (BayVGH, B.v. 11.1.2022 - 15 CS 21.2913 - juris 28 m.w.N.). Es kann ausnahmsweise trotz Fertigstellung des Rohbaus des angegriffenen Vorhabens fortbestehen, sofern daneben eine Verletzung in eigenen Rechten (auch) durch die Nutzung der genehmigten Anlage geltend gemacht wird (BayVGH, B.v. 17.11.2015 - 9 CS 15.1762 - juris Rn. 18). Vorliegend sind die Baumaßnahmen an den bereits vorhandenen Gebäuden nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Bevollmächtigten der Antragstellerin noch nicht abgeschlossen. Hinzukommt, dass die vorgetragene Beeinträchtigung der Antragstellerin auch und gerade von der (zukünftigen) Nutzung der Anlage ausgehen, so dass selbst bei Fertigstellung des Rohbaus das Rechtsschutzbedürfnis zumindest hinsichtlich der geltend gemachten Beeinträchtigung des Gebotes der Rücksichtnahme durch möglicherweise unzumutbare Lärmbelästigungen nicht entfallen wäre.
58
Soweit der Bevollmächtigte der Beigeladenen eine „prozessuale Verwirkung“ mit der Folge der Unzulässigkeit des Antrages nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO anführt, so sieht das Gericht vorliegend unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zum Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses keinen Raum für die Annahme einer Verwirkung. Für eine Verwirkung muss seit der Entstehung des Rechts und der Möglichkeit seiner Geltendmachung längere Zeit verstrichen sein (Zeitmoment) und der Berechtigte muss unter Verhältnissen untätig geblieben sein, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (Umstandsmoment). Erst hierdurch wird die Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (Vertrauensmoment). Zeit-, Umstands- und Vertrauensmoment sind nicht präzise voneinander zu trennen. Maßgeblich ist eine Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände (BayVGH, B.v. 9.11.2021 - 8 CS 21.2166 - juris Rn 24). Bereits aufgrund der rechtzeitigen Klageerhebung gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung darf die Beigeladene nicht auf den Bestand der Baugenehmigung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung vertrauen. Zwar ist die Beigeladene aufgrund der gemäß § 212a BauGB ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung der Klage nicht gehindert, Gebrauch von der ihr erteilten Baugenehmigung zu machen, Baumaßnahmen erfolgen jedoch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens auf deren eigenes Risiko. Entsprechend besteht kein Anlass, das Verstreichen einiger Monate zwischen Beginn der Baumaßnahmen und Stellung eines Eilantrages für eine Verwirkung ausreichen zu lassen, wenn zum einen rechtzeitig Klage erhoben wurde und zum anderen kein Grund für das Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses vorliegt.
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
60
Erhebt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte Baugenehmigung Anfechtungsklage, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind - die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung nach summarischer Prüfung also als rechtswidrig im Hinblick auf nachbarschützende Vorschriften, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen. Hat dagegen die Anfechtungsklage des Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist dies im Rahmen der Interessenabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung. Bei offenen Erfolgsaussichten findet eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 26.7.2011 - 14 CS 11.535 - juris; B.v. 23.2.2021 - 15 CS 21.403 - juris).
61
Nach diesen Grundsätzen muss der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage der Antragstellerin ohne Erfolg bleiben. Im vorliegenden Fall überwiegen die Interessen der Bauherrin an der sofortigen Vollziehung der ihr erteilten Baugenehmigung, da die zulässige Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 15. Dezember 2021 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die von dem Antragsgegner erteilte Baugenehmigung verletzt nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
62
Dabei kann die Antragstellerin die streitgegenständliche Baugenehmigung mit dem Ziel der Aufhebung nur dann erfolgreich anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, welche auch dem nachbarlichen Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und Gegenstand des vorliegenden Baugenehmigungsverfahrens gemäß Art. 60 Satz 1 BayBO sind.
63
Derartige Vorschriften sind hier aller Voraussicht nach nicht verletzt.
64
a) Die Antragstellerin kann sich nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht erfolgreich auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs berufen.
65
Der Gebietserhaltungsanspruch, auch Gebietsbewahrungsanspruch genannt, gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen (vgl. BayVGH, B.v. 27.12.2017 - 15 CS 17.2061 - juris Rn. 16). Dieser Anspruch gilt auch im faktischen Baugebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 - 4 B 39.13 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 8.1.2019 - 9 CS 17.2482 - juris Rn. 15).
66
Der Gebietserhaltungsanspruch ist voraussichtlich nicht verletzt.
67
Das Vorhabengrundstück befindet sich ebenso wie das Grundstück der Antragstellerin im unbeplanten Innenbereich gemäß § 34 BauGB. Bei summarischer Prüfung entspricht die Eigenart der näheren Umgebung wohl einem Mischgebiet nach § 6 BauNVO.
68
Nach § 6 Abs. 1 BauNVO dienen Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Der Gebietscharakter des Mischgebiets wird durch die beiden Hauptfunktionen Wohnen und Gewerbe ohne Festlegung einer bestimmten Relation oder eines Vorrangs der einen gegenüber der anderen Nutzung bestimmt (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, § 6 Rn. 10b). Das Gemeindegebiet der Beigeladenen ist geprägt durch das Nebeneinander von Wohnnutzung und Betrieben des Handwerks (z.B. Kfz-Werkstätten, Metzgerei), des Handels und seiner Hilfsgewerbe (z.B. Blumenladen, Elektrofachgeschäft), des Hotel- und Gaststättengewerbe und des Dienstleistungsgewerbes (z.B. Banken, Tauchschule, Outdoor Events & Teambuilding).
69
Damit liegt nach summarischer Prüfung ein faktisches Baugebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO vor, in welchem sich die Eigentümer der dort vorhandenen Grundstücke grundsätzlich auf den Gebietserhaltungsanspruch berufen können.
70
Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO sind im Mischgebiet Anlagen für kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke allgemein zulässig. Da der Gebäudekomplex zur Unterstützung des örtlichen Kultur- und Vereinslebens (z.B. für Proben, Vereinsversammlungen, ehrenamtliche und nicht kommerzielle Aktivitäten, kulturelle Veranstaltungen, VHS,…) genutzt werden soll, ist der Gebietserhaltungsanspruch nicht verletzt.
71
b) Es liegt voraussichtlich auch keine Verletzung des sogenannten Gebietsprägungserhaltungsanspruchs vor.
72
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Unabhängig von der Frage, ob ein „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO überhaupt existiert (vgl. zum Streitstand BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 9), kann dieser überhaupt nur einschlägig sein, wenn das den Vorgaben gemäß §§ 2 bis 14 BauNVO (hier i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB) an sich entsprechende Bauvorhaben bei typisierender Betrachtung gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten ist, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspricht. Für ein (nachbar-) rechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität in diesem Sinne müsste das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste (vgl. BVerwG, U.v. 16.03.1995 - 4 C 3.94 - NVwZ 1995, 899 = juris Rn. 17). Da es sich bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO um eine Ausnahmevorschrift zur Art der baulichen Nutzung handelt, ist ein solcher Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets aber nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen. Der Widerspruch der hinzukommenden baulichen Anlage oder deren Nutzung muss sich daher bei objektiver Betrachtungsweise offensichtlich aufdrängen; dass das Neubauvorhaben oder die neue Nutzung nicht in jeder Hinsicht mit der vorhandenen Bebauung im Einklang steht, genügt dafür nicht (BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 10; Kremer, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 5; am Beispiel eines Asylbewerberheims vgl. auch OVG Rh-Pf, B.v. 08.12.2016 - 8 A 10680/16 - juris Rn. 11 f.).
73
Entsprechendes wurde weder vom Bevollmächtigten der Antragstellerin vorgetragen noch ist aus Sicht des Gerichtes erkennbar, insbesondere unter Berücksichtigung, dass die zukünftige Nutzung des Gebäudekomplexes gerade dem örtlichen gemeindlichen Leben, z.B. als Ersatz für die kaum noch vorhandenen Gastwirtschaften, dienen soll.
74
c) Das Vorhaben erweist sich voraussichtlich auch nicht als rücksichtslos (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO).
75
Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Es wird zulasten des Nachbarn verletzt, wenn durch das geplante Vorhaben die Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird, also unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen überschritten wird, was der Nachbar billigerweise hinnehmen muss. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 21.1.2022 - 1 CS 21.2866 - juris Rn. 14 m.w.N.).
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Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes ist nach Einschätzung des Gerichts nicht gegeben.
77
aa) Die Antragstellerin ist voraussichtlich keinen unzumutbaren Beeinträchtigungen durch Lärmimmissionen ausgesetzt.
78
Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Immissionsschutzrechts (§ 3 Abs. 1 BImSchG) und auf dessen materiell-rechtliche Maßstäbe (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) zurückzugreifen (BayVGH, B.v. 21.1.2022 - 1 CS 21.2866 - juris Rn. 14 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 23.9.1999 - 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314; BayVGH, B.v. 3.5.2016 - 15 CS 15.1576 - UPR 2017, 32; VGH BW, U.v. 12.10.2017 - 3 S 1457/17 - ZfBR 2018, 171). Was die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen betrifft, können anerkanntermaßen die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm - bzw. die darin enthaltenen Immissionsrichtwerte herangezogen werden. Die TA Lärm gehört zu den normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, welche vorbehaltlich abweichender Erkenntnisse im Regelfall der gerichtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden.
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Im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme hat die Bauaufsichtsbehörde bei der Prüfung, ob und inwieweit von einer Anlage Immissionen ausgehen können, der Reichweite der Immissionen nachzugehen. Sie muss insbesondere prüfen, in welchem Umkreis die Immissionen noch zumutbar sind. Sie ist daher verpflichtet, zugunsten eines Nachbarn gegebenenfalls durch Auflagen in der Baugenehmigung, mittels einer konkreten Betriebsbeschreibung oder durch Ähnliches sicherzustellen, dass der Nachbar vor unzumutbaren Immissionen geschützt wird. Dabei reicht die Festsetzung von Immissionswerten allein für die Erfüllung der Schutzpflicht nicht immer aus. Die Festlegung des maßgeblichen Immissionsrichtwerts genügt vielmehr zur Sicherung der Nachbarrechte grundsätzlich nur, wenn feststeht, dass die bei der Nutzung der Anlage entstehenden Immissionen die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze nicht überschreiten, was nur durch entsprechende Lärmermittlungen (Schallimmissionsprognosen) nachgewiesen werden kann. Es ist dabei grundsätzlich Sache des Bauherrn, im Genehmigungsverfahren den Nachweis zu erbringen, dass die zur Genehmigung gestellte Anlage die einschlägigen Zumutbarkeitskriterien der TA-Lärm einhält. An die insoweit bereits im Genehmigungsverfahren vorzunehmende prognostische Einschätzung einer Einhaltung der Zumutbarkeitskriterien sind insoweit hohe Anforderungen zu stellen, als sie in jedem Fall „auf der sicheren Seite“ liegen muss. Andernfalls würden die regelmäßig nicht zu vermeidenden Unsicherheiten bei der nachträglichen Kontrolle, ob der bei der Genehmigung vorausgesetzte Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen tatsächlich gewahrt ist, zulasten der zu schützenden Betroffenen gehen. Eine solche Sichtweise ist angesichts des hohen Werts der Schutzgüter, die mit der Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen geschützt werden sollen - hier also vornehmlich die Gesundheit der Nachbarn - auch mit Blick auf die - in erster Linie wirtschaftlichen - Interessen des Bauherrn gerechtfertigt. Daher muss bereits die genehmigte Nutzung in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen eingeschränkt werden. Denn die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften muss bereits durch die Baugenehmigung im Zeitpunkt ihrer Erteilung gewährleistet sein (BayVGH, U.v. 16.11.2006 - 26 B 03.2486 - juris Rn. 28 und 30; B.v. 2.10.2012 - 2 ZB 12.1898 - juris Rn. 5 m.w.N.).
80
Gemessen an diesen Maßstäben beeinträchtigt die angegriffene Baugenehmigung nach summarischer Prüfung die Antragstellerin nicht in unzumutbarer Weise in ihren Rechten.
81
Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin vorträgt, dass die Baugenehmigung hinsichtlich der zu erwartenden Lärmimmissionen nicht ausreichend bestimmt ist, kann dem nicht gefolgt werden. Insbesondere kann die Antragstellerin ausreichend deutlich erkennen, in welchem Umfang sie durch die Baugenehmigung betroffen ist.
82
Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss die im Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten - gegebenenfalls nach Auslegung - eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Antragsunterlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen. Nicht mit Genehmigungsvermerk versehene Unterlagen können allenfalls dann zur Auslegung des Inhalts der Baugenehmigung herangezogen werden, wenn anderweitig im Genehmigungsbescheid oder in den (gestempelten) Bauvorlagen auf sie Bezug genommen wird (BayVGH, B.v. 26.4.2022 - 1 CS 22.551 - juris Rn. 6 m.w.N.).
83
Diesen Anforderungen wird die streitgegenständliche Baugenehmigung gerecht. Der Antragsgegner hat die geprüften und entsprechend gestempelten Bauvorlagen zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht. Gegenstand der Baugenehmigung ist auch die Betriebsbeschreibung, die beim Antragsgegner am 22. Oktober 2021 eingegangen ist, sodass sich ausreichend deutlich der Umfang der geplanten Nutzung ergibt. Zwar ist auf die Betriebsbeschreibung in der Baugenehmigung nicht ausdrücklich Bezug genommen und die Betriebsbeschreibung auch nicht als geprüfte Bauvorlage gestempelt, allerdings ergibt sich aus dem Verfahrensablauf und auch dem zum Gegenstand der Baugenehmigung gemachten Schallschutzgutachten des Büros … (vgl. Auflage Nr. 21 der Baugenehmigung) im Sinne der „Andeutungstheorie“ bei der Auslegung von Testamenten (vgl. BayVGH, B.v. 11.3.2022 - 15 ZB 21.2871 - juris Rn. 17), dass auch die Betriebsbeschreibung Gegenstand der Baugenehmigung sein soll. So wurde während des laufenden Genehmigungsverfahren mit der Anforderung eines Schallschutzgutachten auch die Vorlage einer „ordentlichen Betriebs- und Nutzungsbeschreibung“ erbeten (vgl. Schreiben vom 10. September 2021), was dem Bevollmächtigten der Antragstellerin auch bekannt war. Dies ergibt sich aus der Bitte im Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 19. August 2021, ihm die ergänzenden Unterlagen, insbesondere Betriebsbeschreibung und das Schallschutzgutachten, nach Eingang bei dem Antragsgegner zukommen zu lassen. Des Weiteren ist die Betriebsbeschreibung als dem Gutachten zugrundeliegende Unterlage erwähnt (vgl. Ziff. 2.1 des Gutachtens) und zum Teil auch wiedergegeben (vgl. Ziff. 3 und Ziff. 6) sowie als Anlage des Schallschutzgutachten vom 13. Dezember 2021 aufgeführt.
84
Der Antragsgegner hat mittels Auflagen im Bescheid sichergestellt, dass die Antragstellerin durch das Vorhaben und dessen Nutzung keinen unzumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt wird.
85
Der Antragsgegner hat in der Baugenehmigung den durch die Beigeladene einzuhaltende Lärmgrenzwert von tagsüber 54 dB(A) - ausgehend von dem gemäß Nr. 6.1 d) der TA Lärm für ein Mischgebiet geltenden Wert von 60 dB(A) und um 6 dB(A) reduziert zur Berücksichtigung der Vorbelastungen gemäß Nr. 3.2.1 Abs. 6 der TA Lärm - festgesetzt (Auflage 19). Darüber hinaus ist festgelegt, dass einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen die Immissionsrichtwerte am Tag um nicht mehr als 30 dB(A) überschreiten dürfen (vgl. Nr. 6.1 Satz 2 TA Lärm). Der Betrieb zur Nachtzeit wurde dem Bauantrag entsprechend für unzulässig erklärt.
86
Für das Gericht ist nach summarischer Prüfung aufgrund des Schallschutzgutachtens des Büros … nicht ersichtlich, dass dieser Grenzwert durch die geplante Nutzung nicht eingehalten werden könnte. Insbesondere werden unter Berücksichtigung der konkret geplanten Nutzung an den die Antragstellerin betreffenden Immissionsorten IO 1, IO 2 und IO 3 Beurteilungspegel von 38,9 dB(A), 47,4 dB(A) und 51,5 dB(A) errechnet. Die im Gutachten zur Einhaltung des Grenzwertes für erforderlich gehaltenen Beschränkungen sind mittels Auflagen (Nr. 21 - 29) in den Bescheid übernommen worden.
87
Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin darauf verweist, dass das Gutachten und entsprechend auch die Baugenehmigung nicht ausreichend den zu erwartenden An- und Abfahrtsverkehr und die Reflexionswirkung der felsigen Steilwände des … berücksichtige, so ist dies nach Überzeugung der Kammer nicht zutreffend. So benennt das Gutachten unter Ziff. 6.7. ausdrücklich den Abholverkehr (Nr. 6.7 des Gutachtens) und berücksichtigt die Auswirkungen der in gewisser Entfernung auf dem Grundstück FlNr. … liegenden Parkplätze mit zwei Bewegungen pro Parkplatz (Nr. 6.8) sowie dem Laufweg zwischen Parkplatz und Gebäude (Nr. 6.9). Dies wird auch nochmals durch das Ingenieurbüro mit E-Mail vom 24. Juni 2022 bestätigt. Insoweit ist davon auszugehen, dass die zu erwartenden Auswirkungen aufgrund der zum Gegenstand des Gutachtens gemachten Betriebsbeschreibung ermittelt wurden. Die gerügte Nichtberücksichtigung von An- und Abfahrtsverkehr in der Nachtzeit ist vorliegend nicht zu beanstanden. Ein Nachtbetrieb ist ausdrücklich nicht beantragt. Entsprechend sind Aktivitäten im streitgegenständlichen Gebäude so zu planen, dass auch der damit einhergehende An- und Abfahrtsverkehr während der Tagzeit erfolgt. Falls es doch zu unzulässigen Immissionen bzw. Beschwerden kommen sollte, hat sich der Antragsgegner den Erlass weiterer Auflagen bzw. die Forderung eines erneuten Schallschutzgutachtens vorbehalten (Auflagen Nr. 28 und 29).
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Hinsichtlich der gerügten Nichtberücksichtigung der Geländebesonderheiten hat der Antragsgegner nachvollziehbar begründet, weshalb der lärmtechnische Reflexionsschall bezüglich des Anwesens der Antragstellerin vernachlässigt werden kann. So ist der Reflexionsschall aufgrund der 50 m entfernten Steilwand 2,5 bis 3mal so lange unterwegs, wie der Direktschall, sodass sich rein rechnerisch ein um den Faktor 8 bis 9 dB(A) geringerer Schalldruck ergibt. Auch ergibt sich aus der E-Mail des Ingenieurbüros … vom 24. Juni 2022, dass die Geländestruktur berücksichtigt worden ist und im Übrigen der Reflexionsschall aufgrund der deutlichen Unterschreitung der Immissionsrichtwerte untergeordnet wäre. Für das Gericht ergibt sich kein Anlass, an den übereinstimmenden Feststellungen von Antragsgegner und Gutachtensersteller zu zweifeln, insbesondere hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin insoweit keine substantiierten Einwendungen entgegengestellt.
89
Ebenfalls nicht überzeugen kann der Einwand des Bevollmächtigten der Antragstellerin, dass die Auflage 28 hinsichtlich der Nutzung des Außenbereiches zu unbestimmt sei. Für das Gericht ergibt sich aus der Formulierung der Auflage, der Stellung im Bescheid sowie dem lärmschutztechnischen Gutachten ausreichend deutlich, dass die Auflage im Zusammenhang mit der beabsichtigten Nutzung des Gebäudeensembles und Veranstaltungen steht. Dies ergibt sich bereits aus dem Hinweis auf „z.B. Pausenzeiten“. Die Beigeladene hat für den mit den Ensemble in Zusammenhang stehenden Betrieb der Außenanlage unproblematisch ausreichend Möglichkeiten, die Einhaltung der Auflage Nr. 28 (max. 100 Personen und 3 Stunden täglich) z.B. in der Hausordnung oder vertraglichen Vereinbarungen sicherzustellen. Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin auf nicht dem Betrieb des streitgegenständlichen Vorhabens zuzurechnende Besucher der Außenanlage, z.B. Nutzer des nahegelegenen Wohnmobilstellplatzes, hinweist, so sind entsprechende Auswirkungen schon durch die Festsetzung des um 6 dB(A) reduzierten Schallschutzgrenzwertes ausreichend berücksichtigt.
90
Letztlich kann aber zumindest im Eilverfahren offenbleiben, ob die in der Baugenehmigung enthaltenen immissionsschutztechnischen Auflagen, die auf dem Schallschutzgutachten des Ingenieurbüros … vom 13. Dezember 2021 beruhen, ausreichen, um den Schutz der Antragstellerin vor unzumutbaren Lärmimmissionen zu gewährleisten. Sollten entgegen der summarischen Prüfung Ungenauigkeiten oder Unbestimmtheiten bestehen, so könnten diese - soweit notwendig - im Hauptsacheverfahren näher aufgeklärt und durch ergänzende Auflagen bzw. einen ergänzenden Bescheid zur Baugenehmigung ausgeräumt werden. Sie stellen jedoch nicht die weitere Fortführung der Bauarbeiten infrage, sondern entfalten Gewicht erst im Zusammenhang mit der künftigen Nutzung. „Vollendete Tatsachen“ zulasten der Antragstellerin werden somit durch die Fortführung der Bauarbeiten auch insoweit nicht geschaffen (BayVGH, B.v. 24.6.2022 - 15 CS 22.1389 - juris Rn. 20).
91
bb) Auch mit Blick auf etwaige, von der Antragstellerin befürchtete Einblickmöglichkeiten ergibt sich keine Rücksichtslosigkeit zu Lasten der angrenzenden Nachbarbebauung.
92
Das Bauplanungsrecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken; die Möglichkeit der Einsichtnahme ist grundsätzlich nicht städtebaulich relevant (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 - 4 B 72.89 - juris Rn. 7). In bebauten innerörtlichen Bereichen gehört es zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in andere Grundstücke und Gebäude genommen werden kann. Auch über das Gebot der Rücksichtnahme wird in bebauten Ortslagen daher kein genereller Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt, allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme etwas anderes ergeben (BayVGH, B.v. 10.1.2020 - 15 ZB 19.425 - juris Rn. 17 m.w.N.).
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Für einen solchen Ausnahmefall - wie z.B. der unmittelbare Einblick aus kürzester Entfernung auf unmittelbar geschützte Räumlichkeiten (wie z.B. Schlafzimmer) - gibt weder der Vortrag des Bevollmächtigten der Antragstellerin noch die Aktenlage etwas her. Nach Vortrag des Bevollmächtigten der Antragstellerin liegt die geplante Plattform etwa 30 m vom Anwesen der Antragstellerin entfernt. Selbst bei Annahme, dass Aufenthaltsräume im Anwesen der Antragstellerin in Richtung des streitgegenständlichen Vorhabens ausgerichtet sind, fehlt es entsprechend schon an einer sehr kurzen Entfernung, aufgrund derer man zu einer unzumutbaren Einblicknahmöglichkeit kommen könnte. Hinzukommt, dass zwischen den Gebäuden der Antragstellerin und dem Vorhaben des Beigeladenen der sog. … liegt, der die Gebäude der Antragstellerin in Richtung des Vorhabens der Beigeladenen abgrenzt. Sowohl der … als auch das südliche … weisen entsprechend der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Fotos Baumbewuchs auf, der einen unmittelbaren Blick von der Plattform zu den Gebäuden der Antragstellerin selbst im Herbst und Winter durch das dicht wirkende Geäst einschränkt. Dass der im südlichen Uferbereich vorhandene Bewuchs nach Abschluss der Bauarbeiten noch entfernt werden könnte, ist unter Berücksichtigung der Lage im FFH-Gebiet … „…“ eher spekulativ. Selbst ein Höhenunterschied zwischen Plattform und Erdgeschoss der Gebäude der Klägerin begründet keinen Ausnahmefall. Aus Sicht der Kammer ist ein Einblick durch ein Fenster bei einer Entfernung von etwa 30 m eher erschwert, wenn die einblickende Person auf erhöhten Niveau steht, da kein gerader Blick durch das Fenster in den Raum möglich ist, sondern der Blick von oben herab eher Richtung Boden gerichtet wäre. Gerade aufgrund der Entfernung ist die vorliegende Situation nicht mit den der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (OVG NRW, U.v. 22.8.2005 - 10 A 3611/03 - juris) zugrundeliegenden Gegebenheiten - eine Reihenhauszeile mit Gebäudebreiten von jeweils nur 4,75 m und die Errichtung eines über 1,50 m vortretenden, die hintere Baugrenze überschreitenden, grenzständigen, die gesamte Gebäuderückseite einnehmenden Balkons - vergleichbar.
94
Soweit der Bevollmächtigte des Klägers die Auffassung vertritt, dass ein Ausnahmefall auch dann vorliegen kann, wenn zwar keine „kürzeste Entfernung“ gegeben ist, dafür aber eine Vielzahl an Personen (aufgrund der genehmigten Nutzung bis zu 100 Personen) die Plattform nutzen, so ist dies nach Bewertung der Kammer nicht überzeugend. Selbst unter Berücksichtigung, dass sich der Einblick durch die beabsichtigte Nutzung, insbesondere durch eine größere Anzahl von Menschen, für ein in unmittelbarer Nähe befindliches Gebäude - wie hier gerade nicht - als belastender darstellen könnte, so wäre diese Mehrbelastung durch größere Menschengruppen aber immer damit verbunden, dass diese gerade aus kürzester Entfernung Einblick nehmen können. Kann aber eine Person aufgrund der großen Entfernung nur bedingt Einblick nehmen, so gilt dies auch, wenn die Plattform von mehr als einer Person genutzt würde.
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Der Antragstellerin ist es daher grundsätzlich zuzumuten, ihre Räumlichkeiten, in die potenziell vom Nachbarn aus eingesehen werden könnte, durch in Innerortslagen typische Sichtschutzeinrichtungen, wie z.B. Vorhänge, Jalousien o.ä., vor ungewollter Einsichtnahme zu schützen.
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Für die Annahme eines Ausnahmefalles einer unzumutbaren Einsichtnahmemöglichkeit genügt zudem allein der Umstand, dass durch die ermöglichte Bebauung der Einblick in die Gartenanlagen der Antragstellerin ermöglicht oder verschärft wird, ebenfalls nicht (zum Ganzen vgl. BayVGH, B.v. 5.4.2019 - 15 ZB 18.1525 - BeckRS 2019, 7160 Rn. 12 ff. m.w.N.; B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - BeckRS 2019, 27435 Rn. 19 m.w.N.).
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d) Das Vorhaben verstößt nicht gegen (zumindest auch) dem Nachbarschutz dienende Vorschriften des Bauordnungsrechts, insbesondere nicht gegen die Vorschriften des Abstandsflächenrechts. Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin durch die Nichteinhaltung von drittschützenden Abstandsflächenvorschriften ist nicht gegeben.
98
aa) Die Frage der Beurteilung von Abstandsflächen ergibt sich nicht nur bei Neubauten, sondern kann auch bei Nutzungsänderungen oder baulichen Veränderungen neu aufgeworfen werden. Eine abstandsflächenrechtliche Neubetrachtung ist bei der Änderung eines Gebäudes immer dann veranlasst, wenn sich entweder die für die Ermittlung der Abstandsflächentiefe relevanten Merkmale ändern oder wenn die Änderung für sich betrachtet zwar keine abstandsflächenrelevanten Merkmale betrifft, das bestehende Gebäude aber die nach dem geltenden Recht maßgeblichen Abstandsflächen nicht einhält und die Änderung möglicherweise zu nicht nur unerheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange wie Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden führen kann (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2015 - 15 ZB 13.2384 - juris; BayVGH, U.v. 26.11.1979 - 51 XIV 78 - juris; VG Ansbach, U.v. 6.8.2020 - AN 3 K 19.01669 - juris Rn. 29; U.v. 27.8.2014 - AN 9 K 13.00456 - juris)
99
Die Umnutzung einer denkmalgeschützten Scheune zu einem Mehrzweckraum und der Umbau des Haupthauses zu Räumen für Vereine und Gemeinschaft stellt eine intensivere Nutzung mit möglicherweise einhergehenden ungünstigeren Beeinträchtigungen in Bezug auf den Wohnfrieden zu Lasten der Nachbarn dar. Eine Neubeurteilung war daher schon aufgrund der beantragten Nutzungsänderung notwendig. Zudem gingen damit auch bauliche Veränderungen einher, die abstandsflächenrelevante Merkmale betreffen.
100
bb) Nach Art. 6 Abs. 1 und 5 Satz 1 BayBO hat das Gebäude der Beigeladenen zum den Grundstücken der Antragstellerin hin grundsätzlich eine Abstandsfläche von 0,4 H, mindestens aber 3 m, einzuhalten. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO müssen die Abstandsflächen auf dem Grundstück selbst liegen.
101
Dabei sind vorliegend ausschließlich die in Richtung der Grundstücke der Antragstellerin, insbesondere das Grundstück FlNr. …, liegenden Abstandsflächen maßgeblich, denn eine Verkürzung einer Abstandsflächentiefe kann nur den Nachbarn in seinen Rechten verletzen, dessen Grundstück der betreffenden Außenwand gegenüberliegt (BayVGH, U.v. 29.10.2015 - 2 B 15.1431 - juris Rn 36).
102
Laut des vorliegenden Abstandsflächenplanes kommen die nördlichen Abstandsflächen zum Teil auf dem Grundstück FlNr. … zum Liegen. Dabei fallen die Abstandsflächen der nördlichen Giebelseite der Scheune, der nördlichen Außenwand des Treppenhauses und eines Teiles der nördlichen Außenwand des Haupthauses zum Teil auf einen Seitenarm der …, an den nördlich das Grundstück FlNr. …, das im Eigentum der Beigeladenen steht, grenzt, und ein Teil der Abstandsflächen der nördlichen Giebelseite des Haupthauses auf den Hauptarm der … Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO dürfen sich Abstandsflächen ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken, wenn rechtlich oder tatsächlich gesichert ist, dass sie nicht überbaut werden, oder wenn der Nachbar gegenüber der Bauaufsichtsbehörde schriftlich zustimmt. Geht man davon aus, dass die Nichtüberbaubarkeit einer Wasserfläche aus tatsächlichen Gründen gesichert ist (Hahn in: Busse/Kraus, BayBO Art. 6 Rn. 118), könnten der Bauherr und der Nachbar über eine Anwendung des Rechtsgedankens des Art. 6 Abs. 2 S. 2 BayBO die nicht überbaubare Fläche des Nachbargrundstücks jeweils nur zur Hälfte beanspruchen. Die Möglichkeit einer hälftigen Inanspruchnahme kann aber dann eine Einschränkung erfahren, wenn auf einer Seite der nichtüberbaubaren Grundstücksfläche ein Grundstück des Eigentümers der nicht überbaubaren Fläche angrenzt, sodass die nicht überbaubare Fläche alleine diesem Eigentümer für eine Abstandsflächenverlagerung zur Verfügung steht (BayVGH, B.v. 7.2.2020 - 15 CS 19.2013 - juris Rn. 43 zu einer privaten Verkehrsfläche; Schönfeld in: BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO Art. 6 Rn. 98).
103
Inwieweit diese Einschränkungen vorliegend der Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO entgegenstehen, da einmal die Abstandsfläche für einen Teil der nördlichen Außenwand des Haupthauses vollständig den …Seitenarm überdecken und ein Teil der Abstandsflächen der nördlichen Giebelseite des Haupthauses auf den Hauptarm der …, an den das im Eigentum der Antragstellerin stehende Grundstück FlNr. ... angrenzt, fallen, kann dahinstehen, da zumindest eine die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzende Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO i.V.m. Art. 6 BayBO vorliegt.
104
Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Anforderungen zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Da bei den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO dem Schutzzweck der Norm nicht auf andere Weise entsprochen werden kann, muss es im Einzelfall besondere Gründe geben, die es rechtfertigen, dass die Anforderung zwar berücksichtigt, ihrem Zweck aber nur unvollkommen entsprochen wird (VG München, U.v. 28.3.2022 - M 8 K 20.3855 - juris 50 m.w.N.).
105
Es kann offenbleiben, ob die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 BayBO nach Einfügung von Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO noch eine atypische Situation voraussetzt (Bayer. Landtag Drucksache 17/21474, zu Nr. 5 (Art. 6); vgl. zu den Voraussetzungen einer Atypik auch: BayVGH, B.v. 10.2.2022 - 15 ZB 21.2428 - juris Rn. 36; B.v. 22.1.2020 - 15 ZB 18.2547 - juris, RdNr. 34 m.w.N.), denn eine solche liegt hier zweifelsohne vor.
106
Die Lage der betroffenen Grundstücke und die vorhandene, zum Teil unter Denkmalschutz stehende Bebauung vermittelt eine besondere Atypik, die eine Abweichung von der Einhaltung der Regelabstandsflächen gegenüber Nachbarn rechtfertigt. Eine Atypik kann sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben. In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen. In dicht bebauten innerstädtischen Bereichen ist eine atypische Situation überdies dann anzunehmen, wenn jede bauliche Veränderung entsprechend der vorgegebenen baulichen Situation geeignet ist, eine Abstandsflächenüberschreitung auszulösen (BayVGH, B.v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris Rn. 16 m.w.N.; Dhom/Simon in: Busse/Kraus, BayBO Art. 63 Rn. 46).
107
Vorliegend geht es der Beigeladenen darum, die ohnehin vorhandenen Gebäude, die zum Teil auch Leerstände aufwiesen, einer sinnvollen Nutzung zuzuführen. Zwar zeichnet sich die vorhandene Bebauung nicht durch eine für innerstädtische Bereiche typische dichte Bebauung aus, allerdings handelt es sich bei einem Teil des Ensembles um denkmalgeschützte Objekte. Bei strikter Anwendung der Abstandflächenvorschriften wäre ein Leerstand erhaltenswerter Gebäude vorgegeben und eine weitere bauliche Entwicklung des Baugrundstücks wie in der gesamten näheren Umgebung ebenso ausgeschlossen wie sonstige die Abstandsflächenpflicht auslösende Änderungen an den Bestandsgebäuden. Ein solcher baulicher Stillstand widerspricht dem Ziel des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, eine nach der Siedlungsstruktur angemessene Fortentwicklung der Bebauung eines Bereichs zuzulassen und wird durch das Abstandsflächenrecht auch nicht bezweckt (BayVGH, B.v. 21.12.2016 - 9 CS 16.2278 - juris Rn. 18).
108
Hinzukommt, dass eine Verletzung des Hauptschutzzweckes des Abstandsflächenrechts, nämlich der Sicherstellung einer ausreichenden Belichtung, Belüftung und Besonnung der Räume in Gebäuden, vorliegend aufgrund der atypischen Lage an der … und den großen Abständen ausgeschlossen ist. An den Seitenarm der … grenzt ein im Eigentum der Beigeladenen stehendes Grundstück (FlNr. …) an und die vorhandenen Gebäude der Antragstellerin werden durch das Vorhaben der Beigeladenen, das mit Ausnahme der Außenbereichsplattform und dem Eingangsbereich die Abmessungen der vorhandenen Gebäude im nördlichen Bereich nicht verändert, nicht wesentlich tangiert.
109
Eine Abweichung kann des Weiteren nur zugelassen werden, wenn sie „unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange“ mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Damit verlangt das Gesetz eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn (BayVGH, B.v. 17.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris Rn. 17). Art. 6 BayBO bezweckt im nachbarlichen Verhältnis die Gewährleistung ausreichender Belichtung, Besonnung und Belüftung, nach umstrittener Ansicht auch den sozialen Wohnfrieden (BayVGH, U.v. 31.7.2020 - 15 B 19.832 - juris Rn. 33). Ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, beurteilt sich dabei nicht allein danach, wie stark die Interessen des betroffenen Nachbarn beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung der nachbarlichen Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris Rn. 20, a.A. BayVGH, B.v. 19.7.2016 - 9 CS 15.336 - juris Rn. 21, der bereits überwiegende Belange für ausreichend erachtet).
110
Nach diesen Maßstäben ist die Antragstellerin durch die Abweichung nicht in ihren Rechten verletzt. Vorliegend überwiegen die Interessen der Beigeladenen hinsichtlich einer Abweichungsentscheidung. Das hinter dem Vorhaben stehende Interesse der Beigeladenen, durch den Umbau denkmalgeschützte Bausubstanz zu erhalten und einer sinnvollen Nutzung zuzuführen, indem das Vorhaben der Allgemeinheit, insbesondere den Gemeindebürgern, zu sozialen und kulturellen Zwecken zur Verfügung gestellt wird, ist nicht zu beanstanden. Gleichzeitig werden die rechtlichen Interessen der Antragstellerin - wenn überhaupt - in geringem Umfang tangiert. Die Abstandsflächen, von deren Einhaltung befreit wurde, würden bereits durch das nicht umgebaute Vorhaben ausgelöst, sodass sich für die Antragstellerin keine Veränderungen in tatsächlicher Hinsicht ergeben. Eine spürbare Beeinträchtigung ihres Eigentums im Hinblick auf Belichtung, Belüftung und Besonnung ist mit der Realisierung nicht verbunden, da die betreffenden Abstandsflächen gerade auf den nicht bebaubaren Wasserflächen des Grundstücks FlNr. … liegen. Soweit sich die Antragstellerin mit den vorgetragenen Argumenten wohl auch auf den Aspekt des sozialen Wohnfriedens, insbesondere durch die gerügten Einblicknahmemöglichkeiten von der neu zu errichtenden Plattform, bezieht, so ist - wie bereits festgestellt - mit einer unzumutbaren Einblickmöglichkeit aufgrund der Entfernung nicht zu rechnen. Entsprechend steht dies auch der erteilten Abweichung nicht entgegen. Unter Berücksichtigung der Gesamtsituation ist damit von einem Überwiegen der Bauherreninteressen gegenüber den Interessen der Antragstellerin auszugehen.
111
Die Zulassung einer Abweichung ist eine Ermessensentscheidung. Wesentliche Voraussetzung dafür ist die Vereinbarkeit der Abweichung mit den öffentlichen Belangen (Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand Oktober 2021, Art. 63 Rn. 20). Das durch Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO eingeräumte Ermessen ist ein tatbestandlich intendiertes Ermessen. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Abweichung gegeben, ist sie in der Regel zuzulassen, es sei denn, besondere Umstände stünden dem entgegen (BayVGH, B.v. 6.8.2013 - 15 CS 13.1076 - juris Rn. 25). Gemäß § 114 Satz 1 VwGO prüft das Verwaltungsgericht bei Ermessensentscheidungen nur, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
112
Ermessensfehler sind insoweit nicht erkennbar. Die Beklagte hat sich im Rahmen der Prüfung der Abweichung mit der Situation auch der betroffenen Nachbarn in sachgerechter Weise unter Berücksichtigung des Zwecks des Abstandsflächenrechts auseinandergesetzt. Die nachbarlichen Belange wurden insbesondere angesichts der Lage der Grundstücke zutreffend ermittelt und gewürdigt.
113
e) Die Verletzung sonstiger im Hinblick auf die Antragstellerin drittschützender Normen ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
114
Fehlt es nach alldem an einer Verletzung der Antragstellerin in ihr zukommenden drittschützen-den Rechten, so bleibt die erhobene Drittanfechtungsklage aller Voraussicht nach erfolglos. Mithin war der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den der Beigeladenen erteilten Baugenehmigungsbescheid des Antragsgegners vom 15. Dezember 2021 abzulehnen.
115
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO; da sich die Beigeladene durch den Verzicht auf eine Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
116
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.