Titel:
Abtrennung einer Folgesache
Normenkette:
FamFG § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5
Leitsatz:
In der Zusammenschau des Zeitmoments, des grundsätzlich zügigen Betreibens des seit fast zwei Jahren rechtshängigen Verfahrens durch den Ehemann und der Erwartung der Geburt seines Kindes mit seiner neuen Partnerin muss das Interesse der Ehefrau an dem „Zusammenhalten“ des Verbunds auch in Anbetracht der Bedeutung der Folgesache Güterrecht zurückstehen. (Rn. 11) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Scheidung, Abtrennung, Folgesache, Güterrecht, unzumutbare Härte
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 28.10.2022 – 12 UF 712/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34743
Tenor
1. Die Folgesache Güterrecht wird aus dem Verbund abgetrennt und gesondert entschieden.
2. Der Verfahrenswert für den Scheidungsverbund nach Abtrennung der Folgesache Güterrecht wird auf 70.980,00 € festgesetzt.
3. Der Verfahrenswert für die abgetrennte Folgesache Güterrecht wird auf 456.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Abtrennung der Folgesache Güterrecht auf Antrag der Antragstellerseite beruht auf § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG. Durch die Entscheidungsreife der Folgesache Güterrecht würde sich der Scheidungsausspruch auch unter der Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache so außergewöhnlich verzögern, dass dies eine unzumutbare Härte für den Antragsteller / Ehemann darstellen würde.
2
Die neue, in … [muslimisches Land] mit ihm zusammenlebende Partnerin des Ehemanns erwartet im … ein Kind; dies wurde vom Ehemann ausreichend glaubhaft gemacht (Bl. 84 ff).
3
Die Folgesache Güterrecht wird sich noch in erheblichem Umfang weiter verzögern. Es sind nach akt. Stand die 2 Immobilien des Ehemanns in … und die Immobilie der Antragsgegnerin / Ehefrau in … sachverständig zu begutachten. Zudem ist zumindest nach dem Vortrag der Ehefrau ein Gutachten zum Wert der durch den Ehemann in … aufgebauten Firma zu beauftragen; die Ehefrau behauptet hier einen erheblichen Firmenwert (Anteil des Ehemanns: 1/2, Wert 150.000 €), der Ehemann einen Wert von 0 €. Mit einer Verfahrensdauer der Folgesache Güterrecht von mind. 1, eher 2 Jahren wird gerechnet.
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Die Beteiligten sind massiv zerstritten und liegen mit ihren Vorstellungen extrem weit auseinander (Antrag Ehemann: Zugewinnausgleich zu seinen Gunsten in Höhe von 171 T €; Antrag Ehefrau: Zugewinnausgleich zu ihren Gunsten in Höhe von 285 T €).
5
Das Scheidungsverfahren dauert nunmehr seit 7/2020 und damit fast 2 Jahre. Die Trennung trat übereinstimmend im Juli 2019 und damit vor fast 3 Jahren ein. Es kann keiner Seite eine absichtliche Verzögerung des Verfahrens vorgeworfen werden.
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Die von der Ehefrau vorgetragenen Gründe gegen die Abtrennung sind nicht tragfähig.
7
Natürlich haben sich die allgemeinen Moralvorstellungen in Deutschland Gott sei Dank davon gelöst, dass ein Kind unbedingt in eine Ehe hineingeboren werden muss, weil ansonsten eine wie auch immer geartete „Schande“ für Mutter und Kind drohte bzw. sogar rechtliche Nachteile zu fürchten wären.
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Allerdings läuft im Juli die Frist von 3 Jahren seit der Trennung ab. Gemäß § 1385 Nr. 1 BGB könnte hier jeder Ehegatte unabhängig von einem Scheidungsverfahren den vorzeitigen Ausgleich des Zugewinns beantragen. Umgekehrt ist eine unzumutbare Härte des Ehemanns darin zu sehen, wenn zum jetzigen Zeitpunkt - fast 3 Jahre nach der Trennung und zudem fast 2 Jahre nach der zügigen Einleitung des Verfahrens durch den Ehemann - keine Scheidung ausgesprochen würde, und weitere Umstände hinzutreten - wie hier die Geburt des Kindes.
9
Es spielt für das Gericht nur eine nachrangige Rolle, dass die Mutter mit dem Kind in … mit den dortigen Moralvorstellungen lebt.
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Auch in Deutschland ist die eheliche Geburt eines Kindes für viele Väter wie Mütter immer noch eine wichtige Angelegenheit. Umgekehrt zur Argumentation der Ehefrau (Bl. 96/100) werden hier nach wie vor 2/3 der Kinder ehelich geboren. Viele Paare heiraten immer noch gerade im Hinblick auf die bevorstehende Geburt eines Kindes oder kurz danach; sie wollen sich immer noch bewusst rechtlich aneinander binden und ihren Einstand füreinander und für das Kind klarstellen (gerade auch von Seiten der Männer gegenüber ihren Frauen und ihren Kindern). Vorher sind sie dank des in Deutschland mittlerweile nicht weiter thematisierten Zusammenlebens nichtverheirateter Paare gleich welchen Geschlechts oft nicht darauf gekommen, jetzt dringend heiraten „zu wollen“ (sie „müssen“ ja ohnehin nicht).
11
In der Zusammenschau des Zeitmoments, des grundsätzlich zügigen Betreibens des Verfahrens durch den Ehemann und der Erwartung der Geburt seines Kindes mit seiner neuen Partnerin muss das Interesse der Ehefrau an dem „Zusammenhalten“ des Verbunds auch in anbetracht der Bedeutung der Folgesache Güterrecht zurückstehen.
12
Eine andere Folgesache ist nicht mehr offen. Die Stufenanträge in Folgesache Ehegattenunterhalt wurden beiderseits wirksam zurückgenommen. Es geht in der Folgesache Güterrecht zwar um einen erheblichen Vermögensausgleich, im Alltag ist aber niemand direkt nach der Scheidung auf dieses Geld angewiesen.
13
Die Sorge der Ehefrau, dass der Ehemann sich ihren Miteigentumsanteil an der gemeinsamen Immobilie in … aufgrund ihrer schwachen Stellung im … Recht unter den Nagel reißen könnte, ist nicht geeignet, die Scheidung weiter zu verzögern. Wenn, dann müsste die Ehefrau direkt die Scheidung wegen nachwirkender ehelicher Solidarität nur Zug-um-Zug gegen eine wie auch immer geartete Sicherung ihrer Rechte an dem Haus fordern und „nicht nur die Nicht-Abtrennung“ der Folgesache Güterrecht. Die Folgesache Güterrecht hat mit dieser Sorge der Ehefrau keinen konkreten Zusammenhang. Der Scheidungsverbund ist kein Vehikel für derartige Interessen der Ehefrau. Die Sorge der Ehefrau wurde auch nicht substantiiert belegt, sondern nur vorgetragen. Ein konkreter Anhaltspunkt dafür, dass der Ehemann sich den Anteil der Ehefrau am Haus aneignen kann, besteht nicht.
14
Gerade weil es auch um erhebliche Vermögenswerte geht und das Güterrechtsverfahren deshalb noch mind. 1 Jahr (eher 2) dauern wird, würde ein weiteres Zuwarten auf die Scheidung für den Ehemann in anbetracht der Gesamtumstände auch aus deutscher Sicht eben eine unzumutbare Härte darstellen.
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Die Folgesache Güterrecht war daher abzutrennen und die Scheidung auszusprechen.
16
Einzelwerte der Hauptsache:
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Ehesache
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61.900,00 €
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Versorgungsausgleich
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4.080,00 €
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Ehegattenunterhalt
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5.000,00 €
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Güterrecht (abgetrennt)
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456.000,00 €
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17
Der Verfahrenswert einer Ehesache, einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit, ist gemäß § 43 Abs. 1 und 2 FamGKG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung und des Umfangs der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach Ermessen zu bestimmen. Für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden ersten Antragstellung in dem jeweiligen Rechtszug entscheidend (§ 34 Satz 1 FamGKG). In Ehesachen ist für die Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten einzusetzen (§ 43 Abs. 2 FamGKG). Aufgrund der Vermögensverhältnisse der Eheleute bestimmt sich der Verfahrenswert der Ehesache unter Berücksichtigung des daraus anzurechnenden Betrages.
Verfahrenswert aus dem Einkommen
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Monatliches Nettoeinkommen Antragstellerseite
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3.700,00 €
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Monatliches Nettoeinkommen Antragsgegnerseite
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3.100,00 €
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Bereinigtes gemeinsames monatliches Nettoeinkommen
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6.800,00 €
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Nettoeinkommen aus 3 Monaten
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20.400,00 €
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Verfahrenswert aus dem Vermögen
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Bruttovermögen beider Ehegatten
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950.000,00 €
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Freibetrag pro Ehegatte
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60.000,00 €
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Bereinigtes gemeinsames Vermögen
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830.000,00 €
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Daraus 5%
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41.500,00 €
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18
Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Verfahren wegen Versorgungsausgleichs beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 FamGKG. In Versorgungsausgleichssachen beträgt der Verfahrenswert für jedes Anrecht 10 Prozent des in drei Monaten erzielten Nettoeinkommens der Ehegatten.
19
Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Verfahren wegen Ehegattenunterhalt beruht auf § 51 FamGKG.
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Schätzung Auskunftsstufe / max. 25% des Leistungsinteresses: 5.000,00 € (pauschal; vgl. § 42 FamGKG)
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20
Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das abgetrennte Verfahren wegen Güterrecht beruht auf §§ 35, 38, 42, 52 FamGKG (beiderseitige Anträge, zusammengerechnet: 456.000 €).
21
Die Scheidungssache und die Folgesachen gelten als ein Verfahren, wobei sich der Verfahrenswert der Scheidungssache um die Verfahrenswerte der Kindschaftsfolgesachen erhöht und die Verfahrenswerte übriger Folgesachen hinzugerechnet werden (§ 44 FamGKG).