Inhalt

Vergabekammer Ansbach, Beschluss v. 29.03.2022 – RMF-SG21-3194-7-2
Titel:

Vergabeverfahren: Ausschluss wegen unzulässiger Änderung der Vergabeunterlagen

Normenketten:
GWB § 160 Abs. 2
VgV § 57 Abs. 1 Nr. 4
BGB § 133, § 157
Leitsätze:
1. Antragsbefugt ist nach § 160 Abs. 2 GWB jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, eine Verletzung in eigenen, bieterschützenden Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend macht und einen dadurch entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes, der durch das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren sichergestellt werden soll, kann die Antragsbefugnis allerdings nur dem Antragsteller abgesprochen werden, bei dem eine Rechtsbeeinträchtigung offensichtlich nicht gegeben ist. Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ist insoweit die schlüssige Behauptung der Rechtsverletzung erforderlich, aber regelmäßig auch ausreichend. (Rn. 58)
2. Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht. Ob eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont festzustellen. Maßgeblich ist hinsichtlich der Vergabeunterlagen der Empfängerhorizont der potentiellen Bieter. (Rn. 67)
3. Ausschlussgründe nach § 57 Abs. 1 VgV sind zwingend. Es ist daher unschädlich, wenn die VSt in ihrem Vergabevermerk das Vorhandensein von Ausschlussgründen hinsichtlich eines Angebots verneint hat. (Rn. 86)
1. Auch wenn die Vergabestelle im Rahmen der Beantwortung einer Bieterfrage bestimmte „Muss“-Anforderungen für B-Kriterien aufstellt, führt dies allein nicht zu einer „Hochstufung“ im Sinne eines A-Kriteriums. Entscheidet sich ein Bieter dazu, ein solches B-Kriterium nicht zu erfüllen, hat dies daher lediglich Auswirkungen auf die Zahl der erreichten Leistungspunkte. (Rn. 76) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unklarheiten in den Vergabeunterlagen gehen stets nur zu Lasten der Vergabestelle, nicht jedoch zu Lasten anderer Bieter. (Rn. 77) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausschluss, Vergabeunterlagen, Änderung, Antragsbefugnis, objektiver Empfängerhorizont, Auslegung, Mindestanforderung, Unklarheiten, Nutzungssperre, Kriterien
Rechtsmittelinstanzen:
BayObLG, Beschluss vom 03.06.2022 – Verg 7/22
BayObLG, Beschluss vom 05.08.2022 – Verg 7/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34722

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Vergabestelle und der Beigeladenen.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Vergabestelle und die Beigeladene war notwendig.
4. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt ...,-- €.
Auslagen sind nicht angefallen.

Tatbestand

Gründe

Sachverhalt:
1
1. Die VSt schrieb europaweit die Lizenzierung und Implementierung einer Software zur Therapieplanung in den … des Auftraggebers im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus. Die VSt legte unter Ziffer VIII der Vergabebedingungen die Zuschlagskriterien wie folgt fest:
Insgesamt können 100 Punkte erreicht werden, wobei bis zu 30 Punkte auf den Preis und 70 Punkte auf die angebotene Leistung entfallen. Die 70 Leistungspunkte unterteilen sich dabei in max. 35 Leistungspunkte für den Anforderungskatalog der Leistungsbeschreibung sowie max. 35 Leistungspunkte für das Umsetzungskonzept.
...
Von 70 maximal erreichbaren Leistungspunkten für die Qualität/Leistung können max. 35 Leistungspunkte für die Erfüllung der B-Kriterien gemäß Leistungsbeschreibung erreicht werden.
Hinweis des Auftraggebers:
Die im Lastenheft/Anforderungskatalog aufgeführten A-Kriterien sind zwingend von der angebotenen Leistung zu erfüllen. Die Nichterfüllung auch nur eines A-Kriteriums führt zum Ausschluss des Angebots vom weiteren Verfahren. Eine punktemäßige Bewertung der A-Kriterien erfolgt nicht.
Bewertung der B-Kriterien:
Sämtliche B-Kriterien des Lastenhefts/Anforderungskatalogs fließen in die Berechnung der Leistungspunkte ein. Für jedes B-Kriterium werden Bewertungspunkte vergeben. Die Bewertung erfolgt für die, durch den Bieter, mit eingetragenem „X“ in der Spalte „erfüllt/nicht erfüllt“ bestätigten Anforderungen in Verbindung mit der jeweilig angegebenen Gewichtung. Alle nicht vom Bieter beantworteten bzw. bestätigten Anforderungen erhalten keine Punkte
2
2. Unter 8.2.4 der Leistungsbeschreibung für die finalen Angebote beschrieb die VSt die Anwendungsmöglichkeiten-ZAnzeigemöglichkeit auf mobilen Geräten und kennzeichnete die Funktion als B-Kriterium (siehe auch nachfolgender Screenshot):
 
3
Die Bieterfrage Nr. 1, die sich auf die Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung bezog, beantwortete die VSt wie folgt (siehe nachfolgenden Screenshot):
 
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3. Im Vertrag über die Überlassung von Standardsoftware, der Teil der Vergabeunterlagen für das finale Angebot war, machte die VSt unter Ziffer 8 (Kopier- und Nutzungssperre) die Vorgabe, dass die Leistungen des Auftragnehmers keine Kopier- oder Nutzungssperren aufweisen dürfen (siehe nachfolgenden Screenshot).
 
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4. Die ergänzenden Vertragsbedingungen für die Überlassung von Standartsoftware (EVB-IT Überlassung-AGB (Typ A)), die Teil der Vergabeunterlagen für das finale Angebot waren, sehen unter Ziffer 3 (Nutzungsrechte) für den Auftraggeber das Recht zur Übertragung des Nutzungsrechts auf einen Dritten vor.
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5. ASt und BGI gaben als einzige Bieter ein finales Angebot ab.
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6. Die ASt änderte in ihrem Angebot im Vertrag über die Überlassung von Standardsoftware unter Ziffer 8 den vorgegebenen Platzhalter und machte folgende Angaben:
 
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Zudem legte die ASt in ihrem Begleitschreiben in Ziffer 5 (Konditionen) unter Nutzungsrechte / Lizenzen fest, dass …-Lizenzen nicht übertragbar sind.
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7. Mit Bieterinformationsschreiben vom 05.01.2022 teilte die VSt der ASt mit, dass beabsichtigt sei, ab dem 17.01.2022 den Zuschlag auf das Angebot der BGI zu erteilen. Die ASt erhalte nicht den Zuschlag, da
- der Wertungspreis des zu bezuschlagenden Angebots niedriger sei,
- die ASt nach eigener Angabe nicht alle B Kriterien der Leistungsbeschreibung erfülle (Leistungskriterium Qualität/Leistung - Anforderungskatalog)
- die ASt im Unterkriterium 1 zum Leistungskriterium Umsetzungskonzept keine Angaben zur Verfügbarkeit gemacht habe, die Bedienung nur kursorisch ohne einzelne Prozesse beschrieben habe und zu Schnittstellen zu anderen anzubindenden Systemen als dem … keine Angaben gemacht habe. Daher habe die ASt hier nur x von 5 erreichbaren Punkten erzielt.
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Vorsorglich wies die VSt darauf hin, dass das Angebot der ASt auch bei voller Punktzahl im Leistungskriterium Umsetzungskonzept nicht das wirtschaftlichste Angebot gewesen wäre.
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8. Mit Schriftsatz vom 11.01.2022 rügte die ASt die Entscheidung als vergaberechtswidrig. Es sei nicht richtig, dass die ASt im Unterkriterium 1 zum Leistungskriterium Umsetzungskonzept keine Angaben zur Verfügbarkeit gemacht habe. Die ASt habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verfügbarkeit bei ca. 99,94% liege. Es sei auch unzutreffend, dass keine Angaben zu anderen Schnittstellen als dem … gemacht worden seien. Die ASt habe ausdrücklich auf ergänzende Systeme über einheitliche …, … und …Schnittstellen des … Standards hingewiesen. Die Begründung, dass die Bedienung nur kursorisch ohne einzelne Prozesse beschrieben worden sei, sei ebenfalls kein Manko. Es gebe für das System ein ausführliches Handbuch und im Übrigen würden sich die einzelnen Prozesse aus dem Leistungskatalog ergeben. Bei genauer Betrachtung sei daher am Umsetzungskonzept der ASt nichts zu bemängeln und die ASt hätte die volle Punktzahl erreichen müssen.
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Auch hinsichtlich der Leistungsbeschreibung bezüglich der B-Kriterien hätte die ASt die volle Punktzahl erhalten müssen. Es gebe überhaupt nur ein B-Kriterium, welches von der ASt nicht erfüllt werde. Dies sei das Kriterium 8.5.5. Soweit als B-Kriterium unter 8.5.9 noch Anpassungen genannt würden, seien diese nicht notwendig. Die ASt habe dies entsprechend kommentiert. Nachdem es zahlreiche Kriterien gebe und das System der ASt als modernes Softwaresystem alle übrigen Kriterien erfülle, hätte angesichts der Erfüllung aller übrigen Kriterien die Höchstpunktzahl erreicht werden müssen.
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Im Übrigen bezweifle die ASt, dass die BGl überhaupt hinreichende B-Kriterien oder auch alle A-Kriterien vollumfänglich erfüllen könne. Der ASt sei bekannt, dass die Software der Beigeladenen aus dem Jahr 2005 stamme. Diese Software könne bei genauerer Betrachtung die Kriterien der Leistungsbeschreibung nicht vollständig erfüllen bzw. die Angaben der BGl in ihrem Angebot müssten falsch sein. Die VSt werde aufgefordert, der ASt die Angaben der BGl insoweit mitzuteilen. Die seien auch keine betrieblichen Geheimnisse. Im Übrigen werde das Schreiben der VSt vom 05.01.2022 als intransparent gerügt. Die VSt müsse die genaue Wertung im Vergleich zu den Konkurrenten mitteilen, damit diese nachvollziehbar geprüft werden könne.
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9. Mit Schriftsatz vom 12.01.2022 erwiderten die Bevollmächtigten der VSt, dass das Angebot der ASt selbst bei Erzielung der vollen erreichbaren Punktzahl bei allen Leistungskriterien nicht das wirtschaftlichste Angebot gewesen wäre, so dass es auf das Thema Leistungswertung im Ergebnis nicht ankomme. Dennoch ergänzt und vertieft die VSt in ihrer Erwiderung, weshalb bei der ASt Abzüge bei der Leistungsbewertung zu Recht erfolgt seien.
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Die Rüge der ASt in Bezug auf die angeblich veraltete Software der BGl sei unsubstantiiert. Die ASt habe weder ein A-Kriterium noch ein B-Kriterium in Bezug auf die Software der BGl benannt, das nicht erfüllt sei. Zudem sei der Auftraggeber grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, weitergehend zu prüfen, ob ein Bieter seine mit dem Angebot verbindlich eingegangene Verpflichtung auch einhalten werde, da er sich grundsätzlich auf das Leistungsversprechen des Bieters verlassen dürfe. Die VSt sei auch nicht verpflichtet, der ASt mitzuteilen, aus welchem Jahr die Software der BGl stamme. Es bestehe auch keine Verpflichtung der VSt, das Leistungsangebot der BGl gegenüber der ASt offenzulegen.
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Auch habe die VSt die gesetzlichen Anforderungen in Bezug auf ein ordnungsgemäßes Bieterinformationsschreiben erfüllt.
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10. Mit Schriftsatz vom 13.01.2022 stellten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt einen Nachprüfungsantrag mit folgenden Anträgen:
1. gegen die Antragsgegnerin ein Vergabenachprüfungsverfahren nach § 160 GWB einzuleiten;
2. der Antragstellerin kurzfristig Einsichtnahme in die Vergabeakten zu gestatten;
3. der Antragsgegnerin zu untersagen, das vorbezeichnete Vergabeverfahren durch Zuschlagerteilung abzuschließen;
4. die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Zuschlag der Antragstellerin zu erteilen;
5. festzustellen, dass die Antragsgegnerin die nach § 16 d Abs. 1 VOB/A vorgesehene Preisprüfung vorzunehmen hat;
6. der Antragsgegnerin aufzugeben, die Angebotswertung unter Ausschluss des Angebots der … zu wiederholen;
7. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen und
8. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin notwendig war.
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Zur Begründung wiederholt und vertieft die ASt die in der Rüge vorgetragen Argumente.
19
11. Mit Schriftsatz vom 20.01.2022 beantragen die Verfahrensbevollmächtigten der VSt:
I. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.
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Die ASt habe neben den geforderten Preisangaben im Preisblatt zusätzlich ein gesondertes Angebotsschreiben übersandt, in dem eine Vielzahl von Einzelpreisen sowie Hinweise zu nicht erfassten Leistungen angegeben seien. Das Verhältnis zwischen dem gesonderten Angebotsschreiben und dem Preisblatt sowie den Preisangaben darin sei nicht geklärt. In dem zusätzlichen Angebotsschreiben finden sich auf Seite 9 folgende Ausführungen:
„Allgemeine Geschäftsbedingungen des Auftraggebers finden keine Anwendung. Dies gilt auch soweit die AGB in den Aufträgen enthalten sind oder auf diese verwiesen wird. Es gelten die Bestimmungen des Hauptvertrages der Ausschreibung.“
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Das Angebot der ASt sei deshalb bereits nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen, da es wegen unzulässiger allgemeiner Geschäftsbedingungen mit einer eigenen AGB-Abwehrklausel versehen sei. Zudem seien die Angebotspreise dadurch unklar und außerdem würde das Angebot der ASt vom vorgegebenen Lizenzmodell abweichen.
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12. Am 21.01.2022 wurde die Fa. … zum Verfahren beigeladen.
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13. Am 27.01.2022 wurde der ASt unter Beachtung des Geheimschutzes eingeschränkt Akteneinsicht erteilt.
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14. Mit Schriftsatz vom 28.01.2022 betonen die Verfahrensbevollmächtigten der ASt, dass ein Ausschluss des Angebotes der ASt unzulässig sei. Im Vergabevermerk habe die VSt festgestellt, dass Anhaltspunkte für zwingende oder fakultative Ausschlussgründe nicht ersichtlich seien. Die ASt habe in ihrem gesonderten Angebotsschreiben lediglich klargestellt, dass die Bedingungen des Hauptauftrages der Ausschreibung gelten sollen. Die darin enthaltene Formulierung zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen könne auf den ersten Blick widersprüchlich klingen. Im Rahmen der Aufklärung hätte aber klargestellt werden können, dass allein die Bedingungen des Hauptauftrags gelten sollen. Auch sei im Vergabevermerk festgestellt worden, dass Widersprüche im Angebot nicht ersichtlich seien. Auch ein Ausschluss des Angebotes der ASt wegen abweichender Preisangaben komme nicht in Betracht. Die Preisangaben im gesonderten Angebotsschreiben würden lediglich die Preisangaben präzisieren. Auch ein Ausschluss des Angebotes der ASt wegen eines abweichenden Lizenzmodelles sei unzulässig. Die VSt habe hier die Vertragsunterlage für die Angebotsabgabe des finalen Angebotes nachträglich geändert. In den Vergabeunterlagen während der Verhandlungsphase sei hier kein Platzhalter angekreuzt gewesen. Im Nachhinein sei hier Ziffer 8 für das finale Angebot angepasst worden. Die ASt habe dies als mögliche Variante verstehen dürfen und sei davon ausgegangen, dass hier freie Auswahl bestehe, weil keine gesonderte Kommunikation zu dieser Veränderung stattgefunden habe.
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Dagegen sei das Angebot der BGl zwingend auszuschließen. Auf die Bieterfrage „Wie viele mobile Endgeräte sollen angeboten werden?“ habe die VSt geantwortet: „Nach derzeitigem Stand soll für die Angebote mit 10 mobilen Endgeräten kalkuliert werden. Die Anzahl kann sich zu einem späteren Zeitpunkt verändern“.
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Eine Veränderung sei nicht mitgeteilt worden, sodass die ASt sicher davon ausgehen musste, dass mit 10 mobilen Endgeräten für das Klinikpersonal kalkuliert werden müsse. Die VSt habe dieses Kriterium folglich zum zwingenden A-Kriterium gemacht. Es könne nicht einerseits ein klarer Hinweis gegeben werden, dass mit einem B-Kriterium kalkuliert werden müsse, andererseits der Zuschlag gegebenenfalls auf eine Software erteilt werden, die mobile Lösungen für Mitarbeiter nicht vorhalte. Hinsichtlich der mobilen Endgeräte gehe es um die interne Bereitstellung von Plänen, Leistungsdaten für Mitarbeiter der (siehe Punkt 8.2.4 der Leistungsbeschreibung). Die Bereitstellung einer mobilen Lösung sei preisintensiv. Es werde daher davon ausgegangen, dass die BGl den Punkt 8.2.4 der Leistungsbeschreibung nicht erfülle. Jedenfalls sei aus Presseveröffentlichungen ersichtlich, dass die Software der BGl diese Anforderung nicht erfüllen könne. Aufgrund der oben genannten Bieterfrage sei das Kriterium zum A-Kriterium hochgestuft worden.
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Zudem müsse die BGl ausgeschlossen werden, weil sie die A-Kriterien 8.3.1 (Stabilität „Das Programm muss ausgesprochen performant und störungsfrei sein) und 8.4.2 (Rekonstruktion = max. Datenverlust 1 Stunde) nicht erfülle. Die Datenhaltung der BGl basiere auf einer Eigenentwicklung der … und sei kein kommerzielles Produkt mit diesen Sicherheitsanforderungen. Es reiche nicht aus, dass sich die VSt auf das Leistungsversprechen des Bieters verlasse. Die VSt müsse zwingend prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Angebotes der BGl vorliegen.
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15. Mit Schriftsatz vom 31.01.2022 betonen die Verfahrensbevollmächtigten der VSt, dass objektiv beurteilt werden müsse, ob ein Bieter auszuschließen sei. Wie die ASt selbst feststelle, sei in den Verhandlungen ein weitgehend unausgefüllter EVB-IT-Vertrag enthalten gewesen. Nach Abschluss der Verhandlungen habe die VSt, um vergleichbare Angebote zu erzielen, den EVB-IT-Vertrag vorausgefüllt. Die VSt habe aber bereits vorher in den „Ergänzenden Vertragsbedingungen für die Überlassung von Standardsoftware“ deutlich gemacht, dass sie ein zeitlich unbeschränktes Nutzungsrecht an der Lizenz fordert. Die Anpassung in Ziffer 8 des EVB-IT-Vertrages habe daher nur der Klarstellung gedient. Die ASt habe die Vergabeunterlagen, die die VSt zur finalen Angebotsabgabe bereitgestellt habe, eigenständig abgeändert und dadurch den zwingenden Ausschluss ihres Angebotes nach § 57 Abs. 1 Nr.4 selbst herbeigeführt.
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Die ASt liege falsch, wenn sie glaube, die BGl sei zwingend auszuschließen, weil durch die Bieterfrage Nr. 1 das B-Kriterium Nr. 8.2.4 der Leistungsbeschreibung zu einem A-Kriterium geworden sei und die BGl dies nicht erfüllen würde. Wenn ein Bieter zum Mengengerüst des B-Kriteriums Nr. 8.2.4 eine Frage stelle, führe die Antwort der VSt nicht dazu, dass das BKriterium zum A-Kriterium werde. Der Bieter könne nach der Beantwortung der Frage selbst entscheiden, ob er die dadurch veranlassten Kosten aufbringen möchte, um die Vorteile bei der Leistungsbewertung zu erlangen.
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Der Vortrag der ASt, dass das Angebot der BGl die A-Kriterien 8.3.1 und 8.4.2 nicht erfülle, sei weiterhin unsubstantiiert. Viele Ausgründungen aus dem … Bereich würden belegen, dass an … gute Produkte entwickelt werden. Zudem sei die BGl ein kommerziell handelndes Unternehmen und die ASt bleibe jede Erklärung schuldig, weshalb das Produkt der BGl nicht alle A-Kriterien erfüllen würde.
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16. Mit Schriftsatz vom 04.02.2022 betonen die Verfahrensbevollmächtigten der BGl, dass den unwahren Behauptungen der ASt entschieden widersprochen werden müsse. Das Programm der BGl sei performant und laufe störungsfrei und erfülle die A-Kriterien. Das Programm sei eine Technologie und laufe entgegen den Behauptungen der ASt auf allen mobilen Geräten.
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Die Datenhaltung basiere nicht auf einer Entwicklung der, sondern es handle sich um eine Entwicklung der BGl als eigenes Produkt mit Sicherheitsanforderungen.
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17. Mit Schriftsatz vom 07.02.2022 vertiefen die Verfahrensbevollmächtigten der ASt ihren Sachvortrag, dass aufgrund der der Antwort zu Bieterfrage Nr. 1 nur Angebote hätten abgegeben werden dürfen, die eine Software beinhalten, mit der 10 mobile Endgeräte bedient werden können. Durch die Beantwortung der Bieterfrage Nr. 1 habe die VSt das fakultative B-Kriterium zum A-Kriterium gemacht.
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Es werde nicht bestritten, dass das Programm der BGl bei Patienten auf deren Handy oder Tablet laufe. Bei 8.2.4 der Leistungsbeschreibung sei aber relevant, dass die Leistungserfassung durch das …personal mobil erfolgen könne.
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18. Mit Schriftsatz vom 11.02.2022 betonen die Verfahrensbevollmächtigten der VSt, dass in den Vergabeunterlagen für die abschließende Angebotsabgabe Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung als B-Kriterium gekennzeichnet gewesen sei. Zudem sei bei diesem Kriterium lediglich die Anwendungs- / Anzeigemöglichkeit gefordert. Die Interpretation, dass eine Verordnung und Leistungserfassung durch das …personal möglich sein müsse, sei von der Formulierung in der Leistungsbeschreibung nicht gedeckt.
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19. Mit Schriftsatz vom 17.02.2022 bestritten die Verfahrensbevollmächtigten der BGl, dass das B-Kriterium in Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung nach Beantwortung der Bieterfrage durch die VSt zum zwingenden Kriterium gemacht worden sei. Den Ausführungen der VSt wurde zugestimmt.
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20. Mit Schriftsatz vom 21.02.2022 betonen die Verfahrensbevollmächtigten der ASt, dass die Bieterfrage Nr. 1 und die dazu erfolgte Antwort nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont ausgelegt werden müsse. Die Antwort zu Bieterfrage 1 ergäbe keinen Sinn, wenn hier die mobilen Geräte der Patienten gemeint seien, denn eine Anwendung für Geräte von 10 Patienten wäre bei einer … unsinnig. Von daher sei klar, dass sich die Leistungserfassung auf mobile Geräte des …personals beziehe. Wäre die Antwort auf die mobilen Geräte der Patienten bezogen gewesen, hätte eine unbegrenzte Anzahl von Anzeigemöglichkeiten mitgeteilt werden müssen.
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21. Mit Schriftsatz vom 02.03.2022 legen die Verfahrensbevollmächtigten der VSt dar, dass sich aus der Aktenlage nicht herleiten lasse, dass die BGl das Kriterium Nr. 8.2.4 nicht erfüllen würde. Dies könne auch nicht aus einem Schweigen der BGl abgeleitet werden, da die BGl nicht verpflichtet sei, gegenüber einem Konkurrenten ihr Angebot offenzulegen.
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Die mobile Anwendung sollte zunächst als überschaubares Pilotprojekt gestartet werden. Darauf beziehe sich die Antwort zur Bieterfrage 1. Die … habe auch deutlich mehr Ärzte und Therapeuten.
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22. Mit Schriftsatz vom 09.03.2022 betonen die Verfahrensbevollmächtigten der ASt, dass sie in ihrer Präsentation am 16.11.2021 erläutert habe, dass das Schulungskonzept für Ärzte und Therapeuten und nicht für Patienten notwendig sei. In der Präsentation sei auch von der ASt darauf hingewiesen worden, dass die Anzahl der Lizenzen für mobile Nutzer die Kosten in die Höhe treiben würde. Ursprünglich habe die ASt Lizenzen für … mobile Nutzer angeboten. Aufgrund der Bieterfrage, die die ASt stellen sollte, sei die Anzahl gemäß der Antwort zur Bieterfrage 1 auf 10 reduziert worden. Keinesfalls habe die VSt erläutert, dass man auch völlig auf eine mobile Nutzung verzichten könne. Daher sei Ziffer 8.2.4 zum zwingenden AKriterium geworden.
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23. Mit Schriftsatz vom 15.03.2022 teilen die Verfahrensbevollmächtigten der BGl mit, dass aus der Antwort zur Bieterfrage 1 nicht auf eine zusätzliche Funktionalität geschlossen werden könne. Die zusätzliche Funktionalität ergebe sich auch nicht aus den 10 mobilen Endgeräten, die als Antwort mitgeteilt worden seien. Es sei nicht möglich, dass ein Bieter die Vergabeunterlagen und die Vergabekriterien ändern könne. Hätte die VSt so ausgeschrieben, wie die die ASt dies behaupte, hätte die BGl diese Leistungen auch entsprechend angeboten.
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24. Mit Schriftsatz vom 16.03.2022 stellen die Verfahrensbevollmächtigten der VSt klar, dass keine Verpflichtung bestanden habe, die Bieter aufzuklären, dass ein Zuschlag auch dann möglich sei, wenn ein B-Kriterium nicht erfüllt werde. Da die VSt lediglich 10 mobile Nutzer gefordert habe, sei erkennbar, dass es sich um kein zentrales Element der Ausschreibung gehandelt habe. Es komme auch nicht darauf an, wie die ASt ihre Software ausrichten möchte, sondern was in den Vergabeunterlagen gefordert sei.
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25. Mit Schriftsatz vom 23.03.2022 wiederholten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt, dass das Kriterium 8.2.4 kein A-, sondern ein B-Kriterium sei. Das Kriterium 8.2.4 sei in allen Unterlagen eindeutig als B-Kriterium gekennzeichnet. Die Beantwortung der Bieterfrage erhalte keine abweichende Aussage dazu. Die Präzisierung des Inhalts einer Anforderung ändere nichts an der Einordnung des Kriteriums als A- oder B-Kriterium.
44
Es liege ein abweichendes Lizenzmodell der ASt vor. Die Ankreuzung im Angebot sei eindeutig. Maßgeblich seien die Aussagen im Angebot, nicht in weiteren Dokumenten oder Einzelheiten, die nicht Teil des Angebots gewesen seien.
45
26. Mit Schriftsatz vom 29.03.2022 wiederholten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt, dass die BGl auszuschließen sei. Die Antwort auf die Bieterfrage zum Kriterium 8.2.4 sei eindeutig gewesen. Es habe mit 10 mobilen Endgeräten kalkuliert werden sollen. Alle Angebote, die auf mobilen Endgeräten für das …personal nicht funktionieren, seien auszuschließen. Die Antwort der VSt habe Inhalte der Vergabeunterlagen geändert.
46
Es liege kein abweichendes Lizenzmodell der ASt vor. Im Ursprungsdokument sei keine Variante im EVBIT Vertrag zu Ziffer 8 angekreuzt gewesen. Dies sei für die ASt verbindlich gewesen. Im Übrigen sei das Kreuz der ASt so zu verstehen, dass es nicht um eine Nutzungssperre für den Auftraggeber, sondern für Dritte beziehe. Die ASt habe extra daraufhin gewiesen, dass Einzelheiten bei Bedarf angefordert werden könnten. Die VSt habe dies nicht getan und ausdrücklich festgestellt, dass Anhaltspunkte für Ausschlussgründe nicht ersichtlich seien.
47
27. Die Vergabekammer hat wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten die Entscheidungsfrist gem. § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB am 08.02.2022 und 09.03.2022 bis einschließlich 29.04.2022 verlängert.
48
28. In der mündlichen Verhandlung vom 29.03.2022 hatten die Beteiligten Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern. Die BGl hat nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen.
49
Die ASt stellt ihre Anträge 6 bis 8 aus dem Nachprüfungsantrag vom 13.01.2022. Hilfsweise wird beantragt, das Vergabeverfahren aufzuheben.
50
Die VSt bleibt bei ihren Anträgen aus dem Schriftsatz vom 20.01.2022.
51
29. Im Übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Verfahrensakte der Vergabekammer, das Protokoll der mündlichen Verhandlung und die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, Bezug genommen.
Begründung:
52
Der nur teilweise zulässige Nachprüfungsantrag ist unbegründet.
53
1. Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig.
54
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfungsverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 S. 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
55
b) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 GWB.
56
c) Bei den ausgeschriebenen Lieferleistungen handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 2 GWB.
57
d) Der Auftragswert übersteigt den Schwellenwert nach Art. 4 der RL 2014/24/EU (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB).
58
e) Die ASt ist antragsbefugt. Antragsbefugt ist nach § 160 Abs. 2 GWB jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, eine Verletzung in eigenen, bieterschützenden Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend macht und einen dadurch entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes, der durch das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren sichergestellt werden soll, kann die Antragsbefugnis allerdings nur dem Antragsteller abgesprochen werden, bei dem eine Rechtsbeeinträchtigung offensichtlich nicht gegeben ist. Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ist insoweit die schlüssige Behauptung der Rechtsverletzung erforderlich, aber regelmäßig auch ausreichend (BGH, B.v. 26.09.2006 - X ZB 14/06).
59
Die ASt hat im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB vorgetragen, dass sie ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB gegeben sein könnte. Ob der Rechtsverstoß tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit.
60
Unsubstantiiert und damit unzulässig ist allerdings die pauschale Behauptung der ASt, das Angebot der BGl würde die A-Kriterien 8.3.1 und 8.4.2 nicht erfüllen. Der bloße Umstand, dass das Produkt der BGl auf einer Entwicklung der … beruht, ist keine nachvollziehbare Begründung, weshalb die aktuelle Software der BGl, die von ihr ständig weiterentwickelt wurde, nicht die A-Kriterien 8.3.1 und 8.4.2 erfüllen soll. Es handelt sich hier um eine unzulässige Behauptung der ASt „ins Blaue“ hinein.
61
f) Die ASt hat die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die BGl nach Erhalt des Bieterinformationsschreibens am 05.01.2022 mit Schreiben vom 11.01.2022 rechtzeitig gerügt, § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB.
62
g) Zum Zeitpunkt der Stellung des Nachprüfungsantrags am 13.01.2022 war die 15-TagesFrist gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB nicht abgelaufen, die der ASt nach der Rügezurückweisung vom 12.01.2022 zur Verfügung stand.
63
h) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 S. 1 GWB.
64
2. Soweit der Nachprüfungsantrag zulässig ist, ist er unbegründet. Die ASt ist nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt.
65
a) Entgegen der Auffassung der ASt ist das Angebot der BGl nicht von dem Vergabeverfahren auszuschließen. Die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Angebots der BGl vom Vergabeverfahren gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV liegen nicht vor.
66
Nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV werden Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind, von der Wertung ausgeschlossen.
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Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht (vgl. OLG Düsseldorf, B.v. 22.03.2017, Verg 54/16). Ob eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont festzustellen. Maßgeblich ist hinsichtlich der Vergabeunterlagen der Empfängerhorizont der potentiellen Bieter (vgl. BGH, B.v. 15.01.2013, X ZR 155/10). Für die Auslegung von Vergabeunterlagen ist auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters abzustellen, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist. Maßgeblich ist nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters, sondern wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung und Vergabeunterlagen versteht (vgl. OLG Karlsruhe, B.v. 29.04.2016 - 15 Verg 1/16). Hinsichtlich des Angebots des Bieters ist Maßstab der Auslegung, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage die Vergabestelle das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte, wobei es keinen Erfahrungssatz gibt, dass der Bieter stets das vom Ausschreibenden Nachgefragte anbieten will, auch wenn ihm redliche und interessensgerechte Absichten zu unterstellen sind (OLG Düsseldorf, B.v. 22.03.2017, Verg 54/17).
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Im vorliegenden Fall gilt laut den Vergabebedingungen (S. 19): „Die im Lastenheft / Anforderungskatalog aufgeführten A-Kriterien sind zwingend von der angebotenen Leistung zu erfüllen. Die Nichterfüllung auch nur eines A-Kriteriums führt zum Ausschluss des Angebots vom weiteren Verfahren. (…) Für jedes B-Kriterien des Lastenhefts / Anforderungskatalogs werden Bewertungspunkte vergeben. (…) Alle nicht vom Bieter beantworteten bzw. bestätigten Anforderungen erhalten keine Punkte.“
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In der Leistungsbeschreibung wird die Anforderung Nr. 8.2.4 „Anwendungs- / Anzeigemöglichkeit auf mobilen Geräten: Handy, Tablet, IOS / Android“ eindeutig als B-Kriterium festgelegt.
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Die ASt vertritt jedoch die Auffassung, die VSt habe durch die Beantwortung der Bieterfrage Nr. 1 „Wie viele mobile Endgeräte sollen angeboten werden?“ mit „Nach derzeitigem Stand soll für die Angebote mit 10 mobilen Endgeräten kalkuliert werden. Die Anzahl kann sich zu einem späteren Zeitpunkt verändern“ die Anforderung Nr. 8.2.4 der Leistungsbeschreibung von einem B-Kriterium zu einem A-Kriterium geändert. Das Angebot der BGl erfülle dieses Kriterium nicht und sei deshalb zwingend auszuschließen.
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Entgegen der Auffassung der ASt sind vorliegend die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV jedoch nicht gegeben.
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Unter Anwendung der oben dargestellten Auslegungsmaßstäbe kommt die Vergabekammer zu dem Ergebnis, dass die Antwort der VSt auf die Bieterfrage Nr. 1 nicht zu einer Änderung der Nr. 8.2.4 der Leistungsbeschreibung von einem BKriterium zu einem A-Kriterium führt. Die Nr. 8.2.4 der Leistungsbeschreibung ist weiterhin ein B-Kriterium und stellt damit keine Mindestanforderung dar. Ein zwingender Ausschluss des Angebots der BGl vom Vergabeverfahren gem. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV kommt daher nicht in Betracht.
73
Dies ergibt die Auslegung der Antwort der VSt auf die Bieterfrage Nr. 1 aus der maßgeblichen objektiven Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters. Die VSt teilte mit, dass derzeit für die Angebote mit 10 mobilen Endgeräten kalkuliert werden soll. Aus der Sicht verständiger Bieter ist klar erkennbar, dass die VSt mit der Benennung einer konkreten Anzahl an Geräten nur eine Kalkulationsgrundlage für ein B-Kriterium bieten wollte.
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Die von der ASt vertretene Interpretation lässt sich nicht dem Wortlaut entnehmen und erschließt sich auch nicht vom Sinn und Zweck her. Eine Änderung der Eigenschaft des B-Kriteriums zu einem A-Kriterium ist weder vom Wortlaut umfasst noch von der VSt gewollt gewesen.
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Entgegen der Auffassung der ASt beinhaltet der Wortlaut gerade nicht, dass mit 10 mobilen Endgeräten für das …personal kalkuliert werden muss. Weder der Antwort der VSt noch der Anforderung Nr. 8.2.4 („Anwendungs- / Anzeigemöglichkeit auf mobilen Geräten: Handy, Tablet, IOS / Android“) ist dem Wortlaut der Begriff „…personal“ zu entnehmen. In Nr. 8.2.4 wird dem Wortlaut entsprechend lediglich die Anwendungs- / Anzeigemöglichkeit auf mobilen Geräten gefordert. Auch enthält die Antwort der VSt kein „muss“. Vielmehr „soll“ mit 10 mobilen Endgeräten kalkuliert werden. Die unmissverständliche Antwort der VSt diente erkennbar der Präzisierung eines B-Kriteriums. Eine Änderung eines B-Kriteriums zu einem A-Kriterium ist vom Wortlaut eindeutig nicht umfasst.
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Selbst wenn die Antwort der VSt eine „Muss“-Anforderung enthalten hätte, würde dies zu keiner anderen Auslegung führen. Einem Auftraggeber bleibt es unbenommen, für seine jeweiligen B-Kriterien bestimmte Anforderungen aufzustellen. Dies allein führt aber nicht automatisch zu einer „Hochstufung“ im Sinne eines A-Kriteriums. Im Ergebnis entscheidet jeder potentielle Bieter selbst, ob er das jeweilige B-Kriterium erfüllt oder nicht. Auswirkungen hat dies nur auf die Zahl der erreichten Leistungspunkte.
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Überdies wäre ein Ausschluss des Angebots der BGl bei einer Auslegung im Sinne der ASt nicht möglich gewesen. Denn Unklarheiten in den Vergabeunterlagen - was hier aber nicht der Fall ist - gehen zu Lasten der Vergabestelle und gerade nicht zu Lasten anderer Bieter.
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b) Vielmehr ist das Angebot der ASt nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV von dem Vergabeverfahren auszuschließen. Unter Anwendung der unter Punkt 2. a) dargestellten Auslegungsmaßstäbe kommt die Vergabekammer zu dem Ergebnis, dass das Angebot der ASt von den Vergabeunterlagen abweicht.
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aa) Im Vertrag über die Überlassung von Standardsoftware, der Teil der Vergabeunterlagen für das finale Angebot war, machte die VSt unter Ziffer 8 (Kopier- und Nutzungssperre) die Vorgabe, dass die Leistungen des Auftragnehmers keine Kopier- oder Nutzungssperren aufweisen dürfen. Angekreuzt war: „Die Leistungen des Auftragnehmers weisen keine Kopier- oder Nutzungssperren auf“.
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Die ASt entfernte jedoch in ihrem Angebot im Vertrag über die Überlassung von Standardsoftware unter Ziffer 8 das von der VSt voreingetragenen Kreuz. Stattdessen setzte sie ihr Kreuz bei einem anderen Platzhalter und machte folgende Angabe: „Die Leistungen des Auftragnehmers weisen folgende Kopier- und Nutzungssperre auf: Nutzungssperre durch …“.
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Trotz dieser offenkundigen Abweichung des Angebotsinhaltes von den Vergabeunterlagen vertritt die ASt die Auffassung, dass ein Ausschluss ihres Angebotes unzulässig sei. Im Ursprungsdokument während der Verhandlungsphase sei unter Ziffer 8 kein Platzhalter angekreuzt gewesen. Dies sei für die ASt verbindlich gewesen. Die VSt habe die Ziffer 8 für die Angebotsabgabe des finalen Angebotes nachträglich geändert. Die ASt habe dies als mögliche Variante verstehen dürfen und sei davon ausgegangen, dass hier freie Auswahl bestehe, weil keine gesonderte Kommunikation zu dieser Veränderung stattgefunden habe. Im Übrigen sei das Kreuz der ASt so zu verstehen, dass es nicht um eine Nutzungssperre für den Auftraggeber, sondern für Dritte handle. Auch habe die ASt daraufhin gewiesen, dass Einzelheiten bei Bedarf angefordert werden könnten.
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Das von der ASt vertretene Verständnis lässt sich nicht dem Wortlaut der Vergabeunterlagen entnehmen. Für die Angebotsabgabe kommt es allein auf die finalen Vergabeunterlagen an. Der Wortlaut der Ziffer 8 der finalen Version ist unmissverständlich formuliert. Aus der maßgeblichen Sicht verständiger potentieller Bieter ist klar erkennbar, dass die Leistungen des Auftragnehmers keine Kopier- oder Nutzungssperren aufzuweisen haben. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb statt der finalen Version für die Angebotsabgabe eine vorherige Version verbindlich gewesen sein soll. Ebenso wenig, dass das voreingetragene Kreuz in der finalen Version in Ziffer 8 nur eine mögliche Variante darstellen soll. Es gibt keine Anhaltspunkte im Wortlaut, dass dem Bieter eine freie Auswahl zusteht. Vielmehr verdeutlicht die Voreintragung, dass der Auftraggeber die Entscheidung bereits getroffen hat und die Bieter gerade keine freie Auswahl haben. Die ASt hätte insoweit eine Bieterfrage an die VSt richten müssen. Auch enthält der Wortlaut des Angebots der ASt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine Nutzungssperre für Dritte und nicht für den Auftraggeber handle. Der Hinweis der ASt, dass Einzelheiten bei Bedarf angefordert werden können, verhindert ebenfalls nicht, dass das Angebot der ASt von den finalen Vergabeunterlagen abweicht. Das eingereichte Angebot muss den finalen Vorgaben entsprechen. Die Möglichkeit des Auftraggebers, sich beim Bieter noch weitergehende Informationen einzuholen, ist ungenügend. Zutreffend ist zwar, dass die VSt die Änderung in Ziffer 8 nicht kenntlich gemacht hat. Allerdings hat die ASt diese Änderung noch vor der finalen Angebotsabgabe selbst erkannt, so dass ihr hierdurch kein Nachteil entstanden ist. Die positive Kenntnis von der Änderung der Vertragsunterlagen hat die ASt selbst bestätigt. Auch zeigt sich dies im finalen Angebot der ASt durch die eigenständige Entfernung des voreingetragenen Kreuzes und Eintragung eines Kreuzes an anderer Stelle.
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bb) Die ergänzenden Vertragsbedingungen für die Überlassung von Standartsoftware gegen Einmalvergütung (EVB-IT Überlassung-AGB (Typ A)), die Teil der Vergabeunterlagen für das finale Angebot waren, sehen unter Ziffer 3 (Nutzungsrechte) für den Auftraggeber das Recht zur Übertragung des Nutzungsrechts auf einen Dritten vor.
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Die ASt legte hingegen in ihrem ergänzenden Angebotsschreiben / Begleitschreiben in Ziffer 5 (Konditionen) unter Nutzungsrechte / Lizenzen fest, dass …-Lizenzen nicht übertragbar sind.
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Unter Anwendung der oben dargestellten Auslegungsmaßstäbe kommt die Vergabekammer zu dem Ergebnis, dass das Angebots der ASt auch an dieser Stelle unzulässig von den Vergabeunterlagen abweicht. Relevante Bestandteile des Angebots sind sowohl das Angebotsschreiben als auch das Begleitschreiben. Die Vorgabe der ASt legt eindeutig fest, dass ihre Software … entgegen der klaren Vertragsvorgaben nicht von der VSt an Dritte übertragen werden darf. Der Angebotsinhalt weicht daher von den Vertragsbedingungen ab.
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cc) Es ist unschädlich, dass die VSt in ihrem Vergabevermerk das Vorhandensein von Ausschlussgründen hinsichtlich des Angebots der ASt verneint hat. Ausschlussgründe nach § 57 Abs. 1 VgV sind zwingend.
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dd) Im Übrigen kann offenbleiben, ob das Angebot der ASt auch abweichende Allgemeine Geschäftsbedingungen aufgrund einer etwaigen AGB-Abwehrklausel enthält. Ebenso kann dahinstehen, ob der Angebotspreis der ASt durch eventuell abweichende Preisangaben im Preisblatt und im Begleitschreiben unklar ist.
88
c) Überdies - selbst wenn das Angebot der ASt nicht auszuschließen wäre und die Höchstpunktzahl bei allen Leistungskriterien erhalten würde - wäre das Angebot der ASt aufgrund des Preisabstandes zum Angebot der BGl nicht das wirtschaftlichste Angebot. Die durchgeführte Preisprüfung der VSt ist nicht zu beanstanden. Daher kommt es auf die gerügte Leistungswertung des Angebots der ASt nicht an.
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d) Auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Aufhebung des Vergabeverfahrens ist unbegründet. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot nach § 97 Abs. 1 GWB ist nicht gegeben. Die Vergabeunterlagen sind bei entsprechender Auslegung nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters nicht missverständlich. Hierzu wird auf die Ausführungen unter Punkt 2. a) und b) Bezug genommen. Insoweit ist die Argumentation der ASt ergebnisorientiert, um eine Aufhebung des Vergabeverfahrens zu erreichen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
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a) Die ASt trägt die Kosten des Verfahrens, weil sie mit ihrem Antrag unterlegen ist (§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB).
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b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der VSt und der BGl ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 GWB.
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c) Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die VSt und die BGl notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.). Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der VSt und der BGl nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen. Die ASt war zudem ebenfalls fachanwaltlich vertreten, so dass im Rahmen der Gleichbehandlung eine anwaltliche Vertretung der VSt und der BGl ebenfalls gerechtfertigt ist.
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d) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und Abs. 3 GWB festzusetzen. Im Hinblick auf die Bruttoangebotssumme der ASt und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamts eine Gebühr in Höhe von x….,- €.
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e) Der geleistete Kostenvorschuss von x….,- € wird mit der zu zahlenden Gebühr verrechnet. Eine Kostenrechnung an die ASt in Höhe des Differenzbetrages von …,- € wird nachgereicht.