Titel:
Klarheit der Vergabeunterlagen bei geforderten Angaben zu einem vergleichbaren Referenzobjekt
Normenkette:
GWB § 102 Abs. 4, § 122, § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c, § 142
Leitsätze:
1. Der Ausschluss eines Bieters wegen fahrlässiger Übermittlung irreführender Informationen gem. § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c GWB mit der Begründung, er habe bei der geforderten Angabe zu einem vergleichbaren Referenzobjekt unrichtig erklärt, er habe bestimmte Leistungen als Eigenleistung erbracht, obwohl ein Teil dieser Arbeiten von einem anderen Mitglied einer ARGE erbracht worden war, ist unzulässig, wenn den Vergabeunterlagen keine klare Vorgabe dahingehend entnommen werden, dass der Bewerber eigenständig wesentliche Planungsleistungen erbracht haben muss. (Rn. 60 – 73) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Auftrag, der zum Zwecke der Erweiterung des vorhandenen Schienennetzes durch die Errichtung einer neuen U-Bahnstrecke mit Bahnkörpern, Haltestellen und sämtlichen notwendigen technischen Anlagen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen erteilt werden soll, ist als Sektorentätigkeit gem. § 102 Abs. 4 GWB zu qualifizieren. (Rn. 77) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Ausübung des dem öffentlichen Auftraggeber zustehenden Beurteilungsspielraums bei der Bewertung der Frage der Vergleichbarkeit einer geforderten Referenz setzt voraus, dass sich aus den Vergabeunterlagen widerspruchsfrei und klar die geforderten Eignungskriterien ergeben. (Rn. 89) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
betreffend die Vergabe xx Entlastungsspange, Los Süd, Objekt-, Tragwerksplanung, Technische Ausrüstung, Umweltplanung, Referenznummer der Bekanntmachung:, Bietergemeinschaft, Referenzobjekt, Sektorenauftraggeber, vergleichbare Referenz, eigenständige Erbringung, Eignungsprüfung, Beurteilungsspielraum, Erweiterung eines U-Bahn-Netzes, Ausschluss des Bieters
Vorinstanz:
Vergabekammer München, Beschluss vom 25.11.2021 – 3194.Z3-3_01-21-43
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34600
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 25. November 2021, Az. 3194.Z3-3_01-21-43, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Antragsgegnerin im Falle des Fortbestehens der Beschaffungsabsicht die Rechtsauffassung des Senats zu beachten hat.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.538.596,96 € festgesetzt.
Gründe
1
Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist eine Ausschreibung zur Stärkung des Öffentlich-Privaten Nahverkehrssystems (ÖPNV) im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb ist die Vergabe eines Dienstleistungsauftrags über die Objekt- und Tragwerksplanung, technische Ausrüstung sowie Umweltplanung für eine neue U-Bahnlinie (…) nach der Sektorenverordnung (SektVO) beabsichtigt, die die Funktion einer Entlastungsspange für die Innenstadtbahnhöfe und die bestehenden Linien U xx und U xx in Nord-SüdRichtung übernehmen soll. Für das Los Süd, das u. a. die Errichtung eines neuen doppelstöckigen Bahnhofs (Planungstitel: IPPC) einschließt, hat die Antragsgegnerin, die das Projekt in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken … realisieren will, am 25. März 2021 eine europaweite Ausschreibung, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 30. März 2021, bekannt gemacht.
2
Die Antragstellerin, eine Bewerbergemeinschaft bestehend aus den Ingenieurbüros G. GmbH D. (im Folgenden: Büro G. D.) als federführendes Mitglied, G. GmbH M. (im Folgenden: Büro G. M.) und I. GmbH, hat neben anderen Interessenten einen Teilnahmeantrag abgegeben. Im Nachprüfungsverfahren streiten die Verfahrensbeteiligten darüber, ob die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu Recht wegen fahrlässiger Irreführung (§ 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c] GWB) vom Vergabeverfahren ausgeschlossen hat und ob Referenzen, die die Antragstellerin zu den Leistungsbereichen A.1 (Objektplanung Ingenieurbauwerke für Verkehrsanlagen in offener Bauweise) und B.1 (Tragwerksplanung Ingenieurbauwerke für Verkehrsanlagen in offener Bauweise) benannt hat, zu berücksichtigen sind. Umstritten ist insbesondere, welche Leistungen ein Bewerber erbracht haben muss, um sich auf eine Referenz berufen zu können bzw. seine Eignung nachzuweisen, ob die Antragsgegnerin als Mindestbedingung eine schriftliche Bestätigung des Referenzgebers fordern durfte und ob Regelungen zur Durchführung der Leistung durch den Referenznehmer zu eng gefasst sind.
3
Die Auftragsbekanntmachung enthält u. a. folgende Vorgaben zum Vergabeverfahren:
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In den Ziffern II.1.4) und II.2.4) ist die Beschaffung näher beschrieben. Eine Losaufteilung ist nicht erfolgt. Gemäß Ziffer II.2.11) bilden die Leistungsphasen 1 und 2 sämtlicher Leistungen die Grundauftragsleistungen, die mit Zuschlagserteilung verbindlich beauftragt werden. Optionale Leistungen (grundsätzlich Leistungsphasen 3 - 7) werden unter der aufschiebenden Bedingung eines gesonderten Abrufs durch den Auftraggeber beauftragt. Zur Teilnahme von Bewerbergemeinschaften ist in Ziffer III.1.8) geregelt, dass die Aufteilung der Leistungsbereiche bzw. Aufgaben auf die einzelnen Mitglieder der Bewerbergemeinschaft im Auftragsfall darzustellen ist.
5
Ziffer II.2.9) regelt die Beschränkung der Zahl der Bewerber, die zur Angebotsabgabe bzw. Teilnahme aufgefordert werden. Als objektive Kriterien für die Auswahl der begrenzten Zahl von Bewerbern ist festgelegt:
„Geplante Anzahl der Bewerber: 3 (…)
Sollte die Durchführung des Teilnahmewettbewerbs ergeben, dass mehr Bewerber grundsätzlich geeignet sind, (…) so wird der Auftraggeber die Bewerber auswählen, welche die nachfolgend aufgeführten Eignungsvoraussetzungen am besten erfüllen. Um dies zu ermitteln, wird der Auftraggeber eine Auswahlmatrix verwenden, bei der ein Bewerber maximal 5000 Punkte erreichen kann. Diese Punkte entfallen auf die Unterlagen (Referenzen) gemäß Ziffer III.1.3), (…)
Einzelheiten sind dem Bewerbungsbogen sowie der Auswahlmatrix zu entnehmen.
Es muss ein wertbares Referenzprojekt aus den Leistungsbereichen A.1 (…), B.1 (…) vorliegen; pro Leistungsbereich fließt eine Referenz in die Wertung ein (…)“
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In Ziffer III.1.3) ist zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit festgelegt:
„Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien:
Vorlage von jeweils 1 Referenz vergleichbarer Leistungen aus den Leistungsbereichen A.1, (…), B.1 (…), die anhand folgender Kriterien bewertet werden: [es erfolgt ein Verweis auf die Vergabeunterlagen] Für die Prüfung der Teilnahmeanträge wird auf Ziffer III.1.4), für eine ggf. erforderliche Auswahl der Bewerber, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden, auf Ziffer II.2.9) verwiesen.
Möglicherweise geforderte Mindeststandards:
1. Mindestbedingung für die grundsätzliche Wertbarkeit einer Referenz sind:
a) die Einhaltung der Mindestvorgaben aa) an Herstellungskosten:
A.1 (…), B.1 (…): Anrechenbare Kosten unterird. Ingenieurbauwerk netto ≥ 10 Mio. EUR (…)
bb) an Honorarkosten: I und J (…)
b) Die Referenzangaben sind durch den Referenzgeber durch Unterschrift an der dafür vorgesehenen Stelle auf den Formblättern des Bewerbungsbogens zu bestätigen,
2. Der Bewerber muss mindestens ein wertbares Referenzprojekt pro Leistungsbereich (Leistungsbereiche A.1 […], B.1 […]) vorlegen, das die vorgenannten Mindestanforderungen für die Wertbarkeit einer Referenz erfüllt. Erfüllt er diesen Mindeststandard nicht, wird er mangels Eignung vom weiteren Verfahren ausgeschlossen. Im Falle einer Bewerbergemeinschaft oder Eignungsleihe muss der Referenznehmer die Leistungen des Leistungsbereichs, für den die Referenz vorgelegt wird, im Rahmen der Bewerbergemeinschaft oder als Nachunternehmer erbringen.“
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Ziffer III.1.4) (Objektive Teilnahmeregeln und -kriterien) lautet:
„(…) Der Auftraggeber behält sich nach § 51 Abs. 2 SektVO unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung vor, die Bewerber aufzufordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen oder sonstige Nachweise nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren.
8
Der Auftraggeber wird anschließend die vollständigen Teilnahmeanträge inhaltlich prüfen. Die Prüfung bezieht sich auf die Einhaltung etwaiger in Ziffer III.1.1) bis III.1.3) genannter Mindestanforderungen.
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Unbeschadet etwaiger Mindestanforderungen wird der Auftraggeber inhaltlich prüfen, ob die grundsätzliche Eignung eines Bewerbers nach den in Ziffer III.1.1) bis III.1.3) genannten Unterlagen vorliegt. Kann im Ergebnis die grundsätzliche Eignung nicht bejaht werden, wird der Teilnahmeantrag nicht berücksichtigt. (…)“ Bestandteil der gemäß Ziffer I.3) der Auftragsbekanntmachung direkt zugänglichen Auftragsunterlagen ist ein sogenanntes Informationsmemorandum, das auf Seite 51 folgende Festlegungen enthält:
„Das Formblatt 4 muss pro Bewerbung (durch Einzelbewerber oder Bewerbergemeinschaft) nur insgesamt einmal eingereicht werden, wobei die einzelnen Referenzblätter von dem jeweiligen Referenznehmer (Einzelbewerber, Mitglied der Bewerbergemeinschaft oder Nachunternehmer im Rahmen der Eignungsleihe) beizusteuern sind; Referenzen können nur beigesteuert werden, sofern der Referenznehmer (Einzelbewerber, Mitglied der Bewerbergemeinschaft oder Nachunternehmer im Rahmen der Eignungsleihe) die Leistungen des Leistungsbereichs, für den die Referenz vorgelegt wird, selbst ausführen wird.“
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Auf Seite 52 des Informationsmemorandums findet sich folgender Hinweis:
„Zu den Referenzen, die mit Formblatt 4 anzugeben sind, bitte beachten: Die Leistungsphasen müssen im angegebenen Referenzzeitraum eigenständig erbracht und abgeschlossen worden sein. (…) Die im Referenzzeitraum erbrachten Leistungen müssen nicht identisch sein mit den entsprechenden Leistungsphasen der HOAI 2021. Ausreichend ist deshalb, wenn die im Referenzzeitraum erbrachten Leistungen den Leistungen (Leistungsphase und Leistungsbilder aus der HOAI), die als Maßstab für die Referenz angegeben worden sind, entsprechen.“
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In einer Fußnote des Formblatts 4 ist erläutert:
„Für jede Referenz werden darüber hinaus Angaben erwartet zu Bezeichnung und Standort des Referenzobjekts mit Angaben der Netto-Baukosten, Kurzbeschreibung der Art und des Umfangs der erbrachten Leistungen für das Referenzobjekt, Zeitraum der Leistungserbringung von Monat / Jahr bis Monat / Jahr und Angabe, ob die Leistungen als vollständige Eigenleistung, mit Nachunternehmern oder in Kooperation mit anderen Firmen erbracht wurden, sowie Angabe des Eigenleistungsanteils. Wurden die Leistungen nicht vollständig als Eigenleistung erbracht, so ist anzugeben, welche Leistungen als Eigenleistung erbracht wurden.“
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Die in den Auftragsunterlagen enthaltene Auswahlmatrix regelt in Bezug auf die Referenzen zu den Leistungsbereichen A.1 und B.1:
Anrechenbare Kosten unterird. Ingenieurbauwerk (netto) ≥ 10 Mio. € ja/nein Wenn Antwort = nein, Referenz nicht wertbar Angaben durch den Referenzgeber (Auftraggeber im Referenzprojekt) durch Unterschrift bestätigt? ja/nein Wenn Antwort = nein, Referenz nicht wertbar.“
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Es folgen die maximalen Punkte, die für jedes Kriterium erzielt werden können, sowie nachfolgende Erläuterungen:
LPH 1 eigenständig erbracht und im Referenzzeitraum abgeschlossen (…) Wenn Antwort = ja, max. Punkte; wenn Antwort = nein, 0 Punkte LPH 2 eigenständig erbracht und im Referenzzeitraum abgeschlossen (…).
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Wenn Antwort = ja, max. Punkte; wenn Antwort = nein, 0 Punkte
LPH 7 eigenständig erbracht und im Referenzzeitraum abgeschlossen (…) Wenn Antwort = ja, max. Punkte; wenn Antwort = nein, 0 Punkte
(…) Planungsleistungen für einen Untergrundbahnhof mit Sperrengeschoss und Bahnsteigebene (…) Wenn Antwort = ja, max. Punkte; wenn Antwort = nein, 0 Punkte (…).“
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Die Antragstellerin nannte in ihrem fristgerecht eingereichten Teilnahmeantrag im Formblatt 4 für die Leistungsbereiche A.1 und B.1 als Referenz für das Büro G. D. den in Bewerbergemeinschaft durchgeführten Neubau der U-Bahnlinie … (im Folgenden: Referenz U …) in D. und beschrieb das Bauvorhaben nebst Kosten näher. Weiter heißt es: „Objekt- und Tragwerksplanung für konstruktive Ingenieurbauwerke für Verkehrsanlagen (Eigenleistung) (…). Die Gesamtleistung inklusive der Verkehrsanlagenplanung wurde in Ingenieurgemeinschaft erbracht.“. Die auf Seite 2 des Formblatts 4 vorgegebenen, mit der Auswahlmatrix korrespondierenden Fragen zum Projektumfang und zu den erbrachten Leistungsphasen wurden durchgängig mit „ja“ beantwortet und von einem Mitarbeiter der Landeshauptstadt D. mit Unterschrift bestätigt. Als Referenzen für das Büro G. M. stützte sich die Antragstellerin auf zwei Neubauprojekte der U-Bahnlinien U … und U … in M., wobei auf Seite 2 des Formblatts teils „nein“ als Antwort auf die Fragen angekreuzt war. Zudem gab es Unstimmigkeiten mit der Antragsgegnerin als Bauherrin der Referenzprojekte, die die Angaben zu erbrachten Leistungsphasen beim Bau der U-Bahnlinie U … nur teilweise mit ihrer Unterschrift bestätigte.
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Zur Aufgabenverteilung innerhalb der Bewerbergemeinschaft gab die Antragstellerin im Formblatt 2 („Übersicht über den Bewerber“) an, dass das Büro G. D. die Objekt- und Tragwerksplanung (A.1, A.2, B.1 und B.2) übernehme, die Aufgabe des Büros G. M. war mit „Unterstützung“ umschrieben.
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Zu der für die Leistungsbereiche A.1 und B.1 benannten Referenz U … zog die Antragsgegnerin Erkundigungen beim Auftraggeber und einem Mitarbeiter des ARGEPartners ein. Mit Schreiben vom 1. Juni 2021 forderte sie von der Antragstellerin Aufklärung, da ihre Überprüfung ergeben habe, dass das Partnerbüro V. und nicht das Büro G. D. die Planungsleistungen für den unterirdischen Bauabschnitt erbracht habe. Der oberirdische und unterirdische Bereich solle zwischen den Mitgliedern der ARGEPartner klar getrennt gewesen sein. Die Einbringung der Referenzen als angeblich vergleichbare Leistungen werde als eine schwerwiegende Täuschung in Bezug auf die Eignungskriterien und eine Übermittlung irreführender Informationen angesehen, weswegen beabsichtigt sei, die Antragstellerin vom weiteren Verfahren auszuschließen. Da die Antragstellerin zudem mehrere Referenzen vorgelegt habe, jedoch nur eine Referenz in die Wertung einfließe, werde sie höchstvorsorglich aufgefordert, eine Prüfungsreihenfolge anzugeben. Überdies müsse der Referenznehmer die Leistungen des Leistungsbereichs, für den die Referenz vorgelegt werde, im Rahmen der Bewerbergemeinschaft oder als Nachunternehmer erbringen. Die Antragstellerin werde aufgefordert, im Detail darzulegen, wie die eigene Leistungserbringung des Büros G. M., für das im Antrag als Leistungsanteil „Unterstützung“ angegeben worden sei, erfolgen solle.
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Die Antragstellerin nahm hierzu fristgerecht mit Schreiben vom 8. Juni 2021 Stellung, legte ihre Sicht der Dinge dar und verwahrte sich gegen den Vorwurf der Täuschung und Irreführung. Sie widersprach der Annahme einer Aufgabenteilung in einen ober- und unterirdischen Teil und erläuterte die Mitwirkung des D. Büros bei der Referenz U … näher. Das Büro G. D. habe das Referenzprojekt gemeinsam mit dem Büro V. in allen Leistungsphasen geleitet und in diesem Sinne ausgeführt. Ein Mitarbeiter ihres Büros habe an den Gesamtplanungsbesprechungen teilgenommen, es seien auch eigene Erfahrungen in die Planung der Tunnelvarianten eingebracht sowie die Variantenuntersuchung gemeinsam erarbeitet worden. Außerdem habe das Büro G. D. die technische Geschäftsführung innegehabt und die Sachbearbeitung einzelner Bauwerke (Trogbauwerke, Brücken, Rampen) übernommen. Die Bietergemeinschaft verfüge über alle wesentlichen Unterlagen des Referenzprojekts. Aufgrund der engen Verzahnung der Zusammenarbeit habe die Antragstellerin die Referenz U … zu Recht für alle Leistungsphasen als „in Eigenleistung erbracht“ benannt. Der Begriff „Eigenleistung“ sei von der Antragsgegnerin nicht näher definiert worden, bei zutreffender Auslegung anhand § 47 Abs. 1 Satz 3 SektVO und Sinn und Zweck der Regelung genüge der Bearbeitungsanteil ihres Büros, um die Anforderungen zu erfüllen.
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Das Büro G. M. stelle der Bewerbergemeinschaft das gesamte aus seinen Referenzen resultierende Knowhow zur Verfügung, insbesondere werde neben den Unterlagen Führungspersonal bereitgestellt und es würden alle aufkommenden Fragen auf Basis der vorhandenen Kenntnisse beantwortet. Auch diese Referenzen seien zu werten. Abgesehen davon habe das Büro bei der Referenz U … mehr Leistungsphasen erbracht als die Antragsgegnerin zu bestätigen bereit gewesen sei.
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In einem weiteren Schreiben vom 8. Juni 2021 erhob die Antragstellerin zahlreiche Rügen zum Verfahren. Sie beanstandete die Forderung nach Vorlage einer Referenzbestätigung und Festlegung als Mindestbedingung. Die Antragsgegnerin diskriminiere die Antragstellerin durch die nur eingeschränkte Bestätigung der Leistungen zur Referenz U …. Ebenfalls rechtswidrig sei die Vorgabe, Referenzen nur dann zu werten, wenn der Referenznehmer als Mitglied der Bewerbergemeinschaft die Leistung selbst ausführe. Es sei aus den Vergabeunterlagen auch nicht erkennbar, dass die Erbringung von Unterstützungsleistungen nicht ausreichend sei, um sich auf eine Referenz berufen zu können. Die Vergabeunterlagen seien in sich widersprüchlich und führten zu einer Benachteiligung von Bewerbergemeinschaften. Es sei weiterhin nicht hinreichend definiert, welche Referenzanforderungen gestellt würden, insbesondere sei unklar, wie ein Ingenieurbauwerk behandelt werde, das einen ober- und unterirdischen Teil aufweise. Auch sei nicht beschrieben, welche Leistungen in der jeweiligen Leistungsphase erbracht worden sein müssten. Ebenso wenig sei transparent, wann eine Leistung als „eigenständig erbracht“ gelte. Vergaberechtswidrig seien außerdem die unterlassene Losaufteilung, die Beschränkung des Bewerbers auf eine Referenz und die Forderung nach Festlegung einer Referenzreihenfolge.
21
Die Antragsgegnerin lehnte eine Abhilfe mit der Begründung ab, die Rügen seien präkludiert, abgesehen davon seien ihre Vorgaben eindeutig und rechtlich zulässig. Aus den Vergabeunterlagen, insbesondere aus den anrechenbaren Kosten und der Beschreibung des Bahnhofs I. als unterirdischer Bahnhof ergebe sich klar, dass sich die Referenz auf ein unterirdisches Bauwerk beziehen müsse. Der Begriff „eigenständig erbracht“ sei nicht erklärungsbedürftig, da er allgemein bekannt sei. Selbst erbracht sei eine Leistung, wenn sie mit eigenen Ressourcen ausgeführt worden sei. Entsprechend den Festlegungen in den Vergabeunterlagen sei nicht ausreichend, dass das eignungsverleihende Büro G. M. nur sein Knowhow zur Verfügung stelle, es müsse vielmehr die Leistung als Nachunternehmer selbst erbringen. Auch nach einer ergänzenden Stellungnahme der mittlerweile anwaltlich vertretenen Antragstellerin hielt die Antragsgegnerin an ihren Standpunkten fest, woraufhin die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 29. Juni 2021 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer einreichte.
22
Mit Schreiben vom 27. Juli 2021 schloss die Antragsgegnerin die Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) GWB vom Vergabeverfahren aus. Für den Nachweis der Eignung sei eine Referenz über vergleichbare Leistungen gefordert gewesen. Ausweislich der Beschreibung des Vorhabens in der Auftragsbekanntmachung und dem Informationsmemorandum müsse eine Planungsleistung für ein unterirdisches Ingenieurbauwerk erbracht worden sein. Die Referenz U … beinhalte solche Planungsleistungen, doch seien diese nicht vom Referenznehmer, dem Büro G. D., durchgeführt worden, wie dies suggeriert worden sei. Wie die Antragsgegnerin im Rahmen der Eignungsprüfung festgestellt habe, habe der ARGE-Partner V. den unterirdischen Teil des Projekts geplant, den oberirdischen Teil dagegen das Büro G. D.. In ihrer Stellungnahme habe sich die Antragstellerin auf die technische Gesamtgeschäftsführung bei der Referenz U … sowie auf den Zugriff auf das Knowhow gestützt, womit sie selbst bestätigt habe, dass das D. Büro die geforderten Referenzleistungen nicht selbst erbracht habe. Damit seien zumindest fahrlässig irreführende Informationen übermittelt worden, was nach umfassender Abwägung aller Umstände zu einem Ausschluss führe.
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Auch mangels Eignung müsse die Antragstellerin ausgeschlossen werden, da sie keine wertbaren Referenzen vorgelegt habe. Gemäß Auftragsbekanntmachung müsse jeweils mindestens eine wertbare Referenz vergleichbarer Leistungen vorliegen, die die in der Auftragsbekanntmachung angegebenen Mindestanforderungen erfüllten. Werde dieser Mindeststandard nicht erfüllt, müsse der die Referenz einbringende Bewerber mangels Eignung vom Verfahren ausgeschlossen werden. Die Referenz U … könne aus den dargelegten Gründen nicht herangezogen werden. Die Referenzen des Büros G. M. seien ebenfalls nicht zu berücksichtigen, da das Büro die Leistungen nicht selbst erbringe, sondern nur Knowhow, Unterlagen und Personal zur Verfügung stelle.
24
Mit Schriftsatz vom 30. Juli 2021 wandte sich die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren auch gegen den erklärten Ausschluss vom Vergabeverfahren.
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Ihre Chancen seien durch die gerügten Vergabeverstöße beeinträchtigt. Die Rügen seien nicht präkludiert, da sie erst durch die anwaltliche Beratung von den Fehlern Kenntnis erlangt habe. Zur Begründetheit wiederholte und vertiefte sie das Vorbringen der Rüge- und Aufklärungsschreiben. Die Wertung einer Referenz dürfe schon deshalb nicht von einer schriftlichen Bestätigung des Referenzgebers abhängig gemacht werden, weil die Forderung von Referenzschreiben nur bei Bauvorhaben gestattet sei. Die Antragsgegnerin verlagere damit die ihr obliegende Eignungsprüfung auf eine andere Stelle. Die Forderung, die Leistungen des Bereichs, für den die Referenz vorgelegt werde, selbst ausführen zu müssen, gehe über § 47 Abs. 1 Satz 3 SektVO hinaus und sei nicht zulässig. Es genüge ein sicherer Knowhow-Transfer, wie er bei Planungsleistungen möglich sei. Innerhalb einer Bietergemeinschaft bedürfe es weder einer Eignungsleihe noch einer Nachunternehmerschaft. Außerdem gebe es Divergenzen in den Formulierungen der Vorgaben, es werde gerade nicht hinreichend definiert, was unter „eigenständig“ zu verstehen sei und welche Leistungen je Leistungsphase erbracht sein müssten, damit die Referenz wertbar sei. Die Vorgabe „unterirdischer Bahnhof“ sei ein Auswahlkriterium, könne damit nicht als Aspekt für die Vergleichbarkeit herangezogen werden. Das Büro G. M. sei jederzeit bereit, die Leistungen zu erbringen, die die Antragsgegnerin für notwendig erachte. Weder sei der zwischenzeitlich erklärte Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) GWB gerechtfertigt noch fehle der Antragstellerin die Eignung, vielmehr sei die Nichtberücksichtigung aller Referenzen vergaberechtswidrig.
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Die Antragstellerin hat im Nachprüfungsverfahren beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren: Vergabe von Planungsleistungen für das Projekt U … Entlastungsspange (BV IPPC; Bf. E., Bf. Hauptbahnhof mit Streckentunnel, Abzweigungen und Schachtbauwerken) nicht fortzusetzen und nicht zur Angebotsabgabe aufzufordern, ohne die geltend gemachten Vergabeverstöße zu beseitigen. Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag in Gestalt der [richtig: des] mit Schriftsatz der Antragstellerin vom 29. Juni 2021 gestellten Antrag [richtig: Antrags] zu 1) zurückzuweisen.
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Sie hat ihrerseits daran festgehalten, dass die Antragstellerin die Rügen nicht fristgerecht erhoben habe, außerdem fehle deren Antragsbefugnis, weswegen der Nachprüfungsantrag unzulässig sei.
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Der Antrag sei zudem unbegründet, denn die Antragstellerin sei zu Recht wegen Irreführung ausgeschlossen worden. Das Büro G. D. habe in dem benannten Referenzobjekt keinerlei Planungsarbeiten für den unterirdischen Teil der U-Bahn erbracht, was die Antragstellerin in ihrem Teilnahmeantrag nicht offengelegt habe. Durch die fehlende Darstellung der wahrgenommenen Aufgaben innerhalb der Arbeitsgemeinschaft habe die Antragstellerin fälschlicherweise den Eindruck erweckt, bei sämtlichen erbrachten Leistungen handele es sich um „Eigenleistungen“. Eine technische Gesamtleitung oder Geschäftsführung, die bloße Unterstützung eines Projektteams, und/oder die Teilnahme an Gesamtplanungsbesprechungen genügten nicht für eine Zurechnung als „Eigenleistung“, zudem werde der Vortrag zu angeblich erbrachten Leistungen bestritten. Unerheblich sei, ob Unterlagen, Arbeitsergebnisse oder die gewonnenen Erfahrungen im Büro verfügbar seien.
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Damit könne sich die Antragstellerin auch nicht zum Beleg ihrer Eignung auf die Referenz U … berufen. Was unter „vergleichbare Leistung“ zu verstehen sei, ergebe sich klar und eindeutig aus den Unterlagen. Der Begriff „Eigenleistung“ bzw. „eigenständig erbracht“ sei ebenfalls unmissverständlich. Gefordert gewesen sei eine Referenz, die eigene Planungsleistungen für ein unterirdisches Ingenieurbauwerk umfasse. Nicht die Geschäftsführung verfüge über die technische und berufliche Leistungsfähigkeit, sondern das Fachpersonal. Auch die sonstigen von der Antragstellerin geschilderten Leistungen würden nicht den Rückschluss auf die erforderlichen Erfahrungen in der Objektplanung unterirdischer Ingenieurbauwerke rechtfertigen. Die für das Büro G. M. vorgelegten Referenzen könnten ebenfalls nicht herangezogen werden, denn bei der im Aufklärungsschreiben erläuterten Mitwirkung des Büros handele es sich um eine bloße Unterstützung und keine eigene Leistungserbringung des Eignungsverleihers. Abgesehen davon habe das Büro G. M. nur die von der Antragsgegnerin bestätigten Tätigkeiten durchgeführt.
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Auch die weiteren, von der Antragstellerin geltend gemachten Vergabeverstöße lägen nicht vor.
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Mit Beschluss vom 25. November 2021, zugestellt am 29. November 2021, hat die Vergabekammer der Antragsgegnerin untersagt, im Vergabeverfahren einen Zuschlag zu erteilen. Ihr ist aufgegeben worden, das Vergabeverfahren bei Fortbestand der Beschaffungsabsicht in den Stand vor Abgabe der Teilnahmeanträge zurückzuversetzen und vor erneuter Durchführung des Teilnahmewettbewerbs die Vergabeunterlagen entsprechend der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu überarbeiten.
32
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag überwiegend als zulässig erachtet. Die Antragstellerin sei antragsbefugt und mit ihren Rügen mit Ausnahme der beanstandeten unterlassenen Losaufteilung nicht präkludiert.
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Der Nachprüfungsantrag sei auch weitgehend begründet. Die Antragstellerin habe nicht nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) GWB ausgeschlossen werden dürfen und sowohl die Unklarheit der Vorgaben zur eigenständigen Erbringung von Planungsleistungen als auch die Forderung nach Referenzschreiben der Referenzgeber als Mindestanforderung verletze sie in ihren Rechten.
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Der Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) GWB sei nicht gerechtfertigt, da die Antragstellerin nur unvollständige und keine falschen Angaben in Bezug auf die Referenz U … gemacht habe. Es fehlten zwar Angaben, welche Leistungen als Eigenleistung erbracht worden seien, allerdings sei wahrheitsgemäß mitgeteilt worden, dass die Referenz im Rahmen einer ARGE erarbeitet worden sei. In engem textlichen Zusammenhang mit der für oberirdische Bauwerke korrekten Aussage „Objekt- und Tragwerkplanung für konstruktive Ingenieurbauwerke für Verkehrsanlagen (Eigenleistung)“ stehe, dass die Gesamtleistung in Ingenieurgemeinschaft erbracht worden sei. Auch wenn die unvollständigen Angaben geeignet gewesen wären, Fehlvorstellungen beim Auftraggeber hervorzurufen, erfordere der weit gefasste § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) GWB im Einzelfall eine Entscheidung über die Angemessenheit. Auch sei zu berücksichtigten, dass andere Tatbestände ein deutlich schwerwiegenderes Fehlverhalten voraussetzten und nicht jede Nachlässigkeit zum Ausschluss führen dürfe. Es hätte vorrangig von der Nachforderung oder Aufklärung Gebrauch gemacht werden müssen, statt das Unternehmen kurzerhand auszuschließen. Eine Beeinflussung der Vergabeentscheidung sei auf dieser Stufe nicht zu besorgen gewesen. Außerdem dürften über § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) GWB nicht die strengen Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 8 GWB (Ausschluss wegen arglistiger Täuschung) umgangen werden. Einem Ausschluss wegen der Übermittlung irreführender Informationen müsse ein ähnlich gravierendes Fehlverhalten zugrunde liegen, wofür nichts ersichtlich sei. Ein Handeln in Täuschungsabsicht oder ein grob fahrlässiges Inkaufnehmen einer Irreführung sei der Antragstellerin nicht nachzuweisen.
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Hinzu komme, dass das Verständnis der Antragsgegnerin zur Bedeutung der Eigenleistungsanteile bzw. der selbst mit eigenem Personal erbrachten Leistungsphasen als Mindestanforderung für die Wertbarkeit der Referenz nicht mit ausreichender Deutlichkeit aus den insoweit widersprüchlichen Vergabeunterlagen hervorgehe. Der Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) GWB sei jedenfalls klar unverhältnismäßig und verletze die Antragstellerin in ihren Rechten.
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Darüber hinaus sei die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt, dass die Vergabeunterlagen nicht hinreichend klarstellten, wie Referenzprojekte entsprechend des Bauvorhabens U …, die im Rahmen einer ARGE erarbeitet worden seien, zu behandeln seien. Zwar erscheine sachgerecht, dass die Referenz nur bewertbar sei, wenn ein Bewerber die Leistung im Rahmen der ARGE mit eigenem Personal erbracht habe, dies ergebe sich jedoch nicht klar genug aus den Unterlagen, insbesondere in Bezug auf die eigenständige Erbringung von Planungsleistungen. Das Informationsmemorandum spreche für eine Mindestanforderung, die Auswahlmatrix dafür, dass es sich nur um ein Auswahlkriterium handele. Diese könne man so verstehen, dass eine Referenz auch dann wertbar sei, wenn keine der Leistungsphasen eigenständig erbracht worden sei, das Projekt jedoch generell vergleichbare Leistungen enthalte. Auch könne ein Bewerber allein mit den Leistungsphasen 6 (Vorbereitung der Vergabe) und 7 (Mitwirkung bei der Vergabe) Punkte erzielen, obwohl diese gar keine Planungsleistungen beinhalteten.
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Zudem trage die Antragsgegnerin widersprüchlich und abweichend zu ihrem zunächst im Verfahren vertretenen Standpunkt vor. Ein etwaiger Vorrang der Auswahlmatrix gegenüber dem Informationsmemorandum sei der Ausschreibung nicht zu entnehmen. Es dürfe nicht unklar bleiben, welche Anforderungen Mindestanforderungen seien und was für die Auswahl maßgeblich sei. Die Mehrdeutigkeit der Vergabeunterlagen erfordere eine Überarbeitung. Auf die strittige Frage, ob das Büro G. D. überhaupt eigenständig Planungsleistungen bei ihrem Referenzprojekt erbracht habe, komme es nicht an.
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Die Festlegung der Vorlage eines vom Auftraggeber unterzeichneten Referenzschreibens als Mindestkriterium verletze die Antragstellerin ebenfalls in ihren Rechten. Es könne nur dann ein solches Schreiben verlangt werden, wenn die vergaberechtlichen Vorschriften dies ausdrücklich vorsähen. Dies sei - im Lichte der Richtlinien - nur für Bauaufträge der Fall, nicht für die hier vorliegenden Planungsleistungen, die in die Kategorie des Dienstleistungsauftrags fielen.
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Unzweifelhaft sei die Antragstellerin durch die unzulässige Forderung in ihren Rechten verletzt, da die Streitigkeiten über den Leistungsumfang ihre Zuschlagschancen schmälerten. Auch deshalb sei das Verfahren zurückzuversetzen und zu korrigieren.
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Nicht abschließend entschieden werden müsse über die Festlegung, dass das Mitglied der Bietergemeinschaft die Leistung vollständig selbst ausführen müsse, für das es die Referenz vorgelegt habe. Es bestehe eine Divergenz zwischen den Regelungen der SektVO und der RL 2014/25/EU, die im Falle der Entscheidungserheblichkeit eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union erfordere.
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Ergänzend wird für die weiteren Einzelheiten auf den angefochtenen Beschluss der Vergabekammer Bezug genommen, gegen den sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 13. Dezember 2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, wendet.
42
Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen und meint, sie habe die Antragstellerin sowohl rechtmäßig nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) GWB ausgeschlossen, als auch zutreffend deren Eignung verneint. Die Antragstellerin habe nicht nur unvollständige, sondern fahrlässig falsche, irreführende Angaben gemacht, die die Vergabeentscheidung der Antragsgegnerin erheblich hätten beeinflussen können. Angesichts der Beschreibung des Bauvorhabens, bei dem es sich um das größte und komplexeste innerstädtische Bauprojekt der Antragsgegnerin seit Jahrzehnten handele, könne kein Zweifel darüber bestehen, dass vergleichbare Leistungen zum Leistungsbereich A.1 nur Planungsleistungen für unterirdische Ingenieurbauwerke sein könnten. Das Büro G. D. sei zwar im Brückenbau erfahren, verfüge aber nicht über vergleichbare Referenzen im Tunnelbau, wie bereits ein Blick auf deren Homepage zeige. Die Aufgaben der Mitglieder der ARGE beim Bauvorhaben U … seien klar in einen ober- und einen unterirdischen Teil getrennt gewesen. Selbst wenn man den strittigen Vortrag zu den durchgeführten Leistungen als zutreffend unterstelle, habe das Büro G. D. die maßgeblichen Planungsleistungen für den unterirdischen Teil nicht eigenständig erbracht. Der Begriff der „Eigenleistung“ könne von einem fachkundigen Bewerber nicht missverstanden werden. Die Antragstellerin behaupte sogar für alle Leistungsphasen eine eigenständige Erbringung. Mit ihren Angaben im Teilnahmeantrag habe die Antragstellerin damit versucht, sich auf fremde Referenzleistungen zu berufen. Das Vertrauen der Antragsgegnerin in die Zuverlässigkeit der Antragstellerin sei gestört, darüber hinaus halte diese bis heute an ihren irreführenden Informationen fest.
43
Ihre mangelnde Eignung sei auch in einem neuen Vergabeverfahren nicht anders zu beurteilen. Die Referenzangaben des Büros G. M. seien im Formblatt ursprünglich ebenfalls zu weitgehend dargestellt worden, tatsächlich seien nur die vom zuständigen Sachbearbeiter … bestätigten Leistungen erbracht worden.
44
Unverständlich sei die Unterstellung der Vergabekammer, die Antragsgegnerin habe keine ausreichende Aufklärung vorgenommen, eine solche sei mit dem Schreiben vom 1. Juni 2021 erfolgt. Unerheblich sei, ob es tatsächlich zu einer Einflussnahme gekommen sei, es genüge vielmehr die Möglichkeit. Auch die weiteren Erwägungen, auf die die Vergabekammer die Vergaberechtswidrigkeit des Ausschlusses gestützt habe, seien nicht haltbar.
45
Die Vergabeunterlagen seien weder unklar noch sei mit der Referenzbescheinigung eine unzulässige Unterlage gefordert worden. Damit bestehe auch kein Anlass für die von der Vergabekammer angeordnete Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Abgabe der Teilnahmeanträge. Durch die direkte Verlinkung der Auftragsbekanntmachung gehe die Auswahlmatrix dem Informationsmemorandum vor, abgesehen davon habe die Vergabekammer zu Unrecht Widersprüchlichkeiten angenommen. Die Auswahlmatrix stelle nur auf die einzelnen Leistungsphasen und nicht auf die Referenzleistung ab, nichts anderes ergebe sich aus Seite 52 des Informationsmemorandums. Selbst wenn ein Bewerber nicht alle Leistungsphasen erbracht habe, könne er - mit geringerer Punktzahl - in die engere Wahl kommen. Auch die Fußnote des Referenzformblatts lasse erkennen, dass gerade keine „vollständige“ Eigenleistung erwartet werde. Habe der Bewerber, wie vorliegend, gar keine vergleichbare Referenzleistung eigenständig erbracht, könne er schon nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen nicht als geeignet angesehen werden. Auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union führe die bloße Mitgliedschaft in einer Arbeitsgemeinschaft noch nicht zu tatsächlichen Erfahrungen. Eine „ARGE“-Referenz könne somit nur dann zum Nachweis der Fachkunde herangezogen werden, wenn der ARGE-Partner die fragliche Tätigkeit auch selbst erbracht habe.
46
Ebenfalls zu Unrecht sei die Forderung nach Vorlage eines Referenzschreibens als Mindestanforderung von der Vergabekammer beanstandet worden. Die einschlägige SektVO enthalte - anders als die VgV - keine abschließende Festlegung der Eignungskriterien. Der Sektorenauftraggeber wähle die Unternehmen vielmehr anhand objektiver Kriterien aus, die lediglich sachlich begründet und in angemessenem Rahmen für die Erfüllung des Auftrags erforderlich seien müssten sowie keinen individuellen Interessen von Bewerbern Vorrang einräumen dürften. Nichts anderes gelte auf der Ebene der RL 2014/25/EU. Eine dem Anhang XII der RL 2014/24/EU vergleichbare Regelung, der die Nachweise über die Erfüllung der Eignungskriterien aufführe, kenne die RL 2014/25/EU nicht. Auch Art. 80 Abs. 3 der RL 2014/25/EU stehe der Vorgabe nicht entgegen, da der deutsche Gesetzgeber im Sektorenbereich den ihm zur Verfügung stehenden Spielraum genutzt und nur Art. 80 Abs. 1 der RL 2014/25/EU umgesetzt habe, nicht aber dessen Absätze 2 und 3. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin für alle Referenzprojekte Bestätigungen habe vorlegen können, sei die eingeschränkte Bestätigung zum Münchner Bauvorhaben U … zutreffend und die Forderung von der Antragstellerin auch nicht vorab gerügt worden.
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Fehlerhaft seien zudem die Ausführungen der Vergabekammer zu weiteren Vergabeverstößen, soweit diese eine Rügepräklusion verneint habe. Darüber hinaus wendet sich die Antragsgegnerin gegen den im obiter dictum vertretenen Standpunkt der Vergabekammer zur Europarechtswidrigkeit von Vorschriften der SektVO. Die Vorgabe, dass der Referenznehmer die Leistung, für die die Referenz vorgelegt worden sei, im Rahmen der Bewerbergemeinschaft oder als Nachunternehmer zu erbringen habe, entspreche dem Rechtsgedanken des § 47 Abs. 1 Satz 3 SektVO. Abgesehen davon würden die Vergabeunterlagen die Bewerbergemeinschaft nicht schlechter stellen, da die Mitglieder der Bewerbergemeinschaft in der Regel im Falle des Zuschlags unterbeauftragt würden. Diese seien nichts anderes als eignungsverleihende Nachunternehmer. Abgesehen davon könne ein Auftraggeber nach § 50 Abs. 2 Satz 3 SektVO Bedingungen für die Erfüllung der Eignungskriterien und die Auftragsdurchführung festlegen, die lediglich sachlich gerechtfertigt und angemessen sein müssten. Die Vorgaben seien richtlinienkonform.
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Ergänzend hat die Antragsgegnerin in weiteren Schriftsätzen betont, die Antragstellerin sei nicht antragsbefugt, eine neuerliche Teilnahmechance sei ihr nicht einzuräumen. Ihr Vortrag zu angeblich erbrachten Leistungen des Büros G. D. sei weiterhin unklar, verspätet und nicht geeignet, die Erkundigungen der Antragsgegnerin in Frage zu stellen. Es bestehe kein Zweifel, dass die Antragstellerin ihre technische und berufliche Leistungsfähigkeit nicht nachgewiesen habe, wie die Mitarbeiter der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Senat erläutert hätten.
49
Mit den Regelungen zur Wertung nur einer Referenz bzw. der Festlegung, dass derjenige die Leistung ausführen müsse, der die Referenz einbringe, habe die Antragsgegnerin als Sektorenauftraggeberin eine zulässige Festlegung vorgenommen. Hieran ändere die aktuelle Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nichts. Auch die Forderung nach einem Referenzschreiben sei kein inhaltliches Eignungskriterium, sondern eine bestimmte Nachweisforderung, für die sich die Antragsgegnerin zulässigerweise entschieden habe. Die Antragsgegnerin verlange auch nicht, dass dieser Referenznehmer allein die zugehörige Leistung durchführen müsse. Die Antragstellerin habe aber keine tatsächliche Leistungserbringung durch das Büro G. M. angeboten, damit komme es auf deren Referenzen nicht an.
50
Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Antragsgegnerin in Bezug auf die Eignung ein weiter Beurteilungsspielraum zustehe, der der Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen weitgehend entzogen sei. Die Antragstellerin habe die erforderlichen Mindestanforderungen an die Eignung nicht erfüllt, jedenfalls aber sei nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin zu dem Schluss gelangt sei, die (strittigen) Leistungen des Büros G. D. seien nicht ausreichend, um die Eignung der Antragstellerin zu bejahen.
51
Die Antragsgegnerin beantragt,
- 1.
-
Der Beschluss der Vergabekammer Südbayern, Regierung von Oberbayern, vom 25. November 2021, Az. 3194.Z3-3_01-21-43, wird aufgehoben.
- 2.
-
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 29. Juni 2021, einschließlich der Erweiterung des Antrags vom 30. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
52
Die Antragstellerin beantragt
die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde.
53
Die Vergabekammer habe ihrem Nachprüfungsantrag zu Recht stattgegeben. Eine Überarbeitung der Unterlagen sei notwendig, weil unklar sei, welche Aspekte neben den Mindestbedingungen und den Auswahlkriterien für die Vergleichbarkeit von Referenzprojekten maßgeblich seien. Ähnliches gelte für die Frage, welche Leistungen erbracht worden sein müssen, damit die jeweiligen Leistungsphasen als erfüllt anzusehen seien. Die Antragsgegnerin, die ihre Vorgaben viel enger interpretiere, als dies objektiv in den Unterlagen zum Ausdruck komme, habe die Antragstellerin zu Unrecht von der Teilnahme ausgeschlossen. Das Büro G. D. habe ca. 58% der insgesamt zu erbringenden Leistungen bei dem Referenzprojekt U … erbracht. Zwar habe das Büro V. die Planungsleistungen für den Streckentunnel und den Bahnhof in wesentlichen Teilen durchgeführt, gleichwohl habe das Büro G. D., wie umfänglich dargelegt, auch an diesen Leistungsteilen mitgewirkt. Dementsprechend seien auch die Angaben im Teilnahmeantrag, insbesondere die Erklärung zu „Eigenleistungen“ weder falsch noch irreführend. Darüber hinaus sei der Nachprüfungsantrag auch bezogen auf weitere Verstöße zulässig und begründet. Die Antragsgegnerin habe die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit in einer Bietergemeinschaft rechtswidrig eingeschränkt. Wegen der Beschränkung der Wertbarkeit nur einer Referenz und des Gebots der Selbstausführung durch den Referenznehmer werde eine auch nur teilweise Mitarbeit eines Mitglieds einer Bietergemeinschaft ohne Referenz ausgeschlossen, es sei nicht einmal eine Zusammenarbeit von Unternehmen mit Referenzen zu unterschiedlichen Leistungen möglich. Wegen dieser rechtswidrigen Vorgabe habe die Antragstellerin die Tätigkeit des Büros G. M. auf „Unterstützungsleistungen“ beschränken müssen. Ergänzend macht die Antragstellerin geltend, der Auftrag falle gar nicht in den Anwendungsbereich der SektVO, vielmehr seien die Vorschriften der VgV einschlägig.
54
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt in der Sache erfolglos. Die Vergabekammer hat zu Recht eine Zuschlagserteilung untersagt, denn es liegen weder die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) GWB vor noch kann auf der Grundlage der erstellten Vergabeunterlagen deren Eignung verneint werden. Vielmehr ist im Falle des Fortbestehens des Beschaffungsbedarfs eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Abgabe der Teilnahmeanträge und Überarbeitung der Vergabeunterlagen vor erneuter Durchführung des Teilnahmewettbewerbs notwendig. Es ist dann Sache der Antragsgegnerin, anhand der festgelegten Kriterien zu überprüfen, ob die Antragstellerin im Falle einer erneuten Bewerbung die Teilnahmeanforderungen erfüllt.
55
1. In Übereinstimmung mit der Vergabekammer hält der Senat den Nachprüfungsantrag weitgehend für zulässig.
56
a) Tragfähige Einwände gegen die von der Vergabekammer bejahte Antragsbefugnis der Antragstellerin (§ 160 Abs. 2 GWB) enthält das Beschwerdevorbringen nicht. Sie hat mit ihrem Teilnahmeantrag Interesse am Auftrag gezeigt und eine Verletzung ihrer Rechte durch die Nichtbeachtung bieterschützender Vergabevorschriften dargetan. Insoweit genügt, dass nach ihrer Darstellung eine Rechtsverletzung möglich erscheint (Horn/Hoffmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 29 f.; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, GWB § 160 Rn. 9). Ob sie - sei es wegen Irreführung oder wegen fehlender Eignung - zu Recht von der Teilnahme ausgeschlossen worden ist, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Nachprüfungsantrags. Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass ein Teilnahmeantrag der Antragstellerin im Falle der Korrektur des Vergabeverfahrens von vorneherein offensichtlich erfolglos wäre. Es gibt weder gesicherte Erkenntnisse dazu, welche konkreten Anforderungen die Antragsgegnerin nach einer Überarbeitung der Vergabeunterlagen an eine Teilnahme stellen wird, noch lässt sich bereits jetzt absehen, dass die Antragstellerin nicht bereit und in der Lage sein wird, etwaige Vorgaben bei einer neuen Bewerbung zu erfüllen.
57
Die Antragstellerin hat auch dargelegt, dass die Aussichten auf Berücksichtigung ihrer Bewerbung gerade durch die von ihr gerügten Vergabeverstöße beeinträchtigt worden sein könnten. Offensichtlich ist dies für den erklärten Teilnahmeausschluss, aber auch für die weiteren geltend gemachten Verstöße ist ein drohender Schaden zu bejahen. So hat die Antragstellerin geltend gemacht, dass sie wegen der Forderung nach einem Referenzschreiben, der Beschränkung auf die Wertung einer Referenz und der Regelungen zur Ausführung der Leistung durch den Referenznehmer das Büro G. M. lediglich zur „Unterstützung“ habe vorsehen können. Auf der Grundlage ihres Vorbringens kommt damit eine Beeinträchtigung ihrer Wettbewerbschancen durch die gerügten Vergabeverstöße in Betracht. Gleiches gilt für die strittigen Unklarheiten und behaupteten Widersprüchlichkeiten der Vergabeunterlagen.
58
b) Die Antragstellerin ist - abgesehen von der im Beschwerdeverfahren nicht mehr thematisierten unterlassenen Losaufteilung - mit ihren Rügen nicht präkludiert. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen unter Ziffern II.1.2 bis 1.5 des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen werden. Konkrete Angriffe auf die ausführlichen und rechtlich zutreffenden Erwägungen der Vergabekammer sind im Beschwerdeverfahren nicht vorgetragen worden.
59
2. Zu Recht hat die Vergabekammer dem Nachprüfungsantrag weitgehend stattgegeben.
60
a) Der von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 27. Juli 2021 erklärte Ausschluss der Antragstellerin wegen fahrlässiger Übermittlung irreführender Informationen ist rechtswidrig.
61
aa) Nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) GWB können öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme am Verfahren ausschließen, wenn das Unternehmen fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln. Gemäß § 142 GWB gilt die Norm auch für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber. Irreführend ist eine Information, wenn sie bei objektiver Betrachtung dazu geeignet ist, beim Adressaten der Erklärung einen Irrtum über deren Inhalt hervorzurufen (J. Ley in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, GWB § 124 Rn. 192; Conrad in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, 2016, GWB § 124 Rn. 190). Hierunter fallen vorrangig Erklärungen, die bereits für sich genommen nicht der Wahrheit entsprechen, in Betracht kommen auch Angaben, die aufgrund der Umstände falsch zu verstehen sind. Der ausgesprochen weit gefasste Ausschlusstatbestand bedarf angesichts der damit verknüpften scharfen Sanktionsmöglichkeit einer einschränkenden Auslegung. So kann nicht jede Widersprüchlichkeit oder Unklarheit eines Angebots, eines Teilnahmeantrags oder einer sonstigen Erklärung eines Unternehmens im Vergabeverfahren, welche einer Aufklärung zugänglich ist, bereits für sich genommen als (versuchte) Irreführung des Auftraggebers aufgefasst werden (J. Ley, a. a. O., Opitz in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 124 Rn. 123; Hausmann/von Hoff in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl. 2020, GWB § 124 Rn. 94; Kling in Immenga/Mestmäcker, WettbewerbsR, 6. Aufl. 2021, GWB § 124 Rn. 120). Zwar trifft zu, dass etwaige irreführende Informationen die Vergabeentscheidung nicht „erfolgreich“ beeinflusst haben müssen, vielmehr genügt die Möglichkeit der Beeinflussung, doch rechtfertigt die Tatsache, dass ein Bewerber mit seinem Verständnis zum Inhalt der Vergabeunterlagen im Nachprüfungsverfahren nicht durchdringt oder eine Frage anders versteht als der Auftraggeber, nicht ohne weiteres einen Ausschluss wegen Irreführung. Es ist vielmehr zu berücksichtigen, inwieweit die Vorgaben in den Vergabeunterlagen oder die Fragen der Vergabestelle, auf die sich die Erklärung des Unternehmens bezieht, hinreichend klar und eindeutig sind. Angaben zu missverständlichen, mehrdeutigen oder unklaren Vorgaben sind nicht ohne weiteres objektiv falsch bzw. irreführend (Opitz, a. a. O., Rn. 124; vgl. auch Kling in Immenga/Mestmäcker, WettbewerbsR, 6. Aufl. 2021, GWB § 124 Rn. 120). Auch bei unvollständigen oder lückenhaften Angaben ist kritisch zu prüfen, ob ihnen ein konkreter, irreführender Aussagegehalt beigemessen werden kann.
62
bb) Hiervon ausgehend rechtfertigen die Angaben der Antragstellerin in ihrem Teilnahmeantrag nicht deren Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) GWB.
63
In Übereinstimmung mit der Vergabekammer qualifiziert der Senat deren Angaben zum Referenzprojekt U … als unvollständig. Aufgrund der Erläuterungen in der Fußnote des Formblatts 4 wäre die Antragstellerin gehalten gewesen, näher zu beschreiben, wie die Zusammenarbeit im Rahmen der ARGE gestaltet war und welche konkreten Aufgaben das Büro G. D. im Rahmen dieses Projekts wahrgenommen hat. Dies folgt aus der Vorgabe, es sei darzustellen, ob die Leistungen als vollständige Eigenleistung oder in Kooperation erbracht wurden. Bei nicht vollständiger Eigenleistung sollte angegeben werden, welche Leistungen als Eigenleistungen durchgeführt wurden. Die Antragstellerin hat zwar offengelegt, dass ihr Mitglied im Rahmen einer ARGE tätig war, beschrieben hat sie aber nur das Projekt als solches, insbesondere dessen technischen Besonderheiten und dessen Bau- bzw. Kostenvolumen, eine Darlegung der konkreten Einzelleistungen des Büros G. D. fehlt. Hierzu enthält die Kurzbeschreibung auf Seite 1 des Formblatts nur die Aussagen, „Objekt- und Tragwerkplanung für konstruktive Ingenieurbauwerke für Verkehrsanlagen (Eigenleistung)“ und „Gesamtleistung inklusive Verkehrsanlagenplanung wurde in Ingenieurgemeinschaft erbracht“. Tatsächlich hat die Antragstellerin nicht alle Leistungen ausschließlich selbst, also nur mit eigenem Personal durchgeführt, was schon die Tatsache der Kooperation innerhalb einer ARGE nahelegt. Insoweit hätte Veranlassung bestanden, die eigenen Leistungen bzw. die Aufgabenverteilung inhaltlich näher darzulegen.
64
Legt man die Darstellung der Antragstellerin zugrunde, sah sie sich allerdings vor dem Hintergrund einer engen, ineinandergreifenden Zusammenarbeit der ARGEMitglieder in Bezug auf die Objekt- und Tragwerksplanung als berechtigt an, die Leistungen ihres Büros in der gewählten, kurzen Form und mit dem Zusatz „Eigenleistung“ zusammenzufassen, mag es auch Leistungen gegeben haben, die allein von einem der beiden Büros erarbeitet worden sind. Ihre Erklärung beruht auf dem rechtlichen Vorverständnis zu den Vorgaben in den Vergabeunterlagen, das die Antragstellerin auch im Nachprüfungsverfahren vertritt. Zum Referenzprojekt U …, das ebenfalls in Bewerbergemeinschaft realisiert worden ist, hat die Antragstellerin auch keine ausführlicheren Angaben gemacht, lediglich für das Referenzprojekt U …, bei dem es Unstimmigkeiten mit der Antragsgegnerin zum Umfang der erbrachten Leistungen gab, hat sie ihre Leistungen umfangreich geschildert.
65
Die Antragsgegnerin hält demgegenüber die Erklärungen der Antragstellerin zum Referenzprojekt U … deshalb für falsch bzw. irreführend, weil sie die Vergabeunterlagen anders interpretiert. Sie meint, eine „in Eigenleistung erbrachte vergleichbare Referenz“ erfordere eine eigene, wesentliche Planungsleistung in Bezug auf den unterirdischen Teil eines Ingenieurbauwerks, das entsprechend den Mindestvorgaben anrechenbare Nettokosten von mindestens 10 Mio. € haben muss. Dementsprechend misst sie der Erklärung der Antragstellerin den - unwahren - Aussagegehalt bei, das Büro G. D.habe bei der U … derartige Planungsleistungen selbst erbracht. Maßgeblich ist jedoch nicht die subjektive Interpretation einer Seite, sondern das Verständnis aus der objektiven Sicht eines verständigen Bieters oder Bewerbers. Die Qualifikation der Erklärung der Antragstellerin als irreführend hängt somit maßgeblich davon ab, wie klar und eindeutig aus den Vergabeunterlagen zu entnehmen ist, was unter einer „vergleichbaren Referenz“ zu verstehen ist, die „eigenständig“ erbracht worden sein muss.
66
Wie die Vergabekammer im Einzelnen zutreffend aufgezeigt hat, sind die Vergabeunterlagen in diesen Punkten unklar. Der in diesem Zusammenhang geltend gemachte Einwand der Antragsgegnerin, das Informationsmemorandum sei gegenüber der Auswahlmatrix nachrangig, da eine Verlinkung der Matrix in der Bekanntmachung erfolgt sei, vermag nicht zu überzeugen. Abgesehen davon, dass die Bekanntmachung einen unmittelbaren Zugang zu den gesamten Auftragsunterlagen enthält und gerade keine Rangfolge zwischen dem Informationsmemorandum und der Auswahlmatrix festgelegt wurde, folgt die Unklarheit aus der Gesamtschau der Vergabeunterlagen. Auch die Tatsache, dass die Auswahlmatrix eine Anlage zum Informationsmemorandum ist, spricht nicht für, sondern eher gegen einen Vorrang der Matrix.
67
Die Antragsgegnerin hat in den Vergabeunterlagen nicht näher erläutert, welche Kriterien für eine vergleichbare Referenz erforderlich sind, sie hat insbesondere nicht festgelegt, dass ein Referenznehmer im Rahmen eines mit der geplanten UBahnlinie vergleichbaren Projekts bestimmte konkrete Tätigkeiten eigenständig durchgeführt haben muss. Damit ist im Wege der Auslegung der Vergabeunterlagen, insbesondere unter Berücksichtigung der Beschreibung der Beschaffung, der Mindestvorgaben und der Auswahlkriterien zu ermitteln, ob objektiv hinreichend klare Kriterien für eine „vergleichbare Referenz“ festgelegt sind. Es wird nicht verkannt, dass das beabsichtigte Bauvorhaben umfangreich, anspruchsvoll und komplex ist und dass deshalb ein Bewerber ausreichende Vorerfahrungen benötigt, um die ausgeschriebenen Objekt- und Tragwerksplanungsleistungen ordnungsgemäß erbringen zu können. Betrachtet man jedoch die Mindestkriterien, die sich aus der Bekanntmachung und den Auftragsunterlagen ergeben, fordert die Antragsgegnerin für die Leistungsbereiche A.1 und B.1 lediglich, dass es sich bei dem Referenzbauwerk um ein unterirdisches Bauwerk handelt mit anrechenbaren Herstellungskosten von mindestens 10 Mio. € netto. Ansonsten hat sich die Antragsgegnerin darauf beschränkt, ein vom Referenzgeber unterzeichnetes Referenzschreiben zu fordern. Genauere Festlegungen, welche Voraussetzungen ein Bewerber in Bezug auf seine technische und berufliche Leistungsfähigkeit mitbringen muss, sind nicht erfolgt.
68
Ein weiterer wesentlicher Aspekt für die Frage, welche Anforderungen an „vergleichbare Leistungen“ gestellt werden, ist die Festlegung der Auswahlkriterien. Ein Auswahlkriterium kann nur dann Bedeutung erlangen, wenn der Bewerber als grundsätzlich geeignet angesehen wird, ansonsten bedarf es keiner Bewertung seines Antrags im Zuge einer Auswahl. Was somit als Auswahlkriterium gewählt wird, kann nicht zugleich Eignungskriterium sein. Zu Recht weist die Antragstellerin darauf hin, dass die Antragsgegnerin wesentliche und charakteristische Besonderheiten der Beschaffung in die Auswahlkriterien aufgenommen hat. Punkte für die Auswahlentscheidung erzielt ein Bewerber in den Leistungsbereichen A.1 und B.1 u. a. dann, wenn er eine Referenz „Planungsleistungen für einen Untergrundbahnhof mit Sperrengeschoss und Bahnsteigebene“ vorweisen kann. Bei den Leistungsbereichen I. und J. werden „Planungsleistungen für Tunnelbauprojekte“ positiv bewertet. Außerdem erhält der Bewerber für jede erbrachte Leistungsphase Punkte, wobei - wie die Vergabekammer zutreffend festgestellt hat - bei den Leistungsphasen 6 und 7 Planungsleistungen gar keine Rolle mehr spielen. Auch der Umstand, dass Referenzen für die Leistungsbereiche „Objekt- und Tragwerksplanung“ gefordert waren, führt in Bezug auf die konkreten Erfahrungen, die ein Referenznehmer vorweisen muss, nicht zu der von der Antragsgegnerin vertretenen Auslegung. So zählen zu den Grundleistungen nach § 43 HOAI (Objektplanung - Leistungsbild Ingenieurbauwerk) bzw. § 47 HOAI (Objektplanung - Leistungsbild Verkehrsanlagen) i. V. m. den Anlagen 12 bzw. 13 nicht nur Planungsleistungen im engeren Sinne, sondern vielfältige Tätigkeiten, zumal wenn man die verschiedenen Leistungsphasen betrachtet. Aus den Vergabeunterlagen ergibt sich nicht, ob bestimmte und ggf. welche Leistungsphasen der Bewerber im Rahmen des Referenzprojekts erbracht haben muss, um teilnehmen zu können, erkennbar ist nur, dass ein Bieter mit manchen Leistungsphasen seine Chancen bei der Auswahl steigern kann, weil er für deren Nachweis mehr Punkte erhält. Im Nachprüfungsverfahren hat die Antragsgegnerin hierzu erklärt, es sei nicht erforderlich, dass ein Bewerber Erfahrungen in allen oder nur bestimmten Leistungsphasen vorweisen könne, dies sei nur für die Auswahl von Bedeutung, an anderer Stelle hat sie die Bedeutung der ersten beiden Leistungsphasen herausgestellt, zuletzt hat sie erklärt, die Leistungsphasen 3, 5, 6 und 7 der HOAI seien „relevanter“ als die Leistungsphasen 1 und 2 (Schriftsatz vom 20. Juli 2022, S. 5).
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Eine weitere Unsicherheit resultiert daraus, dass im Formblatt 4 ausweislich der Fußnote zum Abschnitt „Kurzbeschreibung Projekt“ eine „teilweise“ eigenständige Erbringung abgefragt wird. Dies spricht dafür, dass eine vollständige Eigenleistung nicht gefordert wird, was auch die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren bestätigt. Im Dunkeln bleibt aber, welche „Teilleistung“ ausreichend ist. Denkbar ist beispielsweise, dass die Antragsgegnerin ein Mindestmaß an prozentualem Anteil für erforderlich hält oder dass sich die Teilleistung auf eine bestimmte Aufgabe oder Tätigkeit innerhalb eines Projekts beziehen muss. Die Antragsgegnerin hat hierzu in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie habe wegen der Schwierigkeiten, dies näher einzugrenzen, von weiteren Erläuterungen in der Meinung abgesehen, es bliebe dann ihrem Beurteilungsspielraum überlassen, Angaben des Bewerbers zu bewerten. Dabei lässt sie jedoch außer Acht, dass die Ausübung eines Beurteilungsspielraums einen durch objektiv hinreichend klare Kriterien festgelegten Rahmen voraussetzt.
70
Selbst wenn man einbezieht, dass für ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit - jedenfalls im Anwendungsbereich des § 122 Abs. 4 GWB - die Kernelemente der ausgeschriebenen Leistung maßgeblich sind (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/11, juris Rn. 87; OLG München, Beschluss vom 13. März 2017, Verg 15/16, juris Rn. 86), bleibt damit unklar, welche Leistungselemente für eine „vergleichbare Referenz“ notwendig sind. Insbesondere kann den Vergabeunterlagen keine klare Vorgabe dahingehend entnommen werden, dass der Bewerber eigenständig wesentliche Planungsleistungen bezogen auf den unterirdischen Teil eines Ingenieurbauwerks erbracht haben muss.
71
Angesichts der Unklarheit, welche konkreten Tätigkeiten ein Bewerber im Rahmen einer ARGE selbst erbracht haben muss, um sich auf ein Referenzprojekt stützen zu können, ist die Interpretation der Antragstellerin, aufgrund der Mitwirkung ihres Büros an dem Bauvorhaben U … könne sie sich auf diese Referenz „als Eigenleistung“ stützen, jedenfalls vertretbar. Die Antragsgegnerin bestreitet nicht, dass das Büro G. D. zumindest für bestimmte Bereiche des Referenzvorhabens (oberirdischer Teil, Trogbauwerke/Rampen u. a.) verantwortlich war, zu den Aspekten „Gesamtplanung“ und „Geschäftsführung“ verweist sie lediglich darauf, dass dies ebenfalls nichts ändere. Das Büro G. D. hat somit Planungsleistungen erbracht, mag auch streitig sein, ob und in welchem Umfang sich diese auch auf den unterirdischen Teil des U-Bahnprojekts beziehen. Darüber hinaus ist nachvollziehbar, dass die Antragstellerin im Hinblick auf die weiteren geltend gemachten Tätigkeiten des Büros (Teilnahme an Besprechungen für die Gesamtplanung, Einbringung von eigenen Erfahrungen in die Planung der Tunnelvarianten, gemeinsame Erarbeitung der Variantenuntersuchung, technische Geschäftsführung u. a.) von einer „Gesamtleistung in Ingenieurgemeinschaft“ ausgegangen ist, die es rechtfertigt, sich das gesamte Projekt als „Eigenleistung“ zuzurechnen und auch die Nachfragen zu den Leistungsphasen durchgängig mit „ja“ zu beantworten. Das Büro G. D. war insoweit nicht nur Mitglied der ARGE, was objektiv nicht ausreichend wäre, um sich auf die Referenz zu berufen, sondern war an Leistungen, auf deren Ausführung sie sich beruft, tatsächlich und konkret beteiligt (vgl. EuGH, Beschluss vom 4. Mai 2017, C - 387/14 - Esaprojekt, juris Rn. 62 f.).
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cc) An diesem Ergebnis ändert der Hinweis der Antragsgegnerin auf einen vom Oberlandesgericht Naumburg entschiedenen Fall nichts, da die Sachlage dort gänzlich anders war. Wesentlich für die Entscheidung dieses Falles war, dass für den Bieter, der gebrauchte, abgeschriebene Telefone liefern wollte und deshalb einen besonders günstigen Preis anbieten konnte, aus den Unterlagen zweifelsfrei erkennbar war, dass es sich hierbei nicht um die geforderte Leistung handelt (OLG Naumburg, Beschluss vom 8. September 2019, 7 Verg 1/19, juris Rn. 37 ff.). Vorliegend fehlt es dagegen an klaren und eindeutigen Vorgaben in den Vergabeunterlagen.
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dd) Da aus den dargelegten Gründen schon die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) GWB nicht vorliegen, kommt es auf weitere Fragen, wie etwa das Verhältnis der Regelung zum Ausschlussgrund wegen arglistiger Täuschung nach § 124 Abs. 1 Nr. 8 GWB, nicht an. Auch muss nicht entschieden werden, ob die Antragsgegnerin ausreichend Aufklärung betrieben und ihr Ermessen korrekt ausgeübt hat, wobei zu bemerken ist, dass sie die Antworten der Antragstellerin weder zum Anlass für eine weitere Aufklärung des Sachverhalts genommen (etwa durch Überprüfung der Angaben zu den erbrachten Leistungen) noch die Möglichkeit eines Missverständnisses bei einer Abwägung berücksichtigt hat.
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b) Ebenfalls rechtlich nicht haltbar ist der mit Schreiben vom 27. Juli 2021 ausgesprochene Ausschluss der Antragstellerin wegen fehlender Eignung. Die Frage, ob die Antragsgegnerin in Bezug auf die Leistungsbereiche A.1 und B.1 die im Teilnahmeantrag genannten Referenzen des Büros G. M. zu Unrecht außer Acht gelassen hat, weil die Antragstellerin als Aufgabe dieses Büros im Formblatt 2 nur „Unterstützung“ angegeben hat, kann dahinstehen. Damit bedürfen auch die weiteren damit zusammenhängenden, bereits von der Vergabekammer offengelassenen Streitpunkte, insbesondere die Frage, ob rechtskonform festgelegt ist, dass das Mitglied der Bewerbergemeinschaft als Referenznehmer die Leistung „wie ein Nachunternehmer“ zu erbringen habe, keiner Entscheidung. Denn es ist bereits die Eignungsprüfung in Bezug auf die im Rahmen der Teilnehmerauswahl weitaus erfolgversprechendere Referenz U … nicht fehlerfrei.
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Wie unter Ziffer 2. a) dargelegt, ergeben sich aus den Vergabeunterlagen die Anforderungen an die Vergleichbarkeit der Referenz nicht hinreichend eindeutig und transparent. Da es an einem ausreichend klar festgelegten Maßstab für die Vergleichbarkeit fehlt, lässt sich auch nicht feststellen, dass das Büro G. D. aufgrund der von seinen Mitarbeitern im Rahmen des Referenzprojekts U … erbrachten Leistungen keine hinreichenden Erfahrungen für das streitgegenständliche Projekt erworben hat.
76
Es bedarf vielmehr zunächst einer Korrektur der Vergabeunterlagen und Beseitigung der Unklarheiten, welche objektiven Kriterien die Antragsgegnerin verlangt bzw. welche Anforderungen sie an die technische und berufliche Eignung eines Teilnehmers stellt. Erst dann ist eine rechtskonforme Beurteilung möglich, ob der Bewerber diese Kriterien erfüllt und damit in die Bewerberauswahl kommt.
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aa) Die Antragsgegnerin hat zu Recht eine Ausschreibung nach der SektVO durchgeführt. Gemäß § 102 Abs. 4 GWB zählt im Bereich der Verkehrsleistungen nicht nur das Betreiben, sondern auch das Bereitstellen von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Eisenbahn, automatischen Systemen u. a. zur Sektorentätigkeit. Der Ausdruck „Bereitstellung von Netzen“ wurde erst mit der RL 2004/17/EG (gültig bis 17. April 2016, nunmehr RL 2014/25/EU) eingeführt, damit die in ihr vorgesehenen Vergabeverfahren auch auf die Verwaltung physischer Netze wie Bahntrassen, Bahnanlagen, Tunnel, Brücken und Bahnübergänge Anwendung finden (EuGH, Urt. v. 28. Februar 2019, C - 388/17, juris Rn. 52). Der Senat hat keinen Zweifel, dass der zu vergebende Auftrag, der zum Zwecke der Erweiterung des vorhandenen Schienennetzes durch die Errichtung einer neuen U-Bahnstrecke mit Bahnkörpern, Haltestellen und sämtlichen notwendigen technischen Anlagen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen erteilt werden soll, als Sektorentätigkeit zu qualifizieren ist.
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bb) Sektorenauftraggeber können gemäß § 142 Nr. 1 GWB abweichend von § 122 Abs. 1 und 2 GWB für die Auswahl der Bewerber und Bieter andere Eignungskriterien heranziehen als die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit oder die technische und berufliche Leistungsfähigkeit. Diese anderen Kriterien müssen lediglich „objektiver Natur“ und allen interessierten Unternehmen zugänglich sein, also zuvor transparent gemacht worden sein (Marx in Münchner Kommentar zum WettbewerbsR, 4. Aufl. 2022, GWB § 142 Rn. 3; Jansen in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 142 Rn. 12), was nicht ausschließt, dass der Sektorenauftraggeber auf die Eignungskriterien als „objektive Kriterien“ rekurriert (Kling in Immenga/Mestmäcker, WettbewerbsR, 6. Aufl. 2021, GWB § 142 Rn. 8).
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cc) Die Antragsgegnerin hat sich vorliegend ausweislich Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung dazu entschieden, als Eignungskriterium die Vorlage von jeweils einer Referenz „vergleichbarer Leistungen“ aus den Leistungsbereichen A.1 und B.1 zu fordern.
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(1) Grundsätzlich dient die Eignungsprüfung gemäß § 122 GWB der Sicherstellung, dass das Unternehmen, das beauftragt werden soll, über hinreichende Erfahrungen und Qualifikationen sowie die personellen und fachlichen Ressourcen zur ordnungsgemäßen Ausführung des Auftrags verfügt. Es ist Sache des öffentlichen Auftraggebers, die Eignungskriterien vorab transparent und klar festzulegen, da ohne einen solchen Maßstab eine Eignungsprüfung nicht möglich ist. Nichts anderes gilt in Bezug auf „objektive Kriterien“, wie sie im Sektorenbereich vorgegeben werden können. Der Auftraggeber darf die Eignung des Bewerbers, insbesondere seine für die ordnungsgemäße Leistungserbringung erforderliche Leistungsfähigkeit, nach der Rechtsprechung nur an den Kriterien messen, die in den Vergabeunterlagen genannt sind oder die sich unter Berücksichtigung von Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen sowie des vorgesehenen Ausführungszeitraums zwingend und für die Bieter transparent aus der Sache ergeben (vgl. BGH, Urt. vom 6. Oktober 2020, XIII ZR 21/19 - Ortenau-Klinikum, NZBau 2021, 57 Rn. 22). Dies korrespondiert mit der Forderung, dass ein Bewerber bei Durchsicht der Vergabeunterlagen erkennen können muss, ob er am Wettbewerb mit Aussicht auf Erfolg teilnimmt, er also „Adressat“ der Ausschreibung ist und für einen Zuschlag in Betracht kommt. Die singuläre Forderung einer Referenz ohne Rückbezug zu eigenständig definierten Eignungskriterien ist nach der Rechtsprechung zulässig, sofern aus der Referenz Rückschlüsse auf damit mittelbar gestellte Eignungskriterien möglich sind. Die Referenz stellt in einem solchen Fall nicht nur einen Nachweis für die Eignung dar, sondern definiert zugleich konkludent die materiellen Eignungskriterien (OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21, juris Rn. 73 m. w. N.). Verzichtet der Auftraggeber - wie hier - auf eine eigene Definition der Eignungskriterien, indem er allein eine Referenz fordert, ist damit aus der Sicht eines durchschnittlich erfahrenen Bieters zu beurteilen, ob und wenn ja, welche konkludenten Eignungskriterien mit der Referenzforderung verbunden sind. Unklarheiten gehen dabei zu Lasten des Auftraggebers (OLG Frankfurt, a. a. O., Rn. 74 ff.).
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(2) Obwohl der Auftragsgegenstand zweifelsfrei komplex ist und der Antragsgegnerin bei der Auswahl der Eignungskriterien gewisse Freiräume zukommen (vgl. OLG Frankfurt, a. a. O., Rn. 71 m. w. N. [zu den Grenzen nach § 122 GWB]), hat sie, wie dargelegt, nicht näher beschrieben, was sie als „vergleichbare Referenz“ ansieht. Es wurden zwei Mindestbedingungen für die Wertbarkeit einer Referenz vorgegeben, nämlich anrechenbare Kosten „unterird. Ingenieurbauwerk netto ≥ 10 Mio. €“ sowie die Einreichung einer durch Unterschrift bestätigten Referenzbescheinigung durch den Referenzgeber. Abgesehen davon wurden wesentliche Elemente der zu beschaffenden Leistung als Auswahlkriterien festgelegt und Eigenleistungen (auch Teilleistungen) abgefragt, ohne ausreichend klar festzulegen, welche konkreten Vorerfahrungen bereits für die Eignungsprüfung zwingend erforderlich sind.
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dd) Es kann anhand der diesbezüglich unklaren Vorgaben der Antragsgegnerin nicht festgestellt werden, dass die Referenz U …, auf die sich die Antragstellerin stützt, keine „vergleichbare Referenz“ ist. Auf etwaige Angaben auf der Homepage der Antragstellerin kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, sie ermöglichen auch keinerlei Schlussfolgerungen dahingehend, dass die Antragstellerin „nur Brücken und keine unterirdischen Bauwerke“ planen könnte.
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Wie die Antragsgegnerin selbst zugesteht, ist das Bauvorhaben U … als solches mit dem streitgegenständlichen Neubau einer U-Bahnlinie durchaus vergleichbar und somit ein geeignetes Referenzprojekt. Die Problematik liegt damit in den erbrachten Leistungen des Büros G. D..
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Wie Referenzprojekte zu behandeln sind, die im Rahmen einer ARGE erarbeitet wurden, ergibt sich aus den Vergabeunterlagen nicht, insbesondere ist auch nicht erkennbar, dass der Bewerber über eine Referenz verfügen muss, bei der er wesentliche Planungsleistungen in Bezug auf den unterirdischen Teil des Bauwerks eigenständig mit eigenem Personal durchgeführt hat. Der Senat verkennt nicht, dass allein die Mitgliedschaft in einer ARGE nicht dazu führt, dass jedes Mitglied nach Abschluss eines Vorhabens über ausreichende technische Erfahrungen in Bezug auf alle Leistungsbereiche des Projekts verfügt. Dies bedeutet aber auch nicht, dass eine Referenz nur dann herangezogen werden kann, wenn das ARGE-Mitglied eine Leistung allein und selbständig durchgeführt hat. Es kommt vielmehr auf die konkrete Ausgestaltung der Mitwirkung und die Verantwortlichkeiten der ARGE-Partner an (vgl. hierzu auch EuGH, Beschluss vom 4. Mai 2017, C - 387/14 - Esaprojekt, juris Rn. 62 f.). Tatsächlich war das Büro G. D. an dem Bauvorhaben U … selbst beteiligt und hat dort Leistungen eigenständig durchgeführt.
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Den Vergabeunterlagen kann der fachkundige Bewerber damit nicht entnehmen, dass er nur dann in die Teilnehmerauswahl gelangen kann, wenn er über die von der Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren geforderten Referenzen verfügt, und nicht auch die Erfahrungen genügen, die das Büro G. D. im Rahmen der von der Antragstellerin geschilderten Zusammenarbeit erworben hat.
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Dies schließt nicht aus, dass die Antragsgegnerin im Zuge einer Überarbeitung der Vergabeunterlagen präzisere Vorgaben macht, denn sie hat bei der Festlegung der objektiv zu erfüllenden Kriterien nicht unerhebliche Spielräume, die sie allerdings auch konkret nutzen und ausfüllen muss.
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ee) Weder die Tatsache, dass sich die Antragsgegnerin in den Vergabeunterlagen eine Eignungsprüfung vorbehalten hat, noch dass ihr bei der Beurteilung der Eignung nach der Rechtsprechung anerkanntermaßen ein Beurteilungsspielraum zukommt, führt zu einem anderen Ergebnis.
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Die Regelung in Ziffer III.1.4) wiederholt lediglich die gemäß § 142 GWB i. V. m. § 122 GWB ohnehin bestehende Pflicht des Auftraggebers zur Eignungsprüfung bzw. Prüfung des Vorliegens der von ihm vorgegebenen objektiven Kriterien.
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Auch der Senat erkennt einen Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers bei der Bewertung der Frage der Vergleichbarkeit der Referenz an, der nur eingeschränkt überprüft werden kann, insbesondere darauf, ob von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen worden ist und allgemeine Wertungsgrundsätze beachtet wurden sowie keine sachwidrigen Erwägungen in die Wertung eingeflossen sind (BayObLG, Beschluss vom 9. November 2021, Verg 5/21, juris Rn. 112 m. w. N.). Die Ausübung des Beurteilungsspielraums setzt jedoch voraus, dass sich aus den Vergabeunterlagen transparent die geforderten Eignungskriterien ergeben. Bestehen diesbezüglich Widersprüchlichkeiten oder Unklarheiten, kann dies nicht dadurch überwunden werden, dass sich der Auftraggeber auf seinen Beurteilungsspielraum beruft.
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Selbst wenn man dies anders sehen wollte, hätte die Antragsgegnerin ihren Beurteilungsspielraum nicht eingehalten, da sie bei ihrer Eignungsprüfung einen zu engen, nicht aus den Vergabeunterlagen erkennbaren und damit fehlerhaften Maßstab zugrunde gelegt hat.
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ff) Mangels hinreichend klarer Vorgaben zur Eignungsprüfung besteht auch kein Anlass für die Durchführung einer Beweisaufnahme zu den strittigen Details der vom Büro G. D. erbrachten Leistungen. Es ist zunächst Sache der Antragsgegnerin, die festgestellten Unklarheiten und Widersprüche zu beseitigen und damit eine ausreichende Grundlage für eine Eignungsprüfung zu schaffen.
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3. Ob die Forderung nach einem Referenzschreiben als Mindestbedingung von einem Sektorenauftraggeber bei der Vergabe von Planungsleistungen für ein größeres Bauvorhaben generell unzulässig ist, wie die Vergabekammer meint, erscheint zweifelhaft und wird ausdrücklich offengelassen. Es spricht einiges für die Argumentation der Antragsgegnerin, im Sektorenbereich bestehe ein größerer Spielraum, der weder durch nationale noch durch europarechtliche Regelungen derart beschränkt sei, wie die Vergabekammer angenommen habe, es ist aber auch in Betracht zu ziehen, dass diese Frage im Falle einer Entscheidungsrelevanz durch eine Vorlage beim Gerichtshof der Europäischen Union geklärt werden müsste. Vorliegend muss die Antragsgegnerin allerdings die Vergabeunterlagen ohnehin überarbeiten und es ist ungewiss, ob für sie diese Mindestbedingung so bedeutsam ist, dass sie an ihr festhält oder ob sie darauf - was ihr freisteht - im Zuge der Überarbeitung der Vergabeunterlagen verzichtet. Ebenso ungewiss ist, ob die Antragstellerin sich im Falle einer erneuten Teilnahme dadurch in ihren Rechten beeinträchtigt sieht.
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4. Bindende Vorgaben oder Empfehlungen zu den weiteren, von den Verfahrensbeteiligten kontrovers diskutierten Rechtsfragen erfolgen mangels Entscheidungserheblichkeit ebenfalls nicht, zumal auch diesbezüglich Fragen im Raum stehen, die möglicherwiese durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt werden müssten. Es wird insbesondere offengelassen, wie der Senat die von der Vergabekammer in einem obiter dictum aufgezeigte Problematik der Verpflichtung des Referenznehmers, eine Leistung selbst zu erbringen, beurteilt.
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Klarstellend wird lediglich darauf hingewiesen, dass es der Antragsgegnerin auch insoweit unbenommen bleibt, im Zuge der Überarbeitung der Vergabeunterlagen strittige Vorgaben abzuschwächen, abzuändern oder klarer zu fassen. Soweit über Rechtsfragen nicht abschließend entschieden wurde, sind sie in einem weiteren Nachprüfungsverfahren auch nicht präjudiziert.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2 i. V. m. § 71 Satz 1 GWB. Es entspricht der Billigkeit, der Antragsgegnerin, die mit ihrem zentralen Begehren, den Wettbewerb ohne Teilnahme der Antragstellerin bzw. ohne Korrektur der Vergabeunterlagen fortsetzen zu können, unterlegen ist, die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen. Die Kostenentscheidung der Vergabekammer lässt (Ermessens-) Fehler nicht erkennen.
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Bei der Streitwertfestsetzung (§ 50 Abs. 2 GKG) folgt der Senat den Angaben der Antragsgegnerin, denen die Antragstellerin nicht entgegengetreten ist.