Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 21.11.2022 – 1 U 224/22
Titel:

Verwirkung des Widerspruchsrechts trotz fehlerhafter Widerspruchsbelehrung

Normenketten:
VVG aF § 5a Abs. 1 S. 2
BGB § 242
Leitsätze:
1. Auch im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung kann dem VN die Geltendmachung von Rechten nach Widerspruch gem. § 5a VVG aF. wegen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB verwehrt sein, wenn sich dieser im Falle einer ordnungsgemäßen Belehrung in keiner Weise anders verhalten, insbes. ebenso wenig zeitnah zum Vertragsschluss von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht hätte, der VN mit der Ausübung des Widerspruchsrechts vielmehr ausschließlich das Ziel verfolgt, die Rendite zu Lasten der Gemeinschaft der VN zu seinen Gunsten zu verändern. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die insoweit maßgeblichen Rechtsfragen des Gemeinschaftsrechts und des nationalen Rechts sind – auch nach Erlass des Urt. des EuGH v. 9.9.2021 – C-33/20 ua. – NJW 2022, 40 (= BeckRS 2021, 25389) und des Beschl. des VerfGH Rheinland-Pfalz v. 22.7.2022 – VGH B 70/21 – r+s 2022, 613 (= BeckRS 2022, 19380) – als ausreichend geklärt anzusehen, weshalb insofern weder eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV, noch eine Aussetzung des Rechtsstreits, noch die Zulassung der Revision geboten ist. (Rn. 30 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nimmt eine Widerspruchsbelehrung eines nach dem Policenmodell abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrages ohne nähere Konkretisierung auf – in dem erforderlichen Umfang – "überlassene Unterlagen" Bezug, ist sie insoweit nicht unzulänglich. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wird mit einem Widerspruch gegen einen im Policenmodell abgeschlossenen Vertrag ausschließlich das Ziel verfolgt, seine Rendite zu Lasten der Versichertengemeinschaft  zu verändern, ist nach einer achtzehnjährigen Laufzeit des Vertrages das Widerspruchsrecht verwirkt. (Rn. 24 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Policenmodell, Widerspruchsbelehrung, Widerspruchsfrist, Vertragsunterlagen, Verbraucherinformation, Verwirkung, Rendite
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg, Endurteil vom 18.07.2022 – 63 O 74/21
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 17.01.2023 – 1 U 224/22
Fundstellen:
r+s 2023, 202
BeckRS 2022, 34562
LSK 2022, 34562
NJOZ 2023, 904

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 18.07.2022, Az. 63 O 74/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 10.999,64 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 16.12.2022.

Entscheidungsgründe

1
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 18.07.2022, Az. 63 O 74/21, offensichtlich im Sinne des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO die Erfolgsaussicht fehlt und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO weist der Senat die Klägerin auf die beabsichtigte Entscheidung hin und gibt ihr zugleich Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu und zur beabsichtigten Festsetzung des Berufungsstreilwerts.
I.
2
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen, da die Widerspruchsbelehrung einerseits zwar inhaltlich aufgrund der falschen Frist fehlerhaft ist, es der Klägerin jedoch andererseits gern. § 242 BGB verwehrt ist. sich auf den Fehler in der Belehrung zu berufen.
3
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die nicht zu beanstandenden erstinstanzlichen Urteilsgründe Bezug genommen, denen der Senat vollumfänglich beitritt. Im Hinblick auf die Ausführungen in der Berufunqsbegründung sind noch folgende Anmerkungen veranlasst:
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1. Zunächst ist festzuhalten, dass die Berufung die Ausführungen des Erstgerichts zum Zugang der relevanten Unterlagen, den es nach der durchgeführten Beweisaufnahme durch Einvernahme eines Zeugen als nachgewiesen angesehen hat (vgl. LGU S. 7-9), nicht ausreichend angreift. Insofern setzt die Klägerin lediglich ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle des Gerichts, ohne relevante erstinstanzliche Fehler aufzuzeigen (vgl. diesbezüglich 8. 10 der Berufungsbegründung vom 25.10.2022). Zui Vermeidung von Wiederholungen kann im Übrigen vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten hierzu in der Berufungserwiderung vom 08.11.2022 (dort S. 3-7) Bezug genommen werden, denen sich der Senat anschließt. Weitere Ausführungen des Senats diesbezüglich sind nicht angezeigt.
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2. Die Widerspruchsbelehrung ist - abgesehen von der, wie das Landgericht erkannt hat, falschen Frist (vgl. LGU S. 11) - inhaltlich nicht zu beanstanden. Sie enthält sämtliche gesetzlich erforderlichen Informationen, ist unmissverständlich und für den Verbrauchet eindeutig formuliert.
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Dem Einwand der Klägerin, dass die in der Belehrung verwendete Bezugnahme auf den „Erhalt dieser Unterlagen“ nicht hinreichend sei, sondern es der konkreten Bezeichnung der dem Versicherungsnehmer zu übersendenden Unterlagen bedürfe, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr ist die konkrete Belehrung nach der Rechtsprechung des Senats wirksam (vgl. hierzu etwa Senatsurteil vom 29.07.2021, Az. 1 U 490/20,).
7
a) Die fristauslösenden Unterlagen wurden in der Widerspruchsbelehrung hinreichend deutlich benannt unter Einbeziehung des Gesamtinhalts des Policen-Begleitschreibens. Dies ergibt sich aus der Bezugnahme aus dem weiteren Text des Anschreibens:
„Alles, was Sie zu Ihrem Vertrag wissen möchten, ist in dem beigefügten Versicherungsschein ausführlich beschrieben.“
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Hieraus erschließt sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne Weiteres, dass damit der in dem Anschreiben beigefügte Versicherungsschein nebst Bedingungen und Verbraucherinformation gemeint ist In der hier vorliegenden Widerspruchsbelehrung wird nicht an die „Überlassung der Unterlagen“, sondern gerade an die Überlassung „dieser Unterlagen“ angeknüpft. Darüber hinaus wird im letzten Absatz auf den „beigefügten Versicherungsschein“ Bezug genommen. Damit wird für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass damit der dem Schreiben beigefügte Versicherungsschein nebst den darin enthaltenen Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen gemeint ist.
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Insofern schließt sich der Senat der Auffassung des OLG München zu einer eine nahezu identischen Belehrung an (vgl. Hinweisbeschluss vom 11.07.2018, Az. 25 U 1768/18; die gegen den darauf erlassenen Zurückweisungsbeschluss vom 21.08.2021 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 17.07.2019, Az. IV ZR 227/18, zurückgewiesen, vgl. jeweils Anlagenkonvolut B 9). Hierbei heißt es auf S. 4 des Beschlusses:
„Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich nach Auffassung des Senats weder explizit noch inzident, dass in der Widerspruchsbelehrung selbst oder im Kontext stets zwingend die Begriffe „Versicherungsschein“, „Versicherungsbedingungen“ und „Verbraucherinformationen“ verwendet werden müssen, damit die Belehrung inhaltlich ordnungsgemäß ist“.
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Auch § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F. verlange dies nicht. Es genüge, wenn sich dem Versicherungsnehmer aus dem Inhalt des Policebegleitschreibens hinreichend deutlich ergebe, welche Unterlagen er erhalten muss, damit die Widerspruchsfrist zu laufen beginne. Dem Versicherer sei es auch nicht verwehrt, sämtliche relevanten Unterlagen in einer Urkunde zusammenzufassen und diese Urkunde als „Versicherungsschein“ zu bezeichnen, sofern dies dem Versicherungsnehmer (wie hier) deutlich gemacht werde. Wann der Versicherungsnehmer das Anschreiben mit dem beigefügten „Versicnerungsschein“ erhalten habe, könne er offensichtlich eindeutig und ohne Weiteres bestimmen. Eine Aufzählung der Unterlagen möge wünschenswert sein, für eine eindeutige und korrekte Bezeichnung des Fristbeginns sei sie aber nicht zwingend, so das OLG München im zitierten Beschluss.
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Dem kann hier uneingeschränkt gefolgt werden. Dass eine nach § 10a VAG a.F. erforderliche Verbraucherinformation fehlen würde, wurde gerade nicht vorgetragen. Auch vom Bundesgerichtshof wurde bereits bestätigt, dass - sofern die in der Belehrung vollständig genannten Vertragsgrundlagen in der Sache die geforderten Verbraucherinformationen umfassen - dieser Begriff in der Belehrung nicht ausdrücklich genannt werden muss (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2016, Az. IV ZR 28/16, Rn. 8, juris).
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Insbesondere stellte das OLG München in der vorliegenden Konstellation zutreffend auf das Inhaltsverzeichnis des Versicherungsscheins ab, aus welchem ersichtlich wird, dass dieser auch die Versicherungsbedingungon und Verbraucherinformationen enthält. Zudem ist zu beachten, dass das 25seitige Konvolut durchgehend die Überschrift „Versicherungsschein“ trägt, d. h. für den Versicherungsnehmer offensichtlich ist, dass alle für den Beginn der Widerrufsfrist relevanten Unterlagen dort enthalten sind.
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b) Dies entspricht im Übrigen der Auffassung zahlreicher weiterer Obergerichte für gleich- oder ähnlich lautende Belehrungen, welche teils auch vom Bundesgerichtshof im Rahmen der Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision mittelbar bestätigt wurden (vgl. im Einzelnen insbesondere die Anlagenkonvolute B 9 und BE 2).
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Der hier vertretenen Auffassung stehen die von der Klägerin angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nicht entgegen, da diesen Entscheidungen anders gelagerte Sachverhalte zugrunde lagen (vgl. im Einzelnen hierzu Ol G Frankfurt a.M., Hinweisbeschluss vom 10.10.2022, Az. 7 U 99/22. S. 7 f., vorgelegt im Anlagenkonvolut BE 2). Insbesondere in der von der Berufungsbegründung (dort S. 5 f.) herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 0/.09.2016 (Az. IV ZR 306/14) wurde in der [Belehrung nur auf die „Überlassung der Unterlagen“ abgestellt, ohne dass - im Gegensatz zur streitgegenständlichen Belehrung - aus dem Gesamtinhalt deutlich wurde, welche Unterlagen für einen Fristbeginn vorliegen müssen (vgl. OLG Frank furt a.M., a.a.O.).
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3. Dem Landgericht kann auch dahingehend gefolgt werden, dass sich die Klägerin im konkreten Einzelfall aufgrund der besonderen Umstände nicht auf den vom Landgericht festgestellten und unstreitigen Fehler in der Widerspruchsbelehrung zur Fristdauer berufen kann, dieses Verhalten vielmehr im konkreten Fall als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist (vgl. LGU S. 10 ff.).
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a) Der Berufungsbegründung (dort S. 9 f.) ist zwar noch dahingehend zuzustimmen, dass der Verweis des Landgerichts (vgl. LGU S. 12) auf ein Urteil des [Bundesgerichtshofs vom 29.07.2015 (Az. IV ZR 415/13) fehl geht, da in diesem Fall der Versicherer in der Belehrung eine zu lange Frist genannt harte, der Versicherungsnehmer hierauf vertrauen konnte und sich der Fehler damit ausschließlich als vorteilhaft für diesen erwiesen hat. Beim streitgegenständlichen Fehler ist dies jedoch nicht der Fall, da die tatsächlich geltende Frist (30 Tage) länger als die in der Belehrung genannte Frist (14 Tage) war.
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b) Die angegriffene Entscheidung erweist sich gleichwohl im Ergebnis als zutreffend.
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aa) Auch in Fällen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Widerspruchsbelehrung oder einer fehlenden oder unvollständigen Verbraucherinformation kann die Geltendmachung eines Wider spruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn die besonderen Umstände des Einzelfalls dies rechtfertigen. Allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlerhafte Belehrung der Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung des Widerspruchsrechts entgegensteht, können nicht aufgestellt werden. Vielmehr obliegt die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall dem Tatrichter (vgl. BGH, Beschluss vom 08.09.2021, Az. IV ZR 133/20, Rn. 17 m.w.N., juris). Die Ausübung des Widerspruchsrechts ist insbesondere dann rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 242 BGB, wenn hiermit eine bloß formal bestehende Rechtsposition ohne schutzwürdiges Eigeninteresse des Versicherungsnehmers ausgenutzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.2022, Az. IV ZR 14/21, Rn. 18, juris).
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Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 19.12.2019 - C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, juris Rn. 120) ist es insbesondere nicht Sinn und Zweck, dem Versicherungsnehmer ein Widerspruchsrecht zu erhalten, um ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und den vom Versicherer gezogenen Nutzungen zu spekulieren (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg. Beschluss vom 06.08.2020, Az. 9 U 35/20, Rn. 12, juris). Vielmehr soll das gesetzlich eingeräumte Widerspruchsrecht den Versicherungsnehmer vor übereilten Abschlüssen schützen (Schutz vor einem Abschluss ohne ausreichende Information über den Inhalt des Vertrags), ihm aber nicht ermöglichen, mit dem nachträglichen Wissensvorsprung der für den Ertrag der Kapitalanlage wesentlichen Faktoren seine Entscheidung rückgängig zu machen und dadurch Verluste zu minimieren oder eine Rendite zu erzielen oder zu erhöhen (vgl. OLG München, Beschluss vom 01.12.2020, Az. 25 U 5829/20, Rn. 27, juris).
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bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht das Verhalten der Klägerin im konkreten Einzelfall nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung als rechtsmissbräuchlich angesehen hat, weshalb es der Klägerin gern. § 242 BGB verwehrt ist, sich vorliegend auf den inhaltlichen Fehler der Belehrung zu berufen.
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(1) Das Landgericht hat zutreffend herausgearbeitet, dass es der Klägerin aufgrund der Belehrung in dem Policenbegleitschreiben klar gewesen sei, dass sie dem Vertrag hätte widersprechen können. Dennoch habe sie nicht nur innerhalb der darin vorgesehenen vierzehntägigen Frist, sondern in der Folge über die gesamte Vertragslaufzeit in keiner Weise kundgetan, dass sie sich vom Vertrag lösen wolle. Auch habe die persönliche Anhörung ergeben, dass es gar keinen Grund gegeben habe, dem Vertrag zu widersprechen. Das gesetzlich eingeräumte Widerspruchsrecht solle den Versicherungsnehmer vor übereilten Abschlüssen schützen, nicht aber dem Versicherungsnehmer ermöglichen, mit dem nachträglichen Wissensvorsprung der für den Ertrag der Kapitalanlage maßgeblichen Faktoren eine Rendite zu erzielen (vgl. LGU S. 13).
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Insofern fehlt es schon an einer ausreichenden Auseinandersetzung der Berufungsbegründung mit dem Ersturteil. Insbesondere das Ergebnis der persönlichen Anhörung der Klägerin wird seitens der Berufungsbegründung vollständig ausgeblendet und letztlich nur eine vom konkreten Fall losgelöste rechtliche Beurteilung vorgetragen.
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(2) Ergänzend ist festzustellen, dass die Klägerin in der persönlichen Anhörung vom 23.05.2022 wie folgt ausgeführt hat (vgl. S. 2 und 5 des Protokolls):
„Der eigentliche Hintergrund des Widerspruchs war, dass zugesagt war, dass allerwenigstens die Summe ausbezahlt werden wird, die wir auch eingezahlt haben. Wir haben uns dann geärgert, dass wir weniger bekommen haben als wir eigentlich ein bezahlt haben. Es geht mir nicht darum, noch mehr rauszuholen.“ […]
Damals hat es für mich keinen Grund gegeben zu widersprechen. Damals wurde uns zugesagt, dass es eine gute Anlage ist. Hs hätte daher damals für mich keinen Grund gegeben, nach 14 Tagen dem Vertrag zu widersprechen. Es hat sich ja erst im Nachhinein herausgestellt.“
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Es ist damit aus Sicht des Senats ausgeschlossen, dass sich die Klägerin bei Nennung der zutreffenden Frist (30 Tage) in irgendeiner Weise anders verhalten hätte, insbesondere zeitnah zum Vertragsschluss von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht hätte. Vorliegend verfolgt die Klägerin damit schon nach ihren eigenen Angaben durch die Ausübung des Widerspruchsrechts ersichtlich ausschließlich das Ziel, die Rendite zu Lasten der Gemeinschaft der Versicherungsnehmer zu ihren Gunsten zu verändern. Das eigentliche gesetzgeberische Ziel des Widerspruchs - der Schutz des Versicherungsnehmers vor übereilten Vertragsabschlüssen - kann knapp 18 Jahre nach Vertragsschluss, langjähriger Vertragsdurchführung und planmäßigem Ablauf des Vertrags und Auszahlung der Ablaufleistung fast drei Jahre vor Erklärung des Widerspruchs nicht mehr erreicht werden.
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Hierbei wat auch zu beachten, dass die Klägerin mit Schreiben vom 25.05.2016 der Beklagten mitgeteilt hatte, dass sie zum Ablauf des Versicherungsvertrages eine Kapitalauszahlung wünsche und keine Rentenleistung, und damit vertragsgemäß die Wahl in Bezug auf die Versicherungsleistung als Rente oder Kapitalzahlung getroffen hat (vgl. Anlage B 3). Die anschließende Abrechnung wurde nicht beanstandet. Dabei ist zwar anerkannt, dass die vollständige Leistungserbringung für sich genommen keinen besonderen Umstand bei der Beurteilung der Treuwidrigkeit darstellen kann (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 27.01.2016, Az. IV ZR 488/14, Rn. 19, juris). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der vollständigen vertragsgemäßen Leistungserbringung und dem Zeitablauf bis zum erklärten Widerspruch im Rahmen der Gesamtabwägung keine Bedeutung beikommen darf (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 21.05.2021, Az. 6 U 16/21, Rn. 19, juris, m.w.N.).
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(3) Im Ergebnis der Gesamtbetrachtung geht es der Klägerin mit ihrem Widerspruch daher ersichtlich darum, nach der vollständigen Durchführung des Vertrags ihre ursprüngliche Anlageentscheidung zu revidieren und die Rendite aus dem nach Abrechnung beendeten Vertrag zu Lasten der Gemeinschaft der Versicherten nachträglich zu steigern (vgl. hierzu Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 06.08.2020 - 9 U 35/20 -, Rn. 12. juris) bzw. Verluste in Gewinne zu verwandeln. Dass es der Klägerin lediglich darum gegangen ist, ihre eingezahlten Beiträge zurückzuerhalten, ist schon durch den Klageantrag widerlegt, da die Klägerin Einzahlungen in Höhe von ca. 36.000,- € geleistet hat, die Summe aus Klageforderung und des ausbezahlten Betrages jedoch ca. 41.450.- € beträgt. [)io vorliegende Konstellation hat letztlich nichts mehr mit der eigentlichen Intention des Widerspruchsrechts, den Verbrauchers vor übereilten Entschlüssen zu schützen, zu tun.
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cc) Nichts anderes folgt entgegen der Ansicht der Klägerin mangels Übertragbarkeit aus den von der Berufung in den Anlagen BK 1-4 vorgelegten Entscheidungen bzw. Hinweisen. Insbesondere der Hinweis des OLG München im Verfahren 14 U 2690/21 betraf eine fehlende Hervorhebung der Belehrung, weshalb der dortige Versicherungsnehmer - im Gegensatz zur Klägerin, die (bis auf die Frist) ordnungsgemäß über ihr Gestaltungsrecht informiert wurde - sein Gestaltungsrecht nicht „im Wesentlichen unter den gleichen Voraussetzungen“ ausüben konnte (vgl. Anlage BK 2, S. 2).
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dd) Auch die Entscheidung des EuGH vom 09.09.2021 zur Verbraucherkreditrichtlinie in den Verfahren C-33/20, C-155/20 und C-187/20 führt vorliegend zu keinem anderen Ergebnis (so z.B. auch OLG München. Hinweis vom 05.10.2022. Az. 14 U 4409/22, S. 6 f.. vorgelegt als Anlage BF. 3; OLG Hamm, Beschluss vom 27.09.2021, Az. I-31 U 46/21; LG Hamburg. Urteil vom 05.10.2021, Az. 314 O 42/20, Rn. 48, beide juris).
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(1) Zum einen ist festzustellen, dass diese Entscheidung zum Widerruf von Verbraucherkreditverträgen ergangen ist, weshalb aus Sicht des Senats schon eine Übertragbarkeit ausscheidet, insbesondere eine solche nicht aus den Entscheidungsgründen hergeleitet werden kann.
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Das OLG München (a.a.O.) führt insofern zutreffend aus:
„Der Europäische Gerichtshof stellt insoweit ausdrücklich auf die Regelung des Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b) RL 2008/48/EG (VK-RL) ab, nach der die Widerrufsfrist erst an dem Tag beginnt, an dem der Verbraucher die Informationen gemäß Art. 10 RL 2008/48/EG erhält (EuGH. a.a.O., Rdnr. 114 ). Davon abgesehen ist die VK-RL dadurch gekennzeichnet, dass sie den Kreditgeber ,,bestrafen“ (EuGH 9.9.2021, C-33/20 Rn. 124) will, wenn er den Verbraucher nicht richtig informiert.
Demgegenüber knüpft Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 RL 90/619/EWG den Beginn der Rücktrittsfrist an den Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist. Ein „Bestrafungsbedürfnis“ postuliert der EuGH im Zusammenhang mit der LV-RL nicht, sondern setzt darauf, den Versicherer zu „motivieren“ (vgl. EuGH 19.12.2019, C-355/18) und argumentiert nicht mit dem Sanktionsgedanken. Das macht einen markanten Unterschied aus (OLG Karlsruhe, Beschluss 9.2.2022, 12 U 80/21).
Daher kann die Aussage des o.g. Urteils, der Ausübung des Lösungsrechts nach Art. 14 RL 2008/48/EG könne nicht der Einwand der Verwirkung bzw. des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden, wenn dem Verbraucher nicht die in Art. 10 Abs. 2 RL 2008/48/EG vorgesehenen zwingenden Angaben ordnungsgemäß erteilt worden seien, nicht auf den Anwendungsbereich der Richtlinien 90/619/EWG und 92/96/EWG übertragen werden, zumal die Regelung des Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 3 RL 90/619/EWG - anders als die Regelung des Art. 14 RL. 2008/48/EG - die Ausgestaltung der rechtlichen Voraussetzungen und Wirkungen des Rücktritts im Einzelnen den Mitgliedstaaten überlassen hat.“
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(2) Zum anderen ist auch sonst nicht ersichtlich, dass der EuGH von seinen erst mit Urteil vom 19.12.2019 (a.a.O.) aufgestellteri Grundsätzen, wonach Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, außer Betracht zu bleiben haben, abrücken wollte. Ein solcher Rücktritt würde nämlich nicht dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren (vgl. EuGH a.a.O., Rn. 120, juris). Der EuGH hat zudem festgehalten, dass die Mitgliedstaaten die Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts im Einzelnen regeln können, womit naturgemäß Einschränkungen einhergehen können (EuGH a.a.O. Rn. 62; siehe auch EuGH, Beschluss vom 28.05.2020 - C-803/19, juris Rn. 27). Eine solche Einschränkung des im deutschen Recht vorgesehenen Widerspruchsrechts ergibt sich dabei aus dem in § 242 BGB geregelten Grundsatz von Treu und Glauben (so auch Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg a.a.O., Rn. 16).
32
Im Übrigen nimmt der EuGH in der Entscheidung vom 09.09.2021 nur zur Frage der zeitlichen Befristung des Widerrufsrechts Stellung, schließt eine Verwirkung im Übrigen aber nicht aus, was u. a. auch das OLG Hamm (a.a.O.) zutreffend erkannt hat. In Rn. 15 f. seines Beschlusses führt das OLG Hamm insoweit aus:
„Damit nimmt der EuGH nur zur Frage der zeitlichen Befristung des Widerrufsrechts ohne Berücksichtigung einer vor Widerruf eingetretenen Beendigung und vollständigen Abwicklung des Darlehensvertrages Stellung. Diese, vom Generalanwalt in seiner Stellungnahme ergänzend berücksichtigten Umstände, waren von der vom EuGH zu beantwortenden Vorlagefrage nicht umfasst und deshalb auch nicht Gegenstand der Erwägungen des EuGH.
Die Verwirkung wird nach der im Hinweisbeschluss des Senats dargelegten Auffassung maßgeblich auf den Umstand gestützt, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien vor Erklärung des Widerrufs längst vollständig beendet und von beiden Seiten erfüllt war. Dieses Ergebnis steht - wie auch der Generalanwalt ausgeführt hat - in Einklang mit Art. 14 der Richtlinie 2008/48. Damit besteht ersichtlich kein Widerspruch zur neueren Rechtsprechung des EuGH.“
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Dem kann hier uneingeschränkt gefolgt werden.
34
Der Widerspruch der Klägerin erweist sich nach alledem als rechtsmissbräuchlich, weshalb es der Klägerin gern. § 242 BGB verwehrt ist, sich vorliegend auf den inhaltlichen Fehler der Belehrung zu berufen.
II.
35
1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO) liegen nicht vor. Soweit Rechtsfragen zu beantworten waren, sind diese in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Der Senat weicht hiervon nicht ab.
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a) Der Anwendung des aus § 242 BGB folgenden Einwandes rechtsmissbräuchlichen Verhaltens stehen europäische Vorgaben bzw. der Rechtsprechung des EuGH nicht entgegen, da die Maßstäbe für die Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der Rechtsprechung des EuGH geklärt sind und die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens in Einklang mit dieser Rechtsprechung stehen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 22.03.2016, Az. IV ZR 130/15, r+s 2016, 231, Rnrn. 2-4; Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 01.04.2019. Az. 3 U 16/18).
37
b) Auch eine Divergenz zur von der Berufung erwähnten Entscheidung des OLG Rostock vom 08.03.2022 (4 U 51/21) ist nicht ersichtlich. Das OLG Rostock interpretiert lediglich die Rechtsprechung des EuGH anders. Bei den beiden widerstreitenden oberlandesgertchflichen Interpretationen handelt es sich nicht um einer eigenen Rechtssatz des jeweiligen OLG (zutreffend insofern: OLG München, Hinweis vom 05.10.2022, a.a.O., S. 10).
38
Davon unabhängig besteht eine Divergenz bereits deshalb nicht, weil in aer hier zu treffenden Entscheidung auch bei Zugrundelegung subjektiver Kriterien an den Missbrauchsbegriff sich das Urteil des Landgerichts nach Einschätzung des Senats aufgrund der Angaben der Klägerin im Rahmen der persönlichen Anhörung als im Ergebnis zutreffend erwiese (so auch OLG München a.a.O.).
39
c) Auch der Umstand, dass der für das Versicherungsvortragsrecht zuständige IV. Senat des Bundesgerichtshofs zu der neuen Rechtsprechung des EuGH noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, ist kein Grund, eine grundsätzliche Bedeutung der Sache anzunehmen, zumal der BGH auch nach Erlass der EuGH-Entscheidung an seiner bisherigen Rechtsprechung weiter festhält (vgl. etwa Beschluss vom 20.07.2022, Az. IV ZR 463/21, in welchem die Beschwerde der Klagepartei gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen wurde, wobei es laut den Ausführungen des Bundesgerichtshofs nicht zu beanstanden sei, dass das Berufungsgericht besonders gravierende Umstände bejaht habe, die einen Widerspruch gemäß § 5a VVG a.E. trotz fehlerhafter Belehrung ausschließen).
40
Der Beschluss vom 20.07.2022 (vgl. auch einen inhaltsgleichen Beschluss im Verfahren IV ZR 448/21 vom selben Tag) erging mit einem erheblichen zeitlichen Abstand zur Entscheidung des EuGH vom 09.09.2021. In dieser Zeit war die Übertragbarkeit dieser Entscheidung auf das Recht der Lebensversicherungen in zahlreichen obergerichtlichen Entscheidungen thematisiert worden, so dass es der Senat als ausgeschlossen betrachtet, dass dem BGH diese Thematik nicht zumindest bekannt war, als er im Juli dieses Jahres die betreffenden Entscheidungen traf (so zutreffend: Landinger/Haferkorn, VersR 2022, 1209, 1211 f.; vgl. im Übrigen BGH Urteil vom 22.06.2022, a.a.O., Rn. 16 ff.).
41
2. Aus den oben genannten Erwägungen (insb. unter Punkt I. 3. b) dd)) ist auch eine Aussetzung des Verfahrens nicht veranlasst.
42
a) Überdies enthält die Verbraucherkredit-Richtlinie (Richtlinie 2008/48/EG) in Art. 14 abschließende Bestimmungen zur Widerrufsfrist. Nach Art. 35 Abs. 1 der RiLi 2002/83 vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen wurde dem nationalen Gesetzgeber hingegen eine Fristdauer zwischen 14 und 30 Tagen vorgegeben und die Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts einschließlich etwaiger Einschränkungen dieses Rechts einer Regelung durch das nationale Recht überlassen (vgl. hierzu wie bereits ausgeführt: OLG München, Hinweis vom 05.10.2022 a.a.O.). Auch deshalb ist nicht anzunehmen, dass EuGH mit seiner Entscheidung vom 09.09.2021 von seinen erst mit Urteil vom 19.12.2019 (a.a.O.) aufgestellten Grundsätzen abgerückt ist.
43
b) Soweit die Berufungsbegründung auf einen Beschluss des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 22.07.2022, Az. VGH B 70/21, verweist, folgt hieraus für den streitgegenständlichen Fall nichts anderes. Der Verfassungsgerichtshof hat hierbei lediglich festgestellt, dass das OLG Koblenz nicht mit der konkreten Begründung von einer Vorlage hätte absehen dürfen, nicht aber entschieden, dass es allgemein unvertretbar sei, von einer Vorlage an den EuGH bei Feststellung eines Rechtsmissbrauchs im Einzelfall abzusehen (vgl. hierzu auch Landinger/Haferkorn a.a.O., 12.09. 1210).
44
c) Insofern das Landgericht Erfurt eine Aussetzung in den von der Klägerseite zitierten Veifahren als notwendig erachtet hat, folgt der Senat dieser Rechtsansicht aus den dargelegten Gründen nicht.
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Im Übrigen besteht eine Vorlagepflicht schon deshalb nicht, da der Senat im streitgegenständlichen Fall auch das sog. subjektive Element aufgrund der insofern eindeutigen Angaben der Klägerin bejaht (s. o.), d. h. auch die Absicht der Klägerin, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (EuGH, Urteil vom 09.09.2021 a.a.O., Rn. 122). Damit fehlt es vorliegend der Frage nach der Erforderlichkeit eines subjektiven Elements im Rahmen des Rechtsmissbrauchs an der Entscheidungserheblichkeit (vgl. auch Landinger/Haferkorn, a.a.O. 1209, 1211).
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d) Ob daneben eine Aussetzung im konkreten Fall auch deshalb ausscheidet, da der nationale Gesetzgeber vorliegend die Fristdauer auch auf 14 Tage hätte festsetzen (bzw. es dabei hätte belassen) können, der streitgegenständliche Fehler in der Belehrung daher jedenfalls der Richtlinie nicht widerspricht (so wohl die Ansicht der Beklagten, vgl. Berufungserwiderung S. 17), muss demzufolge nicht abschließend beurteilt werden.
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3. Auch ist eine mündliche Verhandlung in der vorliegenden Sache nicht geboten (§ 52.2 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO). Es ist auszuschließen, dass in einer mündlichen Verhandlung neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden können, die zu einer anderen Beurteilung führen.
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Der Senat regt daher an, zur Vermeidung von Kosten die aussichtslose Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV Nr. 1222) hin.
III.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Anwendung von § 47 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO zu bestimmen sein.