Titel:
Unzulässigkeit der Berufung mangels ausreichenden Berufungsangriffs
Normenketten:
EGBGB Anl. 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2
Leitsatz:
Die Berufung ist unzulässig, weil sie sich nicht ausdrücklich gegen die Feststellung des Landgerichts stützt, dass sich die Beklagte jedenfalls auf die Schutzwirkung des Musters in Anl. 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB und § 12 Abs. 1 EGBGB berufen könne, da sie ein dem Muster inhaltlich und in der Gestaltung vollständig entsprechendes Formular verwendet habe. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Darlehenswiderruf, Berufungsbegründung, Urteilsgründe
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 28.10.2021 – 29 O 132/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 18.10.2022 – XI ZB 5/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34553
Tenor
1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 28.10.2021, Aktenzeichen 29 O 132/21, wird verworfen.
2. Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 90.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Kläger machten gegen die Beklagte nach dem Widerruf eines Darlehensvertrags Ansprüche aus dem von ihr behaupteten Rückabwicklungsschuldverhältnis geltend.
2
Die Kläger haben den am 15.02.2016 mit der Beklagten geschlossenen Immobiliardarlehensvertrag mit Schreiben vom 02.07.2020 widerrufen, den Widerruf hat die Beklagte mit Schreiben vom 07.07.2020 zurückgewiesen.
3
Die Kläger haben in erster Instanz die Auffassung vertreten, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen habe.
- 1.
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Die Beklagte zahlt an die Kläger als Mitgläubiger 88.123,54 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass die Beklagte aus dem zwischen den Parteien am 15.02.2016 geschlossenen Darlehensvertragverhältnis mit der Nr.11.321.776/00 aufgrund des Widerrufs vom 02.07.2020 seit diesem Tage keine vertraglichen Ansprüche auf Zahlung von Vertragszins und vertragsgemäßer Tilgung nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB mehr hat.
- 3.
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Es wird festgestellt, dass der Antrag Ziffer 1. der Klage bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses (Aufrechnung) zulässig und begründet war.
Klageabweisung beantragt.
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Die Widerrufsfrist sei zum Zeitpunkt der Erklärung des Widerrufs längst abgelaufen gewesen. Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 28.10.2021 abgewiesen, weil die Widerrufsfrist zum Zeitpunkt der Erklärung des Widerrufs abgelaufen gewesen sei.
7
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer nach Zustellung des Ersturteils am 29.10.2021 am 28.11.2021 eingelegten und nach Fristverlängerung bis zu diesem Tag am 31.01.2022 begründeten Berufung. Die Widerrufsfrist sei nicht abgelaufen gewesen, weil im Vertrag wichtige Pflichtangaben falsch dargestellt seien. Außerdem verstoße der hier verwendete Kaskadenverweis gegen die Verbraucherkreditrichtlinie. Insofern bestimme § 495 Abs. 2 BGB a.F. dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginne.
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Der Senat hat die Kläger mit Beschluss vom 02.02.2022 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, weil sich das Landgericht auch darauf gestützt habe, dass die Beklagte Musterschutz in Anspruch nehmen könne, diesen selbstständigen Abweisungsgrund habe die Klageseite in der Berufungsbegründung nicht angegriffen. Im Übrigen sei die Berufung auch deshalb unbegründet, weil der BGH nach seiner ständigen Rechtsprechung die Verbraucherkreditlinie auf Immobiliarkredite nicht anwende. Dem sind die Kläger mit Schriftsatz vom 21.02.2022 entgegengetreten. Das Landgericht hätte die Frage des Musterschutzes in seinem Urteil nicht thematisieren dürfen, weil sie schon in erster Instanz darauf hingewiesen hätten, dass sie nicht behauptet hätten, dass die Widerrufsinformation nicht dem gesetzlichen Belehrungsmuster entsprochen habe, so dass sich jegliche Ausführungen der Beklagten zur Gesetzlichkeitsfiktion erübrigten.
- 1.
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Das Endurteil des Landgerichts München I vom 28.10.2021 (AZ.: 29 € 132/21) wird abgeändert.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass die Beklagte aus dem zwischen den Parteien am 15.02.2016 geschlossenen Darlehensvertragsverhältnis mit der Nr… aufgrund des Widerrufs vom 02.07.2020 seit diesem Tag keine vertraglichen Ansprüche auf Zahlung von Vertragszins und Vertrags gemäß Fertigung nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB mehr hat.
- 3.
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Es wird festgestellt, dass sich der ursprünglich zulässig und begründete Klageantrag 1. aufgrund Hilfsaufrechnung der Beklagten erledigt hat.
10
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, das Ersturteil und den bereits zitierten Hinweis Beschluss des Senats Bezug genommen.
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Die Berufung der Kläger wird verworfen, weil diese es entgegen § 520 Abs. 3 S.2 Nr.2 ZPO versäumt haben, sämtliche das Urteil des Landgerichts tragenden Begründungen anzugreifen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16.3.2021, VI ZB 97/19 Rn.5/6).
12
Das Landgericht hat sich ausweislich LGU S. 6 ausdrücklich darauf gestützt, dass sich die Beklagte jedenfalls auf die Schutzwirkung des Musters in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB berufen könne, da sie ein dem Muster inhaltlich und in der Gestaltung vollständig entsprechendes Formular verwendet habe. Gegen diese Begründung findet sich, wie im Schriftsatz vom einen 21.02.2022 ausdrücklich zugestanden, an keiner Stelle der Berufungsbegründung ein Angriff. Es hilft den Klägern auch nicht weiter, dass ihre Prozessbevollmächtigte in schon grammatisch kaum nachvollziehbarer Art und Weise die Auffassung vertritt, dass wegen ihrer erstinstanzlichen Ausführungen das Landgericht „die Frage des Musterschutzes überhaupt nicht hätte thematisieren dürfen, zumindest nicht müssen.“ Selbst wenn dies so wäre, ändert das nichts daran, dass nach der bereits zitierten Vorschrift des § 520 Abs. 3 S.2 Nr.2 ZPO mit der Berufungsbegründung jede tragende Begründung des Ersturteils angegriffen werden muss. Das ist hier jedoch nicht geschehen. Soweit die Kläger in der Berufungsbegründung gerügt haben, dass „eine wichtige Pflichtangabe falsch dargestellt“ sei, haben sie deshalb einen Verstoß „gegen die Vorgaben von Art.247 § 6 Abs. 1in Verbindung mit § 3 Abs. 4 und § 9 EGBGB a.F.“ gerügt, „wonach ein Verbaucherdarlehensvertrag klar und verständlich über die Vertragslaufzeit aufzuklären“ habe, damit werde dem durchschnittlichen Darlehensnehmer nicht klar, wie lang „letztlich“ die Vertragslaufzeit und damit „der Zeitraum der Anwendung des Sollzinssatzes“ sei. Diese Klausel sei in der Darlehensbedingungen anderer Institute nicht enthalten. Daraus ergibt sich auch bei wohlwollender Auslegung kein Einwand gegen die Meinung des Landgerichts, dass sich die Beklagte jedenfalls auf die Schutzwirkung des Musters Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 aF berufen könne.
13
Im Übrigen ist die Berufung unbegründet, weil auf den hier abgeschlossenen Immobiliarkreditvertrag die Rechtsprechung des EuGH zur Verbraucherkreditlinie nicht anzuwenden ist, wie der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung entscheidet (BGH, Beschluss vom 19.3.2019, XI ZR 44/18, Rn.17 und Beschluss vom 31.3.2020, XI ZR 581/18 (lt. Beschluss vom 15.2.2022, XI ZR 172/21, hat „das Bundesverfassungsgericht die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 01.07.2021 (1 BvR 1550/20) nicht zur Entscheidung angenommen); BGH, Beschluss vom 9.6.2020, XI ZR 381/19; EuGH, Urt. v. 26.3.2020, C-66/19, Rn.25), dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese. Mithin ist auch mit der aus der Rechtsprechung des BGH hinlänglich bekannten Begründung keine erneute Vorlage an den EuGH veranlasst. Die Vertragslaufzeit ist im Vertragstext mit 22 Jahren und 0 Monaten angegeben. Die Angaben in der Vertragsurkunde zur Laufzeit des Darlehensvertrags sind nicht irreführend. So hat die Beklagte in der Urkunde nicht nur ausdrücklich angegeben, wie viele Raten - voraussichtlich - insgesamt zu zahlen sind und wann diese jeweils fällig sind, sie hat auch zutreffend angegeben, dass sich danach, nämlich auf der Basis der (gesetzesentsprechend für 10 Jahre) vereinbarten Konditionen eine voraussichtliche Laufzeit von 261 Monaten ergibt, die sich jedoch durch eine - zukünftige, zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbare - Änderung der Konditionen etwa nach Ablauf der Zinsbindungsfrist verändern könne. Dies stellt nach den Umständen eine für den Verbraucher klare und verständliche Angabe über die hochgerechnete Laufzeit bis zur vollständigen Tilgung dar, wodurch dem Verbraucher zugleich deutlich vor Augen geführt wurde, dass diese Vertragslaufzeit sich nach einer - zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht vorhersehbaren und auch nicht bezifferbaren - Änderung der Bedingungen verändern konnte (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Urt. v. 03.04.2019, I-14 U 22/18, S.10/11, n.v., die NZB hat der BGH durch den Beschl vom 10.3.2020, XI ZR 205/19, zurückgewiesen).
14
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 97 ZPO. Die Wertfestsetzung ergibt sich aus den nach Behauptung der Kläger bis zur Erklärung des Widerrufs geleisteten Zahlungen (vgl. Klageschrift S.8).
1. Beschluss vom 14.03.2022 hinausgeben an:
2. … Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht