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LG München I, Endurteil v. 25.02.2022 – 30 S 7463/21
Titel:

Transparenzvorkehrungen bei gewerblichen Roamingnutzern

Normenkette:
Roaming-VO Art. 15
Leitsatz:
Im Verhältnis zu einem Unternehmer löst die Überschreitung eines Schwellenwertes, der mit dem 10-fachen des vom Kunden eingeplanten Tarifs anzusetzen ist, eine Informationspflicht des Mobilfunkanbieters aus. (Rn. 18 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Informationspflicht, Mobilfunkbetreiber, Schwellenwert, Unternehmer, Roaming, Transparenz, VO (EU) 531/2012
Vorinstanz:
AG München, Endurteil vom 14.05.2021 – 113 C 23543/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34501

Tenor

1. Auf die Anschlussberufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 14.05.2021, Az. 113 C 23543/20, teilweise abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 552,39 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.07.2019 sowie vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von 7,50 €, 5,00 € Auskunfts- und 72,00 € Inkassokosten zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Anschlussberufung und die Berufung werden zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 72 % und der Beklagte 28 % zu tragen
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin macht mit der Klage Ansprüche aus abgetretenem Recht der Firma … aus einem Mobilfunkvertrag geltend.
2
Hinsichtlich des festgestellten Sachverhalts wird auf das angefochtene Endurteil des Amtsgerichts vom 14.05.2021 gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
3
Mit Urteil vom 14.05.2021, der Klagepartei zugestellt am 17.05.2021, hat das Amtsgericht München die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 552,59 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.07.2019 sowie vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von 12,50 €, 5,00 € Auskunfts- und 72,00 € Inkassokosten zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen.
4
Das Amtsgericht hat zur Begründung ausgeführt, der Anspruch aus dem zwischen der Zedentin und dem Beklagten geschlossenen Mobilfunkvertrag auf Zahlung von € 1.961,11 € sei entstanden. Ihm stehe allerdings in Höhe von 1.408,72 € die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung entgegen, weshalb der Anspruch nur in Höhe von 552,39 € durchsetzbar sei. Die Zedentin habe ihre Nebenpflicht, den Beklagten auf stark über dem vereinbarten Basistarif entstehende Kosten hinzuweisen, verletzt. Diese Pflicht ergebe sich aus der überlegenen Sachkunde der Zedentin in Ansehung der entstehenden Kosten. Für den Beklagten sei es bis zur Rechnungsstellung nicht erkennbar gewesen, erhöhte Kosten zu verursachen und er habe daher auch keine weiteren Vorkehrungen treffen können, diese zu verhindern. Im Gegensatz dazu habe die Zedentin jederzeit Einblick in die Höhe und Ursache der Kosten gehabt. Es wäre der Zedentin auch problemlos möglich gewesen, entsprechende Hinweise zu geben, etwa durch automatisierte Benachrichtigungen via SMS oder E-Mail. Weiterhin sei das Interesse des Beklagten an der Geringhaltung der Kosten für die Zedentin nicht nur ersichtlich, sondern auch mittelbar Vertragsgegenstand geworden, da der geschlossene Mobilfunkvertrag einen Flatrate-Tarif hatte, der üblicherweise vereinbart werde, um eine gleichbleibende, berechenbare Kostengrundlage zu gewährleisten. Eine solche Informationspflicht sei - wenn auch im vorliegenden Fall mangels Verbrauchereigenschaft des Beklagten nicht anwendbar - in Art. 15 Abs. 3 EU Roaming-VO festgelegt. Dieser Rechtsgedanke sei auch auf die Parteien anwendbar, wobei lediglich der Schwellenwert, ab dem eine Informationspflicht besteht, bei unternehmerischen Vertragspartnern höher angesetzt werden müsse. Als Schwellenwert erscheine ein Betrag in zehnfacher Höhe des Basistarifs geeignet, somit im vorliegenden Fall 501,70 €. Unter Berücksichtigung einer bereits geleisteten Zahlung des Beklagten und einer Kulanzgutschrift der Klägerin verbleibe ein vom Beklagten noch zu zahlender Betrag in Höhe von 552,39 €.
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Die Klägerin hat gegen dieses Urteil mit Schriftsatz vom 31.05.2021, eingegangen bei Gericht am 01.06.2021, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 16.07.2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, begründet. Das Gericht hat dem Beklagten mit Verfügung vom 19.07.2021, dem Beklagten zugestellt am 20.07.2021, eine Frist zur Berufungserwiderung von 3 Wochen gesetzt.
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Die Klägerin verweist darauf, dass ausschlaggebend sei, dass der Beklagte einen Vertrag als Unternehmer geschlossen hat. Es könne allenfalls von einer herabgesetzten Warnpflicht ausgegangen werden, die erst bei Erreichen eines Schwellenwertes von 2.999,00 € gegeben sei. Der hingegen vom Amtsgericht angenommene Schwellenwert sei willkürlich und überzeuge nicht. Zudem bestehe nur gegenüber Verbrauchern ein strukturelles Informationsgefälle. Nicht-Verbrauchern sei es zuzumuten, sich über die mit der Nutzung des Telekommunikationsdienstes verbundenen Risiken vorab so zu informieren, dass sie geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen und damit eine Kostenexplosion verhindern können.
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Die Klägerin beantragt,
unter teilweiser Abänderung des Urteils des Amtsgerichts München vom 14.05.2021, 113 C 23543/20, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 1.408,52 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.07.2019 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil, soweit die Klage abgewiesen wurde und wiederholt seinen Vortrag erster Instanz.
Außerdem hat er sich mit Schriftsatz 09.08.2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, der Berufung angeschlossen und die Anschlussberufung begründet.
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Der Beklagte beantragt im Wege der Anschlussberufung:
Das Urteil des Amtsgerichts München vom 14.05.2021, Az: 113 C 23543/20, wird, soweit der Beklagte verurteilt wurde, teilweise abgeändert und wie folgt neu erlassen:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Klägerin beantragt,
die Anschlussberufung abzuweisen.
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Im Rahmen der Anschlussberufung wendet der Beklagte ein, das Amtsgericht sei rechtsfehlerhaft von einer Beweislastumkehr bezüglich der erbrachten Leistungen ausgegangen. Zudem sei die EU Roaming-VO allgemein auf Roaming-Kunden anwendbar und differenziere nicht zwischen Unternehmern und Verbrauchern, weshalb auch nicht ersichtlich sei, warum der Schwellenwert von 50,00 € beim Beklagten als unternehmerischen Vertragspartner höher angesetzt werden sollte. Das Amtsgericht habe zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung entstandener Mahn-, Auskunfts- und Inkassokosten angenommen. Diese seien zur Durchsetzung - jedenfalls der Höhe nach - unbegründeter Ansprüche weder zweckmäßig noch erforderlich.
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Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2022 (Bl. 93/94 d.A.) Bezug genommen.
II.
13
Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung des Beklagten sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eongelegt, haben aber mit Ausnahme eines geringfügigen Teils bezüglich der Mahnkosten beide in der Sache keinen Erfolg.
14
Das Gericht schließt sich zunächst den Entscheidungsgründen des amtsgerichtlichen Urteils an, auf die gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO Bezug genommen wird.
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1) Das Berufungsgericht vermag keine Unschlüssigkeit der Klage zu erkennen.
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Zur Schlüssigkeit der Klage ist es nicht erforderlich, dass die Klägerin zu den einzelnen Verbindungsdaten vorträgt. Vielmehr ist ausreichend, wenn die Klägerin zunächst behauptet, dass Verbindungen im abgerechneten Umfang zustande gekommen sind. Wenn der Beklagte dies bestreitet, wäre es an der Klägerin den Nachweis ggf. durch entsprechende Einzelverbindungsnachweise zu erbringen.
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Vorliegend hat der Beklagte aber lediglich pauschal vorgetragen, er sei der festen Überzeugung gewesen, die Funktion „Daten-Roaming“ deaktiviert zu haben. Er habe das Internet mit seinem Mobiltelefon nur genutzt, wenn ihm eine Internetverbindung über ein WLAN-Netzwerk zur Verfügung gestellt worden sei. Nachdem ihm aber unstreitig die Einzelverbindungsnachweise von der Zedentin zur Verfügung gestellt wurden, trifft ihn zumindest die sekundäre Darlegungslast dafür, welche konkreten Verbindungen von ihm bestritten werden sollen. Dieser Darlegungslast ist der Beklagten nicht nachgekommen.
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2) Mit dem Amtsgericht ist das Berufungsgericht der Auffassung, dass dem Beklagten ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht zusteht, der dem klägerischen Anspruch entgegensteht.
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Die Zedentin hat insoweit ihre Informationspflicht verletzt, indem sie den Beklagten nicht auf die erheblich über dem Flatrate-Tarif liegenden Kosten hingewiesen hat. Dabei kann der Umstand, dass der Mobilfunkvertrag nicht mit einem Verbraucher geschlossen wurde, nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Denn auch gegenüber einem Geschäftskunden besteht ein Informationsgefälle. Dem Umstand, dass bei einem Unternehmer von einer gegenüber dem Durchschnittsverbraucher erhöhten Erfahrung im Geschäftsverkehr auszugehen ist, kommt insofern nur Bedeutung für die Höhe des Schwellenwerts zu, ab dem eine Informationspflicht anzunehmen ist. Davon geht letztlich auch die Klägerin aus, wenn sie auf den Schwellenwert von 2.999 € verweist.
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Die Klagepartei geht insoweit zutreffend davon aus, dass die in Art. 15 EU-RoamingVO vorgesehene Obergrenze von 50 € bei dem vom Beklagten als Unternehmer geschlossenen Vertrag nicht zum Tragen kommt.
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Das Berufungsgericht erachtet aber den Wert von 2.999 € - ebenso wie das Amtsgericht - als überhöht. Eine „Kostenbremse“ zu einem Zeitpunkt, zu dem statt eines Betrages von 50,17 € bereits 2.999 € angefallen sind, vermag dem Ziel, den Kunden vor unvorhergesehenen hohen Rechnungsbeträgen zu bewahren, nicht gerecht zu werden. Die Wahl eines Flatrate-Tarifs bringt auch bei einem Geschäftskunden das Interesse zum Ausdruck, die Kosten für die mobile Internetnutzung unabhängig von Nutzungsdauer und Datenvolumen überschaubar und gering zu halten.
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Deshalb erscheint es durchaus sachgerecht, die Höhe des Schwellenwertes an diesem - vom Kunden eingeplanten - Tarif zu orientieren und mit dem Zehnfachen in Ansatz zu bringen.
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3) Der Klägerin stehen auch die geltend gemachten Zinsen, Auskunfts- und Inkassokosten in dem vom Amtsgericht zugesprochenen Umfang unter Verzugsgesichtspunkten zu. Verzug trat spätestens mit dem ersten Mahnschreiben der Zedentin ein. Eine Auskunftsanfrage war insbesondere im Hinblick auf die Unternehmereigenschaft des Schuldners zur zweckmäßigen Rechtsverfolgung angezeigt.
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Allerdings sind die geltend gemachten vorgerichtlichen Mahnkosten nicht in vollem Umfang ersatzfähig. Der durch die Mahnungen entstandene pauschalierte Schaden hat sich hierbei an den gewöhnlichen Kosten zu orientieren. Diese können maximal mit 2,50 € und demnach mit 7,50 € für 3 Mahnschreiben in Ansatz gebracht werden.
25
Das erstinstanzliche Urteil war somit in diesem Punkt abzuändern.
26
4) Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die Anschlussberufung des Beklagten auf vollständige Klageabweisung im Übrigen unbegründet ist.
III.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
IV.
28
Die vorliegende Entscheidung beruht auf den besonderen Umständen des Einzelfalls. Die Revision war daher nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO.