Titel:
Kein hinreichender Tatverdacht wegen Armbewegung bei Demonstration
Normenketten:
StGB § 86 Abs. 1 Nr. 4, § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
StPO § 408 Abs. 2
Leitsatz:
Es kommt auf den Gesamtkontext hinsichtlich Bewegungsabläufen und Redeinhalt an, ob eine Armbewerbung als Hitlergruß oder als zufällige Geste auszulegen ist. (Rn. 5 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Hitlergruß, Demonstration, Versammlung, hinreichender Tatverdacht, Armbewegung
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 08.08.2022 – 842 Cs 115 Js 133129/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34496
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft München I gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 08.08.2022 wird zurückgewiesen.
II. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten.
Gründe
1
I. Die Staatsanwaltschaft München I beantragte am 26.07.2022 den Erlass eines Strafbefehls gegen den Angeschuldigten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß §§ 86 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Dem Angeschuldigten wurde zur Last gelegt, bei einer Versammlung auf dem Königsplatz in München am … vor etwa 130 Teilnehmern einer Demonstration der AfD zum Thema „Gesund ohne Zwang“ im Rahmen seines Redebeitrags gegen … den rechten Arm zum sogenannten Hitlergruß erhoben zu haben.
2
Mit Beschluss vom … lehnte das Amtsgericht München den Erlass des Strafbefehls aus tatsächlichen Gründen ab und legte die Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse auf. Im Beschluss wird ausgeführt, dass der Erlass des Strafbefehls gemäß § 408 Abs. 2 StPO abzulehnen war, da ein hinreichender Tatverdacht nicht bestehe. Beweismittel für die Tat seien zwei Videoaufnahmen, eine aus frontaler, eine aus seitlicher Perspektive. Insbesondere aus der frontalen Videoaufzeichnung lasse sich erkennen, dass die Bewegung des Armes im Rahmen der Rede erfolge. Die Außenfläche der Hand zeige nach außen, nicht nach oben. Zudem sei der Daumen nicht angelegt. Die Bewegung werde nicht wie die exakte Ausführung eines Hitlergrußes ausgeführt.
3
Das Amtsgericht führt weiter aus, dass auch eine zum Verwechseln ähnliche Geste nicht zu erkennen sei. Der Angeschuldigte steigere sich, wie in den Videoaufnahmen zu sehen sei, im Rahmen der Rede und steigere dabei auch seine Gestik des rechten Armes. Unter diesen Umständen sei nicht von einem entsprechenden Vorsatz auszugehen, ein Hitlergruß zu machen. Dies sei auch aus Sicht eines objektiven Empfängers nicht gegeben. Auch der Inhalt der Rede sei nicht dergestalt, dass an der Stelle ein Hitlergruß zu erwarten sei. Ein hinreichender Tatverdacht bestehe damit nicht.
4
Gegen diesen Beschluss, der Staatsanwaltschaft am … zugestellt, legte die Staatsanwaltschaft München I mit Schriftsatz vom … eingegangen am selben Tage, form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der objektive Tatbestand durch die angeklagte Tathandlung erfüllt sei, es sei ausreichend, wenn aus seitlicher Sicht die Geste als Hitlergruß anzusehen gewesen sei. Es sei ausreichend, dass diese nicht exakt nachgemacht werde. Zudem werde dem Angeschuldigten ein Vorsatz nachzuweisen sein, da er politisch und geschichtlich vorgebildet sei.
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II. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft München I ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das Beschwerdegericht tritt der Auffassung des Amtsgerichts bei, dass es sich bei der Geste des Angeschuldigten zwanglos um eine zufällige Geste im Rahmen der Rede handeln kann und kein hinreichender Tatverdacht dahingehend besteht, dass hier bewusst eine dem Hitlergruß ähnliche Geste gezeigt wurde. Auf die Begründung des Amtsgerichts wird vollinhaltlich Bezug genommen.
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Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft kommt es für die Sicht des objektiven Beobachters, aus dessen Sicht ein Hitlergruß vorliegt, nicht entscheidend darauf an, was jemand sieht, der seitlich zur Bühne steht, sondern gerade auch die Sicht des frontalen Beobachters ist entscheidend, da sich der Redner an die vor ihm stehenden Demonstranten wendet. Bei dieser frontalen Sicht ist bei dem abgespreizten Daumen und der nach innen gerichteten Handinnenfläche ein Hitlergruß – oder eine dem Hitlergruß ähnliche Geste – nicht zu erkennen.
7
Gegen eine Auslegung dieser Armbewegung als Hitlergruß spricht auch, dass von den Polizeibeamten, die in größerer Zahl bei der Demonstration eingesetzt waren, keine entsprechende Anzeige erstattet wurde. Offensichtlich wurde die Armbewegung in der Rededynamik nicht als Hitlergruß aufgefasst. Die Anzeigenerstattung erfolgte online aufgrund des Videos aus der seitlichen Perspektive. Die Anzeigenerstattung ist nachvollziehbar (vgl. Foto Bl. 3 d.A.), für die Beweiswürdigung sind aber alle Beweismittel, insbesondere alle Videos zu beurteilen. Zu Recht weist die Verteidigung in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die verschiedensten Politiker schon bei einer Geste fotografiert wurden, bei denen sie scheinbar einen Hitlergruß zeigen (vgl. Beispiele Bl. 34-42, Bl. 47 d.A., wobei Fotomontagen bei diesen Bildern nicht ausgeschlossen werden können). Es kommt daher auf den Gesamtkontext hinsichtlich Bewegungsabläufen und Redeinhalt an. Danach ist, wie das Amtsgericht zu Recht ausgeführt hat, die Tat nicht nachweisbar.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.