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LG München I, Endurteil v. 27.09.2022 – 1 HK O 3681/22
Titel:

Unzulässige Bewerbung eines Erkältungsmittels

Normenketten:
HWG § 3, § 3a
UWG § 3, § 5
Leitsatz:
Eine Werbung für ein Erkältungsmittel damit, dass durch sein Einnahme "das Schlimmste" übersprungen werde, ist unlauter, wenn der Verkehr hierunter die „schlimmsten Symptome“ versteht, diese Wirkungsweise der Hersteller dem Mittel aber nicht einmal selbst zuschreibt. (Rn. 25 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
einstweilige Verfügung, Arzneimittelwerbung, Irreführung, Werbespot, Erkältungsmittel
Fundstellen:
WRP 2023, 125
LSK 2022, 34494
BeckRS 2022, 34494

Tenor

1. Die einstweilige Verfügung vom 28.03.2022 wird bestätigt.
2. Die Verfügungsbeklagte hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 80.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Verfügungskläger begehrt Unterlassung von Arzneimittelwerbung.
2
Der Verfügungkläger ist eingetragener qualifizierter Wirtschaftsverband im Sinne von § 8 b UWG.
3
Die Verfügungsbeklagte ist ein in München ansässiges Pharmaunternehmen. Sie bietet auf dem deutschen Markt Verbrauchern unter anderem Nahrungsergänzungsmittel und rezeptfreie Arzneimittel an, unter anderem das rezeptfreie Arzneimittel „…“.
4
Das Arzneimittel „…“ ist zur „symptomatischen Behandlung“ von Erkältungsbeschwerden zugelassen. „… Erkältungstabletten werden angewendet zur symptomatischen Behandlung der Schleimhautschwellung von Nase und Nebenhöhlen verbunden mit Kopfschmerzen, Fieber und erkältungsbedingten, Schmerzen bei Jugendlichen ab 15 Jahren und Erwachsenen“. Insoweit wird auf die Fachinformation wie Anlage KS1 verwiesen.
5
Die Verfügungsbeklagte bewirbt das Arzneimittel unter anderem mit einem Werbespot auf der ihr gehörenden Internetseite www….de sowie der Internetplattform www.youtube.de. Diesen beanstandet die Klägerin als wettbewerbswidrig.
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In dem Werbespot wird eine Frau in verschiedenen Situationen ihres beruflichen Alltags als Tätowiererin sowie ihres privaten Alltags als Mutter einer Tochter dargestellt. Durch ein Niesen der Frau wird kenntlich gemacht, dass sie erkältet ist. Die Szenen werden aus dem Off von einer weiblichen Stimme, die aus der Ich-Perspektive berichtet, mit folgendem Text unterlegt (Voiceover):
„Leben - Du kannst mich unendlich glücklich machen! Grippaler Infekt - Symptome ihr könnt mich mal! Ich überspring das Schlimmste“
7
Im Zusammenhangmit der Aussage „Ich überspring das Schlimmste“ ist die Frau eingeblendet, die eine virtuelle Schaltfläche mit der Aufschrift „Überspringen“ vor sich hat. Die Schaltfläche, die sodann von der Protagonistin durch ein „Anklicken“ betätigt wird, ist dabei mit einem Symbol versehen, das allgemein auf elektronischen Geräten und Abspielsoftware für das Überspringen von Titeln, Songs oder Videos verwendet wird:
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Die Schaltfläche ist mit der Zeile überschrieben: „Die schlimmsten Symptome“. Dieses Symbol ist wiederum mit einer stilisierten Arzneimittelkapsel kombiniert, welche die Verfügungsbeklagte u.a. auch auf Ihrer Produktverpackung als schmückendes Element verwendet.
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Im Einzelnen ist die Szene wie nachstehend bebildert:
10
In der nächsten Szene wird die Produktverpackung der Antragsgegnerin eingeblendet. Darauf erscheinen die Begriffe „Grippaler Infekt:“, „Kopfschmerzen“, „Gliederschmerzen“, „Halsschmerzen“, „Fieber“ und „Verstopfte Nase“ im Bild und die Produktverpackung verschwindet zugunsten einer sich öffnenden stilisierten Arzneimittelkapsel. In Sekundenschnelle lösen sich die Begriffe auf.
11
Die Szene stellt sich wie folgt dar:
12
Für die Einzelheiten wird auf das (vollständige) Storyboard zum Spot wie Anlage AST9 bzw. die Videodatei wie Anlage AST10 verwiesen.
13
Der streitgegenständliche Werbespot ist die Modifikation eines früheren Werbespots der Verfügungsbeklagten. In dem früheren Werbespot lautete der Slogan „Leben - Du kannst mich unendlich glücklich machen! Grippaler Infekt - Du kannst mich mal! Ich überspring das Schlimmste“. Zudem war die Schaltfläche („Überspringen“) nicht mit der Zeile „Die schlimmsten Symptome“ überschrieben. Mit Beschluss vom 23.02.2022 hatte das LG München, Az. 1 HK O 2226/22, der Verfügungsbeklagten auf Antrag der Verfügungklägerin eine derartige Werbung für ihr Arzneimittel einstweilen untersagt. Daraufhin hatte die Verfügungsklägerin den Werbespot in die jetzige Fassung geändert. Eine Abschlusserklärung gab sie aber nicht ab. Die Verfügungsklägerin hat deshalb mittlerweile auch ein Hauptsacheverfahren vor dem LG München I eingeleitet, Az. 1 HK 7298/22.
14
Mit Schreiben vom 15.03.2022 wie Anlage AST11 mahnte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte (auch) wegen des neuen Werbespots ab.
15
Die Verfügungsbeklagte lehnte die Abgabe einer Unterlassungserklärung auch insoweit ab.
16
Die Verfügungsklägerin hat daraufhin erneut den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsanordnung durch das Gericht beantragt. Sie ist der Auffassung, die Verfügungsbeklagte verstoße (auch) mit ihrem (neuen) Werbespot gegen §§ 3, 3a HWG und §§ 3, 5 UWG und sei deshalb zur Unterlassung verpflichtet. Sie bewerbe ein Arzneimittel außerhalb seines zugelassenen Anwendungsgebiets, da das Arzneimittel unstreitig keine Zulassung für das allgemeine Anwendungsgebiet „grippaler Infekt“ habe, sondert nur für einzelne Symptome im Rahmen eines solchen Infekts. Zudem sei der Werbespot nach allgemeinen Gesichtspunkten irreführend. Die maßgeblichen Symptome würden nämlich unstreitig nicht abgekürzt oder gar gänzlich übersprungen, wie es im Spot heißt.
17
Mit Beschluss vom 28.03.2022 hat das LG München der Verfügungsbeklagten - dem Antrag der Verfügungsklägerin folgend - untersagt, geschäftlich handelnd das Arzneimittel „…“ mit der Aussage „Grippaler Infekt - Symptome ihr könnt mich mal! Ich überspring das Schlimmste“ zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, wenn das geschieht wie in demjenigen Werbespot, dessen wesentliche Teile durch das als Anlage AST9 vorgelegte Storyboard dokumentiert sind.
18
Mit Schriftsatz vom 24.05.2022 hat die Verfügungsbeklagte Widerspruch gegen den Erlass der einstweiligen Verfügung eingelegt.
19
Die Verfügungsklägerin beantragt:
Der Beschluss vom 28.03.2022 wird bestätigt.
20
Die Verfügungsbeklagte beantragt:
Der Beschluss vom 28.03.2022 wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
21
Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, es liege kein Verstoß vor. Das Versprechen des Überspringens stehe nur für eine Linderung der im Anschluss eingeblendeten Beschwerden. Es werde nicht suggeriert, dass die Symptome vollständig beseitigt oder zeitlich verkürzt würden.
22
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien verwiesen.
23
Die einstweilige Verfügung vom 28.03.2022 war zu bestätigen.
24
Der zulässige Antrag des Verfügungsklägers ist begründet. Dem Verfügungskläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.
25
Die angegriffene Werbeaussage mit ihrer Kernaussage „Ich überspring das Schlimmste“ ist im vorliegenden Kontext irreführend im Sinne von § 3 S. 1 HWG.
26
Die allgemeinen Verkehrskreise, zu denen auch die Mitglieder der Kammer gehören, verstehen die Aussage hier so - wie im Übrigen auch die Verfügungsbeklagte selbst geltend macht -, dass mit „das Schlimmste“ die „schlimmsten Symptome“ gemeint sind. Das ergibt sich insbesondere aus der der Schaltfläche „Überspringen“ übergeordneten Zeile „Die schlimmsten Symptome“.
27
Im Hinblick auf den Wortgehalt des Begriffs „Überspringen“ (siehe bereits dazu im Beschluss vom 28.03.2022) muss die Aussage deshalb insgesamt so verstanden werden, dass ein grippaler Infekt unter Einnahme des Medikaments der Verfügungsbeklagten unter Auslassung oder zumindest sprunghaften Verkürzung (= vollständigen Beseitigung) der damit einhergehenden (schlimmsten) Symptome durchgemacht werden könnte. Das ist aber eine Wirkung, welche auch die Verfügungsbeklagte ihrem Arzneimittel nicht zuschreibt.
28
Es mag sein, dass die Verfügungsbeklagte die Aussage beabsichtigte, dass „das Schlimmste der (schlimmsten) Symptome“ übersprungen wird - das schiene der Kammer eine zulässige Anpreisung. Das ist aber gerade nicht der Inhalt der streitgegenständlichen Aussage. Deshalb bleibt der Werbespot der Verfügungsbeklagten auch in seiner nachgebesserten Fassung zu beanstanden. Dass nur eine Linderung der Symptomatik bzw. der schlimmsten Symptome bewirkt wird, lässt sich gerade nicht feststellen, wenn Bezugspunkt des Begriffs „Überspringen“ die „schlimmsten Symptome“ sind. Denn dann geht es um die (schlimmsten) Symptome in ihrer Gänze.
29
Ergänzend wird auf die Ausführungen im angegriffenen Beschluss verwiesen.
30
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.