Inhalt

OLG München, Beschluss v. 26.10.2022 – 34 U 5029/22
Titel:

Keine Haftung von Audi für den entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi A6 Avant)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
AEUV Art. 267
ZPO § 148, § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; BeckRS 2022, 21374; OLG Bamberg BeckRS 2022, 33515; OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 43408; OLG München BeckRS 2022, 18875; BeckRS 2022, 28198; BeckRS 2022, 18804; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 21211; LG Bamberg BeckRS 2022, 29502; LG Kempten BeckRS 2022, 28679; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 30355; OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Voraussetzung eines Anspruchs aus § 826 BGB ist, dass die Herstellerin bei der Entwicklung oder Verwendung des Thermofensters in dem Bewusstsein handelte, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vortrag hinsichtlich (weiterer) unzulässiger Abschalteinrichtungen erfolgt ins Blaue hinein und ist damit unbeachtlich, wenn sich aus einer Vielzahl von Stellungnahmen des KBA ergibt, dass das betroffene Fahrzeug nach den Untersuchungen des KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung oder Konformitätsabweichung hinsichtlich des Emissionsverhaltens aufweist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es gibt keinen Anlass anzunehmen, dass der Bundesgerichtshof mit seiner Presseerklärung vom 01.07.2022 eine Wartepflicht der Instanzgerichte (bis zu einer Entscheidung des EuGH über die Schlussanträge des Generalanwaltes Rantos vom 2.6.2022) statuieren wollte. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, Audi, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Akustikfunktion, Lenkwinkelerkennung, Generalanwalt, Schlussanträge
Vorinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 21.07.2022 – 52 O 543/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34469

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21.07.2022, Az. 52 O 543/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.
1
1. Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen behaupteter unzulässiger Abschalteinrichtungen an einem von der Beklagten hergestellten Diesel-Motor geltend.
2
Am 01.04.2017 erwarb der Kläger den streitgegenständlichen Audi A6 Avant mit einem Kilometerstand von 130.944 km zu einem Preis von 21.500,00 €. Der V6-TDI-Motor verfügt über einen Hubraum von 2.967 ccm und eine Leistung von 150 kW (204 Ps). Das Fahrzeug unterfällt der Abgasnorm Euro 5. Der Fahrzeugkauf ist mit einem Darlehen der GmbH finanziert.
3
2. Erstinstanzlich trug die Klagepartei vor, das Fahrzeug sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen (Akustikfunktion, Lenkwinkelerkennung, prüfstandsorientierte Abgasoptimierung, Thermofenster) und verfüge über unzulässige Abschalteinrichtungen zur Manipulation der gesetzlichen Abgasgrenzwerte. Es sei von einem Rückruf des Kraftfahrbundesamtes (KBA) betroffen, dies sei aber nicht Voraussetzung eines Anspruchs. Über die Verwendung dieser unzulässigen Abschalteinrichtungen habe die Beklagte die Klagepartei vorsätzlich sittenwidrig getäuscht.
4
Die Beklagte trug erstinstanzlich vor, dass bei dem Fahrzeug die gerügte Lenkwinkelerkennung nicht zum Einsatz komme. Außerdem handele es sich dabei nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Vielmehr werde mit der Erkennung des Lenkwinkels beispielsweise das ESP gesteuert. Bezüglich der gerügten Abschalteinrichtungen trage die Klagepartei ins Blaue hinein vor. Der Sachvortrag sei unsubstantiiert, die Klagepartei komme ihrer primären Darlegungslast nicht nach. Im Übrigen habe die Beklagte nicht vorsätzlich sittenwidrig getäuscht.
5
3. Das Landgericht wies die Klage mit Urteil vom 21.07.2022 ab. Die Klageabweisung begründete es im Wesentlichen damit, dass Ansprüche aus deliktischer Haftung gegen die beklagte Partei nicht bestünden. Die Ausstattung eines Kraftfahrzeugs mit einem Thermofenster sei nicht als sittenwidrige Handlung anzusehen. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei nicht von einem Rückruf des KBA betroffen. Dem abstrakten Vortrag der Klagepartei zu den verschiedenen unzulässigen Abschalteinrichtungen fehle jeglicher Zusammenhang zu den tatsächlich vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen. Der Vortrag der Klagepartei sei ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich aufs Geratewohl und damit unzulässig. Für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV bzw. Art. 5 Abs. 2, 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 fehle den Vorschriften der entsprechende Schutzcharakter.
6
4. Gegen dieses Urteil wendet sich die Klagepartei mit ihrer Berufung. Sie verfolgt ihre zuletzt geltend gemachten Schadensersatzansprüche in Höhe von mindestens 5.681,88 € weiter. Die Berufung begründet sie im Wesentlichen wie folgt:
„Laut Generalanwalt R. bestünde eine drittschützende Wirkung der Kraftfahrzeug-Rahmenrichtlinie (RL 2007/46/EG) in Verbindung mit Art. 5 der Typengenehmigungsverordnung (Verordnung (EG) Nr. 715/2007). Wenn die genannten Vorschriften als drittschützend eingestuft würden, könne der Klagepartei ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB zuerkannt werden. Auch die bisherige Berechnung des Schadensersatzanspruchs bedürfe vor dem Hintergrund des Unionsrechts einer neuen Betrachtung.“
7
Das Urteil des Landgerichts sei ferner rechtsfehlerhaft, da es entgegen der Auffassung des Eingangsgerichts unerheblich sei, ob für das streitgegenständliche Fahrzeug ein Rückrufbescheid des KBA vorliege. Des Weiteren begründe das Herstellen und Inverkehrbringen des Dieselmotors mit rechtswidrigen Abschalteinrichtungen mittels Täuschung des KBA den Vorwurf der Sittenwidrigkeit. Das Eingangsgericht habe weiterhin unzutreffend den klägerischen Vortrag als zu unsubstantiiert erachtet.
8
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 14.9.2022 Bezug genommen.
II.
9
Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung liegen vor. Das angefochtene Urteil des Landgerichts Landshut weist weder Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers auf, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
10
Zu Recht hat das Landgericht Landshut Schadensersatzansprüche verneint. Solche ergeben sich aus § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV nicht.
11
1. Ansprüche nach § 826 BGB bestehen nicht.
12
a) Zutreffend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass der BGH in der Entscheidung vom 19.1.2021 (VI ZR 433/19) ausdrücklich festgehalten hat, dass die Entwicklung eines Thermofensters für sich genommen nicht ausreicht, um einen Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu begründen. Abgesehen davon, dass der Kläger hinsichtlich der von ihm geltend gemachten Schädigung die Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines sogenannten Thermofensters allenfalls indirekt aufgestellt hat, hat die Beklagte auch unbestritten vorgetragen, dass dem KBA das in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verwendete Thermofenster bekannt war. Die Klagepartei hat keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen ließen, dass die Beklagte bei der Entwicklung oder Verwendung des Thermofensters in dem Bewusstsein handelte, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm. Dies wäre allerdings Voraussetzung eines Anspruchs aus § 826 BGB (BGH a.a.O.).
13
b) Hinsichtlich weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen ist der Vortrag des Klägers unbeachtlich, da er ins Blaue hinein erfolgte.
14
(1) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, haben die Gerichte in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (BGH, Beschluss vom 26.03.2019 - VI ZR 163/17 -, juris Rn. 11; Beschluss vom 25.09.2018 - VI ZR 234/17 -, juris Rn. 8). Eine Partei ist grundsätzlich auch nicht daran gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Sie darf sich grundsätzlich auch auf nur vermutete Tatsachen stützen, wenn sie - wie hier - mangels Sachkunde und Einblick in bestimmte Prozesse keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat, wie der Bundesgerichtshof (Urteil vom 28.01.2020 - VIII ZR 57/19 -, juris Rn. 9 ff. obiter dictum, jedoch betreffend kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche) gerade auch in einem Fall des sogenannten Abgasskandals festgestellt hat.
15
Eine Behauptung ist allerdings unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist, weswegen die Partei greifbare Umstände anführen muss, auf die sie den Verdacht gründet, ihr Fahrzeug weise eine oder mehrere Abschalteinrichtungen auf (vgl. BGH, a.a.O., juris Rn. 11 ff.). Bei der Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit deliktischen Ansprüchen können greifbare Anhaltspunkte etwa staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder verpflichtende Rückrufe des Kraftfahrt-Bundesamts wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem im Streit stehenden Motortyp sein, jedenfalls dann, wenn es um kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche geht (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, juris Rn. 11). Es kann ausreichen, wenn die Partei Presseberichte einreicht, nach denen das Kraftfahrt-Bundesamt wegen des Verdachts einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem betroffenen Motor ein Anhörungsverfahren eingeleitet und amtliche Rückrufe durchgeführt habe (BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/21, juris Rn. 24).
16
(2) Dies ist hier jedoch nicht der Fall, der hier streitgegenständliche Motor im klägerischen Fahrzeugtyp ist nicht von Maßnahmen des KBA im Hinblick auf unzulässige Abschalteinrichtungen betroffen. Diese erstinstanzlich insoweit vorgetragene Behauptung des Klägers wurde von der Beklagten bestritten, die Feststellung des Erstgerichts, dass das klägerische Fahrzeug nicht von einem Rückruf des KBA betroffen ist, wird mit der Berufung offenbar auch nicht angegriffen. Die Beklagte hat im Übrigen eine Vielzahl von Stellungnahmen des KBA vorgelegt, wonach das streitgegenständliche Fahrzeug nach den Untersuchungen des KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung oder Konformitätsabweichung hinsichtlich des Emissionsverhaltens aufweist. Soweit sich die Klagepartei auf einen Auszug aus der Rückrufdatenbank mit der KBA-Referenznummer ... bezieht, hat die Beklagte unbestritten vorgetragen, dass dieser fehlerhaft war und mittlerweile korrigiert wurde.
17
Die von der Klagepartei vorgelegten Messergebnisse der DUH können einen Verdacht auf eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht begründen. Im realen Fahrbetrieb gemessene Emissionsgrenzwertüberschreitungen sind bereits als tatsächlicher Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn von Art. 3 Nr. 10, 5 VO (EG) Nr. 715/2007 untauglich. Der Umstand, dass die Emissionen im Realbetrieb über denen auf dem Prüfstand liegen, liegt auf der Hand (OLG München, Urt. v. 27.10.2021 - 20 U 5499/19, juris Rn. 42; BGH, Urt. v. 13.07.2021 - VI ZR 128/20, juris Rn. 23). Dies folgt neben dem Einfluss von Witterung, Straßenbelag und individuellen Fahrverhalten auch aus den - zulässigerweise - auf dem NEFZ-Prüfstand bestehenden Optimierungsmöglichkeiten (vgl. u.a. Urteile des OLG Stuttgart vom 16.06.2020 - 16a U 228/19, juris Rn. 94, und vom 04.05.2021 - 16a U 202/19, juris Rn. 60ff).
18
c) Im Einzelnen ist ergänzend zu den behaupteten Abschalteinrichtungen Folgendes auszuführen:
19
aa) Es kann dahinstehen, ob bei einem Vorgängermodell eine sogenannte Akustikfunktion verbaut war. Soweit die Berufung vorträgt, dass die Beklagte bei Fahrzeugen mit einem V6 TDI (EU4) Dieselmotor in den Modelljahren 2004 bis 2008 eine Abschalteinrichtung eingesetzt habe, durch deren Aktivierung über die Einspritzstrategie und die AGR-Rate die Stickoxidemissionen vermindert wurden (Akustikfunktion), ist dieser Einwand nicht zielführend, da das klägerische Fahrzeug erst Anfang 2012 (EZ: Juni 2012) produziert wurde. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte diese Funktion auch später noch in sämtlichen 3,0 Liter-Dieselmotoren verbaut hätte, hat die Klagepartei nicht vorgetragen. Dagegen spricht bereits, dass nicht sämtliche 3 Liter-Motoren von einem Rückruf betroffen sind.
20
bb) Worauf sich die Annahme begründet, bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei eine Vorrichtung verwendet worden, die anhand einer sogenannten Lenkwinkelerkennung dafür sorge, dass das Fahrzeug erkenne, ob es sich im Prüfzyklus befinde oder auf der Straße, ist nicht ansatzweise ersichtlich. Gleiches gilt für die Annahme, zur Einhaltung der Grenzwerte bei der vorgesehenen Kontrolle auf dem Rollenprüfstand werde das sogenannte „Auxiliary Emission Control Device“ (AECD) eingesetzt und diese Abschalteinrichtungen seien gekoppelt mit einer Manipulation des „On Board Diagnosesystems“ (OBD).
21
d) Der Senat verkennt nicht, dass nicht zwingend ein Rückruf des KBA erforderlich ist, um einen Mangel zu begründen. Vorliegend sind aber auch keine anderen greifbaren Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung ersichtlich. Ein hinreichender substantiierter Vortrag als Voraussetzung für eine eventuelle sekundäre Darlegungslast der Beklagten sowie unter Umständen einer Beweiserhebung hinsichtlich der von der Klagepartei behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen liegt damit nicht vor.
22
2. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV.
23
a) §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV stellen nach der Rechtsprechung des BGH keine Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB dar, die den Käufer vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit schützen sollen. Das Interesse, nicht zu der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im Schutzbereich dieser Normen (vgl. Urteil des BGH v. 25.05.2020 - VI ZR 252/19, Rn. 72 ff.; BGH NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.).
24
b) Der Senat sieht keine Veranlassung, hiervon aufgrund des Schlussantrags des Generalanwalts R. in dem Vorabentscheidungsverfahren C-100/21 des EuGH abzuweichen, das Verfahren dem EuGH vorzulegen oder das Verfahren nach § 148 Abs. 1 ZPO auszusetzen (vgl. OLG München vom 16.8.2022, 24 U 1964/22).
25
Eine Verpflichtung der Instanzgerichte, Verfahren aus dem Bereich der sogenannten Abgasthematik bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszusetzen, besteht nach gefestigter Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs als auch des Bundesgerichtshofs im Falle von Vorabentscheidungsersuchen anderer nationaler Gerichte nicht. Demzufolge hat der Senat auch keinen Anlass anzunehmen, dass der Bundesgerichtshof mit seiner Presseerklärung vom 01.07.2022 im Verfahren VIa ZR 335/21 hiervon abweichen und eine Wartepflicht der Instanzgerichte statuieren wollte. Der Senat versteht diese Pressemitteilung vielmehr dahin, dass der Bundesgerichtshof gelegentlich der Verhandlung am 21.11.2022 denjenigen Gerichten, die in Ausübung ihres richterlichen Ermessens ein Abwarten der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für tunlich erachtet haben, die sich aus einer bis dahin erwarteten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für die bundesdeutsche Ziviljustiz ergebenden Konsequenzen nahezubringen.
26
Der Senat ist nach gefestigter Rechtsprechung nicht bereits deshalb zur Anrufung des EuGH verpflichtet, weil einzelstaatliche Gerichte in Rechtssachen, die der beim Senat anhängigen ähneln und die gleiche Problematik betreffen, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 1 - 3 AEUV vorgelegt haben (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 - C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Ebenso wenig ist der Senat verpflichtet, die Antwort auf diese Frage abzuwarten und das bei ihm rechtshängige Verfahren analog § 148 ZPO auszusetzen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 - C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51).
27
Der Bundesgerichtshof hat dies mit Beschluss vom 14.06.2022, VIII ZR 409/21 für eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof (wiederum durch das Landgericht Ravensburg) zum Verhältnis zwischen Verbraucherkreditlinie und Kilometerleasingverträgen nochmals ausdrücklich bestätigt.
28
In Anwendung seines richterlichen Ermessens hält der Senat ferner eine Aussetzung des Verfahrens nicht für sachgerecht.
29
Die Schlussanträge des Generalanwalts R. vom 02.06.2022 erfordern ein Abwarten durch den Senat nicht. Selbst wenn entsprechend der in den Schlussanträgen (dort Rn. 50 und Rn. 78 Ziff.1) vertretenen Auffassung davon ausgegangen würde, die RL 2007/46/EG solle (auch) das Interesse des individuellen Erwerber seines Kraftfahrzeugs schützen, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, handelt es sich bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.
30
Der VO (EG) Nummer 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, misst selbst der Generalanwalt keine Schutzwirkung zugunsten von Vermögensinteressen von Fahrzeugerwerbern zu.
31
Bereits das bestehende deutsche Vertrags- und Deliktsrecht hält zahlreiche - abgestufte - Instrumente bereit, die hinreichend wirksam das Interesse eines Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben und zugleich auch einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bedingen, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten. Vor diesem Hintergrund bedarf es in der deutschen Rechtsordnung über die bestehenden Institute des Vertrags- und Deliktsrechts hinaus nicht der Einordnung der Vorschriften der EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, um das Interesse der Käufer von Fahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sind, angemessen zu schützen (im gleichen Sinne OLG Stuttgart, Urteil vom 28.06.2022, 24 U 115/22, Seite 27 ff; dort auch eingehend zu entstehenden nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen, wollte man den Bestimmungen der §§ 6 und 27 EG-FGV Schutzgesetzcharakter im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB beimessen).
32
Soweit das im Verfahren C-100/21 vorlegende Landgericht Ravensburg hierzu eine abweichende Auffassung (insbes. hinsichtlich des Erfordernisses einer Herstellerhaftung bereits für fahrlässiges Verhalten) vertritt, ist als Beleg für den gegenteiligen Befund darauf zu verweisen, dass in den vergangenen Jahren hunderttausende Käufer von Dieselfahrzeugen erfolgreiche, auf unzulässige Abschalteinrichtungen gestützte Klagen gegen unterschiedliche Hersteller von Pkw und darin eingesetzten Dieselmotoren geführt haben.
33
Im Übrigen erkennt der Senat auch keine unmittelbaren Wirkungen für anhängige Verfahren, soweit es in den Schlussanträgen des Generalanwalts unter Ziffer 57 wörtlich lautet:
„Im Einklang mit dem Effektivitätsgrundsatz ist es Sache dieses Gerichts (gemeint ist das vorlegende Gericht) zu prüfen, ob die in § 826 BGB vorgesehenen Voraussetzungen die Ausübung des Ersatzanspruchs, der dem Erwerber eines Fahrzeugs nach der RL 2007/46 zusteht, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren können. Wenn ja, wären diese nationalen Verfahrensvorschriften nicht mit dem Unionsrecht vereinbar.“ (Hervorhebung durch den Senat)
34
Da die Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht infrage steht, dürfte selbst bei - unterstellten - Defiziten zuvörderst der nationale Gesetzgeber gefordert sein, soweit nicht im Auslegungswege abgeholfen werden kann, was hier vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der Regelungen der EG-FGV mit Recht verneint wird.
35
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, Rn. 16, 17; Urteil vom 13.07.2021, Az. VI ZR 128/20) kommt es bei Diesel-Fällen außerhalb des Motortyps EA 189 darauf an, ob die Klagepartei substantiiert behauptet hatte, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht hatte. Eine einheitliche Entscheidung zu einem bestimmten Motortyp ist demnach nicht geboten und auch gar nicht möglich, da die Entscheidung vom Vorliegen eines substantiierten Vortrags im Einzelfall abhängt.
III.
36
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).