Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 20.10.2022 – Au 5 K 22.587
Titel:

Tekturgenehmigung für Tiefgaragenzufahrt - Abstand zu einem Gewässer

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 1
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2
BauNVO § 23 Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Ein Vortreten von nicht mehr als 1,50 m dürfte im Regelfall als geringfügig zu bewerten sein (§ 23 Abs. 3 S. 2 BauNVO), letztlich maßgeblich ist jedoch die städtebauliche Wirkung. Insbesondere ist die Größe der baulichen Anlage in Bezug zu setzen und eine Einzelfallabwägung zu treffen. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soll eine Abweichung mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein, muss sie durch das planerische Wollen noch gedeckt sein; es muss angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Plangeber gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Baugenehmigung ist grundsätzlich nicht teilbar, da sie die einheitliche und deshalb grundsätzlich unteilbare Feststellung enthält, dass das im Bauantrag beschriebene und zur Genehmigung gestellte Bauvorhaben in seiner Gesamtheit nicht gegen zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Freihaltung des Ufersaums, Überbaubare Grundstücksflächen, Grundzug der Planung, Bauantragstellung als Gesamtvorhaben, Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß, Befreiung, Gewässerschutz, nicht teilbare Baugenehmigung
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 08.03.2023 – 15 ZB 22.2463
VGH München, Beschluss vom 03.05.2023 – 15 ZB 23.579
VerfGH München, Entscheidung vom 23.01.2024 – Vf. 18-VI-23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34432

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin richtet sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 3. Februar 2022 und begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung (Tekturgenehmigung) mit Genehmigung der Änderungen hinsichtlich der Lage der Tiefgaragen-Abfahrt, der Mülltonneneinhausung und der behindertengerechten Rampe sowie der Errichtung eines Wintergartens.
2
Das Vorhabengrundstück „…“ in …, Fl.Nr. …, steht im Eigentum der Klägerin.
3
Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans … „…“ (in der Fassung vom 4.5.2000, 1. Änderung in der Fassung vom 28.9.2006, 2. Änderung in der Fassung vom 5.2.2015) (im Folgenden „Bebauungsplan“) im Bereich „…“.
4
Der Bebauungsplan regelt in § 3 (in der Fassung vom 5.2.2015): „Die überbaubare Grundstücksfläche ist durch Baugrenzen gekennzeichnet. Untergeordnete bauliche Anlagen wie z.B. Terrassen, Kellerabgänge, Vordächer, Pergolen sind auch außerhalb der Baugrenzen zulässig, mit Ausnahme des im Südwesten entlang des Umlaufgrabens ausgewiesenen Uferbereiches.“
5
In § 4 Abs. 3 des Bebauungsplans (in der Fassung vom 5.2.2015) ist geregelt: „Die Gebäude müssen von den Grenzen der Gewässer der … entsprechend der festgesetzten Baugrenzen einen Abstand von mindestens 10 Metern (..) haben.“
6
In seiner Ursprungsfassung (Fassung vom 4.5.2000) enthielt der Bebauungsplan vormals in § 3 Abs. 3 folgende Festsetzung: „Die Gebäude müssen von den Grenzen der Gewässer der … entsprechend der festgesetzten Baugrenzen einen Abstand von mindestens 10 Metern (..) einhalten. Ausnahmen hiervon bestehen beim (..) und für die Tiefgaragenzufahrt im Gebiet 1.“
7
§ 6 Abs. 6 Satz 3 des Bebauungsplans (in der Fassung vom 4.5.2000, gilt insofern nach § 7 des Bebauungsplans in der Fassung vom 5.2.2015 weiter) regelt: „Tiefgaragen dürfen nur innerhalb der überbaubaren Flächen und innerhalb der in der Planzeichnung eingetragenen Flächen erstellt werden. Tiefgaragenzufahrten und die zur Funktion der Tiefgarage erforderlichen Gebäudeteile sind ober- und unterirdisch auch außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zulässig.“
8
Der … (im Folgenden „Bauträgerin“) wurde als Bauherrin mit Bescheid vom 10. September 2013, Az., eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … erteilt.
9
Am 4. Februar 2014 hat die Bauträgerin die baurechtliche Genehmigung zur Lageänderung der Tiefgaragen-Abfahrt beantragt. Danach befindet sich die Tiefgaragen-Abfahrt teilweise außerhalb festgesetzter Baugrenzen. Die Untere Bauaufsichtsbehörde stellte bei einer Ortseinsicht fest (vgl. Bildaufnahmen vom 11. September 2014 und 3. Dezember 2014, Bauakte …), dass das Mehrfamilienhaus bereits bis zur Oberkante des 2. Obergeschosses im Rohbau erstellt war. Die beantragte Lageänderung der Tiefgaragen-Abfahrt war bereits im Dezember 2013 ausgeführt und die Tiefgarage vollständig erstellt worden. Die Tiefgaragenzufahrt wurde - abweichend von den genehmigten Eingabeplänen - teilweise außerhalb der Baugrenze im Osten des Vorhabengrundstücks errichtet. Die überbaute Fläche östlich der Baugrenze beträgt etwa 48 qm. Auch die Mülltonneneinhausung, die in den Planunterlagen zum Tekturantrag mit dargestellt war, befand sich bereits an dem geplanten Standort außerhalb der Baugrenzen.
10
Die Beigeladene hat daraufhin das gemeindliche Einvernehmen zum Tekturantrag mit Beschluss vom 18. März 2014 versagt und dies dem Landratsamt … (im Folgenden „Landratsamt“) mit Stellungnahme vom 26. März 2014 mitgeteilt. Mit Stellungnahme vom 22. April 2014 teilte das Wasserwirtschaftsamt … mit, dass aus wasserrechtlicher Sicht keine Bedenken gegen eine Genehmigung der Änderung der Lage der Tiefgaragenzufahrt bestünden, da der Abstand bis zur … weiterhin 8 m betrage. Das Landratsamt erteilte - unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens - mit Bescheid vom 17. Juli 2014, Az. …, die Baugenehmigung für die Änderung der Lage der Tiefgaragen-Abfahrt, mit der diese nachträglich legalisiert werden sollte. Auf Klage der Beigeladenen vom 13. August 2014 hin wurde der Genehmigungsbescheid vom 17. Juli 2014 durch das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg (U.v. 2.7.2015 - Au 5 K 14.1193) aufgehoben. Die Mülltonneneinhausung wurde nach Aufforderung durch das Landratsamt beseitigt.
11
Am 15. Juli 2021 stellte die Klägerin einen Antrag auf die Genehmigung von Änderungen hinsichtlich der Lage der Tiefgaragen-Abfahrt, der Mülltonneneinhausung und der behindertengerechten Rampe sowie der Errichtung eines Wintergartens auf dem Grundstück Fl.Nr. … Die Beigeladene verweigerte das gemeindliche Einvernehmen zum Vorhaben. Mit Schreiben des Landratsamtes vom 12. Oktober 2021 wurde die Klägerin zur beabsichtigten Ablehnung ihres Bauantrags angehört und ihr Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2021 verzichtete die Klägerin auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach Art. 68 Abs. 2 Satz 2 Bayerische Bauordnung (BayBO). Mit Schreiben vom 29. November 2021 nahm der bevollmächtigte Rechtsvertreter der Klägerin zur beabsichtigten Antragsablehnung Stellung.
12
Mit Schreiben vom 3. Februar 2022, dem Klägervertreter zugegangen am 9. Februar 2022, lehnte das Landratsamt den Antrag auf bauaufsichtliche Genehmigung zu den Änderungen ab. Auf die Gründe zum Bescheid wird Bezug genommen.
13
Mit Schriftsatz vom 8. März 2022, eingegangen am 8. März 2022, erhob die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg mit dem Antrag,
I. Der Bescheid des Beklagten vom 03. Februar 2022 - Aktenzeichen, zugestellt am 09. Februar 2022, wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verpflichtet, eine Tektur-Baugenehmigung mit dem Inhalt zu erteilen, dass die nachfolgend aufgeführten „Änderungen“ der ursprünglichen Baugenehmigung zur Errichtung eines WEG-Gebäudes in, An der … genehmigt werden:
1. Die Situierung der Tiefgaragen-Abfahrt und die erfolgte Ausführung nordöstlich des WEG-Gebäudes.
2. Die Situierung der Mülltonneneinhausung östlich der Tiefgaragen-Abfahrt auf dem WEG-Grundstück.
3. Die bereits erfolgte Schaffung einer behindertengerechten Rampe im Eingangsbereich an der Straße …
4. Die Errichtung eines Wintergartens in einer EG-Wohnung.
14
Die Klägerin hat ihre Klage im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Entscheidung des VG Augsburg (U.v. 2.7.2015 - Au 5 K 14.1193) entfalte keine entgegenstehende Rechtskraft, jedenfalls erstrecke sich die Rechtskraft nicht auf die Klägerin. Die Klägerin sei als juristische Person spätestens mit der Eintragung von zwei Wohnungseigentümern im Grundbuch entstanden, mithin ab dem 23. Juni 2015. Auch die werdende Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) habe bereits deren Rechte und Pflichten. Die WEG habe daher als Trägerin des Gemeinschaftseigentums neben der Bauträgerfirma notwendig nach § 65 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beigeladen werden müssen. Diese Notwendigkeit sei offensichtlich gewesen, da es aufgrund der Errichtung eines Mehrfamilienhauses durch einen Bauträger nahegelegen habe, dass zumindest eine werdende WEG zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung im Juli 2015 vorlag. Eine Rechtskrafterstreckung des Urteils auf die Klägerin scheide aus, da diese nicht Rechtsnachfolgerin des Bauträgers sei. Vielmehr sei die Klägerin im Verhältnis zum Bauträger ein aliud und weder Gesamt- noch Einzelrechtsnachfolgerin. Aus dem Unterbleiben der notwendigen Beiladung ergebe sich, dass das Urteil nicht in materielle Rechtskraft erwachsen könne.
15
Die Klägerin habe einen Rechtsanspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO).
16
Die Baumaßnahmen der behindertengerechten Rampe und der Errichtung eines Wintergartens seien nur deshalb noch Gegenstand der Klage, weil sie von dem Beklagten wegen der Gesamtantragstellung zusammen mit den beiden eigentlich strittigen Punkten trotz von ihm selbst festgestellter Genehmigungsfähigkeit nicht genehmigt worden seien.
17
Hinsichtlich der Mülltonneneinhausung habe sich bereits ursprünglich mit Zustimmung des Beklagten eine begehbare Mülltonnenanlage neben der Tiefgaragen-Abfahrt an der Ost-Grenze befunden. Aufgrund des verwaltungsgerichtlichen Urteils sei diese an die Nord-Ost-Seite neben und unter die Wohnungen verlegt worden, dieser Standort sei aufgrund der Nähe zu den Wohnungen im Erdgeschoss sowie den darüber liegenden Stockwerken aber nicht optimal. Der Bebauungsplan erlaube ein Abstellen der Tonnen an der Grundstücksgrenze im Schutze der Tiefgaragen-Abfahrt. Die gebietsgerechte Einhausung sei aus optischen Gründen erfolgt und liege im Interesse der Allgemeinheit. Eine Gartenmauer mit einer Höhe von 1,80 Meter wäre im Bebauungsplan ausdrücklich erlaubt. Der Rauminhalt sei mit 14,068 Kubikmeter eine bloße Einhausung, die ein Mensch bei den Höhen von 1,80 Meter und 1,47 Meter nicht normal betreten könne.
18
Das beantragte Vorhaben zur Tiefgaragen-Abfahrt sei nicht wegen Überschreitung der festgesetzten Baugrenze bauplanungsrechtlich unzulässig, da es den Festsetzungen des Bebauungsplans gerade entspräche. Eine Tiefgaragen-Abfahrt sei kein Gebäude und die Beigeladene habe im streitgegenständlichen Bebauungsplan die Errichtung von Tiefgaragen-Abfahrten außerhalb von Baugrenzen als Sonderregelung ausdrücklich zugelassen. Aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 des Bebauungsplans („Die Gebäude müssen von den Grenzen der Gewässer der … entsprechend der festgesetzten Baugrenzen einen Abstand von mindestens 10 Metern (…) einhalten.“) ergebe sich im Kontext zu § 6 Abs. 6 Satz 3 („Tiefgaragenzufahrten und die zur Funktion der Tiefgarage erforderlichen Gebäudeteile sind ober- und unterirdisch auch außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zulässig.“), dass § 6 Abs. 6 insofern als lex specialis gegenüber § 3 Abs. 3 anzusehen sei und damit für Tiefgaragenzufahrten die Einhaltung des 10-Meter-Abstands entfallen lasse. Anderenfalls wäre auch der Zweck, den oberirdischen Parkraum zu entlasten und dem Immissionsschutz zu dienen, konterkariert. Zudem reiche die Baugrenze exakt bis zur 10-Meter-Grenze der, für eine Zufahrtsmöglichkeit zur zulässigen Tiefgarage habe damit bei Ausnutzung der Ost-Bebauungsgrenze für das Gebäude und die Tiefgarage keine Fläche mehr zur Verfügung gestanden, eine Zufahrt von Süden oder Westen sei nicht möglich gewesen. Eine Anbauverbotszone sei gerade nicht geschaffen worden. Damit sei nach grammatikalischen, technischen und allgemeinverständlichen Gesichtspunkten eine untergeordnete Nebenanlage wie die Tiefgaragen-Abfahrt hinsichtlich der Situierung nicht den Baugrenzen unterworfen. Zudem bestehe dieser Zustand seit nunmehr fast sieben Jahren ab Urteilsverkündung, ohne dass eine Beseitigungsanordnung ergangen wäre. Es läge damit zwar eine praktische Lösung vor, diese sei für die WEG aber nicht tragbar. Deren Eigentumsrecht werde verletzt, weil ein Anspruch auf Genehmigung und Beseitigung des durch das verwaltungsgerichtliche Urteil gesetzten Rechtsscheins einer fehlenden Baugenehmigung bestünde. Die Klägerin sei berechtigterweise von der Bebauungsplan-Konformität der Tekturplanung und Ausführung ausgegangen.
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Hilfsweise wird auch darauf hingewiesen, dass keine Grundzüge der Planung gegeben seien und damit die Tatbestandsvoraussetzungen einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB vorlägen. Die Grundzüge der Planung seien von der jeweiligen Planungssituation und dem planerischen Grundkonzept abhängig. Es bedürfe einer Feststellung für den konkreten Einzelfall, ob die Festsetzung Bestandteil eines Planungskonzepts sei, welches sich durch das gesamte Plangebiet oder doch zumindest einen maßgeblichen Teil davon gleichsam wie ein roter Faden zieht. Ein für weite Teile des Plangebiets geltendes Konzept liege hinsichtlich der 10-Meter-Grenze nicht vor. Vielmehr werde damit lediglich der zum Zeitpunkt der Bauleitplanung angenommene Uferbereich zum Gewässerunterhalt abgebildet und dem Willen Rechnung getragen, dass eine Verbindung für Fußgänger und Radfahrer entlang der … im Bebauungsplan-Gebiet ermöglicht werde. Außerdem weise ein Teil des …-Ufers im fraglichen Bereich ohnehin Betonwände und das Wasserkraftwerk auf. Im nördlichen Bereich sei ohnehin kein Durchkommen möglich, da die Grundstücksgrenzen bis an das Ufer reichen. Es sei nicht erkennbar, dass die Stadt die 10-Meter-Grenze bewusst aus städtebaulichen Erwägungen als Grundzug der Planung einführen wollte. Zudem befinde sich der einzige Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Grundzugs der Planung in der Begründung und nicht im Bebauungsplan selbst, sowie an hinterer Stelle und unter der völlig irreführenden Überschrift „Private Grünflächen“. Die Abweichung wäre auch städtebaulich vertretbar. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso die Stadt eine Anpassung des Bebauungsplans an die Wirklichkeit ablehne. Das Leitbild der städtebaulichen Ordnung bleibe gewahrt, die Gefahr einer Verdichtung sowie die Schaffung eines negativen Bezugsfalls bestehe nicht. Das Vorhaben füge sich in die übrige Bebauung im Plangebiet ein und sei als unbedeutende Nebenanlage mit geringen Ausmaßen ohnehin nicht auffallend. Hinsichtlich des Bezugsfalls fehle es an vergleichbaren anderen Grundstücken im Plangebiet, für die das Vorhaben als Bezugsfall dienen könne. Es sei darüber hinaus nicht ersichtlich, dass durch das Vorhaben in irgendeiner Weise nachbarliche Belange berührt würden oder die Gewässerpflege oder die Nutzbarkeit des Weges für Fußgänger und Radfahrer auch nur im Ansatz beeinträchtigt werden könnten. Zwar stehe die Entscheidung über die Erteilung einer Befreiung im Ermessen der Behörde, allerdings liege aufgrund der detaillierten Vorgaben für die Erteilung einer Befreiung eine Ermessensreduktion auf Null vor.
20
Auf den weiteren Inhalt des Klagebegründungsschriftsatzes vom 08. März 2022 sowie die Stellungnahme zum Klageerwiderungsschriftsatzes vom 26. April 2022 wird ergänzend Bezug genommen.
21
Der Beklagte wendet sich mit Schriftsatz vom 08. April 2022 gegen die Klage und beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
22
Das Landratsamt bringt für den Beklagten zur Begründung vor, dass das vorausgegangene verwaltungsgerichtliche Urteil (Au 5 K 14.1193) wirksam sei. Beteiligter des Baugenehmigungsverfahrens sei der Bauherr, der nicht identisch mit dem Eigentümer des Grundstücks sein müsse. Selbst im Fall der Rechtsnachfolge bleibe der Rechtsvorgänger solange Bauherr, bis der Wechsel der unteren Bauaufsichtsbehörde angezeigt werde, eine solche Anzeige sei nicht erfolgt. Eine etwaige während des noch laufenden gerichtlichen Verfahrens erfolgte Rechtsnachfolge erfordere nicht notwendig eine Beiladung. Inwieweit das damalige Urteil die jetzige Klägerin binde, könne letztlich dahinstehen, da das Verwaltungs- sowie Klageverfahren in keinem Fall erfolgreich sein könne.
23
Hinsichtlich der behindertengerechten Rampe und des Wintergartens wird vorgebracht, dass der Antragsteller ein Gesamtvorhaben beantragt habe und durch seinen Genehmigungsantrag bestimme, was das Vorhaben und der zu beurteilende Verfahrensgegenstand sei. Der Bauherr lege den Umfang des Bauvorhabens und damit den Gegenstand des Genehmigungsantrags selbst fest, hieran sei die Behörde gebunden. Trotz wiederholter Hinweise des Landratsamtes, für die genehmigungsfähigen Teile des Vorhabens eigene Antragsunterlagen vorzulegen, um die genehmigungsfähigen Teile des als Gesamtmaßnahme beantragten Vorhabens abtrennen und genehmigen zu können, seien keine entsprechenden Unterlagen vorgelegt worden. Zudem seien die Antragsunterlagen trotz entsprechender Aufforderung auch nicht vervollständigt worden. Daher habe das Landratsamt davon ausgehen müssen, dass eine einheitliche Entscheidung für das von der Antragstellerin als Gesamtvorhaben beantragte Vorhaben gewünscht sei.
24
Zur Verlegung der Mülltonneneinhausung wird ausgeführt, dass die in der Klagebegründung dargestellten Mülltonnenhäuschen nicht dem Antragsgegenstand entsprächen. Aus den Antragsunterlagen seien die Bemaßungen des Mülltonnenhäuschens nicht ersichtlich gewesen. Auch nach Aufforderung seien keine Unterlagen zur Vervollständigung vorgelegt worden. Es habe ursprünglich an derselben Stelle bereits ein Mülltonnengebäude bestanden, sodass von Seiten des Landratsamts davon ausgegangen wurde, dass dieses Mülltonengebäude wieder in den bisherigen Maßen errichtet werden solle. Bei der Mülltonneneinhausung handle es sich um eine ortsfeste, auf Dauer angelegte bauliche Anlage, die mit einer Höhe von 1,80 Meter von Menschen durchaus betreten werden könne, auch wenn unstrittig keine Aufenthaltsraumqualität bestehe. Das Mülltonnengebäude sei vergleichbar mit kleineren Gerätehütten, denen planungsrechtlich Gebäudequalität zukomme. Es lasse die Qualifizierung als Vorhaben im Sinne des § 29 Baugesetzbuch (BauGB) nicht entfallen, dass ein Bauwerk keine zum Betreten von Menschen geeignete Konstruktion sei. Somit greife die Festsetzung in § 3 Abs. 3 des Bebauungsplans, wonach ein Abstand von mindestens 10 Metern zu den Grenzen der … einzuhalten sei. Jedenfalls sei das Mülltonnenhäuschen als unselbständiger Teil der nicht genehmigungsfähigen Gesamtmaßnahme abzulehnen.
25
Die Tiefgaragenzufahrt sei während der Bauphase ohne die erforderliche Einholung der Tektur-Baugenehmigung in genehmigungspflichtiger Weise geändert worden. Die Beigeladene habe der nachträglichen Genehmigung der Lageänderung ihr Einvernehmen verweigert. Die Wahrnehmung ihrer Rechte durch gerichtliches Überprüfenlassen der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens stelle einen legitimen, rechtsstaatlichen Vorgang dar. Es habe dem Bauträger offen gestanden, als Beigeladener die verwaltungsgerichtliche Entscheidung anzugreifen und überprüfen zu lassen. Bei einer Tiefgarageneinhausung handle es sich um ein Gebäude bzw. einen Gebäudeteil im Sinne des § 3 des Bebauungsplans. Dies folge schon daraus, dass in § 3 Abs. 3 des Bebauungsplans eine Ausnahme für die Tiefgarageneinfahrt im Gebiet 1 vorgesehen sei. Einer solchen bedürfe es nur dann, wenn der Satzungsgeber Tiefgarageneinfahrten als Gebäude ansehe. Zudem verkenne der Klägerbevollmächtigte, dass der Bebauungsplan keinen vorhabenbezogenen Bebauungsplan im Sinne von § 30 Abs. 2 i.V.m. § 12 BauGB darstelle, sondern einen sog. Angebotsbebauungsplan. Damit müssten nicht sämtliche Festsetzungen bezogen auf das Baugrundstück anwendbar sein, sondern die Bauherren seien verpflichtet, in diesem Rahmen ihre Planung so auszugestalten, dass die Festsetzungen eingehalten würden, was auch eine Verkürzung des Gebäudes oder einen anderen Standort der Tiefgaragenzufahrt zur Folge haben könne. Ein möglicher wirtschaftlicher Schaden des Bauherrn bzw. der Eigentümer könne bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden, da der Bauherr es anderenfalls in der Hand habe, die Unverhältnismäßigkeit einer Antragsablehnung herbeizuführen. Grundlage der Entscheidung seien nur öffentlich-rechtliche Belange.
26
Zudem handle es sich um einen Grundzug der Planung. Dies stehe auch nicht im Widerspruch zu dem bestehenden Wasserkraftwerk an der, da dieses Gebäude bereits bei Aufstellung des Bebauungsplans im Plangebiet bestanden habe und der Bebauungsplan ab Inkrafttreten nur für neue Bauvorhaben gelte. Selbst wenn kein Grundzug der Planung berührt wäre, sei eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans ohne das Einvernehmen der Beigeladenen nicht möglich.
27
Der Beklagte verweist zur Ergänzung auf die Ausführungen in den Gründen des Bescheids vom 03. Februar 2022.
28
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
29
Das Gericht hat am 20. Oktober 2022 zur Sache mündlich verhandelt.
30
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

31
Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
32
1. Die Klage ist zulässig.
33
a) Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage auf Erteilung der Tektur-Genehmigung nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft und fristgerecht gemäß §§ 74 Abs. 2, Abs. 1, 57 VwGO eingegangen.
34
b) Eine eventuelle Rechtskraft oder Rechtskrafterstreckung aufgrund des vorausgehenden verwaltungsgerichtlichen Urteils (U.v. 2.7.2015 - Au 5 K 14.1193) zwischen der jetzigen Beigeladenen (als Klägerin) und dem jetzigen Beklagten (als Beklagtem) unter Beiladung des Bauträgers steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Gegenstand des Urteils war die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens. Im Urteil wurde der Bescheid aufgehoben, der die Änderung der Tiefgaragenanlage genehmigt hatte.
35
aa) Die damalige Beiladung des Bauträgers war zutreffend und ausreichend. Eine Beiladung der jetzigen Klägerin war nicht notwendig nach § 65 Abs. 2 VwGO. Zunächst war der Bauträger Eigentümer, ab 23. Juni 2015 entstand die WEG. Das Urteil stammt vom 2. Juli 2015, die Klage ging am 13. August 2014 bei Gericht ein. Der Rechtsvorgänger ist so lange als Bauherr anzusehen, bis der Wechsel der unteren Bauaufsichtsbehörde angezeigt wird. Eine Rechtsnachfolge während eines laufenden gerichtlichen Verfahrens erfordert nicht notwendig eine Beiladung des Rechtsnachfolgers. Erfolgt in Bezug auf das die notwendige Beiladung begründende Recht nach Rechtshängigkeit der Klage eine Rechtsnachfolge, wird der Prozess mit dem bisher Beigeladenen gem. § 173 VwGO i.V.m. § 265 Abs. 2 ZPO als Prozessstandschafter fortgesetzt, die Rechtskraft der Entscheidung wirkt nach § 121 Nr. 1 VwGO auch gegenüber dem Rechtsnachfolger (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, § 65 Rn. 16). Eine unterbliebene notwendige Beiladung, die ggf. das Nichterwachsen in materieller Rechtskraft zur Folge hätte (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, a.a.O., § 65 Rn. 43), liegt daher nicht vor.
36
bb) Eine Rechtskrafterstreckung, die der Zulässigkeit der Klage als von Amts wegen zu beachtendes Prozesshindernis entgegenstehen würde (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.1995 - 8 C 8/93 - juris Rn. 12), ist nicht anzunehmen. Die Klägerin ist nicht gemäß § 121 Nr. 1 VwGO an die Feststellung des Gerichts im Verfahren zwischen der jetzigen Beigeladenen und dem jetzigen Beklagten unter Beiladung des Bauträgers, wonach die Änderung der Tiefgarage nicht rechtmäßig ist, gebunden. Die WEG erscheint wohl nicht als Rechtsnachfolgerin nach dem Bauträger, da diese durch den Eigentumsübergang auf mindestens zwei verschiedene Personen erst entsteht. Ob die einzelnen Eigentümer als Rechtsnachfolger nach dem Bauträger und die WEG als „zweiter Rechtsnachfolger“ anzusehen ist, mit der Folge der eventuellen Rechtskrafterstreckung, kann im Ergebnis dahinstehen. Zum einen ist vorliegend von einem anderen Klagegegenstand in Anbetracht des durch den unteilbaren Antrag festgelegten Gesamtvorhabens und der Verpflichtungskonstellation auszugehen. Zum anderen erfasst die materielle Rechtskraft grundsätzlich nur die Entscheidung über den Streitgegenstand gemäß der Urteilsformel, nicht dagegen tatsächliche Feststellungen im Urteil, die Beantwortung vorgreiflicher Rechtsfragen und sonstige Urteilselemente (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, § 121 Rn. 18). Die Feststellungen hinsichtlich der Tiefgaragenzufahrt im Rahmen der damalig streitgegenständlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Ersetzens des gemeindlichen Einvernehmens können daher nicht ohne weiteres als bindend angesehen werden.
37
c) Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer übt gemäß § 9a Abs. 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer aus, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und nimmt die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr.
38
Demnach ist die Klage zulässig.
39
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet, weil sich die Ablehnung der Tekturgenehmigung als rechtmäßig herausstellt und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
40
a) Rechtsgrundlage für die Erteilung der Baugenehmigung ist Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO.
41
b) Die Änderungen sind nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig.
42
Ungeachtet der Frage, ob hinsichtlich der Rampe und des Wintergartens eine Genehmigungsfreistellung nach Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayBO greift, teilen diese Baumaßnahmen das Schicksal des genehmigungspflichtigen Gesamtvorhabens (OVG Münster Urt. v. 12.8.1968, VerwRspr. Bd. 20 Nr. 47; Lechner/Busse in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 146. EL Mai 2022, Art. 57 Rn. 14). Damit ist das Vorhaben insgesamt genehmigungspflichtig.
43
c) Da kein Sonderbau nach Art. 2 Abs. 4 BayBO vorliegt, richtet sich der Prüfungsmaßstab nach dem vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO i.V.m. Art. 59 BayBO.
44
Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1a BayBO überprüft die Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren u.a. die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB.
45
Das Grundstück befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans *“. Damit liegt ein qualifizierter Bebauungsplan vor und das Vorhaben ist gemäß § 30 Abs. 1 BauGB zulässig, wenn es den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.
46
aa) Die Klägerin hat kein Anspruch auf Genehmigung der Tiefgaragenzufahrt.
47
Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Einheitlichkeit wird die Regelung zum 10-Meter-Abstand nachfolgend zitiert in der Ursprungsfassung des Bebauungsplans (§ 3 Abs. 3). Die aktuelle Fassung des Bebauungsplans gibt in § 4 Abs. 3 die ursprüngliche Regelung des § 3 Abs. 3 Satz 1 Bebauungsplan unverändert wieder (vgl. hierzu die obigen Ausführungen), lediglich Satz 2 wurde gestrichen.
48
(1) Die Zulässigkeit hinsichtlich der Einhaltung der überbaubaren Grundstücksfläche nach § 6 Abs. 6 Satz 3 des Bebauungsplans ist zu bejahen.
49
(2) Allerdings hält das Vorhaben den 10-Meter-Abstand gemäß § 3 Abs. 3 Bebauungsplan nicht ein. Dieser ist nach Auffassung der Kammer ungeachtet der Vorschrift des § 6 Abs. 6 Satz 3 Bebauungsplan einzuhalten. Auch Tiefgaragenabfahrten müssen damit den 10-Meter-Abstand wahren.
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Der Auffassung der Klägerseite, dass die Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 3 Bebauungsplan auch den 10-Meter-Abstand nach § 3 Abs. 3 Bebauungsplan erfasse, der damit für Tiefgaragen aufgrund der insoweit vorrangigen Spezialregelung des § 6 Abs. 6 Satz 3 Bebauungsplan nicht eingehalten werden müsste, schließt sich die Kammer nicht an.
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In § 6 Abs. 6 Satz 3 Bebauungsplan ist die ausnahmsweise Zulässigkeit lediglich hinsichtlich überbaubarer Grundstücksflächen geregelt, Regelungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen finden sich wiederum in § 5 Bebauungsplan. Dies deutet darauf hin, dass die Regelung dem Wortlaut nach lediglich als Spezialregelung für Tiefgaragen im Verhältnis zu § 5, nicht aber zu § 3 Abs. 3 Bebauungsplan anzusehen ist. Auch fallen Tiefgaragen dem Wortlaut nach unter „Gebäude“ i.S.d. Vorschrift. Dafür spricht, dass in der ursprünglichen Fassung des § 3 Abs. 3 Bebauungsplan in § 3 Abs. 3 Satz 2 eine Ausnahmeregelung vom 10-Meter-Abstand für die Tiefgarageneinfahrt im Gebiet 1 getroffen wird. Hätte der Satzungsgeber Tiefgarageneinfahrten nicht als Gebäude im Sinne der Vorschrift angesehen oder die Spezialregelung des § 6 Abs. 6 Bebauungsplan für einschlägig erachtet, so würde diese Regelung ins Leere laufen. Der Wegfall des Satzes 2 beruht nicht auf einer bewussten Entscheidung des Satzungsgebers, Tiefgaragenzufahrten von der Regelung auszunehmen, sondern ist darauf zurückzuführen, dass die benannte Tiefgarage tatsächlich nicht gebaut wurde. Dafür, dass der Satzungsgeber den Begriff des „Gebäudes“ in § 3 Abs. 3 Bebauungsplan in einem weiteren Sinne verstanden hat, spricht auch Nr. 6.3.1 der Begründung des Bebauungsplans. Danach soll der festgesetzte Abstand zum Gewässer … die Entwicklung eines ausreichend breiten, in seinen Kernzonen relativ ungestörten Ufersaums sichern, der eine hohe Bedeutung für den Gewässerschutz und als Verbundelement entlang der übergeordneten Verbundachsen besitzt. Diese Formulierung in der Begründung des Bebauungsplanes zeigt, dass der Satzungsgeber mit der Festsetzung des Abstandes von 10 m zum Gewässer, der von einer Bebauung grundsätzlich freigehalten werden soll, planerische Zielsetzungen verfolgt. Dass die Festsetzung darüber hinaus auch dem Zweck dient, einen ausreichend breiten Streifen für Gewässerunterhaltungsmaßnahmen freizuhalten, ändert daran nichts. Ebenso ist in systematischer Hinsicht kein Vorrang des § 6 Abs. 6 Bebauungsplan ersichtlich, dieser gilt für alle überbaubaren Grundstücksflächen und hat damit einen eigenständigen Anwendungsbereich, der neben den des § 3 Abs. 3 Bebauungsplan tritt. Auch verbleibt dem § 6 Abs. 6 Satz 3 Bebauungsplan bei dieser Betrachtungsweise ein eigenständiger Anwendungsbereich. Denn nicht alle Baugrundstücke innerhalb des Plangebiets weisen eine Baugrenze im 10-Meter-Radius vom Gewässer … auf. Die Tiefgaragenzufahrten können dort außerhalb der Baugrenze bis auf 10 Meter zum Gewässer … hin ohne Befreiung zugelassen werden. Zuletzt entspricht dieses Verständnis auch dem Sinn und Zweck der Regelungen. Während der 10-Meter-Abstand der Freihaltung des Ufersaums und dem Hochwasserschutz dient, soll durch die überbaubaren Grundstücksflächen eine städtebauliche Ordnung vorgegeben werden. Die Zielsetzungen unterschieden sich daher und die Vorschriften stehen in keinem inneren Zusammenhang zueinander.
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Es ist daher davon auszugehen, dass es sich bei § 3 Abs. 3 und § 6 Abs. 6 Satz 3 Bebauungsplan um zwei selbständige, nebeneinander anwendbare textliche Festsetzungen handelt, die sich nicht gegenseitig ausschließen oder in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zueinander stehen.
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Dieses Verhältnis der Vorschriften zueinander zugrunde gelegt, stellt die Festsetzung in § 6 Abs. 6 Bebauungsplan keine festgesetzte Ausnahme i.S.d. § 31 Abs. 1 BauGB (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 BauNVO) hinsichtlich der Lage innerhalb des 10-Meter-Radius dar. Die Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 BauNVO ist schon deshalb nicht zielführend, weil es sich hierbei um eine Bestimmung zu den überbaubaren Grundstücksflächen handelt, der 10-Meter-Abstand aber gerade eine eigenständige Festsetzung darstellt. § 23 BauNVO kann zwar in Bezug auf § 6 Abs. 6 des Bebauungsplans herangezogen werden, nicht aber hinsichtlich § 3 Abs. 3 des Bebauungsplans. Insofern kann gerade kein „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ vorliegen. Im Ergebnis kommt es auf das erläuterte Verständnis des Verhältnisses der Vorschriften des Bebauungsplans zueinander an.
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Die Festsetzung in § 3 Abs. 3 Bebauungsplan ist auch nicht obsolet geworden. Hinweise darauf, dass wegen genehmigter Befreiungen der Festsetzung keine Bedeutung mehr zukäme, gibt es nicht. Auch dem vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag war deshalb nicht nachzugehen. Zum einen lässt sich allein durch eine Inaugenscheinnahme nicht feststellen, ob die Festsetzung in § 3 Abs. 3 Bebauungsplan wegen erteilter Befreiungen funktionslos geworden ist, da die Genehmigungslage durch die Inaugenscheinnahme nicht geklärt werden kann. Zudem hat der Beklagte vorgebracht, dass in dem Bereich bislang nur ein verfahrensfreies Gartenhaus bekannt sei, für das keine Befreiung erteilt worden sei. Die Beigeladene hat erläutert, dass ihr nicht bekannt sei, ob und in welcher Zahl dort möglicherweise ungenehmigte Gebäude stünden. Zum anderen handelt es sich um einen Ausforschungs-Beweisantrag.
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(3) Ungeachtet dessen, dass die Zulässigkeit hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen - anders als hinsichtlich des 10-Meter-Abstands - gemäß § 6 Abs. 6 des Bebauungsplans als gegeben angenommen wird, handelt es sich auch nicht um eine Überschreitung in geringfügigem Ausmaß nach § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO, eine Abweichung kommt nicht in Betracht. Ein Vortreten von nicht mehr als 1,50 m dürfte im Regelfall als geringfügig zu bewerten sein, letztlich maßgeblich ist jedoch die städtebauliche Wirkung. Insbesondere ist die Größe der baulichen Anlage in Bezug zu setzen und eine Einzelfallabwägung zu treffen (Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 145. EL Februar 2022, § 23 BauNVO Rn. 40). Aufgrund der Dimensionierung und Ausführung der Anlage ist die Geringfügigkeitsschwelle vorliegend ohnehin als überschritten anzusehen. Durch die Überschreitung wird im Bereich der Zufahrt der Abstand zur … auf knapp 7 m eingeengt, die Überschreitung beträgt damit 3 m. Die Zufahrt stellt zudem aufgrund ihrer Bauweise und Größe eine massive bauliche Anlage dar. Die städtebauliche Wirkung ist erheblich, dies ergibt sich auch aus der relativen Größe der Tiefgaragenzufahrt.
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(4) Die Befreiungsvoraussetzungen nach § 31 Abs. 2 BauGB liegen nicht vor, da der 10-Meter-Abstand als Grundzug der Planung anzusehen ist.
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Ob es sich bei der in Frage stehenden Festsetzung um einen Grundzug der Planung handelt, ist stets im konkreten Einzelfall anhand der Planungsabsicht der jeweiligen Gemeinde zu bewerten. Mit dem Begriff „Grundzüge der Planung“ umschreibt das Gesetz in § 31 Abs. 2 BauGB nämlich die planerische Grundkonzeption, die den Festsetzungen eines Bebauungsplans zu Grunde liegt und in ihnen zum Ausdruck kommt (BVerwG, B.v. 19.5.2004 - 4 B 35/04 - juris Rn. 4). Hierzu gehören die Planungsüberlegungen, die für die Verwirklichung der Hauptziele der Planung sowie den mit den Festsetzungen insoweit verfolgten Interessenausgleich und damit für das Abwägungsergebnis maßgeblich sind (BayVGH, U.v. 30.3.2009 - 1 B 05.616 - BauR 2009, 1414).
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Die Grundzüge der Planung sind berührt, wenn bezogen auf diesen planerischen Willen derart vom Planinhalt abgewichen wird, dass die angestrebte und im Plan zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Mit anderen Worten muss eine Abweichung - soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein - durch das planerische Wollen noch gedeckt sein; es muss angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Plangeber gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte (BayVGH, U.v. 3.11.2010 - 15 B 08.2426 - juris Rn. 21). Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein. Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung Spannungen hineinträgt oder erhöht, die nur durch eine Planung zu bewältigen sind. Eine Befreiung darf auch nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (BayVGH, B.v. 17.11.2016 - 15 ZB 15.468 - juris Rn. 9; OVG Lüneburg, B.v. 11.3.2022 - 1 LA 95/21 - juris Rn. 11).
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Die Festsetzung des 10-Meter-Abstands stellt eine planerische Festsetzung des Bebauungsplans dar und zieht sich nahezu durch das gesamte Plangebiet, davon betroffen sind alle Grundstücke im Umgriff des Bebauungsplanes, die an das Gewässer … angrenzen, mit lediglich vereinzelten Ausnahmen. Der Abstand ist von nicht unwesentlicher Bedeutung für das Gesamtgefüge der planerischen Festsetzungen und erscheint nicht als lediglich zufällig. Das Freihalten der Flächen nahe des Ufers wird konsequent vorgegeben und folgt einem planmäßigen, gewollten Vorgehen. Nach Nr. 6.3.1 der Begründung des Bebauungsplans soll der festgesetzte Abstand die Entwicklung eines ausreichend breiten, in seinen Kernzonen relativ ungestörten Ufersaums sichern, der eine hohe Bedeutung für den Gewässerschutz und als Verbundelement entlang der übergeordneten Verbundachsen besitzt. Diese Erwägungen verdeutlichen die planerische Zielsetzung des Satzungsgebers. Nach Auffassung der Kammer ist daher von einem Grundzug der Planung auszugehen.
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Nach alldem hat die Tiefgaragenabfahrt den 10-Meter-Abstand zum Gewässer … einzuhalten. Das Vorhaben wahrt diesen Abstand jedoch nicht, sodass es sich als unzulässig herausstellt.
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bb) Es besteht auch kein Anspruch auf Genehmigung der Mülltonneneinhausung.
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(1) Die Mülltonneneinhausung befindet sich außerhalb der Baugrenze und innerhalb des 10-Meter-Radius nach § 3 Abs. 3 Bebauungsplan und widerspricht damit den Festsetzungen des Bebauungsplans. Sie ist als Gebäude i.S.d. § 3 Abs. 3 Bebauungsplan anzusehen. Eine Begriffsdefinition gibt der Bebauungsplan nicht vor. Daher ist auf allgemeine Grundsätze abzustellen. Demnach ist ein Gebäude eine selbständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlage, die von Menschen betreten werden kann (vgl. Art. 2 Abs. 2 BayBO) und geeignet oder bestimmt ist, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen. Dies trifft auf die Mülltonneneinhausung zu. Es ist nicht erforderlich, dass ein aufrechter Aufenthalt von Menschen jeder Körpergröße gewährleistet ist oder der Raum dem dauerhaften Aufenthalt dient, vielmehr genügt die Möglichkeit des Betretens. Diese ist auch bei einer Höhe von 1,80 Meter bzw. 1,47 Meter und einem Rauminhalt von 14,068 Kubikmetern gegeben.
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Das Verhältnis des § 3 Abs. 3 zu § 6 Abs. 6 Bebauungsplan - wie bereits ausgeführt -zugrunde gelegt, stellt die Festsetzung in § 6 Abs. 6 Bebauungsplan keine festgesetzte Ausnahme i.S.d. § 31 Abs. 1 BauGB hinsichtlich der Lage innerhalb des 10-Meter-Radius (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 BauNVO) dar.
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(2) Eine Zulässigkeit aufgrund des Vortretens als Gebäudeteil in geringfügigem Ausmaß nach § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO ist aus den ausgeführten Gründen ebenfalls zu verneinen. Die Abweichungsbefugnis gilt - ungeachtet des Verhältnisses der Festsetzungen des Bebauungsplans zueinander - nur für Gebäudeteile bzw. Anlagenteile, nicht für die komplette bauliche Anlage. Es muss sich um untergeordnete bzw. unwesentliche Gebäudeteile handeln. Anlagenteile sind vor die Außenwand vortretende Bauteile wie Gesimse und Dachüberstände und Vorbauten, wenn sie insgesamt nicht mehr als ein Drittel der Breite der jeweiligen Außenwand in Anspruch nehmen (Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 145. EL Februar 2022, § 23 BauNVO Rn. 40). Hier liegt schon kein Anlagenteil vor. Dies wird dadurch deutlich, dass die Mülltonneneinhausung völlig selbständig ist und gelöst von anderen Anlagen wie dem Hauptgebäude einem Standort zugewiesen sein kann und demnach unverbunden für sich alleine steht. Es handelt sich um eine eigenständige bauliche Anlage und gerade keinen Anlagenteil.
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(3) Die Befreiungsvoraussetzungen nach § 31 Abs. 2 BauGB liegen auch bezüglich der Mülltonneneinhausung nicht vor, da der 10-Meter-Abstand - wie bereits ausgeführt - als Grundzug der Planung anzusehen ist.
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cc) Auch für die behindertengerechte Rampe sowie den Wintergarten scheidet die Erteilung einer Baugenehmigung aus.
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Selbst bei grundsätzlicher Genehmigungsfähigkeit hinsichtlich der behindertengerechten Rampe und des Wintergartens kann eine Teilgenehmigung nicht erteilt werden, weil der Antrag - auch nach Erteilung entsprechender Hinweise - lediglich für das Gesamtvorhaben gestellt wurde. Da im Gesamtvorhaben nicht genehmigungsfähige Teilvorhaben enthalten sind, scheidet eine Genehmigung für die Gesamtmaßnahme insgesamt aus. Die für die Abtrennung und Genehmigung der Teilmaßnahmen erforderlichen Unterlagen sind nach entsprechender Aufforderung nicht vervollständigt worden, weshalb der Beklagte nach Auffassung der Kammer zurecht davon ausgegangen ist, dass eine einheitliche Entscheidung für das Gesamtvorhaben gewünscht ist und das Gesamtvorhaben abgelehnt hat. Die Baugenehmigung ist grundsätzlich nicht teilbar, da sie die einheitliche und deshalb grundsätzlich unteilbare Feststellung enthält, dass das im Bauantrag beschriebene und zur Genehmigung gestellte Bauvorhaben i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB in seiner Gesamtheit nicht gegen zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Auch wenn ein Bauantrag tatsächlich und rechtlich aufgeteilt werden könnte, kann dies nur mit Zustimmung des Bauherrn erfolgen, da er allein den Umfang der zu erteilenden Baugenehmigung bestimmt. Das Gesamtbauvorhaben kann im Klageverfahren nicht in möglicherweise zulässige Einzelbauvorhaben aufgeteilt werden, auch eine entsprechende Auslegung des gestellten Antrags scheidet aus (vgl. BayVGH - B.v. 29.1.2019 - 1 BV 16.232 - juris Rn. 30; B.v. 22.2.2021 - 1 ZB 18.1826, juris Rn. 5).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich dadurch auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt, weshalb es der Billigkeit entspricht, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
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4. Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).