Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 05.12.2022 – 8 W 3317/22
Titel:

Ablehnung einer Richterin wegen Äußerungen zu Kenntnissen aus atypischer Vorbefassung

Normenkette:
ZPO § 41, § 42 Abs. 2
Leitsätze:
Zur Ablehnung einer Richterin, die, ohne dass ein Zusammenhang mit dem Streitgegenstand besteht, im Rahmen der Güteverhandlung darauf hinweist, dass ihr die wirtschaftliche Situation einer Partei aufgrund ihrer früheren Tätigkeit in der Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft bekannt sei. (Rn. 22 – 30)
Allein der Umstand, dass es einem Richter bei einer Zweitbefassung mit einem Sachverhalt zugemutet wird, sich von dessen früherer rechtlichen Beurteilung zu lösen und den Fall neu zu durchdenken, reicht für eine Befangenheit nicht aus. Daher ist die Vorbefassung mit einem früheren  Verfahren der Prozesspartei als solche regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten. (Rn. 18 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorbefassung, Befangenheit, Strafverfahren, atypischer Vorbefassung, Äußerung
Vorinstanz:
LG Regensburg, Beschluss vom 07.11.2022 – 42 O 182/22
Fundstellen:
LSK 2022, 34352
BeckRS 2022, 34352
NJW-RR 2023, 356

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 07.11.2022, Az. 45 O 182/22, aufgehoben.
2. Das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen Richterin am Landgericht … wird für begründet erklärt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin (als Vermieterin gewerblicher Flächen) verlangt im vorliegenden Prozess von der Beklagten (als Mieterin) in der Hauptsache Zahlung von gerundet 6.500,00 € als „Schadensersatz in Folge nicht bzw. zu später Räumung genutzter Flächen der Klägerin“.
2
Im Rahmen der ersten mündlichen Verhandlung am 13.09.2022 vor der zuständigen Einzelrichterin der Zivilkammer, Richterin am Landgericht …, wurden zunächst Möglichkeiten einer gütlichen Einigung erörtert.
3
Im Protokoll heißt es sodann:
Die Parteien verhandeln sodann im Rahmen der Güteverhandlung zu den streitigen Punkten. Eine gütliche Einigung kommt zunächst nicht zustande.
Der Beklagtenvertreter stellt sodann im Auftrag der Partei folgenden Befangenheitsantrag:
Es wird beantragt, die zuständige Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Dies aus dem Grund, dass sie im Rahmen der Güteverhandlung erwähnt hat, dass ihr die Firma L. GmbH sowie weitere Firmen unter ähnlichen Firmennamen aus ihrer Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft, dort in der Wirtschaftsabteilung, bekannt sind.
Die Sitzung ist sodann um 10.03 Uhr geschlossen.
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Unter dem 13.09.2022 hat sich die abgelehnte Richterin hierzu gemäß § 44 Abs. 3 ZPO wie auszugsweise folgt dienstlich geäußert:
Der Beklagtenvertreter führte aus, dass der Vortrag der Klägerin unsubstantiiert sei und sämtlich bestritten werde. Eine gütliche Einigung würde daher von Seiten der Beklagten eigentlich nicht in Betracht gezogen werden. Nur wenn die Zahlungsverpflichtung der Beklagten deutlich hinter der Klageforderung zurückbliebe, könne man auf Beklagtenseite darüber nachdenken. Ich führte daraufhin erneut aus, dass eine gütliche Einigung meines Erachtens nach vor allem für die Beklagte sinnvoll erscheint, da ich ihre Prozessrisiken deutlich höher einschätze als die der Klägerin. In diesem Zusammenhang gab ich an, dass mir die wirtschaftliche Situation der Beklagten bzw. weiterer Firmen mit ähnlichen Firmennamen von meiner Tätigkeit in der Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft Regensburg bekannt ist. Der Beklagtenvertreter kritisierte diese Äußerung, woraufhin ich mich entschuldigte und klarstellte, dass ich keine Verbindungen zu etwaigen Strafverfahren herstellen wollte, sondern lediglich die wirtschaftliche Situation der Beklagten ansprechen wollte. Sodann wurde das Vergleichsgespräch zwischen den Parteien fortgeführt. Ich gab schließlich an, dass aus meiner Sicht eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits vorstellbar sei, die eine Zahlungsverpflichtung der Beklagten in Höhe von ca. 4.000,00 bis 5.000,00 EUR enthalten würde. Daraufhin stellte der Beklagtenvertreter den Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit.
5
Das Landgericht hat in der Besetzung ohne die abgelehnte Richterin mit Beschluss vom 07.11.2022 „das Ablehnungsgesuch der Beklagtenseite vom 13.09.2022 gegen Frau R. am Landgericht …“ als unbegründet zurückgewiesen.
6
Die Entscheidung wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 09.11.2022 zugestellt.
7
Mit Schriftsatz vom 21.11.2022 hat die Beklagte sofortige Beschwerde eingelegt und diese näher begründet.
8
Mit Beschluss vom 22.11.2022 hat die Zivilkammer der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt.
II.
9
Statthaftes Rechtsmittel gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs ist gemäß § 46 Abs. 2 ZPO die sofortige Beschwerde. Das Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt und somit zulässig.
10
Das gegen die zuständige Einzelrichterin gerichtete Ablehnungsgesuch der Beklagten ist in zulässiger Form - hier zu Protokoll des Prozessgerichts - angebracht worden (vgl. Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 44 Rn. 3 m.w.N.).
11
Es ist auch - entgegen der Auffassung der Zivilkammer des Landgerichts - begründet.
12
1. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO ist die Befangenheit eines Richters zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme besteht, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10.12.2019 - II ZB 14/19, NJW 2020, 1680 Rn. 9 und vom 28.07.2020 - VI ZB 94/19, NJW 2020, 3458 Rn. 7 jeweils m.w.N.). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der „böse Schein“, d.h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität.
13
Aus der Verfahrensleitung durch den zuständigen Richter kann sich eine Besorgnis der Befangenheit nur ergeben, wenn sie auf eine Benachteiligung oder Bevorzugung einer Partei schließen lässt, jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und so grob fehlerhaft erscheint, dass sie sich als willkürlich darstellt (vgl. OLG Hamm, BeckRS 2019, 8631 Rn. 22; KG NJW-RR 2006, 1577, 1578). Handlungen und Entscheidungen, die auf einer vertretbaren Rechtsauffassung beruhen, müssen demgemäß von vornherein außer Betracht bleiben (vgl. OLG Hamm, BeckRS 2015, 2281 Rn. 12). Denn das Ablehnungsverfahren nach §§ 42 ff. ZPO stellt kein Instrument der allgemeinen Rechtsfehlerkontrolle dar (vgl. BGH, Beschluss vom 25.09.2013 - AnwZ 51/12, BeckRS 2013, 20953 Rn. 9). Es ist namentlich nicht Sinn des Ablehnungsrechts, Handlungen des Gerichts in einem besonderen Instanzenzug zu überprüfen, um so die Unzufriedenheit der Parteien abzuarbeiten (vgl. BeckOK-ZPO/Vossler, § 42 Rn. 17 [Stand: 01.09.2022]).
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2. Zu dem speziellen Ablehnungsgrund einer „atypischen Vorbefassung“ des abgelehnten Richters (vgl. dazu Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 42 Rn. 15-17 m.w.N.) enthält die angefochtene Entscheidung der Zivilkammer vom 07.11.2022 im Ausgangspunkt rechtlich zutreffende Darlegungen, auf die Bezug genommen wird.
15
a) Die abgelehnte Richterin ist wegen ihrer Mitwirkung als Staatsanwältin in dem früheren Ermittlungsverfahren gegen die Beklagte nicht kraft Gesetzes vom Richteramt ausgeschlossen (§ 41 Nr. 6 ZPO).
16
Nach § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes in Sachen ausgeschlossen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Seine Mitwirkung an einer anderen Entscheidung als der angefochtenen reicht hingegen nicht aus (BGH, Beschluss vom 18.12.2014 - IX ZB 65/13, NJW-RR 2015, 444 Rn. 7 m.w.N.). Der Streitfall wird von dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht erfasst. Eine entsprechende Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO auf den hier gegebenen Fall der Vorbefassung scheidet ebenfalls aus (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 8 f. m.w.N.). § 41 ZPO führt die Ausschließungsgründe abschließend auf. Schon wegen der verfassungsmäßigen Forderung, den gesetzlichen Richter im Voraus möglichst eindeutig zu bestimmen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), ist die Vorschrift einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich.
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b) Eine sogenannte prozessrechtlich atypische - nicht richterliche - Vorbefassung kann ein Ablehnungsrecht gegen den entscheidenden Richter (im Einzelfall auch ohne Hinzutreten besonderer Umstände) rechtfertigen, etwa die frühere Befassung des Zivilrichters mit dem gleichen Sachverhalt als ermittelnder Staatsanwalt oder als Anklagevertreter (Zöller/G. Vollkommer, a.a.O., Rn. 17 m.w.N.).
18
Nach § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Der nach § 44 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft zu machende Ablehnungsgrund kann, wenn wie hier keiner der Ausschlusstatbestände des § 41 ZPO vorliegt, nur in konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen liegen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 11 m.w.N.).
19
Allein der Umstand, dass es einem Richter bei einer Zweitbefassung mit einem Sachverhalt zugemutet wird, sich von dessen früherer rechtlichen Beurteilung zu lösen und den Fall neu zu durchdenken, reicht hierfür nicht aus. Aus objektiver Sicht ist es dem in typischer oder atypischer Weise vorbefassten Richter grundsätzlich zuzutrauen, dass er auch den neuen Fall ausschließlich nach sachlichen Kriterien löst (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 12 m.w.N.).
20
Eine Vorbefassung des abgelehnten Richters mit einem früheren - hier zudem einen anderen Sachverhalt betreffenden - Verfahren der Prozesspartei ist als solche regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20.09 2016 - AnwZ (Brfg) 61/15, BeckRS 2016, 17774 Rn. 8 und vom 18.12.2014 - IX ZB 65/13, NJW-RR 2015, 444 Rn. 12 juris).
21
c) Derartige - besondere - Umstände hat die Beklagte als Beschwerdeführerin im Streitfall hingegen dargetan und glaubhaft gemacht.
22
Da schon die Beschränkung des Streitstoffes auf jenen Geschehensablauf, der durch Sitzungsprotokoll und dienstliche Äußerung belegt, folglich glaubhaft gemacht und letztlich unstreitig ist, als Tatsachengrundlage das Ablehnungsgesuch der Beklagten zu tragen vermag, kommt es auf die von der Nichtabhilfeentscheidung des Landgerichts problematisierte Frage des Nachschiebens von Ablehnungsvorbringen (vgl. dazu aber Zöller/G. Vollkommer, a.a.O., § 44 Rn. 4) nicht mehr entscheidungserheblich an.
23
Das Thematisieren der aus früherer (2018/2019) Tätigkeit als Staatsanwältin resultierenden Erkenntnisse über damalige wirtschaftliche Verhältnisse einer Prozesspartei geschah im vorliegenden Fall ohne jeden sachgerechten Anlass.
24
Wenn die angefochtene Zurückweisungsentscheidung an sich zutreffend ausführt (ebda. S. 3),
„Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass die Kenntnis der zuständigen Richterin aus ihrer bereits Jahre zurückliegenden Tätigkeit als Staatsanwältin davon, dass gegen die Beklagte ein Ermittlungsverfahren geführt worden ist, etwas mit dem vorliegenden Zivilverfahren zu tun haben könnte; dies wird auch nicht vorgetragen.“
dann belegt dies genau jene Anlasslosigkeit der Offenbarung des anderweitig erlangten dienstlichen Wissens der erkennenden Richterin.
25
Aus Sicht der Beklagten - und aus objektivierter Sicht einer verständigen Prozesspartei - gab weder der Streitstoff des Prozesses (Schadensersatz für verzögerte Räumung von Gewerbemietflächen) noch das bisherige schriftsätzliche oder mündliche Vorbringen der Parteien Anlass, etwaige strafrechtliche Vorgänge im Zusammenhang mit der Beklagten „quasi von Amts wegen“ im Sitzungssaal zu erörtern und damit öffentlich zu machen.
26
Diesen Vorgang und die damit verbundene Umgehung schutzwürdiger Geheimhaltungsbelange der Beklagten konnte die nachfolgende förmliche Entschuldigung der Richterin nicht mehr ungeschehen machen, der beim Prozessgegner der Beklagten eingetretene „Erkenntnisgewinn“ war nicht mehr reparabel.
27
Es ist deshalb nach Auffassung des Beschwerdegerichts durchaus plausibel, dass die Beklagte (d.h. deren gesetzliche Vertreterin) den Eindruck gewinnen konnte, der zuständigen Richterin stehe offensichtlich das Wissen um vormalige strafrechtliche Ermittlungen (noch) derart präsent vor Augen, dass die Richterin diese „atypische“ Vorbefassung mit Angelegenheiten der Partei im Rahmen von Vergleichsbemühungen in der Sitzung instrumentalisiere und ohne sachlichen Grund damit eine Verletzung schutzwürdiger Belange der Beklagten in Kauf nehme.
28
Jedenfalls liegen vom Standpunkt der Beklagten aus vernünftige Gründe dafür vor, an der Unbefangenheit der zuständigen Einzelrichterin ernstlich zu zweifeln.
29
Dies genügt, um das Ablehnungsgesuch begründet erscheinen zu lassen.
30
3. Eine Kostenentscheidung ist im Falle einer erfolgreichen Beschwerde im Ablehnungsverfahren nicht veranlasst (vgl. Zöller/G. Vollkommer, a.a.O., § 46 Rn. 22 m.w.N.).