Titel:
Dublin-Verfahren (Bulgarien)
Normenketten:
AsylG § 18 Abs. 2 Nr. 2
Dublin III-VO Art. 7 Abs. 1, Abs. 2, Art. 15, Art. 20 Abs. 2
Leitsatz:
Für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach der Dublin III-VO ist nach der Rangfolge des Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO die Regelung über die Ausstellung von Visa nach Art. 12 Dublin III-VO gegenüber Vorschrift des Art. 15 Dublin III-VO vorrangig. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht, Herkunftsland: Russland, Einreiseverweigerung am Flughafen, Dublin III-VO, Abschiebungsanordnung nach Bulgarien, Gültiges Visum, gültiges Visum, Zurückweisung, Einreiseverweigerung, unzulässiger Asylantrag, Abschiebungsanordnung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34334
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes seine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland.
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Der Antragsteller, ein russischer Staatsangehöriger, erreichte am 2. Oktober 2022 auf dem Luftweg von Tiflis (Georgien) kommend den Flughafen München. Er wies sich dort bei der grenzpolizeilichen Einreisekontrolle mit einem russischen Reisepass aus und war im Besitz eines von der bulgarischen Botschaft in Moskau ausgestellten, bis zum 20. September 2023 gültigen Visums.
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Mit Bescheid vom 2. Oktober 2022 verweigerte die Bundespolizeidirektion München - Bundespolizeiinspektion Flughafen München II (im Folgenden: Bundespolizei) dem Antragsteller die Einreise gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 2 Asylgesetz (AsylG), da Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass Bulgarien nach der Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständig sei.
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Aufgrund eines am 2. Oktober 2022 geäußerten Asylgesuchs, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am gleichen Tag durch behördliche Mitteilung Kenntnis erlangte, richtete das Bundesamt am 5. Oktober 2022 ein Aufnahmegesuch an Bulgarien. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2022 erklärten die bulgarischen Behörden die Zuständigkeit Bulgariens für das Asylgesuch des Antragstellers und die Bereitschaft zur Übernahme des Antragstellers.
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Mit Bescheid vom 19. Oktober 2022 lehnte das Bundesamt den Antrag des Antragstellers auf Asyl als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an (Nr. 3), verhängte das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot und befristete es auf 11 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4).
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Der Antragsteller ist derzeit in der kombinierten Transit- und Abschiebehafteinrichtung am Flughafen München untergebracht.
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Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 21. Oktober 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, ließ der Antragsteller beantragen,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zur weiteren Durchführung des Asylverfahrens zu gestatten.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller derzeit in der kombinierten Transit- und Abschiebehafteinrichtung festgehalten werde, ohne dass eine gerichtliche Anordnung der Inhaftierung vorliege. Es liege insbesondere keine Überstellungshaft vor. Auch die Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), der die Möglichkeit der Verbringung in eine Transitunterkunft ohne gerichtliche Entscheidung für 30 Tage ermögliche, lägen nicht vor. Der Antragsteller sei kein Asylsuchender, dessen Flughafenverfahren erfolglos geblieben sei. Ein Flughafenverfahren sei nicht durchgeführt worden. Er sei auch kein Ausländer, dem, ohne dass er Asyl oder internationalen Schutz beantragt hätte, am Flughafen die Einreise verweigert worden sei.
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Mit Schreiben vom 24. Oktober 2022 führte die Bundespolizei aus, dass durch das bulgarische Visum, das im Reisepass des Antragstellers enthalten gewesen sei, Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass Bulgarien verpflichtet sei, den Antragsteller auf- bzw. wiederaufzunehmen. Ein entsprechendes Verfahren sei nach § 18 Abs. 2 AsylG eingeleitet worden. Für Drittausländer, die auf dem Luftweg in das Bundesgebiet gelangt, noch nicht im Sinne des § 13 Abs. 2 AufenthG eingereist und denen die Einreise verwehrt worden sei, komme § 15 Abs. 6 AufenthG zur Anwendung. Nach dem Wortlaut des Gesetzes solle der Ausländer nach der Zurückweisungsentscheidung, die nicht unmittelbar vollzogen werden könne und zunächst keine Haft beantragt werde ohne richterliche Anordnung in den Transitbereich eines Flughafens oder - wie im vorliegenden Fall - in eine Unterkunft nach § 65 AufenthG verbracht werden. Bis zum Ablauf der Frist von 30 Tagen stelle diese Unterbringung keine Inhaftierung dar. Falls das Überstellungsverfahren längere Zeit in Anspruch nehme, werde die Bundespolizei fristgerecht eine richterliche Entscheidung herbeiführen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
12
Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Gestattung der Einreise in das Bundesgebiet.
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Der gestellte Antrag nach § 123 VwGO auf Gestattung der Einreise ist zulässig, insbesondere ist eine besondere Dringlichkeit gegeben, da sich der Antragsteller derzeit in der kombinierten Transit- und Abschiebehafteinrichtung am Flughafen München befindet und nach Bulgarien überstellt werden soll.
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Der Antrag nach § 123 VwGO ist jedoch nicht begründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden.
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Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen hier nicht vor, da der Antragsteller keinen nach § 123 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch auf vorläufige Gestattung der Einreise glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Dem Antragsteller ist die Einreise zu Recht verweigert worden.
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Rechtsgrundlage für die mit Bescheid vom 2. Oktober 2022 ausgesprochene Einreiseverweigerung im konkreten Fall ist § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylG, unabhängig davon, ob diese Vorschrift unmittelbar oder über die Verweisung in § 18a Abs. 1 Satz 6 AsylG - § 18a AsylG normiert das Verfahren bei der Einreise auf dem Luftweg (Haderlein in BeckOK AuslR, 34. Ed. 1.4.2022, AsylG Vorb. uu § 18a) - anwendbar ist.
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Da der Antragsteller weder aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 29a AsylG stammt (§ 18a Abs. 1 Satz 1 AsylG) noch bei der Einreise im Besitz eines ungültigen Passes oder Passersatzes war (§ 18a Abs. 1 Satz 2 AsylG), ist das Flughafenverfahren nach § 18a Abs. 1 AsylG hier nicht einschlägig. Daher ist auch im Falle einer Einreise auf dem Luftweg die Einreise zu verweigern, wenn die in § 18 Abs. 2 AsylG aufgeführten Fallgruppen vorliegen (Haderlein, a.a.O., Rn. 23 zu § 18a).
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Die Voraussetzungen für eine Einreiseverweigerung nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylG sind vorliegend gegeben. Aufgrund des im Pass des Antragstellers eingetragenen bulgarischen Visums lagen Anhaltspunkte dafür vor, dass ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, so dass ein Aufnahmeverfahren eingeleitet worden ist.
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Der Einreiseverweigerung gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylG steht auch nicht die Regelung des Art. 15 Dublin III-VO entgegen (zu dieser Erwägung: Haderlein, a.a.O., § 18a AsylG Rn. 24).
21
Zwar ist nach Art. 15 Dublin III-VO der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, in dem ein Drittstaatsangehöriger im internationalen Transitbereich eines Flughafens einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Im konkreten Fall trifft jedoch für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach der Dublin III-VO gemäß der Rangfolge des Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO die Regelung über die Ausstellung von Visa nach Art. 12 Dublin III-VO eine vorrangige, die Zuständigkeit Bulgariens begründende Vorschrift. Art. 15 Dublin III-VO bezweckt (allein), dass es im Hoheitsbereich der Mitgliedstaaten keine verantwortungsfreien Gebiete im Hinblick auf die Durchführung des Asylverfahrens geben soll (Thomann in BeckOK MigR, 12. Ed. 15.7.2022, Rn. 1 zu Art. 15 Dublin III-VO), führt jedoch vorliegend nicht zur Begründung einer von Art. 12 Dublin III-VO abweichenden Zuständigkeit der Antragsgegnerin.
22
Bulgarien ist für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers nach Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig, da der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland am 2. Oktober 2022 (Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO) im Besitz eines (vom 20.9.2022 bis 20.9.2023) gültigen bulgarischen Visums war. Das Bundesamt hat das Aufnahmegesuch an Bulgarien am 5. Oktober 2022 und damit innerhalb der nach Art. 18 Abs. 1a, Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO geltenden Frist von drei Monaten ab Stellung des Asylantrags gestellt. Wie die Mitteilung vom 18. Oktober 2022 belegt, gehen auch die bulgarischen Behörden von ihrer Zuständigkeit für den Asylantrag des Antragstellers aus.
23
Auch aus Völker- oder Unionsrecht folgt kein Recht auf Wahl des Zufluchtslandes und Einreise in das Bundesgebiet (BVerwG, U.v. 7.9.2021 - 1 C 3.21 - juris Rn. 15). Vielmehr ist der Antragsteller auf die Durchführung seines Asylverfahrens in Bulgarien zu verweisen.
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Gründe dafür, von der Einreiseverweigerung nach § 18 Abs. 4 AsylG abzusehen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
25
Soweit der Antragsteller rügt, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 AufenthG nicht vorlägen, ist dies für die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (ausschließlich) beantragte Gestattung der Einreise in das Bundesgebiet, die wie ausgeführt zu Recht nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylG abgelehnt worden ist, nicht von Belang. Unabhängig davon stellte sich die Frage, ob für einen - vorliegend nicht gestellten - Antrag auf Aufhebung der Maßnahme gemäß § 415 Abs. 1 FamFG i.V.m. §§ 12, 13, 23a Abs. 2 Nr. 6 GVG nicht die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig wäre.
26
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen; Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
27
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).