Inhalt

VG München, Gerichtsbescheid v. 04.11.2022 – M 15 K 22.31945
Titel:

Verfristete Klage gegen asylrechtliche Unzulässigkeitsentscheidung

Normenkette:
AsylG § 10 Abs. 4 S. 4, § 74 Abs. 1
Leitsatz:
Auf den Zeitpunkt der Aushändigung eines Bescheids an den Asylbewerber ist für den Beginn der Klagefrist nur dann abzustellen, wenn dieser innerhalb von drei Tagen ab der Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung liegt; wird der Bescheid dagegen in dieser Zeit nicht ausgehändigt, so ist der dritte Tag nach Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung maßgebend für den Fristbeginn (Anschluss an VGH München BeckRS 2019, 27565). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht, Herkunftsland: Albanien, Versäumung der Klagefrist, Verletzung der Mitwirkungspflicht, Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Asylverfahren, Klagefrist, Aufnahmeeinrichtung, Zustellungsfiktion
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34324

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. I
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.   

Tatbestand

1
Der Kläger ist Staatsangehöriger Albaniens und christlichen Glaubens. Sein am … … 2017 gestellter Asylantrag wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom … … 2017 abgelehnt.
2
Am … … 2022 stellte er einen Asylfolgeantrag und gab im Wesentlichen an, dass die Behörde für kommunistische Akten es im Jahr 2018 abgelehnt habe, ihm seine Akte der kommunistischen Staatssicherheit zu geben. Aufgrund dessen sei sein Leben in Albanien in Gefahr. Es gebe Beschuldigungen des Geheimdienstes, dass er in den 1980er Jahren umgebracht habe werden sollen.
3
Mit Bescheid vom … … 2022 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig (Nr. 1) und den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom … … 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab (Nr. 2).
4
Der Antrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen (§ 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG). Soweit sich der Kläger darauf berufe, dass ihm seitens der Behörden eine gewünschte Antwort nicht zugekommen sei, widersprächen diese Angaben den vorliegenden Erkenntnissen hinsichtlich Albaniens. Auch sei nicht erkennbar, weshalb das Leben des Klägers deshalb bedroht sei. Schließlich hätten die Befürchtungen aus dem Jahr 1989 bereits in den Asylverfahren in Italien und der Schweiz vorgebracht werden können, weshalb sie jedenfalls präkludiert seien. Beweismittel i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG lägen nicht vor.
5
Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung gemäß § 49 VwVfG rechtfertigten, lägen nicht vor. Aus den zweifelhaften Angaben des Klägers würden sich keinerlei Anhaltspunkte für eine differenzierte Prüfung der Abschiebungsverbote i.S.d. § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG ergeben. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der derzeit herrschenden Corona-Pandemie.
6
Der Bescheid ging ausweislich der Bestätigung der Aufnahmeeinrichtung M* … am … … 2022 bei der Aufnahmeeinrichtung ein. Der Kläger habe die Aufnahmeeinrichtung verlassen und sein Aufenthaltsort sei gegenwärtig nicht bekannt.
7
Hiergegen erhob der Kläger am … … 2022 zur Niederschrift Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte,
1.
den Bescheid des Bundesamts vom … … 2022 aufzuheben,
2.
die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom … … 2017 zu ändern und die Abschiebungsandrohung nach Albanien zurückzunehmen.
8
Zur Begründung nahm er auf seine Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug.
9
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
10
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Klage bereits unzulässig sei. Der streitgegenständliche Bescheid habe dem Kläger an der ihnen mitgeteilten Adresse nicht zugestellt werden können, da dieser seiner Mitwirkungspflicht (§ 10 Abs. 1 AsylG) nicht nachgekommen sei und sie nicht darüber informiert habe, dass er in einer anderen Aufnahmeeinrichtung untergebracht sei. Dies sei ihnen erst am … … 2022 von der Zentralen Ausländerbehörde mitgeteilt worden.
11
Mit gerichtlichem Schreiben vom … … 2022 wurde den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer möglichen Entscheidung durch Gerichtsbescheid gegeben. Eine Äußerung erfolgte nicht.
12
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen (vgl. § 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Entscheidungsgründe

13
Vorliegend konnte das Gericht gemäß § 84 Abs. 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zuvor angehört.
14
Die Klage ist bereits unzulässig.
15
1. Gemäß § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG ist die Klage innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung zu erheben. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 AsylG muss der Kläger Zustellungen unter der letzten Anschrift, die dem Bundesamt aufgrund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung oder der Mitteilung einer öffentlichen Stelle bekannt ist, gegen sich gelten lassen. Zustellungen und formlose Mitteilungen sind mit der Aushändigung an den Ausländer bewirkt; im Übrigen gelten sie am dritten Tag nach Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung als bewirkt (vgl. § 10 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Auf den Zeitpunkt der Aushändigung an den Asylbewerber ist nur dann abzustellen, wenn dieser innerhalb von drei Tagen ab der Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung liegt; wird der Bescheid dagegen - wie hier - in dieser Zeit nicht ausgehändigt, so ist der dritte Tag nach Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung maßgebend für den Fristbeginn (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2019 - 9 ZB 19.33265 - juris Rn. 4 m.w.N.).
16
Im vorliegenden Fall wurde der streitgegenständliche Bescheid am … … 2022 an die Aufnahmeeinrichtung - die letzte der Behörde bekannte Anschrift des Klägers - übergeben, sodass die Zustellung am … … 2022 als bewirkt galt. Dem steht der Umstand, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits unter einer neuen Adresse wohnhaft war, nicht entgegen. Er ist insoweit der Mitwirkungspflicht nach § 10 Abs. 1 AsylG, Adressänderungen umgehend dem Bundesamt mitzuteilen, worüber er ausweislich der Behördenakte auch in der albanischen Sprache belehrt worden war (vgl. Bl. 26 ff. d. Behördenakte), nicht nachgekommen.
17
Die Zwei-Wochen-Frist nach § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG endete damit mit Ablauf des … … 2022 (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1, § 193 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB), so dass die am … … 2022 erhobene Klage verfristet ist.
18
2. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) sind insoweit weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
19
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
20
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.