Titel:
Erfolgloser Eilantrag gegen eine sofort vollziehbare Baueinstellung, Nutzungsuntersagung und Anordnung zur Sicherung einer Außentreppe
Normenketten:
BayBO Art. 54 Abs. 2, Art. 75, Art. 76
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5
Leitsatz:
Der Antragsgegner durfte bezüglich der Außentreppe und den Balkonen davon ausgehen, dass die Arbeiten noch nicht vollständig abgeschlossen waren. Der Abschluss der (Bau-)Arbeiten bestimmt sich grundsätzlich nach dem objektivierbaren Willen des Bauherrn. Um den Gesetzeszweck, das formelle Baurecht durchzusetzen, zu erreichen, muss auch in der „Grauzone“ möglicher weiterer Arbeiten die Baueinstellung für zulässig erachtet werden. Zu diesen (Bau-)Arbeiten gehören über die geplante Fertigstellung und die in den Bauvorlagen dargestellten Maßnahmen hinaus auch Ausbau-, Verbesserungs-, Korrekturarbeiten, Nachbesserungen und Garantieleistungen. Die Baueinstellung scheidet erst aus, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls eindeutig feststeht, dass das Vorhaben fertiggestellt ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtsschutz, Baueinstellung, Nutzungsuntersagung, vorläufiger Rechtsschutz
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34304
Tenor
I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten um eine sofort vollziehbare Baueinstellung, Nutzungsuntersagung und Anordnung zur Sicherung einer Außentreppe.
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Das im Eigentum der Antragsteller stehende Grundstück FlNr. 826/11 Gem. … … … … (Vorhabensgrundstück) liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „K* …“ der Marktgemeinde … … … aus dem Jahre 2004. Der Bebauungsplan setzt für das Vorhabensgrundstück eine Baugrenze fest, innerhalb derer sich das dort befindliche Hauptgebäude befindet. Ferner ist für den nördlichen Bereich des Vorhabensgrundstücks eine Umgrenzung für Garagen festgesetzt, in der eine Garage steht.
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Aufgrund von Nachbarbeschwerden führte der Antragsgegner am 23. Mai 2022 eine Ortsbesichtigung durch und stellte fest, dass an der nördlichen Grundstücksgrenze eine Treppe zur Erschließung des Garagendachs errichtet worden war. Nach weiteren Nachbarbeschwerden führte der Antragsgegner am 30. Mai 2022 erneut eine Ortsbesichtigung durch und stellte fest, dass an der Treppe mittlerweile ein Geländer, und am Wohngebäude an der Ostseite im 2. OG und an der Nordseite im 1. OG ein Balkon montiert worden war. Der Antragsteller zu 1) erklärte im Rahmen der Ortseinsicht telefonisch, dass eine Dachterrasse auf dem Garagendach nicht geplant sei und die Treppe lediglich der Erschließung des hinter der Garage befindlichen Gartenteils am Hang diene. Daraufhin sprach der Antragsgegner mündlich - telefonisch - eine Baueinstellung aus.
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Mit an die Antragsteller adressiertem Bescheid vom 8. Juni 2022, diesen zugestellt am 10. Juni 2022, stellte der Antragsgegner die Bauarbeiten zur Errichtung einer Außentreppe sowie von zwei Balkonen auf dem Vorhabensgrundstück ein (Nr. 1), untersagte die Nutzung der Außentreppe, die auf das Garagendach führt (Nr. 2) sowie präventiv die Nutzung des Garagendachs, sofern eine andere Nutzung (z.B. als Dachterrasse) angedacht sei (Nr. 3) und ordnete die Sicherung der Außentreppe während der Baueinstellung dergestalt (z.B. durch Absperrung) an, dass eine Nutzung ausgeschlossen ist (Nr. 4). Ferner wurde die Einreichung eines Bauantrags gefordert (Nr. 5), die am 30. Mai 2022 mündlich verfügte Baueinstellung bestätigt (Nr. 6) und für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Nrn. 1, 2, 3, 4 und 5 ein Zwangsgeld in Höhe von je 2.000,00 EUR angedroht (Nr. 7). Die sofortige Vollziehbarkeit der Nrn. 1, 2, 3 und 4 wurde angeordnet (Nr. 8). Die Garage habe eine Länge von ca. 6,5 m, sodass die Außentreppe und die Garage die maximal zulässige Länge für Grenzbauten überschreiten würden. Das Garagendach sei ohne Absturzsicherung. Die Außentreppe und die Balkone seien bereits formell rechtswidrig. Die Balkone seien nicht verfahrensfrei, weil sie aufgrund der Größe nicht mehr als unbedeutende Anlagen gälten. Ferner fielen Abstandsflächen an. Die Balkone lägen zudem außerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen. Für die Außentreppe sei eine Baugenehmigung erforderlich, weil die maximal zulässige Länge von 9 m überschritten werde. Sie sei deshalb nicht verfahrensfrei möglich und befinde sich ebenfalls außerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen. Die Nutzung der Außentreppe habe untersagt werden können, weil diese schon formell rechtswidrig sei. Die präventive Untersagung der Nutzung des Garagendachs habe angeordnet werden können, weil anzunehmen sei, dass das Garagendach anders, z.B. als Dachterrasse, genutzt werden solle, wofür eine Baugenehmigung erforderlich sei. Die Genehmigungsfähigkeit sei nicht offensichtlich. Die Anordnung der Absturzsicherung beruhe auf Art. 54 Abs. 2 Satz 1 BayBO. Die Außentreppe sei für jedermann frei zugänglich, sodass die fehlende Absturzsicherung des Garagendachs ein Sicherheitsrisiko darstelle. Die sofortige Vollziehung der Baueinstellung sowie der Nutzungsuntersagung sei anzuordnen gewesen, weil dies der Abwehr von Gefahren diene, die ein von öffentlich-rechtlichen Vorschriften abweichendes Bauen für Leben und Gesundheit der am Bau Beteiligten mit sich bringe. Ferner sei der Sofortvollzug zur Vermeidung von Bezugsfällen erforderlich.
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Dagegen erhoben die Antragsteller mit am *. Juli 2022 bei Gericht eingegangenem Schreiben Klage (Az. M 1 K 22.3441), über die noch nicht entschieden ist. Zudem beantragen sie mit gleichem Datum wörtlich,
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den Sofortvollzug des Bescheids aufzuheben.
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Weder auf der Garage noch an einer anderen Stelle des Grundstücks solle ein Bauwerk in unmittelbarer Grenzbebauung entstehen. Der Balkon an der Ostseite sei im Jahr 2021 errichtet worden. Er sei wesentlich kleiner als der bestehende darunterliegende Balkon und deshalb genehmigungsfrei. Der Balkon an der Nordseite sei im Frühjahr 2022 errichtet worden und aufgrund seiner Größe ebenfalls genehmigungsfrei. Die errichtete Treppe auf das Garagendach stelle einen Inspektions- und Notfallzugang zu dem Dach und zum angrenzenden Steilhang westlich der bestehenden Garage dar. Starkregenereignisse im Jahr 2021 hätten erhebliche Schäden am Gebäudebestand verursacht, die auf einen Regenwasserrückstau auf dem Garagendach, verursacht durch einen schwer zugänglichen Ablauf, der durch Laub und Nadeln aus den umliegenden Bäumen verstopft worden sei, zurückzuführen sei. Die Treppe ermögliche einen leichteren Zugang zum Ablauf auf dem Garagendach und damit eine vorsorgliche Reinigungs- und Instandhaltungsmöglichkeit des Ablaufs. Die Absperrung der Außentreppe sei unmittelbar nach Zustellung des Bescheids erfolgt, sodass der Bescheid insoweit erledigt sei.
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Der Antragsgegner äußerte sich mit Schreiben vom 12. August 2022 und beantragt im Klageverfahren Klageabweisung. Dort führt er aus, dass die Frage, ob die Errichtung der Balkone innerhalb der Baugrenze erfolge, im erforderlichen Baugenehmigungsverfahren geprüft werde. Selbst bei Einstufung der Außentreppe als untergeordnetes Bauteil befinde sich diese außerhalb der Baugrenzen und bedürfe einer isolierten Befreiung und einer Abweichung von den Abstandsflächen. Einen Antrag im Eilverfahren stellt er nicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte, auch im zugehörigen Hauptsacheverfahren M 1 K 22.3441, Bezug genommen.
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Die zulässigen Anträge haben in der Sache keinen Erfolg.
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1. Die Anträge auf Aufhebung des Sofortvollzugs waren gemäß §§ 122, 88 VwGO sachdienlich als Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen der Antragsteller vom *. Juli 2022 gegen die Nrn. 1, 2, 3 und 4 des Bescheids vom 8. Juni 2022 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auszulegen.
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2. Die so verstandenen Anträge sind zulässig. Die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. Juni 2022 ist entfallen, weil er in Nr. 8 des Bescheids die sofortige Vollziehbarkeit der Nrn. 1, 2, 3 und 4 angeordnet hat.
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3. Die Anträge sind jedoch unbegründet. Das Gericht der Hauptsache kann gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn die vorzunehmende, eigene Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse der Antragsteller an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts überwiegt. Maßgeblich dafür sind in erster Linie die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt nach gebotener, aber auch ausreichender summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig, so ist die Vollziehung regelmäßig auszusetzen, da an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erscheint der Verwaltungsakt nach vorläufiger Betrachtung hingegen als voraussichtlich rechtmäßig, so ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abzulehnen, sofern ein besonderes Vollzugsinteresse besteht. Stellen sich die Erfolgsaussichten als offen dar, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
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Ausgehend davon ergibt die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende summarische Prüfung, dass die Klagen voraussichtlich keinen Erfolg haben, weil der angefochtene Verwaltungsakt - der Bescheid des Antragsgegners vom 8. Juni 2022 - rechtmäßig ist.
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a) Die Anordnung des Sofortvollzugs ist formell rechtmäßig. Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei reicht jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die anordnende Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet. Die Begründung muss kenntlich machen, dass sich die Behörde bewusst ist, von einem rechtlichen Ausnahmefall Gebrauch zu machen. Es müssen also die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe angegeben werden, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen (Hoppe in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Auflage 2022, § 80 Rn. 55).
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Die Begründung des Antragsgegners unter II. (Seite 4) des Bescheids genügt diesen Anforderungen. Er hat die Notwendigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs der Baueinstellung und der Nutzungsuntersagungen u.a. mit der Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit der am Bau Beteiligten, die ein von öffentlich-rechtlichen Vorschriften abweichendes Bauen mit sich bringe, und der Schaffung eines Bezugsfalls begründet. Unschädlich ist dabei, dass der Bescheid keine gesonderten Ausführungen hinsichtlich der sofortigen Vollziehbarkeit der Nr. 4 des Tenors - der Sicherung der Außentreppe während der Baueinstellung - enthält. Die gegebene Begründung mit der dargelegten Erwägung, Gefahren für Leib und Leben abzuwehren, kann insoweit auch zur Sicherung der Außentreppe herangezogen werden. Schließlich ordnete der Antragsgegner die Sicherung der Baustelle für den Zeitraum der Baueinstellung - und somit als Annex zur Baueinstellung - an, für die eine Begründung abgegeben worden ist. Ob die Begründung zutreffend ist, kann an dieser Stelle dahinstehen; auf die inhaltliche Richtigkeit der Begründung kommt es für die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs nicht an.
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b) Nach der im Verfahren des Eilrechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden, summarischen Prüfung haben die Klagen der Antragsteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Juni 2022 voraussichtlich keinen Erfolg. Die Anordnung der Baueinstellung, der Nutzungsuntersagungen und der Sicherung der Außentreppe sind danach rechtmäßig. Das Zwangsgeld begegnet ebenfalls keinen Bedenken, sodass der Bescheid rechtmäßig ist und die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen.
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aa) Die Baueinstellung in Nr. 1 des Bescheids ist rechtmäßig.
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(1) Die Anordnung erweist sich als formell rechtmäßig, insbesondere bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Anhörung der Antragsteller. Eine vorherige Anhörung war - wie regelmäßig (vgl. BayVGH, B.v. 21.7.2020 - 1 CS 20.1204 - juris Rn.11; B.v. 11.9.2017 - 1 ZB 16.2186 - juris Rn. 5) - nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG verzichtbar angesichts des in der Baueinstellung innewohnenden öffentlichen Interesses daran, den illegalen Weiterbau und damit möglicherweise einen nicht mehr rückgängig zu machenden Verstoß gegen die Rechtsordnung zu verhindern (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 - 1 CS 20.1979 - juris Rn. 8; Decker in Simon/Busse, BayBO, 139. EL Oktober 2020, Art. 75 Rn. 25). Im Übrigen hatte der Antragsteller zu 1) unter anderem bei der Ortseinsicht am 30. Mai 2022 Gelegenheit, sich telefonisch zu äußern und nutzte diese (Bl. 9 der Behördenakte - BA), sodass eine vorherige Anhörung ohnehin erfolgt sein dürfte.
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(2) Auch in materieller Hinsicht ist die Baueinstellung nicht zu beanstanden.
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Rechtsgrundlage der angefochtenen Baueinstellung ist Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Nach allgemeiner Auffassung ist für eine Baueinstellung die formelle Rechtswidrigkeit ausreichend; auf die Frage der Genehmigungsfähigkeit der beanstandeten Maßnahmen kommt es daher nicht an (BayVGH, B.v. 10.4.2017 - 15 ZB 16.672 - juris Rn 8 f. m.w.N.).
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Zwar kann eine Baueinstellung nach Abschluss der Arbeiten nicht mehr verfügt werden. Insoweit erklärte der Antragsteller zu 1) bezüglich der Balkone, dass diese bereits 2021 bzw. im Frühjahr 2022 errichtet worden seien. Ferner seien die bei der Ortseinsicht am 30. Mai 2022 anwesenden Handwerker zum Zeitpunkt des Eintreffens des Baukontrolleurs ausweislich des Protokolls (Bl. 9 d. BA) mit ihren Arbeiten fertig gewesen. Der Antragsgegner durfte bezüglich der Außentreppe und den Balkonen dennoch davon ausgehen, dass die Arbeiten noch nicht vollständig abgeschlossen waren. Der Abschluss der (Bau-) Arbeiten bestimmt sich grundsätzlich nach dem objektivierbaren Willen des Bauherrn. Um den Gesetzeszweck, das formelle Baurecht durchzusetzen, zu erreichen, muss auch in der „Grauzone“ möglicher weiterer Arbeiten die Baueinstellung für zulässig erachtet werden. Zu diesen (Bau-)Arbeiten gehören über die geplante Fertigstellung und die in den Bauvorlagen dargestellten Maßnahmen hinaus auch Ausbau-, Verbesserungs-, Korrekturarbeiten, Nachbesserungen und Garantieleistungen. Die Baueinstellung scheidet erst aus, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls eindeutig feststeht, dass das Vorhaben fertig gestellt ist (Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 146. EL 2022, Art. 75 Rn. 44 m.w.N). Angesichts des Befunds in der Ortseinsicht konnte der Antragsgegner nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die Bauarbeiten an der Außentreppe und den Balkonen vollständig abgeschlossen waren. Die in den Akten befindlichen Lichtbilder (Bl. 4 ff.) legen den Schluss nahe, dass sich noch weitere Arbeiten an der Treppe und den Balkonen anschließen. So weisen die Balkone im Vergleich zu den bestehenden Balkonen noch eine deutlich andere Färbung auf, sodass in Betracht kommt, dass die Balkone noch farblich verändert werden. Überdies ist der Unterbau der Balkone im Vergleich zum bestehenden Balkon auf der östlichen Grundstücksseite (noch) nicht verputzt. Ob die Außentreppe bereits vollständig wie beabsichtigt errichtet ist, erscheint angesichts der Lichtbilder ebenfalls zweifelhaft. Diese (vgl. etwa Bl. 10) lassen vermuten, dass die Arbeiten insbesondere an den Geländern noch nicht abgeschlossen sind.
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Die Errichtung der Außentreppe ist formell baurechtswidrig. Eine Außentreppe kann zwar gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. g BayBO als „andere unbedeutende Anlage“ verfahrensfrei sein (Lechner/Busse in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 146. EL 2022, Art. 57 Rn. 378). Gleichwohl wird diese in den Abstandsflächen errichtet. Ob dies, insbesondere gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO, zulässig ist, bedarf einer gesonderten Überprüfung anhand der Maße. Die Notwendigkeit einer Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann nicht eindeutig ausgeschlossen werden. Überdies dürfte es einer Befreiung von der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenze gemäß § 31 Abs. 2 BauGB, Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO bedürfen, weil die Außentreppe außerhalb der Fläche für Nebenanlagen errichtet wird.
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Die Errichtung der Balkone ist ebenfalls formell baurechtswidrig. Sie sind schon nicht verfahrensfrei gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. g BayBO, weil sie keinen lediglich unbedeutenden Teil einer baulichen Anlage darstellen (Weinmann in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 23. Edition 2022, Art. 57 Rn. 233).
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Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Ermessensbetätigung des Antragsgegners. Das der Bauaufsichtsbehörde nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO eingeräumte Ermessen ist in dem Sinne intendiert, dass ein öffentliches Interesse daran besteht, die Fortführung unzulässiger Bauarbeiten zu verhindern, sofern nicht besondere Gründe vorliegen, die eine andere Entscheidung als die Baueinstellung rechtfertigen (Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 146. EL 2022, Art. 75 Rn. 83 f. m.w.N.). Solche besonderen Gründe sind hier nicht ersichtlich. Wirtschaftliche Nachteile, die mit der Baueinstellung verbunden sind, müssen in aller Regel hinter dem öffentlichen Interesse zurücktreten. Es ist Sache der Antragsteller, vor Baubeginn durch einen Bauantrag oder die Vorlage anderweitiger Unterlagen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ihr Vorhaben den formellen und materiellen Anforderungen des Baurechts entspricht (BayVGH, B.v. 18.2.2000 - 2 ZS 00.458 - juris Rn. 6).
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bb) Die Nutzungsuntersagungen in Nrn. 2, 3 des Bescheids sind ebenfalls rechtmäßig.
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(1) Der Bescheid ist auch insoweit formell rechtmäßig ergangen. Eine Anhörung dürfte erfolgt sein (s.o.), und die Antragsteller mussten angesichts der fortgeschrittenen Bauarbeiten und der Möglichkeit des Betretens der Außentreppe mit dem Erlass einer entsprechenden Nutzungsuntersagung rechnen.
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(2) Die Nutzungsuntersagungen sind materiell rechtmäßig. Rechtsgrundlage der angefochtenen Nutzungsuntersagungen ist Art. 76 Satz 2 BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die Nutzung untersagen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden. Ein Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die den Erlass einer Nutzungsuntersagung rechtfertigt, liegt grundsätzlich schon bei sogenannter formeller Rechtswidrigkeit vor, wenn also die untersagte Nutzung ein gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtiges Vorhaben betrifft, dem die erforderliche Baugenehmigung fehlt (BayVGH, B.v. 19.5.2016 - 15 CS 16.300 - juris Rn. 21; B.v. 27.2.2017 - 15 CS 16.2253 - juris Rn. 33). Die Nutzung der Außentreppe ist bereits formell baurechtswidrig (s.o.).
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(3) Ermessensfehler liegen nicht vor und die Maßnahme ist auch nicht unverhältnismäßig. Zwar darf eine lediglich formell rechtswidrige Nutzung mit Blick auf das im Rahmen des behördlichen Ermessens zu berücksichtigende Übermaßverbot nur dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist. Nach Sinn und Zweck des Art. 76 Satz 2 BayBO ist die Bauaufsichtsbehörde jedoch nicht gehalten, nach den Maßstäben für ein Baugenehmigungsverfahren zu prüfen; es genügt vielmehr eine Offensichtlichkeitsprüfung.
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Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit liegt nicht vor. Die Nutzung der Außentreppe (Nr. 2 des Bescheids) ist nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung von den Baugrenzen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB, insbesondere der Frage, ob Grundzüge der Planung berührt werden und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist, kann nicht ausgeschlossen werden. Auch die Problematik hinsichtlich der Abstandsflächen lässt sich nicht ohne weiteres im Sinne offensichtlicher Genehmigungsfähigkeit beantworten.
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Die Nutzung des Garagendachs der in den Abstandsflächen liegenden Garage für andere Zwecke, z.B. als Dachterrasse (Nr. 3 des Bescheids), ist ebenfalls nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Die abstandsflächenrechtliche Privilegierung von Grenzgaragen gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO gilt nur für die dort genannten Nutzungen, nicht zulässig ist insbesondere die Errichtung einer Dachterrasse auf einem privilegierten Gebäude, weil die Sondervorschrift nach ihrem Zweck allein auf Garagen und Gebäude ohne Aufenthaltsräume anzuwenden ist und derartige Gebäudenutzungen ausschließt (Hahn in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 146. EL 2022, Art. 6 Rn. 504 m.w.N.). Insoweit konnte der Antragsgegner auch präventiv ein Verbot der Nutzung des Garagendachs anordnen, weil die teilweise fertig gestellte Außentreppe benutzbar ist und die Gefahr einer widerrechtlichen Nutzung des Garagendachs bestand (Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 146. EL 2022, Art. 75 Rn. 45 m.w.N.).
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cc) Die Anordnung der Sicherung der Außentreppe (z.B. durch Absperrung) während der Baueinstellung, sodass eine Nutzung ausgeschlossen ist, ist ebenfalls rechtmäßig. Sie findet ihre Grundlage in Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO, wonach die Bauaufsichtsbehörden in Wahrnehmung ihrer Aufgaben die erforderlichen Maßnahmen treffen können. Gemäß Art. 54 Abs. 2 Satz 1 BayBO haben diese bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Der Antragsgegner hat die streitgegenständliche Anordnung damit begründet, dass die Außentreppe für jedermann frei zugänglich sei und eine Möglichkeit des Betretens des nicht absturzsicheren Garagendachs schaffe. Dies begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Zulässigkeit der Nutzung des Garagendachs ist zweifelhaft (s.o.) und die errichtete Außentreppe schafft einen nicht notwendigen Zugang auf das nicht gesicherte Garagendach. Aufgrund der in den Akten befindlichen Lichtbilder (Bl. 4 ff. d. BA) ist anzunehmen, dass dies ein Absturzrisiko und aufgrund der Höhe der Garage, des gepflasterten Vorbereichs und des Zustands des Garagendachs (Bl. 5 d. BA) die Gefahr der Beeinträchtigung von Leib und Leben für Personen birgt. Ob die Antragsteller die Absperrung mittlerweile angebracht haben, kann dahinstehen; damit sind sie lediglich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht dem angeordneten Sofortvollzug gefolgt. Der Bescheid hat sich insoweit nicht erledigt, weil die Absperrpflicht weiter „während der Baueinstellung“ fortgilt.
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dd) Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 7 des Bescheids begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Der Antragsgegner hat das Zwangsgeld in rechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Nrn. 1, 2, 3, 4 und 5 auf je 2.000,00 EUR angedroht.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, im Hinblick auf die Personenmehrheit auf Antragstellerseite zudem auf § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs. Es erscheint angemessen, den für die Hauptsache anzunehmenden Streitwert von 15.000,00 EUR (je 5.000,00 EUR für Bescheidsnummer 1,3,2 i.V.m. 4) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.