Titel:
Eilrechtsschutz bei einem Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und Wiederaufgreifen des Verfahrens
Normenketten:
EMRK Art. 3
Anerkennungs-RL Art. 4 Abs. 4
VwGO § 80 Abs. 5, § 123 Abs. 5
AsylG § 3e, § 4 Abs. 3 S. 1, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 33 Abs. 5, § 71 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7 S. 1
VwVfG § 41 Abs. 5, § 51 Abs. 1, Abs. 2
VwZG § 4 Abs. 2 S. 2
BGB § 187 Abs. 1
Leitsätze:
1. Gegen eine drohende Abschiebungsmaßnahme hinsichtlich der Ablehnung des Folgeantrags muss vorläufiger Rechtsschutz in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gewährt werden. Bei Entscheidungen über unzulässige Asylanträge muss das Bundesamt feststellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Entsprechend muss vorläufiger Rechtsschutz insoweit durch einen Antrag nach § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gewährt werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gem. § 33 Abs. 5 S. 6 Nr. 1 AsylG ist das Asylverfahren nicht wiederaufzunehmen und ein Antrag auf Wiederaufnahme stattdessen als Folgeantrag gem. § 71 AsylG zu behandeln, wenn die Einstellung des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens neun Monate zurückliegt. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Einstellungsentscheidung. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein junger, gesunder Mann – auch auf sich allein gestellt – dürfte in der Lage sein, den Lebensunterhalt unter den in der Demokratischen Republik Kongo vorherrschenden Lebensverhältnisse für sich ausreichend sicherzustellen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Kongo, Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, Behandlung als Folgeantrag, inländische Flucht- bzw. Aufenthaltsmöglichkeit, kein Abschiebungsverbot, junger gesunder Mann, Demokratische Republik Kongo, Abschiebungsverbot, innerstaatliche Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative, Folgeantrag, Wiederaufgreifen des Verfahrens, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Eilrechtsschutz, Frist, RL 2011/95/EU
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34292
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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1. Der am ... 1988 in Ki./Kongo geborene Antragsteller ist kongolesischer Staatsangehöriger, gehört dem Volk der Luba an und ist christlichen Glaubens. Er reiste am 3. Januar 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und begehrt asylrechtlichen Schutz.
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Das mit Asylantrag vom 15. Januar 2020 eingeleitete Asylverfahren des Antragstellers wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 17. Mai 2021, dem Antragsteller zugestellt am 21. Mai 2021, nach §§ 32, 33 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG eingestellt. Der Asylantrag gelte als zurückgenommen, da der Antragsteller das Verfahren nicht betreibe und nach den Erkenntnissen des Bundesamts untergetaucht sei. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die hiergegen erhobene Klage des Antragstellers (W 5 K 21.30597) wurde am 7. Oktober 2021 in mündlicher Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Würzburg zurückgenommen.
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Am 30. März 2022 stellte der Antragsteller ein erneutes Asylgesuch. Die persönliche Anhörung des Antragstellers erfolgte am 2. Mai 2022.
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2. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 30. September 2022 den Antrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1). Der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 17. Mai 2021 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde ebenfalls abgelehnt (Ziffer 2).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Antrag des Antragstellers sei als Folgeantrag i.S.v. § 71 AsylG zu behandeln gewesen, da zwischen der Zustellung des Einstellungsbescheids vom 21. Mai 2021 und dem Fortführungsantrag vom 30. März 2022 mehr als neun Monate vergangen seien; damit sei die zeitliche Grenze des § 33 Abs. 5 Asyl, die für einen Fortführungsantrag gelte, überschritten. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AsylG lägen nicht vor. Den Antragsteller treffe wegen seines wiederholten Fortzugs nach Unbekannt und des fehlenden Fortführungsantrags binnen der Neunmonatsfrist auch ein Eigenverschulden bezüglich des Nichtvorbringens der Wiederaufnahmegründe in einem früheren Verfahren. Die im Raum stehende südafrikanische Staatsangehörigkeit des Antragstellers sei nicht bestätigt. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben, da die Anforderungen nach § 51 Abs. 1 und Abs. 2 VwVfG nicht erfüllt seien. Es lägen auch keine Gründe vor, die eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG rechtfertigen könnten. Die Gefahr der Folter oder relevanter unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung des Antragstellers im Falle der Rückkehr sei nicht beachtlich wahrscheinlich. Es erscheine angesichts eines verstrichenen Zeitraums von 13 Jahren nicht realistisch, dass die damaligen Entführer noch Interesse an einer Schädigung des Antragstellers hätten. Die damalige Miliz übe auch keine vergleichbare Kontrolle mehr über das Gebiet aus. Eine Gefahr seitens staatlicher Akteure sei nicht erkennbar. Es sei nicht zu erwarten, dass der Antragsteller aufgrund seiner niederschwelligen politischen Aktivitäten einer Bedrohung ausgesetzt wäre. Darüber hinaus bestehe für den Antragsteller die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative, um etwaigen Gefahren in seiner Heimatregion zu entgehen. Dem Antragsteller könne auch zugemutet werden, sich in einem sicheren Landesteil niederzulassen. Er sei ein junger, gesunder Mann ohne erwerbsfähigkeitsmindernde Umstände und ohne Unterhaltslasten im Herkunftsland. Er habe die Schule besucht und ein Marketing-Studium aufgenommen. Mithilfe seiner beruflichen Vorerfahrung im Dienstleistungsgewerbe (Autowäsche), in der Gastronomie (Barkeeper-Tätigkeit) sowie im Einzelhandel (Unterstützung am Verkaufsstand der Mutter) und seinen Qualifikationen könne er eine Tätigkeit aufnehmen und sein Existenzminimum sichern. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Demokratischen Republik Kongo führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Es drohe dem Antragsteller auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zu einer Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führe. Eine Verletzung von Art. 8 EMRK und Art. 6 GG wegen einer im Fall der Abschiebung zu erwartenden familiären Trennung sei als potentiell inlandsbezogenes Abschiebungshindernis unbeachtlich.
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Der Bescheid wurde ausweislich eines behördlichen Aktenvermerks am 12. Oktober 2022 zur Post gegeben.
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3. Hiergegen ließ der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten am 21. Oktober 2022 Anfechtungsklage erheben (W 5 K 22.30762). Zugleich stellte er im hiesigen Verfahren den Antrag, die „aufschiebende Wirkung der Klage“ anzuordnen.
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Der Antrag wurde trotz gerichtlicher Aufforderung vom 25. Oktober 2022 nicht begründet.
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4. Die Antragsgegnerin beantragte,
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Zur Begründung verwies die Antragsgegnerin auf die angefochtene Entscheidung.
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5. Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Hauptsacheverfahrens W 5 K 22.30762) und der einschlägigen Behördenvorgänge Bezug genommen.
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Der vom Antragsteller begehrte Eilrechtsschutz bleibt ohne Erfolg.
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1. Der vom Antragsteller begehrte vorläufige Rechtsschutz erfordert bei sach- und interessengerechter Auslegung des Antragsbegehrens (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Folgeantrags (§ 71 AsylG) als unzulässig sowie einen (hilfsweisen) Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zur Sicherung des Anspruchs des Antragstellers auf Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG.
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Bei der ablehnenden Entscheidung unter Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamts vom 30. September 2022 handelt es sich um eine Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG durch einen der Bestandskraft fähigen, anfechtbaren Verwaltungsakt. Im Fall seiner Aufhebung ist vorrangig das Bundesamt als mit besonderem Sachverstand ausgestattete Fachbehörde dazu berufen, die verweigerte sachliche Prüfung nachzuholen. Damit ist in der Hauptsache nicht die Verpflichtungs-, sondern die Anfechtungsklage die statthafte Klageart (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 - juris). Die Anfechtungsklage entfaltet keine aufschiebende Wirkung (§ 75 Abs. 1 AsylG). Daher muss vorläufiger Rechtsschutz gegen eine drohende Abschiebungsmaßnahme hinsichtlich der Ablehnung des Folgeantrags in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gewährt werden. Anders ist die Rechtslage hinsichtlich der nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, über die unter Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids entschieden wurde. In der Hauptsache ist insoweit eine (hilfsweise zu erhebende) Verpflichtungsklage statthaft (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 - juris). Denn das Bundesamt muss gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch bei Entscheidungen über unzulässige Asylanträge feststellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Entsprechend muss vorläufiger Rechtsschutz insoweit durch einen Antrag nach § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gewährt werden. Zweck einer solchen Anordnung ist es, einen Anspruch des betroffenen Ausländers auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorläufig zu sichern (VG Würzburg, B.v. 10.10.2017 - W 8 E 17.33482 - juris m.w.N.; B.v. 23.6.2021 - W 5 S 21.30631).
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Im wohlverstandenen Rechtschutzinteresse des Antragstellers kann davon ausgegangen werden, dass neben dem ausdrücklich gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ein (hilfsweiser) Antrag nach § 123 VwGO erhoben werden sollte.
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2. Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 30. September 2022 ist unbegründet.
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der unter Ziffer 1 des Bescheids getroffenen Ablehnungsentscheidung (vgl. § 36 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 71 Abs. 4 AsylG). Die angegriffene Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG) ist nach summarischer Prüfung bei der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu Recht erfolgt.
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2.1. Die Antragsgegnerin hat das Asylverfahren des Antragstellers zu Recht nicht wiederaufgenommen, sondern ist zutreffenderweise von einem Folgeantragsverfahren ausgegangen.
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Einem Wiederaufnahmeverfahren steht der Ablauf der neunmonatigen Antragsfrist entgegen. Gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG ist das Asylverfahren nicht wiederaufzunehmen und ein Antrag auf Wiederaufnahme stattdessen als Folgeantrag gemäß § 71 AsylG zu behandeln, wenn die Einstellung des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens neun Monate zurückliegt. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Einstellungsentscheidung (VG München B.v. 23.8.2021 - M 1 E 21.30861, BeckRS 2021, 25083 Rn. 17; Wittmann in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 13. Ed., Stand: 15.10.2022, § 33 Rn. 92). Ausweislich der Behördenakten zum Verfahren W 5 K 21.30597 (Bl. 152) wurde der Einstellungsbescheid vom 17. Mai 2021 am 18. Mai 2021 als Einschreiben zur Post gegeben und gilt entsprechend der gesetzlichen Fiktion gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG, § 41 Abs. 5 VwVfG am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post, d.h. am 21. Mai 2021, als zugestellt. Die Frist begann auch nicht erst mit der Einstellung des gerichtlichen Verfahrens infolge der am 7. Oktober 2021 in der mündlichen Verhandlung im Verfahren W 5 K 21.30597 erklärten Klagerücknahme zu laufen. Der Wortlaut des § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG spricht lediglich von der Einstellung des Asylverfahrens als fristauslösendem Ereignis. Auf die Bestandskraft des Einstellungsbescheids kommt es nicht an (VG München B.v. 23.8.2021 - M 1 E 21.30861, BeckRS 2021, 25083 Rn. 19). Bei der neunmonatigen Frist handelt es sich um eine materielle Ausschlussfrist, für die gem. § 31 Abs. 1 VwVfG die §§ 187 bis 193 des Bürgerlichen Gesetzbuchsentsprechend gelten. Gem. § 187 Abs. 1 BGB beginnt die Frist im Falle eines Ereignisses an dem Tage, der auf das Ereignis folgt. Das fristauslösende Ereignis ist damit die Zustellung der behördlichen Einstellungsentscheidung, die vorliegend am 21. Mai 2021 erfolgte. Das Fristende fällt damit auf Montag, den 21. Februar 2022. Der erst am 30. März 2022 gestellte Antrag des Antragstellers auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens war damit als Asylfolgeantrag zu behandeln (§ 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG).
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2.2. Rechtsgrundlage für eine erneute Sachprüfung des Asylbegehrens im Folgeantragsverfahren ist § 71 Abs. 1 AsylG. Danach ist für den Fall, dass der Ausländer - wie hier - nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
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Das Bundesamt ist nach summarischer Prüfung zutreffend davon ausgegangen, dass die besonderen Zulässigkeitsanforderungen der § 71 Abs. 1 AsylG, § 51 VwVfG nicht vorliegen. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Bundesamt die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu Recht verneint hat. Auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts wird insoweit Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Insbesondere hat das Bundesamt zutreffend hervorgehoben, dass gem. § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 2 VwVfG ein Folgeantrag nur zulässig ist, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Hier hätte der Antragsteller die Gründe für die Sachlagenänderung, die sich - was von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt wird - in der erstmaligen Darstellung seiner Fluchtgründe vor dem Bundesamt im Rahmen des Asylfolgeverfahrens, insbesondere bei seiner Anhörung am 2. Mai 2022 (Bl. 46 ff. der Behördenakte), erkennen lassen, jedenfalls im vorangegangenen, von ihm nicht betriebenen Asylverfahren ohne weiteres geltend machen können. Damit war der Antragsteller nicht ohne grobes Verschulden außerstande, das Fluchtgeschehen gegenüber dem Bundesamt im Rahmen eines hierfür vorgesehenen Verwaltungsverfahrens zu schildern.
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2.3. Damit sind die Behandlung des Asylgesuchs als Asylfolgeantrag und dessen Ablehnung rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
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3. Der (Hilfs-)Antrag nach § 123 VwGO auf vorläufige Sicherung eines Anspruchs des Antragstellers auf Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Antragsteller hat einen zu sichernden materiellen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO).
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Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen nach summarischer Prüfung nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung des Antragstellers nach der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist bzw. für den Antragsteller in der Demokratischen Republik Kongo eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, sind nicht ersichtlich. Im Einzelnen:
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3.1. Der Antragsteller hat insbesondere keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Gemäß § 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden. Hieraus folgen neben Unterlassungsauch staatliche Schutzpflichten. Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können auch in Ausnahmefällen schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw. (vgl. BayVGH, U.v. 23.3.2017 - 13a B 17.30030 - juris). Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch die des Bundesverwaltungsgerichts - vgl. EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f. und BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - juris - machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris; vgl. auch BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 - juris).
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3.1.1. Der Sachvortrag des Antragstellers ist nach summarischer Prüfung nicht geeignet, eine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte, landesweite Gefahrensituation aufzuzeigen. Das individuelle Fluchtvorbringen vor dem Bundesamt vermag - auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU - eine relevante Verfolgungsgefahr nicht zu unterlegen. Im Kern beruft sich der Antragsteller auf ein Entführungsgeschehen, welches ihm gemeinsam mit drei Freunden im Jahr 2009 in Goma (Provinz Nord-Kivu), wo er zu dieser Zeit studiert habe, widerfahren sei. Er sei mit seinen Freunden von der die Provinz kontrollierenden Miliz verhaftet und in einem Pick-Up weggefahren worden. Einer der Freunde sei erschossen worden, der Antragsteller und die weiteren Freunde seien durch Bananenplantagen entkommen. Ausgehend davon sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass die Entführer nach wie vor ein Interesse an der Verfolgung des Antragstellers haben könnten. Zum einen ist der zwischenzeitlich verstrichene, lange Zeitraum von ca. 13 Jahren zu berücksichtigen, der ein nach wie vor bestehendes Verfolgungsinteresse zweifelhaft erscheinen lässt. Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller, der lediglich als einfacher Student - wie eine Vielzahl anderer Studenten - an Veranstaltungen (Demonstrationen gegen die damaligen Machthaber) teilgenommen und dabei allenfalls in niederschwelliger Weise politisch aktiv gewesen ist und dabei keinerlei exponierte Stellung eingenommen hat, derart besonders in das Visier der damaligen Entführer geraten sein soll, dass von einem fortbestehenden Verfolgungsinteresse ausgegangen werden könnte.
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Im Übrigen ist - ohne dass es hierauf noch entscheidend ankommt - von einer für den Antragsteller zumutbaren inländischen Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative auszugehen (vgl. § 3e, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Der Antragsteller muss sich auf interne Schutzmöglichkeiten in seinem Herkunftsland verweisen lassen. Es ist nicht erkennbar, dass die Entführer den Antragsteller ohne weiteres auffinden können sollten, wenn er die Stadt Goma bzw. die Provinz Nord-Kivu meidet und sich an einem anderen Ort in der Demokratischen Republik Kongo aufhält. Angesichts der Größe der Demokratischen Republik Kongo und der Größe der dortigen Städte hält es das Gericht nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Antragsteller fürchten müsste, entdeckt und gefährdet zu werden. Ergänzend wird noch angemerkt, dass aufgrund des jedenfalls mangelhaften Meldewesens in der Demokratischen Republik Kongo ein Verstecken in der Anonymität einer Großstadt - etwa in der Hauptstadt Kinshasa, wo der Antragsteller seine ersten zwölf Lebensjahre verbracht hat, oder in den Städten Lubumbashi und Kasumalesa, wo sich der Antragsteller vor seiner Ausreise aufgehalten hat - möglich ist. Die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative ist für den Antragsteller auch zumutbar. Insoweit wird auf die umfassenden Ausführungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im ablehnenden Bescheid vom 30. September 2022 verwiesen (S. 11 ff.).
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3.1.2. Auch unter Berücksichtigung der humanitären Verhältnisse in der Demokratischen Republik Kongo ist nicht von einer Gefahrenlage auszugehen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt.
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Die wirtschaftliche Lage in der Demokratischen Republik Kongo stellt sich als schwierig dar. Die Demokratische Republik Kongo hat derzeit ca. 80 Millionen Einwohner. Zwar ist das Land reich an Rohstoffen, davon profitiert jedoch nur eine sehr kleine Minderheit der Bevölkerung. Zwei Drittel der Bevölkerung lebt in absoluter Armut. Mangel und Fehlernährung sind an der Tagesordnung, besonders bei Kindern. In den Städten fehlt es an Arbeitsplätzen, Nahrungsmitteln, Wasser und elementarster sanitärer Versorgung. Auf dem Land fehlt es an Straßen zur Vermarktung der landwirtschaftlichen Produkte. Zusätzlich behindern innenpolitische Konflikte und die allgegenwärtige Korruption eine erfolgreiche Armutsbekämpfung (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt D.R. Kongo, Stand: 29.6.2022, S. 6 ff., 13; Auswärtiges Amt, Lagebericht D.R. Kongo, Stand: 15.1.2021, S. 6, 22). Es gibt nach Schätzungen nur 1,5 Million formelle Arbeitsplätze, davon über 1 Million im schlecht bezahlten öffentlichen Dienst (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht D.R. Kongo, S. 6). Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt am Rande des Existenzminimums. Großfamilien gelingt es nicht immer, Härten durch wechselseitige Unterstützung aufzufangen. Die Stadtbevölkerung sichert die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln hauptsächlich durch Kleinstlandwirtschaft und Kleinviehhaltung, die Lage bleibt aber prekär. Die Regierung versucht der angespannten Versorgungslage mit Nahrungsmitteln in den Städten mit agro-industriellen Projekten gegenzusteuern. Eine Unterversorgung besteht jedoch noch nicht. Eine Ausnahme bilden allerdings die Unruheprovinzen im Osten, wo es Vertriebenen infolge ständiger Kampfhandlungen oft nicht möglich ist, sich zumindest mit Subsistenzwirtschaft über Wasser zu halten (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, S. 8, 27; Auswärtiges Amt, Lagebericht D.R. Kongo, S. 19).
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Unter Berücksichtigung der landesweiten Lebensverhältnisse und der besonderen Umstände des Einzelfalls geht das Gericht davon aus, dass dem Antragsteller im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung droht. Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen jungen, gesunden und erwerbsfähigen Mann. Er verfügt über einen vergleichsweise hohen Bildungsstand sowie über Arbeitserfahrung in verschiedenen Bereichen. Er dürfte - auch auf sich allein gestellt - aufgrund des nach der Aktenlage vermittelten Gesamteindrucks in der Lage sein, den Lebensunterhalt unter den in der Demokratischen Republik Kongo vorherrschenden Lebensverhältnisse für sich ausreichend sicherzustellen.
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3.2. Auch die Voraussetzungen von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen hinsichtlich des Antragstellers nicht vor. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche, konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Hierfür fehlen sowohl mit Blick auf die gesundheitliche Situation des Antragstellers als auch mit Blick auf die Lebensverhältnisse in der DR Kongo jegliche Anhaltspunkte.
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3.3. Bei der Frage, ob eine Abschiebung des Antragstellers zu einem Verstoß gegen Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG führt, handelt es sich um ein für die vorliegende Entscheidung unbedeutsames inländisches Abschiebungsverbot, über das die zuständige Ausländerbehörde zu befinden hat.
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4. Im Ergebnis war der Antrag unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt abzulehnen.
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.