Inhalt

OLG Bamberg, Urteil v. 27.01.2022 – 1 U 127/21
Titel:

Auslegung des Begriffs des Erdrutschs in Wohngebäudeversicherungsbedingungen

Normenketten:
WGB 2008 K6, K7
BGB § 133, § 157
Leitsätze:
1. Bei einem Erdrutsch im Sinne der Wohngebäudeversicherungsbedingungen muss es sich um einen plötzlichen, sinnlich wahrnehmbaren Vorgang handeln (anders BGH BeckRS 2022, 34286). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach den Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers fallen sich langsam über Jahre hinweg vollziehende Erdbewegungen nicht unter den Begriff des Erdrutschs. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohngebäudeversicherung, Erdrutsch, Erdfall, Erdkriechen, Versicherungsbedingungen, Auslegung
Vorinstanz:
LG Bamberg, Endurteil vom 18.03.2021 – 41 O 301/20 Ver
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 09.11.2022 – IV ZR 62/22
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34287

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 18.03.2021 (Az.: 41 O 301/20 Ver) wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das unter Ziffer 1) genannte Urteil des Landgerichts Bamberg sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Wohngebäudeversicherung.
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1. Der Kläger ist Eigentümer des Hausgrundstücks … in …. Dieses liegt am vorderen Rand einer vor etwa 80 Jahren am Hang aufgeschütteten Terrasse.
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Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung (P. Nr. 0001), die mit einer Selbstbeteiligung von 200,00 € Elementarschäden wie Erdrutsch und Erdfall gemäß Nachtrag vom 12.03.2009 umfasst. Dem Versicherungsvertrag liegen die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen der X. P. (APB 01/08), die Wohngebäudeversicherungsbedingungen der X. P. (WGB 01/08) und die Klauseln zu den Wohngebäudeversicherungsbedingungen der X. P. (WGB 01/08, Anlage K 1a) zugrunde. In diesen ist unter dem Punkt „K.6 Erdfall“ ausgeführt: „Erdfall ist ein naturbedingter Einsturz des Erdbodens über natürlichen Hohlräumen“, und unter „K.7 Erdrutsch“: „Erdrutsch ist ein naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen“.
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Am Haus des Klägers und auf der zugehörigen Terrasse traten Schäden in Form von Rissbildungen auf. Der Kläger zeigte die Schäden bei der Beklagten an und gab als Schadenstag den 01.09.2018 an. Nach beklagtenseits veranlasster Begutachtung lehnte die Beklagte die Erbringung von Versicherungsleistungen mit Schreiben vom 24.11.2018 und in der weiteren folgenden Korrespondenz ab. Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 23.01.2019 auf, den Kostenvorschuss von 20.000,00 € bis zum 08.02.2019 zu zahlen.
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2. Der Kläger hat in erster Instanz behauptet, die Schäden inner- und außerhalb des Hauses seien erstmals im August 2018 aufgetreten, stellten typische Anzeichen eines Erdrutsches dar und seien einzig und allein mit einem Erdrutsch erklärbar. Sie seien durch nicht augenscheinliche Rutschungen des Untergrunds von wenigen Zentimetern pro Jahr verursacht worden. Das Gebiet um das versicherte Gebäude sei als typisches Erdfall-/Erdsenkgebiet erfasst, es befinde sich innerhalb eines Gefahrenhinweisbereichs für tiefgehende Rutschungen und liege im Erdrutschgefährdungsbereich. Für die Rissinstandsetzung und Malerarbeiten seien geschätzte Aufwendungen in Höhe des als Vorschuss geltend gemachten Betrags (inklusive Steuern) erforderlich. Für die gesamte Beseitigung der vom Versicherungsfall erfassten Schäden seien Kosten im Bereich von insgesamt 100.000,00 € zu erwarten.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass ein Schadensfall im Sinne der Wohngebäudeversicherung durch Erdrutsch oder Erdfall vorliege.
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Der Kläger hat in erster Instanz begehrt festzustellen, dass die Beklagte auf Grund des bestehenden Wohngebäudeversicherungsvertrags (P. Nr. 0001) verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren, über die Ziffer 2. des Klageantrags hinausgehende versicherten entstandenen und noch entstehenden Schäden aus dem angenommenen Schadenseintritt an seinem Hausgrundstück zu erstatten. Des Weiteren hat er die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 20.000,00 € nebst Verzinsung sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt.
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Die Beklagte hat in erster Instanz beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, dass konkrete Anknüpfungstatsachen, aus denen sich das Vorliegen eines versicherten Ereignisses ergeben könnte, schon gar nicht vorgetragen seien. Zudem liege hier weder ein Erdfall noch ein Erdrutsch vor.
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Wegen des Parteivortrags 1. Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils verwiesen.
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Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 18.03.2021 abgewiesen.
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Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe nicht vorgetragen, dass die geltend gemachten Schäden auf einem naturbedingten Einsturz des Erdbodens über natürlichen Hohlräumen, mithin einen Erdfall im Sinne der vertraglichen Definition beruhten, sondern ausdrücklich Rutschungen des Untergrundes geltend gemacht.
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Der Kläger trage aber auch keine hinreichend konkreten Tatsachen dafür vor, dass ein Erdrutsch im Sinne der Versicherungsbedingungen, nämlich ein naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen, vorliege.
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Darüber hinaus erfülle der klägerseits geschilderte Vorgang der nicht augenscheinlichen Rutschungen des Untergrundes von wenigen Zentimetern pro Jahr nicht den Begriff des Erdrutsches als naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Erdmassen. Darunter falle aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht ein allmählicher länger andauernder und nicht wahrnehmbarer Vorgang.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
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3. Gegen diese dem Kläger am 19.03.2021 zugestellten Entscheidung wendet dieser sich mit seiner am 14.04.2021 eingelegten und am 21.06.2021 binnen der bis dahin verlängerten Frist begründeten Berufung, mit der er seine in erster Instanz gestellten Anträge weiterverfolgt.
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Die Berufung vertritt die Auffassung, entgegen der Auffassung des Landgerichts liege ein „Abrutschen“ im Sinne der Versicherungsbedingungen auch bei einem allmählichen Lösen und Verlagern von Bodenbestandteilen vor, wenn in einem Hanggelände der Boden nur langsam abgleite. Ein verständiger Versicherungsnehmer könne davon ausgehen, dass auch ein allmähliches Lösen und Verlagern von Bodenbestandteilen, welches dann im weiteren Verlauf zu einer Beschädigung des Hauses führt, vom Versicherungsvertrag umfasst sei. Die Unklarheit im Wortlaut gehe zu Lasten der Beklagten.
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Die aus vorgelegten Lichtbildern ersichtlichen Beschädigungen seien nur durch ein langsames und stetiges Abrutschen des Untergrundes zu erklären.
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Es sei auch nicht zutreffend, dass der Kläger nicht ausreichend dazu vorgetragen habe. Das Gericht hätte aufgrund des Sachvortrags des Klägers ein Sachverständigengutachten zur Ursache der Schäden erholen müssen.
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Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:
1. Das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 18.03.2021, zugestellt am 19.03.2021, Az.: 41 O 301/20 Ver wird abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte auf Grund des bestehenden Wohngebäudeversicherungsvertrags (P. Nr. 0001) verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren, über die Ziffer 2. des Klageantrags hinausgehende versicherten entstandenen und noch entstehenden Schäden aus dem angenommenen Schadenseintritt am Hausgrundstück …, … vom 01.09.2018 zu erstatten.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Vorschuss in Höhe von 20.000,00 € nebst Verzinsung hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.02.2019 zu zahlen.
4. Die beklagte Partei wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Anwaltskosten der Rechtsanwälte … in Höhe von 1.954,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihrer erstinstanzlichen Argumentation.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung vom 21.06.2021 (Blatt 98 ff. d.A.) und in der Berufungserwiderung vom 03.08.2021 (Blatt 108 ff. d.A.) Bezug genommen.
II.
23
Die Berufung ist zulässig (§§ 511 ff. ZPO), ist in der Sache jedoch nicht begründet. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung, denen der Senat beitritt, wird Bezug genommen.
24
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist ergänzend auszuführen:
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Der Senat folgt dem Erstgericht darin, dass unter Zugrundelegung des klägerischen Sachvortrags nicht von einem eine Leistungspflicht der Beklagten auslösenden Erdrutsch im Sinne der Versicherungsbedingungen auszugehen ist.
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1. Nach der unter K.7 der WGB 01/08 (dort S. 19) wiedergegebenen Definition ist ein Erdrutsch ein naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen.
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Zur Frage, ob unter einem so definierten „Erdrutsch“ im Sinne der AVB nur plötzliche, sinnlich wahrnehmbare Vorgänge zu verstehen sind oder ob darunter auch ein langsames, sinnlich nicht wahrnehmbares Abgleiten von Gesteins- oder Erdmassen fällt, insbesondere, ob es sich bei einem langsamen, sinnlich nicht wahrnehmbaren Abgleiten von Erdmassen in einem Hanggelände um einen „Erdrutsch“ im Sinne der Versicherungsbedingungen handelt, werden in der Rechtsprechung divergierende Auffassungen vertreten:
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a) Nach einer Entscheidung des OLG Koblenz (Beschluss vom 03. Februar 2014 - 10 U 1268/13 -, juris) liegt ein „Erdrutsch“ im Sinne der dem dortigen Fall zugrunde liegenden, zum vorliegenden Fall die identische Definition enthaltenden Versicherungsbedingungen auch dann vor, wenn in dem Hanggelände, in dem das versicherte Haus steht, teilweise der Boden auf einer tieferliegenden Bodenschicht (hier: 3. Schichtlage aus organischen Tonen) nur „langsam“ abgleitet und hierdurch Rissbildungen verursacht werden (Leitsatz und Rn.12). Nach der in der Rechtsprechung entwickelten Definition eines Erdrutsches handele es sich um einen Vorgang, bei dem sich ein Teil der Erdoberfläche aus seinem natürlichen Zusammenhang mit seiner Umgebung löse und in Bewegung übergehe, wobei unerheblich sei, ob der Vorgang durch ein Naturereignis oder eine menschliche Tätigkeit verursacht worden ist und ob sich die Einwirkungen, die zu dem Vorgang geführt haben, erst allmählich entwickelt haben oder sofort aufgetreten sind (vgl. BGH VersR 1956, 889; 1970, 611, OLG Schleswig VersR 2003, 190; OLG Koblenz, Beschluss vom 03. Februar 2014 - 10 U 1268/13 -, Rn. 7, juris).
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Das OLG Koblenz führt in Rn.12 der oben zitierten Entscheidung aus:
„Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der Senat mit dem Landgericht einen Erdrutsch im Sinne der Versicherungsbedingungen als gegeben erachtet. Ursächlich für die streitgegenständlichen Risse sind die organischen Tone der dritten Schicht unter dem streitgegenständlichen Hausanwesen, die zum Kriechen des Bodens führen. Dabei geht ein Teil der Erdoberfläche aus seinem natürlichen Zusammenhang mit der Umgebung in Bewegung über und gleitet auf der kriechempfindlichen Bodenschicht ab. Dass es sich bei dem Lösen eines Teils der Erdoberfläche aus seinem natürlichen Zusammenhang mit der Umgebung aus einer horizontalen oder schrägen Ebene um einen sich langsam vollziehenden Vorgang handelt, steht der Subsumtion dieses Vorgangs als Erdrutsch im Sinne des § 6 der Besonderen Versicherungsbedingungen nicht entgegen“.
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Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf vertritt in einer Entscheidung vom 11.03.2009 (4 U 107/07) die Auffassung, dass ein „Erdfall“ im Sinne der Versicherungsbedingungen, d.h. der naturbedingte Einsturz des Erdbodens über natürlichen Hohlräumen, auch dann unter den Versicherungsschutz fällt, wenn er sich, progredient, also über einen längerfristigen Zeitraum entwickelt hatte.
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b) Demgegenüber vertreten andere Gerichte die Auffassung, dass es sich bei einem Erdrutsch um einen sinnlich wahrnehmbaren Vorgang handeln müsse. So hat das OLG München in einem Fall, in dem nicht ein naturbedingtes Abgleiten oder Abrutschen von Gesteins- oder Erdmassen zum Zusammenbrauch einer Stützmauer geführt hatte, sondern ihre sehr mangelhafte Dimensionierung und ihre fehlende Eignung, dem (normalen) Erddruck standzuhalten, entschieden, dass es sich nicht um einen versicherten Erdrutsch handele (Beschluss vom 24. April 2017 - 25 U 843/17 -, juris). In den Gründen führt das OLG München aus (Rdnr. 5):
„Es fehlt schon an der Voraussetzung eines Erdrutsches. Der (versicherte) Erdrutsch ist in Nr. 7 der vorliegend vereinbarten Bedingungen BEW 2008 (Anlage K 3) als naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins - oder Erdmassen definiert. Zum Haftpflichtrecht hat das OLG Düsseldorf entschieden, dass Erdrutschungen und Grundstückssenkungen sinnlich wahrnehmbare Vorgänge sein müssen; bodenmechanische Veränderungen, die zur Verminderung des Bodengegendruckes und zum Reißen von Mauerwerk führen, sind weder Erdrutschungen noch Grundstückssenkungen. Wenn ein auf diese Weise seines Zusammenhalts mit dem Bau verlustig gegangenes Mauerwerk mit dem Erdreich absackt, liegt nicht ein durch Erdrutsche oder Grundstückssenkung entstandener Schaden vor (OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.07.1966 - Az. 4 U 168/65, VersR 1968,161, so auch Wussow, VersR2008, 1292)…
…nicht jede (unterirdische) Erdbewegung [ist] ein Erdrutsch; erforderlich ist vielmehr ein Wegrutschen, also die Bewegung des Erdreichs über eine gewisse deutlich wahrnehmbare Distanz.
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2. Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an, wonach es sich bei einem Erdrutsch im Sinne der hier verwendeten Versicherungsbedingungen um einen plötzlichen, sinnlich wahrnehmbaren Vorgang handeln muss. Erdbewegungen, die sinnlich nicht wahrnehmbar sind, weil sie sich über Jahre hinweg sehr langsam vollziehen, fallen nicht unter den Begriff des „Erdrutsches“ im Sinne der Versicherungsbedingungen.
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a) Für die Auslegung von Versicherungsbedingungen ist grundsätzlich die Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die AVB aufmerksam liest und verständig - unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs - würdigt (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl., Einl. Rdnr. 260 m.w.N.).
34
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer, der die Bedingungen aufmerksam liest und verständig würdigt, wird unter einem „Erdrutsch“ im Sinne der Versicherungsbedingungen sinnlich wahrnehmbare Vorgänge verstehen, nicht hingegen auch sich langsam über Jahre hinweg vollziehende Erdbewegungen. Über einen längeren Zeitraum schleichend vonstatten gehende allmähliche und bis zur Schadensentstehung unbemerkt bleibende Erdbewegungen sind auch mit dem allgemeinen Wortsinn der für die Definition herangezogenen Begriffe des „Abgleitens“ und „Abstürzens“ nicht in Einklang zu bringen. Beide Formulierungen implizieren, wie das Landgericht zutreffend ausführt, ein Bewegungsmoment und legen erkennbar nahe, dass es sich hierbei um Vorgänge handelt, die sich mit einer gewissen sinnlich wahrnehmbaren Dynamik vollziehen.
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Die Geologie verwendet für langfristig langsam verlaufende, sich nicht beschleunigende Bewegungen von Erdmassen ohne ausgeprägte Gleitflächen den Begriff des „Erdkriechens“ (Quelle: Allgemeine Informationen zu Massenbewegungen der Geologischen Bundesanstalt Wien, www.geologie.ac.at - Internetrecherche), das wiederum im Falle des Andauerns zum Verlust der Festigkeit der überlagernden Schichten und somit zur Entstehung von „Erdrutschen“ führen kann, also von Vorgängen, bei denen miteinander verbundene Massen des Fest- und/oder Lockergesteins entlang einer oder mehrerer Gleitflächen oder entlang dünner Zonen intensiver Scherverformung ohne Verlust des Kontaktes zum unterlagernden Material eine hangabwärts gerichtete Bewegung vollziehen (Quelle: a.a.O.). Hieraus ergibt sich, dass langsame, sinnlich nicht wahrnehmbare Erdbewegungen in Form des „Erdkriechens“, also eine Bewegung ohne Gleitflächen, vom Begriff des „Erdrutsches“ als einem anderen geologischen Vorgang, der die Bewegung von Gleitflächen voraussetzt, nicht umfasst sind. Hätte ein Versicherer den geologischen Vorgang des „Erdkriechens“ in den Versicherungsschutz einbeziehen wollen, hätte es nahegelegen, diesen Begriff neben dem des „Erdrutsches“ zu verwenden oder durch eine entsprechend allgemeine Begriffswahl klarzustellen, dass sämtliche Bodenbewegungen erfasst sein sollen. Die Unterschiedlichkeit der Erdbewegungsvorgänge findet in den Teilbegriffen „Kriechen“ und „Rutsch“ einen auch für einen geologischen Laien verständlichen Niederschlag. Auch die weiteren versicherten Schäden wie Überschwemmungen, Rückstau, Erdfall, Schneedruck, Lawinen und Vulkanausbrüche sind deutlich wahrnehmbare Vorgänge, die sich als plötzlich auftretende Naturereignisse mit einer gewissen Dynamik vollziehen.
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Damit erschließt sich sowohl aus der Begriffsverwendung als solcher als auch aus der Gesamtschau der versicherten Naturereignisse einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die vom Versicherer gewollte Begrenzung des Versicherungsschutzes.
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b) Die weitere zum Begriff des Erdrutsches ergangene Rechtsprechung steht, soweit ersichtlich, dieser Wertung nicht entgegen.
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Nach einer Entscheidung des BGH (VersR 1970, 611 - IV ZR 26/69) liegt eine Erdrutschung auch dann vor, wenn sich das Erdreich unter Tage aus dem natürlichen Zusammenhang mit seiner Umgebung löst und in Bewegung übergeht. Hieraus ergibt sich kein Widerspruch zu den oben dargestellten Erwägungen des Senats Nach einer Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen OLG (Urteil vom 21.11.2002 - 16 U 58/02) ist unter einer Erdrutschung im Sinne des dort zugrunde zu legenden § 4 Abs. 1 Nr. 5 AHB eine Lageveränderung von Teilen der Erdoberfläche zu verstehen, also ein Vorgang, bei dem sich ein Teil der Erdoberfläche aus seinem natürlichen Zusammenhang mit seiner Umgebung löst und in Bewegung übergeht (Anschluss BGH, 8. April 1970, IV ZR 26/69, VersR 1970, 611). Diese Begriffsdefinition steht sogar im Einklang mit obigen Erwägungen des Senats.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
40
Die Feststellungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen vor, da der Senat von der oben zitierten Entscheidung des OLG Koblenz vom 03.02.2014 (Az. 10 U 1268/13) in Bezug auf die den Versicherungsumfang bestimmende Definition des Begriffs „Erdrutsch“ im versicherungsrechtlichen Sinn abweicht (§ 543 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).