Titel:
Unbegründete Klage eines afghanischen Asylbewerbers gegen Rückführung nach Bulgarien im Rahmen des Dublin-Verfahrens
Normenketten:
AsylG § 29, § 34a
Dublin III-VO Art. 18
Leitsätze:
1. Die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig kann nur mit der Anfechtungsklage angefochten werden. Nach der gerichtlichen Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung ist das Bundesamt automatisch zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (BVerwG BeckRS 2020, 15388); ferner its auch die Feststellungsentscheidung zum Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG aufzuheben, da diese Entscheidung dann jedenfalls verfrüht ergangen ist (VGH München BeckRS 2019, 3415). (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Die reine Behauptung eines Asylbewerbers, in Bulgarien keinen Asylantrag gestellt, sondern nur die Fingerabdrücke zu erkennungsdienstlichen Zwecken abgegeben zu haben, vermag den Beweiswert eines Eurodac-Treffers nicht glaubhaft zu erschüttern. Darauf, ob der Asylbewerber dort einen Asylantrag stellen wollte oder nicht, kommt es nicht an, da ihm kein Recht zur Wahl des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutzes zuständigen Mitgliedstaats zukommt. (Rn. 23) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Es bestehen aktuell keine Anhaltspunkte für systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Bulgarien. (Rn. 26 – 28) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Asyl, Afghanistan, Abschiebungsanordnung nach Bulgarien, Grundsätzlich keine systemischen Schwachstellen im Asylverfahren bei Dublin-Rückkehrern, Rückkehr nach Bulgarien für alleinstehenden Mann zumutbar, afghanischer Staatsangehöriger, Asylantrag, Dublin-Verfahren, Bulgarien, Eurodac-Treffer, Abschiebungsanordnung, systemische Schwachstellen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34251
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig und die Anordnung der Rücküberstellung nach Bulgarien.
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Der Kläger ist seinen eigenen Angaben nach afghanischer Staatsangehöriger vom Volk der Pashtunen und sunnitischen Glaubens. Er reiste am 16. Mai 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 9. Juni 2022 einen förmlichen Asylantrag.
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Nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lagen aufgrund des Fingerabdruckdatenabgleichs Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) vor. Das Bundesamt richtete daher am 10. Juni 2022 ein Übernahmeersuchen an Bulgarien. Die bulgarischen Behörden antworteten nicht in der gem. Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO gesetzten Frist, so dass die Zuständigkeit mit Ablauf des 24. Juni 2022 auf Bulgarien überging. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 7. Juli 2022 gab der Kläger u.a. an, dass er im April 2022 nach Bulgarien eingereist und von der Polizei aufgegriffen worden sei sowie seine Fingerabdrücke abgegeben habe. Er sei in ein Lager gebracht worden. Dort sei er 15 Tage in Quarantäne gewesen und dann über Serbien, wo er sich 5 Tage aufgehalten habe, weitergereist. In Bulgarien seien die Zustände sehr, sehr schlimm. Man werde dort geschlagen. Seine ganze Familie sei in Deutschland, deswegen wolle er in Deutschland bleiben. Sein Vater sei vor 27 Jahren nach Deutschland eingereist. Seine minderjährige Schwester und sein 18-jähriger Bruder seien aus Afghanistan evakuiert worden. Seine Mutter lebe momentan in Pakistan. Er selbst sei verheiratet. Er und seine Frau hätten versucht, gemeinsam mit ihren Kindern zu reisen. Sie hätten es nicht geschafft. Seine Frau und seine Kinder wären jetzt in der Türkei. Er sei gesund.
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Mit Bescheid vom 7. Juli 2022 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Die Abschiebung des Klägers nach Bulgarien wurde angeordnet (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf elf Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Hiergegen erhob der Kläger am 14. Juli 2022 Klage und beantragt,
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den Bescheid vom 7. Juli 2022 aufzuheben,
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hilfsweise die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides zu Ziffer 2 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß §§ 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das bulgarische Asylsystem unter Bezugnahme und Wiedergabe von Berichten unter systemischen Mängeln leide und den Vorgaben von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK widerspreche. Asylbewerber aus Afghanistan würden regelmäßig von Festnahmen nach dem Grenzübertritt und Ausübung exzessiver Gewalt durch bulgarische Grenz- und Polizeibeamte im Gewahrsam berichten. In den Haftzellen gebe es regelmäßig keine oder sehr wenig Verpflegung. Es handele sich um Massenzellen. Wiederholt hätten afghanische Asylbewerber auch davon berichtet, dass sie nach der Entlassung aus dem Gewahrsam in geschlossene Asylaufnahmeeinrichtungen verbracht worden wären. Diese seien hoch umzäunt, es werde kein Ausgang erlaubt und der Aufenthalt in einer solchen Einrichtung dauere mitunter Wochen. Hinzukomme, dass die Aufnahmekapazitäten nahezu sämtlicher osteuropäischer Staaten durch die massiv gestiegene Zahl von Flüchtlingen aus der Ukraine bis an die Grenze des Zumutbaren belastet seien. Dies dürfte auch für Bulgarien gelten. Auf die Klagebegründung wird im Einzelnen verwiesen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte legte die Behördenakte vor und bezog sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
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Mit Beschluss vom 1. August 2022 wurde der Eilantrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt (Au 8 S 22.50178).
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Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 5. September 2022 (Kläger) bzw. vom 12. September 2022 (Beklagte) auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Mit Beschluss vom 13. September 2022 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist nicht begründet. Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland zu Recht als unzulässig behandelt. Auch ist die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO noch nicht abgelaufen.
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1. Die Klage ist - jedenfalls bei entsprechender Auslegung - zulässig.
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Unzulässig wäre ein Klageantrag, der über die Aufhebung der Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 7. Juli 2022 hinaus erstrebt, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen bzw. hilfsweise erstrebt, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen bzw. nationale Abschiebungshindernisse hinsichtlich Afghanistans festzustellen.
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Die Anfechtungsklage ist grundsätzlich die allein statthafte Klageart gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides. Die Ablehnung eines Asylantrages als unzulässig kann nur mit der Anfechtungsklage angefochten werden. Nach der gerichtlichen Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung ist das Bundesamt automatisch zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (vgl. etwa BVerwG, U.v. 20.5.2020 - 1 C 34/19 - juris Leitsatz 1 m.w.N.). Wird die Unzulässigkeitsentscheidung aufgehoben ist auch die Feststellungsentscheidung zum Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG sowie die Abschiebungsanordnung aufzuheben, da diese Entscheidung dann jedenfalls verfrüht ergangen ist (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 8.3.2019 - 10 B 18.50031 - juris Rn. 20).
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2. Soweit Gegenstand der Klage die Aufhebung der Ziffern 1, 3 und 4 des streitgegenständlichen Bescheides ist, ist die Klage als Anfechtungsklage zulässig (§ 113 Abs. 1 VwGO). Soweit mit der Klage - bei sachgerechter Auslegung - erstrebt wird, die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheides zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Bulgarien festzustellen, ist eine hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage zulässig, da es sich um einen eigenen Streitgegenstand handelt (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2019 - 10 B 18.50031 - juris Rn. 19).
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3. Der Asylantrag des Klägers ist unzulässig. Es wird in vollem Umfang Bezug genommen auf die Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) sowie lediglich ergänzend ausgeführt:
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Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Solche Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft im Sinne von § 27a AsylG finden sich aktuell in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180 S. 31 - Dublin III-VO).
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a) Vorliegend ist davon auszugehen, dass für die Durchführung des Asylverfahrens nach Maßgabe der Dublin III-VO nicht die Beklagte, sondern Bulgarien zuständig ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG). Die Zuständigkeit Bulgariens für die Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 lit. b) Dublin III-VO wegen des dort am 7. April 2022 gestellten Asylantrags (Eurodac-Treffer Nr. ...). Anhaltspunkte dafür, dass der Asylantrag des Klägers in Bulgarien bereits inhaltlich abgelehnt wurde, ergeben sich weder aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen, noch aus dem Vorbringen des Klägers bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt. Soweit der Kläger gegenüber dem Bundesamt sinngemäß angab, in Bulgarien keinen Antrag gestellt, sondern nur seine Fingerabdrücke (zu erkennungsdienstlichen Zwecken) abgegeben zu haben, so vermag die reine Behauptung nicht glaubhaft den Beweiswert des Eurodac-Treffers zu erschüttern (vgl. auch Art. 23 Abs. 4 UAbs. 1, Art. 22 Abs. 3 Dublin III-VO i.V.m. Anhang II Verzeichnis der VO(EG) Nr. 1560/2003). Darauf, ob der Kläger in Bulgarien einen Antrag stellen wollte oder nicht, kommt es insoweit nicht an. Insbesondere besteht kein Recht auf Wahl des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutzes zuständigen Mitgliedstaats.
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Auf das Aufnahmegesuch der Beklagten vom 10. Juni 2022 antworteten die bulgarischen Behörden nicht in der gemäß Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO gesetzten Frist, so dass die Zuständigkeit mit Ablauf des 24. Juni 2022 auf Bulgarien überging.
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b) Die Zuständigkeit ist nicht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach dieser Vorschrift wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zuständig, wenn keine Überstellung an einen anderen Mitgliedstaat erfolgen kann. Die Überstellung nach Bulgarien ist indes nicht unmöglich, denn es bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Schwachstellen.
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Nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO kann es sich als unmöglich erweisen, einen Asylbewerber an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, soweit es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta - GRCh - mit sich bringen (vgl. hierzu EuGH, U.v. 21.12.2011, C-411/10 u.a., juris; U.v. 14.11.2013, C-4/11, juris; U.v. 10.12.2013, C-394/12, juris). Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder Verstöße im Einzelfall gegen einschlägige EU-Richtlinien genügen somit, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln; nur soweit das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Einzelfall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, ist eine Überstellung mit Art. 4 GRCh unvereinbar (BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris Leitsatz und Rn. 6). Ergänzend hat der Europäische Gerichtshof (EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-163/17, Abubacarr Jawo, BeckRS Leitsatz) ausgeführt, dass das Unionsrecht dahingehend auszulegen ist, dass der Überstellung einer Person, die internationalen Schutz beantragt, in einen für diese Prüfung zuständigen Mitgliedsstaat nur dann Art. 4 GRCh entgegenstehen kann, wenn die Person dort dem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, unabhängig von ihrem Willen und ihrer persönlichen Entscheidungen sich in einer Situation extremer materieller Not zu befinden. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats muss zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - juris Rn. 92 f.).
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Entsprechend vorstehender Ausführungen geht das Gericht im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) davon aus, dass das Asylverfahren in Bulgarien grundsätzlich unionsrechtlichen Maßstäben nicht widerspricht bzw. dort keine unzureichenden Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte führen. Bulgarien unterliegt als Mitgliedstaat der Europäischen Union deren Recht und ist den Grundsätzen einer gemeinsamen Asylpolitik sowie den Mindeststandards eines gemeinsamen Asylsystems verpflichtet und somit ein sicherer Drittstaat i.S.v. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG. In Bulgarien ist die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt, das Asylverfahren in Bulgarien ist gegenwärtig weitestgehend regelgerecht (vgl. VGH BW, B.v. 27.5.2019 - A 4 S 1329/19 - juris Rn. 10). Soweit einzelne Menschenrechtsorganisationen von Pushbacks, Gewalt, Diebstählen und erniedrigenden Praktiken an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei berichten, ist hierzu auszuführen: Einzelne Übergriffe von staatlichen Organen auf Migranten/ Asylbewerber sind nicht völlig auszuschließen. Ein systematisches Vorgehen von Misshandlungen und/ oder herabwürdigender Behandlung durch die bulgarischen Sicherheitskräfte besteht indes nicht. Das Disziplinarsystem innerhalb des Innenministeriums wird streng ausgelegt, etwaige Täter haben mit sofortiger Entlassung zu rechnen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Bulgarien, Gesamtaktualisierung 24. Juli 2020, S. 6; vgl. auch VG Aachen, U.v. 15.4.2021 - 8 K 2760/18.A - juris Rn. 242 ff.). Systemische Mängel im bulgarischen Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen während des Asylverfahrens, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen würden, sind auch im Übrigen nicht ersichtlich (vgl. jüngst VGH BW, U.v. 24.2.2022 - A 4 S 162/22 - juris; OVG NRW, B.v. 15.2.2022 - 11 A 1625/21.A - juris; vgl. ferner OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 1.7.2020 - 13 A 10424/19 - juris; OVG Sachsen, U.v. 13.11.2019 - 4 A 947/17.A - juris; VGH BW, 27.5.2019 - A 4 S 1329/19 - juris; VG Aachen, U.v. 15.4.2021 - 8 K 2760/18.A - juris; VG Lüneburg, U.v. 12.12.2019 - 8 B 180/19 - juris; VG Würzburg, B.v. 27.10.2021 - W 1 S 21.50279 - juris Rn. 20; VG Kassel, B.v. 29.4.2022 - 5 L 598/22.KS.A, 8610535 - juris; VG München, B.v. 24.3.2022 - M 5 S 22.50150 - juris; B.v. 2.6.2022 - M 10 S 22.50254 - juris Rn. 22 m.w.N.). Dies gilt auch vor dem Hintergrund der aktuellen Ukraine-Krise (vgl. näher VG Kassel, B.v. 29.4.2022 - 5 L 598/22.KS.A, 8610535 - juris; VG Münster, B.v. 5.5.2022 - 8 L 362/22.A, 8505567 - juris; VG Minden, B.v. 22.4.2022 - 12 L 350/22.A, 8672769 - juris; VG München, B.v. 2.6.2022 - M 10 S 22.50254 - juris; VG München, B.v. 9.6.2022 - M 30 S 22.50328 - juris). Dublin-Rückkehrer haben grundsätzlich Zugang zum Asylverfahren in Bulgarien. Bei Dublin-Rückkehrern, die wie der Kläger in Bulgarien bereits einen Asylantrag gestellt haben, der noch nicht inhaltlich geprüft wurde, wird das Verfahren automatisch wiedereröffnet (BFA a.a.O. S. 7). In der Praxis werden in Sofia ankommende Personen nach der Überstellung unterrichtet, dass sie verpflichtet sind, sich bei der staatlichen Asylbehörde vorzustellen, meist schon am folgenden Tag. Wenn sie dort vorstellig werden, erhalten sie die Entscheidung, dass das Verfahren wiedereröffnet wird (BFA, a.a.O. S. 8). Auch die Aufnahmebedingungen in Bulgarien entsprechen gegenwärtig im Bereich des Asyls der Gesetzgebung der EU mit sämtlichen Mindeststandards (BFA, a.a.O. S. 9).
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Dies zugrunde gelegt ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner Rückkehr nach Bulgarien eine gegen Art. 4 GRCh respektive Art. 3 EMRK verstoßende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erleiden wird. Der Kläger hat beim Bundesamt erklärt, dass er sich lediglich (rund) 15 Tage lang in Bulgarien aufgehalten habe. Er hat nicht vorgetragen, dass er dort einen Termin zur Anhörung gehabt habe. Damit ist bei dem Kläger davon auszugehen, dass in seinem Fall eine inhaltliche Prüfung des Asylantrages in Bulgarien bislang nicht stattgefunden hat, sodass sein Asylverfahren entsprechend der Erkenntnismittellage bei Rückkehr automatisch wiedereröffnet wird. Davon ist jedenfalls auszugehen, wenn der Betroffene noch nicht angehört wurde (vgl. VGH BW, B.v. 27.5.2019 - A 4 S 1329/19 - juris). Personen, deren Verfahren wiedereröffnet wird, werden sodann auch in ein Aufnahmezentrum gebracht, wo der Kläger - wenn auch auf einfachem Standard - untergebracht wird und eine Versorgung über Sachleistungen erhält, die seinen notwendigen Lebensunterhalt („Bett, Brot, Seife“) sicherstellen; ebenso ist dort seine notwendige medizinische Behandlung sichergestellt. Selbst wenn die bulgarischen Behörden den Asylverfahrens- und Aufnahmeanspruch des Klägers entgegen vorstehender Ausführungen zunächst rechtswidrig verneinen sollten, ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerichtlichen Rechtsschutz hiergegen in Anspruch zu nehmen (vgl. VGH BW, B.v. 27.5.2019 - A 4 S 1329/19 - juris). Vor diesem Hintergrund ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger nach seiner Überstellung nach Bulgarien dort inhaftiert werden wird. In rechtlicher Hinsicht existieren in Bulgarien drei verschiedene Formen der Inhaftierung von Asylsuchenden: Eine kurzzeitige Inhaftierung von bis zu 30 Tagen direkt nach dem Aufgriff, die sogenannte Asylhaft und die reguläre Abschiebehaft. Da der bereits nach seiner Ankunft in Bulgarien registrierte Kläger dort nicht als Folgeantragsteller behandelt und damit nicht in Abschiebehaft genommen werden dürfte, kommt für ihn nur die Asylhaft in Betracht. Zur Durchführung ihres Asylverfahrens inhaftiert waren im Jahr 2020 aber lediglich neun Personen. Haftgründe waren die Bestätigung der Identität oder Nationalität sowie der Schutz der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung (vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 65 ff.; Bordermonitoring.eu: Get Out! Zur Situation von Geflüchteten in Bulgarien, Juni 2020, S. 33 ff.). Der Kläger wird nach seiner Rückkehr nach Bulgarien - nach automatisch erfolgender Wiedereröffnung seines Asylverfahrens - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in einem Aufnahmezentrum untergebracht und versorgt werden können. Auch der UNHCR beobachtete in letzter Zeit keine Fälle, in denen Dublin-Rückkehrern der Zugang zu den Aufnahmezentren verweigert wurde (vgl. aida a.a.O. S. 54; BFA a.a.O. S. 8; vgl. näher zum Ganzen, einschließlich je m.w.N., VG Würzburg, B.v. 27.10.2021 - W 1 S 21.50279 - juris; VG München, B.v. 24.3.2022 - M 5 S 22.50150 - juris). Selbst wenn man jedoch überdies davon ausgehen wollte, dass gegenüber dem Kläger in Bulgarien bereits eine inhaltliche Entscheidung nach Anhörung ergangen wäre, so ist nichts dagegen zu erinnern, dass sodann ein im Falle der Rückkehr erneut gestellter Asylantrag als Folgeantrag behandelt würde. Einschränkungen oder der Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten Leistungen ist nach Art. 20 Abs. 1 lit. c) der EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) bei einem Folgeantrag möglich (vgl. VG Würzburg, B.v. 27.10.2021 - W 1 S 21.50279 - juris).
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Aus dem Vorbringen des Klägers lassen sich nach alledem keine Rückschlüsse auf nach o.g. Maßstäben systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Bulgarien ziehen. Belastbare Erkenntnisse über die Lage der Menschenrechte in Bulgarien und deren Gewährung im Asylverfahren konnte der Kläger angesichts seiner kurzen Aufenthaltsdauer nicht gewinnen. Vorliegend kann damit dahingestellt bleiben, ob der Vortrag des Klägers bezüglich der Behandlung in Bulgarien glaubhaft ist, da jedenfalls allein im Einzelfall des Klägers erfolgte Verstöße und Grundrechtsverletzungen nicht geeignet sind, das Vorliegen systemischer Schwachstellen zu begründen. Die vom Kläger vorgelegten Beiträge der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom Mai 2019 und des Bordermonitoring EU e.V. vom Juni 2020 stellen nicht den aktuellen Stand dar bzw. setzen sich mit der dargelegten Situation (u.a.) von Dublin-Rückkehrern - insbesondere nach dem jeweiligen Verfahrensstand - nicht hinreichend substantiiert auseinander. Aus diesen Veröffentlichungen können keine Schlüsse auf systemische Mängel des bulgarischen Asylsystems gezogen werden.
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c) Auch aus Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergibt sich keine Verpflichtung der Beklagten zum Selbsteintritt. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei einer Rückführung nach Bulgarien erhebliche Gefahren für Leib und Leben befürchten müsste, die einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen ließen, gibt es - wie bereits ausgeführt - nicht. Insbesondere gibt der Kläger selbst an, gesund zu sein. Der Vortrag des Klägers, dass sich sein Vater und Geschwister im Bundesgebiet aufhalten, führt nicht zu dem Ergebnis, dass die Beklagte von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müsste. Die vorgetragenen persönlichen Bindungen werden nicht von Art. 2 g) Dublin III-VO umfasst.
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4. Die Abschiebung nach Bulgarien kann auch durchgeführt werden; sie ist rechtlich bzw. tatsächlich möglich. Die Feststellung im streitgegenständlichen Bescheid, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, ist ebenfalls rechtmäßig. Der Kläger kann sich auf zielstaatsbezogene - bezogen auf Bulgarien - oder inlandsbezogene Abschiebungsverbote, die in Bezug auf die Abschiebungsanordnung gegenüber der Beklagten geltend gemacht werden können (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2015 - 11 ZB 15.50050 - juris Rn. 4; VGH BW, B.v. 31.5.2011 - A 11 S 1523/11 - juris; OVG Hamburg, B.v. 3.12.2010 - 4 Bs 223/10 - juris), nicht berufen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Reisefähigkeit des Klägers eingeschränkt wäre. Abschiebungsverbote bezogen auf Afghanistan sind im Dublin-Verfahren nicht zu prüfen. Eine Einreise nach Bulgarien ist - auch im Hinblick auf die Corona-Pandemie - zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) tatsächlich möglich, § 34a Abs. 1 AsylG. Alle pandemiebedingten Beschränkungen für die Einreise nach Bulgarien wurden aufgehoben (www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bulgarien-node/bulgariensicherheit/211834, 14. September 2022).
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5. Schließlich erweist sich auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG als rechtmäßig. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf elf Monate ist angemessen (§ 11 Abs. 2 AufenthG). Die Befristung hält sich innerhalb des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffneten gesetzlichen Rahmens von bis zu fünf Jahren. Das nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eröffnete Ermessen wurde erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt.
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Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.