Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 15.09.2022 – Au 8 K 21.1168
Titel:

Rückbau eines Gabionenzauns innerhalb eines straßenrechtlichen Sichtdreiecks – Anfechtungsklage

Normenketten:
GG Art. 14 Abs. 1 S. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BV Art. 103 Abs. 1
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 2, Art. 8
BayStrWG Art. 29 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, Art. 58 Abs. 2 Nr. 2, Art. 66 Nr. 4
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Vorschrift des Art. 29 BayStrWG, die bestimmte Duldungs- und Unterlassungspflichten des Eigentümers eines zu einer Straße benachbarten Grundstücks zum Schutz der Straße vor nachteiligen Einwirkungen regelt, lässt sicherheitsrechtliche Befugnisnormen und damit auch die sicherheitsrechtliche Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 LStVG unberührt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 BayStrWG dürfen u.a. Zäune nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Davon ist grundsätzlich u.a. dann auszugehen, wenn das erforderliche Sichtdreieck nach den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) nicht eingehalten wird. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Diese Nutzungsbeschränkung und die mit ihr verbundene Möglichkeit einer Beseitigungsanordnung können nicht pauschal und ohne Abstufung auf allen Straßen und Wegen gleichermaßen Anwendung finden. Zu berücksichtigen sind im Rahmen einer Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls vielmehr die Verkehrsbedeutung und Verkehrsbelastung einer Straße und ihre besondere Beschaffenheit, zB ein unübersichtlicher oder kurvenreicher Straßenverlauf. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung muss ferner hinzukommen, dass die drohenden konkreten Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht hinreichend durch andere, insbesondere einfachere oder einer bestimmten Verkehrssituation angemessene Mittel abgewehrt werden können, wie etwa durch das Aufstellen von Verkehrsspiegeln und den Einsatz geeigneter verkehrslenkender Maßnahmen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sicherheitsrechtliche Anordnung zum Rückbau eines Gabionenzauns innerhalb des straßenrechtlichen Sichtdreiecks auf eine Höhe von 80 cm, Kein Spezialitätsverhältnis zwischen Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Interessenabwägung, Verhältnis straßenrechtlicher Duldungs- und Unterlassungspflichten zu sicherheitsrechtlichen Befugnisnormen, Nutzungsbeschränkung für Nachbargrundstücke von Straßen, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, Einhaltung des erforderlichen Sichtdreiecks, Gesamtschau aller Einzelfallumstände, Verkehrsbedeutung und -belastung einer Straße, unübersichtlicher Straßenverlauf, Verhältnismäßigkeitsprüfung, einfachere oder einer bestimmten Verkehrssituation angemessene Mittel, Aufstellen von Verkehrsspiegeln, verkehrslenkende Maßnahmen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34249

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 26. April 2021 (Gz. ...) wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.  

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich mit ihrer Klage gegen eine sicherheitsrechtliche Anordnung zur Reduzierung der Gesamthöhe ihres Gabionenzauns auf 80 cm.
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Die Kläger sind Eigentümer eines Eckgrundstücks innerhalb der geschlossenen Ortslage eines Ortsteiles des Beklagten. Die Kläger errichteten entlang der westlichen und nördlichen Grenze ihres Grundstücks einen Gitterzaun aus Metall mit einer Höhe von insgesamt ca. zwei Metern, der zum Teil mit Steinen befüllt ist („Gabionenzaun“). Der Zaun ist u.a. auch im Einmündungsbereich der an diesen Grundstücksseiten verlaufenden Straßen mit Steinen befüllt. Entlang der Kreisstraße auf der westlichen Grundstücksseite befindet sich zwischen der Fahrbahn und dem Grundstück der Kläger ein ca. zwei Meter breiter Gehweg. Gegenüber der Einmündung der nördlichen Gemeindestraße befindet sich ein Verkehrsspiegel, der durch den Beklagten bereits vor der Errichtung des streitgegenständlichen Zaunes durch die Kläger aufgestellt wurde. Die Einmündung ist zudem mit einem Schild „Vorfahrt gewähren“ (VZ 205) versehen, die Ortsdurchgangstraße als Vorfahrtsstraße ausgeschildert.
3
Mit Schreiben vom 26. Mai 2020 forderte der Beklagten die Kläger auf, den zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig mit Steinen befüllten Gabionenzaun bis zu einer maximalen Höhe von 80 cm über dem Boden von Steinen freizuhalten bzw. diese, soweit bereits aufgefüllt, bis zu dieser Höhe wieder zu beseitigen. Hierbei begründete der Beklagte seine Aufforderung damit, dass das notwendige Sichtfeld von 35 m nach links und rechts der aus der Nebenstraße in die Ortsdurchfahrtsstraße einbiegenden Fahrer nur dann gegeben ist, wenn in diesem Bereich der Blick ab einer Höhe von 80 cm über dem Erdboden frei ist. Die Kläger nahmen mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 2. Juni 2020 dazu Stellung.
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Einer Stellungnahme der Polizeiinspektion vom 7. August 2020 zum Ortstermin am 6. August 2020 („Verkehrsschau“) ist zu entnehmen, dass das Sichtfeld in der Einmündung in Richtung Ortsmitte lediglich 20 m betrage. Die Prüfung habe ergeben, dass der Zaun auch ohne Steinfüllung bei einem entsprechend flachen Blickwinkel nahezu eine Wandwirkung habe und somit keine ausreichende Sicht ermöglichen würde. Gegenüber der Einmündung sei ein Verkehrsspiegel angebracht, der mit seiner Einstellung eine ausreichende Sicht in die Ortsdurchfahrtsstraße ermögliche. Im Spiegel könnten Geschwindigkeit und Entfernung der Verkehrsteilnehmer jedoch schlecht eingeschätzt und Fahrzeuge mit kleiner Silhouette womöglich komplett übersehen werden. Mit einer Entfernung der vormals bestehenden Hecke hätte die Möglichkeit bestanden, den Verkehrsspiegel abzumontieren. Mit Herstellung des Gabionenzauns sei dieser nun wieder erforderlich, um die Sichtverhältnisse ausreichend herzustellen.
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Mit Bescheid vom 26. April 2021 wurden die Kläger verpflichtet, den an ihrem näher bezeichneten Grundstück errichteten Gabionenzaun, auf der kompletten Westseite des Grundstücks entlang der näher bezeichneten Straße auf eine Gesamthöhe von 80 cm (gemessen an der Hinterkante des gepflasterten Gehweges - Oberkante Pflaster), innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Bescheides, zu reduzieren (Ziffer 1). Unter Ziffer 2 ordnete der Beklagte die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 an. Falls die dort festgelegte Verpflichtung nicht, nicht fristgerecht oder nicht vollständig erfüllt wird, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 € fällig (Ziffer 3). In Ziffer 4 sind weitere Anordnungen gegen die Kläger vorbehalten, in Ziffer 5 die Kostentragungspflicht der Kläger geregelt.
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Die Anordnung stütze sich auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG. Der Gabionenzaun mit einer Höhe von zwei Metern beeinträchtige die Sicherheit des Verkehrs, da dieser selbst ohne die Steineinfüllung bei einem flachen Blickwinkel nahezu eine Wandwirkung für Autofahrer habe, die über die Einmündung der nördlichen Straße in die Ortsdurchfahrt kämen. Gem. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG i.V.m. RAST 06 dürften an Knotenpunkten, Rad-/Gehwegüberfahrten und Überquerungsstellen für wartepflichtige Kraftfahrer, Radfahrer und Fußgänger Anpflanzungen, Zäune und dergleichen nicht angelegt werden, wenn sie das Mindestsichtfeld zwischen 0,80 m und 2,50 m von ständigen Sichthindernissen und sichtbehinderndem Bewuchs nicht freihalten und somit die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen. Das jetzige Sichtfeld nach links in Richtung Ortsmitte betrage lediglich 20 m und genüge diesen Anforderungen nicht. Bei der dort zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h müsse das Sichtfeld mindestens 70 m betragen. Es sei deshalb von einer konkreten Gefährdung von Gesundheit und Leben der Allgemeinheit und der Sicherheit des Straßenverkehrs auszugehen (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG). Die Anordnung sei im pflichtgemäßen Ermessen im Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs erfolgt. Dies habe eine Interessenabwägung ergeben. Die Anordnung sei auch verhältnismäßig, da sie geeignet sei, um die aus möglichen Unfällen herrührenden Gesundheitsgefahren zu vermeiden. Bei Abwägung der Interessen Dritter, der Gesundheit der Menschen und dem Interesse der Kläger handele es sich um keinen unangemessenen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und das Grundrecht auf Eigentum. Weniger einschneidende, gleich effektive Maßnahmen seien nicht ersichtlich. Die Androhung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG.
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Hiergegen ließen die Kläger am 18. Mai 2021 Klage erheben und beantragen,
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Der Bescheid des Beklagten vom 26. April 2021 (Az. ...) wird aufgehoben.
9
Die Ortsdurchfahrtsstraße befinde sich in der Straßenbaulast des Landkreises (Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayStrWG, Art. 41, 42 BayStrWG), eine Straßenbaulast des Beklagten bestehe nicht.
10
Der Zaun sei aufgrund des Zuschnitts des Grundstücks der Kläger bereits soweit zurückgesetzt, dass sowohl nach Norden als auch nach Süden ein ausreichendes Sichtdreieck bestehe. Der Zaun sei zudem auch nicht durchgängig mit Steinen befüllt. Es wechselten sich Zaunfelder mit Steinen und Zaunfelder ohne Steine ab. Hinzu komme ein ca. zwei Meter breiter Gehweg zwischen dem Grundstück der Kläger und der Ortsdurchfahrts straße.
11
Der Beklagte sei für den Erlass des Bescheids unzuständig. Eine Anordnung nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG sei nur zulässig, wenn eine andere gesetzliche Ermächtigung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 LStVG nicht bestehe. Eine solche bestehe vorliegend für Zäune, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen könnten, in Art. 29 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayStrWG. Dafür zuständig sei die Straßenbaubehörde gem. Art. 29 Abs. 3 Satz 1 BayStrWG, vorliegend gem. Art. 58 Abs. 2 Nr. 2 BayStrWG der Landkreis.
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Im Übrigen lägen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 2 Bay-StrWG nicht vor. Die Kläger müssten nach dieser Vorschrift lediglich die Beseitigung durch die Straßenbaubehörde dulden. Das einschlägige Verfahren, das von dem Beklagten nicht beachtet worden sei, sei in Art. 29 Abs. 3 BayStrWG abschließend geregelt. Eine gesetzliche Ermächtigung, die aktive Beseitigung des Zaunes von den Klägern zu verlangen, bestehe nicht.
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Mit der Regelung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG sei eine Beschränkung der Nutzung des privaten Grundstückseigentums verbunden. Deshalb seien die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten ohne einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Die Beseitigungsmöglichkeit sei daher streng an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gebunden. Eine konkrete Gefahr im Sinne der Vorschrift liege nicht vor. Es bestünden ausreichende Sichtverhältnisse für alle Verkehrsteilnehmer. Es gebe darüber hinaus mildere Mittel, etwa das Aufstellen eines Verkehrsspiegels oder der Einsatz geeigneter verkehrslenkender Maßnahmen wie etwa das Aufstellen eines Stopp-Schildes. Von Bedeutung könne auch sein, ob das Grundstück mit seiner Einzäunung unmittelbar an die Fahrbahn heranreiche. Dies sei hier nicht der Fall. Die Anordnung sei daher jedenfalls unverhältnismäßig. Der Stellungnahme der Polizeiinspektion vom 7. August 2020 sei zu entnehmen, dass die Aufstellung eines Verkehrsspiegels, der bereits dort vorhanden sei, geeignet und ausreichend sei, die Verkehrssituation an der Einmündung zu verbessern.
14
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Art. 7 Abs. 2 Nr.2 LStVG stelle eine taugliche Rechtsgrundlage dar und der Beklagte sei auch zuständig, da Art. 29 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayStrWG keine abschließende Regelung bezüglich der Beseitigung von Zäunen darstelle. Vielmehr ließe diese Vorschrift sowohl bau- als auch sicherheitsrechtliche Normen unberührt. Dies ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut des Art. 29 Abs. 2 BayStrWG als auch aus dessen Sinn und Zweck. Infolgedessen sei auf die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG abzustellen.
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Das Ermessen des Beklagten sei umfassend ausgeübt worden. Die Anordnung sei verhältnismäßig. Es werde auf die Stellungnahme der Polizeiinspektion vom 7. August 2020 verwiesen. Auch die Ausführungen zur Aufstellung eines Verkehrsspiegels bzw. eines Stopp-Schildes seien nicht zielführend. Hierzu sei polizeilich Stellung genommen worden. Sicherheitsrechtliche Bedenken könnten auf diese Weise nicht ausgeräumt werden. Durch ein Stopp-Schild würde das Sichtdreieck nicht vergrößert.
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Mit Beschluss vom 24. September 2021 hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt (Au 8 S 21.1233).
19
Am 13. September 2022 hat der Berichterstatter die örtlichen Verhältnisse an der streitgegenständlichen Einmündung und in der näheren Umgebung bei einem Ortstermin in Augenschein genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte sowie des Protokolls über den Augenscheintermin am 13. September 2022 und des Protokolls der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22
1. Die Rückbauanordnung in Ziffer 1 des Bescheids erweist sich als rechtswidrig, da diese unbestimmt und jedenfalls unverhältnismäßig ist.
23
a) Als Rechtsgrundlage für die Anordnung kann der Beklagte sich auf Art. 29 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG stützen.
24
Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG vermittelt den Gemeinden (vgl. Art. 6 LStVG) die Befugnis für die erforderlichen Anordnungen zur Beseitigung verbotswidriger Zustände. Die Anwendbarkeit der sicherheitsrechtlichen Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 LStVG ist im vorliegenden Fall nicht durch das Eingreifen einer speziellen Befugnisnorm ausgeschlossen, insbesondere nicht durch Art. 29 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG). Diese Vorschrift, die bestimmte Duldungs- und Unterlassungspflichten des Eigentümers eines zu einer Straße benachbarten Grundstücks zum Schutz der Straße vor nachteiligen Einwirkungen regelt, lässt sicherheitsrechtliche Befugnisnormen und damit auch Art. 7 Abs. 2 LStVG unberührt (vgl. dazu näher VG München, U.v. 6.12.2016 - M 2 K 16.4386 - juris Rn. 17 f.; U.v. 24.2.2011 - M 22 K 10.5503 - juris Rn. 15; U.v. 16.11.2000 - M 17 K 99.2519, M 17 K 99.2632 - juris; U.v. 3.8.2017 - M 2 K 16.3853 - juris Rn. 16 ff.; B.v. 3.6.2014 - M 2 S 14.1381 - juris Rn. 22; Edhofer, PdK Bay L-12, BayStrWG, Art. 29 1.).
25
Soweit sich die Kläger auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 21) berufen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Eine Aussage zum Verhältnis von Art. 29 BayStrWG zu Art. 7 Abs. 2 LStVG trifft der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dort nicht, sondern lediglich zum (Spezialitäts-) Verhältnis zwischen Art. 29 Abs. 2 und 3 BayStrWG und Art. 26 BayStrWG (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 21 ff.).
26
b) Nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG können die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen treffen, um durch rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, verursachte Zustände zu beseitigen. Nach Art. 66 Nr. 4 Bay-StrWG kann mit Geldbuße belegt werden, wer vorsätzlich oder fahrlässig Art. 29 Abs. 2 Satz 1 zuwiderhandelt. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG dürfen u.a. Zäune nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Davon ist grundsätzlich u.a. dann auszugehen, wenn das erforderliche Sichtdreieck nach den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) nicht eingehalten wird.
27
Die Anwendung der verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit (mit einfachgesetzlichem Niederschlag in Art. 8 LStVG) hat dabei vor dem Hintergrund der Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 BV zur Folge, dass die Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und die mit ihr verbundene Möglichkeit, die Beseitigung anzuordnen, nicht pauschal und ohne Abstufung auf allen Straßen und Wegen gleichermaßen Anwendung finden können. Der Schwerpunkt ihres Anwendungsbereichs befindet sich vielmehr dort, wo auf Grund der Verkehrsbelastung einer Straße (z.B. erhebliche durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke) oder auf Grund ihrer besonderen Beschaffenheit (z.B. unübersichtlicher oder kurvenreicher Straßenverlauf) konkrete Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs drohen, wenn Sichtdreiecke nicht freigehalten werden oder die Übersichtlichkeit der Straße in sonstiger Weise durch Anlagen im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG beeinträchtigt wird. Das wird vor allem auf freier Strecke, d.h. außerhalb der Ortsdurchfahrten (Art. 4 Abs. 1 BayStrWG), innerorts auf Hauptdurchgangsstraßen und allgemein an Unfallschwerpunkten der Fall sein. Auch eine häufige Benutzung eines Verkehrswegs durch Ortsunkundige kann im Einzelfall eine Bedeutung haben. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hinzukommen muss ferner, dass die konkrete Gefahr nicht hinreichend durch andere, insbesondere einfachere oder einer bestimmten Verkehrssituation angemessene Mittel wie das Aufstellen von Verkehrsspiegeln, den Einsatz geeigneter verkehrslenkender Maßnahmen (insbesondere Verkehrszeichen) und - je nach den örtlichen Gegebenheiten - unter Umständen auch durch den Einsatz von Ampeln oder die Einrichtung von Kreisverkehrsplätzen abgewehrt werden kann. Von Bedeutung sein kann auch, ob das Grundstück mit seiner Einzäunung unmittelbar an die Fahrbahn heranreicht oder ob noch ein Gehsteig zwischengeschaltet ist (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 27 f.).
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c) In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die Rückbauanordnung bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls jedenfalls als unverhältnismäßig.
29
(1) Die Rückbauanordnung erweist sich bereits als zu unbestimmt.
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Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (vgl. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Diesem Erfordernis ist genügt, wenn der Wille der Behörde für die Beteiligten des Verfahrens, in dem der Verwaltungsakt erlassen wird, unzweideutig erkennbar geworden und keiner unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich ist. In Ziffer 1 des Bescheids vom 26. April 2021 ist angeordnet, dass die Kläger verpflichtet werden, den errichteten Gabionenzaun „auf der kompletten Westseite des Grundstücks“ zurückzubauen. Der Gabionenzaun befindet sich an der westlichen und nördlichen Grenze des klägerischen Grundstücks. Dabei ist der Bereich des Übergangs im nordwestlichen Eckbereich nicht im rechten Winkel ausgestaltet, sondern vollzieht sich in Teilschritten, so dass unklar bleibt, ob diese Teilschritte noch zur „Westseite“ oder schon zur „Nordseite“ des Grundstücks gehören. Soweit nur der direkt an der westlichen Grundstücksseite verlaufende Gabionenzaun ohne den Eckbereich gemeint ist, ergäbe sich daraus auch keine Verbesserung der Sichtverhältnisse, wovon sich die Kammer durch die von dem Berichterstatter bei einem Augenscheintermin gefertigten Lichtbilder überzeugen konnte. Insofern führt bereits die fehlende Bestimmtheit der Anordnung - auch in Kombination mit dem übersandten Lageplan, der keinerlei Messpunkte oder konkrete auf den Gabionenzaun bezogene Maße enthält - zur Rechtswidrigkeit der Anordnung (vgl. auch BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 37).
31
(2) Die Anordnung des Rückbaus des Gabionenzauns auf eine Höhe von 80 cm erweist sich auch bei einer Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls als unverhältnismäßig.
32
Zwar ist das notwendige Sichtdreieck mit einer Schenkellänge von 70 Metern bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auch nach den Feststellungen beim Augenscheintermin am 13. September 2022 nicht eingehalten. Dort konnten die Beteiligten und der Berichterstatter ein Sichtfeld mit einer Länge von ca. 32 Metern in Richtung Ortskern messen. Dies deckt sich auch mit einer Stellungnahme der Polizei zur Verkehrsschau am 6. August 2020 (Bl. 27 f. der Behördenakte), der eine geschätzte vorhandene Anfahrsicht von ca. 20 Metern zu entnehmen ist.
33
In Anbetracht der geringen Verkehrsbedeutung des ...wegs (a), der Gegebenheiten in der näheren Umgebung (b) und des bereits vorhandenen Verkehrszeichens 205 („Vorfahrt gewähren“) sowie eines Verkehrsspiegels (c) ist die Anordnung des Rückbaus des Gabionenzauns auch aufgrund weiterer vorhandener milderer Mittel (d) unter Abwägung der widerstreitenden Interessen bei einer Gesamtbetrachtung (e) zwar zur Zielerreichung geeignet, jedoch weder erforderlich noch verhältnismäßig im engeren Sinne.
34
(a) Bei der in die Ortsdurchfahrt straße ... Straße einmündenden Straße „...weg“ handelt es sich nach den Feststellungen beim Augenschein am 13. September 2022 um eine untergeordnete, sehr schmale Ortsrandstraße mit einer Breite von nur ca. vier Metern, an die nur auf deren südlichen Seite Bebauung anschließt. Nördlich befinden sich ausschließlich landwirtschaftliche Flächen bereits außerhalb der geschlossenen Ortschaft. Über den ...weg werden nur das klägerische Anwesen und ein weiteres Wohnhaus unmittelbar erschlossen. Für eine ebenfalls in dieser Straße ansässige Schreinerei besteht mit dem ...weg auch eine zweite Zubringerstraße über die ...Straße. Der ...weg mündet zudem bereits ca. 180 Meter nach dessen Beginn bei der Einmündung in die ... Straße in einen nicht weiter befestigten bzw. nicht asphaltierten Feldweg, dient daher allenfalls vorwiegend landwirtschaftlichem Verkehr. Alle weiteren bebauten Grundstücke, die an den ...weg bzw. den so fortgesetzten Feldweg grenzen, werden über den ...weg bzw. die ...straße eigenständig erschlossen, der Zu- und Abfahrtsverkehr findet südlich über die ...-Straße in die ... Straße statt. Im Bereich der ... Straße besteht auf der Seite der Einmündung des ...weges ein zwischenzeitlich sanierter, fast 2,30 m breiter Gehweg. Hinzu kommt, dass dieser Gehweg an der Einmündung ...weg endet, so dass allenfalls mit einem sehr geringfügigen Fußgängerverkehr zu rechnen ist. Angesichts des Ausbauzustandes als innerörtliche Erschließungsstraße ist der ...weg nicht geeignet, größeren und schnelleren Verkehr aufzunehmen. Bei dem dortigen Verkehr handelt es sich ganz vorwiegend um Ziel- und Quellverkehr der (sehr wenigen) unmittelbaren Anlieger.
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(b) Auch die örtlichen Verhältnisse in der näheren Umgebung zeigen eingeschränkte Sichtdreiecke in den Einmündungsbereichen. Im Bereich der Einmündung ... Straße in die ... Straße (die beiden Haupt-Ortsdurchfahrtsstraßen) hat der Beklagte bereits Verkehrszeichen 206 („Stopp-Schild“) aufstellen lassen. Bei der Einmündung ...weg in den ...weg sind durch Heckengrenzbepflanzungen die nötigen Sichtdreiecke nicht eingehalten, dort erfolgt bisher auch keine Verkehrsregelung durch Straßenschilder (etwa VZ 205 „Vorfahrt gewähren“). Zwar ist zuzugeben, dass sowohl ...weg als auch ...weg keine Ortsdurchfahrtstraßen, sondern Straßen für den Anwohnerverkehr in einem Wohngebiet sind. Dennoch stellen sich auch in der näheren Umgebung die Sichtverhältnisse als nicht durchgängig optimal dar.
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(c) Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass die Einmündung des ...wegs in die ... Straße bereits mit dem Verkehrszeichen 205 („Vorfahrt gewähren“) versehen ist, das den heranfahrenden Autofahrer vor bevorrechtigtem Querverkehr warnt. Der Berichterstatter konnte sich bei dem Augenschein am 13. September 2022 davon überzeugen, dass zusätzlich durch den gegenüber der Einmündung angebrachten Verkehrsspiegel ausreichende Sichtverhältnisse bestehen. Dies wird bestätigt durch die polizeiliche Stellungnahme aufgrund einer Verkehrsschau am 6. August 2020 (Bl. 27 f. der Behördenakte). Soweit der Verkehrsspiegel zu einzelnen Zeiten, insbesondere im Winter durch Beschlagen, Reif oder Vereisung gegebenenfalls nicht voll funktionsfähig sein sollte, so handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts um in der Gesamtbetrachtung nur geringfügige Zeiträume, in denen es den (wenigen) Verkehrsteilnehmern auf der Gemeindestraße zumutbar ist, sich vorsichtig in die Einmündung hineinzutasten, soweit nicht ohnehin aufgrund des breiten Gehwegs schon ausreichende Sicht besteht (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 32).
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(d) In Anbetracht des durch die Rückbauanordnung drohenden massiven Eingriffs in die Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 GG hat der Beklagte auch mögliche (weitere) mildere Mittel zur Verbesserung der Verkehrssituation nicht hinreichend geprüft. So sehen die Verwaltungsvorschriften zur StVO hinsichtlich des Zeichens 206 („Stopp-Schild“) vor, dass ein solches aufgestellt werden kann, wenn es wegen der Örtlichkeit, etwa bei einer Einmündung in einer Innenkurve wie im vorliegenden Fall, schwierig ist, die Geschwindigkeit der Fahrzeuge auf der anderen Straße zu beurteilen oder es sonst aus Gründen der Sicherheit notwendig erscheint, einen Wartepflichtigen zu besonderer Vorsicht zu mahnen. Vorliegend ist zu beachten, dass die ... Straße im Bereich der Einmündung ...weg einen gekrümmten Verlauf nimmt, so dass die Einmündung in einer Innenkurve belegen ist, bei der bereits der Natur der Sache nach die Sichtverhältnisse eingeschränkter sind als bei einer geraden Straße. Soweit die polizeiliche Stellungnahme aufgrund einer Verkehrsschau am 6. August 2020 (Bl. 27 f. der Behördenakte) darauf hinweist, dass womöglich in einem Verkehrsspiegel die Geschwindigkeit von Fahrzeugen schlechter eingeschätzt werden kann, wäre der Beklagte gehalten gewesen, zunächst mildere Mittel wie die Aufstellung eines „Stopp-Schildes“ zu prüfen.
38
Da beim Augenscheintermin auch Fahrzeuge auf der ... Straße geparkt waren, die je nach Position im Bereich einer Innenkurve womöglich ebenfalls zu einer Einschränkung der Sichtverhältnisse führen können, könnte der Beklagte auch die Ausweisung von Halteverbotszonen als milderes Mittel prüfen.
39
Derartiges ist den Akten jedoch nicht zu entnehmen.
40
(e) Bei dieser dargestellten Sachlage ist die Forderung nach Einhaltung eines Sichtdreiecks schlechterdings nicht erforderlich, weil überzogen. In Abwägung aller widerstreitenden Interessen und nach Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die Rückbauanordnung als unverhältnismäßig im engeren Sinne. Dem massiven Eingriff in das Eigentumsgrundrecht steht eine wenn überhaupt sehr geringe Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gegenüber.
41
Der nur auf einer Länge von ca. 180 Metern asphaltierte ...weg erschließt unmittelbar lediglich zwei Wohngebäude, wovon eines das klägerische Anwesen ist. Daraus resultiert weder ein erheblicher Durchgangsverkehr von Ortsunkundigen, noch eine sonstige hohe Verkehrsbelastung. Der Berichterstatter konnte sich im Rahmen des Augenscheins am 13. September 2022 stichprobenartig ein Bild von der sehr geringen Verkehrsbelastung des ...wegs machen. In Anbetracht dieser äußerst geringen Verkehrsbedeutung, der Verhältnisse in der näheren Umgebung und der ausgeschilderten Vorfahrtsregelung bei einem immerhin noch bestehenden Sichtfeld von ca. 32 Metern ist das Gericht davon überzeugt, dass von dem bestehenden Gabionenzaun und den aktuellen Sichtverhältnissen keine über das normale Maß hinausgehenden Verkehrsgefahren ausgehen. Dies wird letztlich auch dadurch bestätigt, dass selbst nach einer polizeilichen Verkehrsschau samt Stellungnahme keinerlei Unfälle an der Einmündung ...weg - ... Straße aktenkundig sind. Es liegt also auch kein Unfallschwerpunkt vor, obwohl die Sichtverhältnisse ausweislich der polizeilichen Einschätzung im Rahmen der Verkehrsschau bereits seit mehreren Jahren nicht wesentlich von der aktuellen Situation abweichen (Bl. 18 f. und 27 ff. der Behördenakte). Vor Errichtung des streitgegenständlichen Zaunes nach einer Gehwegsanierung war das Grundstück der Kläger nach Aktenlage mit einer hohen Hecke eingefriedet.
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Zusätzlich verbessert wird die aktuelle Situation durch den vorhandenen Verkehrsspiegel, der die Verkehrsbeobachtung, wie dargelegt, erleichtert und mehr als ausreichende Sichtverhältnisse herstellt. Durch den sehr breiten Gehweg können Fahrzeuge auf der ... Straße den aus dem ...weg einmündenden Verkehr zudem bereits sehr frühzeitig erkennen und sich auf diese Verkehrssituation vorbereiten.
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2. Mangels rechtmäßiger Rückbauanordnung waren auch die übrigen, hierauf basierenden Ziffern des Bescheides aufzuheben.
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3. Die Kostenentscheidung basiert auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.