Titel:
Aufenthaltserlaubnis, Nigerianischer Staatsangehöriger, Nach eigenen Angaben, Student in der Ukraine mit befristetem ukrainischem Aufenthaltstitel, Möglichkeit einer sicheren Rückkehr in den Herkunftsstaat, Prozesskostenhilfe
Normenketten:
AufenthG § 24
Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 Art. 2 Abs. 2
VwGO § 166 i.V.m. §§ 114 ff. ZPO
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis, Nigerianischer Staatsangehöriger, Nach eigenen Angaben, Student in der Ukraine mit befristetem ukrainischem Aufenthaltstitel, Möglichkeit einer sicheren Rückkehr in den Herkunftsstaat, Prozesskostenhilfe
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34246
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
Gründe
1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage eine Aufenthaltserlaubnis sowie Prozesskostenhilfe.
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Der Kläger ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger und hielt sich zuletzt vor seiner Einreise in das Bundesgebiet - nach eigenen Angaben als Sprachstudent - mit einem befristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine auf. Er begehrt eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland.
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Nach Erkenntnissen des Beklagten reiste der Kläger am 3. März 2022 aus der Ukraine kommend in das Bundesgebiet ein und beantragte am 4. April 2022 die Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels unter Bezugnahme auf einen gültigen nigerianischen Reisepass und seinen bis zum 31. Oktober 2022 befristeten ukrainischen Aufenthaltstitel. Er wolle im Bundesgebiet bleiben, als Aufenthaltszweck gab er Beschäftigung, Schulbesuch und Sprachkurs an und gab auf Anhörung in einer E-Mail zu verstehen, er wolle seine in der Ukraine begonnene Ausbildung hier abschließen.
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Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Juni 2022 ab (Nr. 1), forderte ihn zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland bis zum 30. September 2022 auf (Nr. 2), drohte ihm die Abschiebung nach Nigeria an, ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall einer Abschiebung an und befristete das Verbot auf die Dauer von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Ausreise (Nr. 3).
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei zwar legal ins Bundesgebiet eingereist, könne jedoch nach § 24 AufenthG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 keine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erhalten, da er zum einen keinen unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine gehabt habe und zum anderen auch sicher in seinen Herkunftsstaat zurückkehren könne. Ein Risiko von Bürgerkrieg oder Gewalt in Nigeria sei für den Kläger nicht substantiiert geltend gemacht; er sei jung, erwerbsfähig und imstande, in Nigeria ein zumutbares Existenzminimum zu erlangen; für eine freiwillige Rückkehr gebe es zudem finanzielle Unterstützung. Die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sei angesichts der fehlenden Bindungen ins Bundesgebiet angemessen.
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Hiergegen erhob der Kläger am 24. Juni 2022 Klage und beantragt neben Prozesskostenhilfe:
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Der Bescheid des Landratsamts ... vom 9. Juni 2022 wird aufgehoben, die Ausreiseaufforderung wird aufgehoben und es ergeht eine Erteilung der Aufenthaltserlaubnis.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei ursprünglich aus Nigeria in die Ukraine eingereist, um dort ein Sprachstudium zu absolvieren. In Nigeria sei der Vater des Klägers aufgrund der dortigen kriegerischen Auseinandersetzungen getötet worden. Eine Rückkehr des Klägers nach Nigeria sei ausgeschlossen, da der Kläger dort alleinstehend sei und ohne vernünftige Aussicht darauf, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Andere Familienangehörige seien aus Nigeria geflohen, sodass kein soziales Geflecht mehr für die Rückkehr des Klägers und seine Existenzsicherung zur Verfügung stehe. Der Kläger würde gerne in Deutschland ein Sprachstudium beginnen. Nicht nachvollziehbar sei für ihn, dass er als Flüchtling aus der Ukraine ausgewiesen und abgeschoben werden solle, während ukrainische Flüchtlinge in erheblichem Umfang staatliche Unterstützung erhielten und keinesfalls mit einer Ausweisung oder Abschiebung zu rechnen hätten.
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Er verweist auf den angegriffenen Bescheid und führt ergänzend aus, die vom Kläger behaupteten Bedrohungen und Bedingungen in Nigeria seien unsubstantiiert dargelegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten.
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Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren ist nicht erfolgreich, da die Erfolgsaussichten der Klage im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife nicht mehr offen sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffende Bescheidsbegründung verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO) und ergänzend ausgeführt:
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Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 - 1 BvR 1998/02 - NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und der Befristungsentscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3.16 - juris Rn. 18), hier vorverlagert durch den maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife.
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1. Der Kläger hat voraussichtlich keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382, da er keinen unbefristeten Aufenthaltstitel für die Ukraine besitzt und sicher nach Nigeria zurückkehren kann.
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Im Zuge des Krieges in der Ukraine nahm die Europäische Union und damit auch Deutschland aufgrund von § 24 AufenthG i.V.m. dem Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 vom 4. März 2022 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine auf. Ihnen wird unter bestimmten Voraussetzungen ein Aufenthaltstitel erteilt: Begünstigt sind in erster Linie ukrainische Staatsangehörige, darüber hinaus Staatsangehörige anderer Staaten, die über einen unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine verfügten und für die daher eine Rückkehr in ihren eigentlichen Herkunftsstaat nicht in Betracht kommt. Umgekehrt ermöglicht Art. 2 Abs. 2 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 ebenfalls eine Aufnahme von Drittstaatsangehörigen, die nachweisen können, dass sie sich vor dem 24. Februar 2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückzukehren. Dies ist beim Kläger nicht der Fall.
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a) Erstens besaß und besitzt der Kläger nur einen befristeten ukrainischen Aufenthaltstitel, was ein Indiz dafür ist, dass er in die ukrainischen Lebensverhältnisse nicht dauerhaft und so weit integriert war, dass ihm eine Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht schon von der Ukraine her zugemutet werden konnte.
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b) Zweitens kann der Kläger sicher und dauerhaft in den Herkunftsstaat Nigeria zurückkehren. Gegenteiliges hat er nicht glaubhaft gemacht. Insoweit gilt das allgemeine Günstigkeitsprinzip, wonach derjenige, der einen ihn begünstigenden Anspruch geltend macht, dessen Voraussetzungen nachzuweisen hat. Dies ist dem Kläger bisher nicht gelungen.
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Im Gegenteil sprechen die Verhältnisse in Nigeria, wie sie der Beklagte in seinem Bescheid ausführlich gewürdigt hat, für eine grundsätzliche Rückkehrmöglichkeit auch des Klägers dorthin. Dies gilt auch hinsichtlich der Sicherheitslage, da die europäische Kommission mitgeteilt hat, eine Rückkehrmöglichkeit sei erst ausgeschlossen bei konkreten Situationen bewaffneter Konflikte, dauernder Gewalt oder ernsthafter Gefahr systematischer oder weiterverbreiteter Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland wie in Afghanistan, Eritrea und dem Sudan (vgl. BMI, Schreiben vom 14.4.2022 zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses, S. 8). Solche Gefahren drohen dem Kläger in Nigeria hingegen nicht.
Hierzu hat das Verwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung zur Lage in Nigeria bereits öffentlich zugänglich ausgeführt (zuletzt VG Augsburg, B.v. 28.4.2022 - Au 9 S 22.30466 - juris Rn. 20):
„Ein landesweiter innerstaatlicher Konflikt ist für den Herkunftsstaat des Antragstellers nicht festzustellen. Ein solcher kann auch nicht im Hinblick auf die religiös motivierten Auseinandersetzungen in Nigeria angenommen werden. Die insoweit immer wieder aufkommenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen bzw. die Angriffe und Auseinandersetzungen mit der Gruppierung „Boko Haram“ sind überwiegend regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts im Sinne der Vorschrift auf. Eine landesweite Verübung von Terrorakten durch die Organisation „Boko Haram“ findet nicht statt (vgl. dazu: AA, Lageberichte von Nigeria vom 22. Februar 2022, 5. Dezember 2020, 16. Januar 2020, 10. Dezember 2018, 21. Januar 2018, 26. November 2016, 28. November 2014, jew. Zusammenfassung S. 5). Vielmehr konzentrieren sich die Auseinandersetzungen hauptsächlich auf den Norden bzw. Nordosten Nigerias.“
Dem örtlich ungebundenen Kläger ist daher eine Rückkehr in andere Teile Nigerias möglich und zumutbar.
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Auch Existenzgefahren drohen dem jungen und erwerbsfähigen Kläger in Nigeria erst recht unter Berücksichtigung der Fördermöglichkeiten im Rahmen nationaler und europäischer Rückkehr- und Reintegrationsprogramme (REAG/GARP, StarthilfePlus, ERRIN) nicht, die für eine absehbare Zeit nach einer Ausreise den Lebensunterhalt auch nach § 60 Abs. 5 AufenthG sicherstellen können und die Existenzgefahrenprognose beeinflussen (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 - 1 C 10.21 - juris Rn. 25 f.).
Hierzu hat das Verwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung zur Lage in Nigeria bereits öffentlich zugänglich ausgeführt (zuletzt VG Augsburg, B.v. 28.4.2022 - Au 9 S 22.30466 - juris Rn. 27):
„Überdies bleibt festzustellen, dass auch nach Nigeria zurückgeführte Personen, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden, bei einer Rückkehr keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet werden.“
Es hat weiter öffentlich zugänglich ausgeführt (VG Augsburg, U.v. 7.3.2022 - Au 9 K 22.30073 - juris Rn. 38):
„Überdies kann allgemein festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, bei einer Rückkehr keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Derartige Personen können ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn im Konventionsstaat - Bundesrepublik Deutschland - Rückkehrhilfe angeboten wird (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - BFA - Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 20. Mai 2020, Nr. 22, S. 62).“
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c) Eine Ausweisung, wie vom Klägerbevollmächtigten irrtümlich unterstellt, ist nicht Gegenstand des Bescheids und daher nach § 88 VwGO kein Streitgegenstand.
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2. Eine Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen beispielsweise zwecks Studium ist kein Streitgegenstand im vorliegenden Klageverfahren, denn für sie hat der Kläger die Voraussetzungen nach dem allgemeinen Günstigkeitsprinzip nicht nachgewiesen.
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3. Die Nebenentscheidungen des Beklagten im angefochtenen Bescheid sind voraussichtlich rechtmäßig, insbesondere die Ausreiseaufforderung an den Kläger zu einem Termin, zu dem sein ukrainischer Aufenthaltstitel noch Gültigkeit beansprucht, sowie die Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot. Danach ist die mit dem angefochtenen Bescheid des Beklagten festgesetzte Frist aus den o.g. Gründen rechtlich nicht zu beanstanden. Ermessensfehler hinsichtlich des im Bundesgebiet nicht aufenthaltsberechtigten und bindungslosen Klägers sind nicht ersichtlich oder substantiiert geltend gemacht (§ 114 VwGO).
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4. Auf eine Mittellosigkeit des Klägers kommt es daher nicht mehr an.