Inhalt

VGH München, Beschluss v. 07.11.2022 – 6 ZB 22.364
Titel:

Erstattung von Ausbildungskosten bei Entlassung eines Soldaten, hier: verneint mangels zivilrechtichem Nutzen

Normenkette:
SG § 55 Abs. 5, § 56 Abs. 4 S. 1, S. 3
Leitsätze:
1. Bei der geltend gemachten Erstattung der Ausbildungskosten für zwei absolvierte Fachausbildungen (vierwöchiger Lehrgang "Kraftfahrgrundausbildung Leopard 2" und dreiwöchiger Lehrgang "Bergrettung Teil Sommer") wurde zu Unrecht seitens des Dienstherrn als besondere Härte zugunsten des Soldaten nicht berücksichtigt, dass diesem aus den beiden Ausbildungen kein nennenswerter zivilberuflicher Nutzen entstanden ist bzw. nach Entlassung aus der Bundeswehr verbleibt, sondern die beiden Lehrgänge nur rein militärischen Nutzen haben. (Rn. 8 – 9) (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Anwendung der Härteregelung sind zwar wegen des Sanktionscharakters der Erstattungspflicht von Ausbildungskosten die Verursachungsbeiträge für die vorzeitige Beendigung des Soldatenverhältnisses zu berücksichtigen; dieser ist vorliegend trotz Entlassung des Soldaten wegen dessen außerdienstlichen Cannabiskonsums nicht als ausschlaggebend zu erachten. (Rn. 12) (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Soldatenrecht, Soldat auf Zeit, Entlassung aus dem Soldatenverhältnis, Rückerstattung von Ausbildungskosten, Fachausbildung (Kraftfahrgrundausbildung, Leopard 2, Bergrettung Teil, Sommer), Besondere Härte, (keine) Verwendbarkeit der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten im zivilen Berufsleben, (kein) zivilberuflicher Nutzen, zivilberuflicher Nutzen, Cannabiskonsum, besondere Härte, Erstattungsbescheid, vorsätzlich oder grob fahrlässig, Kraftfahrgrundausbildung Leopard 2, Fachausbildung Bergrettung, Sanktionscharakter, Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 07.12.2021 – M 21b K 19.5071
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34097

Tenor

I. Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 7. Dezember 2021 - M 21b K 18.5071 - wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.922,24 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, hat keinen Erfolg.
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1. Der Kläger war im Oktober 2014 in die Bundeswehr eingetreten und mit Wirkung vom 1. März 2016 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen worden. Mit Bescheid vom 16. Februar 2017 wurde er gemäß § 55 Abs. 5 SG fristlos aus dem Dienstverhältnis mit der Begründung entlassen, er habe am 22. März 2016 außerhalb des Dienstes Cannabis konsumiert. Dadurch habe er schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt. Sein Verbleiben in der Bundeswehr würde die militärische Ordnung ernstlich gefährden. Mit Bescheid vom 27. März 2019 forderte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr den Kläger auf, die anlässlich der Fachausbildungen „Kraftfahrgrundausbildung Leopard 2“ und „Bergrettung Teil Sommer“ entstandenen Kosten zu erstatten und setzte den Erstattungsbetrag - unter Teilverzicht auf die entstandenen Kosten nach der sog. Abdienquote - auf 5.922,24 € fest.
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Das nach erfolglosem Widerspruch angerufene Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Urteil vom 7. Dezember 2021 den Erstattungsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheids aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe in ihrer Härtefallregelung nicht berücksichtigt, dass dem Kläger, der aufgrund eines einmaligen außerdienstlichen Verstoßes gegen seine Dienstpflichten entlassen worden sei, aus den von ihm absolvierten Fachausbildungen kein nennenswerter zivilberuflicher Nutzen entstanden sei.
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2. Der von der Beklagten innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) greift nicht durch (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - NJW 2009, 3642 m.w.N.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - NVwZ-RR 2004, 542 f.; BayVGH, B.v. 15.2.2018 - 6 ZB 17.2521 - juris Rn. 4). Das ist nicht der Fall.
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a) Ein früherer Soldat auf Zeit, dessen militärische Ausbildung mit einem Studium oder einer Fachausbildung verbunden war, muss die Kosten des Studiums oder der Fachausbildung unter anderen erstatten, wenn er nach § 55 Abs. 5 SG entlassen worden ist (§ 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SG). Die Erstattungspflicht hat primär Sanktionscharakter: Durch sie soll dem vorzeitigen Ausscheiden von besonders ausgebildeten und deswegen in ihrer Funktion nicht ohne Weiteres zu ersetzenden Soldaten aus der Bundeswehr wirksam entgegengewirkt werden, um die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu sichern. Weiter soll die Erstattungspflicht nach dem Willen des Gesetzgebers einen wirtschaftlichen Vorteilsausgleich herbeiführen: Wenn das Dienstverhältnis eines Zeitsoldaten vorzeitig beendet wird, stellen für ihn die auf Kosten des Dienstherrn erworbenen Spezialkenntnisse und Fähigkeiten im weiteren Berufsleben einen erheblichen Vorteil dar, während der Dienstherr die Kosten der Ausbildung insgesamt oder teilweise vergeblich aufgewendet hat. Es soll verhindert werden, dass der Soldat die Kenntnisse und Fähigkeiten, die ihm das Studium oder die Fachausbildung vermittelt haben, unentgeltlich im zivilen Berufsleben verwertet (vgl. BVerwG, B.v. 22.9.2016 - 2 B 25.15 - juris Rn. 20 und 36 m.w.N.).
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Gemäß § 56 Abs. 4 Satz 3 SG kann auf die Erstattung ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn sie für den früheren Soldaten eine besondere Härte bedeuten würde. Die Vorschrift verknüpft den gerichtlich überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff der „besonderen Härte“ auf der Tatbestandsebene mit der Ermessensermächtigung auf der Rechtsfolgenseite (BVerwG, U.v. 12.3.2020 - 2 C 37.18 - juris Rn. 13; U.v. 12.4.2017 - 2 C 16.16 - juris Rn. 36; B.v. 22.9.2016 - 2 B 25.15 - juris Rn. 29 jeweils m.w.N.). Der Dienstherr ist dementsprechend bei Vorliegen einer besonderen Härte zu Ermessenserwägungen über den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten verpflichtet (BVerwG, U.v. 7.4.2022 - 2 C 8.20 - juris Rn. 14; U.v. 28.10.2015 - 2 C 40.13 - juris Rn. 16; U.v. 30.3.2006 - 2 C 18.05 - juris Rn. 6). Der unbestimmte Rechtsbegriff der „besonderen Härte“, der durch Verwaltungsvorschriften des Dienstherrn nur umschrieben, nicht aber inhaltlich verändert werden darf, erstreckt sich insbesondere auf die von der Regelvorschrift des § 56 Abs. 4 Satz 1 SG nicht erfassten schwerwiegenden Umstände, denen sich der Soldat nicht entziehen kann (vgl. BVerwG, U.v. 12.3.2020 - 2 C 37.18 - juris Rn. 13). Zweck der Härteregelung ist es, den von den Regelvorschriften nicht erfassten Ausnahmefällen und Grenzsituationen - den atypischen Fällen - Rechnung tragen zu können (BVerwG, U.v. 7.4.2022 - 2 C 8.20 - juris Rn. 14.; U.v. 12.4.2017 - 2 C 16.16 - juris Rn. 36 m.w.N.). Sie hat dabei ihren inneren Grund in dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. So kann die uneingeschränkte Heranziehung zur Kostenerstattung als besondere Härte anzusehen sein, wenn der von dem Soldaten durch die militärische Ausbildung erlangte Vorteil für das spätere zivile Berufsleben in einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Missverhältnis zu den durch das Studium oder die Fachausbildung entstandenen Kosten steht (vgl. BVerwG, U.v. 11.2.1977 - VI C 135.74 - juris Rn. 50).
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b) In Anwendung dieser Vorschriften ist das Verwaltungsgericht mit überzeugender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Dienstherr im angefochtenen Erstattungsbescheid aufgrund der besonderen Umstände zu Unrecht nicht als besondere Härte zugunsten des Klägers berücksichtigt hat, dass diesem aus den beiden absolvierten Fachausbildungen kein nennenswerter zivilberuflicher Nutzen entstanden ist bzw. nach Entlassung aus der Bundeswehr verbleibt. Die Einwände der Beklagten begründen keine ergebnisbezogenen Zweifel, die weiterer Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfen.
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(1) Im Ausgangspunkt seiner Erwägungen hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass der Kläger von den in Rede stehenden Fachausbildungen - objektiv und unabhängig von seiner individuellen Lebensplanung - keinen nennenswerten zivilberuflichen Nutzen hat.
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Für den vierwöchigen Lehrgang „Kraftfahrgrundausbildung Leopard 2“ (15.2.-11.3.2016) ist ein zivilberuflicher Nutzen der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten weder von der Beklagten substantiiert vorgetragen noch ersichtlich, zumal eine Umschreibung der Bundeswehr-Fahrerlaubnisklasse F (Voll- und Halbkettenfahrzeuge) in eine allgemeine, also zivile, Fahrerlaubnis nach § 26 Abs. 3 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 2 FeV nicht in Betracht kommt (vgl. Koehl, SVR 2020, 54/56). Für den dreiwöchigen Lehrgang „Bergrettung Teil Sommer“ (12.7.-1.8.2016) gilt in der Sache nicht anderes. Der Einwand der Beklagten, die dabei erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse könnten zivil bei einer Ausbildung zum staatlich geprüften Berg- und Skiführer nützlich sein, kann nicht überzeugen. Nach den als Beleg angeführten Informationen des Verbands Deutscher Berg- und Skiführer e.V. setzt sich die Ausbildung zum staatlich geprüften Berg- und Skiführer - die zunächst das Bestehen einer Eignungsfeststellungsprüfung in den Bereichen Ski, Steileis und Fels/Eis voraussetzt - aus etlichen Ausbildungs- und Prüfungslehrgängen zusammen, von denen die Bergrettung inhaltlich und zeitlich nur einen sehr geringen Teil ausmacht (6 von 91 Tagen für Ausbildungs- und Prüfungslehrgänge ohne Praktika und Prüfungen). Ein nennenswerter zivilberuflicher Nutzen aus dem militärischen Lehrgang „Bergrettung Teil Sommer“ wird daraus nicht ersichtlich.
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(2) Es begegnet auch keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Verwaltungsgericht den fehlenden zivilberuflichen Nutzen für den Kläger als atypischen - weil den mit der Erstattungspflicht bezweckten Vorteilsausgleich ausschließenden - Umstand gewertet hat, der eine besondere Härte im Sinn des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG begründet (vgl. OVG SH, B.v.12.3.2021 - 2 LA 215/17 - juris; OVG NW, B.v. 2.5.2022 - 1 A 1397/20 - juris Rn. 68 ff.).
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Dem kann die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Berücksichtigung einer besonderen Härte scheide in der Regel aus, wenn der Erstattungspflichtige die Beendigung des Dienstverhältnisses grob fahrlässig oder vorsätzlich selbst herbeigeführt habe. Eine solche Regel gilt nach dem Gesetz jedenfalls nicht ausnahmslos. Denn die Härtevorschrift des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG findet in sämtlichen Fällen des Satzes 1 uneingeschränkt Anwendung, und zwar selbst dann, wenn der frühere Soldat auf Zeit seine Entlassung nach § 55 Abs. 4 SG vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat (§ 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SG). Bei Anwendung der Härteregelung mögen zwar wegen des Sanktionscharakters der Erstattungspflicht die Verursachungsbeiträge für die vorzeitige Beendigung des Soldatenverhältnisses zu berücksichtigen sein. Diesen Normzweck hat das Verwaltungsgericht jedoch ausreichend gewichtet, im Fall des Klägers aber zu Recht nicht als ausschlaggebend erachtet.
13
Der Kläger war nach § 55 Abs. 5 SG wegen einer - einmaligen - schuldhaften Dienstpflichtverletzung entlassen worden, weil er außerhalb des Dienstes Cannabis konsumiert hat und bei seinem Verbleiben in der Bundeswehr die militärische Ordnung ernstlich gefährdet würde. Er hat demnach zwar schuldhaft einen Verursachungsbeitrag für seine unfreiwillige Entlassung geleistet. Mit eigenständigem Gewicht hinzugetreten ist aber die im behördlichen Ermessen stehende Personalentscheidung des Dienstherrn, den Kläger gemäß § 55 Abs. 5 SG zu entlassen. In einer solchen Fallgestaltung kommt dem Sanktionscharakter der Erstattungspflicht nur geringere Bedeutung zu als bei einem vorsätzlichen Herbeiführen der Entlassung. Er muss - ausnahmsweise - hinter dem weiteren Gesetzeszweck des verhältnismäßigen Vorteilsausgleichs zurücktreten, weil die in Rede stehenden Fachausbildungen „Kraftfahrgrundausbildung Leopard 2“ und „Bergrettung Teil Sommer“ nur rein militärischen Nutzen haben. Dem Kläger ist von diesen Lehrgängen nach dem vorzeitigen Ausscheiden aus der Bundeswehr kein nennenswerter Vorteil für das weitere Berufsleben verblieben, auf dessen Ausgleich die Erstattungspflicht typischerweise abzielt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).