Titel:
Erfolgreiche PKH-Beschwerde in einem soldatenrechtlichen Verfahren
Normenketten:
ZPO § 114, § 115 Abs. 3
SG § 55 Abs. 4 S. 1
Leitsatz:
Eine vollständig fremdfinanzierte Immobilie, die bei einer Veräußerung wahrscheinlich keinen Verkaufspreis erzielen würde, der die Restschuld übersteigt, ist kein - auch nicht durch Beleihung - zur Prozessfinanzierung verwertbarer Vermögensgegenstand. (Rn. 5 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Vermögen (Eigentumswohnung), Verwertung von Grundvermögen, verwertbares Vermögen, Immobilie, Restschuld, Beleihung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 23.09.2022 – RN 1 K 21.1960
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34093
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 23. September 2022 - RN 1 K 21.1960 - aufgehoben.
II. Dem Kläger wird für das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt M … … …, beigeordnet.
Gründe
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1. Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen seine vorzeitige Entlassung aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG. Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 23. September 2022 Prozesskostenhilfe mit der Begründung versagt, der Kläger verfüge über verwertbares Grundvermögen, nämlich eine vermietete Eigentumswohnung, welche er zur Bestreitung der Prozesskosten in zumutbarer Weise einsetzen könne. Das Prozesskostenhilfeverfahren gebe Anlass schon jetzt darauf hinzuweisen, dass die Klage nach vorläufiger Bewertung auch inhaltlich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben werde.
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2. Die hiergegen erhobene Beschwerde des Klägers ist nicht nach § 146 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen, weil die verwaltungsgerichtliche Entscheidung nicht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint hat, sondern zusätzlich noch Hinweise zur Erfolgsaussicht enthält (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 11 m.w.N.). Sie ist auch sonst zulässig und in der Sache begründet.
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Der Kläger hat entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Anspruch auf ratenfreie Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Rechtsanwalts (§ 166 Ab. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).
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a) Der 2000 geborene, ledige Kläger kann nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Er verfügt über so geringe laufende Einkünfte (§ 115 Abs. 1 ZPO), dass er daraus zu den Prozesskosten auch nicht durch Ratenzahlung beitragen kann. Der Kläger besitzt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch kein Vermögen, das er gemäß § 115 Abs. 3 ZPO für die Prozesskosten einzusetzen hätte.
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Als Vermögensgegenstand kommt allein die 59,63 m² große, vermietete Eigentumswohnung in Betracht, die der Kläger im Juni 2020 erworben hat. Das Verwaltungsgericht ist im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass es sich nicht um Schonvermögen im Sinn von § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII handelt, weil die Wohnung nicht vom Kläger bewohnt wird, und dass sie deshalb nach den allgemeinen Regeln durch Veräußerung oder Beleihung zur Prozessfinanzierung eingesetzt werden muss.
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Es handelt sich jedoch nicht um einen verwertbaren Vermögensgegenstand. Denn es ist nach den vorgelegten Unterlagen, an denen zu zweifeln kein Anlass besteht, nicht zu erwarten, dass bei einer Veräußerung der Wohnung überhaupt ein Erlös verbleiben würde. Der Kläger hat die Eigentumswohnung für 143.000 € vollständig fremdfinanziert erworben. Die Restschuld beträgt 138.000 €, wobei den monatlichen Finanzierungskosten von 316,73 € monatliche Mieteinnahmen von 286,21 € gegenüberstehen. Angesichts der Unsicherheiten auf dem Immobilienmarkt wäre es bei einer Veräußerung unwahrscheinlich, dass der Kläger einen Verkaufspreis erzielen könnte der - nach Abzug der mit dem Verkauf zusammenhängenden zusätzlichen Kosten - die Restschuld übersteigt.
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Zwar kann Grundvermögen zur Bestreitung von Prozesskosten auch dadurch eingesetzt werden, dass es beliehen wird. Das setzt allerdings zum einen voraus, dass überhaupt Vermögen im Sinn von § 115 Abs. 3 ZPO vorhanden ist, woran es aus den oben dargelegten Gründen fehlt. Zum anderen wäre dem Kläger die Aufnahme eines - durch ein Grundpfandrecht an dem Wohnungseigentum abzusicherndes - Darlehen offenkundig weder möglich noch zumutbar, weil die Wohnung bereits zu 100% fremdfinanziert ist und der Kläger mit Blick auf seine persönliche und wirtschaftliche Situation zu einer weiteren Kreditaufnahme nicht in der Lage sein dürfte.
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b) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat - entgegen dem „Hinweis“ des Verwaltungsgerichts - hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (§ 166 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten im Rahmen das § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dürfen im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Sie soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatsachenfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung in einem Verfahren, in dem sie anwaltlich vertreten sind, zugeführt werden können (vgl. BVerfG, B.v. 14.2.2017 - 1 BvR 2507/16 - juris Rn. 13 ff. m.w.N.). Hinreichend ist die Erfolgsaussicht danach jedenfalls dann, wenn der vom Beteiligten vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (BayVGH, B.v. 10.4.2017 - 6 C 17.667 - juris Rn. 3; B.v. 5.8.2020 - 6 CE 20.2020 - juris Rn. 4).
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Gemessen hieran hat die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der angefochtene Ausgangsbescheid vom 6. April 2021 in der Gestalt der Beschwerdeentscheidung vom 22. Juli 2021 hat die vorzeitige Entlassung des Klägers aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit wegen mangelnder Eignung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG nicht mehr allein auf fehlenden Respekt gegenüber Polizeibeamten (Verhalten am 26.4.2019; Tätowierung) gestützt, sondern auf eine Gesamtschau der bislang als Soldat gezeigten Leistungen, Kenntnisse und Verhaltensweisen. Ob diese Umstände zusammen oder auch einzeln die vorzeitige Entlassung rechtfertigen, bedarf der Prüfung im Hauptsacheverfahren und lässt sich im Prozesskostenhilfeverfahren nicht hinreichend sicher vorwegnehmen, wie schon der Begründungsaufwand des Verwaltungsgerichts in seinem 24-seitigen Beschluss zeigt.
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3. Eine Kostenentscheidung und eine Streitwertfestsetzung sind in dem erfolgreichen Beschwerdeverfahren nicht erforderlich (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO). Eine Gebühr fällt nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nicht an.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).