Titel:
Konkurrentenstreitigkeit - Regelbeurteilung und Erfordernis einer Anlassbeurteilung
Normenketten:
VwGO § 123
GG Art. 33 Abs. 2
BayRiStAG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1
LlbG Art. 56 Abs. 4
Leitsätze:
Eine dienstliche Beurteilung kann ihre für eine Auswahlentscheidung erforderliche hinreichende Aktualität verlieren, wenn der Beamte nach dem Beurteilungsstichtag der letzten Regelbeurteilung während eines erheblichen Zeitraums wesentlich andere Aufgaben wahrgenommen hat. Ein erheblicher Zeitraum im vorstehenden Sinne liegt vor, wenn bei einem vierjährigen Regelbeurteilungszeitraum die anderen Aufgaben während mindestens zu zwei Dritteln (= 32 Monate) des Beurteilungszeitraums wahrgenommen wurden (Anschluss an BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 2 C 1.18 - juris). (Rn. 16, 18 und 28)
Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Anlassbeurteilung im Rahmen eines Regelbeurteilungssystems für Beamte mit dreijährigem Turnus kann auf die Anlassbeurteilung von Richtern trotz des Regelbeurteilungssystems mit vierjährigem Turnus ohne Weiteres übertragen werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Konkurrentenstreitigkeit, Einstweilige Anordnung, Untersagung einer Stellenbesetzung, Stelle einer/s Vorsitzenden, Richterin/-s am Bayerischen, Landessozialgericht, Kein Erfordernis einer Anlassbeurteilung, Dienstliche Beurteilung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 02.08.2022 – M 5 E 22.2810
Fundstellen:
BeckRS 2022, 34081
LSK 2022, 34081
NVwZ-RR 2023, 333
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 2. August 2022 wird abgeändert. Dem Antragsgegner wird untersagt, die Stelle einer Vorsitzenden Richterin/eines Vorsitzenden Richters beim Bayerischen Landessozialgericht gem. Stellenausschreibung vom 2. Februar 2022 (BayMBl. 2022 Nr. 84) mit der Beigeladenden zu besetzen, bis über die Bewerbung der Antragstellerin rechtskräftig entschieden wurde.
II. Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen jeweils zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen der Antragsgegner und die Beigeladene selbst.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 27.410,83 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin und die Beigeladene bewarben sich auf die vom Antragsgegner am 2. Februar 2022 ausgeschriebene Stelle (BayMBl. 2022 Nr. 84) für eine Vorsitzende Richterin/einen Vorsitzenden Richter am Bayerischen L2., bewertet mit der Besoldungsgruppe R 3.
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Die 1963 geborene Antragstellerin ist seit 15. Juli 2007 Richterin auf Lebenszeit und seit 1. August 2010 Richterin am Bayerischen L2. (Besoldungsgruppe R 2). Für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2019 erhielt sie eine periodische dienstliche Beurteilung mit einem Gesamtprädikat von 15 Punkten. Als Verwendungseignung ist genannt: „Vorsitzende eines Senats“, „leitende Aufgaben in der Gerichtsverwaltung“.
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Die mit einem Grad von 50 schwerbehinderte, im Jahr 1959 geborene Beigeladene ist seit 1. September 1992 Richterin auf Lebenszeit und seit 1. März 2006 Richterin am Bayerischen L2.. Nach vorangegangener Abordnung (1.12.2011 bis 28.2.2012) versetzte die Präsidentin des Bayerischen Landessozialgerichts die Beigeladene mit Wirkung vom 29. Februar 2012 an das Sozialgericht Nürnberg zur Überbrückung eines Personalengpasses. Zugleich wurde ihr das Amt einer weiteren aufsichtführenden Richterin (Besoldungsgruppe R 2) übertragen. Am 18. November 2019 versetzte das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) die Beigeladene - ihrem Antrag entsprechend - zurück an das Bayerischen Landessozialgericht. Die Beigeladene unterliegt seit 31. Dezember 2011 nicht mehr der periodischen Beurteilung (Ziff. 1.2 Bek. d. StMAS v. 20.11.2015 - AllMBl. S. 582 - i.V.m. Ziff. 1.2 Bek. d. StMAS v. 20.12.1999 - AllMBl. 2000 S. 58), weil sie am Beurteilungsstichtag (31.12.2011) das 43. Lebensjahr vollendet hatte und am 6. März 2008 im Amt R 2 periodisch beurteilt worden war. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2015 erhielt sie (auf Antrag) eine periodische dienstliche Beurteilung mit einem Gesamtprädikat von 14 Punkten. Als Verwendungseignung wurden ihr „die Aufgaben einer Kammervorsitzenden und andere Tätigkeiten in der Gerichtsleitung“ zuerkannt. Anlässlich einer Stellenbewerbung aktualisierte die Präsidentin am 4. Juli 2018 die periodische Beurteilung der Beigeladenen. Das Gesamtprädikat für den neuen Beurteilungszeitraum (1.1.2012 bis 4.7.2018) blieb unverändert (14 Punkte). Als Verwendungseignung wurden der Beigeladenen „Aufgaben einer Kammervorsitzenden an einem Sozialgericht, als Richterin am Bayerischen L2. sowie für Tätigkeiten in der Gerichtsleitung“ zuerkannt. In der Anlassbeurteilung vom 5. März 2022, die aufgrund der Bewerbung um die streitgegenständliche Stelle erstellt wurde und den Beurteilungszeitraum vom 5. Juli 2018 bis 9. März 2022 umfasst, erzielte die Beigeladene ein Gesamtprädikat von 15 Punkten mit der Verwendungseignung „Vorsitzende Richterin am Bayerischen L2.; Tätigkeiten in der Gerichtsleitung“.
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Mit Auswahlentscheidung vom 6. April 2022 entschied das StMAS, die ausgeschriebene Stelle mit der Beigeladenen zu besetzen. Nach der inhaltlichen Ausschärfung der Anlassbeurteilung 2022 der Beigeladenen und der periodischen Beurteilung 2020 der Antragstellerin ergebe sich ein Vorsprung für die Beigeladene.
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Mit dem hier angefochtenen Beschluss vom 2. August 2022 (Az. M 5 E 22.2810 - juris) lehnte das Verwaltungsgericht München den Eilantrag der Antragstellerin ab.
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Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 16. August 2022 eingelegten Beschwerde.
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Die Beigeladene und der Antragsgegner beantragen jeweils, die Beschwerde zurückzuweisen und verteidigen den angefochtenen Beschluss.
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Zu den Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
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Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Die von der Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren bestimmen und beschränken, führen zur Abänderung der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
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1. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht einen Anordnungsanspruch der Antragstellerin verneint. Deren Bewerbungsverfahrensanspruch nach Art. 33 Abs. 2 GG wird durch die vom Antragsgegner getroffene Auswahlentscheidung vom 6. April 2022, die ausgeschriebene Stelle mit der Beigeladenen zu besetzen, verletzt.
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Die im Rahmen der Stellenbesetzung vorzunehmende Auswahlentscheidung ist nach dem Verfassungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 94 Abs. 2 BV (vgl. § 9 BeamtStG, Art. 16 Abs. 1 LlbG) allein nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu treffen. Kommen mehrere Bewerber für einen Beförderungsdienstposten in Betracht, muss der am besten Geeignete ausfindig gemacht werden.
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Der Vergleich unter den Bewerbern im Rahmen einer dienstrechtlichen Auswahlentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 GG hat - vor allem - anhand dienstlicher Beurteilungen zu erfolgen (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 2 C 1.18 - juris Rn. 32 m.w.N.). Die Eignung von dienstlichen Beurteilungen als Grundlage für den Bewerbervergleich setzt voraus, dass diese zeitlich aktuell (BVerwG, B.v. 10.5.2016 - 2 VR 2.15 - juris Rn. 22) und inhaltlich aussagekräftig (BVerwG, U.v. 17.9.2015 - 2 C 27.14 - juris Rn. 14) sind.
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Regelbeurteilungen beziehen sich auf einen grundsätzlich identischen Beurteilungszeitraum, haben einen gemeinsamen Stichtag und sind nicht durch ein besonderes Ereignis - insbesondere die Ausschreibung eines höherwertigen Statusamtes oder eines förderlich zu besetzenden Dienstpostens - veranlasst. Diese Einheitlichkeit gewährleistet, dass die dienstliche Beurteilung für sämtliche Beamte die zu beurteilenden Merkmale nicht nur punktuell, sondern gleichmäßig erfasst und sie auch in ihrer zeitlichen Entwicklung unabhängig von einer konkreten Auswahlentscheidung bewertet. Demgegenüber begegnen Anlassbeurteilungen grundsätzlich Bedenken, weil sie gerade im Hinblick auf eine anstehende Auswahlentscheidung erstellt werden und damit der Verdacht entstehen kann, sie dienten - zielgerichtet - lediglich der Durchsetzung von vorgefassten, Art. 33 Abs. 2 GG nicht genügenden Personalentscheidungen. Ohnehin ist die Aussagekraft einer ausnahmsweise zulässigen Anlassbeurteilung begrenzt. Da sie in der Regel einen deutlich kürzeren Zeitraum als die Regelbeurteilung abbildet, muss die Anlassbeurteilung aus der Regelbeurteilung entwickelt werden und darf diese lediglich fortentwickeln (BVerwG, B.v. 2.7.2020 - 2 A 6.19 - juris Rn. 11 m.w.N.).
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Gemäß Art. 5 Abs. 1 BayRiStAG sind Richter/-innen auf Lebenszeit sowie Staatsanwälte/-innen im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit alle vier Jahre von dem oder der unmittelbaren Dienstvorgesetzten dienstlich zu beurteilen (periodische Beurteilung). Die oberste Dienstbehörde bestimmt, welche Richter/-innen sowie Staatsanwälte/-innen nicht mehr periodisch beurteilt werden. Sie kann bestimmen, dass Beurteilungen auch aus Anlass einer Versetzung oder Bewerbung erfolgen.
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Aus der gesetzlichen Systematik des Art. 5 Abs. 1 BayRiStAG wird hinreichend deutlich, dass für Richter/-innen auf Lebenszeit sowie für Staatsanwälte/-innen im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit regelmäßig periodische Beurteilungen zu erstellen sind, Anlassbeurteilungen hingegen die Ausnahme bilden, die einer besonderen Rechtfertigung bedarf.
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Die Entscheidung des Landesgesetzgebers für das System von Regelbeurteilungen darf von der Verwaltung nicht dadurch unterlaufen werden, dass sie im Rahmen eines Auswahlverfahrens trotz des Vorliegens einer hinreichend aktuellen Regelbeurteilung ohne ausreichenden Grund Anlassbeurteilungen erstellt. Bedarf nach einer Aktualisierung der Beurteilungsgrundlage im Hinblick auf eine zu treffende Auswahlentscheidung kann aber entstehen, wenn der Beamte nach dem Stichtag der letzten (regulären oder aktualisierten) periodischen Beurteilung wesentlich andere Aufgaben (qualitatives Element) während eines erheblichen Zeitraums (zeitliches Element) wahrgenommen hat (BVerwG, B.v. 2.7.2020 - 2 A 6.19 - juris Rn. 12; U.v. 9.5.2019 - 2 C 1.18 - juris Rn. 38, 41 ff., 49 ff.; im Einzelnen dazu Lorse, Die dienstliche Beurteilung, 7. Aufl. 2020 unter A.VI.2 Rn. 80 ff.).
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Wesentlich andere Aufgaben sind nur dann gegeben, wenn der Beamte in seinem veränderten Tätigkeitsbereich Aufgaben wahrnimmt, die einem anderen (regelmäßig höherwertigen) Statusamt zuzuordnen sind. Dies ist nur dann der Fall, wenn die neuen Aufgaben ausschließlich anderen Besoldungsgruppen entsprechen als die vorherigen Aufgaben des Beamten oder sie zwar derselben Besoldungsgruppe, nicht aber derselben Laufbahn zuzuordnen sind wie die vorherigen Aufgaben des Beamten. Denn das Statusamt definiert sich anhand dreier Merkmale, nämlich durch die Zugehörigkeit zu einer Laufbahn und Laufbahngruppe, die dem Beamten verliehene Amtsbezeichnung und das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 a.a.O. Rn. 54 f. m.w.N.).
18
Ein erheblicher Zeitraum liegt dann vor, wenn bei einem dreijährigen Regelbeurteilungszeitraum die anderen Aufgaben während des (deutlich) überwiegenden (mit zwei Dritteln anzusetzenden) Teils des Beurteilungszeitraums wahrgenommen wurden, also zwei Jahre lang. Bei einem zweijährigen Regelbeurteilungszeitraum ist das zeitliche Element hiernach regelmäßig nicht erfüllt (BVerwG, B.v. 2.7.2020 - 2 A 6.19 - juris Rn. 12; U.v. 9.5.2019 - 2 C 1.18 - juris Rn. 38, 49 f.; erläuternd hierzu: von der Weiden, jurisPR-BVerwG 21/2019 Anm. 5 unter B.2.a und D. sowie jurisPR-BVerwG 20/2020 Anm. 5 unter C.I.: „mindestens zwei Jahre lang und während der Dauer von zwei Dritteln des Beurteilungszeitraums“).
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An diesen Grundsätzen haben sich auch die hier geltenden Beurteilungsbestimmungen, insbesondere die Gemeinsame Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien der Justiz, des Innern, für Bau und Verkehr, der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat sowie für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 26. März 2015 (GemBek - JMBl. S. 18), zu orientieren.
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Nach Ziff. 7.1 Satz 1 GemBek kann bei Vorliegen besonderer Gründe im Einzelfall eine Beurteilung erstellt werden (Anlassbeurteilung). Wenn der Richter (Staatsanwalt) oder die Richterin (Staatsanwältin) nicht mehr der periodischen Beurteilung unterliegt, soll im Fall einer Bewerbung eine Anlassbeurteilung erstellt werden, wenn die letzte (reguläre oder aktualisierte) periodische Beurteilung oder Anlassbeurteilung länger als vier Jahre zurückliegt oder sich seitdem erhebliche Veränderungen der tatsächlichen Grundlagen der Beurteilungskriterien ergeben haben, sodass die weitere Verwendung der letzten Beurteilung ausnahmsweise nicht mehr sachgerecht wäre (Ziff. 7.1. Satz 2 GemBek).
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2. Gemessen daran beruht die Auswahlentscheidung auf einem fehlerhaften Leistungsvergleich. Denn die der Auswahlentscheidung zugrundeliegende Anlassbeurteilung der Beigeladenen war rechtswidrig, weil für sie kein Anlass bestand. Soweit der Antragsgegner die Voraussetzungen für die Erstellung einer Anlassbeurteilung für die Beigeladene gemäß Ziff. 7.1 GemBek als erfüllt angesehen hat, ist dies mit der normativen Vorgabe eines Systems von regelmäßigen periodischen Beurteilungen für Richter und Staatsanwälte als Regel (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayRiStAG) nicht zu vereinbaren.
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a) Die Voraussetzungen der Ziff. 7.1 Satz 2 Alt. 1 GemBek waren schon nach dessen Wortlaut nicht erfüllt, da die aktualisierte periodische Beurteilung der Beigeladenen vom 4. Juli 2018 zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erstellung der Anlassbeurteilung (9.3.2022) nicht länger als vier Jahre zurücklag, sondern (nur) 44 Monate. Danach lag der Auswahlentscheidung (6.4.2022) mit der aktualisierten periodischen Beurteilung der Beigeladene vom 4. Juli 2018 eine (noch) hinreichend aussagekräftige aktuelle dienstliche Beurteilung zugrunde (BVerwG, U.v. 9.5.2019 a.a.O. Rn. 61). Gemäß Art. 56 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Satz 3 Halbs. 2 LlbG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 BayRiStAG ist sichergestellt, dass eine Beurteilung auch bei vierjährigem Turnus grundsätzlich volle vier Jahre für Auswahlentscheidungen herangezogen werden kann (vgl. Ziff. 5.1 Satz 1 und Ziff. 5.10 Satz 2 GemBek i.V.m. Ziff. 2 der Bek. des StMAS v. 20.11.2015 - AllMBl S. 582).
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b) „Erhebliche Veränderungen der tatsächlichen Grundlagen der Beurteilungskriterien“ (Ziff. 7.1 Satz 2 Alt. 2 GemBek) haben sich bei der Beigeladenen seit ihrer letzten aktualisierten periodischen Beurteilung (4.7.2018) unter Berücksichtigung der unter 1. dargestellten Grundsätze des Bundesverwaltungsgerichts nicht ergeben.
24
Während das Verwaltungsgericht bei der Prüfung der Notwendigkeit der Erstellung einer Anlassbeurteilung für die Antragstellerin (BA Rn. 31 ff.) zu Recht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rekurriert, lässt es diese Rechtsprechung bei der Prüfung der Notwendigkeit der Erstellung einer Anlassbeurteilung für die Beigeladene (BA Rn. 34) gänzlich unerwähnt.
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Vorliegend kann dahinstehen, ob die neuen Aufgaben der Beigeladenen als Berichterstatterin und stellvertretende Vorsitzende am Bayerischen Landessozialgericht (ab 18.11.2019) insbesondere aufgrund der unterschiedlichen Amtsbezeichnung (Vorsitzende Richterin am Sozialgericht/Richterin am Bayerischen L2.) einem anderen Statusamt zuzuordnen sind und damit wesentlich andere Aufgaben darstellen (kritisch zur neuen Präzisierung des qualitativen Elements: Lorse a.a.O. unter A.VI.2 Rn. 80c). Denn bis zum Zeitpunkt der Erstellung der Anlassbeurteilung nahm sie diese neue Tätigkeit (nur) 28 Monate und damit nicht während des (deutlich) überwiegenden (mit zwei Dritteln anzusetzenden) Teils des vierjährigen Beurteilungszeitraums wahr (32 Monate).
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Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Anlassbeurteilung im Rahmen eines Regelbeurteilungssystems für Beamte/-innen mit dreijährigem Turnus (§ 22 Abs. 1 Satz 2 BBG und § 48 Abs. 1 BLV in der bis 6.7.2021 gültigen Fassung) kann auf die streitgegenständliche Anlassbeurteilung der Beigeladenen ohne Weiteres übertragen werden (noch offengelassen von BayVGH, B.v. 24.3.2020 - 3 CE 20.224 - n.v. Rn. 4). Denn die normative Vorgabe des Landesgesetzgebers und grundlegende Organisationsentscheidung des Dienstherrn für ein Regelbeurteilungssystem für bayerische Richter/-innen und Staatsanwälte/-innen (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayRiStAG) darf von der Verwaltung ungeachtet eines hier vorliegenden vierjährigen Beurteilungszeitraums weder unterlaufen noch entwertet werden (BVerwG U.v. 9.5.2019 a.a.O. Rn. 45). Der Zweck, durch eine klare zeitlich bezifferte Grenzziehung Rechtssicherheit und Verwaltungspraktibilität zu schaffen (BVerwG, U.v. 9.5.2019 a.a.O. Rn. 49), gilt unabhängig vom jeweiligen Beurteilungszeitraum. Auch aus dem Regelungscharakter des sich jeweils in Abhängigkeit des jeweiligen Beurteilungszeitraums gestalteten 2/3-Maßstabs, der bei einer allein maßgeblichen absoluten zeitlichen Grenzziehung (zwei Jahre) obsolet wäre, folgt die Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf den hier vorliegenden Fall. Dafür spricht zudem die Aussagekraft der Regelbeurteilung über einen vierjährigen Beurteilungszeitraum. Diese ist umso größer, je länger der Zeitraum ist, den die Regelbeurteilung abbildet. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, einen im Verhältnis dazu entsprechend längeren Zeitraum als Voraussetzung für die Erstellung einer Anlassbeurteilung zu verlangen, währenddessen die wesentlich anderen Aufgaben ausgeübt worden sein müssen.
27
Der Antragsgegner meint, bei einem vierjährigen Beurteilungszeitraum könne anders als bei einem dreijährigen Beurteilungszeitraum nicht auf die 2/3-Regel abgestellt werden. Mit dem verhältnismäßig längeren Zeitraum von 32 Monaten (statt 24) für die Wahrnehmung anderer Aufgaben werde dem Beamten eine längere Bewährung abverlangt. Eine - wie hier - 28 Monate und damit einen erheblichen Zeitraum währende Aufgabenveränderung, die darüber hinaus für die bestmögliche Besetzung der streitgegenständlichen Stelle von besonderer Bedeutung sei (hier: Tätigkeit als stellvertretende Vorsitzende Richterin am Bayerischen L3.), könne bei einem Auswahlverfahren dann nicht berücksichtigt werden. Zudem seien die Überlappungszeiträume der zu vergleichenden periodischen bzw. aktualisierten (Regel) Beurteilungen (01/2016 - 07/2018) weniger aktuell als bei Verwendung der Anlassbeurteilung der Beigeladenen für die Auswahlentscheidung (07/2018 - 12/2019). Bei einem vierjährigen Beurteilungszeitraum seien auf längere Sicht weniger (periodische) Beurteilungen zu erstellen, so dass die Gefahr eines „Zustandes permanenter Beurteilungstätigkeit“ (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 a.a.O. Rn. 45) durch Anlassbeurteilungen geringer sei. In diesem Fall stünden die widerstreitenden Interesse des Dienstherrn (Gewährleistung eines leistungsstarken öffentlichen Dienstes und einer funktionsfähigen Verwaltung) und des Beamten (Bewerbungsverfahrensanspruch unter Berücksichtigung aktuell tatsächlich erbrachter Leistung) nicht mehr in einem gerechten Abwägungsverhältnis (vgl. zur Abwägung, BVerwG, U.v. 9.5.2019 a.a.O. Rn. 44).
28
Der Senat verkennt nicht, dass das Interesse des Beamten auf Berücksichtigung einer hinreichend aktuellen dienstlichen Beurteilung bei einer Auswahlentscheidung umso schwerer wiegt, je länger seine periodische Beurteilung zurückliegt. Gleichwohl geht der Senat davon aus, dass die 2/3-Regel des Bundesverwaltungsgerichts auch bei einem vierjährigen Beurteilungszeitraum anzuwenden ist. Ein Beurteilungssystem, das nicht nur Regelbeurteilungen und deren Aktualisierungen, sondern in bestimmten Fallgestaltungen ergänzend Anlassbeurteilungen vorsieht, nimmt zwangsläufig unterschiedliche Beurteilungszeiträume und unterschiedliche Aktualitätsgrade der Beurteilungen einer Auswahlentscheidung in Kauf. Solche Unterschiede sind aus Praktikabilitätsgründen hinzunehmen, solange ein Qualifikationsvergleich auf der Grundlage dieser Beurteilungen ohne ins Gewicht fallende Benachteiligung eines Bewerbers nach Bestenauslesegrundsätzen möglich bleibt (BVerwG, U.v. 9.5.2019 a.a.O. Rn. 59; BayVGH, B.v. 2.9.2020 - 6 CE 20.1351 - juris Rn. 12). Das ist bei einem vierjährigen Beurteilungszeitraum noch der Fall. Ob die 2/3-Regel auch bei längeren Zeiträumen probates Mittel ist, musste hier nicht entschieden werden.
29
Im Übrigen erscheint die Schlussfolgerung, ein geringerer Verwaltungsaufwand für die Erstellung periodischer Beurteilungen im vierjährigen statt im dreijährigen Turnus verursache zugleich einen geringeren Verwaltungsaufwand für Anlassbeurteilungen, keinesfalls zwingend. Letzterer dürfte maßgeblich von vielen unterschiedlichen Faktoren, wie z.B. die Behördenstruktur, Größe des Personalkörpers, Beförderungswartezeiten und Möglichkeit eines Laufbahnwechsels, bestimmt sein. Die gesetzgeberische Grundentscheidung durch einen vierjährigen Beurteilungsturnus (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayRiStAG) gerade bei Gerichten und Staatsanwaltschaften den Verwaltungsaufwand für das Beurteilungswesen möglichst gering zu halten, spricht eher für die strikte Einhaltung des 2/3-Maßstabs, um der Gefahr eines „Zustandes permanenter Beurteilungstätigkeit“ im Interesse des Dienstherrn wirksam zu begegnen.
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Die Orientierung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 9.5.2019 a.a.O. Rn. 49) an § 22 Abs. 1 Satz 2 BBG führt entgegen der Auffassung des Antragsgegners ebenfalls nicht dazu, im vorliegenden Verfahren einen kürzeren Zeitanteil als zwei Drittel des Beurteilungszeitraums anzusetzen. Dies gilt schon deshalb, weil § 22 Abs. 1 BBG (wie auch § 28 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 und § 48 Abs. 1 Alt.1 BLV) dem Bundesverwaltungsgericht nur als „gewisser Anhaltspunkt“ für die Präzisierung eines „erheblichen Zeitraums“ diente.
31
c) Entgegen der Auffassung des Antragsgegners (Antragserwiderung v. 9.6.2022, S. 4 f.) kann die Erstellung der Anlassbeurteilung für die Beigeladene auch nicht auf die „Generalklausel“ der Ziff. 7.1 Satz 1 GemBek („besonderer Gründe im Einzelfall“) gestützt werden. Denn auch dadurch würde andernfalls die Entscheidung des Landesgesetzgebers für das System von Regelbeurteilungen von der Verwaltung unterlaufen werden, indem sie im Rahmen eines Auswahlverfahrens trotz des Vorliegens einer hinreichend aktuellen Regelbeurteilung ohne ausreichenden Grund Anlassbeurteilungen erstellen würde.
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Weitere mögliche „Anlässe“ und Konstellationen, in denen sich - auch in einem auf Regelbeurteilungen basierenden Beurteilungssystem - der Bedarf nach einer Anlassbeurteilung unabweisbar aufdrängt, liegen nicht vor. Zwar unterliegt die Beigeladene seit 31. Dezember 2011 nicht mehr der periodischen Beurteilung (zu entsprechend denkbaren Ausnahmekonstellationen, BVerwG, U.v. 9.5.2019 a.a.O. Rn. 42 m.w.N.; Lorse a.a.O. unter A.VI.2 Rn. 80), gleichwohl verfügte sie zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung über eine noch hinreichend aktuelle Regelbeurteilung (siehe dazu oben unter 2.a).
33
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Dem Antragsgegner und der Beigeladenen sind die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen aufzuerlegen, da sie im Verfahren unterlegen sind und die Beigeladene sowohl im Antrags- als auch Beschwerdeverfahren einen Antrag gestellt hat. Die außergerichtlichen Kosten haben sie jeweils selbst zu tragen. Es besteht insbesondere kein Anlass, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aus Billigkeit dem Antragsgegner aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
34
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 bis 4 GKG (wie Vorinstanz).
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).