Inhalt

VGH München, Urteil v. 06.10.2022 – 20 N 20.853
Titel:

Untersagung des Betriebs von Freizeiteinrichtungen zu unbestimmt 

Normenketten:
GG Art. 12, Art. 19 Abs. 3, Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 80 Abs. 1 S. 2
IfSG 28 Abs. 1, § 32
2. BayIfSMV § 2 Abs. 1
3. BayIfSMV § 4 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Normen des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV und des § 4 Abs. 1 3. BayIfSMV (Untersagung des Betriebs von Einrichtungen der Freizeitgestaltung) verstoßen gegen das Bestimmtheitsgebot, weil offenbleibt, was der Begriff der „Freizeitgestaltung“ meint. Der Anwendungsbereich der Normen ist damit unbestimmt, weil er es dem Normadressaten überlässt, den Inhalt der Normen zu bestimmen, was mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar ist. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein nachträgliches Interesse zur Feststellung der Unwirksamkeit dieser Normen ergibt sich daraus, dass sie nur eine so kurze Geltungsdauer hatten, dass Rechtsschutz in der Hauptsache nicht erlangt werden konnte, und dass sie mit einem tiefen Eingriff in das Grundrecht der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 GG als Betreiberin von Spielhallen verbunden waren. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Untersagung des Betriebs von Freizeiteinrichtungen, Bestimmtheitsgebot, Regelbeispiele, nachträgliches Feststellungsinteresse
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Urteil vom 15.02.2024 – 3 CN 18.22
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34043

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass § 2 Abs. 1 der Zweiten Bayerischen Infekti-onsschutzmaßnahmenverordnung vom 16. April 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 205, GVBl. 2020 S. 214) und § 4 Abs. 1 der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1. Mai 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 239) unwirksam waren.     
II.    Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.     
III.    Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.     
IV.    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Die auf Feststellungsanträge umgestellten Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 1 VwGO richten sich gegen inhaltlich weitgehend identische Normen der Zweiten und Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. /3. BayIfSMV), die den Betrieb von Einrichtungen zur Freizeitgestaltung untersagten.
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1. Der Antragsgegner hat am 16. April 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung erlassen (BayMBl. 2020 Nr. 205, GVBl. 2020 S. 214), deren § 2 Abs. 1 während des gesamten Geltungszeitraums der Verordnung folgenden Wortlaut hatte:
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„§ 2 Betriebsuntersagungen
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(1) Untersagt ist der Betrieb sämtlicher Einrichtungen, die nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens, sondern der Freizeitgestaltung dienen. Hierzu zählen insbesondere Sauna- und Badeanstalten, Kinos, Tagungs- und Veranstaltungsräume, Clubs, Bars und Diskotheken, Spielhallen, Theater, Vereinsräume, Bordellbetriebe, Museen, Stadtführungen, Sporthallen, Sport- und Spielplätze, Fitnessstudios, Bibliotheken, Wellnesszentren, Thermen, Tanzschulen, Tierparks, Vergnügungsstätten, Wettannahmestellen, Fort- und Weiterbildungsstätten, Volkshochschulen, Musikschulen und Jugendhäuser, Jugendherbergen und Schullandheime. Untersagt werden ferner Reisebusreisen.“
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Nach Außerkrafttreten der 2. BayIfSMV mit Ablauf des 3. Mai 2020 (§ 10 Satz 1 2. BayIfSMV) ist mit Wirkung zum 4. Mai 2020 die 3. BayIfSMV in Kraft getreten (§ 12 Satz 1 BayIfSMV, BayMBl. 2020 Nr. 239), deren § 4 Abs. 1 zunächst wörtlich dem § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV entsprochen hat. Mit Wirkung zum 6. Mai 2020 wurde die Norm nur insoweit geändert, als die Wörter „Sport- und Spielplätze“ durch das Wort „Sportplätze“ ersetzt wurden (§ 23 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 24 Satz 2 4. BayIfSMV, BayMBl. 2020 Nr. 240). Die 3. BayIfSMV ist mit Ablauf des 10. Mai 2020 außer Kraft getreten (§ 12 Satz 1 3. BayIfSMV).
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2. Die Antragstellerin, die in Bayern mehrere Spielhallen betreibt, musste während der Geltungszeit von § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV und § 4 Abs. 1 3. BayIfSMV den Betrieb ihrer Spielhallen einstellen. Ihr Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV und § 4 Abs. 1 3. BayIfSMV (20 NE 20.852) wurde nach Außerkrafttreten der 3. BayIfSMV übereinstimmend für erledigt erklärt und das Verfahren durch Beschluss vom 20. Mai 2020 eingestellt.
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Im Verfahren der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 VwGO hat die Antragstellerin zunächst mit Schriftsatz vom 20. April 2020 beantragt, die 2. BayIfSMV insgesamt für unwirksam zu erklären. Mit weiterem Schriftsatz vom 4. Mai 2020 hat die Antragstellerin den Antrag auf die gesamte 3. BayIfSMV erstreckt und schließlich mit Schriftsatz vom 19. Juli 2021 zuletzt beantragt,
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Es wird festgestellt, dass § 2 Abs. 1 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16. April 2020 und § 4 Abs. 1 der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung unwirksam gewesen sind, soweit der Betrieb von Spielhallen untersagt wurde.
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Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, sie habe durch die von den angegriffenen Bestimmungen verursachte Betriebsunterbrechung einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden durch laufende Kosten und entgangenem Gewinn erlitten. Weder § 28 Abs. 1 IfSG noch § 32 IfSG ließen derart schwere Eingriffe in die Gewerbefreiheit aus Art. 12 GG zu. Durch die angeordnete Zwangsschließung ihrer Spielhallen werde dieses Grundrecht der Antragstellerin massiv eingeschränkt oder sogar aufgehoben. Auf der gesetzlichen Grundlage der §§ 28 ff. IfSG seien nur Maßnahmen gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern möglich. Eine Bekämpfung der übertragbaren Krankheit COVID-19 sei in den Spielhallen der Antragstellerin, in denen es keinen Ansteckungs- oder Verdachtsfall gegeben habe, daher schon gar nicht möglich. Sinngemäß bestreitet die Antragstellerin auch die Eignung der angegriffenen Vorschriften. In Spielhallen habe eine Ansteckungsgefahr schon deshalb nicht bestanden, weil nach gewerberechtlichen Vorschriften zwischen den einzelnen Spielautomaten ein Mindestabstand einzuhalten sei und zudem festmontierte, blickdichte Sichtblenden mit einer Tiefe von mindestens 0,8 m aufzustellen seien.
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Zur Begründung ihres geltend gemachten Feststellungsinteresses nach Außerkrafttreten der angegriffenen Normen verweist die Antragstellerin insbesondere auf die präjudizielle Wirkung der Entscheidung für eine beabsichtigte Geltendmachung eines Anspruchs auf Schadensersatz für die ihr durch die Betriebsunterbrechung entstandenen wirtschaftlichen Schäden aus Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB.
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3. Der Antragsgegner hat beantragt,
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die Anträge abzulehnen.
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Die angegriffenen Normen verfügten mit den §§ 28, 32 IfSG insbesondere über eine tragfähige und hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage; auch die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme von Nichtstörern - hier den Betreibern von Einrichtungen der Freizeitgestaltung - hätten vorgelegen. Das von der Antragstellerin als verletzt gerügte Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG beanspruche bei Eingriffen in die hier betroffenen Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 GG keine Geltung. Ein Verstoß der angegriffenen Normen gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liege im Ergebnis nicht vor. Die Untersagung des Betriebs von Einrichtungen der Freizeitgestaltung habe die Verlangsamung des Ansteckungsgeschehens mit SARS-CoV-2 bezweckt. Zur Erreichung dieses Ziels sei sie geeignet, erforderlich und im engeren Sinn verhältnismäßig gewesen. Insbesondere seien keine gleich geeigneten Maßnahmen ersichtlich; Maßnahmen der Beschränkung der Besucherzahl oder einer verstärkten Desinfektion der Spielgeräte hätten den durch eine vollständige Schließung erzielten Effekt nicht annähernd erreichen können. In Spielhallen komme es zu einer Vielzahl nicht im einzelnen nachvollziehbarer Berührungskontakte von Menschen mit Spielautomaten, was die Wahrscheinlichkeit von Schmierinfektionen erhöhe. Der Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Betriebe - wie auch der Antragstellerin - werde durch die erheblichen Gefahren für Leib und Leben zahlreicher Menschen und für das Funktionieren des Gesundheitssystems aufgewogen. Schließlich seien die angegriffenen Betriebsuntersagungen auch stets zeitlich begrenzt und nicht auf unbestimmte Zeit angeordnet worden.
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Auf ein Hinweisschreiben des Senats vom 7. September 2022 zum Inhalt der angegriffenen Normen hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 22. September 2022 noch ausgeführt, der Zweck der 2. und 3. BayIfSMV habe darin bestanden, eine starke Kontaktreduzierung zu erreichen. Ausnahmen hätten lediglich für „notwendige Verrichtungen des täglichen Lebens“ bestehen sollen, was sich auch aus der flankierenden Ausgangsbeschränkung ergebe. Dem entsprächen auch die angegriffenen Bestimmungen. Die beiden begrifflichen Umschreibungen „notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens dienen“ und „der Freizeitgestaltung dienen“ ständen sich diametral gegenüber. Dabei sei der Begriff der „Freizeit“ im Hinblick auf den Regelungszusammenhang und die gewünschte starke Kontaktreduzierung denkbar weit zu verstehen. Die Vielgestaltigkeit der in Satz 2 der angegriffenen Normen genannten Einrichtungen solle gerade das weite Verständnis der „Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung dienen“ bzw. der „Freizeiteinrichtungen“ im akut pandemischen Sinne aufzeigen und die Norm für die Rechtsanwender handhabbar machen. Im Grundsatz hätten die Einrichtungen schließen sollen, deren Besuch für den notwendigen täglichen Bedarf in Präsenz nicht unentbehrlich war. Dabei sei es der Vielgestaltigkeit des Lebens geschuldet, dass ein und dieselbe Einrichtung sowohl notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens als auch der Freizeitgestaltung dienen könne. Aus dem Regelungssystem sei jedoch abzuleiten, dass jedweder nicht unbedingt notwendige, sondern aufschiebbare und somit vermeidbare Kontakt habe verhindert werden sollen. Der Verordnungsgeber habe sich für eine einrichtungsbezogene Abgrenzung entschieden und im Wege einer abstrakt-generellen und vor allem typisierenden, pauschalierenden Betrachtungsweise auch so vorgehen dürfen.
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Unabhängig davon bestehe für die Anträge schon kein Feststellungsinteresse. Soweit die Antragstellerin auf die beabsichtigte Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs verweise, fehle es bereits an der von der Rechtsprechung geforderten drittgerichteten Amtspflicht des Verordnungsgebers. Aber auch andere Grundlagen eines Entschädigungs- und Schadensersatzanspruchs schieden nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. März 2022 aus. Schließlich liege auch kein tiefgreifender Grundrechtseingriff vor, der eine nachträgliche Überprüfung der angegriffenen Normen rechtfertigen könnte. Das Grundrecht einer GmbH habe schon per se keinen Persönlichkeitsbezug, sondern beschränke sich auf den wirtschaftlichen Erwerbszweck, weshalb Art. 19 Abs. 4 GG kein Feststellungsinteresse begründen könne.
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Dem Vortrag der Antragstellerin, es habe speziell im Hinblick auf Spielhallen gegenüber der Betriebsschließung mildere, aber ebenfalls geeignete Maßnahmen des Infektionsschutzes gegeben, werde widersprochen. Alternative Schutzmaßnahmen hätten schon in der Masse nicht effektiv kontrolliert werden können. Ungeachtet der individuellen Infektionsgefahr habe der Verordnungsgeber das gesellschaftliche Interesse an einer Wiedereröffnung weiter Teile des Einzelhandels höher gewichten dürfen als das Interesse an einer Eröffnung von Spielhallen, schon, weil diese nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung aufgesucht würden und weil das Automatenglückspiel ein vorübergehend verzichtbares Freizeitvergnügen darstelle. Solche Überlegungen zu den gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekten der Infektionsschutzmaßnahmen habe der Verordnungsgeber auch schon vor Inkrafttreten von § 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG i.d.F.v. 18.11.2020 anstellen dürfen, da anderenfalls zuvörderst gesellschaftlich untragbare Maßnahmen - wie die Schließung von zwingend infektionsträchtigen Orten wie Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeheimen - hätten erfolgen müssen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte Bezug genommen. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Der Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO ist zulässig und begründet.
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1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig. Insbesondere steht seiner Zulässigkeit nicht das Außerkrafttreten der angegriffenen Normen des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV und des § 4 Abs. 1 3. BayIfSMV mit Ablauf des 3. bzw. 10. Mai 2020 entgegen.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entzieht das Außerkrafttreten der zur Prüfung gestellten Norm dem Normenkontrollantrag grundsätzlich seinen Gegenstand. § 47 Abs. 1 VwGO geht von dem Regelfall einer noch gültigen Norm als Gegenstand des Normenkontrollantrags aus. Ein Normenkontrollantrag kann allerdings trotz Außerkrafttretens der angegriffenen Rechtsnorm zulässig bleiben, wenn in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach ihr zu entscheiden sind oder, wenn während des Normenkontrollverfahrens eine auf kurzfristige Geltung angelegte Norm etwa wegen Zeitablaufs außer Kraft getreten ist. Das Außerkrafttreten der Norm allein lässt den zulässig gestellten Normenkontrollantrag allerdings nicht ohne weiteres zu einem unzulässigen Antrag werden, wenn die Voraussetzung der Zulässigkeit nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO fortbesteht, nämlich, dass der Antragsteller durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten hat (BVerwG, U.v. 29.6.2001 - 6 CN 1.01 - juris Rn. 10; B.v. 2.9.1983 - 4 N 1.83 - juris Rn. 9). Der Antragsteller muss nach Außerkrafttreten der angegriffenen Norm allerdings ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung ihrer Ungültigkeit haben (vgl. BVerwG, B.v. 14.6.2018 - 3 BN 1.17 - juris Rn. 19; B.v. 2.9.1983 - 4 N 1.83 - juris Rn. 11). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die begehrte Feststellung präjudizielle Wirkung für die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines auf die Norm gestützten behördlichen Verhaltens und damit für in Aussicht genommene Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche haben kann oder ein schwerwiegender Grundrechtseingriff das Rechtsschutzinteresse ausnahmsweise fortbestehen lässt (BVerwG, B.v. 2.8.2018 - 3 BN 1.18 - juris Rn. 5; BVerfG, U.v. 27.2.2007 - 1 BvR 538/06 u.a. - juris Rn. 69 f.). Auch eine Wiederholungsgefahr kann grundsätzlich ein solches Feststellungsinteresse begründen (BVerwG, B.v. 2.8.2018 - 3 BN 1.18 - juris Rn. 4).
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b) Ob die Antragstellerin ihr besonderes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Unwirksamkeit der Normen mit Erfolg auf die präjudizielle Wirkung für die beabsichtigte Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs aus Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB stützen kann, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. dazu BayVGH, U.v. 6.10.2022 - 20 N 20.794 - Rn. 42 f. <noch nicht veröffentlicht>; BGH, U.v. 17.3.2022 - III ZR 79/21 - juris Rn. 64 f.). Denn ein nachträgliches Feststellungsinteresse ergibt sich jedenfalls daraus, dass die angegriffenen Normen einerseits mit einer Geltungsdauer von 14 bzw. sieben Tagen für einen Zeitraum gegolten haben, in dem Rechtsschutz in der Hauptsache typischerweise (und hier auch im konkreten Einzelfall) nicht erlangt werden konnte, und dass sie andererseits mit einem tiefen Eingriff in das Grundrecht der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 GG verbunden waren. Die Antragstellerin, die als Betreiberin von Spielhallen eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausübt, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer natürlichen Person offensteht und die sich daher über Art. 19 Abs. 3 GG auf ihre Berufsfreiheit berufen kann (vgl. dazu nur BVerfG, B.v. 14.1.2014 - 1 BvR 2998/11 u.a. - juris Rn. 59; Huber in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 240, 322 m.w.N.), war aufgrund der angegriffenen Vorschriften gezwungen, ihre berufliche Tätigkeit für einen nicht nur unerheblichen Zeitraum - nämlich für insgesamt 21 Tage - vollständig einzustellen. Aufgrund der spezifischen Eigenarten und Voraussetzungen des Betriebs von Spielhallen (vgl. nur § 33i i.V.m. § 33c und § 33d GewO) war ihr auch nicht möglich, ihren Beruf vorübergehend in anderen - nach der 2. /3. BayIfSMV zulässigen - äußeren Formen auszuüben. Ihre Berufsausübungsfreiheit (vgl. dazu nur Manssen in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 66 ff.) war während der Geltungszeit der angegriffenen Verordnungen insofern im Hinblick auf das von ihr konkret ausgeübte Gewerbe vollständig aufgehoben. Dass es sich hierbei um einen tiefgreifenden bzw. schwerwiegenden Grundrechtseingriff handelt, liegt nach Auffassung des Senats auf der Hand (so auch SaarlOVG, U.v. 31.5.2022 - 2 C 319/20 - juris Rn. 21; vgl. auch BVerfG, B.v. 23.3.2022 - 1 BvR 1295/21 - juris Rn. 25; B.v. 11.11.2020 - 1 BvR 2530/20 - juris Rn. 11).
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Das Argument des Antragsgegners, für die Feststellung eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs bedürfe es eines besonderen „Persönlichkeitsbezugs“, über den die Grundrechte einer GmbH als juristischer Person schon grundsätzlich nicht verfügten, greift nicht: Unabhängig davon, dass es sich bei der Antragstellerin - einer GmbH & Co. KG - schon nicht um eine GmbH, sondern um eine Personengesellschaft handelt (vgl. dazu nur Manssen in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 271), ergibt sich weder aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch aus der des Bundesverwaltungsgerichts, dass ein nachträgliches Interesse an der Überprüfung erledigter tiefgreifender Grundrechtseingriffe ausschließlich auf Eingriffe in den „Kernbereich der Persönlichkeit“ beschränkt wäre. Dogmatischer Anknüpfungspunkt für ein solches nachträgliches Feststellungsinteresse ist die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG, die über Art. 19 Abs. 3 GG auch der Antragstellerin zugutekommt (vgl. BVerfG, U.v. 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08 u.a. - juris Rn. 158) und der eine Beschränkung auf den Schutz nur bestimmter subjektiver (Grund) Rechte wesensfremd ist.
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2. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet.
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Die angegriffenen Normen des § 2 Abs. 1 2. BaylfSMV und des § 4 Abs. 1 3. BayIfSMV verstießen gegen das im Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnde verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot und waren damit unwirksam (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO, vgl. dazu Panzer in Schoch/Schneider, VerwR, Stand Februar 2022, § 47 VwGO Rn. 113).
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a) Allerdings finden § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV und § 4 Abs. 1 3. BayIfSMV in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der maßgeblichen Fassung des „Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I S. 587 ff.; BT-Drucks 19/18111) eine hinreichende gesetzliche Grundlage.
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Durch § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sind, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Insbesondere können Personen verpflichtet werden, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
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Die Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG verstieß im hier maßgeblichen Zeitraum der Geltungsdauer der angegriffenen Verordnung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. Danach soll sich das Parlament seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass der Bürger schon aus der gesetzlichen Ermächtigung erkennen und vorhersehen kann, was ihm gegenüber zulässig sein soll und welchen möglichen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (vgl. dazu nur BVerfG, B.v. 21.9.2016 - 2 BvL 1/15 - juris Rn. 54 ff. m.w.N.).
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Die Ermächtigungsnorm muss in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein; sie hat von Verfassung wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm (stRspr; vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 55).
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Welche Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich daher nicht allgemein festlegen. Zum einen kommt es auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen an. Je schwerwiegender die grundrechtsrelevanten Auswirkungen für die von einer Rechtsverordnung potentiell Betroffenen sind, desto strengere Anforderungen gelten für das Maß der Bestimmtheit sowie für Inhalt und Zweck der erteilten Ermächtigung.
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Zum anderen hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Dies kann es auch rechtfertigen, die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 57).
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Nach diesen Maßstäben ist hier ein Verstoß des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht festzustellen. Auch wenn die Befugnisnorm des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, auf die die Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 IfSG (u.a.) Bezug nimmt, zumindest in ihrem ersten Halbsatz als offene Generalklausel ausgestaltet ist und dies nach den Gesetzgebungsmaterialien zur insoweit wortgleichen Vorgängerregelung des § 34 Bundes-Seuchengesetz auch explizit sein sollte (vgl. BT-Drucks 8/2468 S. 27 f.), hat der parlamentarische Gesetzgeber mit der Neufassung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zum 28. März 2020 durch Einfügung des zweiten Halbsatzes „sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten“ die Ermächtigungsgrenzen jedenfalls nunmehr insoweit hinreichend bestimmt gefasst, dass § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zwar keine - mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbare - Globalermächtigung für die Verordnungsgeber enthält, dass aber zahlreiche Bekämpfungsmaßnahmen - ggf. auch solche, die in erheblichem Maß in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen - von der Befugnis umfasst sein können. Inhalt, Zweck und Ausmaß der vom Gesetzgeber erteilten Verordnungsermächtigung sind daher als hinreichend bestimmt anzusehen (vgl. bereits BayVGH, B.v. 4.10.2021 - 20 N 20.767 - juris; U.v. 6.10.2022 - 20 N 20.794 - Rn. 53 <noch nicht veröffentlicht>).
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Dass sich im Wortlaut des § 28 Abs. 1 IfSG a.F. keine unmittelbaren Anhaltspunkte für die Zulässigkeit von Betriebsschließungen und Betriebsbeschränkungen finden, führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Auch wenn lediglich Gemeinschaftseinrichtungen i.S.d. § 33 IfSG als Ziel von Schließungen und Beschränkungen in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG genannt werden, kann aus den Umständen, dass das Schließen von Einrichtungen (also zur Benützung vorgehaltene Personen- und Sachgesamtheiten) vom Gesetzgeber grundsätzlich für möglich und zulässig erachtet wird, und dass Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen in ihren Wirkungen zumindest faktisch zu Betriebsschließungen führen können, gefolgert werden, dass Betriebsschließungen und Betriebsbeschränkungen jedenfalls in dem hier maßgeblichen Zeitraum von der Generalklausel gedeckt sind (vgl. auch BayVGH, U.v. 6.10.2022 - 20 N 20.794 - Rn. 54 <noch nicht veröffentlicht>).
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b) Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 IfSG waren im Zeitpunkt des Erlasses und im Geltungszeitraum der angegriffenen Norm erfüllt.
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aa) § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG verpflichtet die Behörde zum Handeln, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen (sog. gebundene Entscheidung). Sie setzt tatbestandlich lediglich voraus, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider (jeweils i.S.d. § 2 IfSG) festgestellt werden oder es sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Diese Voraussetzungen lagen dem Grunde nach angesichts der anhaltenden SARS-CoV-2-Pandemielage vor. Weitere tatbestandliche Anforderungen stellt § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG nicht (stRspr. des Senats, vgl. nur U.v. 6.10.2022 - 20 N 20.794 - Rn. 62 <noch nicht veröffentlicht>; B.v. 4.10.2021 - 20 N 20.767 - juris Rn. 51; B.v. 1.9.2020 - 20 CS 20.1962 - juris Rn. 24).
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Nachdem § 28 IfSG eine Befugnisnorm zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ist, setzt die Norm die Feststellung einer solchen Krankheit voraus, was zugleich die Notwendigkeit einer Gefährdungseinschätzung dieser Krankheit für die Bevölkerung beinhaltet. Bei dieser Gefährdungseinschätzung kann bei bekannten Krankheiten auf die Erfahrungen und das Wissen auf den Gebieten der Medizin und der Epidemiologie der Vergangenheit zurückgegriffen werden. Anders verhält es sich in dem hier maßgeblichen Zeitraum während der Geltungsdauer der Norm dagegen bei Covid-19. Hierbei handelte es sich seinerzeit um eine neuartige Krankheit und dementsprechend um eine Gefährdungslage, die z.B. nicht mit den Grippepandemien 1957 bis 1959, 1968, 1977 und 2009 vergleichbar ist, da zu diesen Zeiten sowohl klinische und epidemiologische Erkenntnisse über Grippe-Erkrankungen als auch entsprechende Impfstoffe vorhanden waren. Exemplarisch heißt es im Situationsbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 3. Mai 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neu-
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artiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-05-03-de.pdf? blob=publicationFile):
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„Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor. Die Anzahl der neu übermittelten Fälle in Deutschland ist rückläufig. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch. Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Diese Gefährdung variiert von Region zu Region. Die Belastung des Gesundheitswesens hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (Isolierung, Quarantäne, physische Distanzierung) ab und kann örtlich sehr hoch sein. Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern.“
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Dabei kam im maßgeblichen Zeitraum der Geltungsdauer der Normen der Einschätzung des RKI besondere Bedeutung zu, denn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist das Robert Koch-Institut die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen. Es erstellt im Benehmen mit den jeweils zuständigen Bundesbehörden für Fachkreise als Maßnahme des vorbeugenden Gesundheitsschutzes Richtlinien, Empfehlungen, Merkblätter und sonstige Informationen zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 IfSG).
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bb) Hinzu kommt, dass den Infektionsschutzbehörden bei der Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen einer „bedrohlichen übertragbaren Krankheit“ (§ 2 Nr. 3a IfSG) ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. dazu im Einzelnen bereits BayVGH, U.v. 6.10.2022 - 20 N 20.794 - Rn. 68 ff. <noch nicht veröffentlicht>; B.v. 4.10.2021 - 20 N 20.767 - juris Rn. 57 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber die Grenzen dieses Beurteilungsspielraums vorliegend überschritten hätte, sind aufgrund der bereits geschilderten Einschätzung der epidemiologischen Situation insbesondere durch das RKI nicht ersichtlich.
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c) Die angegriffenen Normen des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV und des § 4 Abs. 1 3. BayIfSMV verstoßen aber gegen das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verankerte verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot und sind daher rechtswidrig.
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aa) Das Gebot der hinreichenden Bestimmtheit und Klarheit der Norm fordert vom Normgeber, seine Regelungen grundsätzlich widerspruchsfrei und so genau zu fassen, dass die Normadressaten die Rechtslage - also Inhalt und Grenzen von Ge- oder Verbotsnormen - in zumutbarer Weise erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können. Der Normgeber darf dabei grundsätzlich auch auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgreifen, wenn die Kennzeichnung der Normtatbestände mit beschreibenden Merkmalen nicht möglich ist. Die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm steht ihrer Bestimmtheit grundsätzlich nicht entgegen; allerdings müssen sich aus Wortlaut, Zweck und Zusammenhang der Regelung objektive Kriterien gewinnen lassen, die einen verlässlichen, an begrenzende Handlungsmaßstäbe gebundenen Vollzug der Norm gewährleisten (vgl. BVerfG, U.v. 27.7.2005 - 1 BvR 668/04 - juris Rn. 118 ff.; B.v. 6.5.2008 - 2 BvR 336/07 - juris Rn. 14; Sommermann in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 289 m.w.N.). Wenn - wie hier wegen § 7 Nr. 2 2. BayIfSMV und § 9 Nr. 2 3. BaylfSMV - bußgeldbewehrte Verbotsvorschriften im Streit stehen, müssen sich diese zudem an den strengeren Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG (bzw. § 3 OWiG) messen lassen (vgl. OVG LSA, U.v. 17.3.2010 - 3 K 319/09 - juris Rn. 29). Art. 103 Abs. 2 GG, der auf Ordnungswidrigkeitentatbestände anwendbar ist (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 - juris Rn. 272) enthält ein besonderes Bestimmtheitsgebot, das den Gesetzgeber verpflichtet, die Voraussetzungen der Strafbarkeit oder Bußgeldbewehrung so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Die Bestimmtheitsanforderungen an bußgeldbewehrte Vorschriften sind gegenüber allgemeinen Vorgaben an die Bestimmtheit von Vorschriften, die Grundrechtseingriffe regeln, gesteigert, erreichen aber regelmäßig nicht das Niveau für den besonders grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Strafrechts (vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. - juris Rn. 159).
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Der grammatikalischen Auslegung bzw. der Wortlautgrenze kommt dabei eine herausgehobene Bedeutung zu (vgl. BVerwG, U.v. 29.2.2012 - 9 C 8.11 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 17.2.2020 - 8 ZB 19.2200 - juris Rn. 14). Diese Verpflichtung soll einerseits sicherstellen, dass die Normadressaten vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bzw. mit einem Bußgeld bedroht ist. Andererseits soll sie gewährleisten, dass der Gesetzgeber über die Strafbarkeit oder die Bußgeldvoraussetzungen selbst entscheidet und diese Entscheidung nicht den Vollzugsbehörden oder der Gerichtsbarkeit überlässt. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung oder einer Verhängung von Geldbußen festzulegen (vgl. BVerfG, B.v. 17.11.2009 - 1 BvR 2717/08 - juris Rn. 16). Auch das schließt allerdings eine Verwendung von auslegungsbedürftigen Begriffen nicht aus. Auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht stehen die Gesetz- und Verordnungsgeber vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. Außerdem ist es wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Straf- und Bußgeldnormen unvermeidlich, dass in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Jedenfalls im Regelfall muss der Normadressat aber anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar oder bußgeldbewehrt ist. In Grenzfällen ist auf diese Weise wenigstens das Risiko einer Ahndung erkennbar (OVG LSA, U.v. 17.3.2010 - 3 K 319/09 - juris Rn. 29).
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b) Die angegriffenen Normen des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV und des § 4 Abs. 1 3. BayIfSMV werden den o.g. Anforderungen an ihre Bestimmtheit nicht gerecht. Der Inhalt und die Reichweite der darin geregelten Betriebsuntersagung sind auch bei Anwendung aller zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden nicht mit hinreichender Eindeutigkeit zu ermitteln.
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Strukturell umfassen die angegriffenen Normen mit ihrem jeweiligen Satz 1 eine offen-abstrakte Umschreibung des Verbots („Untersagt ist der Betrieb sämtlicher Einrichtungen, die nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens, sondern der Freizeitgestaltung dienen.“) und eine - nicht abschließende - Aufzählung von Regelbeispielen in Satz 2, die jedenfalls unter das in Satz 1 abstrakt formulierte Verbot fallen sollen („Hierzu zählen insbesondere Sauna- und Badeanstalten, Kinos, Tagungs- und Veranstaltungsräume, Clubs, Bars und Diskotheken, Spielhallen, Theater, Vereinsräume, Bordellbetriebe, Museen, Stadtführungen, Sporthallen, Sport- und Spielplätze, Fitnessstudios, Bibliotheken, Wellnesszentren, Thermen, Tanzschulen, Tierparks, Vergnügungsstätten, Wettannahmestellen, Fort- und Weiterbildungsstätten, Volkshochschulen, Musikschulen und Jugendhäuser, Jugendherbergen und Schullandheime.“).
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aa) Nimmt man zunächst den Regelungsgehalt der abstrakten Verbotsnorm nach dem jeweiligen Satz 1 in den Blick, so ergibt deren Auslegung einen speziell auf Einrichtungen zur Freizeitgestaltung bezogenen Anwendungsbereich. Die Norm beschreibt die Einrichtungen, deren Betrieb insgesamt - d.h. nicht nur im Hinblick auf bestimmte Nutzungszwecke - untersagt wird, durch ein negatives und ein positives Begriffsmerkmal, die kumulativ erfüllt sein müssen: Die betroffenen Einrichtungen dürfen einerseits nicht (negatives Merkmal) „notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens“ dienen. Andererseits müssen sie (positives Merkmal) der „Freizeitgestaltung“ dienen.
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Während das negative Begriffsmerkmal der „notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens“ zunächst nahelegt, dass sämtliche Einrichtungen untersagt sein sollen, deren Inanspruchnahme nicht schlechthin (über-)lebenswichtig ist oder zumindest sein kann (vgl. zu den Begriffen der „täglichen Versorgung“ und des „täglichen Bedarfs“ bereits BayVGH, B.v. 3.3.2021 - 20 NE 21.391 - juris Rn. 11; B.v. 17.12.2021 - 20 NE 21.3012 - juris Rn. 13), ergibt sich aus dem zusätzlich („sondern“) erforderlichen positiven Begriffsmerkmal eine deutliche Verengung bzw. Konkretisierung des Anwendungsbereichs. Der „Freizeitgestaltung“ dienen Einrichtungen nämlich nicht schon immer dann, wenn sie lediglich keine schlechthin lebensnotwendigen Leistungen anbieten, sondern nur dann, wenn sie ihrer Zwecksetzung entsprechend (zumindest überwiegend) in der „freien“ Zeit ihrer Nutzer aufgesucht werden. Zur „Freizeit“ gehört nach herkömmlichem Begriffsverständnis die Zeit, die dem Einzelnen zur „freien“ Verfügung steht und daher nicht den der Bildung und/oder den zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienenden (und grundrechtlich besonders geschützten) Zeiten zuzuordnen ist. Die von der abstrakten Umschreibung in Satz 1 erfassten Einrichtungen erfüllen dem Wortlaut nach damit einen Bedarf, der nicht nur nicht unmittelbar im Alltag notwendig sein darf, sondern in seiner Bedeutung und Grundrechtsrelevanz auch außerhalb der Lebensbereiche „Bildung“ und „Beruf“ anzusiedeln sein muss.
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Soweit der Antragsgegner im Rahmen dieses Verfahrens dagegen ausgeführt hat, der Begriff der Freizeiteinrichtungen sei in einem weiten, „akut pandemischen“ Sinn zu verstehen, der im Grundsatz alle Einrichtungen umfasse, „deren Besuch für den notwendigen täglichen Bedarf in Präsenz nicht unentbehrlich“ gewesen sei, findet sich hierfür im Wortlaut der Verordnung keine Stütze. Sinngemäß orientiert sich der Antragsgegner damit nämlich ausschließlich am negativen Begriffsmerkmal der „notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens“ und erklärt das positive Begriffsmerkmal („…sondern der Freizeitgestaltung dienen“) letztlich für obsolet, ohne jedoch zu erläutern, inwiefern dies aus der Sicht eines Normadressaten erkennbar sein könnte.
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bb) Die abstrakte Verbotsnorm des Satz 1 steht jedoch nicht für sich allein, sondern wird durch die Aufzählung von Regelbeispielen in Satz 2 der Vorschriften ergänzt („Hierzu zählen insbesondere…“). Verwendet ein Normgeber Regelbeispiele, so haben diese Leitbildcharakter für die Auslegung einer Vorschrift (vgl. BVerwG, U.v. 29.1.2014 - 6 C 2.13 - juris Rn. 29). Denn sie sind das Ergebnis einer wertenden Betrachtung der normativen Eigenarten des hier betroffenen Verwaltungsbereichs durch den jeweiligen Normgeber (vgl. BVerwG, U.v. 29.8.2019 - 7 C 33.17 - juris Rn. 16) und haben prägende Wirkung für nicht im Regelbeispielkatalog genannte, aber ebenfalls vom Anwendungsbereich der Norm erfasste Fälle (vgl. auch SächsOVG, U.v. 17.5.2022 - 3 C 16/20 - juris Rn. 88). Insofern beeinflussen sich die abstrakte Norm und die sie ausfüllenden Regelbeispiele wechselseitig und sind in ihrem Regelungsgehalt nur insgesamt zu erfassen.
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Vor diesem Hintergrund und in einer Gesamtschau der jeweiligen Sätze 1 und 2 lässt sich für die angegriffenen Normen kein widerspruchsfreier, in sich schlüssiger Regelungsinhalt ermitteln. Die jeweils in Satz 2 aufgeführten Regelbeispiele stehen weder ausnahmslos im Einklang mit der abstrakten Verbotsnorm des Satzes 1 (1) noch lässt sich aus ihnen eine einheitliche, die Regelungswirkung des Satzes 1 modifizierende Tendenz ableiten (2).
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(1) Nicht alle der jeweils in Satz 2 aufgelisteten Regelbeispiele dienen (vollständig oder zumindest überwiegend) der Freizeitgestaltung ihrer Nutzer. Insoweit stehen die betreffenden Regelbeispiele in einem offenen Widerspruch jeweils zum Wortlaut des Satzes 1:
51
Jedenfalls bei den als Regelbeispiel genannten „Fort- und Weiterbildungsstätten“ fehlt sogar jedweder Freizeitbezug. Insbesondere der Fortbildungsbegriff hat aufgrund von § 1 Abs. 4 BBiG einen ausschließlich berufsbezogenen Inhalt, indem eine Fortbildung definitionsgemäß dazu dient, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erhalten, anzupassen oder zu erweitern. Folgerichtig ist die Teilnahme an Fortbildungen auch der Arbeitszeit zuzurechnen (vgl. nur EuGH, U.v. 28.10.2021 - C-909/19 - juris Rn. 34 ff.). Aber auch der Begriff der Weiterbildung umfasst - obwohl nicht bundeseinheitlich legaldefiniert und daher grundsätzlich inhaltsoffen - vorrangig Bildungsangebote für Erwachsene, die darauf gerichtet sind, den beruflichen Handlungsspielraum über die aktuell ausgeübte Berufstätigkeit hinaus zu erhalten und zu erweitern (vgl. z.B. https://www.kommweiter.bayern.de/privatpersonen/ziele-weiterbildung/). Bei Fort- und Weiterbildungsstätten - darunter fallen etwa die Bildungszentren der Handwerks- und der Industrie- und Handelskammern - ist ein Bezug zur Freizeitgestaltung also fernliegend. Dies wird dadurch bestätigt, dass in den zwischen Bund und Ländern vereinbarten „Leitlinien zum Kampf gegen die Corona-Epidemie“ vom 16. März 2020 (https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/telefonschaltkonferenz-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-15-april-2020-1744228) „Freizeiteinrichtungen“ und „Bildungseinrichtungen“ begrifflich unterschieden wurden.
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Auch „Museen“ und „Bibliotheken“ erfüllen zum ganz überwiegenden Teil jedenfalls nach ihrer jeweiligen Widmung gerade keinen Zweck, der vorrangig auf die Gestaltung der Freizeit gerichtet wäre, sondern in erster Linie eine bildungs- und/oder berufsbezogene Funktion (die letztlich auch maßgebend zur Rechtfertigung ihres Betriebs als i.d.R. öffentliche Einrichtungen und ihrer Finanzierung aus öffentlichen Mitteln beiträgt). Ebenso dienen die als weiteres Regelbeispiel genannten „Volkshochschulen“ zu einem erheblichen Teil gerade nicht der Freizeitgestaltung, sondern nehmen mit dem Angebot von Sprach-, Alphabetisierungs-, Grundbildungs- und Qualifikationskursen vielmehr einen essentiellen Bildungsauftrag wahr (vgl. nur https://www.volkshochschule.de/bildungspolitik/grundbildung/index.php). Die weiter als Regelbeispiel aufgeführten „Tagungs- und Veranstaltungsräume“ sind schon deshalb nur eingeschränkt mit einer freizeitbezogenen Zwecksetzung in Verbindung zu bringen, weil auch monofunktionale, ausschließlich zu Bildungszwecken oder in beruflichen Kontexten genutzte Veranstaltungsräume - wie etwa Konferenzräume und Besprechungssäle in Betrieben und Behörden - vom Wortlaut miterfasst werden. Soweit zudem ausdrücklich auch „Tagungsräume“ erwähnt werden, ist eine nicht-freizeitbezogene Zielrichtung sogar schon im Wortlaut angelegt, da Tagungen regelmäßig dem beruflichen Austausch dienen und nur ausnahmsweise - wenn überhaupt - zur Freizeitgestaltung besucht werden.
53
Schließlich dienen die ebenfalls genannten „Badeanstalten“ - jedenfalls in dieser Allgemeinheit - nicht nur oder deutlich überwiegend der Freizeitgestaltung ihrer Nutzer, sondern erfüllen als Orte des schulischen Schwimmunterrichts (je nach Art, Lage und Ausstattung des Bades sogar in einem erheblichen Umfang) vielmehr auch unmittelbar allgemeinbildende Zwecke. Vergleichbares gilt auch für die als Regelbeispiele aufgeführten „Sporthallen“ und „Sportplätze“, wobei insoweit noch hinzukommt, dass ein (wenn auch kleiner) Teil der Sporthallen und -plätze in Gestalt der Trainingsanlagen des Profisports eine ausschließlich berufsbezogene Zwecksetzung hat (und während der Geltungsdauer der angegriffenen Norm offenbar auch in diesem Sinn genutzt wurde, vgl. nur https://www.dw.com/de/so-trainiert-die-bundesliga-in-zeiten-des-coronavirus/a-53034461).
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(2) So wenig damit sämtliche Regelbeispiele des jeweiligen Satzes 2 nach herkömmlichem Begriffsverständnis dem Bereich der Freizeit zuzuordnen sind, so wenig lässt sich aus den aufgeführten Regelbeispielen - wie der Antragsgegner der Sache nach vertritt - ein eigenständiger Freizeitbegriff des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV und des § 4 Abs. 1 3. BayIfSMV ableiten und der Widerspruch zur Regelung des Satzes 1 der Norm damit auflösen. Die (nicht abschließende) Aufzählung von Regelbeispielen deckt eine Vielzahl äußerst heterogener Einrichtungstypen ab: Sie umfasst neben Einrichtungen, die vorrangig der Unterhaltung dienen (wie „Kinos“ und „Theater“) auch gastronomische Betriebe i.S.d. § 1 Abs. 1 GastG (wie „Clubs“, „Bars“ und „Diskotheken“, deren Betrieb i.ü. zusätzlich nach § 2 Abs. 2 Satz 1 2. BayIfSMV und § 4 Abs. 2 Satz 1 3. BayIfSMV untersagt war), Sportstätten (wie „Badeanstalten“, „Sporthallen“, „Sportplätze“, „Fitnessstudios“ und „Tanzschulen“), gesundheits- und erholungsbezogene Einrichtungen (wie „Saunaanstalten“, „Wellnesszentren“ und „Thermen“), Vergnügungsstätten i.S.d. § 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO (wie „Spielhallen“ und „Wettannahmestellen“); Einrichtungen der Kultur, Bildung und Wissenschaft („Museen“, „Bibliotheken“; „Musikschulen“, „Volkshochschulen), Beherbergungsbetriebe („Jugendherbergen“), schulische Einrichtungen („Schullandheime“), touristische Angebote („Stadtführungen“) und schließlich sonstige Gewerbebetriebe („Bordellbetriebe“), wobei einige Einrichtungstypen auch mehreren Kategorien zugerechnet werden können (wie z.B. „Clubs“ und „Diskotheken“). Ein abgrenzbarer, in sich schlüssiger Begriff der Einrichtungen, die der „Freizeitgestaltung“ dienen, lässt sich nach Auffassung des Senats angesichts der Heterogenität der Regelbeispiele und in Ermangelung eines spezifischen verbindenden Elements aus dieser Aufzählung nicht ableiten. Ungeachtet dessen, dass die überwiegende Zahl der genannten Regelbeispiele nach herkömmlichem Begriffsverständnis zumindest deutlich überwiegend der Freizeitgestaltung ihrer Nutzer dient, haben einige Regelbeispiele - wie oben gezeigt - keinen oder allenfalls einen eingeschränkten Freizeitbezug. Diese Regelbeispiele sind aber ihrerseits zu zahlreich und nach ihrer gewöhnlichen Nutzerzahl auch zu relevant, um als „Ausreißer“ ohne begriffsprägende Wirkung nicht ins Gewicht zu fallen. Die bloße Möglichkeit, in tatsächlicher Hinsicht (auch) zur Freizeitgestaltung genutzt zu werden, ist zwar keiner der beispielhaft genannten Einrichtungen abzusprechen, dürfte aber auch ansonsten nahezu ausnahmslos zu bejahen sein. Ein Merkmal, das auf nahezu jede Einrichtung zutrifft, ist zur begrifflichen Eingrenzung von vornherein ungeeignet.
55
cc) Insgesamt bleiben der Inhalt des Begriffs der „Freizeitgestaltung“ und der Anwendungsbereich der angegriffenen Norm damit letztlich unbestimmt. Der Verordnungsgeber überlässt es den Normadressaten, Vollzugsbehörden und Gerichten, den Inhalt der Norm zu bestimmen, was mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG nicht vereinbar ist.
56
Es lässt sich schon nicht in allen Einzelfällen anhand der Norm eindeutig beantworten, ob eine im Regelbeispielkatalog genannte Einrichtung vom Verbot erfasst wird (wie etwa bei den bereits o.g. Trainingshallen und -plätzen des Profisports, die offenbar auch während der Geltungszeit der Norm genutzt wurden. Ebenso wenig ist aber mit hinreichender Sicherheit zu ermitteln, ob eine nicht im Regelbeispielkatalog aufgeführte Einrichtung dennoch in den Anwendungsbereich der Norm fällt. So ist etwa nicht eindeutig zu beantworten, ob die - nicht im Regelbeispielkatalog aufgeführten - Botanischen Gärten als (unbenannte) Einrichtungen zur Freizeitgestaltung anzusehen wären: Einerseits sprechen die äußere Verwandtschaft mit den ausdrücklich genannten „Tierparks“ und die Möglichkeit ihrer Nutzung außerhalb eines bildungs- oder berufsbezogenen Kontextes dafür, dass sie ebenfalls vom Verbot erfasst sein sollten. Andererseits handelt es sich bei Botanischen Gärten, die in der Regel staatlichen Forschungsinstitutionen (z.B. der Botanische Garten München-Nymphenburg als Teil der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlung Bayerns, vgl. https://botmuc.snsb.de) oder Universitätsinstituten (z.B. der Botanische Garten der Universität Erlangen-Nürnberg, vgl. https://www.botanischer-garten.fau.de/) angegliedert sind, nach ihrer Zweckbestimmung um wissenschaftliche Einrichtungen, die grundlegende Funktionen für Forschung und Lehre erfüllen.
57
Ähnlich verhält es sich zumindest noch während der Geltungsdauer der 2. BayIfSMV mit öffentlichen Archiven, die einerseits eine starke äußere Verwandtschaft mit den als Regelbeispiel genannten Bibliotheken aufweisen, andererseits aber vorrangig amtlichen und wissenschaftlichen Zwecken dienen (vgl. Art. 4 und Art. 10 BayArchivG) und - mehr noch als Bibliotheken - allenfalls sporadisch zur Freizeitgestaltung genutzt werden dürften (dass durch § 6 Satz 3 3. BayIfSMV schließlich ein Öffnungsrecht für Hochschul- und Staatsbibliotheken und staatliche Archive ausdrücklich „abweichend von § 4 Abs. 1 Satz 1“ 3. BayIfSMV normiert wurde, belegt allerdings, dass der Verordnungsgeber diese Einrichtungen ungeachtet ihrer bildungs- und berufsbezogenen Zweckbestimmung offenbar grundsätzlich als vom Betriebsverbot nach § 4 Abs. 1 3. BayIfSMV erfasst angesehen haben muss).
58
Als nicht aufklärbar erweist sich aber beispielsweise auch, in welchem Umfang die Ausübung der (nicht aufsuchenden) Prostitution vom Anwendungsbereich der Norm erfasst wird. Der Regelbeispielkatalog nennt ausdrücklich nur die Untersagung von „Bordellbetrieben“, nicht hingegen den Betrieb von Prostitutionsstätten allgemein (§ 2 Abs. 4 ProstSchG), von Prostitutionsfahrzeugen (§ 2 Abs. 5 ProstSchG) oder Prostitutionsveranstaltungen (§ 2 Abs. 6 ProstSchG). Auch wenn diese aufgrund der jedenfalls bis zum Außerkrafttreten der 2. BayIfSMV noch zeitgleich geltenden Ausgangsbeschränkung nach § 5 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 3 Halbs. 2 2. BayIfSMV von Kunden nicht besucht werden durften, wären die Betreiber solcher Einrichtungen - weil insoweit weder Adressaten dieser Ausgangsbeschränkung noch für das Verhalten Dritter verantwortlich - grundsätzlich nicht gehindert gewesen, den Betrieb ihrer Einrichtungen aufrecht zu erhalten. Zwar spricht einerseits die beispielhafte Erwähnung von „Bordellbetrieben“ dafür, dass auch alle der Zweckbestimmung nach ähnlichen Betriebe untersagt werden sollten. Andererseits spricht die Verwendung des Begriffs „Bordellbetriebe“ anstelle des (weiteren) gesetzlichen Begriffs der Prostitutionsstätte dafür, dass nur bestimmte Arten von Prostitutionsstätten untersagt werden sollten. Da es - im Unterschied zu späteren Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen des Antragsgegners (vgl. zu § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV nur BayVGH, B.v. 24.7.2020 - 20 N 20.1611 - juris Rn. 4; B.v. 26.8.2020 - 20 CE 20.1806 - juris Rn. 16 ff.) - in der 2. BayIfSMV insoweit an systematischen oder teleologischen Anhaltspunkten für eine Auslegung des Wortlauts fehlt, ist die Reichweite der Norm auch insoweit nicht hinreichend bestimmt.
59
d) Soweit die angegriffenen Normen in Satz 3 noch eine gesonderte Untersagung von Reisebusreisen enthalten, stehen diese Regelungen nach ihrer systematischen Stellung in einem untrennbaren Zusammenhang mit der jeweils in Satz 1 geregelten Untersagung des Betriebs von Einrichtungen, die nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens, sondern der Freizeitgestaltung dienen und werden von der Rechtswidrigkeit dieser Grundnormen daher miterfasst.
60
3. Der Antragsgegner trägt gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
61
4. Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).