Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.11.2022 – 15 ZB 22.31008
Titel:

Darlegung der Diskriminierung wegen Volkszugehörigkeit

Normenkette:
AsylG § 3, § 3b Abs. 1 Nr. 4, § 3c, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
Leitsatz:
Die Behauptung der Verfolgung aus Gründen der Volkszugehörigkeit ist nicht substantiiert dargelegt, wenn die herangezogene Erkenntnisquelle lediglich auf die allgemeine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und die Zunahme der Arbeitslosigkeit hinweist, ohne eine besondere Betroffenheit der Volksgruppe zu erwähnen. (Rn. 3 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
jordanischer Staatsangehöriger mit palästinensischer Volkszugehörigkeit, Antrag auf Zulassung der Berufung (abgelehnt), grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (verneint), Betroffenheit, Anknüpfung, Volksgruppe
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 29.04.2022 – M 27 K 21.32810
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34029

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
1
Der Kläger ist jordanischer Staatsangehöriger und palästinensischer Volkszugehöriger. Er wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30. November 2021, mit dem seine Anträge auf Asylanerkennung sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes abgelehnt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und ihm die Abschiebung angedroht wurde. Mit Urteil vom 29. April 2022 wies das Verwaltungsgericht München die vom Kläger erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 30. November 2021 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft bzw. hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen gem. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordanien vorliegen, ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der vom Kläger allein geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
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Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2021 - 15 ZB 21.31689 - juris Rn. 4 m.w.N.; B.v. 16.3.2022 - 15 ZB 22.30278 - juris Rn. 17). Eine Grundsatzrüge, die sich auf tatsächliche Verhältnisse stützt, erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, sodass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (BayVGH, B.v. 16.3.2022 a.a.O.; SächsOVG, B.v. 15.9.2021 - 6 A 1078/19 A - juris Rn. 3 m.w.N.).
4
Der Kläger sieht die Frage als grundsätzlich an, ob allein schon seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Palästinenser dazu führt, dass er sich auf einen Flüchtlingsschutz nach Maßgabe von § 3 AsyIG berufen kann, weil womöglich schon aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe der Palästinenser von einer systematischen Diskriminierung bis hin zu einer Verfolgung in Jordanien auszugehen sei und weil sich die Situation für die in Jordanien lebenden Palästinenser aufgrund einer sich ausweitenden Wirtschaftskrise weiter verschlechtert habe resp. diese de facto keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hätten. Es gehe - so die Antragsbegründung - im Kern darum, festzustellen, dass er schon aufgrund seiner Zugehörigkeit zur palästinensischen Volksgruppe bei seiner Rückkehr systematisch diskriminiert sei und deshalb gar nicht in der Lage wäre, als Rückkehrer eine Arbeit zu finden. Diese Diskriminierung gehe nicht nur vom Staat aus, sondern sei im gesamten Land allgegenwärtig. Palästinenser würden in Jordanien - wie diverse Quellen von Amnesty International der letzten Jahre belegten - nach wie vor als Bürger zweiter Klasse behandelt und seien deshalb schutzlos den Aktivitäten der radikal-islamischen Gruppen ausgeliefert. Abgesehen vom täglichen Kampf ums Überleben erführen sie weiterhin tägliche Diskriminierung im öffentlichen Leben, vor allem in den Bereichen Gesundheit und Bildung, aber auch in anderen Bereichen, wie zum Beispiel Eigentum. Aufgrund der Diskriminierung lebten die meisten der 2,3 Millionen Palästinenser in Jordanien unter schwierigen sozial-ökonomischen Bedingungen. Am 14.Oktober 2019 habe das Arbeitsministerium die Anzahl der Berufe, in denen ausländische Staatsangehörige nicht tätig sein dürften, von 11 auf 39 erhöht. Zu dieser Gruppe gehörten auch Langzeitflüchtlinge aus Palästina. Seine Chancen, eine Arbeit zu finden, seien aufgrund seiner palästinensischen Volkszugehörigkeit quasi Null. Gerade bei der Stellensuche würden Palästinenser landesweit massiv diskriminiert. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verkenne diese Sachlage. Die Situation habe sich gerade in den letzten zwei bis drei Jahren aufgrund der Wirtschaftskrise noch einmal verschlechtert. Die in Jordanien wohnenden Palästinenser könnten am ökonomischen Leben nicht teilhaben.
5
Mit diesem Vortrag vermag der Kläger die Voraussetzungen für eine Berufungszulassung gem. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht den Erfordernissen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend darzulegen. Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils vom 29. April 2022 (UA S. 9) ausgeführt, dass der Kläger eine flüchtlingsrelevante Verfolgungsmaßnahme anknüpfend an seine palästinensische Volkszugehörigkeit nicht habe nachvollziehbar darlegen können. Dem hat die Antragsbegründung nichts Substantiiertes entgegengesetzt. Unabhängig von der Frage, ob Benachteiligungen von Palästinensern im Bereich des (privaten) Arbeitsmarkts am Maßstab von § 3c AsylG bzw. über die vom Kläger nicht nähert thematisierten Voraussetzungen des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG (hierzu vgl. z.B. BVerwG, U.v. 18.7.2006 - 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 = juris Rn. 20; U.v. 1.2.2007 - 1 C 24.06 - NVwZ 2007, 590 = juris Rn. 7; U.v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237 = juris Rn. 13; B.v. 17.9.2018 - 1 B 45.18 - juris Rn. 9 f.; B.v. 28.3.2019 - 1 B 7.19 - juris Rn. 9 ff.; B.v. 23.9.2019 - 1 B 54.19 - juris Rn. 7 f.; BayVGH, B.v. 6.4.2021 - 5 ZB 20.31360 - juris Rn. 9 ff.; B.v. 4.10.2022 - 15 ZB 22.30779 - juris Rn. 10) überhaupt (d.h. grundsätzlich) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen könnten (was hier offenbleiben kann), bleibt die vom Kläger behauptete „Verfolgung wegen seiner Volkszugehörigkeit“ (als Palästinenser) bzw. (insbes. arbeitsmarktbezogene) Diskriminierung aufgrund seiner palästinensischen Volkszugehörigkeit auch im Berufungszulassungsverfahren insbesondere deshalb unsubstantiiert, weil sich die Antragsbegründung mit dem auf Erkenntnisquellen (Auskunft des Auswärtigen Amts an das Bundesamt vom 17. Mai 2017; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jordanien vom 16.4.2020, Ziff. 16.1) gestützten tragenden Argument des Erstgerichts, dass der Kläger jedenfalls wegen seiner jordanischen S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t frei am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne und er deshalb auch keinen Beschränkungen unterliege (UA S. 9), nicht näher auseinandersetzt. Zudem findet sein Vortrag einer (Gruppen-) Verfolgung bzw. (Gruppen-) Diskriminierung palästinensischer Volkszugehöriger - insbesondere auch solcher mit jordanischer Staatsangehörigkeit - in den von ihm in Bezug genommenen Quellen von Amnesty International keine Stütze:
6
- Im aktuellen Landesreport „Jordanien 2021“ wird lediglich allgemein auf sich verschlechternde wirtschaftliche Bedingungen und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit verwiesen, ohne dass hierbei eine besondere Betroffenheit der Palästinenser erwähnt wird; das vom Verwaltungsgericht verneinte Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK wegen existenzieller Notlage (UA S. 9 f.; vgl. auch Seiten 7 ff. des streitgegenständlichen Bundesamtsbescheids vom 30. November 2021, die wegen § 77 Abs. 2 AsylG über die Inbezugnahme im Urteil vom 29. April 2022 - vgl. UA S. 5 - auch zum Inhalt der Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts wurden) wird vom Kläger in der Antragsbegründung weder substantiiert thematisiert noch mit einer Grundsatzfrage im o.g. Sinn verbunden.
7
- Im Amnesty-Jahresbericht „Jordanien 2019“ wird zwar erwähnt, dass das jordanische Arbeitsministerium die Anzahl der Berufe, in denen ausländische Staatsangehörige nicht tätig sein dürften, von 11 auf 39 erhöht habe, wobei „zu dieser Gruppe“ auch „Langzeitflüchtlinge aus Palästina ohne jordanische Staatsbürgerschaft, von denen die meisten aus dem Gazastreifen stammten“, gehörten. Auch hieraus ergibt sich allerdings kein Anhaltspunkt für eine Verfolgung des Klägers als Mitglied der Volksgruppe der Palästinenser. Zum einen knüpft die (zudem nur bestimmte Berufe betreffende) Regelung an die Staatsangehörigkeit und nicht an die Eigenschaft der palästinensischen Volkszugehörigkeit an. Zum anderen ist der Kläger hiervon schon von vornherein nicht betroffen, da er nach seinem eigenen Vortrag die jordanische Staatsangehörigkeit innehat. Ob ggf. die von der Regelung besonders betroffenen palästinensischen Langzeitflüchtlinge ohne jordanische Staatsangehörigkeit in Jordanien einer Gruppenverfolgung unterliegen könnten, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich.
8
- Im Bericht von Amnesty International „Jordanien 2017/2018“ wird berichtet, dass „Arbeitsmigranten“ nicht ausreichend gegen Ausbeutung und Misshandlung geschützt gewesen seien. Auch insofern ist nicht ersichtlich, dass und warum der Kläger als jordanischer Staatsangehöriger hiervon betroffen sein könnte.
9
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).