Titel:
Überschreiten des Kostenvorschusses für ein familienpsychologische Gutachten
Normenketten:
ZPO § 407a Abs. 4 S. 2
JVEG § 8a Abs. 4
Leitsätze:
Die Hinweispflicht des Sachverständigen gemäß § 407a Abs. 4 ZPO und die in § 8 a Abs. 3 JVEG vorgesehenen Folgen eines Verstoßes dagegen gelten auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, etwa in Kindschaftssachen. Soweit der Anwendungsbereich von § 407a Abs. 4 ZPO eröffnet ist, sieht das Gesetz diesbezüglich eine Differenzierung nicht vor (wie OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.06.2021 -18 W 86/21 = BeckRS 2021, 20979). (Rn. 10)
Der Gutachter hat, sobald er im Rahmen seiner Tätigkeit feststellt, die Vergütung werde deutlich über dem vorgegebenen Rahmen liegen, eine Mitteilung zu erstatten. Eine Nachricht erst nach Entstehung der Kosten ist demgegenüber sinnlos. (Rn. 7) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Sachverständiger, Gutachter, Kostenvorschuss, familienpsychologisches Gutachten
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 01.08.2022 – 526 F 4146/21
Fundstellen:
MDR 2023, 368
JurBüro 2023, 98
FamRZ 2023, 372
NJW-RR 2023, 293
LSK 2022, 33864
BeckRS 2022, 33864
Tenor
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Auf Anregung des Sozialreferats der Stadt M. legte das Amtsgericht am 29.04.2021 ein Verfahren zur Erörterung einer Kindeswohlgefährdung an (§ 157 FamFG); Hintergrund war ein offensichtlich eskalierter Konflikt zwischen den Eltern, bei dem es um Ausübung häuslicher Gewalt in Anwesenheit der Kinder, Streit hinsichtlich Unterhaltszahlungen sowie bezüglich der Umgangsregelung ging.
2
Das Gericht erließ am 26.05.2021 einen Beweisbeschluss, wonach ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten zu erholen ist. In Ziffer 6. dieses Beschlusses, auf den hinsichtlich der vom Gericht vorgegebenen Einzelheiten der Begutachtung Bezug genommen wird, ordnete das Gericht eine Kostengrenze in Höhe von € 3.000,00 an. Ebenfalls in Ziffer 6. heißt es: „Falls diese Grenze nicht einzuhalten ist, wird aufgegeben, das Gericht hiervon vorab zu benachrichtigen“. Mit der Begutachtung wurde der Diplom-Psychologe T. S. von der GWG beauftragt. Dieser erstellte in der Folgezeit sein Gutachten und legte es dem Gericht mit Schreiben vom 09.12.2021 vor; das Gutachten vom 08.12.2021 befasst sich ausführlich mit den vom Gericht gestellten Fragen und umfasst 134 Seiten.
3
Mit Schreiben vom 21.12.2021 wies der Gutachter darauf hin, wegen des außerordentlich hohen Aufwandes, der sich aus den Erfordernissen der Begutachtung ergeben habe, würden die Kosten sehr deutlich über dem gesetzten Kostenrahmen von 3.000,00 € liegen; auf die nähere Begründung wird Bezug genommen. Das Amtsgericht erließ hierauf am 28.12.2021 einen Beschluss, wonach der Beweisbeschluss vom 26.05.2021 in Ziffer 6. dahingehend modifiziert wird, dass die Kostengrenze „entsprechend des Schriftsatzes des Sachverständigen“, auf 10.500,00 € erhöht wird. Am 01.06.2022 nahm die zur Frage der Höhe der Sachverständigenvergütung angehörte Bezirksrevisorin zur Überschreitung der Kostengrenze Stellung: Sie verwies darauf, ein Sachverständiger habe gemäß § 407 a Abs. 4 Satz 2 ZPO rechtzeitig auf eine erhebliche Überschreitung des Auslagenvorschusses - hier der Kostengrenze - hinzuweisen. Bei einem Verstoß richteten sich die Folgen nach § 8 a Abs. 4 JVEG. Vorliegend hätten die Kosten die ursprünglich gesetzte Grenze erheblich, nämlich um 350 %, überschritten. Ein rechtzeitiger Hinweis des Sachverständigen, also ein solcher vor Entstehung der Kosten, sei nicht erfolgt. Angesichts des Zeitraums der Gutachtenserstellung, nämlich ca. 4 1/2 Monate, sei eine rechtzeitige vorherige Mitteilung über die voraussichtlichen Kosten in jedem Falle möglich gewesen. Namens der Staatskasse beantrage sie die Festsetzung der Vergütung auf € 3.000,00. Hierauf erließ das Amtsgericht München am 01.08.2022 einen Beschluss, wonach der Beschluss vom 28.12.2021 (Erhöhung der Kostengrenze) aufgehoben wurde. Gleichzeitig gab es dem Antrag der Bezirksrevisorin statt und setzte die Vergütung auf (nur) € 3.000,00 fest. Der Sachverständige habe die Überschreitung nicht rechtzeitig angezeigt und dieses Unterlassen auch im Sinne von § 8 a Abs. 5 JVEG zu vertreten.
4
Dagegen richtet sich dessen Beschwerde, mit der er u.a. geltend macht, bei einem derart geringen ursprünglichen Kostenrahmen (€ 3.000,00) sei die Überschreitung zu erwarten gewesen. Eine Anhörung der Kostenschuldner zu dem angefragten Rahmen wäre möglich gewesen. Zeitlicher Druck sei von ihm nicht ausgeübt, vielmehr die Kostennote erst am 19.04.2022 eingereicht worden, so dass die Anzeige nicht verspätet sei. Dem JVEG sei nicht zu entnehmen, wann der Sachverständige um Erhöhung des Kostenrahmens anfragen solle.
5
Nachdem nunmehr seit dem Jahre 2013 geltenden Recht, nämlich §§ 8 a Abs. 4 JVEG i.V.m. 407 a Abs. 4 Satz 2 ZPO, kann die Beschwerde keinen Erfolg haben:
6
1. Sowohl in § 407 a Abs. 4 Satz 2 ZPO wie auch in § 8 a Abs. 4 JVEG geht das Gesetz ausdrücklich davon aus, der Sachverständige habe „rechtzeitig“ auf ein erhebliches Überschreiten des Kostenvorschusses hinzuweisen. In dem Beweisbeschluss vom 26.05.2021 wird dem Gutachter überdies aufgegeben, in diesem Falle das Gericht „vorab“ zu benachrichtigen.
7
a) Es kommt dabei nicht darauf an, wann die Kostennote eingereicht wird. Vielmehr meint das Gesetz unmissverständlich, der Sachverständige habe vor einem Auflaufen von Kosten, die einen bestimmten vorgegebenen Rahmen erheblich überschreiten, hierauf hinzuweisen; „rechtzeitig“ bzw. „vorab“ bedeutet, dass der Gutachter, sobald er im Rahmen seiner Tätigkeit feststellt, die Vergütung werde deutlich über dem vorgegebenen Rahmen liegen, eine Mitteilung erstattet. Eine Nachricht erst nach Entstehung der Kosten, wenn also weder Gericht noch Parteien eine Möglichkeit haben, deren Entstehung zu verhindern bzw. zu verringern, ist demgegenüber sinnlos.
8
b) Soweit in der Beschwerdebegründung ausgeführt wird, „bei einem so geringen ursprünglichen Kostenrahmen“ sei die Erhöhung „nicht anders zu erwarten gewesen“, wird übersehen, dass der Gesetzgeber diese Feststellung auf den Sachverständigen übertragen hat. § 407 a Abs. 4 Satz 2 ZPO sieht einen rechtzeitigen Hinweis vor, spricht indes nicht etwa von einer gerichtlichen Ermittlungspflicht oder der Möglichkeit, die Berechtigung einer überhöhten Vergütung gewissermaßen mit einem „Mitverschulden“ des Gerichts zu begründen. Dem sachkundigen Gutachter, der den Aufwand am besten abschätzen kann, ist das auch zumutbar.
9
2. Nach der gesetzlichen Neufassung im Jahre 2013 kommt es nicht mehr darauf an, ob Gericht oder Parteien eine Fortsetzung der Begutachtung auch dann gewünscht hätten, wenn die deutliche Überschreitung des Kostenrahmens bekannt gewesen wäre (ausführliche Nachweise etwa bei Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG-FamGKG-JVEG, 5. Aufl., § 8 a JVEG Rn. 23; dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Senats, s. zuletzt etwa Beschluss vom 27.05.2022 - 11 W 239/22, unter II. 1. d); Beschluss vom 15.09.2021 - 11 W 1173/21, unter II. 1. d); Beschluss vom 22.04.2020 - 11 W 735/20, unter II. 1. E; ebenso zuletzt OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.11.2021 - 12 W 33/21 Tz 5 ff.).
10
3. § 407 a ZPO, der hier über § 30 Abs. 1 FamFG Anwendung findet, gilt, ebenso wie § 8 a JVEG, auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, so dass der Umstand nichts ändert, dass es sich hier um eine Kindschaftssache handelt (s. etwa Jahnke/Pflüger, JVEG, 28. Aufl., § 8 a JVEG Rn. 31; OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.06.2021 - 18 W 86/21 Tz 12, 17). Gutachten werden insoweit zwar von Amts wegen erholt, weshalb eventuelle Möglichkeiten der Parteien, bei rechtzeitiger Kenntnis vom Anfall deutlich höherer als der erwarteten Kosten eine vergleichsweise Einigung herbeizuführen, geringer sein mögen als im Bereich der Dispositionsmaxime.
11
Andererseits sieht das Gesetz keinerlei Einschränkung in dieser Hinsicht vor: Der Wortlaut des § 8 a Abs. 4 JVEG ist eindeutig, eine Herausnahme etwa von Kindschaftssachen wäre Sache des Gesetzgebers. Überdies ging es im vorliegenden Verfahren nicht nur um Kindeswohlgefährdung, sondern auch - damit letztlich in Verbindung stehend - um Streit über Unterhaltszahlungen und eine Umgangsregelung. Hätte der Sachverständige rechtzeitig, nämlich vor Entstehung der deutlich überhöhten Kosten, auf diesen Faktor hingewiesen, wäre die Annahme nicht fernliegend, dass die Parteien sich beispielsweise hinsichtlich der Umgangsregelung geeinigt oder aber ihr Verhalten dahingehend geändert hätten, dass die im Raum stehende Kindeswohlgefährdung verringert worden wäre. Insoweit bedarf es jedoch angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts keiner Spekulationen. Ein Hinweis vorab, wie vom Gericht ausdrücklich erbeten, wäre allemal zweckmäßig gewesen.
12
4. Ein Verschulden des Gutachters hinsichtlich des Unterlassens eines rechtzeitigen Hinweises wird vom Gesetz vermutet, § 8 a Abs. 5 JVEG. Anhaltspunkte, die der diesbezüglichen Annahme entgegenstehen würden, sind hier nicht erkennbar. Das Amtsgericht hat in dem Beweisbeschluss vom 26.05.2021 deutlich aufgegeben, im Falle einer Überschreitung des Kostenrahmens das Gericht vorab zu benachrichtigen. Der Sachverständige hat im Übrigen diese, nunmehr seit etlichen Jahren bestehende gesetzlich vorgegebene Pflicht zu kennen und ist auch gehalten, die Akte nach dem Gegenstandswert durchzusehen und in Zweifelsfällen mit dem Gericht Rücksprache zu halten oder - rechtzeitig - eine andere Wertfestsetzung anzuregen (s. auch OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.06.2021, a.a.O., Tz 14).
13
5. Entgegen einer vor Einführung des § 8 a JVEG teilweise vertretenen Auffassung ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut die Kappung auf den Betrag des Vorschusses, bzw. hier, der Kostengrenze, vorzunehmen, ohne eine Art von „Sicherheitsaufschlag“. Für eine Einschränkung in dieser Hinsicht fehlen sowohl Notwendigkeit wie auch die rechtlichen Voraussetzungen (s. Senatsbeschluss vom 27.05.2022, a.a.O., unter II. 2.).
14
6. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).