Titel:
Verjährung von Ansprüchen gegen Audi wegen des entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motors (hier: Audi Q7 3.0 TDI, V6)
Normenketten:
BGB § 826
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; BeckRS 2022, 21374; OLG Bamberg BeckRS 2022, 33515; OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 43408; OLG München BeckRS 2022, 18804; BeckRS 2022, 18875; BeckRS 2022, 28198; BeckRS 2022, 34469; BeckRS 2021, 52024; BeckRS 2022, 21228; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 21211; LG Bamberg BeckRS 2022, 29502; LG Kempten BeckRS 2022, 28679; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 30355; OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Eventuelle Schadensersatzansprüche des Käufers im Zusammenhang mit einem 3,0 Liter-V6-Motor sind bei einer Klageerhebung im Jahr 2022 verjährt, wenn der Käufer neben der Kenntnis von dem Dieselskandal im Allgemeinen, bereits ab Mitte 2017 über die Betroffenheit von Fahrzeugen der Beklagten, welche mit einem V6-Dieselmotor ausgestattet sind, und ab Januar 2018 über den Erlass eines verbindlichen Rückrufs hinsichtlich seines konkreten Fahrzeugtyps in Kenntnis war Bestätigung von LG Memmingen BeckRS 2022, 34976). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Anspruch des Käufers eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs auf "kleinen" Schadensersatz besteht nicht, wenn die Summe aus Nutzungsentschädigung und geschätztem Restwert den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags in einem Maße übersteigt, dass der vom Käufer geltend gemachte Minderwert hierdurch vollständig aufgezehrt wird. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, Audi, sittenwidrig, unzulässige Abschalteinrichtung, Verjährung, "kleiner" Schadensersatz, Vorteilsausgleichung, Minderwert, Restwert
Vorinstanz:
LG Memmingen, Endurteil vom 05.09.2022 – 25 O 2108/21
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 30.11.2022 – 24 U 5871/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 33861
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 05.09.2022, Az. 25 O 2108/21, durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises. Mit einer Verlängerung der Frist zur Stellungnahme kann nicht gerechnet werden.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger behauptet, er habe am 16.06.2015 von Herrn … einen Gebrauchtwagen Audi Q7 3.0 TDI/V6-Turbodieselmotor 176 kW (Erstzulassung 21.12.2010) mit einer Laufleistung von 150.000 km zum Kaufpreis von 19.000 € erworben. Das Fahrzeug ist von einem amtlichen Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts wegen Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Es hatte am 04.07.2022 eine Laufleistung von 219.331 km.
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Der Kläger macht geltend, bei seinem Fahrzeug kämen unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz. Er nahm die Beklagte vor dem Landgericht Memmingen im Hauptantrag auf Zahlung von 4.750 € (Wertminderung in Höhe von mindestens 25 % des Kaufpreises) in Anspruch. Mit dem angegriffenen Urteil vom 05.09.2022 wies das Landgericht die Klage ab. Der Kläger hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Er verfolgt die ursprünglichen Klageanträge weiter, geht nunmehr allerdings wohl davon aus, dass 25 % von 19.000 € einen Betrag von 8.897,25 € ergeben.
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Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
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1. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers verjährt wäre. Auf die Begründung des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen. Ob neben einem Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB - wie der Kläger annimmt - auch ein solcher aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einer drittschützenden Norm in Betracht kommt, ist unerheblich, da auch dieser Anspruch verjährt wäre.
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2. Selbst wenn man - entgegen der Auffassung des Senats - eine Verjährung des Schadensersatzanspruchs verneinen wollte, würde dies der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen:
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a) Der Kläger macht mit seiner Klage den sog. „kleinen“ Schadensersatzanspruch geltend. Wie der Bundesgerichtshof entschieden hat, steht es dem geschädigten Käufer frei, statt des „großen“ Schadensersatzes (Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Wert der aus dem Auto gezogenen Nutzungen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Autos) den sogenannten „kleinen“ Schadensersatz zu wählen, wobei er das Auto behält und als Schaden den Betrag ersetzt verlangt, „um den er den Kaufgegenstand - gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung - zu teuer erworben hat“ (BGH vom 06.07.2021 - VI ZR 40/20 - juris Rn. 15). „Maßgeblich für die Bemessung dieses ‚kleinen Schadensersatzes‘ ist grundsätzlich der Vergleich der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses […]“ (BGH, a.a.O., juris Rn. 16).
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Jedoch schließt diese grundsätzliche Maßgeblichkeit des Vergleichs „der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses […] eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände im Rahmen der Vorteilsausgleichung nicht aus“ (BGH, a.a.O., juris Rn. 23). Zu dieser Vorteilsausgleichung hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 24.01.2022 (Via ZR 100/21 - juris Rn. 19 bis 22) Folgendes ausgeführt:
„Kaufpreiszahlung und Gesamtnutzung stehen sich ‚kongruent‘ und daher anrechenbar gegenüber; sie sind bei wertender Betrachtung gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden, wenn der Käufer den großen Schadensersatzanspruch geltend macht […] Gleiches gilt für einen (Rest-)Wert des Fahrzeugs, der in einem inneren Zusammenhang mit dem Schaden steht […]
Nichts anderes gilt bei wertender Betrachtung für den kleinen Schadensersatzanspruch. Dass der Geschädigte in diesem Fall, anders als im Falle der Geltendmachung des großen Schadensersatzes, nicht einen ungünstigen Vertrag rückabwickeln, sondern die Differenz zwischen dem Wert seiner Leistung und der Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses liquidieren will, ändert an der Rechnungseinheit zwischen einerseits dem von ihm gezahlten Kaufpreis und andererseits dem Nutzungswert und tatsächlichen Restwert des Kraftfahrzeugs nichts. Denn bei der Bemessung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist insbesondere das Risiko der Betriebsuntersagung oder -beschränkung einzubeziehen. Hat sich dieses wertbestimmende Risiko bis zum Ende der Gesamtlaufzeit des Fahrzeugs nicht verwirklicht, muss dieser Umstand im Wege der Vorteilsausgleichung Berücksichtigung finden […]
Allerdings sind Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs auf den Anspruch auf kleinen Schadensersatz erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen.“
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b) Geht man im vorliegenden Fall - wie der Kläger - davon aus, dass sich der Minderwert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Kaufs wegen der behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtung auf 25 % des Kaufpreises belief, so ergeben sich (im Zeitpunkt des Kaufs) ein tatsächlicher Fahrzeugwert von 14.250 € und ein Minderwert von 4.750 €. (Der Senat geht davon aus, dass der in der Berufungsbegründung angegebene Minderwert von 8.897,25 € auf einem Rechen- oder Schreibfehler beruht.)
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Die in Ansatz zu bringende Nutzungsentschädigung beträgt 13.172,89 € (69.331 km/100.000 km multipliziert mit 19.000 €).
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Den aktuellen Restwert des Fahrzeugs schätzt der Senat auf mindestens 13.000 € (vgl. Fahrzeugwert nach DAT-Schätzung; das Schätz-Portal ist im Internet kostenfrei verfügbar.)
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Die Summe aus Nutzungsentschädigung und geschätztem Restwert (26.172,89 €) übersteigt den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags um 11.922,89 €. Der vom Kläger geltend gemachte Minderwert (4.750 €) würde hierdurch vollständig aufgezehrt
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Die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos im Verfahren C-100/21 ändern hieran nichts. Der Generalanwalt hat sich mit den Einzelheiten der Schadensberechnung im deutschen Recht und insbesondere mit der Berechnung des sog. „kleinen Schadensersatzanspruchs“ nicht auseinandergesetzt. Zudem ist der EuGH ist weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden.
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3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Voraussetzungen für die Verjährung des Schadensersatzanspruchs in Dieselfällen und die Berechnung des kleinen Schadensersatzanspruchs sind nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).