Titel:
Zum "Hakenrisiko" bei überhöhten Abschleppkosten
Normenkette:
StVO § 8, § 9 Abs. 5
Leitsätze:
1. Bei einem Wenden nach Einfahren auf die bevorrechtigte Straße ist eine Haftung von 80% angemessen. (Rn. 17 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird die Höhe der Mietwagenkosten nicht dargetan, erfolgt eine Schätzung nach dem Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2020 des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation. (Rn. 37 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Unfallgeschädigte darf darauf vertrauen, dass das Abschleppunternehmen nicht betrügerisch Werkleistungen in Rechnung stellt, die gar nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht notwendigerweise erbracht wurden, da er in der Regel keine Möglichkeit hat, die Vorgänge selbst zu kontrollieren. Mithin ist vom Geschädigten auch nicht zu erwarten, dass er jede Rechnungsposition hinterfragt und sich belegen lässt. Auch unnötige Mehraufwendungen beim Abschleppen sind daher grundsätzlich erstattungsfähig ("Hakenrisiko"). (Rn. 51 – 54) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wenden, Hakenrisiko, Mietwagenkosten, Fraunhofer
Fundstelle:
BeckRS 2022, 33476
Tenor
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.325,21 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.12.2020 sowie weitere 156,29 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.11.2021 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 42 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 58 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
4. Der Streitwert wird auf 3.987,99 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 19.9.2020 auf der Staatsstraße 2116 bei der Einmündung ST 73.
2
Beteiligt an dem Verkehrsunfall war der im Eigentum des Klägers stehende Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen …, bei dem Unfall gefahren von dem Zeugen … (im Folgenden „Klägerfahrzeug“), sowie der Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen …, bei dem Unfall gefahren von dem Beklagten zu 1) und haftpflichtversichert bei der Beklagten zu 2) (im Folgenden „Beklagtenfahrzeug“).
3
Das Klägerfahrzeug befuhr die Staatsstraße St 2116. Das Beklagtenfahrzeug fuhr auf diese von der Kreisstraße PA 73 vor dem Klägerfahrzeug ein und wendete sodann. Es kam zur Kollision mit dem Klägerfahrzeug, das nach der Einfahrt des Beklagtenfahrzeugs auf die Gegenfahrbahn gefahren war.
4
Der Kläger behauptet, das Klägerfahrzeug habe nach links ausweichen müssen, nachdem das Beklagtenfahrzeug die Vorfahrt des Klägerfahrzeugs missachtet hatte. Zur Kollision sei es sodann durch das abrupte Wendemanöver des Beklagtenfahrzeugs an einer Stelle mit durchgezogener Mittellinie gekommen.
5
Der Kläger macht folgende Schäden geltend:
Wiederbeschaffungsaufwand: EUR 3.538,00
Sachverständigenkosten: EUR 783,00
Mietwagen kosten: EUR 812,00
Nutzungsausfall (11 Tage): EUR 550,00
Abschleppkosten: EUR 1.766,10
An- und Abmeldekosten: EUR 85,00
Auslagenpauschale: EUR 25,00
6
Hierauf hat die Beklagtenseite vorgerichtlich EUR 4.127,91 bezahlt. Die Differenz ist Gegenstand des Verfahrens.
7
Daneben macht der Kläger weitere außergerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger EUR 3.987,99 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank hieraus seit 9.12.2020, sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von EUR 314,09 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
9
Die Beklagten beantragen:
10
Die Beklagten behaupten, dass das Beklagtenfahrzeug von der Kreisstraße auf die Staatsstraße abgebogen sei, sei kein unfallrelevanter Beitrag gewesen, da es auf der Staatsstraße noch 50 m gefahren sei, bevor es gewendet habe. Die Beklagten sind ferner der Ansicht, dass der Unfall durch die Klägerseite mitverschuldet worden sei, da der Fahrer des Klägerfahrzeugs in einer unklaren Verkehrslage und trotz Überholverbots versucht habe, das Beklagtenfahrzeug links zu überholen.
11
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche mündliche Einvernahme der Zeugen … und H. sowie durch uneidliche schriftliche Einvernahme des Zeugen … und Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. ….
12
Der Beklagte zu 1) wurde informatorisch angehört.
13
Zur Ergänzung wird verwiesen auf das Protokoll der Verhandlung vom 17.1.2022, die schriftliche Zeugenaussage des Zeugen … vom 14.2.2022, auf das Sachverständigengutachten und auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie auf die übrigen Aktenbestandteile.
14
Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
15
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten einen weiteren Schadensersatzanspruch aus dem streitgegenständlichen Unfall in Höhe von EUR 2.325,21 aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PfIVG.
16
Dem liegt die eine Haftungsverteilung von 20:80 zulasten der Beklagtenseite für die Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfall zugrunde.
17
Da der Schaden durch mehrere Fahrzeuge verursacht worden ist, hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge dürfen jedoch nur solche Umstände in die Erwägung mit einfließen, die als unfallursächlich feststehen, d.h. entweder unstreitig oder erwiesen sind. Diese Abwägung führt zu der genannten Haftungsquote für die Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfall.
18
1. Gegen die Beklagtenseite spricht zunächst der Anscheinsbeweis gegen den Wendenden aus § 9 Abs. 5 StVO, denn der Unfall hat sich unstreitig beim Wendemanöver des Beklagtenfahrzeugs ereignet.
19
§ 9 Abs. 5 StVO schreibt vor, dass derjenige, der wendet, sich so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Kommt es - wie hier - im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem derartigen Fahrmanöver zu einer Kollision, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Fahrzeugführer diesen Sorgfaltsanforderungen gerade nicht ausreichend nachgekommen ist.
20
2. Gegen die Beklagtenseite spricht des Weiteren der Anscheinsbeweis gegen denjenigen, der die Vorfahrt nicht geachtet hat.
21
Gemäß § 8 StVO darf derjenige, der in eine vorfahrtsberechtigte Straße einfährt nur weiterfahren, wenn er übersehen kann, dass er denjenigen der die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert. Der Wartepflichtige hat den Anschein schuldhafter Vorfahrtspflichtverletzung gegen sich. Das LG München hat im Urteil vom 15.09.2011, 19 S 11456/11, festgestellt:
„Selbst wenn das klägerische Fahrzeug die bevorrechtigte Straße ein bis zwei Autolängen befahren haben sollte reicht dies nicht aus, um einen abgeschlossenen Rechtsabbiegevorgang in die vorfahrtsberechtigte Straße anzunehmen. Hierfür wäre mindestens 30 Meter Voraussetzung.“
22
Auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das Beklagtenfahrzeug seinen Abbiegevorgang in diesem Sinne noch nicht abgeschlossen hatte, als es zur Kollision kam.
23
Der Beklagte zu 1) hat in seiner informatorischen Anhörung u.a. angegeben, dass er zum Einkaufen fahren wollte und nach dem Abbiegen festgestellt habe, dass er falsch sei. Deshalb habe er wenden wollen. Die Stelle sei gut einsehbar gewesen, so dass er den Wendevorgang eingeleitet habe. Dann habe es auch schon geknallt. Er habe sich bei dem Unfall zwischen den Spuren befunden. Er habe vor dem Abbiegen nach rechts und links gesehen und kein Fahrzeug erblickt. Mit dem Wendemanöver habe er 50-100 m später begonnen. Ob er davor in den Spiegel gesehen oder einen Schulterblick durchgeführt habe, wisse er nicht mehr genau. Seine Geschwindigkeit schätze er auf circa 20-30 km/h.
24
Der Zeuge …, Fahrer des Klägerfahrzeugs, hat bei seiner uneidlichen Vernehmung u.a. angegeben, dass er nach links ausgewichen sei und gebremst habe, als das Beklagtenfahrzeug auf einmal von links eingefahren sei. In welchem Abstand er es erstmals gesehen habe, könne er nicht mehr genau sagen. Seine eigene Geschwindigkeit schätze er auf circa 80-90 km/h. Der Wendevorgang des Beklagtenfahrzeugs habe direkt hinter der Kreuzung stattgefunden. Ob das Beklagtenfahrzeug zuvor geblinkt habe und wo genau der Unfall stattgefunden habe, könne der Zeuge nicht mehr sagen.
25
Die Zeugin …, Beifahrerin im Klägerfahrzeug, hat in ihrer uneidlichen Vernehmung u.a. angegeben, dass ihr Freund ausgewichen sei, als das Beklagtenfahrzeug von links gekommen sei. Sie seien circa 80 km/h gefahren. Wann sie das Beklagtenfahrzeug zum ersten Mal gesehen habe, könne die Zeugin nicht mehr genau sagen. Sie glaube eher nicht, dass das Beklagtenfahrzeug geblinkt habe.
26
Der Zeuge …, der zum Unfallort gerufene Polizeibeamte, hat in seiner schriftlichen uneidlichen Vernehmung angegeben, dass es sich um eine Angabe des Beklagten zu 1) gehandelt habe, dass dieser circa 50 m auf der S.straße gefahren sei, bis es zur Kollision gekommen sei. Vermessungen vor Ort haben nicht stattgefunden.
27
Der gerichtlich bestellte Sachverständige gelangte in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass es im Bereich der Gegenfahrspur zur Kollision gekommen sei, während das Klägerfahrzeug äußerst links orientiert gefahren sei und das Beklagtenfahrzeug von rechts nach links. Die Kollisionsgeschwindigkeit des Klägerfahrzeugs habe etwa 75 km/h betragen, die des Beklagtenfahrzeugs etwa 25 km/h. Das Beklagtenfahrzeug habe zum Kollisionszeitpunkt eine Wegstrecke im Bereich der Staatsstraße in einer Bogenfahrt von ca. 30 m zurückgelegt. Eine vollständige Einordnungssituation bzw. längere Fahrstrecken in längsachenparalleler Ausrichtung auf den Richtungsfahrstreifen ergebe sich aus technischer Sicht nicht. Für die Beklagtenseite ergebe sich die Vermeidbarkeit des Unfalls, wenn vor bzw. während der Einfahrsituation in die Staatsstraße bzw. zumindest vor der finalen Einfahrt in den Richtungsfahrstreifen der Klägerseite die Verkehrssituation auf der Staatsstraße nach rechts geprüft worden wäre. Das Klägerfahrzeug wäre in Annäherung erkennbar gewesen. Ferner würde sich die Vermeidbarkeit für die Beklagtenseite ergeben, wenn vor der finalen Fahrsituation von rechts nach links bzw. vor der Einleitung des Wendevorgangs der rückwärtige Verkehrsraum geprüft worden wäre. Auch hier wäre das Klägerfahrzeug schwerpunktbezogen links in Annäherung erkennbar gewesen. Die Vermeidbarkeit für die Klägerseite würde sich ergeben, wenn auf die Einfahrsituation des Beklagtenfahrzeugs durch eine stärkere Abbremsung reagiert worden wäre. Der Klägerseite wäre es möglich gewesen, das Geschwindigkeitsniveau anzupassen bzw. hinter dem einfahrenden Beklagtenfahrzeug zurückzubleiben. Die hier vorliegende Kollisionssituation wäre plausibel dadurch zu erklären, dass die Klägerseite keine deutliche Geschwindigkeitsreduzierung in Annäherung durchführte und eine gezielte Fahrbewegung nach links zum Vorbeifahren am einfahrenden Beklagtenfahrzeug durchführte. Die dargestellte Kollisionssituation sei nicht widerspruchsfrei durch eine Ausweichbewegung auf eine Fahrsituation des Beklagtenfahrzeugs von rechts nach links in den eingeleiteten Wendevorgang zu erklären.
28
Das Gericht hat keinerlei Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen oder an der Richtigkeit seines Gutachtens. Einwände wurden gegen das Gutachten nicht erhoben.
29
Das Gericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme den Sachverständigenausführungen folgend davon überzeugt, dass das Beklagtenfahrzeug erst eine Bogenfahrt von circa 30 m zurückgelegt hat. Der Einfahrtvorgang war damit noch nicht abgeschlossen. Es liegt hier folglich auch noch ein kausaler Vorfahrtsverstoß der Beklagtenseite vor.
30
3. Die Anscheinsbeweise gegen die Beklagtenseite sind hier auch nicht dergestalt erschüttert, dass der Klägerseite ein Verschulden an dem Unfall anzulasten ist. Zwar hätte der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs hier statt mit unverminderter Geschwindigkeit auf die Gegenfahrbahn zu fahren, auch die Geschwindigkeit verringern und hinter dem Beklagtenfahrzeug zurückbleiben und so die Kollision verhindern können laut den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen. Allerdings sieht das Gericht hierin noch nicht die Schwelle zu einem fahrlässigen Verhalten überschritten. Der Fahrer des Klägerfahrzeugs musste nicht damit rechnen, dass der Beklagte zu 1) direkt nach seinem Vorfahrtsverstoß auch noch ein Wendemanöver ohne ausreichende Rückschau vornimmt. Insofern war die Verkehrssituation auch nicht unklar. Es gab nach dem Vorfahrtsverstoß der Beklagtenseite keinerlei Anzeichen für den Fahrer des Klägerfahrzeugs, dass das Beklagtenfahrzeug auch noch wenden werde. Weder konnte hier zur Überzeugung des Gerichts ein entsprechendes Blinken des Beklagtenfahrzeugs noch irgendwelche anderen Anzeichen hierfür festgestellt werden.
31
4. Das Gericht ist jedoch im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 2 StVG trotz der massiven Verstöße der Beklagtenseite und dem zweifachen Anscheinsbeweis der Ansicht, dass die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs hier nicht ganz zurückzutreten hat. Ein Idealfahrer hätte in Anbetracht der langsamen Einfahrt des Beklagtenfahrzeugs unter Verstoß gegen die Vorfahrtsregeln abgebremst und wäre hinter dem Beklagtenfahrzeug zurückgeblieben, bis dieses den Abbiegevorgang im obigen Sinne abgeschlossen hätte. Das Gericht erachtet daher hier eine Haftungsverteilung von 20:80 für angemessen.
32
Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch in Höhe von weiteren EUR 2.325,21 zu.
1. Wiederbeschaffungsaufwand, Gutachterkosten und Unkostenpauschale
33
Da klägerseits das Restwertangebot der Beklagtenseite in Höhe von EUR 362,00 zugrunde gelegt wurde, waren der Wiederbeschaffungsaufwand, die Gutachterkosten und die Unkostenpauschale der Höhe nach unstreitig, so dass der Kläger hier EUR 3.538,00, EUR 783,00 und EUR 25,00 ansetzen konnte.
34
Das Gericht geht auch bzgl. aller drei Posten von der Aktivlegitimation des Klägers aus. Das Gericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme und der Angaben des Zeugen …, dass sein Vater Eigentümer des Fahrzeugs war, aber er es nutzte, zunächst davon überzeugt, dass der Kläger Eigentümer des Klägerfahrzeugs war und er damit für den Wiederbeschaffungsaufwand aktivlegitimiert ist. Für die Unkostenpauschale ist er unstreitig aktivlegitimiert. Bzgl. der Sachverständigenkosten liegt eine Abtretungserklärung des Zeugen … vor, die sein Vater auch angenommen hat (vgl. Anlage K9).
35
Grundsätzlich kann der Geschädigte bei einem Verkehrsunfall unter bestimmten Voraussetzungen auch die Kosten für einen Mietwagen ersetzt verlangen. Die Mietwagenkosten gehören zu dem Herstellungsaufwand, den der Schädiger nach § 249 BGB zu ersetzen hat, wenn der Geschädigte diesen Weg der Schadensbeseitigung wählt. Allerdings ist ein Ersatz nur insoweit zu leisten, als der Betrag zur Herstellung objektiv erforderlich ist oder war. Als erforderlich sind diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde. Dabei ist auch der Rechtsgedanke des § 254 BGB anzuwenden. Die Verpflichtung des Geschädigten, den Schaden möglichst gering zu halten, bildet eine immanente Schranke für die Höhe der zur Schadensbeseitigung erforderlichen Kosten.
36
Auch bzgl. dieses Postens ist der Kläger - zumindest über die Abtretung der Ansprüche des Zeugen, wenn man nicht ohnehin davon ausgeht, dass der Kläger aufgrund der internen Absprache verpflichtet war, dem Zeugen ein Fahrzeug zur Verfügung zu stellen - aktivlegitimiert.
37
Der Kläger hat vorliegend noch nicht einmal behauptet, dass er oder der Zeuge sich tatsächlich nach günstigeren Mietwagenangeboten erkundigt hätten und hierbei keine preiswerteren Angebote finden konnten oder aus welchen besonderen Umständen sie hierzu nicht in der Lage gewesen wären. Die Klageseite hat nur vorgetragen, es sei ein Mietwagen vom 19.9.2020 bis zum 2.10.2020 angemietet worden. Dies ist nach Auffassung des Gerichts nicht ausreichend.
38
Insoweit handelt es sich um einen Sachvortrag zur Schadenshöhe, für welchen der Kläger darlegungs- und beweispflichtig ist (BGH NZV 2008, 339, LG München I, Urteil vom 08.02.2013, 17 S 9069/10).
39
Da die Erforderlichkeit der geltend gemachten Mietwagenkosten vom Kläger nicht dargelegt und bewiesen wurden, waren die erforderlichen Kosten durch das Gericht nach § 287 ZPO zu schätzen.
40
Das Gericht legt seiner Entscheidung den Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2020 des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation zugrunde (vgl. dazu z.B. auch OLG München; Schlussurteil vom 25.07.2008, 10 U 2539/08 das Gericht hält auch die Fortführung des Marktpreisspiegels 2010 für eine angemessene Schätzgrundlage). Dieser Mietpreisspiegel wurde an Hand einer der realen Anmietsituation nahekommenden Befragung aufgestellt, weil die befragten Firmen anders als etwa bei der Erstellung der Schwacke-Liste nicht wussten, dass ihre Antworten zur Grundlage einer Marktuntersuchung über die Höhe der Mietwagentarife gemacht wurden. Zwar sind die Durchschnittspreise dieser Studie niedriger als nach der Schwacke-Liste inklusive Vollkaskowerten. Da die Preise der Schwacke-Liste aufgrund einer Selbstauskunft der Mietwagenvermieter in Kenntnis, dass die Angaben zur Grundlage einer Marktuntersuchung gemacht werden, erfolgten, während das Ergebnis des Preisspiegels des Fraunhofer-Instituts auf einer anonymen Befragung im Rahmen eines typischen Anmietszenarios beruht, legt das Gericht die Preise zugrunde, wie sie sich nach der Studie des Fraunhofer-Instituts ergeben (vgl. auch OLG München a.a.O.; ebenso z.B. OLG Hamburg, Az.: 14 U 175/08 ebenso z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.03.2015, Az I-1 U 42/14) die Anwendung der Fraunhofer-Liste als geeignete Schätzgrundlage wurde z.B. auch bestätigt durch das LG München I,. Urteil vom 30.09.2011, 17 S 31120/10.
41
Das Klägerfahrzeug ist ein Volvo S und fällt grundsätzlich in die Fahrzeugklasse 8.
42
Nach der „Fraunhofer-Liste“ (Schwacke-Klassifikation, Internetbefragung im einstelligen Postleitzahlbereich) ergibt sich für eine Anmietdauer von 14 Tagen der Fahrzeugklasse 8 im Postleitzahlenbereich 8 ein Mittelwert von EUR 353,00 für jeweils eine Woche, mithin EUR 50,43 pro Tag, so dass sich für 14 Tage EUR 706,02 ergeben.
43
Das Gericht nimmt zudem einen Aufschlag von 20 % für die zeitnahe Anmietung eines Mietwagens nach einem Unfall wegen der Besonderheiten der Unfallsituation vor, weil der Zeuge das Ersatzfahrzeug unmittelbar nach dem Unfall, mithin noch am selben Tag, angemietet hat. Es ergibt sich daraus ein Betrag in Höhe von EUR 847,22.
44
Gleichzeitig nimmt das Gericht jedoch weiter einen Abschlag in Höhe von 10 % wegen ersparter Aufwendungen vor, so dass nur EUR 762,50 erstattungsfähig erscheinen.
45
Daher kann der Kläger hier nur einen Betrag in Höhe von EUR 762,50 ersetzt verlangen.
46
Auch für den Nutzungsausfall des Zeugen … ist der Kläger aufgrund des Abtretungsvertrags Anlage K9 aktivlegitimiert.
47
Nach Überzeugung des Gerichts hat der Zeuge hier einen Anspruch auf Nutzungsausfall, da das Klägerfahrzeug allein ihm zur Nutzung überlassen war. Insofern kommt es nicht auf die Eigentümerstellung an. Der Zeuge hat in der mündlichen Verhandlung auch seinen Nutzungswillen und die Nutzungsmöglichkeit ausreichend dargelegt. Allein die Tatsache, dass er sich gelegentlich das Auto seiner Freundin oder von Kollegen leihen konnte, führt nicht dazu, dass er keine spürbare Nutzungseinbuße hatte. Ihm selbst stand nach seiner klaren Aussage, dass er auf das in seinem Eigentum stehende Fahrzeug keinen Zugriff mehr hatte, zur Nutzung gerade nur dieses Fahrzeug zur Verfügung. Auch insofern kommt es nicht auf die Eigentumsverhältnisse an dem von seinem Vater genutzten Fahrzeug an.
48
Der Höhe nach war der Nutzungsausfallanspruch nicht bestritten, so dass hier die geltend gemachten EUR 550,00 anzusetzen sind.
49
Der Kläger ist aufgrund der Abtretungserklärung Anlage K9 auch hinsichtlich der Abschleppkosten aktivlegitimiert.
50
Der Kläger kann insofern EUR 1.766,10 ansetzen.
51
Für das sog. „Hakenrisiko“ gelten dieselben Grundsätze wie für das sog. Werkstattrisiko:
52
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann der Geschädigte, der das Unfallfahrzeug selbst zur Reparatur gibt, nach § 249 Abs. 2 BGB von dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer den Geldbetrag ersetzt verlangen, der zur Herstellung des beschädigten Fahrzeuges erforderlich ist (BGHZ 63, 182, 183). Das gilt auch für die Abschlepp(neben)kosten. Der erforderliche Herstellungsaufwand wird dabei nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten für seine Beseitigung, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Instandsetzung - bzw. Bergung - des Unfallfahrzeuges heranziehen muss (BGHZ 63, 182, 184). In diesem Sinne ist der Schaden subjektbezogen zu bestimmen (BGHZ 63, 182, 184). Gerade im Fall der Reparatur - und Bergung - von Kraftfahrzeugen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten Grenzen gesetzt sind. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung unter einem fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einfluss stattfinden muss (vgl. BGHZ 63, 182, 185). Der Geschädigte als Laie kann nicht ermessen, welche Art von Abschleppfahrzeug zur Bergung erforderlich ist und wie und mit welchem Aufwand etwa ausgelaufene Betriebsflüssigkeiten aufzunehmen sind. - Bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs im Rahmen von § 249 Abs. 2, Satz 1 BGB darf nicht das Grundanliegen dieser Vorschrift aus den Augen verloren werden, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll (BGHZ 132, 373, 376). Die „tatsächlichen“ Abschlepp(neben)kosten können deshalb auch dann für die Bemessung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten - etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Bergung sonst üblich ist - unangemessen sind (so BGHZ 63, 182, 186 für Reparaturkosten). Es besteht insoweit kein Sachgrund, dem Schädiger das Risiko abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 Abs. 1 BGB überlassen würde (BGHZ 63, 182, 185 für Reparaturkosten). Die Ersetzungsbefugnis in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB schützt den Geschädigten im Verhältnis zum Schädiger und soll ihn davon befreien, die Schadensbeseitigung dem Schädiger anvertrauen zu müssen, zielt jedoch nicht darauf ab, Nachteile und Risiken der Schadensbeseitigung, die nach § 249 Abs. 1 grundsätzlich der Schädiger zu tragen hat, auf den Geschädigten abzuwälzen. - Das gilt für Abschlepp(neben)kosten/Bergungskosten und Reparaturkosten gleichermaßen. Bei den Abschleppkosten ist wegen der regelmäßig bestehenden Not- und Eilsituation insofern eine noch größere Schutzbedürftigkeit des Geschädigten anzuerkennen.
53
Der Unfallgeschädigte darf darauf vertrauen, dass das Abschleppunternehmen nicht betrügerisch Werkleistungen in Rechnung stellt, die gar nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht notwendigerweise erbracht wurden, da er in der Regel keine Möglichkeit hat, die Vorgänge selbst zu kontrollieren. Mithin ist vom Geschädigten auch nicht zu erwarten, dass er jede Rechnungsposition hinterfragt und sich belegen lässt. Die Ersatzfähigkeit von unnötigen Mehraufwendungen ist nur ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn dem Dritten ein äußerst grobes Verschulden zur Last fällt, so dass die Mehraufwendungen dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen sind. Das ist vorliegend weder ersichtlich noch vorgetragen. Auch wurden hier nicht Positionen „bei Gelegenheit“ ohne Unfallbezug abgerechnet.
54
Auf die Frage, ob die Abschlepprechnung bereits (vollständig) beglichen wurde, kommt es für die Frage der Erstattungsfähigkeit der restlichen Abschlepp(neben)kosten auch nicht an. Bei dem abgerechneten Honorar handelt es sich nur dann nicht um den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag, wenn und soweit dieses Honorar objektiv deutlich überhöht ist und dies subjektiv für den Geschädigten auch erkennbar ist. Jedenfalls letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Dabei greift das sog. „Hakenrisiko“ bereits ab Erteilung des Abschleppauftrages und „In-die-Hände-geben-von Fachleuten“ und nicht erst ab Bezahlung der Rechnung. Der BGH führt zum Werkstattrisiko aus, dass „der Geschädigte in solchen Fällen grundsätzlich nicht zunächst darauf verwiesen werden kann, der übersetzten Forderung der Werkstatt seine Einwände entgegenzusetzen, um die Forderung in gerichtlicher Auseinandersetzung auf die angemessene Höhe zurückzuführen. Auch bei wirtschaftlicher Betrachtung entspricht es der Interessenlage, dass der Schädiger dem Geschädigten die Mittel zur Verfügung stellt, die diesen in die Lage versetzen, das Unfallfahrzeug möglichst rasch wieder nutzen zu können, und selbst die Entscheidung über das Vorgehen gegen die Werkstatt trifft. Da er nach den Grundsätzen des Vorteilsausgleichs die Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt verlangen kann, ist seine Rechtsstellung gegenüber dieser nicht schwächer als die des Geschädigten“. Die gleichen Erwägungen greifen auch beim „Hakenrisiko“ ein, wo es um eine möglichst rasche Verwertung oder Zuführung zur Reparatur des Unfallfahrzeugs geht.
55
Die Rechtsprechung des BGH zur fehlenden Indizwirkung einer unbezahlten Sachverständigenrechnung steht dem nicht entgegen; demnach genügt ein einfaches Bestreiten der Schadenshöhe durch den beklagten Schädiger oder Haftpflichtversicherer, wenn nicht andere konkrete Anhaltspunkte für den erforderlichen Herstellungsaufwand unter Berücksichtigung der speziellen Situation des Geschädigten beigebracht werden. Zwar trifft es zu, dass derjenige Aufwand, der zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderlich ist, nicht pauschal durch den in Rechnung gestellten Betrag abgebildet wird, sondern dem tatsächlich zur Befriedigung des Finanzierungsbedarfs des Geschädigten objektiv erforderlichen Geldbetrag zur Durchführung der Reparatur entspricht. Es sind jedoch die individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten zu berücksichtigen. Diese waren in der Notsituation des Unfalls (nicht mehr fahrfähiges Fahrzeug auf der Staatsstraße) begrenzt. Insbesondere nachdem der Zeuge Schmid die Werkstatt seines Vertrauens beauftragte, das Abschleppunternehmen auszuwählen, durfte der Kläger - wie ausgeführt - davon ausgehen, dass kein Unternehmen ausgewählt wird, dass eine andere als die ortsübliche Vergütung verlangt und ist insofern schutzwürdig. Von einem sog. „Schadensservice aus einer Hand“ war insofern nicht auszugehen.
56
Der Kläger kann auch die volle Standgebühr in Höhe von EUR 556,80 ansetzen.
57
Die Aktivlegitimation ergibt sich auch hier zumindest aus der Abtretung der Ansprüche seines Sohnes an ihn (vgl. Anlage K9).
58
Die Beklagten müssen hier auch für die volle Zeitspanne aufkommen, da gerade keine Verletzung der Schadensminderungspflicht klägerseits ersichtlich ist. Der Kläger hat das Fahrzeug umgehend an den von der Beklagtenseite benannten Käufer verkauft. Dass letzterer das Fahrzeug sodann nicht umgehend abholte, muss sich nicht der Kläger zurechnen lassen.
59
Aufgrund der genannten Abtretung durch den Zeugen Schmid kann der Kläger vorliegend auch die tatsächlich angefallenen An- und Abmeldekosten in Höhe von EUR 85,00 für das als Ersatz für das Klägerfahrzeug angeschaffte Fahrzeug geltend machen.
60
Insgesamt kann der Kläger daher einen Schadensbetrag in Höhe von EUR 8.066,40 seiner Berechnung zugrunde legen. 80 % hiervon sind EUR 6.453,12. Hierauf hat die Beklagtenseite vorgerichtlich EUR 4.127,91 bezahlt, so dass offen noch EUR 2.325,21 sind.
61
1. Verzug bestand seit der endgültigen und ernsthaften weiteren Erfüllungsverweigerung der Beklagtenseite mit Abrechnungsschreiben vom 9.12.2020 ab 10.12.2020. Damit ergibt sich der Zinsanspruch aus § 286 BGB. Die Höhe des Zinsanspruchs richtet sich nach § 288 BGB.
62
2. An vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann die Klägerseite geltend machen eine 1,3 Gebühr aus einem Geschäftswert in Höhe der berechtigten Schadensersatzforderung von EUR 6.453,12 zuzüglich einer Auslagenpauschale von EUR 20,00 und der Mehrwertsteuer. Dies sind hier EUR 650,33. Hierauf hat die Beklagtenseite EUR 494,04 bezahlt, so dass offen noch EUR 156,29.
63
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
64
4. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.
65
5. Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung ohne Einbeziehung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten