Titel:
Irreführendes Blinken des Vorfahrtsberechtigten bei geringem Abstand zweier Einmündungen
Normenkette:
StVG § 17 Abs. 2
Leitsatz:
Gegen die Annahme eines irreführenden Blinkens des Vorfahrtsberechtigten spricht es, wenn nur ein geringer Abstand (hier: etwa 20 m) zwischen der Einmündung besteht, an welcher der Vorfahrtsberechtigte rechts blinkt, und der Einmündung, in die er rechts einbiegen will. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Straßenverkehrsunfall, Mithaftungseinwand, Abbiegen, irreführendes Blinken
Fundstelle:
BeckRS 2022, 33475
Tenor
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 599,63 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.01.2021 sowie weitere 200,64 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.03.2022 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden weiter gesamtschuldnerisch verurteilt, an die …, vertreten durch den Vorstand … € 1.549,11 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab 18.3.2022 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
5. Der Streitwert wird auf 2.234,74 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagten restliche (die Beklagte zu 2. hat 67 % reguliert) Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 25.11.2020 auf der C. W. Straße/Ecke R.straße geltend.
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Die Klägerin war auf der C. W. Straße stadteinwärts unterwegs. Sie hatte vor dem Rechtsabbiegen den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt. Über Ort und Zeit herrscht Streit.
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Die Klägerin trägt vor, sie habe in die nahe A. S. Straße einbiegen wollen, die nach der R.straße, aus der die Beklagte zu 1) kam und nach links abbiegen wollte, abgeht. Deshalb habe sie in Höhe der ca. 40 Meter entfernt liegenden R.straße den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt, habe ihre Geschwindigkeit jedoch beibehalten.
4
Ein irgendwie geartetes Mitverschulden wegen irreführendem Blinken müsse sie sich nicht abziehen lassen.
5
Der von ihrem Sachverständigen angesetzte Wiederbeschaffungswert wurde mit 6.800,- € angesetzt, einen Mehrwertsteuerbetrag müsse sie sich nicht abziehen lassen. An- und Abmeldekosten in Höhe von 85,- € seien angefallen. Die Unkostenpauschale betrage 25,- €, Rechtsanwaltskosten gegenüber der Vollkasko seien zu erstatten.
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Insgesamt beantragt die Klägerin die Beklagten
zur Zahlung von 684,63 € zzgl. Zinsen, sowie weiterer 1.549,11 € an die …, sowie 200,64 € außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten jeweils mit Zinsen zu verurteilen.
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Die Beklagten beantragen demgegenüber
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Sie tragen vor und sind der Auffassung, dass die von der Beklagten zu 2) vorgenommene Haftungsteilung zutreffend sei, da die Klägerin irreführend geblinkt habe. Sie habe auch ihre Geschwindigkeit reduziert. Richtig sei, dass am klägerischen Fahrzeug bereits auf Höhe der R.straße der rechte Fahrtrichtungsanzeiger betätigt gewesen sei (Blatt 22 d. Akten).
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Damit liege ein irreführendes Blinken eines Vorfahrtsberechtigten vor und die Klägerin habe sich einen entsprechenden Abzug gefallen zu lassen.
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Abzuziehen sei vom Wiederbeschaffungswert auch die Mehrwertsteuer. An- und Ummeldekosten seien pauschal nicht zu erstatten. Die Unkostenpauschale betrage 20,- €. Rechtsanwaltskosten gegenüber dem Kaskoversicherer seien unfallbedingt nicht erforderlich und damit nicht erstattungsfähig.
11
Im Termin vom 03.11.2022 hat das Gericht die Fahrzeugführerinnen informatorisch angehört, auf das diesbezügliche Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
12
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die im Übrigen zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13
Die zulässige Klage ist beinahe vollständig begründet, da sich die Klägerin keinen Mithaftungseinwand gefallen lassen muss.
14
Die Klägerin hat den Unfallhergang glaubwürdig und überzeugend aus ihrer Sicht geschildert. Allein danach hat sie den Fahrtrichtungsanzeiger nicht „zu früh“ gesetzt. Zu Bedenken ist hier, dass zwischen der R.straße und der A. S. Straße nur ein geringer Abstand von vielleicht 20 Metern besteht.
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Zu Recht hat die Klägerin ausgeführt, dass die Kreuzung unfallträchtig ist und dass hier auf den nachfolgenden Verkehr zu achten ist, denn bei der A. S. Straße handelt es sich um eine kleine, sehr untergeordnete Straße.
16
Weiter zu Bedenken ist, dass die R.straße in einem überspitzen Winkel von der C. W. Straße aus Sicht der Beklagten zu 1) abgeht. Fahrzeuge die dort einbiegen, müssen daher fast zum Stillstand kommen. Eine entsprechende Geschwindigkeitsreduzierung hat die Beklagte zu 1), deren Angaben von Erinnerungslücken geprägt waren, aber nicht wahrgenommen. Sie will zwar gesehen haben, dass der rechte Blinker am Klägerfahrzeug an gewesen sei, doch ist dies unglaubwürdig, denn die Beklagte zu 1) gab an, dass sich das Fahrzeug, als sie das gesehen haben will, zur Hälfte zwischen Ampel und Rotkäppchen „Weg“ befunden hat. Dies sind mehrere 100 Meter. Es wäre völlig unsinnig und es ist damit auch völlig unglaubwürdig, dass die Klägerin bereits derart frühzeitig (und damit in der Tat irreführend) den rechten Fahrtrichtungsanzeiger betätigt haben soll. Letztlich hat die Beklagte zu 1) nur einmal nach links Richtung Klägerfahrzeug geblickt und dieses in der angegebenen Entfernung gesehen. Dann hat sie nach rechts gesehen und dort herannahende Fahrzeuge passieren lassen. Sie konnte nicht mehr angeben, wann sie wieder nach links gesehen hat bzw. ob sie überhaupt wieder nach links gesehen hat. Das Gericht geht nicht davon aus, denn sonst hätte sie das inzwischen herannahende Klägerfahrzeug, dass sie ja zuvor wahrgenommen hatte, sehen können und wenige Sekundenbruchteile abwarten müssen. Dass sie hier in irgendeiner Form auf den Fahrtrichtungsanzeiger am Klägerfahrzeug „vertraut“ hätte, hat die Beklagte gerade nicht angegeben. Sie konnte, wie ausgeführt, auch keine verringerte Geschwindigkeit angeben.
17
Letztlich spricht auch das vorliegende Schadensbild (Seitenschaden in der Beifahrertür) für ein spontanes Losfahren der Beklagten zu 1).
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Nach alledem besteht kein Zweifel daran, dass sich die Klägerin keinen Mithaftungseinwand anrechnen lassen muss.
19
Die Klägerin hat den Wiederbeschaffungswert ihres Fahrzeuges unstreitig mit 6.800,- € angegeben. Dass hier in irgendeiner Form Mehrwertsteuer enthalten sei, stellt eine reine Vermutung der Beklagten dar. Hierauf wird nicht näher eingegangen.
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Auch die klägerische Unkostenpauschale in Höhe von 25,- € ist weiter angemessen. Zum einen mag sich diese in Zeiten des elektronischen Rechtsverkehrs reduzieren, zum anderen steht dem eine steigende Inflationsrate gegenüber.
21
Auch Rechtsanwaltskosten der Klägerin gegenüber ihrer Vollkasko sind zweifellos erforderlich und damit von der Beklagten zu ersetzen. Auch Vollkaskoversicherer nehmen zunehmend Abzüge vor. Auch ist einem Laien nicht bewusst, welche Ansprüche („Schaden am Blech“), er überhaupt geltend machen kann. Die entsprechenden Kosten der Klägerin sind danach durchaus „erforderlich“.
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Die Klage war danach im Wesentlichen zuzusprechen. Abzuweisen war sie lediglich (ohne Kostenfolge) in Höhe von 85,- €, da An-/Ab- und Ummeldekosen nicht pauschal, sondern nur gegen Nachweis zu ersetzen sind.
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Die Klagepartei hat alle Voraussetzungen des Verzuges/der Nebenforderungen dargelegt und nachgewiesen.
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Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten stehen ihr danach in voller Höhe ebenfalls zu.
25
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 II Nr. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709, 708, 711 ZPO.
27
Der Streitwert entspricht der Klageforderung.