Titel:
Abtrennung einer Folgesache
Normenkette:
FamFG § 137 Abs. 1, § 140 Abs. 2 Nr. 5
Leitsätze:
1. Die in der Aufrechterhaltung des Verbunds liegende Härte muss für den die Abtrennung begehrenden Ehegatten umso größer sein, je gewichtiger die abzutrennende Folgesache für den anderen Ehegatten in seiner jeweiligen Lebenssituation ist. (Rn. 23) (red. LS Axel Burghart)
2. Der Antragsteller stellt sein Interesse am alsbaldigen Abschluss des Scheidungsverfahrens in Frage, wenn er in seiner Verfahrensführung nicht die Dringlichkeit erkennen lässt, die er als Begründung für seinen Antrag auf Abtrennung der Folgesache anführt. (Rn. 32) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Scheidung, Abtrennung, Folgesache, Unterhalt, Güterrecht, unzumutbare Härte, Verfahrensdauer, Verzögerung
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 27.05.2022 – 531 F 6828/20
Fundstellen:
LSK 2022, 33428
BeckRS 2022, 33428
NJW-RR 2023, 439
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts München - Familiengericht - vom 30.05.2022 aufgehoben.
2. Das Verfahren wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Folgesachen Versorgungsausgleich und Güterrecht, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
3. Die Kostenentscheidung bleibt, auch hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens, der Endentscheidung vorbehalten.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 70.980 € festgesetzt.
5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Die Antragsgegnerin wendet sich dagegen, dass das Amtsgericht München mit dem angefochtenen Beschluss die Scheidung ihrer Ehe ausgesprochen hat, nachdem es zuvor die Folgesache Güterrecht vom Verbund abgetrennt hatte.
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Der Antragssteller und die Antragsgegnerin haben 2006 miteinander die Ehe geschlossen. Die Ehegatten leben seit 29.7.2019 getrennt.
3
Der Scheidungsantrag des Antragstellers wurde der Antragsgegnerin am 25.7.2020 zugestellt. Zunächst stimmte die Ehefrau der Scheidung zu. Mit Schriftsatz vom 2.9.2020 reichte sie einen eigenen Scheidungsantrag beim Familiengericht ein. Gemeinsame minderjährige Kinder sind nicht vorhanden.
4
Mit Schriftsatz vom 2.6.2021 stellte die Antragsgegnerin Stufenantrag bezüglich der Folgesache nachehelicher Unterhalt. Sodann reichte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 14.6.2021 Stufenantrag bezüglich der Folgesache nachehelicher Unterhalt als Widerantrag ein.
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Am 12.7.2021 wurde der Antragsteller zur Scheidung und zur Folgesache Unterhalt angehört.
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Mit Eingang vom 26.10.2021 stellte der Antragsteiler im Verbund den Antrag bezüglich der Folgesache Güterrecht. Demnach sollte die Antragsgegnerin verpflichtet werden, 170.998,22 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen an den Antragsteller zu bezahlen. Mit Antrag vom 15.2.2022 beantragte die Antragsgegnerin, den Antragsteller zu verpflichten, 285.000 Euro nebst Zinsen an die Antragsgegnerin zu bezahlen.
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Mit Schriftsatz vom 26.11.2021 beantragte der Antragsteller die Abtrennung der Folgesache Zugewinn und nachehelicher Unterhalt. Mit Beschluss vom 27.12.2021 wies das Amtsgericht den Antrag des Antragstellers ab. Auf die Begründung auf Bl. 47 ff. der Akte wird verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 14.1.2022 beantragte der Antragsteller erneut die Abtrennung der Folgesachen Zugewinn und nachehelicher Unterhalt, da seine Lebensgefährtin unerwartet schwanger geworden war. Am 9.3.2022 erfolgte die Anhörung der Beteiligten zur Scheidung, zu sämtlichen Folgesachen und zum Abtrennungsantrag.
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Im Anhörungstermin vom 9.3.2022 nahm die Antragsgegnerin ihren Stufenantrag zur Folgesache nachehelicher Unterhalt zurück. Mit Schriftsatz vom 4.4.2022 und 11.4.2022 nahm der Antragsteller seinen Stufenantrag zur Folgesache nachehelicher Unterhalt zurück.
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Mit Beschluss vom 28.3.2022 wurde der Abtrennungsantrag des Antragstellers erneut zurückgewiesen.
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Mit Antrag vom 4.4.2022 begehrte der Antragsteller erneut die Abtrennung der Folgesache Zugewinn. Mit Schriftsatz vom 11.4.2022 wendete sich die Antragsgegnerin gegen die beantragte Abtrennung der Folgesache Güterrecht.
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Das Amtsgericht München trennte die Folgesache Güterrecht durch Beschluss vom 27.5.2022 aus dem Verbund ab. Durch die Folgesache Güterrecht würde sich der Scheidungsausspruch auch unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache so außergewöhnlich verzögern, dass dies eine unzumutbare Härte für den Antragsteller darstellen würde. Die neue, in Marokko mit ihm zusammenlebende Partnerin erwarte im September ein Kind; dies sei vom Antragsteller ausreichend glaubhaft gemacht worden. Die Folgesache Güterrecht werde sich noch in erheblichem Umfang weiter verzögern, da nach aktuellem Stand zwei Immobilien des Antragstellers in Leipzig und der Antragsgegnerin in München sachverständig zu begutachten seien. Zudem sei zumindest nach dem Vortrag der Ehefrau ein Gutachten zum Wert der durch den Ehemann in Marokko aufgebauten Firma zu erholen; die Ehefrau behauptet hier einen erheblichen Firmenwert, der Ehemann einen Wert von 0 Euro. Mit einer Verfahrensdauer der Folgesache Güterrecht von mindestens einem, eher zwei Jahren sei zu rechnen. Die Eheleute seien massiv zerstritten. Das Scheidungsverfahren dauere nunmehr seit 7/2020 und damit fast zwei Jahre. Die Trennung sei im Juli 2019 erfolgt. Eine absichtliche Verzögerung des Verfahrens könne keiner Seite vorgeworfen werden. Im Juli 2022 laufe die Frist von drei Jahren seit der Trennung ab. Gemäß § 1385 Nr. 1 BGB könnte jeder Ehegatte unabhängig von einem Scheidungsverfahren den vorzeitigen Ausgleich des Zugewinns beantragen; umgekehrt sei eine unzumutbare Härte für den Ehemann gegeben, wenn zum jetzigen Zeitpunkt - fast drei Jahre nach der Trennung und zudem fast zwei Jahren nach der zügigen Einleitung des Verfahrens durch den Ehemann - keine Scheidung ausgesprochen würde und weitere Umstände hinzutreten - wie hier die Geburt des Kindes. In der Gesamtschau müsse das Interesse der Antragsgegnerin an einem Zusammenhalten des Verbunds auch in Anbetracht der Bedeutung der Folgesache Güterrecht zurückstehen.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 30.5.2022 wurde die Ehe der Beteiligten geschieden und der Versorgungsausgleich durchgeführt.
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Mit ihrer gegen die Verbundentscheidung eingelegten Beschwerde erstrebt die Ehefrau die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung an das Amtsgericht - Familiengericht - zur erneuten Entscheidung. Sie wendet sich dagegen, dass das Familiengericht vor der Entscheidung über die Folgesache Güterrecht die Ehe geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt habe und rügt, dass die Voraussetzungen für eine Abtrennung nicht vorgelegen hätten. Eine unzumutbar lange Dauer des Verfahrens liege nicht vor, da seit Antragstellung im Güterrecht auch außergerichtlich mehrere Vergleichsangebote diskutiert worden seien. Das Familiengericht stütze seine Entscheidung nur auf sehr allgemein gehaltene Ausführungen zu Vorstellungen und romantisierenden Wünschen heiratswilliger Personen im Zusammenhang mit einer Verehelichung. Eine unzumutbare Härte könne nicht auf den Wunsch der Wiederheirat wegen der Ehelichkeit eines Kindes gestützt werden. Die vom Amtsgericht zitierte BGH-Entscheidung sei im Jahr 1986 ergangen; nach der Kindschaftsreform seien nichteheliche Kinder den ehelichen Kindern grundsätzlich in allen Rechtspositionen gleichgestellt, so dass eine unzumutbare Härte aus dem Wunsch der Ehelichkeit eines Kindes nicht mehr gefolgert werden könne. Zudem könnten die befürchteten negativen Folgen in Marokko für den Antragsteller und seine dort lebende Lebensgefährtin nicht mehr eintreten, da sie eine Heirat nach islamischem Ritus bereits vollzogen hätten. Damit sei eine soziale Ächtung oder Schande nicht mehr zu befürchten, da der Antragsteller und seine Lebensgefährtin eine nach religiös-islamischen Grundsätzen anerkannte Ehe geschlossen hätten. Der Antragsteller und seine Lebensgefährtin könnten auch nach Deutschland umziehen, um die befürchteten strafrechtlichen Folgen des Ehebruchs in Marokko abzuwenden. Im Übrigen könne sich der Antragsteller nicht auf einen Härtefall berufen, wenn er diesen selbst gesetzt habe bzw. wenn sich dieser aus seiner eigenen Sphäre ergebe. Der Antragsteller würde nach der Heirat seiner Lebensgefährtin in Marokko das Ziel verfolgen, finanzielle Vorteile für sich selbst und möglichst großen finanziellen Schaden für die Antragsgegnerin zu erreichen. Die Verweigerung einer Einigung mit der Antragsgegnerin blockiere die Antragsgegnerin in ihrer wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit, da er alle Rechte und Ansprüche der Antragsgegnerin an der gemeinsamen Immobilie in Marokko aushebele. So befürchte die Antragsgegnerin, dass der Antragsteller sie an der Verwertung der dortigen Immobilie hindern werde.
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Die Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Die rechtliche und gesellschaftliche Situation des Antragstellers und seiner Lebensgefährtin würde zu unabwendbaren drastischen Folgen führen, sofern der Antragsteller bei Geburt des Kindes nicht rechtskräftig geschieden wäre. Der Abschluss der Folgesache Güterrecht sei nicht vor Ablauf von ein oder zwei Jahren zu erwarten. Das Interesse des Antragstellers an einer rechtskräftigen Scheidung und die Möglichkeit der Wiederheirat vor Geburt des Kindes überwiege deutlich das Interesse der Antragsgegnerin, die Scheidung so lange wie möglich hinauszuzögern. Eine unzumutbare Härte ergebe sich daraus, dass das Führen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und der Ehebruch in Marokko unter Strafe stehe und das Leben lediger Mütter und unehelicher Kinder in Marokko mit lebenslangen Diskriminierungen und Demütigungen verbunden seien. Die bereits in Marokko geschlossene Ehe sei zwar eine „Ehe vor Gott“, habe aber keinerlei rechtliche und gesetzliche Bedeutung. Der Antragsteller und seine Lebensgefährtin hätten ihren Lebensmittelpunkt in Marokko; ein Umzug nach Deutschland komme nicht in Frage. Die Antragsgegnerin habe kein schützenswertes Interesse daran, dass mit der Scheidung gleichzeitig über die Folgesache Zugewinn entschieden werde. Bereits im September 2020 habe man sich gegenseitig aufgefordert, Auskunft zu erteilen. Während der Antragsteller diese bereits im November erteilt habe, habe sich die Antragsgegnerin mehr als sieben Monate Zeit gelassen, um nach mehrfacher Aufforderung am 20.4.2021 eine Zugewinnausgleichsberechnung zu übermitteln. Erst am 22.10.2021 habe der Antragsteller entsprechenden Antrag auf Zahlung des Zugewinnausgleichsanspruchs einreichen können Der Antragsteller sei an einer juristisch richtigen Lösung interessiert und sei nicht darauf aus, sich rechtsmissbräuchliche Vorteile zu verschaffen. Eine außergewöhnliche Verzögerung des Verfahren liege vor, da die Grenze von zwei Jahren überschritten sei.
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1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gemäß §§ 113 Abs. 1, 117 Abs. 1, 58 ff FamFG zulässig.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für die Abtrennung der Folgesache 9 sind nicht gegeben.
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Gemäß § 137 Abs. 1 FamFG sind Scheidung und Folgesachen zusammen zu verhandeln und zu entscheiden. Die Abtrennung einer güterrechtlichen Folgesache vom Verbund kann nur nach Maßgabe des § 140 Abs. 2 FamFG erfolgen. Vorliegend hat das Familiengericht die Abtrennung auf die einzig in Betracht kommende Alternative des § 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG gestützt. Danach sind Folgesachen vom Scheidungsverbund abzutrennen, wenn die gleichzeitige Entscheidung über die Folgesache den Scheidungsausspruch so außergewöhnlich verzögern würde, dass ein weiterer Aufschub unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte darstellen würde. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
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Zwar hat das Amtsgericht zutreffend angenommen, dass sich der Scheidungsausspruch ohne ein Abtrennung außergewöhnlich verzögern können. Der weiteren Annahme des Amtsgerichts, dass ein weiterer Aufschub des Scheidungsausspruchs unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte für den Antragsteller bedeuten würde, folgt der Senat vorliegend nicht.
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a) Eine außergewöhnliche Verzögerung wird in der Regel ab einer Verfahrensdauer von zwei Jahren angenommen (ständige Rechtsprechung des BGH; BGH NJW 1991, 1616; Keidel/Weber, FamFG, 20. Aufl., § 140 Rn. 10), wobei für die Berechnung der Dauer des Verfahrens auf die Zeit ab Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags desjenigen Ehegatten abzustellen ist, der sich auf eine unzumutbare Härte beruft (BGH, FamRZ 1986, 898).
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Nachdem seit Zustellung des Scheidungsantrags des Antragstellers am 25.7.2020 zwischenzeitlich ein Zeitraum von über zwei Jahren verstrichen ist, liegt eine außergewöhnlich lange Verfahrensdauer vor Auch wenn der Zeitraum von zwei Jahren erst knapp überschritten wird, so liegt er doch über der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Grenze von zwei Jahren.
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b) Wie sich aus dem Gesetzeswortlaut des § 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG jedoch ergibt, genügt allein die außergewöhnliche Verzögerung der Scheidung für eine Abtrennung von Folgesachen nicht. Zusätzlich muss der Aufschub der Ehescheidung eine unzumutbare Härte darstellen (KG, FamRZ 2000, 1292; Keidel/Weber, a.a.O., § 140 Rn. 11; Johannsen/Henrich/Markwardt, FamFG, 6. Aufl. § 140 FamFG Rn. 11). Aufgrund der Zielsetzung des Verbundprinzips sind die Voraussetzungen für eine Abtrennung dabei grundsätzlich eng auszulegen, um den Zweck des Verbunds nicht zu vereiteln (OLG Stuttgart, FamRZ 2009, 64; Johannsen/Henrich/Markwardt, FamFG, 6. Aufl., § 140 Rn. 9). Auch aus dem Begriff der unzumutbaren Härte folgt, dass für die ausnahmsweise Auflösung des Verfahrens- und Entscheidungsverbundes strenge Maßstäbe anzulegen sind. Allerdings können mit zunehmender Verfahrensdauer die Anforderungen an eine unzumutbare Härte geringer werden (OLG Bamberg, FamRZ 1988, 531; Johannsen/Henrich/Markwardt, a.a.O., § 140 FamFG Rn. 11).
23
Zur Beurteilung, ob eine weitere Verzögerung des Verfahrens für den die Abtrennung beantragenden Ehegatten eine unzumutbare Härte bedeuten würde, ist dessen Interesse an einer alsbaldigen Scheidung gegen das Interesse des anderen Ehegatten an einer umfassenden Verbundentscheidung abzuwägen (Keidel/Weber, a.a.O., § 140 Rn. 11; Zöller/Lorenz, ZPO, 34. Aufl., § 140 Rn. 9). Bei der Beurteilung der Interessen ist stets zu berücksichtigen, dass Folgesachen für jeden Ehegatten abhängig von seiner wirtschaftlichen Situation und der Art der Folgesache unterschiedliches Gewicht besitzen. Die in der Aufrechterhaltung des Verbunds liegende Härte muss für den die Abtrennung begehrenden Ehegatten daher umso größer sein, je gewichtiger die abzutrennende Folgesache für den anderen Ehegatten in seiner jeweiligen Lebenssituation ist.
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b) Nach diesen Maßstäben ist vorliegend nicht von einer unzumutbaren Härte im vorgenanntem Sinne auszugehen.
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Die Antragsgegnerin, die sich gegen eine Zugewinnausgleichsforderung in Höhe von über 170.000 Euro verteidigt und die ihrerseits eine Ausgleichsforderung in Höhe von 285.000 Euro geltend macht, hat ein durch § 137 Abs. 1 FamFG gesetzlich geschütztes Interesse daran, ihren Status als Ehefrau nicht zu verlieren, ohne dass eine Regelung über die güterrechtlichen Folgen der Ehe getroffen ist (vgl. OLG Köln, FamRZ 1998, 301). Dieses Interesse ist auch angesichts der erst knapp über zwei Jahre liegenden Verfahrensdauer höher zu gewichten als das Interesse des Antragstellers an einem baldigen Abschluss des Scheidungsverfahrens.
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Zugunsten des Antragstellers ist zu berücksichtigen, dass er beabsichtigt, die Mutter seines inzwischen geborenen Kindes zu heiraten. Dass der Aufschub des Scheidungsausspruchs für seine Lebensgefährtin, die er inzwischen nach islamischen Recht geheiratet hat, und das gemeinsame Kind eine Belastung über das übliche Maß hinaus bedeuten würde, lässt sich nicht abschließend feststellen. Denn für diese von der Antragsgegnerin wirksam bestrittenen Behauptungen hat der Antragsteller keinen Beweis angeboten.
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Grundsätzlich ist das bloße Interesse an einer Wiederverheiratung nicht ausreichend, um zu begründen, dass ein weiterer Aufschub des Scheidungsverfahrens eine unzumutbare Härte mit sich brachte (Keidel, a.a.O., § 140 Rn. 12; MüKo FamFG/Heiter, 3. Aufl. 2018, § 140 FamFG Rn. 69). Hinzutreten müssen vielmehr weitere Umstände, etwa ein sehr hohes Lebensalter oder ein schlechter Gesundheitszustand des Betroffenen. Teilweise werden derartige weitere Umstände angenommen, wenn ein Kind, welches die neue Partnerin des Ehemanns erwartet, ehelich zur Welt kommen soll (Zöller/Lorenz, ZPO, 34. Aufl., § 140 Rn. 9). Diese Ansicht wird regelmäßig unter Hinweis auf die Entscheidung des BGH (BGH, FamRZ 1986, 898) vertreten. Zu Recht wendet die Antragsgegnerin hiergegen ein, die Entscheidung des BGH sei bereits vor der Kindschaftsreform ergangen und durch die rechtliche Gleichstellung von unehelichen und ehelichen Kindern überholt.
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Die von der Antragstellervertreterin genannten obergerichtlichen Entscheidungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Die zitierte Entscheidung des OLG Hamm vom 12.3.2012 (2 UF 107/12 - juris) stellt in die Abwägung zugunsten des dortigen Antragstellers ein erhebliches Interesse an der Scheidung ein basierend auf dessen unstreitigen Sachvortregs, wonach er seine Lebenspartnerin ehelichen wollte und vor dem Hintergrund ihres Alters ein weiteres Zuwarten einer Schwangerschaft umso risikoreicher erscheinen ließ. Zu seinen Gunsten wurde auch die obstruktive Verfahrensverzögerung der Antragsgegnerin in der Folgesache Unterhalt ausgeführt, wonach ausgehend von der Möglichkeit einer Bezifferung des Antrags spätestens zum 16.6.2011 zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung eine Bezifferung nach wie vor fehlte. Die unzumutbare Härte wurde demnach nicht allein auf das Interesse des Antragstellers an ein Leben in „geordneten Verhältnissen“ gestützt, sondern basierte auch auf der obstruktiven Verfahrensverzögerung der Antragsgegnerin. Die weitere Entscheidung des OLG Hamm vom 19.12.2013 (2 UF 150/13 - juris) stellte als gewichtiges Interesse des Antragstellers in die Bewertung der unzumutbaren Härte ein, dass dieser die Absicht hat, seine Lebenspartnerin und die Mutter seines Sohnes zu ehelichen. Da das Scheidungsverfahren sein Vorhaben blockierte, wurde die Beziehung als belastet angesehen. Eine obstruktive Verfahrensverzögerung ergab sich in diesem Fall auf Seiten der Antragsgegnerin zwar nicht; jedoch wurde festgestellt, dass vermeidbare Verzögerungen durch die Antragstellerin bedingt wurden. Dies führte in der Gesamtabwägung zu einer unbilligen Härte.
29
Eine derartige Fallkonstellation ist vorliegend nicht erkennbar, so dass allein das Interesse des Antragstellers auf Herbeiführung der Ehelichkeit des gemeinsamen Kindes die unzumutbare Härte nicht begründen kann.
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Bei der Prüfung, ob eine unzumutbare Härte vorliegt, ist auch ein Verhalten eines Beteiligten, das nicht der prozessualen Förderungspflicht entspricht, beachtlich. Vorliegend ist auffallend, dass der Antragsteller selbst Anträge in Folgesachen stellt. Mit Schriftsatz vom 14.6.2021 stellte der Antragsteller einen Antrag auf nachehelichen Unterhalt und während die Antragstellerin ihren Antrag auf nachehelichen Unterhalt im Termin vom 9.3.2022 zurücknahm, erfolgte die Rücknahme durch den Antragsteller schriftsätzlich erst einen Monat später, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin bereits bekannt war.
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Die Folgesache Güterrecht wurde durch den Antrag des Antragstellers anhängig, der am 26.10.2021 bei Gericht einging, d.h. ein Jahr und drei Monate nach Zustellung des Scheidungsantrags. Der Antragsteller trägt insoweit vor, dass er den Antrag erst nach Auskunftserteilung durch die Antragsgegnerin habe stellen können und diese unangemessen lange für die Erteilung der Auskunft gebraucht habe. Um eine Beschleunigung diesbezüglich zu erreichen, hätte dem Antragsteller das Mittel eines Stufenantrags zur Verfügung gestanden; eine Antragstellung im Hinblick auf die Auskunft erfolgte jedoch nicht. Nur einen Monat nach Antragstellung in der Folgesache Güterrecht beantragte der Antragsteller bereits erstmalig die Abtrennung der Folgesachen und wiederholte diese Anträge am 14.1.2022 und am 4.4.2022.
32
Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass der Antragsteller in seiner Verfahrensführung nicht die Dringlichkeit erkennen lässt, die er als Begründung für seinen Antrag auf Abtrennung der Folgesache anführt. Dies stellt sein Interesse am alsbaldigen Abschluss des Scheidungsverfahrens in Frage. Damit überwiegt das Interesse der Antragsgegnerin an einer Entscheidung im Verbund, gerade auch aufgrund des Umstandes, dass die Voraussetzung der außergewöhnlichen Verzögerung bei einer Verfahrensdauer von 2 Jahren und 3 Monaten noch im unteren Bereich liegt.
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3. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin war der Scheidungsbeschluss daher gemäß § 113 Abs. 1, 69 Abs. 1 S. 3, 117 Abs. 3 FamFG aufzuheben und das Verfahren ohne mündliche Verhandlung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
34
Eine Kostenentscheidung hat das Beschwerdeg bei Zurückverweisung des Verfahrens grundsätzlich nicht zu treffen (Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 69 Rn. 12), über die Kostenentscheidung des Beschwerdeverfahrens ist vielmehr im Rahmen der Endentscheidung nach den Grundsätzen des § 150 FamFG mitzuentscheiden.
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Die Festsetzung des Verahrenswertes beruht auf §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1 FamGKG.
36
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 1, 2 FamFG liegen nicht vor.