Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 05.05.2022 – 2 O 6093/20
Titel:

Beitragsanpassung: Vereinbarung eines niedrigeren auslösenden Faktors

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2 S. 1, Abs. 5, § 208
VAG § 155 Abs. 3
BGB § 305, § 307
MB/KK 2009 § 8b
Leitsatz:
§ 8b Abs. 2 MB/KK 2009 weicht entgegen § 208 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 VVG ab und ist daher unwirksam. Die Unwirksamkeit der Regelung in § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 führt allerdings nicht zur Unwirksamkeit des § 8b Abs. 1 MB/KK (Anschluss an OLG Hamburg BeckRS 2022, 3459; LG Essen BeckRS 2021, 14609; LG Berlin BeckRS 2021, 11747; BeckRS 2021, 40428; entgegen OLG Rostock BeckRS 2021, 46652; OLG Köln BeckRS 2020, 28456; LG Bonn BeckRS 2020, 24298). (s. auch BGH BeckRS 2022, 18282). (Rn. 33 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Prämienanpassung, auslösender Faktor
Fundstelle:
BeckRS 2022, 33149

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass folgende Beitragsanpassungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer ... unwirksam sind
a) im Tarif V. ... die Erhöhung zum 01.01.2014 bis einschließlich 31.12.2015 in Höhe von 63,42 € sowie die Erhöhung zum 01.01.2016 bis einschließlich 31.12.2017 in Höhe von 230,02 €,
b) im Tarif TV .. die Erhöhung zum 01.01.2014 bis einschließlich 31.12.2016 in Höhe von 9,27 €,
c) im Tarif V. Z die Erhöhung zum 01.01.2014 bis einschließlich 31.12.2017 in Höhe von 13,34 €,
d) im Tarif .. (J. H.) die Erhöhung zum 01.01.2016 bis einschließlich 31.12.2017 in Höhe von 22,32 €, und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet war und der Gesamtbeitrag für den jeweils genannten Zeitraum entsprechend zu reduzieren ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 3.188,16 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 22.12.20 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte.
a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie bis zum 21.12.2020 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die Beitragserhöhung in den Tarifen V. ..., V. Z, .. (J. H.) vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2017 gemäß vorstehend Ziff. 1 gezahlt hat,.
b) die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 22.12.2020 zu verzinsen hat.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 88% und die Beklagte 12% zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss.
Der Streitwert wird bis 14.12.2021 auf 36.821,94 €, ab 15.12.2021 auf 25.422,35 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Klagepartei.
2
Die Klagepartei hält seit dem Jahr 2002 bei der Beklagten einen Vertrag über eine private Krankheitskosten- und Pflegeversicherung ab. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) - die im Wesentlichen den Musterbedingungen M. bzw. M1. entsprechen - und Tarifbedingungen der Beklagten (Anlage BLD 1) zugrunde.
3
Eingeschlossen im Versicherungsvertrag ist Versicherungsschutz des Mitversicherten J. H.
4
Für den Versicherungsvertrag erfolgten mit Zustimmung des jeweiligen Prämientreuhänders folgende Beitragsanpassungen, auf die die Klagepartei in der Folgezeit die sich hieraus jeweils ergebenden neuen Beiträge zahlte:
5
Im Tarif TV .. ist es zum 01.01.2017 zu einer Beitragssenkung in Höhe von 0,78 € gekommen, wodurch der Kläger in diesem Tarif abweichend von der Tabelle im Zeitraum 01.01.2017 bis 14.08.2020 statt 9,27 € lediglich 08,49 € bezahlte.
6
Die Beitragsanpassung im Tarif K. . (J. H.) zum 01.08.2017 war keine im Sinne von § 203 Abs. 2 VVG, vielmehr fand hierbei eine altersbedingte Beitragsumstellung statt.
7
Die Beklagte informierte die Klagepartei jeweils mit Mitteilungsschreiben über die anstehenden Prämienanpassungen. Auf die als Anlage BLD5 vorgelegten Anpassungsmitteilungen wird Bezug genommen.
8
Mit der Klageerwiderung teilte die Beklagte die für die Anpassungen jeweils maßgeblichen auslösenden Faktoren mit. Auslöser sämtlicher Anpassungen waren geänderte Leistungsausgaben. Eine Anpassung aufgrund geänderter Sterbewahrscheinlichkeiten erfolgte nicht.
9
Mit Anwaltsschreiben vom 14.08.2020 forderte die Klagepartei die Beklagte unter Hinweis auf die Unwirksamkeit der Prämienanpassungen zur Rückzahlung der Erhöhungsbeträge sowie der hieraus gezogenen Nutzungen auf. Eine Rückzahlung erfolgte nicht.
10
Die Klagepartei ist der Ansicht, dass die Anpassungen unwirksam seien, da die jeweiligen Mitteilungen nicht den gesetzlichen Vorgaben nach § 203 Abs. 5 VVG entsprächen. Es bestehe deshalb ein Anspruch auf vollumfängliche Rückzahlung der geleisteten Erhöhungsbeiträge sowie hieraus gezogener Nutzungen. Zudem bestehe ein entsprechendes Feststellungsinteresse. Aus den unwirksamen Anpassungen abgeleitete Ansprüche seien nicht verjährt, da die Klagepartei in Folge der zunächst bestehenden unsicheren und zweifelhaften Rechtslage nicht die erforderliche Kenntnis von der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen gehabt habe.
11
Mit Schriftsatz vom 14.12.2021 hat die Klagepartei ihren Antrag hinsichtlich der Feststellung der Unwirksamkeit der Anpassungen für die Zukunft unter Bezugnahme auf die Heilung der formell unwirksamen Beitragsanpassungen durch Mitteilung der auslösenden Faktoren in der Klageerwiderung teilweise für erledigt erklärt, da infolge der mit der Klageerwiderung eingetretenen Heilung das Klageziel der Herabsetzung der Prämien für die Zukunft nicht mehr erreicht werden könne. Die beklagte Partei hat der Teil-Erledigterklärung nicht zugestimmt.
12
Die Klagepartei beantragt zuletzt, 1) Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer ... unwirksam sind:
a) in den Tarifen für J. G.
aa) im Tarif V. ... die Erhöhung zum 01.01.2012 in Höhe von 63,42 €,
bb) im Tarif TV ../ 90,00 die Erhöhung zum 01.01.2012 in Höhe von 7,44 €,
cc) im Tarif TV ./ 90,00 die Erhöhung zum 01.01.2013 in Höhe von 1,83 €,
dd) im Tarif V.-Z die Erhöhung zum 01.01.2014 in Höhe von 13,34 €,
ee) im Tarif V. ... die Erhöhung zum 01.01.2016 in Höhe von 166,60 €,
ff) im Tarif V. .. die Erhöhung zum 01.01.2019 in Höhe von 68,05 €,
b) in den Tarifen für J. H.
aa) im Tarif .. die Erhöhung zum 01.01.2016 in Höhe von 22,32 €,
bb) im Tarif K. . die Erhöhung zum 01.08.2017 in Höhe von 4,38 €,
cc) im Tarif .. die Erhöhung zum 01.01.2018 in Höhe von 20,60 €, und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet war.
2) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 21.366,78 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3) Es wird festgestellt, dass die Beklagte
a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b) die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.
4) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.785,82 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
13
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
14
Die Beklagte ist der Ansicht, dass sämtliche streitgegenständlichen Anpassungen den Begründungserfordernissen der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügten.
15
Die Anpassungen seien auch in materieller und kalkulatorischer Hinsicht ordnungsgemäß erfolgt. Hierzu bietet die Beklagte nach Sicherstellung der Geheimhaltung die Vorlage aller einschlägigen Unterlagen, sowie die Erholung eines versicherungsmathematischen Sachverständigengutachtens an.
16
Ein etwaiger Rückforderungsanspruch der Klagepartei sei infolge erbrachter Beitragsrückerstattungen jedenfalls überhöht.
17
Etwaige Ansprüche aus unwirksamen Beitragsanpassungen seien zudem verjährt.
18
Hilfsweise beruft sich die Beklagte auf Entreicherung, da verschiedene Prämienbestandteile dem Versichertenkollektiv gutgeschrieben worden seien.
19
Die Beklagte bestreitet, dass die Klagepartei die Klägervertreter ausdrücklich mit einer außergerichtlichen Interessenwahrnehmung beauftragt hätten. Eine solche sei jedenfalls angesichts des den Klägervertretern bekannten Umstandes, dass die Beklagte außergerichtlich keine Prämienanpassungen zurücknehmen würde, nicht erforderlich gewesen.
20
Im übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
21
Die Klage ist der Beklagten am 21.12.2020 zugestellt worden. Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
22
Mit Beschluss vom 23.02.2022 wurde mit Zustimmung der Parteien die Entscheidung im schriftlichen Verfahren angeordnet, wobei die Frist zur Einreichung von Schriftsätzen auf den 15.04.2022 bestimmt war.

Entscheidungsgründe

23
Die Klage ist zulässig und überwiegend unbegründet.
A.
24
Die Klage ist zulässig.
25
Dies gilt insbesondere auch, soweit die Klagepartei die Feststellung begehrt, dass bestimmte Prämienanpassungen unwirksam sind und sie nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet, sowie der Gesamtbeitrag entsprechend zu reduzieren ist (§ 256 ZPO; BGH, Urteil vom 19.12.2018 - IV ZR 255/17 -, BGHZ 220, 297-323 Rn. 16 f.); ebenso zulässig ist die Feststellungsklage, soweit sie auf die Feststellung der Verpflichtung zur Herausgabe von Nutzungen und deren Verzinsung gerichtet ist (BGH aaO Rn. 18 ff.).
26
Das Feststellungsinteresse entfällt auch nicht dadurch, dass es zu einer Heilung etwaiger Begründungsmängel gekommen ist (BGH Urt. v. 9.2.2022 - IV ZR 291/20, BeckRS 2022, 2867 Rn. 16).
27
Auch die Klageänderung mit Schriftsatz vom 14.12.2021 war gemäß §§ 264 Nr. 2, 269 ZPO zulässig. Dies gilt auch für die einseitige Teil-Erledigterklärung der Klagepartei, die auszulegen ist als Antrag auf Feststellung, dass der ursprüngliche Feststellungsantrag insoweit ursprünglich zulässig und begründet war und durch ein erledigendes Ereignis nach Rechtshängigkeit unzulässig oder unbegründet wurde (st. Rspr. z.B. BGH, Urt. v. 15.1.1982 - V ZR 50/81, NJW 1982, 1598).
B.
28
Die Klage ist jedoch nur zum Teil begründet.
29
I. Die angegriffenen Beitragsanpassungen sind überwiegend wirksam.
30
1. Die Betragsanpassungen für die Jahre ab 2010 müssen sich an § 203 Abs. 2, 5 VVG messen lassen.
31
Bei der streitgegenständlichen Krankheitskostenversicherung handelt es sich unstreitig um eine solche, für die das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich bzw. vertraglich ausgeschlossen ist (§ 206 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2 S. 1 VVG bzw. § 14 Abs. 1, 2 AVB).
32
Nach § 203 Abs. 2, 5 VVG gilt:
„Ist bei einer Krankenversicherung das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen, ist der Versicherer bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage berechtigt, die Prämie entsprechend den berichtigten Rechnungsgrundlagen auch für bestehende Versicherungsverhältnisse neu festzusetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder die technischen Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat. Dabei dürfen auch ein betragsmäßig festgelegter Selbstbehalt angepasst und ein vereinbarter Risikozuschlag entsprechend geändert werden, soweit dies vereinbart ist. Maßgebliche Rechnungsgrundlagen im Sinn der Sätze 1 und 2 sind die Versicherungsleistungen und die Sterbewahrscheinlichkeiten. Für die Änderung der Prämien, Prämienzuschläge und Selbstbehalte sowie ihre Überprüfung und Zustimmung durch den Treuhänder gilt § 155 in Verbindung mit einer auf Grund des § 160 des Versicherungsaufsichtsgesetzes erlassenen Rechtsverordnung.
Die Neufestsetzung der Prämie und die Änderungen nach den Absätzen 2 und 3 werden zu Beginn des zweiten Monats wirksam, der auf die Mitteilung der Neufestsetzung oder der Änderungen und der hierfür maßgeblichen Gründe an den Versicherungsnehmer folgt.“
33
2. Die Beitragsanpassungen sind nicht schon deswegen unwirksam, weil die in § 8b Abs. 1, 2
M. bzw. M1.  niedergelegte vertragliche Anpassungsgrundlage unwirksam wäre.
34
Zwar ist die Regelung in § 8b Abs. 2 unwirksam, wonach von einer Betragsanpassung abgesehen werden kann, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist. Nach 208 VVG kann u.a. von der Regelung des § 203 VVG nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers und der versicherten Person abgewichen werden. Hieraus folgt die Unwirksamkeit der abweichenden Regelung, jedenfalls aber kann sich der Versicherer hierauf nicht berufen (HK-VVG/Rogler, 4. Aufl. 2020, VVG § 208 Rn. 5). Die Unwirksamkeit des § 8b Abs. 2 folgt auch aus § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB, da es sich bei den allgemeinen Versicherungsbedingungen um AGB i.S.d. § 305 BGB handelt.
35
Zur Beitragsanpassung ist in den von der Beklagten als Anlage BLD1 Teil 1 und 5 vorgelegten Versicherungsbedingungen geregelt:
36
a) Nach § 203 Abs. 2 S. 2 VVG ist der Versicherer bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage berechtigt, die Prämie entsprechend den berichtigten Rechnungsgrundlagen auch für bestehende Versicherungsverhältnisse neu festzusetzen.
37
Wenn gemäß § 203 Abs. 2 S. 4 VVG i.V.m. § 155 Abs. 3 S. 2 VAG die der Aufsichtsbehörde und dem Treuhänder vorzulegende Gegenüberstellung für einen Tarif eine Abweichung von mehr als 10 Prozent ergibt, sofern - wie im Streitfall gerade nicht - nicht in den allgemeinen Versicherungsbedingungen ein geringerer Prozentsatz vorgesehen ist, hat das Unternehmen alle Prämien dieses Tarifs zu überprüfen und, wenn die Abweichung als nicht nur vorübergehend anzusehen ist, mit Zustimmung des Treuhänders anzupassen.
38
Aus den Regelungen des § 203 Abs. 2 VVG i.V.m. § 155 Abs. 3 VAG ergibt sich zum einen, dass eine Betragsanpassung ausschließlich bei einer nicht nur vorübergehenden Veränderung der maßgeblichen Rechnungsgrundlagen zulässig ist. Zum anderen räumen diese Vorschriften dem Versicherer kein Ermessen ein. Beide - Überprüfung und Anpassung - stehen also nicht im Belieben des Versicherers, er ist bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen hierzu vielmehr verpflichtet (LG Berlin, Urteil vom 21.12.2021 - 4 O 381/20; Prölss/Dreher/Präve, 13. Aufl. 2018, VAG § 155 Rn. 16; HK-VAG/Brand, VAG § 155 Rn. 26).
39
b) Demgegenüber ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 aus der maßgeblichen Sicht eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse dahingehend auszulegen, dass dem Versicherer eben doch ein Ermessen eingeräumt wird. Die Formulierung, wonach bei einer nur vorübergehenden Veränderung von einer Anpassung abgesehen werden kann, legt nahe, dass es - im Ermessen des Versicherers stehend - zulässig wäre, bei einer nur vorübergehenden Veränderung gleichwohl eine Anpassung vorzunehmen (OLG Köln, Urteil vom 22.09.2020 - 9 U 237/19; LG Bonn, Urt. v. 02.09.2020 - 9 O 396/17). In diesem Fall lägen aber die Voraussetzungen für eine Anpassung überhaupt nicht vor, da § 203 Abs. 2 S. 1 VVG ja als Voraussetzung jeglicher Anpassung fordert, dass die Veränderung nicht nur als vorübergehend anzusehen ist.
40
Aus diesem Widerspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen zum Nachteil des Versicherungsnehmers entgegen § 208 VVG folgt daher (i.V.m. § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB) die Unwirksamkeit des § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 (OLG Rostock Hinweisbeschluss v. 8.12.2021 - 4 U 90/21, BeckRS 2021, 46652; LG Berlin, Urteil vom 21.12.2021 - 4 O 381/20; Klimke in Boetius/Rogler/Schäfer, Rechtshandbuch Private Krankenversicherung § 31 Rn. 91; Waldkirch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2020, § 8 b MB/KK 2009 Rn. 12 mwN).
41
c) Etwas anderes folgt entgegen der zum Teil in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung (LG Stuttgart, Urteil vom 13.03.2021 - 16 O 543/20; LG Berlin, Urteil vom 06.05.2021 - 7 O 292/20) nicht aus dem Urteil des BGH vom 22.09.2004 - IV ZR 97/03, wonach dieser eine nahezu identische Vorgängerregelung nicht beanstandet hat (so im Ergebnis auch LG Berlin, Urteil vom 21.12.2021 - 4 O 381/20). Diese Entscheidung erging zu der Rechtslage vor Einführung des § 178g Abs. 2 VVG a.F., der dem heutigen § 203 Abs. 2 VVG im Wesentlichen entspricht. So gab der BGH ausdrücklich an, dass zwischen der früheren Rechtslage und der ab 29.07.1994 geltenden Rechtslage, wonach die Krankenversicherung erstmals im Versicherungsvertragsgesetz geregelt worden ist, zu differenzieren sei. Demnach würden nach der alten Rechtslage (vor Einführung der §§ 178 ff. VVG) weniger strenge Vorgaben gelten, insbesondere sei dem Versicherer damals auch ein Ermessen eingeräumt worden. Der BGH wendet aber in seiner Entscheidung über eine am 01.07.1994 vorgenommene Beitragsanpassung nur die Rechtslage vor Einführung der §§ 178a ff. VVG an. Eine Aussage, ob die betreffende Tarifbestimmung nach der ab 29.07.1994 geltenden Rechtslage wirksam wäre, trifft der BGH gerade nicht (OLG Köln, Urt. vom 22.09.2020 - 9 U 237/19). Ungeachtet dessen hat der BGH z.B. auch jahrelang die Regelung in § 4 Abs. 4 MBKT nicht beanstandet, bevor er sie mit Urteil vom 06.07.2016 (IV ZR 44/15) für unwirksam erklärt hat.
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d) Die Unwirksamkeit der Regelung in § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 führt allerdings nicht zur Unwirksamkeit des § 8b Abs. 1 MB/KK (ebenso z.B. OLG Hamburg Urt. v. 25.2.2022 - 9 U 96/21, BeckRS 2022, 3459; LG Essen, Urteil vom 28.04.2021 - 18 O 249/20; LG Berlin, Urteil vom 06.05.2021 - 7 O 292/20; LG Berlin, Urteil vom 21.12.2021, 4 O 381/20 a.A. OLG Rostock Hinweisbeschluss v. 8.12.2021 - 4 U 90/21, BeckRS 2021, 46652; OLG Köln, Urteil vom 22.09.2020 - 9 U 237/19; LG Bonn, Urt. v. 02.09.2020 - 9 O 396/17).
43
Die inhaltliche Trennbarkeit einer Klausel und damit die Möglichkeit ihrer Zerlegung in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil ist immer dann gegeben, wenn der unwirksame Teil der Klausel gestrichen werden kann, ohne dass der Sinn des anderen Teils darunter leidet (sog. ...); ob beide Bestimmungen den gleichen Regelungsgegenstand betreffen, ist dabei unerheblich (BGH, Urteil vom 31.03.2021 - IV ZR 221/19).
44
Im vorliegenden Fall kann die Regelung des § 8b Abs. 1 MB/KK selbstständig bestehen bleiben. Entsprechend den gesetzlichen Vorgaben räumt die Regelung des § 8b Abs. 1 MB/KK dem Versicherer kein Ermessen ein. Die Regelung in Absatz 1 ist auch nicht deswegen als unwirksam anzusehen, da bei Streichen des Absatzes 2 nicht mehr erkennbar wäre, dass Absatz 1 im Gegensatz zu Absatz 2 nur nicht vorübergehende Änderungen der Rechnungsgrundlage erfasst. Denn § 8b Abs. 1 MB/KK ist dahingehend formuliert, dass bei Überschreiten der Schwellenwerte eine Anpassung (zwingend) überprüft wird und „soweit erforderlich“ angepasst wird. Dies ist jedoch aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers dahingehend zu verstehen, dass eine Anpassung nur bei einer nicht nur vorübergehenden Veränderung der maßgeblichen Rechnungsgrundlagen erforderlich ist (LG Hannover, Urteil vom 29.03.2021 - 19 O 291/20). Das entsprechende Ergebnis ergibt sich, wenn man - wofür mehr spricht - in § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 eine Regelungslücke erkennt, soweit nicht ausdrücklich geregelt ist, dass eine Veränderung nicht nur vorübergehend sein darf. Dann wäre insoweit ebenso ein Rückgriff auf die gesetzlichen Regelungen möglich (LG Berlin, Urteil vom 21.12.2021 - 4 O 381/20; Rogler r+s 2020, 646).
45
Diese tragen die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen, da die Höhe des jeweils auslösenden Faktors für Versicherungsleistungen durchwegs über 10% lag. Eine Anpassung war damit unabhängig von der Wirksamkeit einer vertraglichen Grundlage jedenfalls auf Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen in § 203 Abs. 2 S. 4 VVG i.V.m. § 155 Abs. 3 S. 2 VAG möglich, die eine Anpassung bei Überschreiten des auslösenden Faktors von 10% eröffnet.
46
3. Nach unbestrittenem Vortrag der Beklagten hat den einzelnen Anpassungen der jeweils bestellte Prämientreuhänder zugestimmt. Ob dieser unabhängig i.S.d. § 155 Abs. 1 S. 1 VVG ist bzw. war, ist von den Zivilgerichten im Rechtsstreit über eine Prämienanpassung nicht gesondert zu prüfen (BGH, Urteil vom 19.12.2018 - IV ZR 255/17 -, BGHZ 220, 297-323 Rn. 30 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30. Oktober 2020 - 1 BvR 453/19 -, juris).
47
4. Die materielle Berechtigung der Prämienanpassungen stellt die Klage nicht in Frage.
48
In der Klageschrift hat sich die Klagepartei die Überprüfung der materiellen Wirksamkeit der Prämienanpassungen zwar zunächst vorbehalten. Auf den Hinweis der Kammer, dass bei dieser Sachlage keine Veranlassung besteht insoweit in die Beweisaufnahme einzutreten, hat sich die Klagepartei nicht weiter erklärt, sondern ihre Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt. Dies kann angesichts des vorhergehenden Hinweises der Kammer nur dahingehend verstanden werden, dass die Klagepartei die materielle Berechtigung der Anpassungen nicht in Zweifel ziehen will. Unter diesen Voraussetzungen hält die Kammer eine Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten nicht für geboten (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2020 - VI ZR 435/19 -, juris Rn. 19 a.E.).
49
5. Die angegriffenen Anpassungen genügen für die Jahre 2012, 2013, 2018 und 2019 den formalen Voraussetzungen. Für die Jahre 2014 und 2016 sind sie hingegen unwirksam.
50
Die Anpassung für das Jahr 2017 (Beitragsanpassung zum 01.08.2017 im Tarif K. . für J. H.) war von der Kammer nicht zu prüfen, da zwischen den Parteien unstreitig ist, dass eine Beitragsanpassung im Sinne von § 203 Abs. 2 VVG in diesem Fall nicht stattgefunden hat.
51
Im Hinblick auf die Beitragssenkung im Tarif TV .. zum 01.01.2017 geht die Kammer von einer formal wirksamen Beitragsanpassung aus, da weder von der Klageseite vorgetragen noch sonst erkennbar ist, dass diese Beitragsanpassung unwirksam war.
52
a) Bei einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG wird erst durch die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt (BGH, Urteil vom 19.12.2018 - IV ZR 255/17 -, BGHZ 220, 297-323 Rn. 66; BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19 -, BGHZ 228, 56-75 Rn. 21).
53
Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat insbesondere auch weder mitzuteilen, in welche Richtung sich die maßgebliche Rechnungsgrundlage verändert hat (BGH, Urteil vom 17. November 2021 - IV ZR 113/20 -, juris Rn. 26 f.), noch die Veränderung weiterer Faktoren anzugeben, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses (BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19 -, BGHZ 228, 56-75 Rn. 26). Die „maßgeblichen Gründe“ müssen sich auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung beziehen; eine allgemeine Mitteilung, die nur die gesetzlichen Voraussetzungen der Beitragserhöhung wiedergibt, genügt danach nicht (BGH aaO Rn. 27). Durch die Angabe der Rechnungsgrundlage, die die Prämienanpassung ausgelöst hat erfüllt die Mitteilung den Zweck, dem Versicherungsnehmer zu verdeutlichen, dass weder sein individuelles Verhalten, noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung war, sondern dass eine bestimmte Veränderung der Umstände dies aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat; dafür ist es nicht erforderlich, dem Versicherungsnehmer die Rechtsgrundlage des geltenden Schwellenwerts oder die genaue Höhe der Veränderung der Rechnungsgrundlage mitzuteilen (BGH aaO Rn. 35).
54
b) Gemessen daran liegen den Anpassungen von 2014 und 2016 keine ausreichenden Begründungen i.S.d. § 203 Abs. 5 VVG zugrunde, weil in ihnen die konkret veranlassende Berechnungsgrundlage nicht mitgeteilt ist. Die Anpassungen zu den Jahren 2012, 2013, 2018 und 2019 sind hingegen formal wirksam.
55
(1) Die Begründung in dem Mitteilungsschreiben der Beklagten mit dem Begründungsformular V... 07.10.2011 für die Beitragsanpassungen zum 01.01.2012 (Anlage BLD 5 Teil 1) war ausreichend, weshalb die betreffenden Anpassungen formell wirksam sind.
56
In den Informationen zu den Beitragsänderungen zum 01.01.2012 ist angegeben, dass einmal jährlich die kalkulierten Leistungsausgaben mit den erforderlichen Leistungsausgaben verglichen werden müssen. Wenn die Zahlen um mindestens 10% nach oben oder unten abweichen, sei das Versicherungsunternehmen zur Anpassung gesetzlich verpflichtet. Die Überprüfung habe ergeben, dass zum 01.01.2012 eine Anpassung in den gekennzeichneten Tarifen erforderlich sei.
57
Diese Begründung reicht aus, da deutlich wird, dass die Beitragsanpassung zum 01.01.2012 in den gekennzeichneten Tarifen auf einer Veränderung der maßgeblichen Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen beruht (vgl. auch zur inhaltlich identischen Begründung BGH, Urteil vom 17. November 2021 - IV ZR 113/20 Rn. 26 ff.).
58
(2) Auch die Begründung in dem Mitteilungsschreiben der Beklagten mit dem Begründungsformular V... 15.10.2012 für die Beitragsanpassungen zum 01.01.2013 (Anlage BLD 5 Teil 2) war ausreichend, weshalb die betreffenden Anpassungen formell wirksam sind.
59
In den Informationen zu den Beitragsänderungen zum 01.01.2013 ist angegeben, dass einmal jährlich die kalkulierten Leistungsausgaben mit den erforderlichen Leistungsausgaben verglichen werden müssen. Wenn die Zahlen um mindestens 10% nach oben oder unten abweichen, sei das Versicherungsunternehmen zur Anpassung gesetzlich verpflichtet. Die Überprüfung habe ergeben, dass zum 01.01.2013 eine Anpassung in den gekennzeichneten Tarifen erforderlich sei.
60
Diese Begründung reicht aus, da deutlich wird, dass die Beitragsanpassung zum 01.01.2013 in den gekennzeichneten Tarifen auf einer Veränderung der maßgeblichen Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen beruht (vgl. auch zur inhaltlich identischen Begründung BGH, Urteil vom 17. November 2021 - IV ZR 113/20 Rn. 26 ff.).
61
(3) Gemessen daran war die Begründung in dem Mitteilungsschreiben der Beklagten für die Beitragsanpassung zum 01.01.2014 (Anlage BLD 5 Teil 3) nicht ausreichend, weshalb die betreffende Anpassung formell unwirksam ist.
62
Die maßgeblichen „Informationen zur Beitragsanpassung zum 01.01.2014“ lassen sich durch die Kennzeichnung („Änderungsgründe 1“) im Nachtrag zum Versicherungsschein vom November 2013, leicht auffinden. Zudem wird hierauf im Anschreiben vom November 2013 ausdrücklich hingewiesen, zum Teil in Fettdruck.
63
In dem Abschnitt „Was sind die Gründe für die Beitragsanpassung …“ finden sich jedoch lediglich allgemein gehaltene Erläuterungen, welche Faktoren sich auf die Erhöhung des Beitrags auswirken können. So wird dargestellt, dass mit dem medizinischen Fortschritt der Umfang des Versicherungsschutzes steigt, was sich auf die Beiträge auswirkt. Auch sei bei der Kalkulation der Beiträge zu berücksichtigen, dass die durchschnittliche Lebenserwartung gestiegen sei. Aus dem Mitteilungsschreiben und den Anlagen hierzu ergibt sich jedoch nicht, dass die aktuelle Überprüfung gerade für die konkreten Tarife der Klagepartei eine Veränderung der maßgeblichen Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen ergeben und damit die Prämienanpassung ausgelöst hat.
64
Die der Klagepartei zur Verfügung gestellten Informationen genügen damit nicht den zu stellenden Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung der Prämienerhöhung zum 01.01.2014 (vgl. auch zur identischen Begründung OLG Köln, Urteil vom 28. Januar 2020 - I9 U 138/19, bestätigt durch BGH, Urteil vom 14. April 2021 - IV ZR 36/20; OLG Celle Urt. v. 13.1.2022 - 8 U 134/21, BeckRS 2022, 1230).
65
(4) Gemessen daran war die Begründung in dem Mitteilungsschreiben der Beklagten für die Beitragsanpassung zum 01.01.2016 (Anlage BLD 5 Teil 4) nicht ausreichend, weshalb die betreffende Anpassung formell unwirksam ist.
66
Die maßgeblichen „Informationen zur Beitragsanpassung zum 01.01.2016“ lassen sich durch die Kennzeichnung („Änderungsgründe 1“) im Nachtrag zum Versicherungsschein vom November 2015, leicht auffinden. Zudem wird hierauf im Anschreiben vom November 2015 ausdrücklich hingewiesen, zum Teil in Fettdruck.
67
In dem Abschnitt „Was sind die Gründe für die Beitragsanpassung …“ finden sich jedoch lediglich allgemein gehaltene Erläuterungen, welche Faktoren sich auf die Erhöhung des Beitrags auswirken können. So wird dargestellt, dass mit dem medizinischen Fortschritt der Umfang des Versicherungsschutzes steigt, was sich auf die Beiträge auswirkt. Auch sei bei der Kalkulation der Beiträge zu berücksichtigen, dass die durchschnittliche Lebenserwartung gestiegen sei. Aus dem Mitteilungsschreiben und den Anlagen hierzu ergibt sich jedoch nicht, dass die aktuelle Überprüfung gerade für die konkreten Tarife der Klagepartei eine Veränderung der maßgeblichen Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen ergeben und damit die Prämienanpassung ausgelöst hat.
68
Die der Klagepartei zur Verfügung gestellten Informationen genügen damit nicht den zu stellenden Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung der Prämienerhöhung zum 01.01.2016 (vgl. auch zur identischen Begründung OLG Köln, Urteil vom 21. April 2020 - I-9 U 174/18 Rn. 82 ff., bestätigt durch BGH, Urteil vom 17. November 2021 - IV ZR 113/20 Rn. 25 sowie OLG Köln, Urteil vom 29. Oktober 2019 - I-9 U 127/18 Rn. 89 ff. bestätigt durch BGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 - IV ZR 294/19 Rn. 38 ff.).
69
(5) Die Begründung in dem Mitteilungsschreiben der Beklagten für die Beitragsanpassung zum 01.01.2018 (Anlage BLD 5 Teil 5) ist hingegen ausreichend, weshalb die betreffende Anpassung formell wirksam ist.
70
Die maßgeblichen „Informationen zur Beitragsanpassung zum 01.01.2018“ lassen sich durch die Kennzeichnung („Änderungsgründe 1“) im Nachtrag zum Versicherungsschein vom November 2017, leicht auffinden. Zudem wird hierauf im Anschreiben vom November 2017 ausdrücklich hingewiesen, zum Teil in Fettdruck.
71
In dem Abschnitt „Was sind die maßgeblichen Gründe für die Beitragsanpassung?“ werden zunächst die beiden in Betracht kommenden Berechnungsgrundlagen (Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeit) benannt. Nach weiteren allgemeinen Ausführungen zum Verfahren der Beitragsanpassung heißt es sodann:
„Für die Beitragsanpassung zum 01.01.2018 kommen je nach versichertem Tarif die folgenden maßgeblichen Gründe zum Tragen:“
72
Am Ende des nächsten, mit „Steigende Leistungsausgaben“ in Fettdruck überschriebenen Absatzes wird - ebenfalls in Fettdruck - ausgeführt:
„Bei allen Tarifen - mit Ausnahme der unter den Punkten „Steigende Lebenserwartung“ sowie „Steigende Leistungsausgaben und steigende Lebenserwartung“ genannten Tarifen - sind die maßgeblichen Gründe für die Beitragsanpassung also eine insbesondere auf steigende Kosten im Gesundheitswesen und medizinischen Fortschritt zurückzuführende Veränderung bei den Versicherungsleistungen.“
73
Dem kann der Versicherungsnehmer mit deutlicher Klarheit als Ergebnis der Überprüfung für seinen konkreten Tarif entnehmen, dass für diesen eine solche Abweichung eingetreten ist. Die der Klagepartei zur Verfügung gestellten Informationen genügen damit den zu stellenden Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung der Prämienerhöhung zum 01.01.2018.
74
(6) Die Begründung in dem Mitteilungsschreiben der Beklagten für die Beitragsanpassung zum 01.01.2019 mit dem Begründungsformular V... 09.10.2018 (Anlage BLD 5 Teil 6) ist ebenso ausreichend, weshalb die betreffende Anpassung formell wirksam ist.
75
Die maßgeblichen „Informationen zur Beitragsanpassung zum 01.01.2019“ lassen sich durch die Kennzeichnung („Änderungsgründe“) im Nachtrag zum Versicherungsschein vom November 2018, leicht auffinden. Zudem wird hierauf im Anschreiben vom November 2018 ausdrücklich hingewiesen, zum Teil in Fettdruck.
76
In dem Abschnitt „Warum erfolgt eine Beitragsanpassung?“ werden zunächst die beiden in Betracht kommenden Berechnungsgrundlagen (Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeit) benannt. Ferner wird mitgeteilt, dass die Tarife nach genauen gesetzlichen Vorgaben überprüft werden und bei Abweichungen um 10% bzw. vereinbarten 5%, bei den Sterbewahrscheinlichkeiten stets um 5% der Beitrag angepasst wird.
77
In dem Abschnitt „Was sind die maßgeblichen Gründe für die Beitragsanpassung (…)?“, wird erläutert, dass die maßgeblichen Gründe für die Beitragsanpassung zum 01.01.2019 bei allen Tarifen der Kranken-, Krankenhaustagegeld- und Pflegeergänzungs-Versicherung, also auch im Tarif der Klagepartei, die veränderten Leistungsausgaben (Versicherungsleistungen) seien. Dabei ist dieser Absatz durch Fettdruck besonders hervorgehoben.
78
In einem weiteren Abschnitt werden die maßgeblichen Gründe für bestimmte, konkret bezeichnete Tarife - nicht jedoch die Tarife der Klagepartei - genannt.
79
Die Informationen enthalten damit alle notwendigen Angaben für eine Mitteilung gemäß § 203 Abs. 5 VVG. Für den Versicherungsnehmer ist klar und deutlich erkennbar, dass die Beitragsanpassungen in dem betreffenden Tarif auf der Veränderung der Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ beruht. Die der Klagepartei zur Verfügung gestellten Informationen genügen daher den zu stellenden Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung der Prämienerhöhung zum 01.01.2019 (ebenso zu einer vergleichbaren Begründung OLG Celle Urt. v. 13.1.2022 - 8 U 134/21, BeckRS 2022, 1230 Rn. 33, beckonline).
80
6. Ansprüche aus einer unwirksamen Anpassung kann die Klagepartei aber nur insoweit herleiten, als jene nicht durch eine nachfolgende - wirksame - Anpassung im selben Tarif „überholt“ wurde:
81
a) Bei der Prämienanpassung findet nicht nur die Festsetzung eines Erhöhungsbetrages, sondern eine vollständige Neufestsetzung für den neu kalkulierten Zeitraum statt. Ob eine frühere Prämienerhöhung fehlerhaft war, ist für die Wirksamkeit der Neufestsetzung und der daraus folgenden erhöhten Beitragspflicht des Versicherungsnehmers deshalb ohne Bedeutung (BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19 -, BGHZ 228, 56-75 Rn. 55).
82
b) In den Tarifen V. ..., V. Z und .. (J. H.) ist durch die nachfolgende Anpassung zum 01.01.2018 eine solche „überholende Neufestsetzung“ erfolgt, denn die entsprechende Mitteilung genügt den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG (s.o.).
83
Gleiches gilt im Tarif TV .., wo die unwirksame Anpassung zum 01.01.2014 durch die wirksame Neufestsetzung (Beitragssenkung) zum 01.01.2017 „überholt“ wurde. Dass es sich bei dieser Anpassung um eine Beitragssenkung handelte, spielt für die Frage nach der überholenden Wirkung der Neufestsetzung keine Rolle.
84
7. Damit ist der Feststellungsantrag letztlich hinsichtlich folgender Anpassungen - z.T. zudem zeitlich eingeschränkt durch die nachfolgende Neufestsetzung bzw. Heilung - begründet:
- im Tarif V. ... zum 01.01.2014 bis einschließlich 31.12.2015 in Höhe von 63,42 €,
- im Tarif V. ... zum 01.01.2016 bis einschließlich 31.12.2017 in Höhe von 230,02 €,
- im Tarif TV ... zum 01.01.2014 bis einschließlich 31.12.2016 in Höhe von 9,27 €,
- im Tarif V. Z zum 01.01.2014 bis einschließlich 31.12.2017 in Höhe von 13,34 €
- im Tarif .. (J. H.) zum 01.01.2016 bis einschließlich 31.12.2017 in Höhe von 22,32 €, Hieraus folgt ein entsprechend (gestaffelt) reduzierter Gesamtbeitrag.
85
Im Übrigen war der Feststellungsantrag abzuweisen.
86
8. Auch der Antrag auf Feststellung der teilweisen Erledigung durch ein Ereignis nach Eintritt der Rechtshängigkeit ist unbegründet.
87
Insoweit war der ursprüngliche Feststellungsantrag bereits vor Eintritt der „Heilung“ durch Mitteilung der auslösenden Faktoren in der Klageerwiderung unbegründet, da die unwirksamen Anpassungen in den Jahren 2014 und 2016 in den Tarifen V. ..., TV .., V. Z und .. (J. H.) schon vor der Klageerwiderung durch die wirksame Neufestsetzung zum 01.01.2018 für die Zukunft wirksam wurden. Die übrigen Anpassungen waren von Anfang an wirksam (s.o.). Damit war der Feststellungsantrag in Bezug auf den für erledigt erklärten Teil schon vor Rechtshängigkeit unbegründet.
88
II. Aus dem Vorstehenden ergibt sich für die Klagepartei nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB ein berechtigter und einredefreier Rückzahlungsanspruch in Höhe von 3.188,16 €.
89
Unwirksame Anpassungen bilden keinen Rechtsgrund für gleichwohl geleistete Prämienzahlungen.
90
1. Etwaige bis zum 31.12.2016 aus unwirksamen Beitragserhöhungen resultierende Rückforderungsansprüche sind jedoch verjährt. Die Beklagte kann insoweit berechtigt die Rückzahlung verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB); dies gilt nach § 217 BGB auch für die Herausgabe der entsprechenden Nutzungen (BGH, Urteil vom 17. November 2021 - IV ZR 113/20 -, juris Rn. 39).
91
a) Die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) begann jeweils mit dem Schluss des Jahres, in dem die Prämienanteile gezahlt wurden. Die Klagepartei hatte mit dem Zugang der streitgegenständlichen Änderungsmitteilungen zu diesen Zeitpunkten bereits im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners (ausführlich BGH, Urteil vom 17. November 2021 - IV ZR 113/20 -, juris Rn. 40 ff.).
92
b) Für den konkreten Fall bedeutet dies, dass die Kammer, ausgehend von einer Verjährungsunterbrechung mit Klagezustellung am 21.12.2020, einen Rückforderungsanspruch grundsätzlich nur für Prämienzahlungen ab dem Jahr 2017 in Betracht zieht bzw. prüfen wird. Dabei unterliegen aber Zahlungen, die in in unverjährter Zeit erfolgt sind, auch dann der Rückforderung, wenn sie auf einer zum Jahr 2016 oder früher erfolgten unwirksamen und im Weiteren nicht „geheilten“ Anpassung beruhen - denn es verjährt nicht „die Anpassung“, sondern etwaige Rückzahlungsansprüche wegen infolge unwirksamer Anpassungen erbrachter Beitragszahlungen.
93
2. Der Rückgewähranspruch der Klagepartei aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB umfasst die Erhöhungsbeträge, die sie ohne wirksame Prämienanpassungserklärung gezahlt hat, der Höhe nach uneingeschränkt (BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19 -, BGHZ 228, 5675 Rn. 45 ff.). So kommt im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung insbesondere keine Anrechnung des genossenen Versicherungsschutzes in Betracht (BGH aaO). Auch auf einen Wegfall der Bereicherung kann sich die Beklagte nicht berufen (BGH aaO Rn. 51 f.).
94
3. Dies bedeutet für das Jahr 2017 hinsichtlich der Zahlungen auf Beitragsanpassungen in den Tarifen V. ..., V. Z und .. (J. H.) einen Rückforderungsanspruch in Höhe von insgesamt 3.188,16 €.
V. ...: 12 Monate (2017) * 230,02 € = 2.760,24 € 
V. Z:12 Monate (2017)* 13,34 € = 160,08 €
267,84 €
..: 12 Monate (2017) * 22,32 €
95
Der jeweilige Gesamtbeitrag der Prämien ist deshalb für den unverjährten Zeitraum um die unwirksamen Erhöhungen entsprechend zu reduzieren.
96
Soweit die Beklagte hat mit der Klageerwiderung (aaO S. 3) eingewendet hat, dass ein etwaiger Rückforderungsanspruch der Klagepartei infolge erbrachter Beitragsrückerstattungen jedenfalls überhöht sei, führt dies nicht zu einer Änderung des Rückforderungsbetrages. Wie die Kammer mit Hinweis vom 23.2.2022 ausgeführt hat, wäre dieser Einwand grundsätzlich beachtlich (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - IV ZR 191/20 -, juris Rn. 33). Trotz dieses Hinweises hat die Beklagte allerdings zur Substantiierung ihres Einwands nicht weiter dazu vorgetragen, wie hoch die Beitragsrückerstattungen für das jeweilige Jahr ohne die (unwirksamen) Prämienerhöhungen ausgefallen wären. Eine Anrechnung scheidet deshalb aus.
97
Im Hinblick darauf, dass die rechnerische Umsetzung der Feststellung der Unwirksamkeit einzelner Anpassungen keinen weitergehenden Erkenntnisgewinn bietet, sieht die Kammer von der konkreten Berechnung der (zeit-)anteiligen Beitragsreduktionen ab.
98
4. Der berechtigte Rückforderungsanspruch ist wie beantragt nach § 291, § 288 Abs. 2 BGB ab Rechtshängigkeit, also am Tag nach Klagezustellung (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - IV ZR 191/20 -, juris Rn. 34) zu verzinsen.
99
III. Der Feststellungsantrag nach Ziff. 3 betreffend die Herausgabe und Verzinsung gezogener Nutzungen ist ebenfalls nur teilweise begründet.
100
1. Der Klagepartei steht grundsätzlich ein Anspruch auf Herausgabe der durch die Beklagte gezogenen Nutzungen zu (Feststellungsantrag Ziff. 3a; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 - IV ZR 294/19 -, BGHZ 228, 56-75 Rn. 57 f.).
101
Allerdings ist der Anspruch auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen auf die Zeit vor Eintritt der Verzinsungspflicht für die Hauptforderung beschränkt. Prozess- und Verzugszinsen sollen den Nachteil ausgleichen, den der Gläubiger dadurch erleidet, dass er infolge nicht rechtzeitiger Zahlung des Schuldners daran gehindert ist, einen ihm zustehenden Geldbetrag zu nutzen. Dieser Nachteil wird durch einen Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen vollkommen ausgeglichen. Daher besteht neben dem Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen kein Anspruch auf Prozess- oder Verzugszinsen (BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19 Rn. 58).
102
Daher ist lediglich festzustellen, dass die Beklagte zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie in unverjährter Zeit (§ 217 BGB) bis längstens zur Rechtshängigkeit aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klagepartei auf die unwirksamen Beitragserhöhungen (bis zu deren wirksamer Neufestsetzung bzw. Heilung des Begründungsmangels) gezahlt hat.
103
2. Die Beklagte hat die jeweils herauszugebenden Nutzungen zu verzinsen, wie die Klagepartei mit dem Feststellungsantrag Ziff. 3b begehrt.
104
Zwar greift § 291 BGB als Anspruchsgrundlage für Prozesszinsen bei einer Klage, die - wie hier in Ziff. 3a - auf die Feststellung einer Verbindlichkeit gerichtet ist, nicht ein (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19 -, BGHZ 228, 56-75 Rn. 59). Die Klagepartei hat aber unwidersprochen vorgetragen (Klageschrift S. 9), die Beklagte mit Schreiben vom 14.8.2020 vergeblich zur Rückzahlung und Herausgabe der gezogenen Nutzungen aufgefordert zu haben; ein Zinsanspruch folgt deshalb aus Verzug (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2021 - IV ZR 113/20 -, juris Rn.38). Zum Zinsbeginn gilt § 308 Abs. 1 S. 2 ZPO.
105
IV. Soweit die Klageanträge nach dem Vorstehenden begründet sind, muss sich die Klagepartei keinen Verstoß gegen Treu und Glauben oder eine Verwirkung ihrer Ansprüche entgegenhalten lassen (BGH, Urteil vom 19.12.2018 - IV ZR 255/17 -, BGHZ 220, 297-323 Rn. 22 ff.; BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19 -, BGHZ 228, 56-75 Rn. 43 ff.).
106
V. Unabhängig vom Vorliegen eines haftungsbegründenden Tatbestandes war die Beauftragung der Klägervertreter mit der (zunächst nur) vorgerichtlichen Geltendmachung der Klageforderungen jedenfalls nicht erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB.
107
Wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat und der Kammer aus einer Vielzahl vergleichbarer Verfahren der Fall ist, war eine außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der Beklagten von vornherein aussichtslos. Da der Versuch einer außergerichtlichen Regulierung mit anwaltlicher Hilfe somit keinerlei Aussicht auf Erfolg versprach und damit kein Grund zu der Annahme bestand, eine gerichtliche Auseinandersetzung vermeiden zu können, wäre die Klagepartei gehalten gewesen, den Klägervertretern bereits von Anfang an einen unbedingten Klageauftrag zu erteilen; dann wären deren Tätigkeiten vor Erhebung der Klage allein unter die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG gefallen (BGH, Urteil vom 07. Mai 2015 - III ZR 304/14 -, BGHZ 205, 260-270 Rn. 35). Der Hinweis der Klagepartei hierzu, wonach die streitgegenständliche Rechtsmaterie aufgrund ihrer Komplexität die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts stets rechtfertige (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 - VI ZR 45/19 -, juris), setzt an der falschen Stelle an: Die Kammer stellt die Berechtigung der Klagepartei, einen Rechtsanwalt zur Durchsetzung etwaiger Rückforderungsansprüche heranzuziehen, nicht in Abrede. Da den Klägervertretern - der Klagepartei zurechenbar - jedoch bekannt war, dass ein außergerichtliches Herantreten an die Beklagte keine Aussicht auf Erfolg versprach, hätten diese auf einen unbedingten Klageauftrag hinwirken müssen. Das Auslösen einer gesonderten Geschäftsgebühr war demnach nicht erforderlich.
C.
Nebenentscheidungen
108
I. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
109
1. Dabei ist neben dem Klageantrag Ziff. 2, der auf Rückzahlung der vom 1.1.2012 bis einschließlich 14.08.2020 geleisteten Prämienanteile in Höhe von 21.366,78 € gerichtet ist, der Klageantrag zu 1 auf Feststellung der Unwirksamkeit der erfolgten Prämienerhöhungen und der Nichtverpflichtung zur Tragung der Erhöhungsbeträge für die Vergangenheit nicht Streitwert erhöhend anzusetzen, da er insoweit wirtschaftlich identisch ist, sich also auf denselben Zeitraum bezieht wie der Zahlungsantrag (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2021 - IV ZR 294/19 -, juris). Für die Zukunft, d.h. ab Anhängigkeit der Klage, ist er als wirtschaftlich eigenständig hingegen in vollem Umfang zu berücksichtigen.
110
Dies bedeutet, dass die Summe der als unwirksam angesehenen Beitragserhöhungen von insgesamt 367,98 € für 42 Monate (Zeitraum von 3,5 Jahren § 9 ZPO analog: BGH, Beschluss vom 20. Januar 2021 - IV ZR 294/19 -, juris), also mit insgesamt 15.455,16 € in Ansatz zu bringen ist. Da die Feststellung ein negatives Begehr trägt, ist ein Feststellungsabschlag nicht vorzunehmen: Der Wert der negativen Feststellungsklage entspricht dem Wert der Leistungsklage umgekehrten Rubrums (BGH Beschluss vom 12.3.2015 - I ZR 99/14, BeckRS 2015, 6520). Der Streitwert beträgt daher bis 14.12.2021 36.821,94 €.
111
Da in der streitgegenständlichen Konstellation das Verhältnis von Unterliegen und Obsiegen zwischen Feststellungsantrag und Leistungsantrag nicht „parallel läuft“, ist ein fiktiver Streitwert in Ansatz zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2021 - IV ZR 250/20 -, juris Rn. 30 zu OLG Köln, Urteil vom 01. September 2020 - I-9 U 186/19 -, juris, wo (nur) der „parallele“ Feststellungsantrag als unzulässig abgewiesen worden war). Für den fiktiven Streitwert ist daher auch der Zeitraum des Feststellungsantrags zu berücksichtigen, soweit er sich auf denselben Zeitraum bezieht wie der Zahlungsantrag. Dabei ist der Feststellungsantrag mit 20% des Zahlungsantrags zu bewerten (BGH aaO). Der Kläger obsiegt daher mit 4.898,62 € (3.188,16 € + 0,2 x (24 x 63,42 € + 24 x 230,02 € + 36 x 9,27 € + 48 x 13,34 € + 24 x 22,32 €) bei einem fiktiven Streitwert von 41.095,30 € (21.366,78 € + 0,2 x 21.366,78 € + 15.455,16 €), also zu 12%.
112
Die beanspruchten Nutzungen bleiben als unselbständige Nebenforderungen nach § 4 ZPO ebenso streitwertneutral wie die geforderten Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (vgl. OLG Celle Urt. v. 13.1.2022 - 8 U 134/21, BeckRS 2022, 1230 Rn. 83; OLG Köln, Urteil vom 21. April 2020 - 9 U 174/18 -, juris Rn. 135; gebilligt durch BGH, Urteil vom 17. November 2021 - IV ZR 113/20 -, juris, wo offensichtlich nicht davon ausgegangen wird, dass nach den Grundsätzen der Entscheidung BGH, Beschluss vom 15. Februar 2000 - XI ZR 273/99 -, juris die Nutzungen als Teil eines einheitlichen bereicherungsrechtlichen Gesamtanspruchs selbst Hauptforderung sind). Die abweichende Auffassung (z.B. OLG Saarbrücken Urt. v. 1.12.2021 - 5 U 93/20, BeckRS 2021, 40887) verkennt mit ihrem Hinweis auf BGH, Beschluss vom 19. 12. 2018 - IV ZB 10/18, r+s 2019, 137, dass diese Rspr. ausdrücklich auf „Fälle der vorliegenden Art“, also die Rückabwicklung von Lebensversicherungsverträgen beschränkt ist. Das dort zur ausnahmsweise streitwerterhöhenden Berücksichtigung von Nutzungen herangezogene Argument, wonach es bei der vollständigen Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages tatsächlich und rechtlich schwierig ist, ob und in welchem Umfang der eingeklagte Nutzungsherausgabeanspruch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem Anspruch auf Rückzahlung der Versicherungsbeiträge steht, von diesem also sachlich rechtlich abhängt, greift in den streitgegenständlichen Fällen hingegen nicht: Hier geht es nicht um die Rückabwicklung eines kompletten Vertrages sondern die Rückzahlung von zeitlich und der Höhe nach klar definierbaren Prämienanteilen. Auch nur hinsichtlich dieser Prämienanteile werden Nutzungen beansprucht. Das Abhängigkeitsverhältnis der beanspruchten Nutzungen zu den zurückgeforderten Prämienanteilen liegt deshalb offen zutage.
113
2. Nach der einseitig gebliebenen Teil-Erledigterklärung mit Schriftsatz vom 14.12.2021, eingegangen bei Gericht an demselben Tag, ist der Streitwert auf 25.422,35 € festzusetzen:
114
Dabei sind neben dem Klageantrag Ziff. 2, der auf Rückzahlung der vom 1.1.2012 bis einschließlich 14.08.2020 geleisteten Prämienanteile in Höhe von 21.366,78 € gerichtet ist, der Feststellungsantrag Ziff. 1 für die Zukunft nur noch anteilig mit 7 Monaten zu berücksichtigen, also mit 2.575,86 € (7 x 367,98 €). Denn die Klagepartei begehrt nach der teilweisen Erledigterklärung nur noch die Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen bis Eintritt der ihrer Auffassung nach eingetretenen Heilung infolge der Zustellung der Klageerwiderung, in der die maßgeblichen Anpassungsgründe mitgeteilt wurden.
115
Wenn eine Mitteilung der Prämienanpassung zunächst ohne eine den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügende Begründung erfolgt, diese aber später nachgeholt wird, wird dadurch die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt (BGH, Urteil vom 19.12.2018 - IV ZR 255/17 -, BGHZ 220, 297-323 Rn. 66 ff.); es kommt zu einer Heilung ex nunc (BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19 -, BGHZ 228, 56-75 Rn. 41).
116
Eine solche Heilung wäre hinsichtlich der streitgegenständlichen Anpassungen jedenfalls mit der Klageerwiderung erfolgt. Dort wird bereits ausreichend mitgeteilt, welche Rechnungsgrundlage die streitgegenständlichen Neufestsetzungen veranlasst hat.
117
Da nach § 203 Abs. 5 VVG die Neufestsetzung der Prämie zu Beginn des zweiten Monats wirksam wird, der auf die Mitteilung der Neufestsetzung und der hierfür maßgeblichen Gründe an den Versicherungsnehmer folgt, bestünde - ausgehend von einer Zustellung der Klageerwiderung am 18.02.2021 - ein berechtigter Zahlungsanspruch der Beklagten jedenfalls ab dem 01.04.2021 (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2021 - IV ZR 113/20 -, juris Rn. 29).
118
Zusätzlich ist bei dem Streitwert das Kosteninteresse in Bezug auf den einseitig für erledigt erklärten Teil zu berücksichtigen. Der Kostenwert des erledigten Teils ist nach der Differenzmethode zu errechnen. Hinzuzurechnen ist demnach der Betrag, um den die tatsächlich angefallenen Kosten diejenigen Kosten überschreiten, die angefallen wären, wenn der Kläger den Rechtsstreit von Anfang an nur über den Wert des nicht erledigten Teils geführt hätte (BGH NJW-RR 1996, 1210). Hätte der Kläger den Rechtsstreit von Anfang an nur über den nicht erledigt erklärten Teil geführt, wären Prozesskosten in Höhe von 5.239,68 € entstanden, tatsächlich sind Kosten in Höhe von 6.719,39 € entstanden. Die Differenz in Höhe von 1.479,71 € ist daher bei dem Streitwert zu berücksichtigen.
119
II. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 2 ZPO.