Titel:
Qualifizierung als Ehewohnung
Normenkette:
BGB § 1361b
Leitsätze:
1. Für die Qualifizierung einer Wohnung als Ehewohnung kommt es auf den Zeitpunkt der Trennung oder Trennungsabsicht an, nicht auf denjenigen der Antragstellung. (Rn. 13) (red. LS Axel Burghart)
2. Nach einem Umbau handelt es sich noch um die Ehewohnung, wenn der Kernbereich der Lebensführung in den noch vorhandenen Räumen stattgefunden hat und die Wohnung den Charakter als Ehewohnung durch die Veränderung nicht verloren hat. (Rn. 13) (red. LS Axel Burghart)
3. Eine Entwidmung der Ehewohnung erfordert eine wirksame Vereinbarung der Beteiligten, die auch auf die Entwidmung der Ehewohnung gerichtet ist. (Rn. 13) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Ehewohnung, Widmung, Entwidmung, Umbau, Trennung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 31.10.2022 – 16 UF 907/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 33136
Tenor
1. Die im Hause ..straße in M. gelegene Ehewohnung (Räume im Erdgeschoss und Teile des 1. OG) bestehend aus Küche, Gäste-WC, kleiner Flur und Wohnzimmer im EG, sowie zwei Zimmer und Bad im 1. OG nebst Kellernutzung und Tiefgaragenplatz wird für die Dauer des Getrenntlebens der Antragstellerin zur alleinigen Benutzung zugewiesen.
2. Die sofortige Wirksamkeit wird angeordnet.
3. Der Verfahrenswert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
4. Die Gerichtskosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin und der Antragsgegner je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
1
Die Beteiligten sind seit dem 09.02.2018 getrennt lebende Ehegatten. Aus der Ehe ist die gemeinsame Tochter T., geb. ..., hervorgegangen. Der Antragsgegner ist am 01.05.2018 aus der gemeinsamen Wohnung in der ..straße in M. ausgezogen. Die Antragstellerin und die gemeinsame Tochter T. sind in der Ehewohnung verblieben.
2
Das Anwesen ..straße, M. steht im Miteigentum der Beteiligten, der Miteigentumsanteil der Antragstellerin beträgt 11,5% und der des Antragsgegners 88,5%.
3
In dem Anwesen befinden sich zwei Wohneinheiten. Die Dachgeschosswohnung sowie ein Teil des ersten Obergeschosses war bereits während der Ehe von der Ehewohnung getrennt und vermietet. Nach dem Auszug des Antragsgegners wurde das Anwesen dahingehend umgebaut, dass im ersten Obergeschoss das frühere Schlafzimmer der Beteiligten, das separate Bad des Antragsgegners, die Ankleide, sowie ein kleiner Teil des Flurs abgetrennt und der Dachgeschosswohnung zugeschlagen wurde. Hierzu wurde im Flur eine Mauer eingezogen. Das zuvor von T. als zweites Zimmer genutzte Zimmer wurde, wird jetzt von der Antragstellerin als Schlafzimmer genutzt. Die Antragstellerin zahlt für die Nutzung der Wohnung an den Antragsgegner monatlich einen Betrag von 1.326,73 € und trägt die Nebenkosten in Höhe von monatlich 333,94 € allein.
4
Die Beteiligten sind sich darüber uneinig, ob der Umbau mit Zustimmung des Antragsgegners erfolgt ist oder ohne dessen Zustimmung.
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Der Antragsgegner möchte seinen Eigentumsanteil verwerten und betreibt die Teilungsversteigerung vor dem Amtsgericht München, Az. … Die Antragstellerin wehrt sich gegen die Teilungsversteigerung, insbesondere mit einer Drittwiderspruchsklage sowie dem gegenständlichen Verfahren.
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Die Antragstellerin möchte der gemeinsamen Tochter das gewohnte Umfeld erhalten. Sie ist der Auffassung, dass dies aufgrund der Belastung von T. erforderlich ist.
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Die Antragstellerin beantragt,
Die in der ..straße in M. gelegene Wohnung 1 (Räume im Erdgeschoss und Teile des 1. OG) bestehend aus Küche, Gäste-WC, kleiner Flur und Wohnzimmer im EG, sowie zwei Zimmer und Bad im 1. OG nebst Kellernutzung und Tiefgaragenplatz wird der Antragstellerin für die Dauer des Getrenntlebens der Beteiligten zur alleinigen Nutzung zugewiesen.
8
Der Antragsgegner beantragt,
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Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass es sich bei der gegenständlichen Wohnung wegen des erfolgten Umbaus, dem er nicht zugestimmt habe, schon nicht mehr um die Ehewohnung handele. Darüber hinaus sei die Zuweisung auch nicht zum Wohl der gemeinsamen Tochter T. erforderlich. Jedenfalls gehöre weder der Keller noch der Tiefgaragenstellplatz zum Schutzbereich der Ehewohnung.
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Ergänzend wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Anhörungsvermerk vom 12.07.2022 (Bl. 46/48). Eine weitere Schriftsatzfrist war nicht mehr zu gewähren, da das Gericht keine rechtlichen Hinweise erteilt hat, sondern lediglich seine Rechtsauffassung mitgeteilt hat. Auch der Schriftsatz der Gegenseite enthält keine neuen Tatsachenausführungen, sondern lediglich Rechtsausführungen. Die Beteiligten wurden im Termin angehört, so dass entschieden werden konnte.
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Der Antrag ist zulässig und begründet.
12
Der Anspruch auf Überlassung der Ehewohnung ergibt sich aus §§ 1361b Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 BGB.
13
Es handelt sich bei der streitgegenständlichen Wohnung trotz des nach der Trennung erfolgten Umbaus auch noch um die Ehewohnung. Entscheidender Zeitpunkt der Qualifizierung einer Wohnung als Ehewohnung ist bei § 1361b BGB der Zeitpunkt der Trennung oder Trennungsabsicht, nicht derjenige der Antragstellung. Insoweit kommt es auf die Frage der Veränderung der Räumlichkeiten in der Ehewohnung in diesem Verfahren nicht an. Darüber hinaus handelt es sich auch nach dem erfolgten Umbau noch um die Ehewohnung, da der Kernbereich der Lebensführung in den noch vorhandenen Räumen stattgefunden hat und der Charakter der Wohnung als Ehewohnung durch die Veränderung nicht verloren hat. Insbesondere wurden die Räumlichkeiten im Erdgeschoss nicht verändert. Lediglich das eheliche Schlafzimmer nebst Ankleide und einem separaten Bad existieren nicht mehr, da diese der vermieteten Dachgeschosswohnung zugeschlagen wurde. Im Rahmen des § 1361 b BGB ist der Begriff der Ehewohnung weit zu verstehen, so dass der Anwendungsbereich gegeben ist. Es hat auch keine nachträgliche Entwidmung der Ehewohnung stattgefunden. Dies erfordert eine wirksame Vereinbarung der Beteiligten, die auch auf die Entwidmung der Ehewohnung gerichtet ist. Eine solche Vereinbarung hat es aber gerade nicht gegeben. Der Antragsgegner hat selbst angegeben, dass er mit dem Umbau nicht einverstanden war und bestreitet eine entsprechende Zustimmung gegeben zu haben. Auch nach dem Vortrag der Antragstellerin ergibt sich nichts anderes, da der Antragsgegner eine etwaig erteilte Zustimmung wieder zurückgezogen hat. Eine Einigung liegt daher gerade nicht vor.
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Mit umfasst vom Begriff der Ehewohnung sind grundsätzlich auch Nebenräume, solange diese von den Ehegatten während intakter Ehe genutzt wurden. Insoweit ist vorliegend auch der Keller und der Garagenstellplatz Teil der Ehewohnung und vom Schutzbereich mit umfasst.
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Da der Antragsgegner die Wohnung unstreitig bereits am 01.05.2018 ausgezogen ist und hat auch seitdem keine Rückkehrabsicht geäußert, wird die Überlassung gemäß § 1361 b Abs. 4 BGB unwiderleglich vermutet. Es wird unwiderleglich die materielle Rechtsfolge des Abs. 1 S. 1 vermutet, nämlich, dass der ausgezogene Ehegatte dem in der Wohnung verbliebenen Ehegatten das alleinige Nutzungsrecht, also das Recht zum Alleinbesitz der Wohnung, überlassen hat. Damit wird die Rechtsfolge des § 1361b Abs. 1 S. 1 vermutet, verwandelt dieser doch das gem. § 1353 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 bestehende Recht zum Mitbesitz beider Ehegatten zu einem Recht zum Alleinbesitz des Anspruchsinhabers.
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Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit beruht auf § 209 Abs. 2 Satz 2 FamFG.
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Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 48 FamGKG.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Vorliegend entspricht es billigem Ermessen die Gerichtskosten beiden Beteiligten jeweils zur Hälfte aufzuerlegen und außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten. Gründe im Sinne von Abs. 2 einem Beteiligten die Kosten allein aufzuerlegen sind nicht ersichtlich.
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Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 48 Abs. 1 Alt. 1 FamGKG.