Inhalt

LG Ansbach, Beschluss v. 25.07.2022 – 4 T 631/22
Titel:

Unterbringung und Zwangsmedikation bei Selbstgefährdung aufgrund psychischer Erkrankung

Normenkette:
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1, § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 4
Leitsätze:
1. Eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge psychischer Erkrankung setzt auch voraus, dass der Betroffene auf Grund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (ebenso BayObLG BeckRS 2000, 30146409 unter II.2.a). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ausgestaltung des gem. § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB erforderlichen Überzeugungsversuchs hängt stark vom Einzelfall ab, insbesondere dem Krankheitsbild des Betroffenen (vgl. BGH BeckRS 2014, 13320 Rn. 20). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betreuung, Unterbringung, Selbstschädigung, Selbstgefährdung, psychische Erkrankung, freie Willensbestimmung, Zwangsmedikation, Überzeugungsversuch, Krankheitsbild
Vorinstanz:
AG Ansbach, Beschluss vom 28.06.2022 – 11 XVII 431/22
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 16.11.2022 – XII ZB 356/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 33066

Tenor

Die Beschwerde der Betreuten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ansbach vom 28.06.2022, Az. 11 XVII 431/22, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
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Mit Beschluss vom 28.06.2022 hat das Amtsgericht Ansbach die Unterbringung der Betreuten ... durch den Betreuer in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 09.08.2022 genehmigt.
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Die Einwilligung des Betreuers in folgende ärztliche Zwangsmaßnahme, nämlich die Heilbehandlung durch - auch zwangsweise - Gabe von Flupentixol-Depot durch intramuskuläre Injektion in einer Dosierung von anfangs 40 mg und danach dosissteigernd in 14-tägigen Abständen bis 150 mg, sowie bei Aggressivität, Unruhe und Anspannungszuständen die Gabe von Diazepam in einer Gesamthöchstdosis am Tag bis 30 mg, zu verabreichen in 2-3 Gaben oral, oder in Form intramuskulärer Injektion mit einer Gesamthöchstdosis pro Tag von 20 mg in 2 Gaben von je 10 mg, und weiters die - auch zwangsweise - Verabreichung von Nährstoffen und Flüssigkeit durch intravenöse Infusion der Lösung SmofKabiven 1900 ml täglich wurde bis längstens 26.07.2022 genehmigt. Flankierend hierzu hat das Amtsgericht zur Überwachung der Zwangsmedikation und -ernährung die - auch zwangsweise - Ableitung eines Elektrokardiogramms und Blutabnahme genehmigt. Die genannte Maßnahme sei unter Verantwortung eines Arztes durchzuführen und zu dokumentieren.
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Ferner hat das Amtsgericht die zeitweise oder regelmäßig erfolgende Freiheitsentziehung der Betreuten durch den Betreuer durch Isolierung und/oder Fixierung der Extremitäten als Begleitmaßnahme der Zwangsmedikation und -ernährung zu deren sicheren Durchführung und nur während der konkreten Durchführung bis längstens 26.07.2022 genehmigt, wobei sich der Durchführende vor und während der Maßnahme jeweils von der Unbedenklichkeit überzeugen müsse, sich die Beschränkung immer nur auf das unbedingt erforderliche Maß erstrecken dürfe, eine schriftliche Aufzeichnung über Art und Dauer zu erstellen sei und das Personal für die Betreute stets erreichbar sein müsse.
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Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wurde angeordnet.
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Bereits mit Beschluss vom 09.06.2022 war der Betroffenen Frau Rechtsanwältin … als Verfahrenspflegerin bestellt worden.
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Gegen diesen Beschluss vom 28.06.2022 legte die Betroffene mit Faxschreiben vom selben Tag Beschwerde ein mit der Begründung, sie sei „psychiatrisch gesund“. Sie sei auch nicht der Mensch, welcher am „Ersten Januar 67“ geboren sei.
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Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 30.06.2022 nicht abgeholfen und diese dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
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Die Verfahrenspflegerin nahm mit Schreiben vom 14.07.2022 zur Beschwerde Stellung, wobei sie die Erforderlichkeit der Unterbringung als auch der angeordneten Zwangsmaßnahmen befürwortete.
II.
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1. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
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a) Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die freiheitsentziehende Unterbringung durch den Betreuer nur zulässig, wenn auf Grund der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. In diesem Zusammenhang müssen objektivierbare, konkrete Anhaltspunkte für eine akute Suizidgefahr oder den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens bestehen (BGH NJW-RR 2010, 291; 2010, 1370 (1370, 1371); OLG München BeckRS 2005, 11854). Nicht erfasst sind dagegen grundsätzlich Schäden oder Gefährdungen anderer Rechtsgüter als Leben und Gesundheit des Betroffenen, wie z.B. Vermögensschäden. Ferner muss die Ursache für die bestehende Selbstschädigungsgefahr in der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen liegen. Hiermit soll klargestellt werden, dass Gesundheitsgefährdungen oder -schädigungen, die auch bei Nichtbetreuten üblich sind, keine freiheitsentziehende Unterbringung des Betroffenen rechtfertigen (BT-Drucks. 11/4528, S. 146). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung setzt die Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge psychischer Erkrankung in verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes weiterhin voraus, dass der Betroffene auf Grund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (BayObLG, FamRZ 1993, 600; NJW-RR 1998, 1014 (1015); NJWE-FER 2001, 150 (150)).
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b) § 1906 Abs. 1 bis 3 BGB gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll (§ 1906 Abs. 4 BGB).
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c) Gem. § 1906 a BGB kann der Betreuer in einen ärztlichen Eingriff, der dem natürlichen Willen des Betroffenen widerspricht, nur dann einwilligen, wenn (1) die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betroffenen notwendig ist um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden, (2) der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder eine geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Maßnahme nicht erkennen kann oder nach dieser Einsicht handeln kann, (3) die ärztliche Zwangsmaßnahme dem nach § 1901 a BGB zu beachtenden Willen des Betroffenen entspricht, (4) zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde den Betroffenen von der Notwendigkeit der Maßnahme zu überzeugen, (5) der drohende gesundheitliche Schaden durch keine andere den Betroffenen weniger belastende Maßnahme abgewendet werden kann, (6) der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartende Beeinträchtigung deutlich überwiegt und (7) die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus erfolgt, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betroffenen einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist.
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2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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Der Sachverständige … führte in seinem Gutachten vom 03.06.2022 aus, diagnostisch liege bei der Betroffenen eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie (ICD-10: F20.0) vor, die ohne regelmäßige Medikation im Vorfeld der Aufnahme massiv exazerbiert sei. Im Rahmen ihrer Psychose lebe die Betroffene offenkundig auf der Straße und sei dabei völlig verwahrlost. Sie sei zuletzt nicht mehr imstande gewesen, sich selbst zu pflegen, sodass es sogar zu einem Läusebefall gekommen sei. Sie nehme die Realität nur noch als feindlich war und glaube von allen Lebensmitteln und auch durch das Leitungswasser vergiftet zu werden. Im Rahmen der Psychose und der Verkennung sei es schließlich zur polizeilichen Einweisung ins Bezirksklinikum … gekommen. Auch hier sei die Betroffene gedanklich fixiert auf eine Welt voller Gifte und Menschen, die ihr feindlich gegenüber stünden. Der aktuelle psychische Befund sei bewusstseinsklar, autopersonell, zeitlich und örtlich scheinbar orientiert, situativ desorientiert. Im Verhalten dominiere eine verdrießliche Haltung, im äußeren Erscheinungsbild wirke sie ungepflegt. Der Antrieb erschiene gesteigert, psychomotorisch sei sie angespannt, emotional vermindert schwingungsfähig. Der formale Gedankengang sei sprunghaft assoziativ gelockert und teils zerfahren. Inhaltlich bestünden diffuse Wahnideen über Botschaften, vergiftete Lebensmittel ohne konkretes System bei massiver paranoider Realitätsverkennung. Die Kritik- und Urteilsfähigkeit bezüglich der Lebensmittelsituation und der Krankheit sei aufgehoben. Die Betroffene sei nicht imstande, ihre Krankheit und ihre hierdurch bedingte Situation zu erkennen und gefährde sich hierdurch in extremer Weise durch Mangelernährung, Verwahrlosung und Tierbefall. Auch sei sie nicht in der Lage, sich selbstständig zu versorgen, zu ernähren oder am sozialen Leben teilzunehmen. Die hier gebotene antipsychotische Medikation verkenne sie ebenfalls als Gift.
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Zum Wohle der Betroffenen und zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens (Herzstillstand im Rahmen von Erregungszuständen, Verwahrlosung, Unfähigkeit zur Teilhabe am sozialen Leben, Gefährdung auf der Straße, Suizid) bei paranoider Realitätsverkennung mit formalen und inhaltlichen Denk- sowie Wahrnehmungsstörungen, mit erheblichen Anspannungszuständen und teils tätlicher Aggressivität bei stetem Gefühl der Bedrohung sei zum Wohle der Betroffenen eine psychopharmakologische Heilbehandlung auch gegen ihren Willen notwendig. Diese bestünde in einer medikamentösen Behandlung z.B. mittels Flupentixol-Depot, einem stark antipsychotisch wirksamen Medikament. Flupentixol-Depot solle beginnend mit 40 mg sowie danach dosissteigernd in 14-tägigen Abständen bis 150 mg (1,5 ml Flupentixol-Depot, 10 %), intramuskulär verabreicht werden. Nur eine Depotmedikation sei sinnvoll, da die Betroffene eine orale Medikation wieder absetzen oder boykottieren würde. Bei Aggressivität, Unruhe und Anspannungszuständen solle die Zwangsmaßnahme zusätzlich mit Diazepam in einer Gesamttageshöchstdosis bis 30 mg, die in 2-3 Gaben oral oder intramuskulär in einer Gesamttageshöchstdosis von 20 mg in 2 Gaben von jeweils 10 mg ergänzt werden. Zwecks intravenöser Ernährung mit Nährstoffen und Flüssigkeit solle der Betroffenen peripher über einen Venenzugang einmal täglich SmofKabiven 1900 ml in fundiert werden.
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Der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahmen überwiege bei weitem die tatsächlich zu erwartenden Beeinträchtigungen. Die Gefährdung erscheine eher gering, da bei Auftreten von Symptome im klinischen Bereich sofort entsprechend reagiert werden könne und die Störungen in der Regel reversibel seien.
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Die Betroffene könne aufgrund der Erkrankung ihren Willen hinsichtlich der ärztlichen Maßnahmen nicht frei bestimmen, da sie krankheitsbedingt deren Notwendigkeit nicht erkennen und auch nicht nach dieser Einsicht handeln könne. Sie nehme ihre Medikation ohne den Druck eines Beschlusses zur Zwangsmedikation nicht ein und verweigere diese konsequent. Bei Nichtbehandlung sei von weiterem Fortschreiten der psychotischen Symptomatik, Verlust alltagspraktischer und sozialer Fähigkeiten, Obdachlosigkeit oder sogar von suizidalen Handlungen im Rahmen des psychotischen Erlebens auszugehen, in diesem Sinne bestünde eine erhebliche Eigengefährdung. Nur mithilfe der Zwangsmedikation könne die Fähigkeit zur freien Willensbildung wiederhergestellt werden. Diese Maßnahme entspreche dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen, da die Betroffene unter regelmäßiger Einnahme von Neuroleptika in der Vergangenheit subjektives Wohlbefinden und Teilhabe am sozialen Leben aufgewiesen habe. Durch mildere Mittel als die Verabreichung der psychopharmakologischen Medikation gegen den Willen der Betroffenen könne der drohende erhebliche gesundheitliche Schaden nicht abgewendet werden. Die Maßnahme sei notwendig und aussichtsreich. Es bestünde keine zumutbare Alternative. Tägliche Überzeugungsversuche seien in der Krankenakte dokumentiert, ein Überzeugungsversuch des Sachverständigen sei ebenfalls gescheitert. Die beschriebene ärztliche Zwangsmedikation werde voraussichtlich für 4 Wochen notwendig sein. In diesem Zeitraum könnten 3 Injektionen gesetzt werden. Die Zwangsmedikation könne erst beendet werden, wenn die Betroffene ihre Medikation regelmäßig freiwillig einnehme, womit jedoch nicht rasch zu rechnen sei. Daher sei unbedingt die genannte Depot-Medikation erforderlich, um der Betroffenen später eine stabile wohnliche Umgebung (entweder zu Hause oder in einem Heim) frei von Selbstgefährdung zu ermöglichen, da sie auch dort eine orale Medikation absetzen bzw. verweigern würde.
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Für den Fall akuter Erregungszustände oder Aggressivität vor oder während der Zwangsmedikation sollten zum Schutz und zum Wohle der Betroffenen unterbringungsähnliche Maßnahmen in Form einer Isolierung im Zimmer sowie durch Festhalten oder sogar in Form einer 5-Punkt-Fixierung zeitweise genehmigt werden, insbesondere um die notwendigen Zwangsbehandlungen durchzusetzen und um eine akute Gefahr für die Betroffene und für die Verabreichenden abzuwenden. Ferner sei zur Absicherung der Therapien dringend eine Blutentnahme, auch gegen den Willen der Betroffenen, durchzuführen sowie ein EKG abzuleiten. Nur hierdurch könnten akute Gefahren für das Leben der Betroffenen erkannt bzw. entsprechend behandelt werden.
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Aus medizinischer Sicht lägen bei der Betroffenen aufgrund der beschriebenen akuten psychotischen Symptomatik bei bestehender akuter Eigengefährdung die Voraussetzungen für freiheitssentziehende Maßnahmen im Sinne von § 1906 BGB weiterhin vor. Die Betroffene sei zu einer freien Willensbestimmung nicht in der Lage. Durch ihr nicht steuerbares provokatives und aggressives Verhalten bestünde immer die Gefahr der Gegengewalt, infolge ihrer Erregungszustände bestünden aktuell akute Gefährdungen wie zum Beispiel Herzinfarkt oder Schlaganfall. Die Maßnahme der Unterbringung sei voraussichtlich für 6 Wochen über den 29.06.2022 in einer psychiatrischen Fachklinik notwendig, da die Betroffene obdachlos sei, ein Entlassmanagement mit Nachsorge durchgeführt werden müsse und nur durch längerfristige medikamentöse und psychoedukative Maßnahmen ein Mindestmaß an Krankheitseinsicht erzielt werden könne. Andere Lebensmöglichkeiten, die eine Unterbringung ganz oder teilweise entbehrlich machen würden, seien derzeit nicht möglich. Es bestünden Behandlungs- und Rehabilitationsmöglichkeiten, jedoch nur in Form einer geschlossenen stationären Therapie zwecks Behandlung der Psychose mit konsequenter und regelmäßiger Medikation und zwecks entsprechender Psychoedukation zur Verhinderung weiterer selbstgefährdender Handlungen.
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3. Die Kammer schließt sich den nachvollziehbaren, schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nach eigener kritischer Prüfung an. Aus diesen ist eindeutig erkennbar, dass die Betroffene aufgrund ihrer Krankheit ihren Willen in Bezug auf die freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht frei bestimmen kann, sie kann die Notwendigkeit der beschriebenen Maßnahmen nicht erkennen und danach handeln. Dies wird auch aus den Erklärungen der Betroffenen im Rahmen der richterlichen Anhörung am 23.06.2022 deutlich, wonach sie angab, sie würde keine Medikamente einnehme, und dem Richter drohte, diesen umzubringen.
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Die Bewertung des Sachverständigen wird zudem in tatsächlicher Hinsicht gestützt durch die schriftliche Stellungnahme des Betreuers, welcher schilderte, er habe die Betroffene am 28.05.2022 im Bezirksklinikum A. aufgesucht. Dabei habe sie einen zerzaust und verwirrten Eindruck gemacht und behauptet, sie sei nicht Frau C.-R. Sch. und auch nicht am ... 1967 geboren, wobei sie ihren vermeintlich richtigen Namen und Geburtstag nicht nennen habe wollen. Auch sei die ärztliche Diagnose falsch. Sie leide lediglich an einer Krankheit, wegen der sie laut Arzt nur abgepackte Nahrungsmittel essen dürfe. Welcher Arzt das gewesen sei, habe sie nicht sagen wollen. Von der Klinik würden ihr Essen und Getränke vorenthalten werden. Zudem sei sie aus der Schweiz kommend auf der Durchreise nach Holland gewesen, als man sie in der Toilette eines Zuges entdeckt und in die JVA gebracht habe, wo sie von mehreren Personen zusammengeschlagen worden sei. Sie sei dann nach Ansbach gebracht und unschuldig eingesperrt worden. Ihren Pass hätten die Deutschen gestohlen, schon zweimal. Auch hierin zeigt sich die vom Sachverständigen diagnostizierte Erkrankung der Betroffenen, ihr Unvermögen zur Realitätserkennung und die fehlende Behandlungseinsicht.
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Und auch die Verfahrenspflegerin schildert in dem Schreiben vom 14.07.2022, in welchem sie die Unterbringung und die Zwangsmedikation sowie die angeordneten weiteren Zwangsmaßnahmen befürwortet, die Betroffene habe in Gesprächen mit ihr mehrfach angebracht, dass sie nicht die Person sei, die in diesen Beschlüssen genannt werde bzw. auch nicht die Person, die diesen Namen trüge oder an diesem Datum geboren worden sei. Auf mehrfache Nachfrage habe sie allerdings nicht angeben können, wer sie sei und wann denn ihr wirklicher Geburtstag wäre. Desweiteren habe die Betreute der Verfahrenspflegerin mehrfach ausführliche Anweisungen im Hinblick auf Lebensmitteleinkaufslisten gegeben, die auch nur beim Edeka Supermarkt zu erwerben seien, dies aufgrund von einer angeblichen körperlichen Schädigung, die sie nicht näher bezeichnen könne, und deswegen unter dem Bedürfnis stehe, sich nur durch diese Lebensmittel zu ernähren. Die Verfahrenspflegerin führt aus, es blieben nach den Gesprächen mit der Betreuten für sie keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Betreute geschlossen untergebracht werden müsse und dass auch die Zwangsmedikation trotz möglicher Nachteile durch Nebenwirkungen der Medikamente als auch die Zwangsernährung notwendig seien, Letztere schon allein aus dem Grund, da die Betreute sich ansonsten verhungern lassen würde.
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Die Kammer ist nach alledem davon überzeugt, dass die Unterbringung, die Durchführung der o. g. ärztlichen Zwangsmaßnahmen sowie die Isolierung und Fixierung zum Wohle der Betroffenen unabdingbar sind. Insbesondere kann der drohende gesundheitliche Schaden durch keine andere die Betroffene weniger belastende Maßnahme abgewendet werden. Auch überwiegt der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahmen die zu erwartende Beeinträchtigung insbesondere im Hinblick auf die sonst drohende Verschlechterung des psychischen Zustandes und der damit einhergehenden Gefährdung der Betroffenen. Auch die Dauer der Genehmigung der Unterbringung und der Zwangsmaßnahmen ist in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Sachverständigen nicht zu beanstanden.
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Soweit § 1906 a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB verlangt, dass zuvor ernsthaft mit dem notwendigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht worden sein muss, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen, so ist zu konstatieren, dass die Ausgestaltung des Überzeugungsversuchs stark vom Einzelfall, insbesondere dem Krankheitsbild des Betroffenen abhängt (vgl. BGH, Beschluss vom 06.04.2019 - XII ZB 121/14, NJW 2014, 2497).
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Die Betroffene äußerte im Rahmen der richterlichen Anhörung, sie wolle keine Medikation. Durch den Sachverständigen Z. wurde ausgeführt, in der Krankenakte der Betroffenen seien tägliche Überzeugungsversuche dokumentiert. Sie habe die ihr angebotene und dargereichte Medikation jedoch trotz geduldigem Zureden stets verweigert. Auch ein Überzeugungsversuch des Sachverständigen sei gescheitert. Im Hinblick auf die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sei sie sehr misstrauisch und äußere, dass das angebotene Essen zink- und bleihaltig sei und sie es somit nicht essen könne. Auch Brot esse sie keines, sogar Leitungswasser lehne sie ab, da dieses ebenfalls vergiftet sei.
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Nach alledem war aus Sicht des Gerichts die Möglichkeit, die Betroffenen ernsthaft von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahmen zu überzeugen, aufgrund ihres eigenen Verhaltens bzw. Zustandes nicht möglich.
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4. Eine Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren ist entbehrlich, weil diese erst am 23.06.2022 vom Amtsgericht Ansbach angehört worden-ist. Neue Erkenntnisse sind im Falle einer erneuten Anhörung nicht zu erwarten, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Absatz 1 FamFG, § 84 FamFG. Danach soll das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat. Die Fassung als Sollvorschrift ermöglicht es jedoch, bei Vorliegen besonderer Umstände ausnahmsweise ganz oder teilweise von der Kostenbelastung des Rechtsmittelführers abzuweichen. Ein besonderer Umstand ist - wie vorliegend - dadurch gegeben, dass das Rechtsmittel eine Angelegenheit der staatlichen Fürsorge (Betreuung, Unterbringung) betrifft und das Rechtsmittel vom Fürsorgebedürftigen selbst eingelegt wurde (Schulte-Bunert/Weinrich/Keske, FamFG, a.a.O., § 84, Rn. 5; Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Auflage, Rn. 15 zu § 84).