Inhalt

VG München, Beschluss v. 08.11.2022 – M 10 S 22.4318
Titel:

Vorläufiger Rechtsschutz gegen Ausweisung

Normenketten:
AufenthG § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 2 Nr. 9, § 55 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 1, Abs. 5
Leitsatz:
Ein Antrag, die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen eine verfügte Ausweisungsentscheidung anzuordnen, ist unstatthaft, wenn die Klage des Antragstellers bereits kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 1 VwGO) aufschiebende Wirkung hat. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Paranoid-halluzinatorische Psychose mit Eifersuchtswahn, Vollendeter vorsätzlicher Totschlag (Tötung der Ehefrau durch den Antragsteller), Vietnamesischer Staatsangehöriger, Antrag unzulässig wegen fehlender Statthaftigkeit und fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses
Fundstelle:
BeckRS 2022, 33048

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.
2
Mit Urteil des Landgerichts München II vom 23. März 2017 wurde der Antragsteller vom Tatvorwurf des Mordes an seiner Ehefrau freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 Strafgesetzbuch (StGB) angeordnet. Ausweislich der Feststellungen des Strafurteils tötete der Antragsteller seine Ehefrau mit mindestens 16 Attacken gegen ihren Körper mit einem Fleischbeil oder Messer. Der Antragsteller habe zur Tatzeit unter einer paranoid-halluzinatorischen Wahnkrankheit/Psychose mit dem Inhalt eines chronischen Eifersuchtwahns gelitten, was erheblich zur Tatbegehung beigetragen habe. Beim Antragsteller habe deshalb nicht ausschließbar eine aufgehobene Steuerungsfähigkeit vorgelegen. Im Ergebnis ging das Landgericht davon aus, dass die Wahnkrankheit beim Antragsteller in den Jahren 2003/2004 begonnen habe und mit Alkoholmissbrauch zusammenhänge. Der Antragsteller habe auch keine Krankheitseinsicht gezeigt. Die Vorgeschichte des Tötungsdelikts sei bereits von Aggressivität, Schlägen und Bedrohungen des Antragstellers gegenüber der Ehefrau geprägt gewesen.
3
Auf ein Anhörungsschreiben des Antragsgegners führte der Antragsteller mit Schreiben vom 22. Juni 2022 aus, dass er aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung straffällig geworden sei und noch immer daran leide. Er leide u.a. an einer paranoiden Schizophrenie, sei aber auch aufgrund einer schweren Niereninsuffizienz ständig in nephrologischer Behandlung.
4
Der Antragsteller war zuletzt im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.
5
Mit Bescheid vom 4. August 2021 (gemeint wohl: 2022), dem Antragsteller zugestellt am 8. August 2022, wurde der Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nr. 1) und das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 9 Jahre ab der Ausreise befristet (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb von vier Wochen ab Bestandskraft des Bescheids zu verlassen (Nr. 3). Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Vietnam angedroht, wobei die Abschiebung auch in einen anderen Staat erfolgen könne, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei (Nr. 4).
6
Der Antragsteller hat am 1. September 2022 gegen den Bescheid vom „4. August 2021“ Klage erhoben und begehrt dessen Aufhebung. Gleichzeitig wird beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
8
Eine nähere Begründung der Klage ist noch nicht erfolgt.
9
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 27. September 2022,
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den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass ein Sofortvollzug nicht angeordnet worden sei und die Klage daher von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung entfalte.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 10 K 22.4317, sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
13
Der Antrag ist bereits unzulässig.
14
1. Soweit sich der Antrag gegen die in Nummer 1 verfügte Ausweisungsentscheidung richtet, ist der Antrag unstatthaft, weil die Klage des Antragstellers bereits kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 1 VwGO) aufschiebende Wirkung hat (vgl. VGH BW, B.v. 21.1.2020 - 11 S 3477/19 - juris Rn. 13).
15
2. Soweit sich der Antrag gegen die Nummern 2 bis 4 des angegriffenen Bescheids richtet, ist der Antrag zwar grundsätzlich statthaft, da die Klage insoweit gem. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG bzw. Art. 21a Satz 1 VwZVG keine aufschiebende Wirkung hat. Im konkreten Fall fehlt dem Antrag allerdings insoweit das Rechtsschutzbedürfnis, da der für das Einreise- und Aufenthaltsverbot maßgebliche Fristbeginn an die Ausreise des Antragstellers anknüpft. In diesem Zusammenhang ist wiederum zu berücksichtigen, dass vorliegend die Ausreisefrist ausdrücklich an die Bestandskraft des Bescheids geknüpft ist (Nummer 3), die durch die anhängige Klage aber gerade nicht eingetreten ist (vgl. insofern anders die Konstellation bei VGH BW, B.v. 21.1.2020 - 11 S 3477/19 - juris Rn. 6, 27 ff.). Insofern ist die Abschiebungsandrohung in Nummer 4 des verfahrensgegenständlichen Bescheids derzeit nicht vollziehbar. Der einzig denkbare theoretische Fall, in welchem das Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen den Antragsteller greifen würde, wäre insofern seine freiwillige Ausreise - die hier jedoch aufgrund der Unterbringung des Antragstellers im Maßregelvollzug mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit absehbar ausgeschlossen werden kann. Insofern kann der Antragsteller mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Nummern 2 bis 4 des verfahrensgegenständlichen Bescheids keine Verbesserung seiner Rechtsposition erzielen.
16
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von 2013.