Inhalt

VG München, Beschluss v. 16.11.2022 – M 5 E 22.5053
Titel:

Unterwertige Beschäftigung einer Beamtin: Erfolgloser Antrag auf einstweilige Anordnung; keine Ausnahme bezüglich des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache

Normenketten:
VwGO § 123
GG Art. 19 Abs. 4
Leitsätze:
1. Allein der Umstand, eine Beamtin der Besoldungsgruppe A 12 werde auf einer Stelle mit der Wertigkeit A 11 eingesetzt und ihr somit unterwertige Tätigkeiten zugewiesen, begründet noch keinen unzumutbaren oder schweren Nachteil, der aus Gründen des Gebots effektiven Rechtsschutzes eine Ausnahme von dem Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache erfordert (hier: einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung über die Klage der Beamtin auf Untersagung, der Beamtin nicht amtsangemessene Tätigkeiten zuzuweisen). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Vorbringen der Beamtin, diese werde durch die Zuweisung immer weiterer unterschiedlicher Aufgaben unter Fristsetzung - die nicht amtsangemessen seien - erheblich belastet, was sich gesundheitlich negativ auswirke, begründet noch keinen unzumutbaren oder schweren Nachteil im Sinne eines Anordnungsgrundes. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Vorwegnahme der Hauptsache, Amtsangemessene Beschäftigung, einstweilige Anordnung, amtsangemessene Beschäftigung, unterwertige Beschäftigung, Beamtenrecht, Anordnungsgrund, Beschäftigung, schwerer Nachteil, unzumutbarer Nachteil
Fundstelle:
BeckRS 2022, 33044

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin steht als Beamtin auf Lebenszeit seit … Oktober 2009 in Diensten der Antragsgegnerin. Mit Wirkung zum *. Januar 2011 wurde die Beamtin zur Verwaltungsamtsrätin befördert (Besoldungsgruppe A 12).
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Mit Wirkung zum *. Mai 2014 wurde sie auf die Stelle „Projektplanung“ umgesetzt. Nach einem Gutachten einer Beratungsgesellschaft ist diese Stelle mit der Wertigkeit A 11 bewertet. Nachdem der Antragstellerin im August 2020 diese Bewertung mitgeteilt wurde, drängte die Beamtin auf eine Beschäftigung auf einer amtsangemessenen Stelle. Aus Sicht der Antragstellerin habe das nicht zu einem akzeptablen Ergebnis geführt. Insbesondere der von der Antragsgegnerin im Oktober 2020 übergebene Entwurf einer Stellenbeschreibung „Vergabe- und Rechtsamt“ stelle eine unterwertige Beschäftigung dar. Darauf erhob die Antragstellerin Klage mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu einer amtsangemessenen Beschäftigung der Beamtin zu verpflichten. Über diese Klage, die unter dem Aktenzeichen M 5 K 21.4068 geführt wird, ist noch nicht entschieden. Die Antragsgegnerin stellt sich in diesem Verfahren auf den Standpunkt, dass aufgrund der geringen Größe der Gemeindeverwaltung (14 Voll- und 11 Teilzeitstellen) eine amtsangemessene Beschäftigung der Antragstellerin innerhalb ihrer Verwaltung nicht möglich sei. Eine Versetzung oder Abordnung mit dem Ziel einer amtsangemessenen Beschäftigung der Beamtin sei angestrebt, aber bislang noch nicht erfolgreich gewesen.
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Mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2022, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt,
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Der Antragsgegnerin wird vorläufig bis zu einer Entscheidung über die von ihr gegen den Bescheid der Antragsgegnerin, vertreten durch die Kanzlei A.V., vom 30. April 2021 erhobenen Klage untersagt, der Antragstellerin nicht amtsangemessene Tätigkeiten zu übertragen.
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Die Antragstellerin werde durch die Zuweisung immer weiterer unterschiedlicher Aufgaben erheblich belastet und dies wirke sich gesundheitlich negativ aus. Diese unterwertigen Tätigkeiten würden meist in Abwesenheit auf den Arbeitsplatz gelegt und seien terminiert zu bearbeiten. Mangels entsprechender Einarbeitung verfüge sie nicht über die erforderlichen Rechts- und Sachkenntnisse für eine ordnungsgemäße Sachbearbeitung. Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf amtsangemessene Beschäftigung, dem sich die Antragsgegnerin auch mit Verweis auf die geringe Gemeindegröße nicht entziehen könne. Die streitgegenständlichen Arbeitsanweisungen stellten keine amtsangemessene Beschäftigung dar.
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Die Antragsgegnerin hat sich im Verfahren bislang nicht geäußert.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung - vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen - notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, das heißt ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, das heißt die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Die Antragstellerin hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung/ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
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Das Gericht kann im Rahmen eines Verfahrens nach § 123 VwGO grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und der Antragstellerin nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was sie nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Dieses sog. Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache steht einer Anordnung nach § 123 VwGO aber ausnahmsweise dann nicht entgegen, wenn diese zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v. 18.4.2013 - 10 C 9/12 - NVwZ 2013, 1344, Rn. 22; Happ in Eyermann, 16. Auflage 2022, § 123 Rn. 66a; vgl. zum Ganzen auch: VG München, B.v. 20.3.2020 - M 5 E 20.635 - juris Rn. 18 f.).
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2. Diese strengen Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Antragstellerin hat bereits den Anordnungsgrund, die Erforderlichkeit einer eiligen Entscheidung durch das Gericht, nicht glaubhaft gemacht.
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Da die Antragstellerin bei einem Obsiegen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ein wesentliches Ziel ihrer Klage erreichen würde, handelt es sich vorliegend zumindest um eine partielle Vorwegnahme der Hauptsache. In solchen Fällen gelten für die Annahme eines Anordnungsgrundes erhöhte Anforderungen. Eine Ausnahme von dem grundsätzlich bestehenden Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache ist nur dann gerechtfertigt, wenn eine einstweilige Anordnung für die Antragstellerin zur Vermeidung schlechthin unzumutbarer Nachteile, die sich auch bei einem späteren Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht mehr ausgleichen ließen, erforderlich ist und der in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) verbürgte effektive Rechtsschutz nur auf diese Weise erlangt werden kann. Der Antragstellerin müssten also unzumutbar schwere, nicht anders abwendbare Nachteile drohen, wenn sie auf das Hauptsacheverfahren verwiesen würde (OVG NW, B.v. 25.6.2001 - 1 B 789/01 - juris Rn. 5; Sächsisches OVG, B.v. 7.7.2010 - 2 B 430/09 - juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 12.9.2019 - 3 CE 16.1015 - juris Rn. 40). Solche besonderen Umstände, die es als unzumutbar erscheinen lassen, die Antragstellerin zur Durchsetzung ihres Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen, sind vorliegend weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Denn selbst wenn eine unterwertige Beschäftigung vorliegen würde, wäre diese von der Antragstellerin vorübergehend hinzunehmen (OVG NW, B.v. 25.6.2001 - 1 B 789/01 - juris Rn. 9 ff.; BayVGH, B.v. 27.8.2014 - 3 AE 14.788 - juris Rn. 10). Auch im Hinblick auf eine ggfs. lange Verfahrensdauer in der Hauptsache wäre nicht davon auszugehen, dass der Antragstellerin durch eine für eine Übergangszeit etwaige nicht amtsangemessene Beschäftigung ein unwiederbringlicher, nicht mehr rückgängig zu machender Nachteil entstünde. Denn eine zeitweise unterwertige Beschäftigung bei lediglich geringer Schwere des Eingriffs ist hinzunehmen (OVG NW, B.v. 25.6.2001 - 1 B 789/01 - juris Rn. 9 ff.; vgl. zum Ganzen auch: VG München, B.v. 26.1.2022 - M 5 E 21.6337 - juris Rn. 23 f.; BayVGH, B.v. 14.3.2022 - 3 CE 22.413 - juris Rn. 4 f.).
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Allein der Umstand, dass ohne den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung ein nach Auffassung der Antragstellerin rechtswidriger Zustand bis zu einer Entscheidung über die Hauptsache aufrechterhalten würde, begründet noch keinen unzumutbaren oder schweren Nachteil, der aus Gründen des Gebots effektiven Rechtsschutzes eine Ausnahme von dem Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache erfordert, sondern ist vielmehr regelmäßige Folge dieses Verbots (OVG NW, B.v. 8.9.2020 - 6 B 568/20 - juris Rn. 13).
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Zum Anordnungsgrund trägt die Antragstellerin lediglich vor, dass sie durch die Zuweisung immer weiterer unterschiedlicher Aufgaben unter Fristsetzung - die nicht amtsangemessen seien - erheblich belastet werde, was sich gesundheitlich negativ auswirke. Das begründet noch keinen unzumutbaren oder schweren Nachteil. Die Beamtin kann sich gegenüber einer von ihr als zu kurz empfundenen Frist zur Bearbeitung eines Auftrags an den Dienstherrn wenden und eine Fristverlängerung beantragen. Zudem ist nicht glaubhaft gemacht, dass die von ihr angegebenen negativen gesundheitlichen Auswirkungen ein solches Ausmaß erreicht hätten, dass von unzumutbaren oder schweren Nachteilen ausgegangen werden könnte. Hierzu fehlt jeder substantiierte Vortrag wie auch ein Nachweis einer gesundheitlichen Auswirkung.
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3. Die Sach- und Rechtslage kann nach derzeitigem Kenntnisstand auch nicht in der Weise bewertet werden, dass ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BayVGH, B.v. 19.8.2020 - 7 CE 20.1822, BayVBl 2020, 748, juris Rn. 12; Happ in Eyermann, 16. Auflage 2022, § 123 Rn. 66a).
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4. Die Antragstellerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Hierbei ist auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der volle Streitwert anzusetzen, da die begehrte - wenn auch nur vorläufige - Verpflichtung der Antragsgegnerin, dieser zu untersagen, der Antragstellerin nicht amtsangemessene Tätigkeiten zu übertragen, auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist.