Inhalt

VG München, Urteil v. 27.06.2022 – M 8 K 20.1565
Titel:

Unzulässigkeit eines Wohnbauvorhabens im Innenbereich hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1, S. 2
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, Abs. 3a
BayBO Art. 59 S. 1 Nr. 1 lit. a, Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 1
Leitsätze:
1. Eine unbebaute Fläche ist – als Baulücke – Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da selbst unbebaute Flächen einem Bebauungszusammenhang zuzurechnen sein können, können zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil auch Grundstücke gehören, auf denen sich nur bauliche Anlagen ohne maßstabbildende Kraft befinden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Übereinstimmung von Vorhaben und Referenzobjekten nur in einem Maßfaktor genügt nicht, weil sie dazu führen könnte, dass durch eine Kombination von Bestimmungsgrößen, die einzelnen Gebäuden in der näheren Umgebung jeweils separat entnommen werden, Baulichkeiten entstehen, die in ihrer Dimension kein Vorbild in der näheren Umgebung haben. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung, Abgrenzung Innen- und Außenbereich, Festlegung der maßgeblichen näheren Umgebung, Maßgeblichkeit des tatsächlich Vorhandenen, Einfügen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung (verneint), städtebauliche Spannungen, Baugenehmigung, Wohnnutzung, Innenbereich, optisch wahrnehmbar, vorhandene Bebauung, Bebauungszusammenhang, nähere Umgebung, Maß der baulichen Nutzung, einfügen, Referenzobjekt, Abweichung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 02.04.2024 – 2 ZB 23.61
Fundstelle:
BeckRS 2022, 33037

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

1
Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Erteilung einer (nachträglichen) Baugenehmigung für sein bereits umgesetztes Vorhaben auf dem Grundstück …-Straße 8, FlNr. … der Gemarkung … (im Folgenden: Baugrundstück).
2
Das 641 m² große, dreiecksförmige Baugrundstück, dessen Eigentümer der Kläger seit 2011 ist, grenzt - im Westen - an die von Südwest nach Nordost verlaufende …-Straße an. Im Osten schließt sich an das Baugrundstück unmittelbar zunächst ein schmaler Grundstücksstreifen (FlNr. … der Gemarkung …*) sowie - sodann - die sich von Südost nach Nordwest erstreckende eingeleisige (Güterumgehungs-)Bahnlinie an, die sich weiter nördlich mit der …-Straße kreuzt.
3
Das Baugrundstück stand, ebenfalls wie das südlich angrenzende Grundstück FlNr. … vormals im Eigentum der Deutschen Bahn. Mit Bescheid des Eisenbahnbundesamtes vom 22. Januar 2002 erfolgte die Entwidmung beider Grundstücke.
4
Vgl. zur Lage des Baugrundstücks und der umgebenden Bebauung anliegenden Lageplan im Maßstab 1 : 1000 (nach dem Einscannen möglicherweise nicht mehr maßstabsgerecht):
5
Das Grundstück FlNr. … (* …-Straße 6, 6a und 6b) sowie die östlich sich unmittelbar anschließenden FlNrn. … und … (jeweils Gemarkung …*) stehen zwischenzeitlich ebenfalls im Eigentum des Klägers. Sie sind - mit Ausnahme der FlNr. … - unbebaut. Unmittelbar an der Grundstücksgrenze zum Baugrundstück sind auf dem Grundstück FlNr. … zwei aneinandergebaute, eingeschossige Gebäude vorhanden, die jeweils als Kfz-Werkstatt genutzt werden. An der vorderen, zur …-Straße ausgerichteten Kfz-Reparaturwerkstatt ist südlich das Gebäude …-Straße 6b (E+D mit Hochparterre und Satteldach) angebaut, welches im Erdgeschoss durch den Kfz-Reparaturbetrieb zu Bürozwecken genutzt wird. Das Dachgeschoss, für welches mit Baugenehmigung vom 21. März 2003 (Plan-Nr. …*) eine Nutzung als Schlafzimmer für Fahrer der Tanklastkraftwagen der Heizölfirma des damaligen Grundstückseigentümers zugelassen worden war, war im Zeitpunkt des gerichtlichen Augenscheins ungenutzt. Im östlichen Grundstücksbereich der FlNr. … befindet sich das Gebäude …-Straße 6a, in dessen Erdgeschoss hinter drei Sektionaltoren unterschiedliche Kfz-Werkstätten untergebracht sind. Im Obergeschoss des mit einem flachen Satteldach versehenen Gebäudes befinden sich ein Büro und zwei getrennte Wohneinheiten. Mit für sofort vollziehbar erklärten und nach Aktenlage bestandskräftigen Bescheiden vom 23. April 2019 hat die Beklagte die Nutzung der Räume in der ersten und zweiten Dachebene in der …-Straße 6a zu Aufenthaltszwecken (Wohnen, Schlafen, Büro, Sozialräume) untersagt. In südlicher Richtung angebaut ist ein eingeschossiges Gebäude, in dem im Zeitpunkt des Augenscheins nur zum Teil eine Nutzung als Kfz-Reparaturwerkstatt stattfand. Der südlichste Gebäudeteil, ausgestattet mit einer Werkstatt mit Hebebühne, war ungenutzt. Der südliche Grundstücksteil der FlNr. … ist mit einem zweigeschossigen Gebäude (* …-Straße 6) bebaut, welches im Erdgeschoss Werkstätten mit hohen Räumen aufweist. Darin waren eingelagerte Fahrzeuge zu erkennen. Im ersten Obergeschoss, welches über eine Dachschräge verfügt, war im Zeitpunkt des Augenscheins keine Nutzung erkennbar. Östlich und westlich dieses Gebäudes waren mehrere Container abgestellt. Das Freigelände zwischen den Gebäuden …-Straße 6, 6a und 6b ist befestigt, zum Teil durch Pflaster, zum Teil durch Kies. Im nördlichen Teil der Freifläche befinden sich Parkplätze. Entlang der Nordwand des Gebäudes …-Straße 6a befanden sich zur Zeit des Augenscheins drei abgestellte Lastkraftwagen mit Tank sowie eine Betriebstankstelle. Der Bereich südlich der an der …-Straße gelegenen Einfahrt zum Freigelände des Grundstücks FlNr. … wurde zum Abstellen von Kraftfahrzeugen genutzt, die zum Teil abgemeldet sind (ca. 20 abgemeldete Fahrzeuge).
6
Auf der gegenüberliegenden Seite der …-Straße befindet sich die Kfz-Verwahrstelle des Polizeipräsidiums … (* …-Straße 19, FlNr. …*), bestehend aus einem langgestreckten Bürogebäude (E+I) nördlich des Einfahrtsbereichs, einem - westlich davon - gelegenen, eingeschossigem Gebäude mit Kfz-Werkstätten sowie einem wiederum westlich gelegenen asphaltierten großen Parkplatzbereich. Nördlich des Bürogebäudes sowie der Kfz-Werkstatt schließt sich ein weiteres Werkstattgebäude an.
7
Auf Höhe des Baugrundstücks sowie Teilen der FlNr. … grenzt östlich der Bahnline eine Bebauung am …-Weg und der …-Straße an, die im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans mit Grünordnung Nr. der Beklagten „… Straße, …-Straße, Güterumgehungsbahnlinie, …-Straße und … Weg“ vom 8. Juli 1997 liegt.
8
Für das Baugrundstück selbst sowie die weiteren, westlich der Bahnlinie gelegenen Grundstücke existiert kein qualifizierter Bebauungsplan; für das Gebiet wurde die Aufstellung eines Bebauungsplans (* …, vgl. Online-Kartendienst der Beklagten, abrufbar unter geoportal.muenchen.de) beschlossen; nach Aktenlage wird die Planung jedoch nicht weiterverfolgt. Durch einfachen, übergeleiteten Bebauungsplan ist (u.a.) für das Baugrundstück eine vordere Baulinie festgesetzt.
9
Mit Schreiben vom 15. Juli 2019 reichte die vom Kläger beauftragte Entwurfsverfasserin Unterlagen für das Vorhaben „Umbau des Wohngebäudes“ in der …-Straße 8 ein. Das Bauantragsformular, gerichtet auf Erteilung einer Baugenehmigung, datiert auf den 12. August 2019. Unter „Vorhaben“ findet sich darin folgender Eintrag: „Abbruch und Neubau Dachgeschoss. Anbau eines Treppenhauses“. Der Antrag wurde bei der Beklagten unter der Plan-Nr. … geführt.
10
Mit Schreiben vom 27. September 2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass das Vorhaben nicht genehmigt werden könne, da es sich nach Art der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung einfüge. Zudem kämen die - im Übrigen falsch dargestellten - Abstandsflächen nicht auf dem eigenen Grundstück zu liegen. Es werde daher die Rücknahme des Antrags empfohlen. Darüber hinaus erfolgten Hinweise auf weitere festgestellte Mängel der Bauvorlagen. Unter anderem sei die Bezeichnung des Vorhabens im Antrag nicht korrekt. Es handle sich - über den angegebenen Antragsgegenstand (Abbruch und Neubau Dachgeschoss, Anbau eines Treppenhauses) hinaus um eine Nutzungsänderung, da für das Gebäude keine genehmigte Nutzung vorliege.
11
Unter dem 11. Oktober 2019 übermittelte die Entwurfsverfasserin des Klägers der Beklagten daraufhin Unterlagen und Pläne für das Vorhaben „Antrag auf Abbruch und Neubau des Dachgeschosses und Anbau eines Treppenhauses und ggf. Nutzungsänderung, sofern die Genehmigung nicht bereits erteilt wurde“, u.a. eine „Zustimmung gem. Art. 6 Abs. 2 BayBO zur Abstandsflächenübernahme“ auf das Grundstück FlNr. … sowie einen Antrag auf Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächen zu Grundstück FlNr. …
12
Mit Bescheid vom 11. März 2020, dem Kläger persönlich ausweislich der in den Behördenakten enthaltenen Postzustellungsurkunde zugestellt am 13. März 2020, lehnte die Beklagte den vorgenannten Antrag „vom 16. Juli 2019 (Eingangsdatum) mit weiteren Ergänzungen vom 22. August 2019 (Eingangsdatum) und unaufgefordert nachgereichten Unterlagen vom 15. Oktober 2019“ nach PlanNr. … ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Zulässigkeit des geplanten Vorhabens beurteile sich planungsrechtlich nach § 30 Abs. 3 BauGB in Form einer straßenbegleitenden Baulinie, im Übrigen nach § 34 Abs. 2 BauGB. Als städtebaulich maßgeblicher Bereich werde die Bebauung beiderseits der …-Straße (Hausnr. 8, 6b, 6a, 6 und 19) angesehen, die im Nordosten durch die Gleisanlage begrenzt werde und im Süden direkt an den planungsrechtlichen Außenbereich angrenze. In dieser näheren Umgebung fänden sich folgende Nutzungen: Wartungshalle für LKW mit Waschplatz (genehmigt) - tatsächlich vorhanden sei eine Kfz-Werkstatt -, Heizölhändler mit Tankstelle, Lagergebäude, Abstellhallen, diverse Kfz-Abstellplätze und Lager-Container in den Außenanlagen, Kfz-Verwahrstelle. Die Gebietskategorie des Grundstücks und der näheren Umgebung entspreche einem Gewerbegebiet gem. § 8 BauNVO. Das Gebäude …-Straße 8 sei zwar 1897 als Wohnhaus im Zusammenhang mit einer Handelsgärtnerei genehmigt, diese Nutzung sei aber zwischenzeitlich aufgegeben worden. Die FlNrn. … und … (* …-Straße 6 und 8) hätten sich zwischenzeitlich im Besitz der Deutschen Bahn befunden. Es sei daher nicht von einer seit 1897 dauerhaft bestehenden Wohnnutzung auszugehen. Gegen die vorhandenen ungenehmigten Wohnnutzungen werde bauaufsichtlich eingeschritten, sobald der Ablehnungsbescheid bestandskräftig geworden sei. Das Vorhaben füge sich nach der Art der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung eines Gewerbegebietes ein, da dort Wohnnutzungen weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig seien. Mit den in der näheren Umgebung vorhandenen gewerblichen Nutzungen gehe u.a. ein erhöhtes Verkehrsaufkommen durch Liefertätigkeiten, Lärm durch Außenarbeiten, erhöhte Brandgefahren durch Heizöl sowie Geruchsemissionen einher. Die gewerbliche Nutzung in einem Gewerbegebiet unterliege einer Schutzbedürftigkeit und dürfe nicht durch heranrückende Wohnbebauung in ihrem (möglichen) Nutzungsumfang eingeschränkt werden. Die Nutzungen seien nach typisierender Betrachtungsweise nicht mit Wohnnutzungen vereinbar. Darüber hinaus lägen keine gesunden Wohnverhältnisse vor, da das Grundstück in direkter Nähe zur Bahnstrecke gelegen und daher erhöhtem Lärm sowie Erschütterungen ausgesetzt sei. Auch die in der Umgebung vorhandenen gewerblichen Nutzungen auf dem Nachbargrundstück sowie die Kfz-Verwahrstelle führten durch Lärm, erhöhtes Verkehrsaufkommen, Geruchsemissionen und erhöhte Brandgefahren durch Lagerung von Heizöl dazu, dass gesunde Wohnverhältnisse nicht gegeben seien. Die Stellplätze seien außerhalb der Baulinie im Vorgarten angeordnet und ein Antrag auf Befreiung nicht eingereicht worden. Eine solche könnte mangels städtebaulicher Vertretbarkeit auch nicht erteilt werden. In bauordnungsrechtlicher Hinsicht halte das Bauvorhaben die erforderlichen Abstandsflächen nicht ein. Nach Süden seien in den Eingabeplänen zwar keine Abstandsflächen des Gebäudes dargestellt worden, der Abstand zur Grundstücksgrenze betrage nach Abmessungen jedoch im Plan lediglich 2,20 m. Damit sei zumindest die Mindestabstandsfläche von 3 m nicht eingehalten. Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO könne die Bauaufsichtsbehörde den Bauantrag auch dann ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoße. Dies seien hier Art. 46 Abs. 2 BayBO - das beantragte Vorhaben verfüge nicht über Kellerabstellräume, Abstellräume für Kinderwägen und Mobilitätshilfen - und Art. 48 BayBO - es würden keine barrierefreien Wohnungen nachgewiesen. Zudem finden sich in den Bescheidsgründen weitere Ausführungen, dass die Bauvorlagen mehrere, im Einzelnen näher bezeichnete Mängel aufwiesen (S. 3 ff) und die vom Kläger mit Schreiben vom 11. Oktober 2019 unaufgefordert vorgelegten Pläne - vermutlich zum Austausch der am 22. August 2019 eingereichten Pläne - nicht berücksichtigt werden könnten. Austauschpläne seien unzulässig. Der Bescheid enthält darüber hinaus (S. 4 f.) weitere, inhaltliche Ausführungen zu den nachgereichten Unterlagen, insbesondere zu dem Antrag auf Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächen zu Grundstück FlNr. … Eine solche könne nicht erteilt werden. Nach dem Abstandsflächenplan komme es zu einer Überlagerung mit den Abstandsflächen des Bestandsgebäudes Haus Nr. 6b. Die Mindestabstandsfläche von 3 m sei unterschritten, da der Abstand an der ungünstigsten Stelle nur etwa 2,20 m betrage. Der Begründung des Klägers, dass Belichtung, Belüftung und Besonnung nicht beeinträchtigt seien, könne nicht gefolgt werden.
13
Ebenfalls negativ verbeschieden wurde mit Vorbescheid vom 10. März 2020 eine vom Kläger mit Vorbescheidsantrag vom 22. Juli 2019 gestellte Frage, ob in dem Gebäude …-Straße 6a im 1. Obergeschoss eine Wohnnutzung in dem in den Plänen dargestellten Umfang planungsrechtlich zulässig sei (Plan-Nr. …*).
14
Bezüglich des Ablehnungsbescheids vom 11. März 2020 (* …-Straße 8) erhob der damalige Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 9. April 2020, beim Verwaltungsgericht München eingegangen am gleichen Tag, Klage mit folgendem Antrag:
15
I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die beantragte Baugenehmigung unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 11.03.2020, Aktenzeichen: …, zu erteilen.
16
Ia. Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, den Bauantrag des Klägers unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 11.03.2020, Aktenzeichen: …, und unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
17
Der Kläger habe einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Sein Vorhaben sei nach § 30 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 34 BauGB planungsrechtlich zulässig. Da der Gebäudebestand mit Bescheid vom 9. November 1897 als Wohnhaus genehmigt worden sei, ändere sich die Art der baulichen Nutzung mit dem Bauvorhaben des Klägers nicht. Die genehmigte Wohnnutzung auf dem Baugrundstück stehe auch nicht im Zusammenhang mit einem Gärtnereibetrieb. Zwar sei der damalige Bauherr ausweislich der Unterlagen wohl „Handelsgärtner“ gewesen. Die - früher übliche - Berufsangabe des Bauherrn in der Baugenehmigung habe jedoch keine Bedeutung für die Art der Nutzung. Aus den Grundrissen und der Vorhabensbezeichnung aus dem Jahr 1897 gehe eindeutig eine genehmigte Wohnnutzung ohne Bezug zum Gärtnereibetrieb vor. Die genehmigte Wohnnutzung auf dem Baugrundstück sei auch nicht dadurch dauerhaft aufgegeben worden, dass das Baugrundstück sich - ebenso wie das Grundstück FlNr. … - zwischenzeitlich bis zum 18. März 2003 im Eigentum der D. B. AG (jetzt DG N. AG) befunden habe, da die Grundstücke zu keinem Zeitpunkt zu Bahnzwecken genutzt worden seien. Die Nutzungsunterbrechung sei unschädlich, da es bauordnungsrechtlich keine Nutzungsobliegenheit gebe. Unabhängig davon würde sich das Wohngebäude in der dem Bauantrag zugrundeliegenden Planung aber hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung auch in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen, die durch ein Nebeneinander von Wohnnutzungen und gewerblichen Nutzungen geprägt und als Gemengelage im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einzustufen sei. Die Annahme eines faktischen Gewerbegebiets scheide bereits aufgrund der genehmigten wohnähnlichen Nutzungen (Schlafräume für Fahrer der Tanklastwägen einer Heizölfirma) auf dem Grundstück FlNr. … (* …-Straße 6b) und dem 1897 auf dem Baugrundstück genehmigten Wohngebäude aus. Zudem könne vom Erfordernis des Einfügens nach § 34 Abs. 3a Satz 1 BauGB abgewichen werden. Die Vorschrift diene dazu, baurechtlich vertretbare Problemlösungen in Gemengelagen zu erleichtern, um dem Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe ausreichend Rechnung zu tragen. Es handle sich hier um ein Vorhaben der Erweiterung bzw. Änderung eines zulässigerweise errichteten und zu Wohnzwecken genutzten Gebäudes nach § 34 Abs. 3a Satz 1 Nr. 1 b) BauGB. Das Bauvorhaben sei auch städtebaulich vertretbar (§ 34 Abs. 3a Satz 1 Nr. 2 BauGB). Es komme zu keinen unzumutbaren Belastungen durch benachbarte gewerbliche Betriebe oder Anlagen. Ferner ließen sich auch keine ungesunden Wohnverhältnisse aufgrund der Nähe zur eingleisigen Bahnlinie oder gewerblichen Nutzung auf dem Nachbargrundstück begründen. Im Vergleich des beantragten Umbaus zur bereits zulässigen Nutzung des Wohngebäudes entstünden keine zusätzlichen Beeinträchtigungen. Da der Kläger auch Eigentümer des Nachbargrundstücks FlNr. … sei, könne darüber hinaus dem Nachbarschutz bzw. den nachbarlichen Belangen und dem Gebot der Rücksichtnahme in besonderer Weise Rechnung getragen werden. Der Kläger habe dem Bauvorhaben in seiner Funktion als Nachbar auch zugestimmt. Das Vorhaben füge sich hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ebenfalls in die Eigenart der näheren Umgebung ein, die von sehr unterschiedlichen Gebäudemaßen geprägt sei. Einheitliche Maßstäbe seien nicht vorgegeben. Das Vorhaben bleibe im Hinblick auf die entstehende Kubatur in dem aus der Umgebung abzuleitenden Rahmen. Der Umbau ändere die Kubatur des bestehenden Wohngebäudes nicht wesentlich. Die Grundfläche bleibe, abgesehen von dem Anbau des Treppenhauses auf der Nordseite, unverändert. Auch die Wandhöhe bleibe im Vergleich zum Bestandsgebäude identisch; die Gesamthöhe halte sich innerhalb der Gesamthöhe des Altbestands und bleibe bezüglich der Firsthöhe sogar hinter dessen Maß zurück. Der Dachgeschossausbau verändere daher in Bezug auf die Wand- und Firsthöhe die von außen wahrnehmbare Gebäudegestalt nicht. Daher könne nicht von einer neuen dreigeschossigen Wirkung ausgegangen werden, zumal die Dachgauben untergeordnet seien. Auch das südlich angrenzende Gebäude …-Straße 6b weise zwei Vollgeschosse sowie ein ausgebautes Dachgeschoss auf. Die Grundfläche dieses Gebäudes gehe deutlich über diejenige des streitgegenständlichen Vorhabens hinaus. Auch die Grundflächen der weiteren, in der näheren Umgebung bestehenden Gebäude überschritten die Grundfläche des Vorhabens erheblich. Das Vorhaben füge sich damit mit zwei Vollgeschossen und ausgebautem Dachgeschoss sowie seiner Grundfläche in die bestehende Umgebungsbebauung, insbesondere auf dem Baugrundstück und dem Nachbargrundstück FlNr. … (* …-Straße 6b) nach dem Maß der baulichen Nutzung ein. Gleiches gelte hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche sowie hinsichtlich der Bauweise. Darüber hinaus seien die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB gewahrt. In Gemengelagen könne hinsichtlich der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse schon aufgrund der bestehenden Vorbelastungen nicht dasselbe Schutzniveau angesetzt werden wie beispielsweise in einem allgemeinen Wohngebiet. Zugunsten eines (neuen) Bauvorhabens sei die Vorbelastung durch bereits vorhandene Anlagen in der näheren Umgebung grundsätzlich zu berücksichtigen. Dies gelte gerade auch in Bezug auf die Zumutbarkeit von lärm- und geruchsbezogenen Immissionen. Bei der benachbarten Bahnstrecke handle es sich lediglich um eine eingleisige Güterumgehungsbahnline mit geringer Nutzungsfrequenz, so dass von dieser weder dauerhafte Lärmbelastung noch Erschütterungen ausgingen. Allein die Nähe zur Bahnlinie stehe einer Wohnnutzung nicht entgegen, wie der Vorbescheid der Beklagten vom 15. November 2019, in welchem eine reine Wohnnutzung auf dem Grundstück FlNr. … als planungsrechtlich zulässig angesehen wurde, zeige. Sachlich gerechtfertigte Gründe für eine unterschiedliche Beurteilung der Grundstücke FlNr. … und FlNr. … in Bezug auf die direkte Nähe zur Bahnlinie seien nicht ersichtlich. Ähnliches gelte für das östlich des Gleises angrenzende allgemeine Wohngebiet. In Bezug auf die gewerblichen Nutzungen in der Umgebung seien im Zuge der Baugenehmigung vom 21. März 2003 bereits diverse Lärmschutzauflagen verfügt worden. Die abgefragte Wohnnutzung werde hinsichtlich der von ihr hinzunehmenden gewerblichen Immissionen keinen stärkeren Belastungen ausgesetzt als die vorhandene genehmigte Wohnnutzung. Das beantragte Bauvorhaben halte auch die nach Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen ein. Dass die Abstandsflächen im Nord-Osten bzw. Osten marginal auf dem Nachbargrundstück FlNr. … lägen, sei gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO unschädlich, da der Kläger als Nachbar und Eigentümer des Grundstücks FlNr. … einer Übernahme der Abstandsflächen zugestimmt habe. Unabhängig von den tatsächlichen Maßen der Abstandsflächen werde der Kläger, sofern diese auf dem Grundstück FlNr. … zu liegen kämen, stets zustimmen. Etwaige formale Unvollständigkeiten oder Ungenauigkeiten des eingereichten Formblatts könnten daher jederzeit angepasst und nachgereicht werden. Darüber hinaus sei Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 BayBO zu berücksichtigen. Das Grundstück FlNr. … bilde einen Schutzstreifen, für welchen eine entsprechende Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen sei. Es dürfe dauerhaft nicht mit baulichen Anlagen mit einer Höhe von mehr als 2 m überbaut werden. In westlicher Richtung werde das bestehende Gebäude an der straßenseitigen Baulinie errichtet, die nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1, 2 BayBO abweichende Abstandsflächen vorgebe. Zudem lägen die Abstandsflächen in Richtung Westen, soweit sie nicht auf dem Baugrundstück zu liegen kämen, auf öffentlichem Straßenraum (FlNr. …*). Unter Inanspruchnahme des 16-m-Privilegs gingen die Abstandsflächen hier auch nicht über die Mitte der öffentlichen Verkehrsfläche hinaus. In südlicher Richtung kämen die geltenden Abstandsflächen teilweise auf dem Nachbargrundstück FlNr. … zu liegen. Hierfür habe der Kläger einen Antrag auf Zulassung einer Abweichung gestellt, den die Beklagte lediglich pauschal abgelehnt habe. Die beantragte Abweichung sei jedoch unter Berücksichtigung des Zwecks der Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Darüber hinaus habe der Kläger als Eigentümer des Nachbargrundstücks FlNr. … dem Bauvorhaben zugestimmt. Die nachgereichten Bauantragsunterlagen seien von der Beklagten mit Schreiben vom 27. September 2019 ausdrücklich angefordert und die mangelhafte Darstellung der Abstandsflächen in südlicher Richtung im nachgereichten Abstandsflächenplan ausreichend behoben worden. Sofern noch weitere Korrekturen erforderlich sein sollten, würden angepasste Unterlagen und Pläne nachgereicht. Schließlich ließe sich die Ablehnung des Bauantrags auch nicht auf Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO stützen. Die Anwendung des Art. 48 BayBO und des Art. 46 Abs. 2 BayBO komme in Bezug auf das Bestandsgebäude und das beantragte Vorhaben des Klägers nicht in Betracht. Die Errichtung einer barrierefreien Wohnung könne zudem aufgrund der baulichen Gegebenheiten des Bestands nur mit unverhältnismäßigem Mehraufwand im Sinne des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayBO erfüllt werden. Auch mit Blick auf Art. 46 Abs. 2 BayBO (fehlende Abstellräume) sei der genehmigte Bestand entgegenzuhalten. Zudem bestünde im Keller die Möglichkeit, Kellerabstellräume zu schaffen; dies gelte auch für Abstellräume für Kinderwägen und Mobilitätshilfen. Zusätzliche Stellplätze würden durch das Vorhaben nicht erforderlich. Die Wohnnutzung sei bereits 1897 genehmigt worden. Durch die beantragten Umbaumaßnahmen seien im Vergleich zur genehmigten Nutzung keine zusätzlichen Stellplätze nachzuweisen. Ein Nachweis auf dem Vorhabengrundstück sei darüber hinaus möglich.
18
Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Über die baulichen Verhältnisse auf dem streitgegenständlichen Grundstück sowie in dessen Umgebung hat das Gericht am 27. Juni 2022 Beweis durch Einnahme eines Augenscheins erhoben. Hinsichtlich der Feststellungen dieses Augenscheins sowie der anschließenden mündlichen Verhandlung wird auf die entsprechende Sitzungsniederschrift verwiesen.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des schriftsätzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die Gerichtsakte sowohl dieses Verfahrens als auch des Verfahrens M 8 K 20.1567 und die vorgelegten und beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I. Die zulässige Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Var. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO) ist sowohl mit ihrem Hauptantrag als auch ihrem Hilfsantrag unbegründet, da der Kläger weder einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), noch ihm ein Anspruch auf Neuverbescheidung seines Antrags unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
23
Dem beantragten Bauvorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, die im - vorliegend vereinfachten - bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Art. 59 Bayerische Bauordnung (BayBO). Es ist bauplanungsrechtlich unzulässig (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) BayBO, §§ 29 ff. BauGB). Das im Innenbereich im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB; vgl. nachfolgend 1.) gelegene Vorhaben fügt sich dort hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Vom Erfordernis des Einfügens kann nicht nach § 34 Abs. 3a BauGB abgewichen werden (vgl. nachfolgend 2.).
24
1. Das nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans (§ 30 Abs. 1 BauGB) liegende Baugrundstück des Klägers befindet sich innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
25
a) Die Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB setzt einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil voraus. Die Tatbestandsmerkmale „im Zusammenhang bebaut“ und „Ortsteil“ gehen dabei nicht ineinander auf, sondern sind kumulativer Natur (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2015 - 4 C 5.14 - juris Rn. 11).
26
In der Rechtsprechung ist geklärt, nach welchen Kriterien die Abgrenzung des Bebauungszusammenhangs im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zum Außenbereich (§ 35 BauGB) zu erfolgen hat. „Ortsteil“ im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Ein „Bebauungszusammenhang“ ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört (vgl. rechtsgrundsätzlich: BVerwG; U.v. 6.11.1968 - IV C 2.66 - juris Rn. 17). Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden (BVerwG, U.v. 30.6.2015 - 4 C 5.14 - juris Rn. 16 m.w.N.). Eine unbebaute Fläche ist - als Baulücke - Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2019 - 1 ZB 17.2132 - Rn. 4). Bei der Grenzziehung zwischen Innen- und Außenbereich geht es darum, inwieweit ein Grundstück zur Bebauung ansteht und sich aus dem tatsächlich Vorhandenen ein hinreichend verlässlicher Maßstab für die Zulassung weiterer Bebauung nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche gewinnen lässt. Die (be-)wertende Betrachtung der konkreten tatsächlichen Verhältnisse kann sich angesichts dieser vom Gesetzgeber vorgegebenen Kriterien nur nach optisch wahrnehmbaren Merkmalen richten (BVerwG, U.v. 12.12.1990 - 4 C 40.87 - juris Rn. 22, 24; B.v. 8.10.2015 - 4 B 28.15 - juris Rn. 5). Maßgeblich ist dabei die tatsächlich vorhandene Bebauung (BVerwG, U.v. 27.8.1998 - 4 C 5.98 - juris; B.v. 2.4.2007 - 4 B 7/07 - juris Rn. 4; U.v. 30.6.2015 - 4 C 5/14 - juris Rn. 14). Die Gründe für ihre Genehmigung, die Zweckbestimmung oder die Entstehungsgeschichte der vorhandenen Bebauung sind unerheblich (BVerwG, U.v. 6.11.1968 - IV C 31.66- juris Rn. 23; B.v. 2.4.2007 - 4 B 7/07 - juris Rn. 5; U.v. 30.6.2015 - 4 C 5/14 - juris Rn. 14). Es kommt auch nicht darauf an, ob die tatsächlich vorhandene Bebauung genehmigt oder nur in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass sich die zuständigen Behörden mit ihrem Vorhandensein abgefunden haben. Dementsprechend haben tatsächlich vorhandene Baulichkeiten nur dann außer Betracht zu bleiben, wenn - insbesondere durch Erlass von Beseitigungsanordnungen - das Verhalten der zuständigen Behörden klar ergibt, dass ihre Beseitigung absehbar ist (BVerwG, U.v. 6.11.1968 - IV C 31.66 - juris Rn. 11; U.v. 14.9.1992 - 4 C 15.90 - juris Ls. 2, Rn. 15: Bestandsschutz nicht erforderlich; B.v. 23.11.1998 - 4 B 29.98 - juris Rn. 6).
27
Bebauung im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist indes nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein) gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2018 - 4 B 51/17 - juris Rn. 6; B.v. 5.4.2017 - 4 B 46.16 - juris Rn. 6 f.; U.v. 30.6.2015 - 4 C 5.14 - juris Rn. 15). Dass sie als bauliche Anlagen im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB zu qualifizieren sind, ändert nichts an dieser Beurteilung (vgl. BVerwG. B.v. 2.8.2001 - 4 B 26.01 - juris Rn. 5). Gleichwohl können auch solche Bauten und zudem auch unbebaute Flächen am Bebauungszusammenhang teilnehmen (vgl. BVerwG, B.v. 2.8.2001 - 4 B 26.01 - juris Rn. 7; B.v. 2.3.2000 - 4 B 15/00 - juris Rn. 4). Da selbst unbebaute Flächen einem Bebauungszusammenhang zuzurechnen sein können, können zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil auch Grundstücke gehören, auf denen sich nur bauliche Anlagen ohne maßstabbildende Kraft befinden. Maßgeblich ist insoweit, wie weit eine aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche selbst diesem Zusammenhang angehört (BVerwG, B.v. 2.8.2001 - 4 B 26.01 - juris Rn. 7; B.v. 2.3.2000 - 4 B 15/00 - juris Rn. 4), was anhand einer umfassenden Wertung und Bewertung der konkreten Gegebenheiten zu beurteilen ist. In diesen Fällen sind die vorhandenen baulichen Anlagen aber nicht selbst die relevante, den Bebauungszusammenhang begründende Bebauung, vielmehr wird der Bebauungszusammenhang von anderen Anlagen und Flächen vermittelt, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (vgl. VG München, U.v. 5.3.2012 - M 8 K 11.501 - juris Rn. 46; U.v. 18.11.2019 - M 8 K 17.5316 - n.v., Urteilsumdruck Rn. 50 a.E.).
28
Der Bebauungszusammenhang endet - unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenzen - regelmäßig hinter dem letzten Gebäude. Ein Grundstück ist regelmäßig nur dann dem Innenbereich zuzuordnen, wenn es an mindestens drei Seiten von Bebauung umgeben ist (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 3.2.2014 - 1 ZB 12.468 - Rn. 3; VG München, U.v. 30.7.2019 - M 1 K 18.5896 - juris Rn. 16; Spannowsky in: BeckOK BauGB, 55. Edition 1.5.2022, § 34 Rn. 26). Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall ausnahmsweise rechtfertigen, dem Innenbereich noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nichts zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen. Auch Straßen oder Wege können in dieser Hinsicht von Bedeutung sein (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.1990 - 4 C 40/87 - juris Rn. 22; B.v. 8.10.2015 - 4 B 28.15 - juris Rn. m.w.N.; B.v. 4.1.1995 - 4 B 273.94 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 31.3.2020 - 1 ZB 19.1961 - juris Rn. 5). Ob eine Straße einen Bebauungszusammenhang herstellt oder ihr trennende Wirkung zwischen Außen- und Innenbereich zukommt, ist dabei nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen (BVerwG, B.v. 16.2.1988 - 4 B 19.88 - juris Rn. 2).
29
b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Kammer nach dem durchgeführten Augenschein und Auswertung der in den Behördenakten enthaltenen Pläne sowie der öffentlich zugänglichen Luftbilder („google maps“) zu der Überzeugung gelangt, dass die Fläche des Grundstücks …-Straße 8, auf dem sich das Bauvorhaben befindet, am Bebauungszusammenhang des östlich, jenseits der Bahnlinie gelegenen Ortsteils … teilnimmt.
30
Auf den westlich der eingleisigen Bahntrasse gelegenen Grundstücken ist im hier maßgeblichen Bereich insgesamt eine Vielzahl von Baukörpern mit großen Grundflächen vorhanden, denen erhebliches städtebauliches Gewicht zukommt. Hinzu kommt, dass die Freiflächen des Grundstücks FlNr. … in erheblichem Umfang gewerblich genutzt und befestigt sind. Weder der eingeleisigen Bahntrasse noch dem entlang dieser beidseits vorhandenen Baum- und Buschbestand kommt hier eine trennende Funktion zwischen Außen- und Innenbereich zu. Die vorhandene Bebauung auf der Westseite der eingleisigen Bahnline ist von derjenigen auf der Ostseite (Bebauung an der … Straße und dem …-Weg) nicht so weit abgesetzt, dass hier von einer Trennung des Bebauungszusammenhangs mit den zahlreichen und großflächigen Gebäuden westlich der Bahnlinie anzunehmen wäre. Vielmehr bindet dieser Komplex optisch noch an die östlich der Bahnlinie vorhandene Bebauung an und stellt sich als Fortentwicklung des Ortsteils dar. An dieser Einschätzung vermag auch der umfängliche Bestand an Bäumen und Büschen beidseits der Bahnlinie nichts zu ändern. Baumreihen oder Hecken, selbst wenn sie optisch markant in Erscheinung treten und ihr Bestand dauerhaft gesichert ist, sind - unabhängig davon, dass die Frage der Sichtbeziehung jahreszeitlich bedingt unterschiedlich zu beantworten wäre, - nicht geeignet, als natürliche Begrenzung des Bebauungszusammenhangs zu dienen (BVerwG, B.v. 8.10.2015 - 4 B 28.15 - juris Rn. 7, BayVGH, U.v. 13.4.2015 - 1 B 14.2319 - juris Rn. 21; U.v. 16.8.2010 - 1 B 10.1192- juris Rn. 20; Rieger in: Schrödter, Baugesetzbuch, 9. Auflage 2019, § 34 Rn. 19).
31
Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass sich die östlich der Bahnlinie liegenden Flächen innerhalb des Geltungsbereichs eines qualifizierten Bebauungsplanes befinden. Ein an den Geltungsbereich eines realisierten Bebauungsplans anschließendes Grundstück liegt nicht allein deshalb schon im Außenbereich (vgl. Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 15. Auflage 2022, § 34 Rn. 10; OVG Saarl, U.v. 26.2.1982 - 2 R 93/81 - UPR 1982, 344; Umkehrschluss aus BVerwG, B.v. 1.10.2008 - 4 B 53.08; BVerwG, B.v. 24.11.2009 - 4 B 1/09 - juris Rn. 5) - und zwar auch dann nicht, wenn es bei der Aufstellung des Bebauungsplans bewusst ausgespart worden sein sollte (vgl. VGH BW, U.v. 16.1.1991 - 8 S 2016/90 - BRS 52 Nr. 96).
32
Dass die Bebauung westlich der eingleisigen Bahnlinie insgesamt sehr heterogen ist und im Vergleich zur Bebauung östlich der Bahnlinie eine andersartige Siedlungsstruktur aufweist, steht der Annahme eines Bebauungszusammenhangs nicht entgegen (vgl. dazu auch: Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 146. EL April 2022, § 34 Rn. 18). Die Merkmale der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit sind nicht im Sinne eines harmonischen Ganzen, eines sich als einheitlich darstellenden Gesamtbildes der Bebauung zu verstehen (BVerwG, B.v.16.7.2018 - 4 B 51/17 - juris Rn. 7; U.v. 19.9.1986 - 4 C 15.84 - juris Ls. 1, Rn. 15). Ist eine aufeinanderfolgende Bebauung vorhanden, deren einzelne Bestandteile im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 14.9.1992 - 4 C 15.90 - juris Rn. 12; U.v. 30.6.2015 - 4 C 5.14 - juris Rn. 15) optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie - jeweils für sich genommen - geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen, so ist dies der Bebauungszusammenhang, auch wenn die aufeinander folgende Bebauung in sich noch so unterschiedlich ist. Eine sich in den Bebauungszusammenhang in keinster Weise einpassende Bebauung eines einzelnen Grundstücks mag allenfalls ein „Fremdkörper“ sein (vgl. BVerwG, U.v. 18.10.1974 - 4 C 77.73 - juris Rn. 15) und folglich die „Eigenart der näheren Umgebung“ nicht im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB als Maßstab prägen. Eine Unterbrechung des Bebauungszusammenhangs bewirkt sie nicht (BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 15.84 - juris Ls. 1, Rn. 15). Ein bebautes Grundstück kann mithin auch dann zum Bebauungszusammenhang eines Ortsteils gehören, wenn die Bebauung nicht zur maßstabsbildenden näheren Umgebung des betreffenden Grundstücks gehört (BVerwG, B.v. 16.7.2018 - 4 B 51/17 - juris Rn. 7).
33
2. Das mithin - soweit das übergeleitete Bauliniengefüge (§ 173 Abs. 3 Bundesbaugesetz - BBauG - und § 233 Abs. 3 BauGB) keine Regelung trifft - nach § 34 BauGB zu beurteilende Vorhaben ist hiernach unzulässig. Es überschreitet hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung den durch die Eigenart der näheren Umgebung vorgegeben Rahmen im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB [vgl. nachfolgend b) ] und ist auch nicht - trotz Rahmenüberschreitung - ausnahmsweise zulässig, da es geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche und ausgleichsbedürftige Spannungen zu begründen [siehe nachfolgend c) ]. Vom Erfordernis des Einfügens kann auch nicht nach § 34 Abs. 3a BauGB abgewichen werden [nachfolgend d) ].
34
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils nur zulässig, wenn es sich - u.a. - hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Ein Vorhaben fügt sich im Allgemeinen ein, wenn es sich innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Ein rahmenwahrendes Vorhaben kann ausnahmsweise unzulässig sein, wenn es nicht die gebotene Rücksicht auf die Bebauung in der Nachbarschaft nimmt. Umgekehrt fügt sich ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben ausnahmsweise ein, wenn es bodenrechtlich beachtliche Spannungen weder herbeiführt noch erhöht (BVerwG, U.v. 26.5.1978 - IV C 9.77 - juris Rn. 47; U.v. 15.12.1994 - 4 C 13.93 - juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 19.10.2020 - 15 ZB 20.280 - juris Rn. 7; B.v. 14.2.2018 - 1 CS 17.2496 - juris Rn. 13; ThürOVG, U.v. 26.4.2017 - 1 KO 347/14 - juris Rn. 40).
35
a) Maßgeblicher Beurteilungsrahmen für das Vorhaben ist die Eigenart der näheren Umgebung.
36
Welcher Bereich für das in Rede stehende Merkmal des Maßes der baulichen Nutzung als „nähere Umgebung“ anzusehen ist, hängt davon ab, wie weit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und andererseits sich diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken (BVerwG, U.v. 26.5.1978 - 4 C 9.77 - juris Rn. 33; U.v. 5.12.2013 - 4 C 5.12 - juris Rn. 10; B.v. 20.8.1998 - 4 B 79.98 - juris Rn. 7; U.v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 - juris Rn. 9; B.v. 27.3.2018 - 4 B 60.17 - juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 7.3.2011 - 1 B 10.3042 - juris Rn. 22), wobei ebenfalls darauf abzustellen ist, was in der Umgebung tatsächlich vorhanden ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2018 - 4 B 60.17 - juris Rn. 7). Daraus folgt, dass nicht nur die unmittelbare Nachbarschaft des Baugrundstücks zu berücksichtigen ist, sondern auch die Bebauung der weiteren Umgebung insoweit berücksichtigt werden muss, als auch diese noch prägend auf das Baugrundstück einwirkt (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 - 4 C 9.77 - juris Rn. 33). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 - 4 B 74.03 - juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 16.12.2009 - 1 CS 09.1774 - juris Rn. 21; B.v. 27.9.2010 - 2 ZB 08.2775 - juris Rn. 4). Dabei ist jedoch die maßgebliche nähere Umgebung für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.1997 - 4 B 172.97 - juris Rn. 5; B.v. 13.5.2014 - 4 B 38.13 - juris Rn. 7; U.v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 - juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 16.12.2009 - 1 CS 09.1774 - juris Rn. 21; U.v. 18.7.2013 - 14 B 11.1238 - juris Rn. 19; B.v. 14.2.2018 - 1 CS 17.2496 - juris Rn. 13). Beim Maß der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 - 4 B 38.13 - juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 7.0.2011 - 1 B 10.3042 - juris Rn. 22; B.v. 16.12.2009 - 1 CS 09.1774 - juris Rn. 21 m.w.N.; B.v. 25.4.2005 - 1 CS 04.3461 - juris Rn. 18; VGH BW, U.v. 23.9.1993 - 8 S 1281/93 - juris Rn. 22; B. v. 15.12.2005 - 5 S 1847/05 - juris Rn. 8; OVG Berlin-Bbg, U.v. 13.3.2013 - 10 B 4.12 - juris Rn. 39; OVG NW, U.v. 16.11.2001 - 7 A 1143/00 - juris Rn. 29; U.v. 9.9.2010 - 2 A 508/09 - juris Rn. 37). Die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung kann auch dort zu ziehen sein, wo jeweils einheitlich geprägte Komplexe mit voneinander verschiedenen Bebauungs- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 - 4 B 74.03 - juris Rn. 2; OVG NW, U.v. 6.3.2015 - 7 A 1777/13 - juris Rn. 32). Allgemein ist der Grenzverlauf der näheren Umgebung nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion; umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (BVerwG, B.v. 28.8.2003 - 4 B 74.03 - juris Rn. 2).
37
Dies zugrunde gelegt und unter Würdigung der konkreten örtlichen Verhältnisse ist als maßgeblicher Bereich für die Beurteilung des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung vorliegend die beidseits der …-Straße gelegene Bebauung westlich der eingleisigen Umgehungsbahnlinie anzusehen, bestehend aus den Grundstücken …-Straße 6, 6a, 6b, 8 und 19. Demgegenüber ist die Bebauung östlich der Umgehungsbahnlinie (Bebauung am …-Weg und … Straße) aufgrund ihrer vollständig andersartigen Struktur nicht in die nähere Umgebung einzubeziehen.
38
b) Das beantragte Vorhaben hält sich hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht innerhalb des durch die Eigenart der näheren Umgebung bestimmten Rahmens im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
39
Die Eigenart der näheren Umgebung wird durch dasjenige bestimmt, was auf dem Baugrundstück selbst und in der maßgeblichen näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.2009 - 4 B 50.08 - juris Rn. 6; U.v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 - juris Rn. 10; B.v. 16.7.2018 - 4 B 51/17 - juris Rn. 6). Für die Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung ist insofern alles an Bebauung in den Blick zu nehmen, was tatsächlich vorhanden ist und nach außen wahrnehmbar in Erscheinung tritt (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.1994 - 4 C 18.92 - juris Rn. 7; U.v. 16.6.2009 - 4 B 50.08 - juris Rn. 6, U.v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 - juris Rn. 13); außer Acht gelassen darf lediglich, was die Bebauung nicht prägt, weil es nicht die Kraft hat, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 15.2.1990 - 4 C 23.86 - juris Rn. 13; U.v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 - juris Rn. 13). Die tatsächlich vorhandenen Bebauungen sind für die Bestimmung der Zulässigkeit unabhängig davon maßgeblich, ob sie vormals in Übereinstimmung mit den baurechtlichen Vorschriften errichtet und genutzt worden sind. Ob eine vorhandene, nicht genehmigte Bebauung bei der Bestimmung der näheren Umgebung zu berücksichtigen ist, hängt - wie bei der Bestimmung des Bebauungszusammenhangs (vgl. BVerwG; U.v. 6.11.1968 - 4 C 2.66 - juris) - davon ab, ob diese in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass die zuständigen Behörden sich mit ihrem Vorhandensein abgefunden haben (BVerwG, U.v. 6.11.1968 - IV C 31.66 - juris Rn. 22; B.v. 23.11.1998 - 4 B 29.98 - juris Rn. 6; U.v. 6.6.2019 - 4 C 10/18 - juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 7.2.2020 - 15 CS 19.2013 - juris Rn. 31; B.v. 27.9.2021 - 15 B 20.828 - juris Rn. 39).
40
Ein Vorhaben fügt sich nach dem Maß der baulichen Nutzung ein, wenn es in der näheren Umgebung Referenzobjekte gibt, die bei einer wertenden Gesamtbetrachtung von Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung auch nach dem Verhältnis zur Freifläche, vergleichbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 - juris Leitsatz 2, Rn. 20 unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 23.3.1994 - 4 C 18.92 - juris Rn. 7; vgl. auch BVerwG, B.v. 14.3.2013 - 4 B 49.12 - juris Rn. 5; B.v. 3.4.2014 - 4 B 12.14 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.2.2018 - 1 CS 17.2496 - juris Rn. 13).
41
Bedeutsam für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche Maße, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. Ihre absolute Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur Freifläche, prägen das Bild der maßgeblichen Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen zur Ermittlung des Maßes der baulichen Nutzung an (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 - 4 C 7/15 - juris Rn. 17, B.v.8.12.2016 - 4 C 7/15 - juris Rn. 17 m.w.N.). Dabei ist kumulierend auf die absolute Größe der Gebäude nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe abzustellen. Die Übereinstimmung von Vorhaben und Referenzobjekten nur in einem Maßfaktor genügt nicht, weil sie dazu führen könnte, dass durch eine Kombination von Bestimmungsgrößen, die einzelnen Gebäuden in der näheren Umgebung jeweils separat entnommen werden, Baulichkeiten entstehen, die in ihrer Dimension kein Vorbild in der näheren Umgebung haben. Dies widerspräche der planersetzenden Funktion des § 34 Abs. 1 BauGB, eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung eines Bereichs zu gewährleisten (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 - 4 C 7/15 - juris Rn. 20). Gebäude prägen ihre Umgebung nicht durch einzelne Maßbestimmungsfaktoren im Sinne des § 16 Abs. 2 Baunutzungsverordnung (BauNVO), sondern erzielen ihre optische maßstabbildende Wirkung durch ihr gesamtes Erscheinungsbild (BVerwG, U.v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 - juris Leitsatz 2, Rn. 20 unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 23.3.1994 - 4 C 18.92 - juris Rn. 7).
42
Das Gericht konnte sich beim Augenschein und auf Grundlage der ihm vorliegenden Akten und Luftbilder davon überzeugen, dass in der maßgeblichen näheren Umgebung des Vorhabens kein Vorbild im Hinblick auf die o.g. maßgeblichen Referenzkriterien vorhanden ist. Diese ist überwiegend geprägt von Bebauung mit - im Vergleich zum streitgegenständlichen Vorhaben - weitaus größeren Grundflächen mit geringerer Höhenentwicklung (vgl. nur …-Straße 6a, … Straße 6, und …-Straße 19). Das Gebäude …-Straße 6b weist keine dem Vorhaben (E+I+D mit Hochparterre) vergleichbare Wandhöhe und Geschossigkeit auf (* …-Straße 6b: E+D mit Hochparterre und flachgeneigtem Satteldach mit jeweils einer untergeordneten Dachgaube).
43
Auch unter Einbeziehung der ursprünglichen, auf dem Baugrundstück vorhandenen Bausubstanz ergibt sich keine andere Beurteilung. Nach den in den Behördenakten enthaltenen Lichtbildern wies diese zwar ebenfalls ein Hochparterre auf, trat jedoch im Übrigen insgesamt (nur) zweigeschossig (E+I) in Erscheinung. Dass auf beiden Giebelseiten im Bereich des Dachgeschosses, worauf der Bevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung noch einmal explizit hingewiesen hat und was anhand des in den Behördenakten enthaltenen Fotomaterials sowie „Google Street view“ nachvollzogen werden konnte - jeweils zwei Fenster vorhanden gewesen sind, führt nicht dazu, dass der Bestandsbaukörper ursprünglich als nach außen dreigeschossig wahrnehmbar gewesen wäre. Die Dachflächen des flachgeneigten Satteldaches wiesen keinerlei Dachaufbauten auf, so dass das Dachgeschoss der Bestandsbebauung nach außen hin nicht die Wirkung eines zusätzlichen Geschosses entfaltet hat. Die (vorgenommenen) baulichen Änderungen am Gebäude …-Straße 8, namentlich der Neubau des Dachgeschosses und dessen neue Gestaltung mit Mansarddach sowie die geplanten (und bereits ins Werk gesetzten) stehenden Gauben, führen hingegen dazu, dass mit der sich daraus ergebenden und nach außen sichtbaren Dreigeschossigkeit eine im Vergleich zum bislang Vorhandenen deutlich größere Höhenentwicklung wahrnehmbar in Erscheinung tritt.
44
c) Das Vorhaben fügt sich auch nicht - trotz Rahmenüberschreitung - ausnahmsweise nach dem Maß seiner baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Vielmehr wäre es geeignet, bodenrechtlich beachtliche und ausgleichsbedürftige Spannungen zu begründen. Hierfür reicht die mögliche Vorbildwirkung des Vorhabens für andere Bauvorhaben auf Nachbargrundstücken in vergleichbarer Lage aus (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 - 15 ZB 14.1542 - juris Rn. 17 m.w.N.).
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Die Überschreitung des durch die Umgebung gesetzten Rahmens führt zwar nicht unbedingt, wohl aber im Regelfall zur Unzulässigkeit des Vorhabens. Denn eine Überschreitung des von der Bebauung bisher eingehaltenen Rahmens zieht in der Regel die Gefahr nach sich, dass der gegebene Zustand in negativer Hinsicht in Bewegung und damit in Unordnung gebracht wird (BVerwG, U.v. 15.12.1994 - 4 C 13.93 - juris Rn. 21). Allerdings kann die Frage, ob eine solche Entwicklung zu befürchten ist, nur unter Berücksichtigung der konkreten Eigenart der näheren Umgebung und der konkreten Umstände, die Spannungen hervorrufen können, beantwortet werden. Die abstrakte und nur entfernt gegebene Möglichkeit, dass ein Vorhaben Konflikte im Hinblick auf die Nutzung benachbarter Grundstücke auslöst, schließt die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht aus (BVerwG, U.v. 15.12.1994 - 4 C 13.93 - juris Rn. 21). Bodenrechtlich beachtliche bewältigungsbedürftige Spannungen werden begründet oder erhöht, wenn das Bauvorhaben die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet und das Bedürfnis hervorruft, die Voraussetzungen für seine Zulassung unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung zu schaffen (vgl. BVerwG, U.v. 21.11.1980 - 4 C 30.78 - juris Rn. 21 ff.; U.v. 17.6.1993 - 4 C 17/91 - juris Rn. 19 f.; B.v. 25.3.1999 - 4 B 15.99 - juris Rn. 5 f.; U.v. 5.12.2013 - 4 C 5.12 - juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 3.3.2016 - 15 ZB 14.1542 - juris Rn. 17; B.v. 19.10.2020 - 15 ZB 20.280 - juris Rn. 7). Hierfür reicht die mögliche Vorbildwirkung des Vorhabens für andere Bauvorhaben auf Nachbargrundstücken in vergleichbarer Lage aus (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 - 15 ZB 14.1542 - juris Rn. 17 m.w.N.).
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Eine solche Wirkung ist hier gegeben. Das Vorhaben überschreitet den Rahmen mit einem zusätzlichen Geschoss nicht nur unwesentlich. Die Zulassung eines weiteren Geschosses auf dem Baugrundstück würde eine Vorbildwirkung für ähnliche Bauwünsche auf den angrenzenden Grundstücken und damit eine bauliche Verdichtung zur Folge haben. So könnte beispielsweise auch eine Aufstockung des Bestandsgebäudes …-Straße 6b jedenfalls hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht verwehrt werden.
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d) Vom Erfordernis des Einfügens kann nicht nach § 34 Abs. 3a BauGB abgewichen werden.
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Die Vorschrift ermächtigt die Bauaufsichtsbehörde, im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB abzuweichen, wenn die Abweichung u.a. der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes dient (§ 34 Abs. 3a Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) BauGB), städtebaulich vertretbar (§ 34 Abs. 3a Satz 1 Nr. 2 BauGB) und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist (§ 34 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 BauGB). Zudem kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des § 34 Abs. 3a Satz 1 BauGB in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 34 Abs. 3a Satz 1 BauGB vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplanes nicht erforderlich ist (§ 34 Abs. 3a Satz 3 BauGB). Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Abweichungsnorm liegen bereits deswegen nicht vor, weil durch die Zulassung der rahmenüberschreitenden, höheren Geschossigkeit vorliegend ein neuer Akzent für die städtebauliche Entwicklung des Gebiets gesetzt würde, der nur im Wege der Bauleitplanung gesetzt werden kann.
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e) Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ergibt sich auch nicht aus § 33 Abs. 1 BauGB. Dies folgt - unbeschadet des konkreten Planungsstands sowie unabhängig davon, ob und welche Festsetzungen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung im Planentwurf überhaupt vorgesehen waren - bereits daraus, dass das Bebauungsplanverfahren nach Aktenlage nicht weiterverfolgt wird (vgl. im Einzelnen dazu: Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 146. EL April 2022, § 34 Rn. 49; Tophoven, in: BeckOK BauGB, 55. Edition 1.5.2022, § 33 Rn. 18, Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 15. Auflage 2022, § 33 Rn. 9 jeweils m.w.N.).
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung - ZPO.