Titel:
Eilantrag gegen für sofort vollziehbar erklärtes Baubeginnsverbot, Entsprechende Anwendung der Vorschrift zur Baueinstellung auf Baubeginnsverbot, Angekündigter Baubeginn trotz Nichtvorliegens einer Baugenehmigung und Fiktionsbescheinigung, Aspekt des evidenten Anspruchs auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung nicht bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, Anhörung vor Bescheidserlass, Begründung des Sofortvollzugs
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 3
BayBO Art. 75
BayBO Art. 68 Abs. 2 und 6
BayVwVfG Art. 42a
BayVwVfG Art. 28
Schlagworte:
Eilantrag gegen für sofort vollziehbar erklärtes Baubeginnsverbot, Entsprechende Anwendung der Vorschrift zur Baueinstellung auf Baubeginnsverbot, Angekündigter Baubeginn trotz Nichtvorliegens einer Baugenehmigung und Fiktionsbescheinigung, Aspekt des evidenten Anspruchs auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung nicht bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, Anhörung vor Bescheidserlass, Begründung des Sofortvollzugs
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32914
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Antrag im vorläufigen Rechtschutzverfahren gegen ein für sofort vollziehbar erklärtes Baubeginnsverbot.
2
Mit Formblattantrag vom 13. Dezember 2021 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin eine baurechtliche Genehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit Tiefgarage (25 WE) auf den Grundstücken Fl.-Nrn. 1742/80 und 1742/89 der Gemarkung … ( …, …).
3
Unter dem 30. Dezember 2021 forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin fehlende Unterlagen nach, welche am 17. Januar 2022 eingereicht wurden.
4
Mit Schreiben vom 4. April 2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass die am 17. Januar 2022 eingereichten Unterlagen als ausreichend erachtet werden und die dreimonatige Frist des Art. 68 Abs. 2 BayBO i.V.m. Art. 42a BayVwVfG am 8. Februar 2022 beginne und mit Ablauf des 9. Mai 2022 ende. Zugleich informierte sie die Antragstellerin, dass diese Frist gemäß Art. 42a Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG um sechs Wochen bis zum 20. Juni 2022 verlängert werde, da bei dem beantragten Bauvorhaben eine umfangreiche Sachverhaltsermittlung insbesondere bzgl. der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung erforderlich sei.
5
Am 20. Juni 2022 um 15:29 Uhr versandte die Antragsgegnerin per beBPo an Rechtsanwalt …, der später eine Vollmacht der Antragstellerin vom 23. Juni 2022 vorlegte, einen Bescheid vom 20. Juni 2022, mit dem der Bauantrag der Antragstellerin abgelehnt wurde, weil sich das Bauvorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge.
6
Am 21. Juni 2022, gegen Mittag, informierte das Sekretariat von Rechtsanwalt … die Antragsgegnerin, dass sich deren Nachricht nicht öffnen lasse. Der Bescheid vom 20. Juni 2022 wurde daraufhin Rechtsanwalt … per Fax am 21. Juni 2022 übermittelt. Ebenso an diesem Tag erhielt der Rechtsanwalt den Bescheid per förmlicher Postzustellung.
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Rechtsanwalt … bestätigte gegenüber der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 23. Juni 2022, dass er zwar eine Datei von der Antragsgegnerin im beA vorgefunden habe, diese aber fehlerhaft gewesen sei und weder geöffnet noch gelesen werden konnte. Zugleich wurde ein Screenshot vom 22. Juni 2022 von seinem beA vorgelegt, aus dem folgender Satz in rot ersichtlich ist: „Die geöffnete Nachricht ist fehlerhaft und kann deswegen nicht geöffnet werden.“ In dem Schreiben von Rechtsanwalt … wird u.a. ausgeführt, dass die Genehmigungsfiktion aufgrund des fehlgeschlagenen Bekanntgabeversuchs am 20. Juni 2022 mit Ablauf dieses Tages eingetreten sei. Die Antragsgegnerin wurde aufgefordert, die Bescheinigung nach Art. 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayBO i.V.m. Art. 42a Abs. 3 BayVwVfG gegenüber der Antragstellerin auszustellen.
8
Unter dem 23. Juni 2022 legte die Antragstellerin der Antragsgegnerin eine Baubeginnsanzeige vor, wonach mit dem Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage am 15. Juli 2022 begonnen werde.
9
Mit Schreiben vom 7. Juli 2022 lehnte die Antragsgegnerin die Erteilung der begehrten Bescheinigung gegenüber der Antragstellerin ab mit der Begründung, dass etwaige Zustellungsfehler nicht der Sphäre der Bauaufsichtsbehörde zuzurechnen seien. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass es für einen Baubeginn an der formellen Berechtigung fehle. Zudem erfolgte eine Anhörung zu einer beabsichtigten Baueinstellung, falls an dem geplanten Beginn der Bauarbeiten festgehalten werde.
10
In einer E-Mail vom 8. Juli 2022 erklärte der Geschäftsführer der Antragstellerin, dass die Baugeginnsanzeige nicht zurückgezogen werde.
11
Mit Datum vom 14. Juli 2022 erließ die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin folgenden Bescheid:
„1. Die Firma … hat es zu unterlassen, am 15.07.2022 oder nach diesem Termin mit den Bauarbeiten auf dem Grundstück …, 9.. …, FlNr. 1742/780 und 1742/89 zu beginnen, so lange sie weder über eine Baugenehmigung noch über eine Bescheinigung i.S.d. Art. 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayBO in Verbindung mit Art. 42a Abs. 3 BayVwVfG verfügt.
2. Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 dieses Bescheids wird angeordnet.
3. Falls die … entgegen der Nr. 1 dieses Bescheids mit den Bauarbeiten beginnt, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 7.500,00 EUR zur Zahlung fällig.
12
In den Bescheidsgründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die vorbeugende Untersagungsverfügung auf Art. 75 Abs. 1 BayBO gestützt und ermessensgerecht erlassen werden könne, da aufgrund der Baubeginnsanzeige und der Einlassungen der Antragstellerin konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass die Antragstellerin ohne Baugenehmigung oder Bescheinigung i.S.v. Art. 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayBO mit den Bauarbeiten entgegen Art. 68 Abs. 6 Nr. 1 BayBO beginnen könnte. Es drohe die Gefahr, dass durch den Baubeginn rechtswidrige Zustände geschaffen würden. Dies gelte erst Recht, nachdem das Bauvorhaben, wie mit Bescheid vom 20. Juni 2022 erläutert, auch mit materiellem Recht nicht in Einklang stehe. Der Adressat der Anordnung werde in den gleichen Stand versetzt wie ein gesetzestreuer Bürger, der erst nach formeller Genehmigung mit dem Bau beginne. Die Interessensabwägung falle zugunsten des öffentlichen Interesses aus. Die Sofortvollzugsanordnung wurde mit dem hohen Stellenwert, rechtswidrige Zustände zu vermeiden, und der Verhinderung vollendeter Tatsachen begründet. Die Zwangsgeldandrohung beruhe auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG, die Höhe des Zwangsgeldes orientiere sich am wirtschaftlichen Interesse an der Errichtung des Bauvorhabens ohne formelle Genehmigung. Mangels Handlungspflicht sei eine Fristsetzung nicht erforderlich.
13
Am 18. Juli 2022 erhob die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg mit dem Hauptantrag, festzustellen, dass hinsichtlich des streitgegenständlichen Vorhabens die Genehmigungsfiktion eingetreten und die Fiktionsbescheinigung zu erteilen ist, und dem Hilfsantrag, die Beklagte zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen (RO 7 K 22.1821). Über diese Klage wurde noch nicht entschieden.
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Am 4. August 2022 hat die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 14. Juli 2022 erheben (Az. RO 7 K 22.1940) sowie um vorliegenden Eilrechtsschutz nachsuchen lassen. Zur Begründung des Eilantrags wird vorgetragen, dass die Anordnung treuwidrig sei. Soweit die Behörde einen Verstoß gegen Art. 68 Abs. 6 BayBO annehme, sei dies treu- und damit auch ermessenwidrig, da sie nach Art. 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayBO verpflichtet sei, das Fiktionszeugnis unverzüglich und unverlangt auszustellen. Das Verhalten der Behörde umgehe den Zweck der Neuregelung, Verfahren zu beschleunigen. Die Treuwidrigkeit ergebe sich auch insoweit, als der Ablauf der Fiktionsfrist und der Eintritt der Fiktion offensichtlich seien. Denn bis zum Fiktionsfristende am 20. Juni 2022 sei der Antragstellerin kein Bescheid über die Ablehnung des Bauantrags zugegangen bzw. zugestellt worden. Auf die Übermittlung der Datei in das beA könne sich die Antragsgegnerin nicht berufen, da die Datei fehlerhaft und nicht öffenbar gewesen sei. Eine Heilung nach Art. 9 VwZVG komme nicht in Betracht; die Möglichkeit der Kenntnisnahme habe nämlich am 20. Juni 2022 nicht vorgelegen. Aber auch bei einer lesbaren Datei wäre nach den einschlägigen Bestimmungen frühestens drei Tage nach Absendung von einer Bekanntmachung auszugehen. Im Übrigen füge sich das Bauvorhaben dem Maß nach in die nähere Umgebung ein. Aber auch eine rechtswidrige fingierte Genehmigung könnte nicht - wie die Antragsgegnerin meine - im Falle der Verpflichtung zur Erteilung des Fiktionszeugnisses rechtmäßig zurückgenommen werden, da schon einige vergleichbare Gebäude genehmigt worden seien.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2022 wiederherzustellen.
16
Der Antragsgegner beantragt,
17
Zur Begründung wird vorgetragen, dass der Antrag schon unzulässig sei; denn zum einen fehle es an einer Eilbedürftigkeit, zum anderen werde das Verfahren RO 7 K 22.1821 unzulässig vorweggenommen. Im Übrigen stelle sich der Antrag als unbegründet dar, weil der Bescheid rechtmäßig sei. Insoweit wird ergänzend zu den Bescheidsausführungen vorgetragen, dass die Ausführungen zur Treuwidrigkeit haltlos seien.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren RO 7 S 22.1939, RO 7 K 22.1940 und RO 7 K 221821 sowie auf die jeweils vorgelegten Behördenakten verwiesen.
19
Der gegen die Unterlassungsverfügung in Form des Baubeginnsverbots gerichtete Eilantrag hat keinen Erfolg.
20
Der Eilantrag erweist sich als zulässig, insbesondere statthaft. Das Baubeginnsverbot in Nr. 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2022 wurde in Nr. 2 des Bescheids mit einer Sofortvollzugsanordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO versehen, weshalb die Klage der Antragstellerin hiergegen keine aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat. Damit ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen das Baubeginnsverbot im Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2022 statthaft (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO). Auf eine Eilbedürftigkeit kommt es bei einem statthaften Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO nicht an. Der Eilantrag führt auch nicht zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren RO 7 K 22.1821, da es sich bei dem Bescheid vom 14. Juli 2022 um einen anderen Streitgegenstand (Baubeginnverbot) handelt als im Hauptsacheverfahren RO 7 K 22.1821, bei dem es um die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung nach Art. 42a Abs. 3 BayVwVfG bzw. hilfsweise einer Baugenehmigung geht.
21
Der Eilantrag stellt sich jedoch als unbegründet dar.
22
Die Anordnung des Sofortvollzugs in Nr. 2 des Bescheids vom 14. Juli 2022 betreffend die Unterlassungsverfügung ist formell rechtmäßig, insbesondere wird dem Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 VwGO genügt. Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO bedarf das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes einer schriftlichen Begründung. Aus der Begründung muss hinreichend deutlich hervorgehen, warum die Behörde eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält. Lediglich floskelhafte Formulierungen oder eine Wiederholung des Gesetzeswortlauts genügen nicht. Die Behörde muss sich des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst sein und die für den Sofortvollzug maßgeblichen, einzelfallbezogenen Erwägungen erkennen lassen. Die Anordnung einer Baueinstellung bzw. die getroffene Unterlassensverfügung in Form des Baubeginnsverbots ist regelmäßig nur in Verbindung mit einer Sofortvollzugsanordnung sinnvoll, da sie ansonsten ihren Zweck verfehlen würde und nur so die Schaffung vollendeter Tatsachen verhindert werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2013 - 14 CS 13.1383 -, Rn. 9, juris). Das allgemeine öffentliche Interesse am Vollzug des Art. 75 BayBO deckt sich daher im Allgemeinen mit dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Anordnung (Beachtung des formellen Baurechts, Durchführung erforderlicher Genehmigungsverfahren und Abwarten entsprechender Zulassungsbescheide vor Beginn genehmigungspflichtiger Baumaßnahmen). Aus diesem Grund sind die Anforderungen an das Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO im Fall einer Baueinstellungsanordnung bzw. der getroffenen Unterlassensverfügung denkbar gering (vgl. Busse/Kraus, 135. EL Dezember 2019, BayBO Art. 75 Rn. 109; BeckOK BauordnungsR Bayern/Manssen, 14. Ed. 1.3.2020, BayBO Art. 75 Rn. 16). Die Ausführungen der Antragsgegnerin in den Bescheidsgründen, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern, und der Hinweis auf den hohen Stellenwert, rechtswidrige Zustände zu vermeiden, lassen in hinreichender Weise erkennen, dass sich die Antragsgegnerin mit dem vorliegenden Einzelfall auseinandergesetzt und die aus ihrer Sicht für und gegen die Anordnung des Sofortvollzugs sprechenden Gründe berücksichtigt hat. Damit genügt der Bescheid dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Ob der von der Antragsgegnerin dargelegten Begründung in inhaltlicher Hinsicht gefolgt werden kann, ist keine Frage der Begründungspflicht, sondern des Vollzugsinteresses.
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Das Gericht nimmt im Rahmen seiner Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO eine eigene Interessensabwägung vor. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragstellerin regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
24
Gemessen an diesen Grundsätzen kommt eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Unterlassensverfügung in Form des Baubeginnsverbots nicht in Betracht. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO vorzunehmende Interessensabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin aus.
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Nach summarischer Prüfung wird ihre Klage gegen die Unterlassensverfügung in Nr. 1 des Bescheids vom 14. Juli 2022 erfolglos bleiben, weil sich diese als rechtmäßig erweist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Anordnung ist formell rechtmäßig, insbesondere ein Verstoß gegen die Anhörungsvorschrift des Art. 28 BayVwVfG ist nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin mit an Rechtsanwalt … gerichteten Schreiben vom 7. Juli 2022 vor Erlass des Bescheides gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört. Der Inhalt des Schreibens ist offensichtlich der Antragstellerin zur Kenntnis gelangt (vgl. E-Mail des Geschäftsführers vom 8. Juli 2022), so dass es dahingestellt bleiben kann, ob zu diesem Zeitpunkt eine Bevollmächtigung von Rechtsanwalt … vorlag bzw. die Antragsgegnerin, was nahe liegt, von einer Bevollmächtigung ausgehen durfte. Ebenso kann vor diesem Hintergrund dahingestellt bleiben, ob nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG von der Anhörung hätte abgesehen werden dürfen.
27
Die Unterlassungsverfügung in Gestalt des Baubeginnsverbots erweist sich auch materiell als rechtmäßig.
28
Sie kann auf Art. 75 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 1 BayBO analog gestützt werden. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet werden, wobei dies auch dann gilt, wenn die Ausführung des Bauvorhabens entgegen der Vorschrift des Art. 68 Abs. 6 BayBO begonnen wird.
29
Zwar setzt Art. 75 Abs. 1 BayBO nach seinem Wortlaut voraus, dass mit der Errichtung der Anlage schon begonnen wurde, was vorliegend nicht der Fall ist. Zu Recht weist die Antragsgegnerin aber darauf hin, dass nach dem Sinn und Zweck der Eingriffsbefugnis auch ein präventives Baubeginnsverbot, hier in Form der streitgegenständlichen Unterlassungsverfügung, ergehen kann, wenn hinreichend konkrete und begründete Anhaltspunkte bestehen, dass mit der Errichtung einer Anlage alsbald und ernsthaft begonnen wird und es hinreichend wahrscheinlich ist, dass ein dem öffentlichen Recht widersprechender Zustand geschaffen wird bzw. wenn zu befürchten ist, dass innerhalb kurzer Zeit später nicht mehr oder nur noch sehr schwer rückgängig zu machende Baumaßnahmen erfolgen werden (vgl. Busse/Kraus, BayBO Art. 75 Rn. 42, mit Nachweisen in der Rechtsprechung).
30
Die Antragstellerin hat mit ihrer Baubeginnsanzeige zu erkennen gegeben, dass sie ab 15. Juli 2022 mit dem Bau beginnen möchte und in der darauffolgenden Korrespondenz mit der Antragsgegnerin deutlich gemacht, davon nicht Abstand nehmen zu wollen. Damit waren unzweifelhaft hinreichend konkrete Anhaltspunkte für ein präventives Baubeginnsverbot gegeben.
31
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für das streitgegenständliche Einschreiten liegen im Übrigen vor. Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 1 BayBO kann mittels einer Baueinstellung oder - wie hier - mittels eines präventiven Baubeginnsverbots in Gestalt der streitgegenständlichen Unterlassungsanordnung vorgegangen werden, wenn entgegen der Vorschrift des Art. 68 Abs. 6 BayBO mit dem Bau begonnen wird bzw. bei entsprechender Anwendung der Baubeginn alsbald beabsichtigt ist. Gemäß Art. 68 Abs. 6 Nr. 1 BayBO darf mit der Bauausführung oder mit der Ausführung des jeweiligen Bauabschnittes erst begonnen werden, wenn die Baugenehmigung oder eine Bescheinigung gemäß Art. 42a Abs. 3 BayVwVfG zugegangen ist. Der Antragstellerin ist bislang weder eine Baugenehmigung zugegangen noch eine Bescheinigung nach der vorgenannten Norm. Damit würde der beabsichtigte Baubeginn gegen die gesetzlichen Bestimmungen verstoßen, was das vorliegende Einschreiten auf Tatbestandsebene rechtfertigt.
32
Der Erlass des präventiven Bauverbots liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Die Ermessensausübung ist gemäß § 114 Satz 1 VwGO vom Gericht nur daraufhin zu überprüfen, ob die behördliche Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Die Antragsgegnerin hat ausweislich des Bescheidstenors und der Bescheidsgründe das Baubeginnsverbot maßgeblich darauf gestützt, dass die Antragstellerin mangels Baugenehmigung bzw. Bescheinigung nach Art. 42a Abs. 3 BayVwVfG nicht berechtigt ist, mit dem Bau zu beginnen und die Gefahr drohe, dass durch den Baubeginn rechtswidrige Zustände geschaffen werden. Diese Ermessenserwägungen tragen die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Maßnahme. Eine Baueinstellung bzw. das präventive Baubeginnsverbot stellt eine vorläufige Maßnahme dar, die von der Eingriffsintensität deutlich unter den Anordnungen des Art. 76 BayBO liegt. Insbesondere ist bei Bauarbeiten ohne die notwendige Genehmigung vor dem Hintergrund des von einer Baueinstellung verfolgten Zwecks eines möglichst frühzeitigen Eingreifens in den Entstehungsprozess illegaler Vorhaben von einem sog. intendierten Ermessen auszugehen (vgl. BeckOK BauordnungsR Bayern/Manssen, 14. Ed. 1.3.2020, BayBO Art. 75 Rn. 18-22). Dies muss gleichermaßen für den hier vorliegenden Fall eines präventiven Baubeginnverbots gelten.
33
Die Antragstellerin kann nicht mit Erfolg geltend machen, dass die streitgegenständliche Maßnahme deswegen rechtswidrig ist, weil die Antragsgegnerin (evident) verpflichtet gewesen wäre, ihr gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBO eine den Baubeginn ermöglichende Bescheinigung nach Art. 42a Abs. 3 BayBO auszustellen, was die Anordnung treuwidrig bzw. ermessensfehlerhaft mache.
34
In der Rechtsprechung ist es umstritten, ob die evidente Genehmigungsfähigkeit bei der Ermessensausübung im Rahmen einer Baueinstellung Berücksichtigung finden muss (vgl. zum Meinungsstand Busse/Kraus/Decker, 145. EL Januar 2022, BayBO Art. 75 Rn. 91). Die zur Entscheidung berufene Kammer vertritt die Auffassung, dass die Frage der evidenten Genehmigungsfähigkeit bei der Baueinstellung keine Rolle spielt, da der Bauherr unabhängig davon die gesetzlichen Voraussetzungen einzuhalten hat, nämlich eine Baugenehmigung oder Bescheinigung i.S.v. Art. 42a Abs. 3 BayVwVfG abzuwarten bzw. ggf. einzuklagen, bevor mit dem Bau begonnen wird. Andernfalls würde das Baugenehmigungsverfahren zur „leeren Hülse“ (vgl. Busse/Kraus/Decker, 145. EL Januar 2022, BayBO Art. 75 Rn. 91) und der Zweck des Art. 75 BayBO verfehlt, u.a. das formelle Baurecht durchzusetzen (vgl. Busse/Kraus/Decker, 145. EL Januar 2022, BayBO Art. 75 Rn. 7 mit Rechtsprechungsnachweis).
35
Kommt es damit nicht auf die evidente Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens im Rahmen der Baueinstellung an, so muss dies auch für den geltend gemachten evidenten Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung nach Art. 42a Abs. 3 BayVwVfG gelten. Damit kann sich die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren auch nicht darauf berufen, dass die Antragsgegnerin treuwidrig handele, weil sie die Bescheinigung trotz eindeutiger, evidenter Rechtlage nicht erteile. Sie ist insoweit auf das anhängige Klageverfahren zu verweisen (RO 7 K 22.1821).
36
Zweifel an der richtigen Störerauswahl oder an der Verhältnismäßigkeit der streitgegenständlichen Anordnung bestehen nicht.
37
Nach alledem war der Eilantrag abzulehnen, zumal auch neben den Erfolgsaussichten der Hauptsache keine anderen Aspekte im Raum stehen, die das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin vorrangig erscheinen ließen.
38
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5. und 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Die Höhe des aus dem Baubeginnsverbot resultierenden Schadens oder der Aufwendungen der Antragstellerin bringt das Gericht mangels anderweitiger Anhaltspunkte mit dem Auffangwert in Höhe von 5.000,- EUR in Ansatz. Der Streitwert ist aufgrund der Vorläufigkeit der begehrten Entscheidung zu halbieren.