Titel:
Restschadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung
Normenkette:
BGB § 199, § 826, § 852 S. 1
Leitsätze:
1. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände insbesondere angesichts der Tragweite und des Umfangs des Dieselskandals sowie der fortlaufenden bzw. anhaltenden und ausführlichen Berichterstattung in sämtlichen Medien hierüber beginnend mit der Aufdeckung im September 2015 ist jedenfalls im Jahr 2016 grob fahrlässige Unkenntnis auf Seiten des Käufers eines betroffenen Fahrzeugs anzunehmen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anwendungsbereich des § 852 S. 1 BGB ist eröffnet, wenn der Käufer eines Neufahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller aus § 826 BGB einen (verjährten) Anspruch auf Erstattung des aufgrund eines ungewollten Vertragsschlusses an ihn gezahlten Kaufpreises hat. (Rn. 45 – 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 189, Dieselskandal, Restschadensersatz, Abschalteinrichtung
Vorinstanz:
LG Traunstein, Endurteil vom 14.06.2021 – 3 O 3181/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 17.10.2022 – VIa ZR 275/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32834
Tenor
I. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 14.06.2021, Az. 3 O 3181/20, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei und an Herrn S. G. zur gesamten Hand 18.315,22 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 31.12.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Touran Comfortline 1,6 l TDI 77 kw, Fahrzeugident-Nr. … .
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Klagepartei wird zurückgewiesen.
II. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfahrens in erster Instanz trägt die Klagepartei 5% und die Beklagte 95%.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klagepartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin, die gemeinsam mit ihrem Ehemann S. G. im Oktober 2012 bei einem Vertragshändler der Beklagten einen vom sogenannten Diesel-Abgasskandal betroffenen Pkw VW Touran mit einem Motor der Baureihe EA 189 als Neufahrzeug erworben hat, nimmt die Beklagte als dessen Herstellerin auf Erstattung des gezahlten Kaufpreises in Höhe von 30.200,01 € abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen - Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs - in Anspruch. Darüber hinaus begehrt die Klägerin die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Verzug befindet.
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Hinsichtlich der Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Landgerichts Traunstein vom 14.06.2021 (Bl. 132/135 d.A.) Bezug genommen. Ergänzend stellt der Senat fest, dass sich der Kilometerstand des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 14.12.2021 auf 98.384 km belief.
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Das Landgericht hat der Klage nur im Hilfsantrag teilweise stattgegeben und die Beklagte - unter Klageabweisung im Übrigen - zur Zahlung von 700 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin und ihrem Ehemann zwar grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB zustehe. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung seien erfüllt. Es bestehe daher ein Anspruch auf Zahlung von 18.788,27 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung, da sich die Klagepartei die gezogenen Nutzungen im Rahmen des Vorteilsausgleichs - auf Grundlage einer zu schätzenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km und gefahrenen Kilometern von 94.468 - in Höhe von 11.411,74 € auf den Kaufpreis von 30.200,01 € anrechnen lassen müsse. Dieser Anspruch sei jedoch verjährt und nicht mehr durchsetzbar, weil die Klagepartei jedenfalls mit Ablauf des Jahres 2016 grob fahrlässig in Unkenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom Dieselskandal gewesen sei. Eine Klageerhebung sei mit den im Jahr 2016 vorliegenden Informationen auch möglich und zumutbar gewesen.
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Der Einwand der Klagepartei, dass die im Zuge des Software-Updates aufgespielte Motorsteuerungssoftware eine neue unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines sogenannten Thermofensters enthalten solle, führe ebenfalls nicht zu einer Haftung der Beklagten, da es insoweit jedenfalls an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten fehle. Mangels Hauptanspruchs seien auch keine Zinsen zuzusprechen und kein Annahmeverzug festzustellen.
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Der für den Fall der Verjährung gestellte Hilfsantrag sei nur in geringer Höhe begründet. Gemäß § 852 BGB sei herauszugeben, was die Beklagte auf Kosten der Klagepartei im Sinne dieser Vorschrift erlangt habe. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten daher Anspruch auf Zahlung von 700 € Zug um Zug gegen Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Beim Neuwagenkauf „verdiene“ die Beklagte den Kaufpreis abzüglich einer Händlermarge und abzüglich der Herstellungskosten, d.h. den Herstellergewinn. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Beklagte nach § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB verschärft hafte. Zum einen stehe die verschärfte Haftung dem Abzug notwendiger Verwendungen auf die dem Anspruch zugrunde liegende Sache grundsätzlich nicht entgegen. Die Produktionskosten und die Händlermarge seien zwar keine notwendigen Aufwendungen auf den Kaufpreis, aber hierfür erforderlich gewesen, weil sie dem aufgrund synallamagnatischer Verknüpfung zu liefernden Fahrzeug als Grundlage des Anspruchs zugute kämen. Zum anderen gebiete die Wertung des trotz Verjährung verbleibenden Restschadensersatzanspruchs im Sinne eines Gewinnabschöpfungsanspruchs, das Erlangte im Sinne des § 852 Satz 1 BGB als den vom Schädiger aus der unerlaubten Handlung erwirtschafteten Verletzergewinn auszulegen. Es sei kein Grund dafür erkennbar, dass der Gesetzgeber dem Geschädigten über die dreijährige Regelverjährung hinaus mehr zukommen lassen wollte, als den Verdienst des Schädigers aus dem Geschäft. Da die Parteien zur Höhe des Verletzergewinns nichts Konkretes vorgetragen hätten, sei der bei der Beklagten für das Fahrzeug verbliebene Herstellergewinn auf Grundlage von Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen im Internet auf 700 € zu schätzen.
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Wegen der Einzelheiten wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 136/153 d.A.) Bezug genommen.
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Gegen dieses Urteil haben beide Parteien form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
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Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihr Klagebegehren im Umfang des vom Landgericht abgewiesenen Hauptantrags weiter. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus:
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Das Landgericht sei fehlerhaft von einer Verjährung des Schadensersatzanspruchs ausgegangen. Im Jahr 2016 könne noch keine grob fahrlässige Unkenntnis eines Käufers angenommen werden, d.h. der Beginn der Regelverjährung liege frühestens im Jahr 2017, so dass im Jahr 2020 erhobene Klagen noch nicht verjährt seien. Die Darlegungs- und Beweislast für das Durchgreifen der Einrede der Verjährung liege bei der Beklagten. Diese hätte erstinstanzlich vortragen und beweisen müssen, aus welchen Gründen die Klägerin und ihr Mann im Jahr 2016 hätten wissen müssen, dass genau ihr Fahrzeug mit einer unzulässigen betrügerischen Abschalteinrichtung versehen worden sei. Insoweit sei jegliche Beweisaufnahme unterblieben. Hinzu komme, dass die Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte nach Durchführung des Updates beim VW-Motor EA 189 als treuwidrig anzusehen sei.
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Selbst wenn man den Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB als verjährt ansehen wollte, folge die Haftung der Beklagten aber jedenfalls aus § 852 Satz 1 BGB. Das Landgericht wende § 852 BGB zwar an, nehme jedoch in unzulässiger Weise im Wege richterlicher Rechtsfortbildung eine Ergebniskorrektur vor, die im Streitfall zu einem geradezu absurden Ergebnis führe. Richtig sei zwar, dass von einer Mindermeinung vertreten werde, dass zugunsten von VW die Herstellungskosten abgezogen werden müssten. Dann erfolge aber keine Zugum-Zug-Verurteilung. Das Landgericht habe auf seine Auffassung in der mündlichen Verhandlung auch nicht hingewiesen, so dass eine Reaktion der Klagepartei - notfalls durch fehlende Stellung des Hilfsantrags - nicht habe erfolgen können und ihr Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Darüber hinaus habe das Landgericht den Normzweck des § 852 BGB grundlegend verkannt. Dieser bestehe darin, dem Schädiger den unrechtmäßig erlangten Vorteil abzusprechen. Folglich müsse die Beklagte den Betrag in Höhe des Kaufpreises, welcher durch die Veräußerung erzielt worden sei, an den Käufer herausgeben. Sie könne sich auch nicht auf Entreicherung berufen und die Herstellungs- oder Vertriebskosten davon abziehen. Nach Ansicht der überwiegenden Judikatur bleibe es bei dem ursprünglichen Kaufpreis. Bei Neuwagen müsse jedoch mit einem Abzug der Händlermarge gerechnet werden.
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Auf den Hinweis des Senats in der mündlichen Verhandlung, wonach ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB bereits im Rahmen des gestellten Hauptantrags zu prüfen wäre und es des diesbezüglichen Hilfsantrags - zumal mit einem kumulativen Abzug von Nutzungsentschädigung und Händlermarge - nicht bedarf, wurde der Hilfsantrag von der Klägerin nicht mehr gestellt.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
I. Die Beklagte wird unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Traunstein vom 14.06.2021, Aktenzeichen: 3 O 3181/20, und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten dazu verurteilt, an die Klagepartei und an Herrn S. G. zur gesamten Hand € 30.200,01 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Touran Comfortline 1,6 l TDI 77 kW, Fahrzeugident-Nr. … und abzüglich einer Nutzungsentschädigung, die gemäß abgelesenem Tachostand zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung wie folgt zu berechnen ist:
€ 30.200,01 Kaufpreis x von Klägerin gefahrene Kilometer (Laufleistung gemäß Tacho)
250.000 km Gesamtlaufleistung.
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Antrag Ziffer II (sic!) bezeichneten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 14.06.2021, Aktenzeichen: 3 O 3181/20 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht Traunstein zurückverwiesen.
2. Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.
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Die Beklagte beantragt,
I. Das am 14.06.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Traunstein, Az. 3 O 3181/20 wird im Umfang der Beschwer der Beklagten abgeändert und die Klage vollumfänglich abgewiesen.
II. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
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Zur Begründung ihres Rechtsmittels und in Erwiderung auf die Berufung der Klägerin führt die Beklagte im Wesentlichen Folgendes aus:
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Zutreffend habe das Landgericht festgestellt, dass deliktische Schadensersatzansprüche der Klagepartei gegen die Beklagte vorliegend verjährt und damit gemäß § 214 BGB nicht mehr durchsetzbar seien. Es sei davon auszugehen, dass die Klagepartei bereits im Jahr 2015 aufgrund der Medienberichterstattung und der Informationen der Beklagten Kenntnis von der EA189-Thematik und der Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs erhalten habe. Spätestens sei dies im Februar 2016 durch das Kundenanschreiben der Beklagten und ihrer Tochtergesellschaften erfolgt, so dass Verjährung spätestens mit Ablauf des Jahres 2019 eingetreten sei. Ungeachtet dessen habe jedenfalls wegen grob fahrlässiger Unkenntnis der Klagepartei von den anspruchsbegründenden Umständen im Jahr 2015 bzw. spätestens 2016 die Verjährung zu laufen begonnen. Die Erhebung einer schlüssigen Klage sei ab dem Jahr 2015 problemlos möglich und zumutbar gewesen.
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Zu Unrecht habe das Landgericht einen Anspruch der Klagepartei aus § 852 BGB bejaht. § 852 Satz 1 BGB finde vorliegend bereits keine Anwendung, weil ein wirtschaftlicher Schaden der Klagepartei nicht feststellbar sei. Zudem scheide ein solcher Anspruch aus, weil die Klagepartei die Möglichkeit nicht genutzt habe, sich als Verbraucher der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte vor dem Oberlandesgericht Braunschweig (Az. 4 MK 1/18) anzuschließen. Der Anwendungsbereich des § 852 BGB sei teleologisch auf diejenigen Fälle zu reduzieren, in denen sich der Verletzte besonderen Prozessrisiken ausgesetzt sehe. Derartige Risiken hätten für die Anschlussberechtigten der Musterfeststellungsklage zum Verjährungszeitpunkt nicht mehr bestanden. Sinn und Zweck des § 852 Satz 1 BGB sei es, deliktischen Schadensersatzgläubigern bei unklaren Prozessaussichten auch nach Ablauf der Verjährungsfrist noch einen teilweisen Schadensausgleich zu ermöglichen. Dieser Zweck finde im Wortlaut der Norm keinen Ausdruck, weshalb die Vorschrift durch ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einzuschränken sei. Demnach finde die Norm keine Anwendung auf Fälle, in denen der Verletzte vor Verjährungseintritt keinem besonderen Prozessrisiko ausgesetzt gewesen sei.
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Vorsorglich beruft sich die Beklagte darauf, dass bei der Bemessung des erlangten Etwas eine vermögensorientierte Betrachtung anzulegen wäre mit der Folge, dass nicht auf den Kaufpreis, sondern den von der Beklagten erzielten Nettogewinn abzustellen wäre. Das Vermögen der Beklagten sei nur insoweit gewachsen, als sie einen Gewinn nach Abzug ihrer Kosten erzielt habe. Dementsprechend habe die Staatsanwaltschaft Braunschweig mit ihrem Bußgeldbescheid vom Juni 2018 bei der Beklagten einen Gewinn von 995 Mio. € abgeschöpft, wobei sie als Anknüpfungspunkt für die Gewinnermittlung die Kosten für die Umrüstung der betroffenen Fahrzeuge gewählt habe. Bei 10,7 Mio. betroffenen Fahrzeugen entfielen auf das einzelne Fahrzeug rund 93 €; dieser Betrag sei auch im vorliegenden Fall anzusetzen.
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Sofern man einen Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB dem Grunde nach annehmen wollte, seien diverse bereicherungsrechtliche Abzugsposten in Ansatz zu bringen, die den Anspruch „auf Null“ reduzierten. Dies betreffe namentlich solche Kosten, die bei der Beklagten für die Entfernung der „Umschaltlogik“ und die „Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit“ angefallen seien, einschließlich der dazugehörigen Information der Öffentlichkeit. Insoweit könne sich die Beklagte auf den Entreicherungseinwand nach § 818 Abs. 3 BGB berufen; dem stünden die Regelungen zur Bösgläubigkeit in § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4 BGB nicht entgegen. Darüber hinaus müsse eine Gewinnabschöpfung nur Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs erfolgen.
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Im Übrigen habe das Landgericht auch zutreffend festgestellt, dass sich die Beklagte nicht im Annahmeverzug befinde, da die Klagepartei von der Beklagten die Zahlung eines deutlich überhöhten Betrags verlangt und damit kein zur Begründung des Annahmeverzugs geeignetes Angebot abgegeben habe.
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In Erwiderung auf die Berufung der Beklagten verweist die Klägerin darauf, dass die Anwendbarkeit des § 852 BGB im Abgasskandal von zahlreichen Land- und Oberlandesgerichten bejaht werde, wobei auf den Kaufpreis (abzüglich Nutzungsentschädigung) und nicht auf den Gewinn als erlangtes „Etwas“ abgestellt werde.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien in zweiter Instanz wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 16.08.2021 (Bl. 208/217 d.A.), 28.09.2021 (Bl. 220/222 d.A.) und 06.12.2021 (Bl. 260/262 d.A.), die Schriftsätze der Beklagten vom 13.08.2021 (Bl. 174/204 d.A.) und 30.09.2021 (Bl. 224/255 d.A.) sowie das Protokoll vom 14.12.2021 (Bl. 271/273 d.A.) Bezug genommen.
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist überwiegend begründet, während die zulässige Berufung der Beklagten ohne Erfolg bleibt.
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Die Klägerin kann von der Beklagten gemäß § 852 Satz 1, § 432 Abs. 1 Satz 1 BGB die Zahlung von 18.315,22 € nebst Zinsen (an sich und ihren Ehemann zur gesamten Hand) Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs verlangen. Darüber hinaus erweist sich ihr Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten als begründet. Soweit die Klägerin hingegen den Rechtsstreit im Hinblick auf die nach Klageeinreichung gefahrenen Kilometer nicht teilweise in der Hauptsache für erledigt erklärt hat, bleibt es bei der Klageabweisung durch das Landgericht; die weitergehende Berufung der Klägerin war zurückzuweisen.
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1. Die Beklagte haftet der Klägerin, die den Pkw nach ihrem unbestritten gebliebenen Vortrag gemeinsam mit ihrem Ehemann erworben hat, dem Grunde nach wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf Schadensersatz (§§ 826, 31 BGB). Auf die zutreffenden Feststellungen des Landgerichts, die im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316) und die auch von der Beklagten mit der Berufung nicht angegriffen werden, wird vollumfänglich Bezug genommen.
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2. Der Schaden der Klägerin und ihres Ehemanns liegt nach der vorstehend zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Belastung mit dem in Kenntnis des wahren Sachverhalts nicht abgeschlossenen Kaufvertrag über den streitgegenständlichen Pkw (vgl. BGH a.a.O., Rn. 44 ff). Die Klägerin kann deshalb Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises an sich und ihren Ehemann (§ 432 Abs. 1 Satz 1 BGB) abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs verlangen.
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Bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung legt der Senat in ständiger Rechtsprechung mangels besonderer Umstände - die im vorliegenden Fall nicht ersichtlich sind - bei einem Dieselfahrzeug mit einem Motor EA 189 eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zugrunde. Die Klägerin hat das Fahrzeug als Neufahrzeug erworben. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat belief sich der Kilometerstand unstreitig auf 98.384 (vgl. Protokoll vom 14.12.2021, S. 2; Bl. 272 d.A.).
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Setzt man die gefahrenen 98.384 km zur voraussichtlichen Gesamt-/Restlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km ins Verhältnis und multipliziert das Ergebnis mit dem gezahlten Kaufpreis von 30.200,01 €, so errechnet sich die angemessene Nutzungsentschädigung mit 11.884,79 €. Der erstattungsfähige Schaden beträgt folglich 18.315,22 €.
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3. Den primären Schadensersatzanspruch der Klägerin aus §§ 826, 31 BGB hat das Landgericht allerdings im Ergebnis zu Recht mit Ablauf des 31.12.2019 als verjährt angesehen, weil die Behauptung der Beklagten, dass die Klägerin spätestens im Jahr 2016 Kenntnis von der konkreten Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs erlangt habe, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen ist.
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a) Die Beklagte hat in ihrer Klageerwiderung (S. 36 f., Bl. 59 f. d.A.) vorgetragen, dass die Klägerin im Februar 2016 von der Beklagten oder einer ihrer Tochtergesellschaften ein „Kundenanschreiben“ erhalten habe, in dem sie über die Tatsache informiert worden sei, dass in ihrem Fahrzeug ein Motor mit der streitgegenständlichen „Umschaltlogik“ verbaut sei.
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Die Klägerin hat den Erhalt eines entsprechenden Schreibens im Februar 2016 nicht in rechtserheblicher Weise bestritten, sondern ist hierauf in ihrer Replik vom 20.04.2021 (Bl. 93/103 d.A.) überhaupt nicht eingegangen und hat lediglich vorsorglich ausgeführt, dass sie und ihr Mann erstmalig im Jahr 2017, durch Erhalt des Rückrufschreibens, Kenntnis von der konkreten Betroffenheit des Wagens vom Abgasskandal erlangt hätten. In der Sitzung vom 17.05.2021 vor dem Landgericht hat der Ehemann der Klägerin sodann auf Frage des Gerichts nur mitgeteilt, dass sie (er und seine Ehefrau) sich nicht daran erinnern könnten, dass sie dazu angeschrieben worden seien, dass auch ihr Fahrzeug betroffen worden sei (Bl. 124 d.A.). Ein ausreichendes Bestreiten des Versands und des Erhalts eines entsprechenden Kundenanschreibens bezogen auf die Person der Klägerin lässt sich aus diesen pauschalen Erklärungen nicht entnehmen, worauf der Senat im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage in der Sitzung vom 14.12.2021 auch bereits hingewiesen hatte. Ergänzender Vortrag der Klagepartei ist nicht erfolgt.
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b) Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt bereits dann vor, wenn der Gläubiger die Tatsachen kennt, auf denen sein Anspruch beruht; nicht erforderlich ist, dass er den Vorgang zutreffend beurteilt (vgl. BGH, Urteil vom 29.1.2008 - XI ZR 160/07, NJW 2008, 1729, Rn. 26; Grüneberg/Ellenberger, ZPO, 81. Aufl., § 199 Rn. 27). Die entscheidende Information, die die Klägerin dem Schreiben der Beklagten entnehmen konnte, lag darin, dass auch ihr Fahrzeug von der Software betroffen war, deren manipulierende Wirkung seit Bekanntwerden des Diesel-Abgasskandals Mitte September 2015 in sämtlichen Medien ausführlich erörtert worden war. Damit waren ihr im Jahre 2016 alle Tatsachen bekannt, welche einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte als Herstellerin des Motors begründeten.
32
c) Dass eine Klageerhebung mit diesem Kenntnisstand auch zumutbar war, hat der Bundesgerichtshof - sogar bezogen auf das Jahr 2015 - ausdrücklich festgestellt (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020 - VI ZR 739/20, Rn. 20 ff.). Die aufgrund der umfassenden Medienberichterstattung bekannt gewordenen Tatsachen reichten aus, den Schluss nahezulegen, dass der Einbau der Motorsteuerungssoftware, die nach ihrer Funktionsweise ersichtlich auf Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörde abzielte, auf einer am Kosten- und Gewinninteresse der Beklagten ausgerichteten Strategieentscheidung beruhte (vgl. BGH a.a.O., Rn. 22). Da sich die Unzulässigkeit der verwendeten Motorsteuerungssoftware aufdrängt, konnte hieraus ohne Weiteres der Schluss auf ein diesbezügliches Bewusstsein des hierfür verantwortlichen verfassungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten gezogen werden, ferner auf dessen Bewusstsein, dass angesichts der mit der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung verbundenen Risiken niemand ein solches Fahrzeug erwerben würde (BGH a.a.O.).
33
d) Unschädlich ist, dass die Klägerin im Jahr 2016 die für die grundlegende Strategieentscheidung verantwortlichen Repräsentanten der Beklagten nicht benennen konnte. Nach den seit langem anerkannten Grundsätzen der sekundären Darlegungslast kann das Gericht in einem solchen Fall vom Kläger keinen näheren Vortrag dazu verlangen, welche bei der Beklagten tätige Person das sittenwidrige Verhalten an den Tag gelegt hat. Es genügt vielmehr, dass der Kläger konkrete Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig gehandelt hat. Dafür reicht nach Ansicht des Bundesgerichtshofs der Verweis auf die grundlegende Strategieentscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung, die Vielzahl der betroffenen Fahrzeuge und die damit verbundenen weitreichenden Konsequenzen aus (vgl. BGH a.a.O., Rn. 23).
34
e) In seiner vorzitierten Entscheidung vom 17.12.2020 (Az.: VI ZR 739/20) hat der Bundesgerichtshof es außerdem ausdrücklich abgelehnt, den Verjährungsbeginn wegen ungeklärter Rechtslage bis zu seinem grundlegenden Urteil vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19) hinauszuschieben. In diesem Zusammenhang führt er aus, dass diejenigen Gerichte, welche eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB bejahten, sich auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stützen konnten (BGH a.a.O., Rn. 28). Bereits vor dem Jahre 2015 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine arglistige Täuschung regelmäßig zugleich einen Verstoß gegen die guten Sitten darstellt (BGH a.a.O., Rn. 27).
35
f) Lediglich der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass der Senat im Übrigen regelmäßig davon ausgeht, dass unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, insbesondere angesichts der Tragweite und des Umfangs des Dieselskandals sowie der fortlaufenden bzw. anhaltenden und ausführlichen Berichterstattung in sämtlichen Medien hierüber beginnend mit der Aufdeckung im September 2015 jedenfalls im Jahr 2016 auch grob fahrlässige Unkenntnis auf Seiten der Klagepartei anzunehmen wäre. Auf die entsprechenden Ausführungen des Landgerichts wird ergänzend Bezug genommen.
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g) Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) begann deshalb mit dem Schluss des Jahres 2016 zu laufen und endete mit Ablauf des 31.12.2019. Die am 27.11.2020 beim Landgericht Traunstein eingereichte Klage konnte die bereits eingetretene Verjährung nicht mehr hemmen. Weitere Hemmungstatbestände sind weder dargetan noch ersichtlich.
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4. Die Klägerin kann den verjährten Schadensersatzanspruch aber gemäß § 852 Satz 1 BGB weiterhin in voller Höhe gegen die Beklagte geltend machen, weil dieser infolge der unerlaubten Handlung zum Nachteil der Klägerin und ihres Ehemannes ein Vermögensvorteil zugeflossen ist, der bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung dem auf Seiten der Klagepartei eingetretenen Schaden korrespondiert und ihn wertmäßig sogar übersteigt.
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a) Gemäß § 852 Satz 1 BGB ist der ersatzpflichtige Schädiger, wenn er durch die unerlaubte Handlung etwas auf Kosten des Verletzten erlangt hat, auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus der unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe des Erlangten nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung behält der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB die Rechtsnatur als Schadensersatzanspruch und erfordert dieselben Voraussetzungen wie der weitergehende verjährte
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Schadensersatzanspruch. Er trägt den Charakter einer Rechtsverteidigung gegenüber der Einrede der Verjährung. Der verjährte Deliktsanspruch bleibt als solcher bestehen; er wird nur in seinem Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten E. beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 14.02.1978 - X ZR 19/76 - Fahrradgepäckträger II, BGHZ 71, 86, juris Rn. 61 m.w.N.; die Entscheidung erging noch zu § 852 Abs. 3 BGB in der bis einschließlich 31.12.2001 geltenden Fassung). Damit enthält die Vorschrift nach herrschender Meinung eine Rechtsfolgenverweisung auf die Vorschriften der §§ 818 ff. BGB (vgl. Staudinger/V.weg, 2015, § 852 Rn. 17; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 852, Rn. 6; Grüneberg/Sprau, BGB, 81. Aufl., § 852 Rn. 2).
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b) Entgegen der Ansicht der Beklagten scheidet die Anwendung von § 852 Satz 1 BGB im vorliegenden Fall nicht bereits deshalb aus, weil der Klägerin lediglich ein „normativer“, aber kein „wirtschaftlicher“ Schaden entstanden sei.
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aa) Die von der Beklagten vorgenommene Unterscheidung zwischen einem „normativen“ und einem „wirtschaftlichen“ Schaden findet in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Stütze: Im Falle einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verbindlichkeit wieder befreien können. Eine solche Verbindlichkeit stellt unter den dargelegten Voraussetzungen einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar; insoweit bewirkt die Vorschrift einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, Rn. 47 m.w.N.).
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bb) Vor allem aber widerspricht die Ansicht der Beklagten dem Charakter des § 852 BGB als Modifizierung des verjährten Schadensersatzanspruchs hinsichtlich seines Umfangs durch eine Rechtsfolgenverweisung auf die Vorschriften der §§ 818 ff. BGB. Die Frage, ob und in welchem Umfang dem Geschädigten ein erstattungsfähiger Schaden entstanden ist, bestimmt sich ausschließlich nach den tatbestandlichen Voraussetzungen des verjährten Schadensersatzanspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 14.02.1978 - X ZR 19/76 - Fahrradgepäckträger II, BGHZ 71, 86, juris Rn. 61 m.w.N.). Erst wenn feststeht, was der Geschädigte nach Deliktsrecht hätte beanspruchen können, ist in einem zweiten Schritt anhand der §§ 818 ff. BGB zu ermitteln, welchen Umfang die vom Schädiger durch die unerlaubte Handlung erlangte Bereicherung hat (Martinek: Die Abwicklung des Dieselskandals über § 852 Satz 1 BGB - Rettungsanker oder Rohrkrepierer? (Teil 1), JM 2021, 9, 10).
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c) Ebenso wenig scheidet die Anwendung von § 852 Satz 1 BGB im vorliegenden Fall deshalb aus, weil die Klägerin nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hatte, sich der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte vor dem Oberlandesgericht Braunschweig (Az. 4 MK 1/18) anzuschließen.
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Die Beklagte vertritt die Ansicht, der Anwendungsbereich von § 852 Satz 1 BGB sei im Wege teleologischer Reduktion auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen sich der Verletzte besonderen Prozessrisiken wegen unklarer Erfolgsaussichten einer gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs ausgesetzt sehe. Kläger, die sich der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte hätten anschließen können, habe aber kein besonderes Prozessrisiko getroffen, weshalb sie auch keiner über die Regelverjährungsfrist hinausgehenden „zusätzlichen Bedenkzeit“ bedurft hätten.
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Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die von der Beklagten angenommene ratio legis des § 852 Satz 1 BGB steht nicht im Einklang mit den Motiven des historischen Gesetzgebers und der Interpretation der Vorschrift durch den Bundesgerichtshof (ablehnend auch Bruns: Schadensersatz für Dieselkunden nach Ablauf der Regelverjährung, NJW 2021, 1121, 1123).
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aa) Für ihre Behauptung, Sinn und Zweck des § 852 Satz 1 BGB sei es, deliktischen Schadensersatzgläubigern bei unklaren Prozessaussichten auch nach Ablauf der Verjährungsfrist noch einen teilweisen Schadensausgleich zu ermöglichen, bleibt die Beklagte eine überzeugende Begründung schuldig.
47
In dem im Auftrag der Beklagten erstellten Rechtsgutachten mit dem Titel „Bedeutung und Anwendung des sogenannten Restschadensanspruchs nach § 852 BGB in den VW-Abgasfällen“ von Prof. em. Dr. iur. Dr. rer. pol. Dr. h.c. mult. M. vom 22.10.2020 (im Folgenden: „M.-Gutachten“, beklagtenseits in zweiter Instanz vorgelegt als „Beilage § 852“) wird die ratio legis der Vorschrift nach den Motiven zutreffend in der Abschöpfung einer Bereicherung des Schädigers gesehen: „Derjenige, welcher ein Delikt begangen hat, bleibt auch nach der Vollendung der … Verjährung insoweit verhaftet, als er aus dem Vermögen des Beschädigten bereichert ist“ (Mot., Bd. II, 1988, zu §§ 719, 720 des 1. Entwurfs, S. 743, zit. nach M.-Gutachten, S. 20 m. Fußnote 9). In Übereinstimmung mit den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers hat der Bundesgerichtshof in seinem bereits zitierten Urteil vom 14.02.1978 (Az.: X ZR 19/76 - Fahrradgepäckträger II, BGHZ 71, 86) den mit der Vorschrift verfolgten Zweck dahin umschrieben, dass derjenige, der durch eine unerlaubte Handlung einen anderen geschädigt und dadurch sein eigenes Vermögen gemehrt hat, nicht im Genuss dieses unrechtmäßig erlangten Vorteils verbleiben soll (a.a.O., Rn. 62 m.w.N.).
48
Im Martinek-Gutachten wird in Anlehnung an Überlegungen von G. W. und E. C. darauf hingewiesen, dass die Vorschrift des § 852 Satz 1 BGB es dem Geschädigten erlaube, den Eintritt der kurzen schadensersatzrechtlichen Verjährungsfrist sehenden Auges verstreichen zu lassen, um sich danach auf die Gewinnabschöpfung zu konzentrieren (a.a.O., S. 22; vgl. hierzu auch MüKo-Wagner, 8. Aufl., § 852 Rn. 4). Diese - von Martinek so genannte - „zeitliche Begünstigungsfunktion“ stellt sich aber nur als Nebenfolge des mit der Vorschrift verfolgten Zwecks dar, auch über den Eintritt der Verjährung des Schadensersatzanspruchs hinaus beim Schädiger den durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten erlangten Vermögensvorteil abzuschöpfen. Die von der Beklagten befürwortete teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf diejenigen Fälle, in denen das Verhalten des Geschädigten, seinen primären Schadensersatzanspruch verjähren zu lassen, wegen eines zunächst bestehenden besonderen Prozessrisikos nachvollziehbar erscheint, liefe letztlich darauf hinaus, diese Nebenfolge zum eigentlichen Normzweck des § 852 BGB zu erheben.
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bb) Unabhängig davon fehlt es an der für die teleologische Reduktion einer Norm erforderlichen planwidrigen Überdehnung ihres Anwendungsbereichs.
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Die Beklagte will ihre Neuinterpretation der ratio legis des § 852 Satz 1 BGB darauf stützen, dass der Aspekt, dem Geschädigten eine zusätzliche „Bedenkzeit“ für die Geltendmachung seiner Ansprüche einzuräumen, für den Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes erklärtermaßen ein wichtiger Grund für die Beibehaltung der bisherigen gesetzlichen Regelung gewesen ist (vgl. M.-Gutachten, S. 22 mit Fußnote 13). Entscheidend ist jedoch, dass der Gesetzgeber die Vorschrift des § 852 Abs. 3 BGB a.F. in Kenntnis ihrer Interpretation durch die höchstrichterliche Rechtsprechung nahezu unverändert in das neue Schuldrecht übernommen hat, obwohl in der Reformdebatte für eine ersatzlose Streichung der Norm plädiert worden war. Damit fehlt ein belastbarer Anhaltspunkt dafür, dass die Vorschrift im Hinblick auf das mit ihr verfolgte gesetzgeberische Ziel planwidrig zu weit gefasst sein könnte.
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cc) Gegen eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 852 Satz 1 BGB im Wege teleologischer Reduktion spricht schließlich auch, dass das von Martinek postulierte „ungeschriebene Erfordernis eines besonderen Prozesskostenrisikos bei ungewisser Informationslage für den Geschädigten“ (vgl. M.-Gutachten, S. 28 ff.) derart unbestimmt und von Wertungen abhängig ist, dass eine dem Gebot der Rechtssicherheit als Unterfall des Rechtsstaatsgebots (Art. 20 Abs. 1 GG) genügende Konkretisierung der in Frage kommenden Fallgruppen kaum möglich erscheint.
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dd) Unvertretbar erscheint es jedenfalls, das postulierte ungeschriebene Erfordernis eines „besonderen Prozesskostenrisikos bei ungewisser Informationslage“ allein deshalb zu verneinen, weil der Geschädigte sich einer Musterfeststellungsklage anschließen kann.
53
Die Musterfeststellungsklage wurde geschaffen, um die Durchsetzung individueller Schadensersatzansprüche von Verbrauchern in Rechtsstreitigkeiten mit Massencharakter zu erleichtern. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber damit zugleich die Rechtslage für Verbraucher, die sich einer solchen Klage nicht anschließen, verschlechtern wollte, sind nicht ersichtlich. Für seine These, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Einführung der Musterfeststellungsklage „bewusst und zielgerichtet für die VW-Abgasfälle in das Regelungsprogramm des § 852 S(atz) 1 BGB hineinregiert“ habe, um den Betroffenen durch eine Verjährungshemmung und durch eine kostengünstige sowie risikoarme Verfolgung ihrer Ersatzansprüche, vor allem durch eine Minimierung des Prozesskostenrisikos, zu helfen (Martinek-Gutachten, S. 31), bleibt M. einen Beleg schuldig.
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d) „Auf Kosten der Klägerin erlangt“ im Sinne von § 852 Satz 1 BGB hat die Beklagte das Entgelt, das ihr aus dem Verkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs an die G. B. GmbH & Co. KG, von der wiederum die Klägerin und ihr Ehemann das Fahrzeug gekauft haben, zugeflossen ist. Beim Inverkehrbringen eines Neufahrzeugs kann die Verpflichtung der Beklagten zur Herausgabe des ihr zugeflossenen Verkaufserlöses nicht davon abhängen, ob sie das Fahrzeug direkt oder über einen Händler an den Endkunden verkauft hat.
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aa) § 852 Satz 1 BGB setzt ähnlich dem bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. BGB voraus, dass der Schädiger einen Vermögensvorteil auf Kosten des Verletzten erlangt hat (vgl. Staudinger/V.weg, 2015, § 852 BGB Rn. 9). Die Vermögensverschiebung muss sich aber nicht unmittelbar zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten vollziehen (BGH, Urteil vom 14.02.1978 - X ZR 19/76 - Fahrradgepäckträger II, BGHZ 71, 86, juris Rn. 62). Die Forderung nach ihrer Unmittelbarkeit könnte nach Ansicht des Bundesgerichtshofs vielmehr dazu führen, dass der Geschädigte in vielen Fällen den Vorteilsausgleich nicht mehr erlangen könnte. Vielmehr stellt das Tatbestandsmerkmal „auf Kosten … erlangt“ in § 852 Satz 1 BGB auf diejenige Handlung ab, durch welche die Vermögensverschiebung bewirkt worden ist. Da diese Handlung eine unerlaubte war, kommt es nicht darauf an, auf welchem Wege sich die dadurch veranlasste Vermögensverschiebung vollzogen hat (vgl. BGH a.a.O.).
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(1) Der Schaden der Klägerin und ihres Ehemanns ist zwar erst mit dem Kauf des Fahrzeugs eingetreten, die der Beklagten zur Last liegende schädigende Handlung ist aber in der Erschleichung der Typgenehmigung für diesen Fahrzeugtyp durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts und dem anschließenden Inverkehrbringen der bemakelten Fahrzeuge unter gezielter Ausnutzung der Arglosigkeit und des Vertrauens der Fahrzeugkäufer zu sehen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316, Leitsatz 1). Mit dem Verkauf des streitgegenständlichen Pkw an die G. B. GmbH & Co. KG hat die Beklagte arglistig ein bemakeltes Fahrzeug in Verkehr gebracht und in der Erwartung gehandelt, dass diese als gewerbliche Kfz-Händlerin das Fahrzeug alsbald an einen arglosen Kunden weiterverkauft.
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Bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise korrespondiert der Erlös, den die Beklagte aus dem Verkauf des streitgegenständlichen Pkw an die G. B. GmbH & Co. KG erzielt hat, einem Teil des von der Klägerin und ihrem Ehemann für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises, in dem sich wiederum der Schaden verkörpert, der den Eheleuten G. durch den Abschluss des „ungewollten“ - nämlich in Kenntnis der Bemakelung des Fahrzeugs nicht geschlossenen - Kaufvertrags entstanden ist. Da § 852 Satz 1 BGB keine unmittelbare Vermögensverschiebung zwischen Geschädigtem und Schädiger voraussetzt, kann die Beklagte nicht einwenden, dass ihr der Verkaufserlös ggf. bereits zeitlich vor dem Abschluss des Kaufvertrags zwischen den Eheleuten G. und der G. B. GmbH & Co. KG zugeflossen war. Auf die konkrete Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Fahrzeughersteller und Händler kommt es nicht an (im Ergebnis ebenso Bruns: Schadensersatz für Dieselkunden nach Ablauf der Regelverjährung, NJW 2021, 1121, 1123 f., 1126).
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(2) Teilweise wird zwar die Ansicht vertreten, dass im Falle der Veräußerung eines bemakelten Fahrzeugs durch den Hersteller an einen Händler ausschließlich letzterem der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB zustehe (vgl. Riehm: Der deliktische Herausgabeanspruch in „Diesel-Fällen“, NJW 2021, 1625, 1631, Rn. 30). In der Sache wird mit dieser Beschränkung des Anspruchs auf den Vertragspartner des Schädigers aber das von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausdrücklich abgelehnte Erfordernis einer unmittelbaren Vermögensverschiebung zwischen Geschädigtem und Schädiger wieder eingeführt.
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(3) Unabhängig davon ist für eine Beschränkung des Anspruchs auf den Händler auch keine sachliche Rechtfertigung ersichtlich. Dem gutgläubigen Händler, der ein bemakeltes Fahrzeug an einen Kunden weiterverkauft hat, wird ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte im Regelfall ohnehin nicht zustehen, weil er bereits vor Verjährung seines eigenen Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB gegen die Beklagte von seinem Kunden nicht mehr in Anspruch genommen werden kann und deshalb keinen Schaden erlitten hat. Der Restschadensersatzanspruch entsteht mit der Verjährung des primären deliktischen Schadensersatzanspruchs. Dieser verjährt in drei Jahren ab dem Schluss des Jahres, in dem der Geschädigte K. von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Der gutgläubige Händler haftet seinem Kunden dagegen nur innerhalb der zweijährigen Gewährleistungsfrist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB ab der Ablieferung des Fahrzeugs.
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bb) Entgegen der Ansicht des Landgerichts und der Beklagten ist bei der Bestimmung des Erlangten im Sinne von § 852 Satz 1 BGB auf den ihr zugeflossenen Kaufpreis für den streitgegenständlichen Pkw, nicht auf den von ihr erzielten Nettogewinn abzustellen. Erst recht verbietet es sich, den erlangten Vermögensvorteil danach zu bemessen, welcher finanzielle Aufwand zur Umrüstung des einzelnen, mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs erforderlich ist, weil sich in diesen Kosten in Höhe von rund 93 € der von der Beklagten durch den Einsatz der unzulässigen „Umschaltlogik“ erzielte Gewinn verkörpere.
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(1) Gegenstand der Abschöpfung ist der Vermögensvorteil, den der Schädiger infolge der unerlaubten Handlung erlangt hat. Bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten ist dies zwar regelmäßig der Verletzergewinn (vgl. Riehm: Der deliktische Herausgabeanspruch in „Diesel-Fällen“, NJW 2021, 1625, 1628 f. m.w.N.). Dies beruht jedoch auf den Besonderheiten des zugrunde liegenden deliktischen Schadensersatzanspruchs, so dass den von der Beklagten zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs betreffend Patentverletzungen (vgl. BGH, Urteil vom 29.05.1962 - I ZR 132/60, NJW 1962, 1507; BGH, Urteil vom 26.03.2019 - X ZR 109/16, GRUR 2019, 496) für den Streitfall nichts weiter entnommen werden kann.
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Im vorliegenden Fall hat die Beklagte infolge des Inverkehrbringens des bemakelten streitgegenständlichen Pkw das Entgelt aus ihrem Rechtsgeschäft mit der G. B. GmbH & Co. KG erlangt (im Ergebnis ebenso Bruns: Schadensersatz für Dieselkunden nach Ablauf der Regelverjährung, NJW 2021, 1121, 1123). Der vom Landgericht vertretenen Auffassung, wonach die (gesetzgeberische) Wertung des trotz der Verjährung verbleibenden Restschadensersatzanspruchs im Sinne eines Gewinnabschöpfungsanspruchs es gebiete, das Erlangte im Sinne des § 852 Satz 1 BGB als den vom Schädiger aus der unerlaubten Handlung erwirtschafteten Verletzergewinn auszulegen, kann nicht gefolgt werden, zumal diese nach den oben stehenden Ausführungen weder in den Motiven des historischen Gesetzgebers noch in der Interpretation der Vorschrift durch den Bundesgerichtshof eine Stütze findet.
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(2) Eine Gleichsetzung des herauszugebenden Vermögensvorteils mit dem Nettogewinn des Herstellers ist in den „Diesel-Fällen“ auch schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Klägerin ein Restschadensanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB - wie aus § 826 BGB - nur Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Pkw an die Beklagte zusteht (vgl. Bruns a.a.O., S. 1124). In dem Fahrzeug sind wertmäßig sämtliche Aufwendungen der Beklagten zu dessen Herstellung verkörpert; sie können deshalb bei der Ermittlung des erlangten Vermögensvorteils nicht noch einmal in Abzug gebracht werden. Den infolge bestimmungsgemäßen Gebrauchs des Fahrzeugs eingetretenen Wertverlust hat die Beklagte zu tragen, weil die Klägerin verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob sie den Kaufvertrag über das Fahrzeug nicht geschlossen hätte. Aus diesem Grunde hat der Bundesgerichtshof auch eine lineare Berechnung der Nutzungsentschädigung anhand der gefahrenen Kilometer gebilligt, obwohl diese Berechnung dem realen Wertverlust des Fahrzeugs nicht Rechnung trägt.
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cc) Die Kosten für die Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung („Umschaltlogik“) kann die Beklagte nicht in Abzug bringen, weil sie gemäß §§ 819, 818 Abs. 4 BGB wegen ihres arglistigen Handelns verschärft haftet und sich deshalb auf einen Wegfall ihrer Bereicherung im Sinne von § 818 Abs. 3 BGB nicht berufen kann. Nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers soll der Deliktsschuldner nicht günstiger gestellt werden, als der „Empfänger einer Nichtschuld“ vom Zeitpunkt seiner Bösgläubigkeit an (vgl. Bruns: Schadensersatz für Dieselkunden nach Ablauf der Regelverjährung, NJW 2021, 1121; S.weg, 2015, § 852 BGB Rn. 1, jeweils unter Verweis auf Mot. II, S. 743).
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Die Beklagte räumt selbst ein, dass der Bundesgerichtshof den Ausschluss des § 818 Abs. 3 BGB beim bösgläubigen Schuldner „regelmäßig“ für angezeigt hält. Das Urteil vom 21.03.1996 - III ZR 245/94, BGHZ 132, 198, mit dem sie die Zulässigkeit des Entreicherungseinwands begründen will, betrifft einen nicht vergleichbaren Sachverhalt. Der damaligen Beklagten lag anders als der Beklagten kein arglistiges Verhalten zur Last. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof eine verschärfte Haftung der damaligen Beklagten ab Rechtshängigkeit nur wegen der Besonderheiten des Falles abgelehnt: Die verklagte Bereicherungsschuldnerin war aufgrund gesetzlicher Vorgaben gezwungen, sich weiterhin so zu verhalten, wie sie sich vor Klageerhebung verhalten hatte (vgl. BGH a.a.O., S. 213).
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e) Die Höhe des Erlöses, den die Beklagte aus der Veräußerung des streitgegenständlichen Pkws an die G. B. GmbH & Co. KG erzielt hat, ist nicht bekannt. Die Klägerin hat insoweit jedoch vorgetragen, dass bei dem von ihr und ihrem Ehemann an den Händler gezahlten Kaufpreis in Höhe von 30.200,01 € ein Abzug in Höhe einer 15%-igen Händlermarge (4.530 €) zu berücksichtigen sei. Die Beklagte hat dies nicht bestritten, geschweige denn, dass sie der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast zu den zwischen ihr und dem Händler getroffenen Vereinbarungen nachgekommen wäre. Der entsprechende Vortrag der Klägerin ist damit als zugestanden anzusehen (§ 138 Abs. 3 ZPO) mit der Folge, dass die Beklagte von dem gezahlten Kaufpreis jedenfalls einen Betrag in Höhe von 25.670,01 € erlangt hat.
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Damit ist der Beklagten ein Vermögensvorteil zugeflossen, der den Schaden, dessen Ersatz die Klägerin nach § 826 BGB beanspruchen kann, übersteigt. Die Kläger kann daher Ersatz ihres Schadens in voller Höhe und damit Zahlung eines Betrags von 18.315,22 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangen.
68
Soweit die Klägerin allerdings bei Klageeinreichung noch einen höheren Betrag von 19.249,85 € verlangt hat und im Hinblick auf die danach gefahrenen Kilometer den Rechtsstreit in der Hauptsache nicht teilweise für erledigt erklärt hat, bleibt es bei der Klageabweisung durch das Landgericht.
69
5. Der geltend gemachte Zinsanspruch folgt aus §§ 291, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Klage ist der Beklagten am 30.12.2020 zugestellt worden. Nach dem Rechtsgedanken des § 187 Abs. 1 BGB ist Zinsbeginn deshalb der 31.12.2020.
70
6. Der Antrag auf Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Annahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Verzug befindet, ist ebenfalls begründet. Mit der Klage hat die Klägerin ihre Schadensersatzforderung unter Anrechnung einer angemessenen Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs geltend gemacht und die Rückgabe des Fahrzeugs damit ordnungsgemäß angeboten.
71
1. Die Kostenentscheidung beruht für das erstinstanzliche Verfahren auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO und für das Berufungsverfahren auf § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
72
In Bezug auf den erstinstanzlichen Streitwert von 19.249,85 € unterliegt die Klägerin, die den Rechtsstreit im Hinblick auf die nach Klageeinreichung gefahrenen Kilometer nicht teilweise in der Hauptsache für erledigt erklärt hat, mit einer Quote von 5%. Angesichts des Gebührensprungs bei 19.000 € wurde von einer Anwendung der Regelung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO insoweit abgesehen. Anderes gilt hingegen für die Kosten des Berufungsverfahrens, in dem der Streitwert - ausgehend von den Angaben zum Kilometerstand in der klägerischen Berufungsbegründung - auf 18.788,27 € festgesetzt wurde.
73
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
74
3. Der Senat lässt die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. ZPO). Die Auslegung des § 852 Satz 1 BGB in den sogenannten „Diesel-Fällen“ ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung stark umstritten.
75
a) Der Senat weicht mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des 2. Senats des Oberlandesgerichts Oldenburg ab, der einen Anspruch des Käufers eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs aus § 852 Satz 1 BGB allgemein mit der Begründung versagt, dass dem Käufer eines derartigen Fahrzeugs kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei, wie ihn die Vorschrift voraussetze (Hinweisbeschluss vom 05.01.2021 - 2 U 168/20; Beschluss vom 21.01.2021 - 2 U 168/20).
76
b) Bei der Schätzung des von der Beklagten erlangten Vermögensvorteils weicht der Senat mit seiner Entscheidung u.a. von der Rechtsprechung des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urteil vom 13.04.2021 - 23 U 143/20) und des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart (Urteil vom 12.05.2021 - 9 U 17/21) ab, welche den infolge der unerlaubten Handlung erlangten Vorteil lediglich dem vom Hersteller erzielten Gewinn gleichsetzen, dem Fahrzeughersteller also den Abzug der Herstellungskosten gestatten.