Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 12.10.2022 – AN 14 K 19.01728
Titel:

Anspruch auf datenschutzaufsichtliches Tätigwerden

Normenketten:
DS-GVO Art. 57 Abs. 1 lit. f, Art. 77, Art. 78
BGB § 133, § 157
Leitsätze:
1. Für die Auslegung einer Beschwerdeeinreichung als empfangsbedürftiger Willenserklärung sind die Auslegungsgrundsätze des Zivilrechts (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden; hiernach kommt es nicht auf den inneren Willen der erklärenden Person an, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont. Maßgeblich ist damit, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise unter Berücksichtigung auch von sonstigen Umständen neben der eigentlichen Erklärung zu verstehen ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer Beschwerde über vermeintlich rechtswidrig installierte Cookies muss als Mindestanforderung für eine wirksame Beschwerde die URL der betroffenen Internetseite angegeben werden. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Grundsätzlich kann Art. 57 Abs. 1 lit. f DS-GVO in Zusammenschau mit Art. 78 Abs. 2 DS-GVO zu einem Rechtsanspruch eines Betroffenen auf Untersuchung seiner Beschwerde führen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wirksame Einreichung einer Datenschutzbeschwerde, auslegungsbedürftige Willenserklärung, Auslegung nach objektivem Empfängerhorizont, Streitwert bei datenschutzrechtlicher Untätigkeitsklage, Datenschutzbeschwerde, Cookies, Willenserklärung, Auslegung, objektiver Empfängerhorizont, Rechtsanspruch, Untätigkeitsklage, Internetseite, URL
Fundstellen:
ZD 2023, 122
LSK 2022, 32724
BeckRS 2022, 32724

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt vom Beklagten ein datenschutzaufsichtliches Tätigwerden.
2
Am 25. März 2019 sendete die Klägerin eine E-Mail mit dem Betreff „Cookies - Vorwürfe/Beschwerde über Verletzung meines Datenschutzes gegen …“ an E-Mailadressen von … und … und an den Beklagten, in der sie sich im Wesentlichen über eine Cookie-Verwendung seitens … und … beschwert und verschiedene daraus ihrer Ansicht nach resultierende Datenschutzverletzungen und Straftaten rügt. Die E-Mail beginnt mit der Anrede
„Sehr geehrte Damen und Herren bei …, […]“
und spricht im weiteren Verlauf mehrfach diese Empfänger direkt mit „Sie“ an. Eine der Überschriften in der E-Mail der Klägerin lautet:
„Unbeschadet weiterer Vorwürfe werfe ich Ihnen vor und beschwere mich entsprechend über […]“
Im vorletzten Absatz der E-Mail heißt es:
„[…] Der Einfachheit halber und da die erheblichen Rechtsverletzungen sofort abzustellen sind, sende ich dieses Schreiben zeitgleich auch an die zuständige Datenschutzaufsichtsbehörde.“
3
Anschließend schreibt die Klägerin mehrmals über den Beklagten. Der Beklagte wird in der gesamten E-Mail an keiner Stelle direkt angesprochen.
4
Eine Reaktion des Beklagten auf diese Email erfolgte zunächst nicht. Auf eine „Erinnerungs-Email“ seitens der Klägerin vom 26. Juni 2019 hin bestätigte der Beklagte per E-Mail vom 27. Juni 2019 den Eingang der „Eingabe“ der Klägerin und führt anschließend Folgendes aus:
„Ihre Eingabe werten wir dann als Beschwerde im Sinne des Art. 77 DS-GVO, wenn Sie nachvollziehbar darlegen, dass die Stelle, über die Sie sich beschweren, Sie betreffende personenbezogene Daten so verarbeitet, dass Ihre Rechte verletzt werden.
Emails, die uns lediglich in Kopie weitergeleitet werden, und nicht erkennen lassen, dass der Absender sein Anliegen unmittelbar an die Behörde richtet, werten wir nicht als Beschwerde im Sinne des Art. 77 DSGVO.
Für die weitere Bearbeitung Ihrer Beschwerde ist es daher nötig, dass
- Sie den Verstoß in nachvollziehbarer Weise beschreiben,
- den Verantwortlichen, gegen den sich Ihre Beschwerde richtet, benennen sowie
- die vollständige URL der Website bzw. die vollständige Bezeichnung der App angeben.
…“
5
Im folgenden E-Mailverkehr zwischen den Beteiligten machte die Klägerin keine weiteren inhaltlichen Angaben, wie in der E-Mail des Beklagten vom 27. Juni 2019 gefordert, zum behaupteten Datenschutzverstoß.
6
Mit E-Mail des Beklagten vom 1. Juli 2019 wurde der Klägerin ausdrücklich mitgeteilt, dass bisher keine Beschwerde i.S.d. Art. 77 DS-GVO vorliege, die Anforderungen an eine Beschwerde seien der Klägerin nun mehrfach geschildert worden. Hierauf rügte die Klägerin mit E-Mail vom gleichen Tage, dass der Beklagte drei Monate gebraucht habe, um ihr mitzuteilen, dass ihre Beschwerde keine solche sei.
7
Mit Schreiben vom 9. September 2019 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben mit den Anträgen:
„1. Den Beklagten zu verurteilen, umgehend und wirksam tätig zu werden.
2. Den Beklagten zu verurteilen, mich u.a. gemäß Erwägungsgrund 129 DSGVO und Art. 57 Abs. 1 lit. f DSGVO über den Fortgang und das Ergebnis der Untersuchung sowie vor einem Ergebnis über den Stand mit etwaigen Maßnahmen, Sanktionen und/oder Geldbußen zur Vermeidung von Nachteilen für mich und zwecks Stellungnahme meinerseits dazu zu unterrichten.
3. Den Beklagten zu verurteilen, ebenfalls gem. Erwägungsgrund 129 DSGVO darauf zu achten, dass weitere nachteilige Auswirkungen, überflüssige Kosten und Unannehmlichkeiten für mich tatsächlich vermieden anstatt geschaffen werden.
4. Den Beklagten zu einem datenschutz- und rechtskonformen Beschluss (Versand per eMail) mit wirksamem gerichtlichem Rechtsbehelf zu verurteilen.
5. Den Beklagten zur Übernahme der Kosten des Verfahrens zu verurteilen.“
8
Zur Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass entgegen der Ansicht des Beklagten ihre E-Mail vom 25. März 2019 eine Beschwerde i.S.d. Art. 77 DS-GVO dargestellt habe, es sei für den Beklagten gerade doch erkennbar gewesen, dass sich ihr Anliegen an ihn als Aufsichtsbehörde gerichtet habe. Auch auf ihre Erinnerungs-E-Mails hin sei der Beklagte untätig geblieben.
9
Mit Schriftsatz vom 9. November 2019 hat der Beklagte Klageabweisung beantragt, da die von der Klägerin gerügte Untätigkeit des Beklagten nicht vorliege.
10
Weil die Klägerin auf die E-Mail des Beklagten vom 27. Juni 2019 hin keine weiteren Angaben zum behaupteten Datenschutzverstoß gemacht habe, sei der Beklagte davon ausgegangen, dass die Klägerin an dem Verfahren kein Interesse mehr habe, und habe es deshalb abgeschlossen.
11
Die Klägerin hatte mit Schreiben vom 27. September 2019 zunächst auf mündliche Verhandlung verzichtet, der Beklagte mit Schriftsatz vom 9. November 2019. Mit Schreiben vom 22. Juni 2020 bat die Klägerin um mündliche Verhandlung.
12
In der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2022, zu der die Klägerin nicht erschienen ist, teilte der Beklagte u.a. mit, dass sich aus einer Eingabe grundsätzlich ein konkreter Sachverhalt und die Tatsache, dass eine Beschwerde erhoben werden solle, ergeben müssten, damit ein Beschwerdeverfahren eingeleitet würde. In der ersten E-Mail der Klägerin sei der Beklagte weder in der Anrede noch im weiteren Text direkt angesprochen worden, daher habe er die E-Mail auch nicht als an ihn gerichtet verstanden. Die Klägerin habe auch keine URLs der betroffenen Internetseiten genannt.
13
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1.
15
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Nach Auslegung des Begehrens der Klägerin gemäß § 88 VwGO ist davon auszugehen, dass sie dagegen vorgehen möchte, dass der Beklagte sich mit ihrer Eingabe nicht befasst hat i.S.d. Art. 78 Abs. 2 Var. 1 DS-GVO. Bei einer solchen Untätigkeit der Aufsichtsbehörde i.S.d. Art. 78 Abs. 2 Var. 1 DS-GVO kommt je nach konkreter Begehr der betroffenen Person eine allgemeine Leistungsklage oder eine Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage in Betracht (vgl. Körffer in Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2021, Art. 78 DS-GVO Rn. 10). Da das Begehren der Klägerin auf die Durchführung eines Beschwerdeverfahrens und nicht auf eine konkrete, als Verwaltungsakt zu qualifizierende Maßnahme gerichtet ist, ist vorliegend die allgemeine Leistungsklage statthaft.
16
Die Klage ist auch im Übrigen zulässig.
2.
17
Die Klage ist jedoch unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf die Befassung mit ihrer Eingabe als Beschwerde nach Art. 78 Abs. 2 Var. 1 DS-GVO hat. Denn bei den streitgegenständlichen E-Mails handelt es sich nicht um wirksame Beschwerdeeinreichungen.
18
Grundsätzlich kann Art. 57 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO in Zusammenschau mit Art. 78 Abs. 2 DS-GVO zu einem Rechtsanspruch eines Betroffenen auf Untersuchung seiner Beschwerde führen (vgl. VG Ansbach, U. v. 08.08.2019 - AN 14 K 19.00272 - juris Rn. 39 m.w.N.). Vorliegend ist aber schon der Aufgabenbereich des Art. 57 DS-GVO nicht eröffnet, da keine Beschwerde i.S.d. Art. 57 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO vorlag.
a)
19
In der ersten E-Mail der Klägerin vom 25. März 2019 liegt keine auf die Einreichung einer Beschwerde gerichtete Willenserklärung. Für die Auslegung einer Beschwerdeeinreichung als empfangsbedürftiger Willenserklärung sind die Auslegungsgrundsätze des Zivilrechts (§ 133, § 157 BGB) anzuwenden; hiernach kommt es nicht auf den inneren Willen der erklärenden Person an, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.2001 - 8 C 17/01 - juris Rn. 40 m.w.N). Maßgeblich ist damit, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise unter Berücksichtigung auch von sonstigen Umständen neben der eigentlichen Erklärung zu verstehen ist.
20
Für einen objektiven Dritten war aus dieser ersten E-Mail der Klägerin nicht erkennbar, dass sie die Einleitung eines Beschwerdeverfahrens beim Beklagten herbeiführen wollte. Objektiv betrachtet lag eher ein Hinweis an den Beklagten vor oder war eine Einbeziehung des Beklagten in die Korrespondenz der Klägerin mit … gewünscht. Dafür spricht auch die Aufforderung am Ende dieser E-Mail, dass … die Antwort nicht nur an die Klägerin selbst, sondern auch an die Aufsichtsbehörde richten möge. Erhebliches Gewicht kommt - wie vom Beklagten auch vorgebracht - der Tatsache zu, dass der Beklagte selbst in der gesamten E-Mail nicht direkt angesprochen wird. Die Klägerin spricht nur über den Beklagten. Daraus ist aus Sicht eines objektiven Dritten nicht erkennbar, dass die Herbeiführung einer Rechtsfolge beim Beklagten beabsichtigt war.
21
Gestützt wird dies auch dadurch, dass die Klägerin … in der E-Mail eine Frist zur „technischen Anpassung an die Rechtslage“ setzt. Dass die Klägerin bereits bei Setzung der Frist ein Beschwerdeverfahren beim Beklagten anstrengen wollte, war bei der erforderlichen objektiven Betrachtungsweise nicht erkennbar.
22
Die Tatsache, dass im Betreff das Wort „Beschwerde“ fällt, ändert hieran nichts, da die E-Mail insgesamt objektiv den Eindruck einer „Beschwerde“ gegenüber … erweckt. Dafür spricht auch der Wortlaut einer der Überschriften in der E-Mail, laut der die Klägerin sich beim angesprochenen Gegenüber, sprich bei …, beschwert („[…] werfe ich Ihnen vor und beschwere mich […]“). Auch, dass die E-Mail wohl im „An“-Feld und nicht lediglich im „cc“-Feld an den Beklagten gesendet wurde, reicht nicht für eine abweichende Einschätzung aus.
b)
23
Den weiteren E-Mails der Klägerin lässt sich dann zwar auch objektiv der Wille entnehmen, dass die Klägerin eine Beschwerde beim Beklagten einreichen wollte, jedoch fehlt es hier weiterhin an den erforderlichen Mindest-Informationen, um ein Beschwerdeverfahren einleiten zu können.
24
Die Klägerin beschwert sich über ihrer Ansicht nach rechtswidrig installierte Cookies, benennt jedoch in keiner ihrer E-Mails konkrete URLs der betroffenen Internetseiten. Ohne eine URL ist bei einer Beschwerde bezüglich Cookies jedoch nicht erkennbar, gegen welchen konkreten Website-Betreiber als Verantwortlichen sich die Beschwerde richten soll. Im vorliegenden Verfahren ist das auch nicht aus dem sonstigen Inhalt der E-Mails erkennbar, insbesondere werden von … mehrere verschiedene Websites betrieben. Es ist jedoch offensichtlich, dass für die Einleitung eines Beschwerdeverfahrens i.S.d. DS-GVO zumindest der Verantwortliche für die Aufsichtsbehörde, hier den Beklagten, erkennbar sein muss, denn sonst könnte nicht einmal zur weiteren Sachverhaltsermittlung eine Stellungnahme des Verantwortlichen eingeholt oder dieser angehört werden. Die Angabe der betroffenen URL ist daher Voraussetzung für die Einleitung eines Beschwerdeverfahrens bezüglich Datenschutzverstößen auf Internetseiten.
25
Die Klägerin wurde vom Beklagten auch darauf hingewiesen, dass für eine Behandlung ihrer Eingabe als Beschwerde i.S.d. Art. 77 f. DS-GVO noch einige Informationen, insbesondere die Angabe der betroffenen URLs, fehlen würden. Die Klägerin hat diese fehlenden Informationen ohne Angabe von Gründen bis zum Schluss nicht mitgeteilt.
26
Somit lagen auch bei Betrachtung aller E-Mails der Klägerin die Voraussetzungen für eine wirksame Beschwerdeeinreichung nicht vor. Daher besteht auch kein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf die Befassung mit ihrer Eingabe aus Art. 78 Abs. 2 Var. 1 DS-GVO.
3.
27
Die Kostenentscheidung folgt aus § 20 Abs. 2 BDSG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 20 Abs. 2 BDSG i.V.m. § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.