Titel:
Restschadensersatzanspruch nach § 852 S. 1 BGB in einem Diesel-Fall (hier: VW Touran)
Normenketten:
BGB § 31, § 199 Abs. 1, § 249 Abs. 1, § 818, § 826, § 852 S. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Zum Anspruch aus § 852 BGB bei verjährten "Diesel-Fällen" vgl. auch BGH BeckRS 2022, 4174; BeckRS 2022, 4153; BeckRS 2022, 4167; BeckRS 2022, 38006; BeckRS 2022, 42085; BeckRS 2022, 25008; BeckRS 2022, 42732 sowie BGH BeckRS 2022, 38891 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); BGH BeckRS 2022, 32458 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25067 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Da Dieselfahrzeuge seit vielen Jahren nicht mehr überwiegend von „Vielfahrern“ erworben werden, sondern auch von zahlreichen Nutzern, die jährlich eine durchschnittliche Fahrstrecke von um die 10.000 bis 15.000 km zurücklegen, entspricht die durchschnittliche „Lebenserwartung“ der in Deutschland verkauften Dieselfahrzeuge aufgrund des Verschleißes anderer Bauteile und der zunehmenden Unwirtschaftlichkeit von Reparaturen nicht den technischen Möglichkeiten eines Dieselmotors (hier: zu erwartende Gesamtlaufleistung von 250.000 km). (Rn. 55 – 57) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Schaden in Form eines ungewollten Vertragsschlusses im Jahr 2011 kann nicht dadurch entstanden sein, dass die Herstellerin ca. 5 Jahre danach auf Verlangen des Kraftfahrtbundesamtes ein Software-Update entwickelt und dessen Aufspielen auf das Fahrzeug des Käufers veranlasst. (Rn. 78) (redaktioneller Leitsatz)
4. Da der sogenannte Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB iVm den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung nicht höher sein kann als der ursprüngliche verjährte Schadensersatzanspruch, bedarf es keiner konkreten Schätzung des durch die Herstellerin iSv § 852 BGB auf Kosten des Klägers unter Berücksichtigung einer Händlermarge erlangten Verkaufspreises des Fahrzeugs (anders nachfolgend BGH BeckRS 2022, 32685). (Rn. 107) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, unzulässige Abschalteinrichtung, Verjährung, Neuwagen, Restschadensersatzanspruch, Vorteilsausgleichung, Gesamtnutzungsdauer, Händlermarge, Vermögensverschiebung
Vorinstanz:
LG Kempten, Endurteil vom 08.04.2021 – 13 O 1486/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 31.10.2022 – VIa ZR 137/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32686
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 08.04.2021, Az. 13 O 1486/20, abgeändert:
1.1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.781,84 € zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 22.405,03 € für die Zeit vom 06.11.2020 bis zum 25.03.2021,
aus 21.337,76 € für die Zeit vom 26.03.2021 bis zum 16.12.2021 und
aus 20.781,84 € für die Zeit ab 17.12.2021
Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Touran mit der Fahrgestellnummer …309.
1.2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/5 und die Beklagte 4/5.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte als Fahrzeugherstellerin aus deliktischen Ansprüchen die Rückabwicklung eines Neuwagenkaufs vom 19.09.2011 geltend.
2
Der damals zum Preis von 39.511,00 Euro erworbene VW Touran, Erstzulassung 23.03.2012 (vgl. Rechnung Anlage K 1), ist mit einem Motor EA 189 ausgestattet, der im Jahr 2015 vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) und seit dem Jahr 2019 durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung beanstandet wurde.
3
Nach einer ersten Pressemitteilung der Beklagten am 22.9.2015 wurde ab Herbst 2015 umfangreich in sämtlichen Medien über den sogenannten Abgasskandal und Softwaremanipulationen bei Fahrzeugen der Beklagten mit Dieselmotoren berichtet.
4
Nach dem unbestritten gebliebenen Beklagtenvortrag auf S. 37/38 der Klageerwiderung unterrichtete die Beklagte die betroffenen Halter von Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 mit Schreiben vom Februar 2016 erstmals schriftlich über die Notwendigkeit eines mit dem KBA abgestimmten Software-Updates. Nach Freigabe der technischen Lösung für den entsprechenden Fahrzeugtyp wurden die Fahrzeughalter nach dem unbestrittenen Beklagtenvortrag erneut postalisch informiert.
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Das Software-Update wurde beim klägerischen Fahrzeug am 03.08.2016 aufgespielt.
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Nachdem auf S. 11 des anwaltlichen Forderungsschreibens vom 09.06.2020 gemäß Anlage K 13 noch die Ansicht vertreten wurde, dass seitens des Klägers eine Nutzungsentschädigung für das nicht mangelfreie Fahrzeug nicht geschuldet sei, wurde die Beklagte nachfolgend ab S. 12 aufgefordert, bis 16.06.2020 den Kaufpreis für das Fahrzeug von 39.511,00 Euro Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs abzüglich einer aus einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km zu ermittelnden Nutzungsentschädigung für die bis dahin gefahrenen 105.000 km und außerdem die aus einem Gegenstandwert von 39.511,00 Euro errechneten vorgerichtlichen Anwaltskosten zu erstatten.
7
Mit der erst am 28.09.2020 beim Landgericht eingegangenen Klage mit dem Datum 22.06.2020, zugestellt am 05.11.2020, verlangte der Kläger die Erstattung des Kaufpreises für das Fahrzeug unter Anrechnung einer angeblich aus einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km errechneten Nutzungsentschädigung von 11.932,21 Euro.
8
Die Beklagte hat auf S.2 der Klageerwiderung die Verjährungseinrede erhoben.
9
Zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Termins am 25.03.2021 betrug der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs unstreitig 111.471. Am Tag der Berufungsverhandlung vom 16.12.2021 wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 118.506 km auf (S. 2 des Protokolls = Bl. 448 d.A.).
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Der Senat nimmt im Übrigen Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil.
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Das Landgericht hat die zuletzt inhaltlich auf Zahlung von 26.929,20 Euro Zug um Zug gegen Fahrzeugrückgabe gerichtete Klage abgewiesen, da die klägerischen Ansprüche bereits mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt seien.
12
Der individuelle Verjährungsbeginn stimme regelmäßig mit dem allgemeinen Bekanntwerden des „Dieselskandals“ und der umfangreichen Medienberichterstattung seit Herbst 2015 überein. Dass ein in Deutschland lebender Kunde des Konzerns hiervon keine Kenntnis gehabt haben sollte und ihm nicht jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen wäre, sei nicht vorstellbar.
13
Wegen der gerügten Installation eines sogenannten „Thermofensters“ durch das Software-Update bestünden bereits keine deliktischen Ansprüche gegen die Beklagte, insbesondere fehle es an einer substantiierten Darlegung einer unzulässigen sittenwidrigen Handlung von Organen der Beklagten.
14
Auch andere deliktische Anspruchsgrundlagen kämen nicht in Betracht.
15
§ 852 BGB solle nach Sinn und Zweck der Norm den Anspruchsinhaber vor einer unzumutbaren Klageerhebung bewahren, wovon hier nicht ausgegangen werden könne.
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Darüber hinaus scheide ein Anspruch aus § 852 BGB - wie das OLG Oldenburg in einem Hinweisbeschluss vom 5.1.2021, Az. 2 U 168/20, zutreffend ausgeführt habe - aus, weil ein wirtschaftlicher Schaden des Klägers nicht feststellbar sei.
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Mit seiner Berufung rügt der Kläger, dass das Erstgericht verkannt habe, dass der klägerische Anspruch insbesondere aus § 826 BGB begründet sei.
18
Das erkennende Gericht habe rechtsirrig verkannt, dass die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen erst vorhanden sei, wenn der Gläubiger aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimme Person eine Klage erheben könne, die ihm bei verständiger Würdigung zumutbar sei.
19
Dies sei hier - was näher ausgeführt wird - unter Berücksichtigung der Darlegungs- und Beweislast der Beklagten für die Voraussetzungen des Verjährungsbeginns nicht der Fall, insbesondere fehle es bis heute an einer Kenntnis des Klägers von der Abschalteinrichtung durch eine Information der Beklagten oder des Kraftfahrtbundesamtes oder der Medienberichterstattung.
20
Auch habe die Beklagte durch das Software-Update eine neue Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters mit einer aktiven Abgasreinigung nur zwischen 15° und 33° Celsius implementiert, das zu einem neuerlichen Rückruf bei dem Fahrzeugmodell EOS der Beklagten geführt habe.
21
Die Einrede der Verjährung sei im Hinblick auf das langjährige Bestreiten eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten rechtsmissbräuchlich.
22
Jedenfalls habe der Kläger einen Anspruch aus § 852 BGB, da für die erforderliche Vermögensverschiebung eine wirtschaftliche Betrachtung maßgeblich sei. Die vom Erstgericht angenommene Beschränkung des Anspruchs auf reine Vermögensschäden sei dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen.
23
Ebenso wenig sei eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der Norm veranlasst. Das von der Beklagten Erlangte sei der durch die Veräußerung des Fahrzeugs vereinnahmte Kaufpreis ihres Vertragspartners.
24
Die Vermögensvorteile würden durch den von der Klagepartei gezahlten Kaufpreis abzüglich einer Händlermarge dargestellt.
25
Auf einen etwaigen Gewinn nach Abzug der Kosten komme es nicht an.
26
Entgegen der Auffassung der Beklagten scheide nach § 819 BGB eine Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB aus, da die Beklagte die Typgenehmigungsbehörde von Anfang an über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung getäuscht habe und daher bösgläubig gewesen sei.
27
Die Höhe des durch die Beklagte vereinnahmten Verkaufserlöses könne die Klagepartei nicht angeben. Sie könne daher lediglich den von ihr bezahlten Kaufpreis zugrunde legen.
28
Insoweit treffe die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast.
29
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den klägerischen schriftsatz vom 07.06.2021 (Bl. 332/374 d.A.) Bezug genommen.
30
Der Kläger verfolgt seine letzten erstinstanzlichen Klageanträge weiter und beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Kempten 13 O 1486/20, verkündet am 09.04.2021 und zugestellt am 09.04.2021 zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 39.511,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.06.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 12.583,80 Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Touran mit der Fahrgestellnummer …309 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 17.06.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.434,74 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.06.2020 zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 8.300,63 zu zahlen.
5. Das Urteil des Landgerichts Kempten, 13 O 1486/20, verkündet am 09.04.2021 und zugestellt am 09.04.2021, wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.
31
Den bereits erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 09.03.2021 formulierten ersten Hilfsantrag hat die Klagepartei gemäß den Ausführungen auf S. 13 oben dieses Schriftsatzes (Bl. 307 d.A.) auch in der Berufung (S. 41/42 der Berufungsbegründung = Bl. 372/373 d.A.) nur für den Fall gestellt, dass das Gericht entgegen der Rechtsansicht der Klagepartei die Auffassung vertreten sollte, die Beklagte könne sich trotz der Regelung des § 819 BGB auf Entreicherung hinsichtlich der Materialkosten des streitgegenständlichen Fahrzeugs von geschätzt 50% des Kaufpreises sowie geschätzt weitere 25% an Produktions-, Entwicklungs- und Gemeinkosten inklusive Löhne berufen.
32
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das Ersturteil.
33
Hinsichtlich eines Anspruchs aus § 852 BGB vertritt die Beklagte gemäß ihren Darlegungen im Schriftsatz vom 17.03.2021 (Bl. 308 ff d.A.) und der Berufungserwiderung vom 16.08.2021 (dort auf S. 35 ff = Bl. 411 ff d.A.) die Auffassung, dass sich der erforderliche wirtschaftliche Schaden des Klägers überhaupt nicht feststellen lasse (so das OLG Oldenburg, Beschluss vom 5.1.2021, Az. 2 U 168/20), und dass der Anspruch auch deswegen nicht in Betracht käme, weil der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte, sich der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte vor dem Oberlandesgericht Braunschweig anzuschließen. Der Anwendungsbereich des § 852 BGB sei teleologisch auf Fälle zu reduzieren, in denen der Verletzte sich besonderen Prozessrisiken ausgesetzt sehe, was hier nicht der Fall sei.
34
Jedenfalls sei bei der Bemessung des „Erlangten“ eine vermögensorientierte Betrachtung anzulegen, die nicht den Kaufpreis, sondern den bei der Beklagten erzielten Nettogewinn zugrunde lege.
35
Außerdem seien diverse bereicherungsmindernde Abzugsposten in Ansatz zu bringen, die den Anspruch auf 0 reduzieren würden.
36
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und übergebenen Anlagen Bezug genommen.
37
Der Senat hat am 16.12.2021 mündlich verhandelt (Protokoll Bl. 447/449 d.A.). Beweis wurde nicht erhoben.
38
Die zulässige Berufung des Klägers ist auch in der Sache teilweise erfolgreich.
39
Zwar ist ein originärer Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB einschließlich eventueller erstattungsfähiger vorgerichtlicher Anwaltskosten gemäß §§ 195, 199 BGB verjährt. Jedoch steht dem Kläger ein sogenannter Restschadensersatzanspruch in gleicher Höhe aus § 852 Satz 1 BGB zu, der nach § 852 Satz 2 BGB noch nicht verjährt ist.
40
1. Nach den der Berufungsentscheidung zugrunde zu legenden Feststellungen liegen die Voraussetzungen einer deliktsrechtlichen Haftung der Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB vor.
41
Daraus resultiert im Wege des Schadensersatzes nach § 249 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises, allerdings nur abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die zurückgelegten Kilometer, die sich der Autokäufer im Wege der Vorteilsanrechnung gefallen lassen muss. Der Anspruch besteht außerdem nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges.
42
1.1. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Sinne von § 826 BGB ist gegeben.
43
Wie der BGH in seiner Entscheidung vom 25.5.2020 klargestellt hat (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1963 Rn. 16 ff.), handelt es sich bei der - auch im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten - Motorsteuerungssoftware um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zur Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007 L 171, 1 ff.). Das auf der Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung unter bewusster Missachtung gesundheits- und umweltschützender Rechtsvorschriften erfolgende fortgesetzte Herstellen und Inverkehrbringen derart bemakelter, von einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung bedrohter Fahrzeuge, deren Typgenehmigung durch eine Täuschung der zuständigen Behörde erschlichen worden war, stellt im Verhältnis zu arglosen Fahrzeugkäufern, zu denen auch der Kläger im vorliegenden Verfahren rechnet, ein objektiv sittenwidriges Verhalten im Sinne von § 826 BGB dar (siehe auch BGH NJW 2020, 2806, 2807 Rn. 11).
44
1.2. Ferner ist auch für das streitgegenständliche Verfahren anzunehmen, dass der vormalige Vorstand der Beklagten von der Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst hat und dieses Wissen der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnen ist.
45
Die Klageseite ist den Anforderungen an eine Substantiierung der Kenntnis des vormaligen Vorstandes der Beklagten, so wie sie der BGH in seiner Entscheidung vom 25.5.2020 präzisiert hat (siehe BGH NJW 2020, 1962 Rn. 39), nachgekommen: Danach muss der Kläger lediglich Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstandes dartun. Solche Indizien hat der Kläger aber bereits in der Klageschrift vom 22.06.2020 dargelegt, wobei er sich in zureichender Weise auf die ihm zugänglichen öffentlichen Quellen gestützt hat.
46
Wie der Bundesgerichtshof weiter klargestellt hat (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1966 Rn. 39), trifft die Beklagte in einer solchen Situation mit Blick auf die besonderen Schwierigkeiten der Käufer von Dieselfahrzeugen, konkrete Tatsachen darzulegen, aus denen sich die Kenntnis eines bestimmten Vorstandsmitglieds ergibt, eine sekundäre Darlegungslast. Dieser sekundären Darlegungslast hat sie nicht genügt (auch dazu näher BGH NJW 2020, 1962, 1967 Rn. 39 zu einem auch insoweit parallel liegenden Fall), indem sie lediglich vortrug, sie verfüge derzeit über keine Erkenntnisse dafür, dass einzelne Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts an der Entwicklung der Umschaltlogik beteiligt gewesen seien oder die Entwicklung oder Verwendung der Umschaltlogik des Dieselmotors EA 189 seinerzeit in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten (S. 15 f der Klageerwiderung).
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Danach ist auch im streitgegenständlichen Verfahren die klägerische Behauptung nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen, die maßgeblichen Vorgänge seien dem Vorstand der Beklagten bekannt gewesen, sodass sich eine Zurechnung dieser Kenntnis nach § 31 BGB ergibt.
48
1.3. Durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ist der Klageseite ein Schaden entstanden in Gestalt des ungewollten Abschlusses eines Kaufvertrages über ein manipuliertes Fahrzeug, wobei der maßgebliche Schadensbegriff insoweit subjektbezogen ist (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1967 Rn. 45 ff.).
49
Der Senat ist auch von der Kausalität des vorsätzlichen sittenwidrigen Handelns der Beklagten für diesen Schaden überzeugt. Denn aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergibt sich ein Erfahrungssatz, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1968 Rn. 49). Dass vorliegend ausnahmsweise abweichende Tatsachen gegeben wären, die auf einen atypischen Geschehensablauf hindeuten würden, ist nicht ersichtlich.
50
Die für die Beklagte tätigen Personen handelten auch mit Schädigungsvorsatz. Da die vormaligen Vorstände der Beklagten die grundlegende, mit der bewussten Täuschung des KBA verbundene strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software jedenfalls kannten und jahrelang umsetzten, ist schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass ihnen als für die zentrale Aufgabe der Entwicklung und des Inverkehrbringens der Fahrzeuge zuständigen Organen oder verfassungsmäßigen Vertreter bewusst war, in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge werde niemand - ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis - ein damit belastetes Fahrzeug erwerben. Dass sie möglicherweise darauf vertraut haben mögen, das sittenwidrige Handeln werde nicht aufgedeckt, schließt den Vorsatz schon deshalb nicht aus, weil der Schaden bereits im ungewollten Vertragsschluss liegt (s. zum Ganzen näher BGH NJW 2020, 1962, 1969 f. Rn. 63).
51
1.4. Im Rahmen des der Klageseite danach gemäß §§ 826, 249 BGB zu ersetzenden negativen Interesses, das als Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB auf Rückgängigmachung der Folgen des Vertrags geht, muss sie sich allerdings im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1970 Rn. 64 ff.).
52
Die dafür maßgebliche zeitanteilige lineare Wertminderung ist im Vergleich zwischen tatsächlich zurückgelegten Kilometern und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1972 Rn. 80).
53
Da die Nutzbarkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs bisher nicht mangelbedingt eingeschränkt war, besteht keine Veranlassung, bei der linearen Berechnung des Nutzungswertes der gefahrenen Kilometer anstelle des vereinbarten Kaufpreises von einem mangelbedingten „Minderwert“ auszugehen.
54
Auch eine Berechnung aus einem um die Gewinnmarge reduzierten Kaufpreis oder nur für die Zeit ab Kenntnis der klägerischen Schadensersatzforderung aus § 826 BGB ist nach Sinn und Zweck des Vorteilsausgleichs nicht veranlasst, da der Kläger das Fahrzeug von Anfang an bis zuletzt uneingeschränkt nutzen konnte und nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die tatsächlich gezogenen uneingeschränkten Nutzungsvorteile zu berücksichtigen und aus dem Fahrzeugkaufpreis zu errechnen sind (vgl. BGH, a.a.O., Urteil vom 02.03.2021, Az. VI ZR 147/20 = ZIP 2021, 700, Urteil vom 27.04.2021, Az. VI ZR 812/20).
55
Der Senat schätzt die zu erwartende Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeuges angesichts der jährlichen Fahrleistung des Klägers von durchschnittlich ca. 12.000 km gemäß § 287 ZPO auf 250.000 km und nicht wie von der Klagepartei vorgerichtlich beanspruchte 350.000 km bzw. zuletzt angenommene 300.000 km (vgl. auch die umfangreichen Rechtsprechungshinweise zu verschiedenen Fahrzeugmodellen in Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl., Rn. 3574), wobei die klägerseits zuletzt errechnete Abzugsposition von 12.583,80 Euro nur bei Annahme einer deutlich höheren Gesamtlaufleistung zustande kommen kann.
56
Es mag sein, dass die streitgegenständlichen Motoren bei optimaler Wartung und Pflege sowie überwiegender Nutzung auf Langstrecken in der Lage wären, auch deutlich höhere Laufleistungen als 250.000 km zu absolvieren.
57
Da - wie dem Senat sowohl aus einschlägigen Rechtsstreitigkeiten als auch den allgemein zugänglichen Verkaufsofferten bekannt ist - Dieselfahrzeuge wie der streitgegenständliche PKW seit vielen Jahren nicht mehr überwiegend von „Vielfahrern“ erworben werden, sondern auch von zahlreichen Nutzern, die jährlich eine durchschnittliche Fahrstrecke von um die 10.000 bis 15.000 km zurücklegen, entspricht die durchschnittliche „Lebenserwartung“ der in Deutschland verkauften Dieselfahrzeuge aufgrund des Verschleißes anderer Bauteile und der zunehmenden Unwirtschaftlichkeit von Reparaturen nicht den technischen Möglichkeiten eines Dieselmotors.
58
Die von der Klagepartei zurückgelegten Kilometer belaufen sich auf 118.506 km.
59
Daraus ergibt sich ausgehend von dem gezahlten Bruttokaufpreis von 39.511,00 € eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 18.729,16 Euro (= Kaufpreis: anzunehmende Restlaufleistung zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch die Klagepartei x von der Klagepartei gefahrene km) und ein Rückzahlungsbetrag von 20.781,84 Euro.
60
2. Das Erstgericht hat im Ergebnis zutreffend die Voraussetzungen der Verjährung dieses klägerischen Schadensersatzanspruchs (einschließlich vorgerichtlicher Anwaltskosten) bejaht.
61
2.1. Es kann hier dahinstehen, ob die Voraussetzungen von § 199 Abs. 1 BGB bereits durch die Veröffentlichungen in den Medien im Herbst 2015, also kurz nach dem Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger gegeben waren.
62
Von der konkreten Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs von einer Dieselproblematik hat der Kläger spätestens durch die Information über das Software-Update im Jahr 2016 und das Aufspielen des Software-Updates, das unstreitig ebenfalls noch im Jahr 2016 stattfand, erfahren.
63
Die intensive mediale Berichterstattung über einen „Dieselskandal“ bzw. Manipulationen der Beklagtenpartei hinsichtlich der Schadstoffemissionen setzte sich auch über das gesamte Jahr 2016 fort.
64
Wie den Parteien und auch dem Gericht bekannt ist, wurden die ersten Kundenanschreiben der Beklagten mit dem auffällig in Fettdruck gehaltenen Betreff „Dieselthematik Rückrufaktion wegen NOx Abweichung bei EA 189 (Diesel) Motoren“ und der konkreten Bezeichnung des Fahrzeugs des angeschriebenen Halters (“Ihr Fahrzeug“) eingeleitet.
65
2.2. Dies genügt nach ständiger Rechtsprechung des 14. Zivilsenats im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.12.2020 (Az. IV ZR 739/20) für eine zumindest grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen für eine erfolgversprechende Klage gegen die Beklagte.
66
Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre und beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Der streitgegenständliche Anspruch ist vorliegend im Jahre des Erwerbes des Wagens durch den Kläger, also 2011, entstanden.
67
Jedenfalls für den Zeitpunkt August 2016 ist auch davon auszugehen, dass der Kläger ohne grobe Fahrlässigkeit hätte Kenntnis von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangen müssen:
68
2.2.1. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Demnach liegt grob fahrlässige Unkenntnis dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt, nämlich nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen, also auch ganz naheliegende Überlegungen unterlassen hat. Es muss „dem Gläubiger persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können“ (siehe BGH, Urt. v. 29.7.2021 - VI ZR 1118/20 juris Rn. 14 sowie BGH, Urt. v. 26.5.2020 - VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534 Rn. 19).
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2.2.2. Mit den dem an den Kläger adressierten, dem Software-Update vorausgegangenen Schreiben der Beklagtenpartei hat der Kläger zugleich die Kenntnis von der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs von der intensiven medialen Diskussion über skandalöse Schadstoffemissionen erhalten.
70
Der Kläger wäre - auch aus seiner Sicht - nicht angeschrieben worden, wenn sein Fahrzeug von der Problematik nicht tangiert worden wäre.
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2.2.3. Dies reichte nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus, den Schluss nahe zu legen, dass der Einbau der Motorsteuerungssoftware, die nach ihrer Funktionsweise ersichtlich auf Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörde abzielte, auf einer am Kosten- und Gewinninteresse ausgerichteten Strategieentscheidung beruhte, ferner auf ein diesbezügliches Bewusstsein des verfassungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten sowie auf dessen Bewusstsein, dass angesichts der mit der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung verbundenen, die volle Brauchbarkeit des Fahrzeugs einschränkenden Risiken niemand ein solches Fahrzeug - zumindest nicht ohne einen erheblichen Abschlag vom Kaufpreis erwerben würde - (siehe BGH, Urt. v. 17.12.2020 -VI ZR 739/20, NJW 2021, 918, juris Rn. 22). Einer näheren Kenntnis des Klägers von den „internen Verantwortlichkeiten“ im Hause der Beklagten bedurfte es hingegen nicht (siehe BGH, Urt. v. 17.12.2020 -VI ZR 739/20, NJW 2021, 918, juris Rn. 23).
72
Darauf, ob die Kläger bereits 2016 aus den ihr bekannten bzw. aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt gebliebenen Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zog, insbesondere aus ihnen einen Anspruch aus § 826 BGB herleitete, kommt es hingegen nicht an (siehe BGH, Urt. v. 17.12.2020 -VI ZR 739/20, NJW 2021, 918, juris Rn. 26). Eine ausnahmsweise zur Unzumutbarkeit der Klageerhebung führende unklare Rechtslage ist nur unter engen Voraussetzungen anzunehmen. Denn das Verjährungsrecht erfordert eindeutige Regeln und eine Auslegung, die die gebotene Rechtssicherheit gewährleistet. Deshalb ist es grundsätzlich erforderlich, sich bei der Anwendung solcher Vorschriften eng an deren Wortlaut zu halten (siehe BGH, Urt. v. 17.12.2020 -VI ZR 739/20, NJW 2021, 918, juris Rn. 10). Die für einen späteren Verjährungsbeginn abweichend vom Wortlaut des Gesetzes geltenden besonders strengen Anforderungen liegen in casu nicht vor. Hier war die Rechtslage vielmehr - ausgehend von früheren höchstrichterlichen Entscheidungen und den darin aufgestellten Grundsätzen - erkennbar, weil sich diese Grundsätze auf die nunmehr zu entscheidende Fallkonstellation übertragen ließen (siehe BGH, Urt. v. 17.12.2020 -VI ZR 739/20, NJW 2021, 918, juris Rn. 23). Damit versprach die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg und war dem Kläger zumutbar. Insbesondere stand dem nicht entgegen, dass Instanzgerichte, auch Obergerichte, sowie die Literatur die maßgebliche Rechtsfrage nicht einheitlich beantwortete. Denn das Risiko, dass erst eine abschließende Entscheidung des Bundesgerichtshofs Gewissheit bringen würde, ist dem Gläubiger zuzumuten (siehe BGH, Urt. v. 17.12.2020 -VI ZR 739/20, NJW 2021, 918, juris Rn. 14, 28).
73
2.2.4. Der Beginn der Verjährung setzt auch nicht voraus, dass der jeweilige Fahrzeugkäufer die Erfolgsaussichten des auf Anordnung des Kraftfahrtbundesamts von der Beklagten angebotenen Software-Updates zutreffend beurteilen kann. Ein Schaden ist eingetreten, wenn sich die Vermögenslage des Betroffenen objektiv verschlechtert hat, ohne dass bereits feststehen muss, ob dieser Nachteil bestehen bleibt und der Schaden damit endgültig wird (BGH, NJW 1991, 2828, 2829 = BGHZ 114, 150, 152 f.). Dies war mit Abschluss des Kaufvertrags der Fall. Da das Deliktsrecht dem Schädiger keine Nachbesserungsmöglichkeit einräumt, lässt die Möglichkeit des nachträglichen Software-Updates den bereits durch den Vertragsschluss entstandenen Schaden unberührt (OLG Koblenz, BeckRS 2021, 8656, Rdnr. 32). Damit ist diese Frage für die den Anspruch begründenden Umstände i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht relevant.
74
Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB begann somit mit Ablauf des Jahres 2016 und endete mit Ablauf des Jahres 2019.
75
2.3. Die Einrede der Verjährung ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, da die Beklagte die Käufer nicht an der Erhebung einer Klage in unverjährter Zeit gehindert hat, und da das Software-Update mit dem Thermofenster in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt entwickelt und installiert wurde mit der Folge, dass das ursprüngliche Risiko einer Entziehung der Zulassung des klägerischen Fahrzeugs danach entfallen ist.
76
2.4. Durch das behördlich angeordnete Software-Update hat die Beklagte nicht i.S. von § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB einen klägerischen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags mit einem Autohändler anerkannt.
77
3. Soweit der Kläger einen (weiteren) Schadensersatzanspruch im Hinblick auf das aufgespielte Software-Update geltend gemacht hat, hat sich das Erstgericht in seinem Endurteil vom 08.04.2021 in ausreichendem Umfang damit befasst und daraus resultierende Klageansprüche zutreffend verneint.
78
Zum einen kann der Schaden in Form eines ungewollten Vertragsschlusses am 19.09.2011 nicht dadurch entstanden sein, dass die Beklagte ca. 5 Jahre danach auf Verlangen des Kraftfahrtbundesamtes ein Software-Update entwickelt und dessen Aufspielen auf das klägerische Fahrzeug veranlasst hat.
79
Insoweit fehlt es an der Kausalität zwischen der beanstandeten Handlung und dem geltend gemachten Schaden.
80
Zu einem späteren, nach dem ursprünglichen Vertragsschluss entstandenen Schaden durch das Aufspielen des Software-Updates hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen.
81
Im übrigen hat der Bundesgerichtshof am 9.3.2021 im Verfahren VI ZR 889/20 (= VersR 2021, 661 f.) und - betreffend einen anderen Fahrzeughersteller - mit weiteren Urteilen vom 16.9.2021, Az. VII ZR 190/210, 286/20, 321/20 und 322/20 entschieden, dass die Implementierung eines „Thermofensters“ im Rahmen eines Software-Updates grundsätzlich keine sittenwidrige Schädigung darstellt.
82
Besondere Umstände, die Gegenteiliges begründen könnten, hat die Klagepartei nicht ausreichend dargelegt.
83
4. Schließlich hat der Bundesgerichtshof bereits am 30.7.2020 ausgeführt, dass die Vorschriften der §§ 6, 27 EG-FGV keine Schutzgesetze zugunsten von Autokäufern darstellen, weswegen insoweit ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB nicht in Betracht kommt (Az. VI ZR 5/20).
84
Ein Anspruch aus § 831 BGB scheidet mangels deliktischer Handlung eines Verrichtungsgehilfen der Beklagten aus.
85
5. Der aus dem Tenor ersichtliche begründete klägerische Anspruch ergibt sich aus § 852 Satz 1 BGB, wobei die Bedingung des klägerischen Hilfsantrags nicht zu Tragen kommt.
86
5.1. Nach § 852 BGB hat der deliktsrechtlich Ersatzpflichtige auch nach Eintritt der Verjährung des originären Schadensersatzanspruchs das an den Geschädigten herauszugeben, was er auf dessen Kosten erlangt hat.
87
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass § 852 S. 1 BGB an eine durch die unerlaubte Handlung erfolgte Vermögensverschiebung anknüpft und auf Seiten des Schädigers einen wirtschaftlichen Vorteil voraussetzt, der sein Vermögen gemehrt hat (BGH, Urteil vom 26.03.2019, X ZR 109/16 - BGHZ 221, 342 - 352, juris, Rn. 15).
88
Diese Vermögensverschiebung muss sich nicht unmittelbar zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten vollziehen, sondern kann auch auf andere Weise erfolgen. Das Erlangte muss dem Schädiger auch nicht vom Geschädigten selbst zugeflossen sein. Entscheidend ist aber, dass der Vermögensverlust beim Geschädigten einen entsprechenden Vermögenszuwachs beim Schädiger zur Folge hat, wobei eine wirtschaftliche Betrachtung maßgeblich ist (BGH, Urteil vom 14.02.1978, X ZR 19/76 - BGHZ 71, 86 - 101, juris, Rn. 62 f).
89
5.2. Im vorliegenden Fall hat der Kläger das streitgegenständliche Neufahrzeug (0 km Laufleistung) mit der unzulässigen Abschalteinrichtung unbestritten am 09.09.2011 bestellt und ausweislich der Rechnung gemäß Anlage K 1 erst im Februar 2012 übergeben bekommen.
90
Der Kaufpreis für das Fahrzeug in Höhe von 39.511,00 Euro wurde vom Kläger an seinen Verkäufer, nämlich ein Allgäuer Autohaus bezahlt.
91
Es ist jedoch im Hinblick auf den zeitlichen Abstand zwischen Bestellung und Erstzulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs davon auszugehen, dass die klägerische Bestellung eine Lieferkette ausgelöst hat, von der auch die Beklagte durch ein Verkaufsgeschäft mit dem Händler kausal profitiert hat.
92
In dieser Konstellation hat die Beklagte den um die Händlermarge reduzierten Kaufpreis für das streitgegenständliche Fahrzeug i.S. von § 852 BGB auf Kosten des Klägers erlangt.
93
5.3. Es besteht keine Veranlassung für eine teleologische Reduktion des Anspruchs aus § 852 BGB im Hinblick auf einen fehlenden wirtschaftlichen Schaden oder die nicht wahrgenommenen Möglichkeit einer Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren.
94
Der Senat schließt sich zu Letzterem - wie bereits zuvor der 24. Senat des OLG München in seinem Urteil vom 19.11.2021, Az. 24 U 2639/21 - den veröffentlichten Ausführungen des OLG Stuttgart in seinem Urteil vom 09.03.2021, Az. 10 U 339/20, sowie den Urteilsbegründungen des OLG Koblenz vom 31.3.2021, Az. 7 U 1602/20 und des OLG Oldenburg vom 22.04.2021, Az. 14 U 225/20, auf die Bezug genommen wird, an.
95
Der Ansicht der Beklagten, dass es an einem wirtschaftlichen Schaden fehle, kann nicht gefolgt werden.
96
Der Bundesgerichtshof hat insoweit in seinem Urteil vom 27.7.2021, Az. VI ZR 151/20, dargelegt, dass sich der ursprüngliche Schaden in Form der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit nach deren Erfüllung in dem Verlust der aufgewendeten Geldmittel fortsetzt (ZIP 2021, S. 1868).
97
5.4. Eine Beschränkung des i.S. von § 852 BGB „Erlangten“ auf den Gewinn der Beklagten aus dem streitgegenständlichen Veräußerungsgeschäft (so der 9. Senat des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 10.02.2021 ‒ 9 U 402/20 ‒ BeckRS 202, 5498 Rn. 45 ff.; OLG Düsseldorf vom 13.04.2021 ‒ 23 U 143/20 ‒ juris Rn. 29 ff. [= BeckRS 2021, 8516 Rn. 20 ff.]; Riehm, NJW 2021, 1625 Rn. 20), ist - wie bereits der 24. Senat des OLG München in der o.g. Entscheidung sowie das OLG Stuttgart in seinem Urteil vom 09.03.2021 und das OLG Oldenburg in seinem Urteil vom 22.04.2021 zutreffend dargelegt haben, nicht gerechtfertigt.
98
§ 852 BGB hält den Schadensersatzanspruch aufrecht, beschränkt seinen Umfang jedoch auf die ungerechtfertigte Bereicherung, die der Schädiger aus der unerlaubten Handlung erlangt hat (vgl. BGH, NJW 2015, 3165 f.).
99
Es handelt sich um eine Rechtsfolgenverweisung auf die §§ 818 ff. BGB.
100
Aufgrund des streitgegenständlichen Kaufgeschäfts wurde die Beklagte mittelbar in Höhe eines vom Händler erlangten Kaufpreises im Sinne einer echten Vermögensvermehrung bereichert. Ein Abzug der von der Beklagten zur Erlangung des (um die Händlermarge reduzierten) Kaufpreises aufgewendeten Gestehungskosten ist nicht veranlasst.
101
Zum einen hatten diese Gestehungskosten, also die „Personal- und Materialkosten für die Produktion [und] die anteiligen Gemeinkosten für Verwaltung, Forschung und Entwicklung, Marketing etc.“ (Riehm, a. a. O., Rn. 20), im Zeitpunkt ihrer Aufwendung keinen Bezug zu einem konkreten Fahrzeug und wären diese in gleicher Weise auch dann angefallen, wenn die Beklagte nach der Herstellung des konkreten Autos, aber vor dessen Inverkehrbringung von ihrem deliktischen Tun (fortgesetzte Täuschung des KBA und des Marktes über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung) Abstand genommen und über die unzulässige Abschalteinrichtung informiert hätte.
102
Zum anderen ist es einem Bereicherungsschuldner, der - wie im vorliegenden Fall anzunehmen ist - beim Empfang der Leistung bösgläubig ist, nach den Grundsätzen der §§ 818 Abs. 4, 819 BGB im allgemeinen versagt, sich auf einen späteren Wegfall einer Bereicherung zu berufen. Wie bereits das OLG Oldenburg in seiner Entscheidung vom 22.04.2021, Az. 14 U 225/20, unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 07.01.1971, Az. VII ZR 9/70 = BGHZ 55, 128 ff, zutreffend ausgeführt hat, kann sich der Schädiger nach den Wertungen des Bereicherungsrechts auch nicht auf eine Reduzierung der anfänglichen Bereicherung durch Abzugsposten berufen, die er im Zustand der Bösgläubigkeit vorgenommen hat.
103
Es besteht nach den überzeugenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs vom 07.01.1971 kein Grund, Wegfall und Entstehung der Bereicherung verschieden zu behandeln.
104
5.5. Der Kläger hat den Anspruch aus § 852 BGB auf das von der Beklagten Erlangte dargelegt in Höhe des von ihm bezahlten Kaufpreises, wobei er die Berechtigung des Abzugs einer von ihm nicht bezifferbaren Händlermarge dem Grunde nach zugestanden hat.
105
Der Kläger hat sich nicht auf eine bestimmte Höhe einer Händlermarge festgelegt, hat jedoch von Anfang an ein gewinnorientiertes Verhalten der Beklagten behauptet und außerdem auf S. 13 des Schriftsatzes vom 09.03.2021 (Bl. 307 d.A.) dargelegt, dass sich ausgehend von dem vom Kläger entrichteten Kaufpreis die Materialkosten für das streitgegenständliche Fahrzeug auf ca. 50% und die Produktions-, Entwicklungs- und Gemeinkosten auf weitere 25% belaufen, so dass rechnerisch nur ein Betrag in Höhe von 25% des Kaufpreises als möglicher Gewinn der Beklagten verbleiben würde, über den hinaus eine Händlermarge ohne Verlust der Beklagten nicht in Betracht käme.
106
Diesem klägerischen Zahlenwerk ist die Beklagte schriftsätzlich nicht substantiiert entgegengetreten.
107
Da der sogenannte Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB i.V. mit den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung nicht höher sein kann als der ursprüngliche verjährte Schadensersatzanspruch (BGH, Urteil vom 14.02.1978, Az. X ZR 19/76), bedurfte es keiner konkreteren Schätzung des durch die Beklagte i.S. von § 852 BGB auf Kosten des Klägers unter Berücksichtigung einer Händlermarge erlangten Verkaufspreises des Fahrzeugs.
108
Der klägerische Anspruch aus § 826 BGB beläuft sich nach den obigen Darlegungen nur auf etwas mehr als die Hälfte des vom Kläger an den Händler bezahlten Fahrzeugpreises. Dem entspricht der begründete klägerische Anspruch aus § 852 BGB.
109
5.6. Hinsichtlich des weiteren geltend gemachten Schadensersatzanspruchs auf Bezahlung von vorgerichtlichen Anwaltskosten kommt ein klägerischer Anspruch aus § 852 BGB nicht in Betracht, da die Beklagte insoweit nichts i.S. von § 852 BGB erlangt hat.
110
Eine andere Anspruchsgrundlage für die Forderung auf Freistellung von vorgerichtlichen Kosten ist nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Klagepartei zu einem Zahlungsverzug der Beklagten vor der Beauftragung der Klägervertreter nichts vorgetragen.
111
6. Der klägerische Feststellungsantrag ist nicht begründet.
112
Die Beklagte befindet sich weder aufgrund des vorgerichtlichen Schreibens vom 09.06.2020 gemäß Anlage K 13 noch aufgrund der Klage noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in Annahmeverzug, da die Klägerin die Rückgabe ihres Fahrzeugs zu keinem Zeitpunkt entsprechend § 294 BGB tatsächlich angeboten hatte und das wörtliche Angebot durch den Klageantrag von der die Zahlung eines Betrags zzgl. Zinsen abhängig gemacht worden waren, der von der Beklagten nach den obigen Ausführungen nicht geschuldet war. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, stellt eine Zuvielforderung den Verzug nicht in Frage, wenn der Schuldner die Erklärung des Gläubigers nach den Umständen des Falles als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muss und der Gläubiger zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistung bereit ist (BGH, Urteil vom 12.7.2006, Az. X ZR 157/05, Tz. 16 m.w.N., zitiert nach Juris).
113
Davon kann hier aufgrund der nicht unerheblichen Differenz zwischen der klägerischen Forderung und dem berechtigten Anspruch nicht ausgegangen werden.
114
Ein zur Begründung des Annahmeverzugs auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (s. auch BGH, Urteil vom 25.5.2020, a.a.O., Tz. 85 m.w.N., zitiert nach Juris).
115
Insofern entspricht der klägerische Anspruch aus § 852 BGB in der Hauptsache dem verjährten originären Schadensersatzanspruch.
116
1. Der berechtigte klägerische Zahlungsanspruch ist gemäß §§ 288, 291 BGB ab der Klagezustellung zu verzinsen, wobei der Senat berücksichtigt hat, dass die Klageforderung aufgrund der durch die weitere Benutzung des Fahrzeugs veranlassten Vorteilsausgleichung zu Beginn des Verfahrens noch in höherem Umfang begründet war, als zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung beim Senat.
117
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 709 S. 2, 711 ZPO.
118
3. Die Revision wird im Hinblick auf die Anwendung von § 852 BGB zugelassen, da - wie oben dargestellt wurde - in der obergerichtlichen Rechtsprechung Uneinigkeit darüber besteht, wie in Fällen eines ungewollten Vertragsschlusses mit einem zwischengeschalteten Dritten das vom Schädiger „Erlangte“ zu bemessen ist.